Bayerischer Monatsspiegel #158

Page 1

|

Februar 2011

|

47. Jahrgang 2011 | Postvertriebsst체ck 69234 | ISSN 1860-4561 | Einzelpreis 7,50 EUR

Ausgabe 158

Titelthema: Sicherheit Werner Weidenfeld: Geopolitische Paradigmenwechsel Bruno Bandulet: Der Euro und seine Geburtsfehler Horst Seehofer: Wir geben weiter Gas Hugo M체ller-Vogg: Auf dem Weg zu einer anderen Republik Karl-Theodor zu Guttenberg: Alles bleibt anders Wolfgang Ischinger: Vertrauen schafft globale Sicherheit Joachim Herrmann: Ohne Sicherheit ist keine Freiheit Ludwig Spaenle: Jeder nach seinen F채higkeiten Magdalena Neuner: Ich will mein Bestes geben


',( 5(,1( .5$)7 '(5 $/3(1


EDITORIAL

Foto: Harald Dettenborn

Neues Vertrauen in der Welt aufbauen, ist das Ziel der Münchner Sicherheitskonferenz, deren 47. Tagung Anfang Februar in München stattfindet. Geleitet wird sie von dem ehemaligen deutschen Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger (rechts), einer der wichtigsten Teilnehmer ist Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Mehr darüber auf den Seiten 36 bis 40.

Vorwort des Herausgebers Vertrauen!? Umfragen zeigen: Wir Deutsche haben wenig Vertrauen in die Zukunft. Fehlendes Vertrauen erzeugt großes Sicherheitsdenken. Erzeugt vielleicht auch Furcht, Zurückhaltung vor neuen kreativen Wegen, neuen Techniken? Die Branche der Wahrsager, Kartenleser, Sterndeuter boomt. Sogar der Bundesgerichshof musste jetzt einen Riegel vor die Auswucherungen dieses Geschäftes schieben. In München beginnt am Anfang Februar die „Münchner Sicherheitskonferenz“. Sie sucht neue Wege, neues Vertrauen in der Welt aufzubauen. Das Peutinger Collegium beschäftigt sich intensiv mit der Frage, die auf der „Münchner Sicherheitskonferenz“ keine große Rolle spielt, nämlich mit der „Sicherheit in Deutschland“. Die damit europaweit beschäftigten Spezialisten sehen erhebliche Sicherheitsprobleme und haben aber gleichzeitig den Eindruck, dass jetzt gerade diese Sicherheitsprobleme in Deutschland nicht erkannt werden. Ihre Meinung ist: Zuviel Vertrauen ist gefährlich. Wie so häufig im Leben stellt sich uns also die Frage nach dem richtigen Weg, der geeigneten Mischung zwischen zu viel und zu wenig. Die Welt lebt vom Vertrauen, wenn es auch überraschend wenig Literatur zu diesem Thema gibt. Wenn wir ins Auto steigen, vertrauen wir darauf, dass die allermeisten Verkehrsteilnehmer sich an die Regeln halten. Im Flieger vertrauen wir auf die Seriosität der Piloten, bei unseren Anlagen vertrauen wir Ratgebern, weil der Markt viel zu unübersichtlich geworden ist. Dieses Vertrauen wird immer wieder enttäuscht – trotzdem gibt es keine Alternative, allzu vieles können wir nicht kontrollieren. Das hat am besten die Weltwährungskrise gezeigt. Auch die jetzt entworfenen „Kontrollinstrumente“ können die Wirtschaft wohl nicht kontrollieren, weil nun einmal die Welt größer ist als wir glauben und viel zu unüberschaubar für uns Menschen.

Vertrauen!? Gerade in der deutschen Politik fehlt das Vertrauen der Bürger in die Politik. Das zeigt sich deutlich bei dem Gegenteil: Bei dem sehr großen Vertrauen, das die Wähler in den Verteidigungsminister setzen. Ihm wird vertraut. Warum? Soviel Einfluss auf die Weltpolitik oder auf die deutsche Politik hat er doch auch (noch) nicht. Offenkundig beruht dieses Vertrauen auf seiner Ausstrahlung. Er ist finanziell unabhängig und geht trotzdem in die Politik. Er ist geistig unabhängig und setzt sich trotzdem offen und genau mit den Argumenten anderer auseinander. Er hat vollendete Manieren – und schafft trotzdem im Bierzelt eine vertraute Atmosphäre. Er hält Distanz – und trotzdem fühlt sich niemand abgewiesen. Wenn er redet, werden seine Aussagen auf die Goldwaage gelegt – und trotzdem spricht er frei. Ich denke: Es ist seine offen erkennbare und dennoch kontrollierte Leidenschaft für die politische Gestaltung und seine Fairness, die Bürger überzeugen. Andere Politiker mögen eine ähnliche Leidenschaft empfinden, zeigen sie aber den Bürgern (= Wähler) nicht. Wir sind eben dazu erzogen, unsere Emotionen und unser Engagement möglichst zu beherrschen. Das ist aber falsch. Wie soll ich Leidenschaft erkennen, wenn sie nicht gezeigt wird? Wer Deutschland führen will, muss seine ganze Kraft darauf richten, das Vertrauen der deutschen Wähler zu gewinnen – und zu halten. Die Leidenschaft für Deutschland zu gestalten, muss sichtbar sein. Das ist für die Bürger ein wichtiger Aspekt für die Zukunft. Das bringt die Entscheidung für die Zukunft. Ihr

Prof. Dr. Walter Beck Präsident

Titelseite Der moderne Wachhund muss nicht nur Einbrecher vertreiben, er muss auch die Internet-Kriminellen jagen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

3


INHALT

32

Politik & Wirtschaft

Sicherheit

© Bundeswehr

10

Aktuelles Editorial

| 3

Kurz gemeldet

| 24

Titelthema Sicherheit

| 31

Impressum

| 83

Vorschau Das Heft 159 hat das Titelthema Made in Germany: Deutsche Marken sind Weltspitze – ein Gespräch mit dem Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann · Die Siegesrallye der deutschen Autobauer · Die unbekannten Weltmeister – der Welterfolg deutscher Mittelständler · Das duale Bildungssystem – ein deutscher Exportschlager · Made in Bavaria – wie sich der Freistaat zur Weltmarke entwickelt hat

