Verlust eines Proteins kann die Folgen eines Schlaganfalls abmildern

Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) in Jena haben die Funktion und Rolle von Ezrin in der Hirnentwicklung und im erwachsenen Gehirn untersucht. Fehlt das Protein, ist die Entwicklung kaum beeinflusst, die Signalverarbeitung und Form der Astrozyten jedoch verändert.

Durch ihre strahlenförmigen Ausläufer, mit denen sie Kontakte zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen vermitteln, haben Astrozyten eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn. Neben anderen wichtigen Bausteinen findet man in den Astrozytenfortsätzen vermehrt das Ezrin-Protein. Das lässt vermuten, dass Ezrin auch bei der neuronalen Entwicklung des Gehirns für die Funktion der Astrozyten wichtig ist.

Die Forschungsgruppe “Nervenregeneration” um Prof. Helen Morrison vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat nun in einer aktuellen Studie herausgefunden, welche Rolle Ezrin bei der Gehirnentwicklung spielt und wie seine Abwesenheit den Körper auf Stress, wie beispielsweise einen Schlaganfall, vorbereiten kann, um eventuelle Folgeschäden zu minimieren.

Welche Rolle spielt Ezrin bei der Gehirnentwicklung?

„Wie wir durch unsere eigene Forschung wissen, kommt Ezrin im sich entwickelnden Gehirn vor allem in den entstehenden Neuronen vor und ist auch im erwachsenen Gehirn in den peripheren Ausstülpungen der Astrozyten zu finden“, berichtet Morrison. „Doch bislang fehlen umfassende In-Vivo-Studien zu seiner funktionellen Bedeutung für das Nervensystem.“

Im Rahmen einer Doktorarbeit wurden daher In-Vivo-Studien an Mäusen durchgeführt, denen im Nervensystem Ezrin fehlte. Die anschließenden Untersuchungen konzentrierten sich vor allem auf den Bereich der Großhirnrinde als Modellsystem. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Astrozyten und ihre Fortsätze gerichtet, um die Bedeutung von Ezrin bei der Entwicklung des Gehirns und der Funktion im erwachsenen Gehirn genauer zu erforschen.

Ezrin-Mangel beeinträchtigt nicht die Gehirnentwicklung

„Wir waren zunächst recht erstaunt, dass sich die Mäuse trotz fehlenden Ezrins völlig normal entwickelten. Im Vergleich zu den Wildtyp-Mäusen wiesen sie auch keine offensichtlichen Defizite beim Lernen oder bei der Gedächtnisleistung auf“, berichtet Dr. Stephan Schacke, der seine Doktorarbeit zu diesem Thema verfasste. „Allem Anschein nach übernehmen bei der Entwicklung des Gehirns strukturell und funktionell verwandte Proteine, die Ezrin sehr ähnlich sind, seine fehlende Funktion und wirken so seinem Verlust entgegen.“ Lediglich bei der Erkundung von neuen Umgebungen zeigten die modifizierten Mäuse ein andersartiges, verlangsamtes Verhalten, was auf eine veränderte neuronale Signalverarbeitung hindeutet.

Ezrin-Mangel verändert den Glutamat-Stoffwechsel und die Astrozyten-Form

Durch die Anwendung histologischer Methoden und Proteomanalysen konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass sich durch den Verlust von Ezrin wichtige zellbiologische Prozesse wie der Glutamat-Stoffwechsel verändern.

Durch die Menge des ausgeschütteten Glutamats sowie durch die Geschwindigkeit bzw. die Dauer bis zur Wiederaufnahme des Neurotransmitters wird unter anderem die Stärke der Signalübertragung gesteuert. Ebenfalls an der Signalübertragung beteiligt ist das Protein GLAST, das direkt an der Glutamat-Wiederaufnahme mitwirkt. Infolge des Verlustes von Ezrin kommt vermehrt GLAST vor, wodurch sich die Wiederaufnahme von Glutamat vermutlich verstärkt. Im Ergebnis schwächt sich einerseits die Signalübertragung ab und verkürzt sich andererseits. Das könnte den Forschenden zufolge eine mögliche Erklärung für das verzögerte Erforschungsverhalten der Tiere sein.

Der Verlust von Ezrin führt darüber hinaus zu einer Hochregulierung von GFAP, einem Gliafilament-Protein, das ebenfalls in Astrozyten vorkommt und für seine mechanischen Eigenschaften, die Beweglichkeit und die Zellform der Astrozyten verantwortlich ist. Der Anstieg von GFAP weist darauf hin, dass sich die Astrozyten in ihrem Aussehen morphologisch verändern und einen „reaktiven Status“ annehmen, wie er auch bei Schädigungen oder Erkrankungen des Gehirns zu beobachten ist.

Kann der Verlust von Ezrin Schlaganfällen vorbeugen?

In anknüpfenden Studien konnten die Forschenden zeigen, dass die durch den Ezrin-Verlust ausgelöste Veränderung der Astrozyten im Vergleich zum Wildtyp diese Mäuse besser vor Stress schützt, beispielsweise vor einem ischämischen Schlaganfall. „Diese Mäuse können einen Schlaganfall deutlich besser verkraften als ihre Wildtyp-Verwandten, da sie durch die Hochregulierung von GLAST bereits gelernt haben, mit der Schädlichkeit und Toxizität von Neurotransmittern, insbesondere des Glutamats, umzugehen, was bei zu hoher Dosis zur Reizüberflutung und dem Absterben von Nervenzellen führen kann“, erläutert Morrison.

„Unsere Studie liefert damit nicht nur erste wichtige Erkenntnisse über die Bedeutung des Ezrin-Proteins für die Astrozyten-Funktion in unserem Körper, sondern zeigt einen möglichen Weg auf, wie sich nach einem Schlaganfall ein verbessertes Therapieergebnis erreichen lassen könnte, wenn sich die durch die Anreicherung von Glutamat induzierte neuronale Exzitotoxizität, die zu Schäden und dem Absterben von Nervenzellen führt, effizient verhindern lässt.“

Über
Schacke S et al. Ezrin deficiency triggers glial fibrillary acidic protein upregulation and a distinct reactive astrocyte phenotype. Glia 2022;70(12):2309–2329.
Quelle
Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)
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