4

Werner Weidenfeld Geopolitische Paradigmenwechsel

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Alles bleibt anders | 32 | 6

Bruno Bandulet Der Euro und seine Geburtsfehler | 10 Gespräch mit Horst Seehofer Wir geben weiter Gas

| 13

Hugo Müller-Vogg Auf dem Weg zu einer anderen Republik

| 16

Günther von Lojewski Wenn das Geheimnis seine Unschuld verliert

| 18

Otmar Issing Gefahr und Chance

| 20

Gerit Heinz Deutschland auf der Überholspur | 26 Peter Schmalz Hört die Signale

| 28

Oliver Rolofs Wintermärchen braucht Nachwuchs

| 30

Christian Ehler Kriminalität ist grenzenlos

| 35

Eberhard Piltz im Gespräch mit Wolfgang Ischinger Vertrauen schafft globale Sicherheit

| 36

Joachim Herrmann Ohne Sicherheit ist keine Freiheit | 41 Hans-Peter Uhl Wenn Mörder gedeckt werden

| 44

Gerd Neubeck Reisen noch sicherer machen

| 46

Arne Schönbohm Das neue militärische Schlachtfeld

| 47

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


INHALT

56

75

78

Sicherheit

Bayern & Kultur

Leben & Genießen

Michael Lardschneider Die Taktgeber Michael Hange Die Kriminellen im Netz

| 50

| 52

Caroline Mükusch Gut vernetzt bringt mehr Sicherheit

| 54

Klaus-Dieter Fritsche Terror in Deutschland

| 56

Stephan Lechner Wohin führt die Datenflut

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

| 59

Ludwig Spaenle Jeder nach seinen Fähigkeiten

| 62

Hannes Burger Reise fürs Geschichtsbuch

| 66

Dirk Götschmann Bayerns Weg zur Wirtschaftsmacht

| 68

Walter Beck im Gespräch mit Magdalena Neuner Ich will mein Bestes geben

| 72

Michael Weiser Immerwährender Mythos

| 75

Für Sie gelesen Buchbesprechungen

| 76

Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

| 83

Hans-Joachim Epp La Baracca in München

| 78

Brigitte Mohn Kurzschluss im Kopf

| 80

Ludwig Spaenle beim Peutinger Collegium

| 82

Vorschau Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2011

| 83

Weitere Themen im Heft 159: Mehr Schutz für die bedrohten Christen in der Welt – ein Appell vom Münchner Erzbischof Kardinal Dr. Reinhard Marx · Bürgerschutz durch gemeinsames EU-Recht – ein Appell von EU-Justizkommissarin Vivian Reding · Mehr Respekt bitte – mahnt Prof. Arnulf Baring · Die Republik nach der Stuttgarter Wahl – Analyse von Dr. Hugo Müller-Vogg

5


POLITIK & WIRTSCHAFTT

Werner Weidenfeld

Geopolitische Paradigmenwechsel Die aktuellen weltpolitischen Konflikte treffen auf Ratlosigkeiten. Sie sind nicht wirklich in der Tiefe auflösbar – von Korea über den Iran bis zu Afghanistan, von der europäischen Währung über das Schwarze Meer bis zur Donauregion. Das heutige Paradigma ist noch nicht auf den Begriff gebracht. Dies unterscheidet die Gegenwart von früheren Epochen: dem Zeitalter der Imperien, der Epoche

6

des Nationalstaates, der Ära des weltpolitischen Konflikts zwischen Ost und West. Der Ost-West-Konflikt konnte praktisch alles erklären. Er bot einen Antagonismus der politischen Systeme, der ökonomischen Ordnungen und der Menschenbilder – alles verbunden mit konkurrieren씮 den Machtansprüchen. Als dieser alles dominierende

Foto: United Nations, New York

Auf der Suche nach der neuen weltpolitischen Deutung


POLITIK & WIRTSCHAFT

Hilflose Schutzsuchende und verunsicherte Schützer: Der Dafur-Konflikt ist ein erschütterndes Beispiel dafür, wie mangelhaft nur schwer bewaffnete Soldaten unschuldiger vor terroristischen Überfällen schützen können.

7


POLITIK & WIRTSCHAFT

30 Jahre europäische Integration Gemeinsam mit seinem Kölner Kollegen Professor Wolfgang Wessels gibt der Münchner Politikwissenschaftler Professor Werner Weidenfeld seit nunmehr 30 Jahren das Jahrbuch der Europäischen Integration des Instituts für Europäische Politik (Berlin) heraus. Es dokumentiert und bilanziert seit 1980 zeitnah und detailliert den europäischen Integrationsprozess. Entstanden ist in drei Jahrzehnten eine einzigartige Dokumentation der europäischen Zeitgeschichte. Das „Jahrbuch der Europäischen Integration 2010“ führt der Jubiläumsband diese Tradition fort. In fast 90 Beiträgen zeichnen die Autorinnen und Autoren in ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten die europapolitischen Ereignisse des Berichtszeitraums 2009/2010 nach und informieren über die Arbeit der europäischen Institutionen, die Entwicklung der einzelnen Politikbereiche der EU, Europas Rolle in der Welt und die Europapolitik in den Mitgliedstaaten und Kandidatenländern. Themenschwerpunkte des Jahrbuchs 2010 bilden der Vertrag von Lissabon und die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. „Als wir damit begonnen haben, wurden wir noch belächelt“, resümiert Herausgeber Weidenfeld. „Heute ist es die umfangreichste Dokumentation der Integration unseres Kontinents.“

Jahrbuch der Europäischen Integration 2010 Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld und Prof. Dr. Wolfgang Wessels Nomos Verlag, 576 Seiten, 49 Euro

Konflikt unterging, brach eine gewisse Ratlosigkeit aus. Erste neue Erklärungsversuche blieben höchst unscharf: Post-Kommunismus, Post-Moderne, Post-Nationalismus. Es erschienen erste Bestseller zu dieser konzeptionellen Suchbewegung: Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte; Sam Huntington, Kampf der Kulturen. Aber ein politisch und kulturell akzeptiertes Erklärungsangebot existiert bis heute nicht. Wir werden vielmehr begleitet von Deutungsdefiziten, Erklärungsmängeln, Interpretationsnöten. Verschärft wurde diese Entwicklung durch den Verlust des sicherheitspolitischen Schlüssels: Das Prinzip der Abschreckung kann nicht mehr die Sicherheit garantieren. Das Abschreckungskalkül hob ab auf das Risiko-Kalkül des potentiellen Angreifers. Kein Angreifer wollte die Selbstvernichtung riskieren. Deshalb kalkulierten die Eliten in Ost und West so sorgfältig – was ein

8

friedenserhaltendes Ergebnis zeitigte. Heute aber ist die Sicherheit bedroht u. a. durch professionelle Terroristen, denen paradiesische Zusagen im Falle ihres eigenen Todesopfers gegeben sind. Risikokalkül ist keine Grundlage von deren sicherheitspolitischem Denken und Handeln. Sicherheit hat weitgehend ihre rationale Grundlage verloren. Die Gesellschaften sind auf neue Art zu Schutz-Suchenden geworden. Der erste Befund lautet also: Wir befinden uns in einer Orientierungskrise. Diese Orientierungskrise verbindet sich mit einer Vertrauenskrise. Moderne bedeutet ja wachsende Komplexität, technologisch bedingte weltweite Kommunikation, schneller Wandel, wachsende Arbeitsteilung. Das bedeutet: Die moderne Gesellschaft lebt von permanentem Vertrauensvorschuss in jeder Lebenssituation. Daraus erwächst die Schlüsselrolle der Kategorie „Vertrauen“. Die empirische Datenlage aber beweist uns den dramatischen Vertrauensentzug. Die westliche Welt ist inzwischen zur Misstrauensgesellschaft geworden. Dies aber bedeutet Vitalitätsentzug, gesellschaftlicher Sauerstoffverlust. Wenn wir diese Verbindung von Orientierungskrise und Vertrauenskrise auf die weltpolitische Bühne projizieren, dann müssen wir uns sensibel eine elementare Erkenntnisgrundlage vor Augen halten: Alles ist Perzeption – nicht ein Ding an sich. So konstatier-

Die westliche Welt ist zur Misstrauensgesellschaft geworden. te es bereits Immanuel Kant. Wie also ist die Wahrnehmung der weltpolitischen Architektur? Das empirische Datenmaterial vermittelt eine weltweit eindeutige Botschaft: Gegenwärtig dominieren zwei große Weltmächte: USA und China. In 20 Jahren aber werden es sechs Weltmächte sein, die unser Leben prägen: USA und China, Indien und Japan, Russland und Europa. Nach dem Zeitalter der Bipolarität folgt eine komplexe Multipolarität. Wer aber wird diese Multipolarität prägen? Die konventionellen Kategorien der Macht lauten: wirtschaftliche Potenz, politische Stabilität, wissenschaftliches Potential, militärische Kraft. Aber wirklich entscheidend wird sein, wer über die Deutungsmacht verfügt, wer das Erklärungsmodell in der Hand hat, dem die anderen folgen. Jede Weltmacht muss also strategische Kulturen und strategische Eliten aufbauen. Das weltweite Kernproblem bleibt dazu die Diskrepanz zwischen internationalisierter Problemstruktur und nationaler Legitimationsstruktur. Die weltpolitischen Akteure müssen immer vorsichtig auf ihre nationale Legitimationsbasis blicken. Damit verlieren sie häufig die langfristige strategische Problemlösung aus den Augen. Was bedeutet das alles für die künftige weltpolitische Rolle Europas? Europa könnte ein neues Kapitel seiner Erfolgsgeschichte schreiben. Die Bewohner der Europäischen Union haben erkannt, dass für die Agenda der Zukunft der einzelne Staat zu klein und der Hinweis auf die Globalität zu diffus ist. Der Kontinent aber auf dem rund 500 Millionen Menschen ihr Zusammenleben politisch organisieren, ist die angemessene Größenordnung. In der Wahrnehmung seiner Bürger hat Europa auf dem Unterfutter globaler Finanzkrisen enorm an Bedeutung gewonnen. Trotzdem schlägt es

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Foto: EU U

Europa muss als eine werdende Weltmacht eine große weltpolitische Mitverantwortung übernehmen. Eine große Aufgabe, der sich Europas neue „Außenministerin“ Lady Ashton gewachsen zeigen muss.

gerade eine neue Seite seines umfangreichen Buches der verpassten Chancen auf. Die Menschen begeben sich in eine Art innerer Migration, weil die Politik ihnen keine Orientierung bietet. Warum eigentlich nicht? Vor einigen Jahren hatte bereits Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen großen strategischen Aufbruch gefordert. Bei seinen europäischen Kollegen löste er nur Vorbehalte aus. Dabei ist die Liste existentieller Zukunftsfragen nicht zu übersehen: Das Thema Sicherheit stellt sich mit völlig anderer Dringlichkeit. Das alte Prinzip der Abschreckung ist ausgehebelt. Die Bedrohung ist viel differenzierter, schwieriger zu kalkulieren und multidimensionaler – global vernetzt, mobiler, ihre Technologie wandelt sich schneller. Die Politik muss

Wer die Deutungshoheit gewinnt, gewinnt auch die Zukunft. strategische Antworten auf diese Probleme erarbeiten, will sie die Chance auf ein Überleben stärken. Bisher taucht die Politik ab. Die dramatischen Veränderungen der Demographie ignoriert sie in geradezu peinlicher Form – sie fürchtet punktuelle Unpopularität. Dabei leben in ganz Europa zunehmend ältere und immer weniger junge Menschen; das Arbeits- und Sozialleben aber folgt immer noch der Logik des 19. Jahrhunderts. Damals waren die Menschen wegen ihrer harten Arbeit und ihrer schlechten Ernährung sehr früh körperlich verbraucht. Entsprechend wurde der Ruhestand organisiert. Heute bleiben die Menschen zwar bis ins hohe Alter arbeitsfähig, werden aber künstlich aus dem Arbeitsmarkt entfernt. Die Politik kennt die Schärfe der Daten, wagt sich aber nicht an die Lösung des Problems. Beim Thema Energieversorgung sieht der Befund ähnlich aus. Europa ist der größte Energieimporteur der Welt, seine Lieferanten sind aber im Wesentlichen Länder in Krisenregionen oder machtbewusste Staaten ohne Stabilitätsgarantie. In Europa brennen künftig nur die Lichter, wenn es sich auf ein global angelegtes gemeinsames Konzept der Energiesicherung verständigt. Bislang ist davon wenig zu spüren.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Europa trägt als eine werdende Weltmacht natürlich eine große weltpolitische Mitverantwortung. Doch gleichgültig, ob es sich um die globalen Finanzmärkte oder den Klimawandel handelt, um Migration oder ethnologische Konflikte – keine Weltmacht kann solche Herausforderungen allein bewältigen. Wir brauchen dazu strategische Partnerschaften. In Indien, China und Brasilien sucht Europa bis heute aber vergeblich nach solchen Partnern. Nicht einmal bei den USA oder Russland lassen sich strategische Profile ausmachen. Die EU verzeichnet also einerseits einen Bedeutungsgewinn – andererseits aber leidet sie unter der gleichen Erosion der politischen Kultur wie auch ihre Mitgliedstaaten. Hier wie dort bedarf es dringend einer Strategie, eines Zukunftsbildes und einer Botschaft – aber hier wie dort wird nur punktuell, situativ und sprunghaft agiert. Das politische Grundmuster muss sich ändern. Wir brauchen starke politische Führungsfiguren und strategische Köpfe. Notwendige Schritte müssen erklärt und vertrauensbildend umgesetzt werden. Jürgen Habermas legt den Finger in die offene Wunde unserer Zeit. Er kritisiert „eine normativ abgerüstete Generation, die sich von einer immer komplexer werdenden Gesellschaft einen kurzatmigen Umgang mit den von Tag zu Tag auftauchenden Problemen aufdrängen lässt. Sie verzichtet im Bewusstsein der schrumpfenden Handlungsspielräume auf Ziele und politische Gestaltungsabsichten, ganz zu schweigen von einem Projekt wie der Einigung Europas.“ Es liegt auf der Hand: Europas Politik muss das Erklärungsdefizit eliminieren. Sie muss viel mehr Zeit und Kraft darauf richten, ihr Handeln zu erläutern. Wer die Deutungshoheit gewinnt, gewinnt auch die Zukunft. ■ Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Weidenfeld, 1947 in Cochem an der Mosel geboren, ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der vielfach ausgezeichnete Politikwissenschaftler war Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, lehrte an der Sorbonne in Paris und ist ständiger Gastprofessor an der Renmin Universität in Peking.

9


POLITIK & WIRTS SC HAFT Bruno Bandulet

Der Euro und seine Geburtsfehler Der politische Wille war stark, das wirtschaftliche Fundament aber schwach

2010 wird als das Jahr in die Geschichte der Europäischen Union eingehen, in dem erstmals zwei Länder am Rande der Insolvenz standen, in dem die Einheitswährung mit Kreditzusagen in Höhe von 750 Milliarden Euro „gerettet“ werden musste – und wohl auch als das Jahr, in dem die erste existentielle Krise der Euro-Zone, wenn nicht der EU, ihren Anfang nahm. 2010 ist das Währungsexperiment Euro, so wie es konzipiert war, gescheitert. Wie und ob die Währungsunion überleben wird, ist ungewiss. Franz-Josef Strauß, der noch Ende 1987 in einem Brief an Bundeskanzler Kohl vor einem „Marsch in eine Weichwährungsunion“ gewarnt hatte, hat Recht bekommen. Dass es so kommen musste, wird klar, wenn wir die Entstehungsgeschichte des Euro und die in den 90er Jahren eingebauten Konstruktionsfehler noch einmal Revue passieren lassen. Zwar hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU bereits im Dezember 1991 im niederländischen Maastricht auf die Einheitswährung festgelegt und den 1. Januar 1999 als spätestes Datum für die Einführung fi xiert, aber der Kampf um den Eu-

10

ro nahm dann doch noch Jahre in Anspruch. Entschieden war er 1998, als die Liste der Teilnehmer – zunächst noch ohne Griechenland – feststand. Der in den entscheidenden Jahren zuständige Finanzminister Theo Waigel war sich durchaus dessen bewusst, dass der Erfolg des Euro unabdingbar die Einhaltung der sogenannten Konvergenzkriterien voraussetzte. Aber hätte das wirklich ausgereicht? Wahrscheinlich nicht. Der Trick mit den Konvergenzkriterien bestand ja darin, dass nur monetäre und damit leichter manipulierbare Kriterien gewählt wurden und dass bei der Beurteilung der erwünschten Konvergenz die reale Wirtschaft außer Acht gelassen wurde. Produktivität, Lebensstandard, Konkurrenzfähigkeit, Korruptionsanfälligkeit und Sparverhalten wurden ebenso wenig berücksichtigt wie die Finanzgeschichte und die Geldkultur, die ein Land prägen. Dass viele Teilnehmer ohne realwirtschaftliche Konvergenz in die Währungsunion gingen, geht schon daraus hervor, dass Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien weiterhin auf Geldtransfers in Milliardenhöhe aus Brüssel angewiesen blieben. So wurde zusammengefügt, was nicht zusammenpasste.


Die Euro-Zone war von Anfang an, um einen Fachbegriff zu gebrauchen, kein „optimaler Währungsraum“. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Zwischen Deutschland und den Niederlanden besteht ein hoher Grad an realwirtschaftlicher Konvergenz – gemessen an Löhnen und Preisen, der Arbeitsmoral, dem hohen Exportanteil und der positiven Außenbilanz. Eine gemeinsame deutsch-niederländische Währung wäre völlig unproblematisch, aber man bräuchte sie eigentlich nicht. Man hätte genauso gut den Gulden und die D-Mark gegeneinander fixieren können, ohne Abwertungen befürchten zu müssen. Eine ähnliche Konvergenz zwischen Deutschland und den südeuropäischen Ländern hat es nie gegeben. Verlangt wurde nach Maßgabe des Maastrichter Vertrages lediglich, daß die Euro-Kandidaten ihr jährliches Haushaltsdefizit auf drei Prozent des BIP begrenzten und dass die gesamten aufgelaufenen Staatsschulden 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung nicht überstiegen – um nur die zwei wichtigsten Maastrichter Kriterien zu nennen. Nicht einmal diese Bedingungen wurden erfüllt. Noch 1996 hätte nur ein einziges Land, nämlich der Sonderfall Luxemburg,

Waigel versuchte vergeblich die Notbremse zu ziehen. der Währungsunion beitreten dürfen. Dann wurden, das war der zweite Trick, die Zahlen eines einzigen Jahres, nämlich die von 1997, herangezogen, um 1998 zu entscheiden, wer den Euro einführen durfte bzw. musste. Die vernünftige Alternative hätte darin bestanden, das Finanzgebaren der Beitrittskandidaten über einen längeren Zeitraum zu beobachten und zu beurteilen. Die Resultate eines einzigen Stichjahres sagten sehr wenig aus, waren leicht manipulierbar – und wurden tatsächlich von fast allen Beteiligten, keineswegs nur von Griechenland, mit allen Mitteln der kreativen Buchführung frisiert und geschönt. Vorher, im November 1995, hatte Theo Waigel versucht, die Notbremse zu ziehen und den Maastrichter Vertrag zu verschärfen. Nun sollten die öffentlichen Defizite nicht auf drei Prozent sondern auf ein Prozent des BIP begrenzt werden, und bei Defiziten von über drei Prozent sollten „automatische“ Geldstrafen fällig werden. Die Idee war nicht schlecht, der Versuch aber naiv, weil die Südeuropäer und der zuständige Kommissar in Brüssel gar

Griechenland ist der größte Sündenfall in der Eurozone, aber auch andere haben mit allen Mitteln der kreativen Buchführung frisiert und geschönt.

nicht daran dachten, sich darauf einzulassen. Sie hatten ja den Maastrichter Vertrag und damit das Ende der D-Mark im Sack – warum sollten sie jetzt noch mit den Deutschen neu verhandeln? Im vergangenen Jahr scheiterte übrigens Angela Merkel mit einer ähnlichen Forderung nach automatischen Sanktionen. Jetzt, nachdem alle in der Euro-Falle sitzen und die Kosten des Experiments nicht mehr kalkulierbar sind, ist es müßig, darüber zu streiten, wem der Euro in den wenigen Jahren seiner Scheinstabilität mehr genutzt hat – den Deutschen oder den Südeuropäern. Jetzt rächt es sich, dass der Euro keine ökonomische, sondern eine politische Entscheidung war. Es war kein Zufall, dass so viele führende Wirtschaftsprofessoren die Einheitswährung ablehnten und zwar mit ähnlichen Argumenten, wie sie schon Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister gegen eine derartige Kunstwährung vorgebracht hatte. Die bittere Ironie des Euro liegt darin, dass er zuerst mit den wirtschaftlichen Realitäten kollidierte und dass dann auch noch die erhoffte politische Dividende ausblieb. Er droht Europa zu spalten, er nährt antideutsche Ressentiments, er schürt Sozialkonflikte und hebt sie – das ist besonders schlimm – auf die zwischenstaatliche Ebene. Die ökonomische Vernunft hätte geboten, den Euro zunächst nur als Parallelwährung einzuführen, die nationalen Währungen mit festen Wechselkursen aneinander zu binden und diese allenfalls nach einer langen Übergangsfrist abzuschaffen. So wäre das System flexibel geblieben. Dann hätten die Griechen oder die Portugiesen im Notfall immer noch abwerten können. Statt dessen haben die Politiker in Maastricht beschlossen, die Brücken hinter sich abzubrechen. Kann der Euro überleben? Möglicherweise ja, wenn die Iren und die Südeuropäer eine jahrelange Hungerkur durchhalten und wenn die Deutschen einen größeren Teil der Fremdschulden übernehmen. Ob sie bereit sind, den Ruin der eigenen Finanzen zu riskieren, muss sich erst noch herausstellen. Alternativlos ist der Euro keineswegs, nur sind die Alternativen, über die endlich sachlich gesprochen werden müsste, auch nicht ideal. Strategische Fehler haben oft eine lange Vorgeschichte und lassen sich schwer korrigieren. „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“, sagt Mephisto in Goethes Faust. ■

Dr. Bruno Bandulet ist Autor und Verleger in Bad Kissingen und gibt den Finanzdienst Gold&Money Intelligence heraus. Der 1942 geborene Bandulet war Referent für Deutschland- und Ostpolitik in der CSU-Landesleitung, Chef vom Dienst der Tageszeitung Die Welt und Mitglied der Chefredaktion der Illustrierten Quick. Bisher sind von ihm drei Bücher zum Thema Europäische Währungsunion erschienen, das jüngste 2010 unter dem Titel „Die letzten Jahre des Euro“.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

11


POLITIK & WIRTSCHAFT Peter Schmalz im Gespräch mit Ministerpräsident Horst Seehofer

Wir geben weiter Gas Bayern Regierungschef über Zukunftschancen, grünen Fundamentalismus und bürgerlichen Protest

In der Bayerischen Staatskanzlei steht der Schreibtisch des Ministerpräsidenten. „Das schönste Amt der Welt“, meinte schon Franz Josef Strauß. Aber es ist nicht nur das reine Vergnügen, hat Horst Seehofer erfahren: „Es ist mit sehr viel Arbeit verbunden.“

Horst Seehofer hat Gefallen gefunden am Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Entspannt und ohne eine einzige Aktenunterlage stellt er sich dem Gespräch. Seine Stimme bleibt selbst dann ruhig, wenn er Spitzen gegen weniger strebsame Bundesländer oder die notorischen „Dagegen“Grünen schießt. Ebenso gelassen erläutert er, weshalb er

12

die Vokabel Populist nicht als Schimpfwort empfindet. Und ein Abschied aus der Staatskanzlei steht ganz offensichtlich noch nicht in seiner gegenwärtigen Planung. Bayerischer Monatsspiegel: Bayern zeigt sich als Primus: Geringste Arbeitslosenquote, ausgeglichener Haushalt, Pisa-


Foto: Prawitt/CSU-Landtagsfraktion

Guten Grund zum Strahlen haben Ministerpräsident Horst Seehofer und CDU-Fraktionschef Georg Schmid bei der Kreuther Winterklausur der CSU-Landtagsabgeordneten: Umfragen zeigen die Partei im Aufwind, selbst die Mehrheit der Landtagssitze wieder erreichbar.

Bestnoten, beste Zukunftsregion. Es muss ein Vergnügen sein, dieses Land zu regieren. Horst Seehofer: Es ist das schönste Amt. Aber es ist mit sehr harter Arbeit verbunden. Finanzkrise, Wirtschaftskrise – da gab es Momente mit großen Belastungen. Aber so ist es im Leben: Wenn man solche Belastungen bewältigt, wird man durch positive Erlebnisse belohnt. BMS: Droht Bayern durch die Landesbank noch ein großer Schaden? Seehofer: Das sehe ich nicht. Die Landesbank ist wieder gut unterwegs und schreibt schwarze Zahlen. Die Vergangenheit wurde so transparent aufgearbeitet, wie ich das zugesagt habe. BMS: Ärgern Sie die verlorenen Milliarden beim Hypo-AlpeAdria-Geschäft? Seehofer: Das war ein Verlustgeschäft, aber auch das haben wir verkraftet. Und das zeigt ja die Potenz, die in der Landesbank

„Bayerns Bürger begreifen Wirtschaft und Soziales als Geschwisterpaar.“ steckt. Sie ist nach massiver Unterstützung durch den Freistaat Bayern wieder auf dem Pfad des Erfolges. BMS: Die 3,7 Milliarden Verlust entsprechen ziemlich genau der Summe, die Bayern jährlich in den Länderfinanzausgleich abgibt. Zahlen Sie mit Freude? Seehofer: Wir sind solidarisch, was die Unterstützung bedürftiger Bundesländer betrifft, aber wir wollen, dass sich diese Länder anstrengen, unabhängig von solchen Finanztransfers zu werden, so wie es Bayern getan hat. Da gibt es aber einige Länder, bei denen man große Zweifel haben muss, ob sie diese Anstrengung auch unternehmen. Ich nenne als Beispiel das Land Berlin. Deshalb wollen wir nachhelfen und wollen dies auch gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

BMS: Vor wenigen Wochen belegte eine Prognos-Studie, dass Deutschlands Zukunftsregionen in diesen beiden Ländern liegen. Hängt der Süden den Norden immer mehr ab? Seehofer: Es gibt ein riesiges Gefälle in der Bundesrepublik Deutschland. Aber das kann ja nicht dazu führen, dass wir freiwillig schlechter werden. Wir werden weiterhin Gas geben, denn wir sind als Bayern nicht mehr in einem Wettbewerb innerhalb Deutschlands, sondern in einem sehr sehr intensiven Wettbewerb mit der ganzen Welt. Und dabei wollen wir noch ein Stück weiter nach oben klettern. Das hilft auch den anderen, denn es ist wie in jeder Schulklasse: Die Besseren ziehen die Schwächeren mit. BMS: Aber den Primus mag man nicht so gern. Seehofer: Am Anfang meiner Amtszeit, ich sag’s ganz ehrlich, hatte ich ein wenig Bedenken, ob das ständige Bemühen um den Klassenbesten bei der Bevölkerung so gewollt ist, oder ob nicht ein wenig Bescheidenheit im Vordergrund stehen sollte. Aber nach zwei Jahren kann ich feststellen: Die Bayern legen höchsten Wert darauf, dass ihr Land in allen Bereichen vorne liegt. Das erfüllt sie mit Stolz. Und das zu recht, denn dieser Erfolg ist nur mit der Leistung der gesamten bayerischen Bevölkerung möglich. BMS: Ist den Bürgern bewusst, dass wünschenswerte soziale Leistungen nur möglich sind mit einer florierenden Wirtschaft? Seehofer: Ja. In der Bevölkerung ist das Bewusstsein tief verankert, dass die Leistungskraft der Wirtschaft Voraussetzung ist für das soziale Engagement. Sie begreift Wirtschaft und Soziales als Geschwisterpaar. BMS: Herrscht darüber auch im Landtag Einigkeit? Seehofer: Nein. Das ist nur dort vorhanden, wo Volkspartei noch gelebt wird. Wie in meiner Partei, wo in der ganzen Breite die Interessen der Bevölkerung abgebildet werden. Alle anderen Parteien im Bayerischen Landtag erfüllen diesen Anspruch einer Volkspartei nicht, sie sind auf eine bestimmte Klientel oder begrenzte Politikbereiche fi xiert. Von den Freien Wählern bis zu den Grünen. BMS: Die Südschiene gilt als Synonym für wirtschaftlichen

13


POLITIK & WIRTSCHAFT Erfolg und politische Stabilität. Wird sie bald durch einen grünroten Nachbarn gestört? Seehofer: Ich halte regelmäßigen Kontakt mit meinem Stuttgarter Kollegen Stefan Mappus, den ich sehr schätze und der ein sehr starkes Nervenkostüm hat. Und er weiß: In einer Demokratie werden Wahlen immer in der Endphase entschieden. Deshalb ist es unsinnig, schon heute eine Prognose für eine Wahl abzugeben, die erst in März stattfinden wird. Ich traue Stefan Mappus zu, dass er ein sehr beachtliches Ergebnis einfahren wird. In Stuttgart und bei den anderen Wahlen dieses Jahres muss es unser primäres Ziel sein, dass in einer bunter gewordenen Parteienlandschaft nicht gegen die Union regiert werden kann. Wir müssen so stark sein, dass wir den Anspruch haben, Verhandlungen zu führen und den Ministerpräsidenten zu stellen. Dann muss man sehen, welche Regierungsbildung möglich ist. Unsere Stärke ist auch wichtig für Deutschland, denn dort, wo die Union Verantwortung getragen hat oder trägt, ist die Lebenssituation der Menschen fraglos besser. Und dass Deutschland am besten in ganz Europa aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausgekommen ist, hat ja auch etwas mit unserer Politik zu tun. Es ist nicht gleichgültig, wer in unserem Lande regiert.

den, dass solche Entwicklungen wie Stuttgart 21 eine völlig neue Erscheinung sind. Ich erinnere nur an Vorkommnisse in Bayern, die von breiten Bürgerbewegungen begleitet waren: Rhein-MainDonau-Kanal, Wackersdorf, Flughafen im Erdinger Moos. Heute ist der Rhein-Main-Donau-Kanal ein Tourismus-Magnet erster Güte, und der Flughafen München ist eine pure Job-Maschine. Nur deshalb hat Freising eine Arbeitslosenquote nahe zwei Prozent. Dass München und Umgebung in Europa die Region Nummer 1 ist, hat auch damit zu tun, dass Franz Josef Strauß

„Deutschland verwandelt sich von der KonsensGesellschaft hin zur Teilhabegesellschaft.“ dem heftigen Widerstand getrotzt und den Bau des Flughafens durchgesetzt hat. Also, man soll Ereignisse wie jetzt in Stuttgart nicht historisch überhöhen, auch wenn wir dazu neigen. Es gibt eben Lebenssituationen, in denen Emotionen große Konjunktur haben. Darauf gedeiht dann eine auf- und abschwellende Entrüstungskultur. BMS: Emotionen können ein Land verändern. Seehofer: Deutschland war jahrzehntelang konsensorientiert. Die Sozialpartnerschaft ist dafür das beste Beispiel. Der Übergang in eine Informations- und Wissensgesellschaft hat dazu geführt, dass die Bürger umfassend aufgeklärt sind und sich mündiger in den politischen Dialog einschalten. So verwandelt sich die Konsensgesellschaft hin zu einer Teilhabegesellschaft. Die Bürger wollen teilhaben am politischen Prozess, mitwirken, mitentscheiden, meist punktuell und temporär, dann ziehen sie sich wieder zurück. Dieses Verhalten ist ein Bestandteil der modernen Demokratie geworden und muss von der Politik ernster genommen werden als bisher.

BMS: Verändert Stuttgart 21 die Republik? Seehofer: In Michael Freunds „Deutsche Geschichte“ in der Auflage von 1975 habe ich im Vorwort den bemerkenswerten Satz gelesen: „Es ist vieles anders geworden, Besserwisserei gilt schon als staatsbürgerliche Pflicht.“ Ich bestreite entschie-

Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag

BMS: Damit wird das politische Geschäft nicht einfacher. Seehofer: Das ist richtig. Politik ist komplexer geworden durch die Vielfalt und die Buntheit, die wir in der politischen Landschaft haben. Wir müssen daher mehr Zeit und Kraft aufwenden, um diese Vielfalt in politische Entscheidungsprozesse zu führen.

„Die Grünen sind nach wie vor Fundamentalisten“: Kämpferisch setzt sich Ministerpräsident Seehofer mit der aufstrebenden Öko-Partei auseinander.

14

BMS: Davon profitieren vor allem die Grünen. Wächst da ein neuer Konkurrent für die Union heran? Seehofer: Das glaube ich nicht. Wie ich vor gut einem Jahr gesagt habe, dass die FDP aufgrund der Großen Koalition Windfallprofits hat, so verspüren die Grünen im Augenblick einen Aufwind aufgrund mancher Fehler, die in der bürgerlichen Regierung passiert sind. Das hat die Zustimmungswerte für die Koalitionsparteien reduziert, und die Grünen sind derzeit die Profiteure. Doch nicht wegen eigener Stärke oder Programmatik, sondern weil wir die Vorstellungen der Wähler noch nicht überzeugend erfüllt haben. Aber wir haben die Fehler abgestellt, arbeiten jetzt wirklich gut zusammen und machen auch wieder Stück für Stück Boden gut. BMS: Nicht wenige sehen die Grünen als die neue Volkspartei. Seehofer: Die Grünen sind nach wie vor Fundamentalisten, die nur einen kleinen Teil des politischen Spektrums abbilden. Würden sie sich öffnen zu einer neuen Volkspartei, wären sie in einem Dilemma: Sie müssten viele ihrer Anhänger, die an die Politik nur rein ökologische Fragen stellen, enttäuschen. Müss-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Foto: Bundespressearchiv, Steffen Kugler

In der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin unterzeichneten am 26. Oktober 2009 die Parteivorsitzenden (v.li.) Guido Westerwelle, Angela Merkel und Horst Seehofer den Koalitionsvertrag über eine schwarz-gelbe Bundesregierung. Er trägt den Titel „Wachstum, Bildung, Zusammenarbeit“. Dem fröhlichen Start folgten schwere Zeiten. Man habe die Vorstellungen der Wähler nicht überzeugend erfüllt, räumt CSU-Chef Seehofer ein. Aber man habe die Fehler abgestellt und mache wieder Stück für Stück Boden gut.

ten sie aber zwischen ökologischen und ökonomischen Fragen den Ausgleich finden, wäre es sehr schnell vorbei mir ihrer augenblicklichen Herrlichkeit. BMS: Entzaubern durch Mitregieren? Seehofer: Wir haben das grüne Elend ja in Hamburg erlebt. Als das Regieren unangenehm wurde, haben sich die Grünen rasch verabschiedet. Mich überrascht immer wieder, dass die Menschen oppositionellen Parteien oft eine kaum erklärliche Zuneigung entgegenbringen und dabei völlig die Frage ignorieren, wie sich diese Parteien in der Regierungsverantwortung verhalten würden. Dann müssten sie sich den zunehmend weltweiten Problemen stellen. Dann könnten sie nicht flüchten, sie müssen Position beziehen. Dafür oder dagegen. Aber immer nur dagegen, ist das Vorrecht der Opposition. Und das nehmen die Grünen umfassend in Anspruch. BMS: Dann müsste es für Sie reizvoll sein, die Grünen als Koalitionspartner aufzunehmen und zu entzaubern. Seehofer: Nein, weshalb? Wir haben seit Jahrzehnten erstmals eine Koalition in Bayern, und ich möchte, dass sie ihre Arbeit erfolgreich für Bayern fortsetzt. Die Legislatur der bürgerlichen Koalition geht bis 2013. Dann werden wir sehen, wem die Bürger die größte Regierungskompetenz zumessen. BMS: Vor Jahren haben Sie gesagt, die CSU habe ein Potential von 60 Prozent. Sind bei der nächsten Wahl noch 50 Prozent erreichbar? Seehofer: Ich stehe zu der Meinung, dass es für bürgerliche Parteien in Bayern ein Potential von mehr als 60 Prozent gibt. Das darf nicht verwechselt werden mit Wahlergebnissen, aber für die CSU muss es heißen, einen möglichst großen Teil aus diesem Potential für sich zu gewinnen. Dafür arbeiten wir. BMS: Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, ein Populist zu sein? Seehofer: Das empfinde ich nicht als Schimpfwort. In Grundsatzfragen habe ich tiefe Überzeugungen. Aber bei den Fragen des Alltags bin ich nahe bei den Menschen. Der Herrgott hat uns eine begrenzte Zeit auf Erden gegeben, und da muss der erste Auftrag für Politik und Verwaltung sein, das Leben zu erleichtern und nicht zu erschweren. Daraus ziehe ich meine Lebensmaxime: Verliebt ins Gelingen. Das wird oft als Belie-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

bigkeit angesehen, deshalb muss ich ergänzen: Vernünftiges menschliches Miteinander ist nur möglich nach klaren Regeln und klarer Wertorientierung. Dazu gehören auch Werte im menschlichen Zusammenleben wie Verlässlichkeit oder Pünktlichkeit. Das sind nach meiner Lebenserfahrung keine Beschwernisse im Leben, sondern Hilfen. Die Abwendung der Deutschen im Nationalsozialismus von einer Werteorientierung hat zur größten Katastrophe geführt, die Deutschland je erlebt hat. Die Rückbesinnung der Nachkriegsgeneration auf Werte

„Bürgerliche Parteien haben in Bayern ein Potential von weit mehr als 60 Prozent.“ hat den Deutschen ihre stabilste Demokratie beschert. Aber da muss man auch klar unterscheiden. So hat zum Beispiel das Rauchverbot in der Öffentlichkeit nichts mit Werten zu tun. Das sind Entscheidungen, die man so oder auch anders sehen kann. Auch wenn sich die Emotionen daran für einige Zeit hochschaukeln. Da ist es dann gut, wenn das Volk entscheidet, denn erstens hat es meist Recht und zweitens befriedet ein solcher Entscheid. BMS: Sie haben ganz offensichtlich Freude am Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten gefunden. Haben Sie auch eine Vision von Bayern 2020? Seehofer: Meine Vision ist, dass die Studie des Bayerischen Rundfunks, wonach die Menschen wegen der Wirtschaft, der Kultur und der Natur gerne in Bayern leben, noch übertroffen wird. Es ist ein Kern unseres politischen Auftrags, die Lebensgrundlagen und Lebensperspektiven der Menschen ständig zu verbessern. Mein Ziel ist es, die Lage des Großraums München, der unbestritten die Region Nummer 1 in Europa ist, zu übertragen auf weitere Landesteile in Bayern, damit auch dort die Lebensbedingungen noch besser werden, als sie ohnehin schon sind. BMS: Werden Sie 2020 die Regierungserklärung für Bayern 2030 abgeben? Seehofer: Ich bitte Sie! In neun Jahren! Ich bestätige nichts und dementiere nichts. ■

15


POLITIK & WIRTSCHAFT Hugo Müller-Vogg

Auf dem Weg zu einer anderen Republik Die sieben Landtagswahlen dieses Jahres können Deutschlands künftige Politik erheblich verändern

Karikatur: Horst Haitzinger

Sieben Landtagswahlen – der Begriff „Superwahljahr“ trifft auf 2011 zweifellos zu. Die Regierungsparteien CDU und FDP müssen dabei mit herben Verlusten rechnen, die Grünen dagegen überall mit Zuwächsen. Von den Prozentzahlen her kann die SPD keineswegs auf einen Aufschwung hoffen. Aber machtpolitisch könnte sie in Bündnissen mit den Grünen und der Linkspartei ein großes Stück vorankommen.

16


POLITIK & WIRTSCHAFT Nicht auszuschließen ist, dass die Opposition am Ende des Wahljahres im Bundesrat über die Mehrheit verfügt. Auf die Bundesregierung wird das direkt keine Auswirkungen haben: SchwarzGelb bleibt gar keine andere Wahl, als ihre Parlamentsmehrheit bis 2013 zum Regieren zu nutzen. Kanzlerin Angela Merkel könnte sich in diesem „worst case“ damit trösten, dass Helmut Schmidt niemals eine Bundesratsmehrheit hinter sich wusste und dass Gerhard Schröder sich nur ganze 100 Tage in der Länderkammer auf eine rot-grüne Mehrheit stützen konnte.

der zu erwartenden Verluste jeweils die 5-Prozent-Hürde schaffen. Sollte das nicht gelingen, droht der Führung auf dem Parteitag im Mai ein Scherbengericht. SPD und Grüne können eigentlich beschwingt in die Wahlschlacht ziehen. Hamburg, Bremen und Rheinland-Pfalz dürften mit großer Wahrscheinlichkeit künftig rot-grün regiert werden, in Stuttgart ist sogar Grün-Rot möglich. In Berlin spricht vieles

Wenn kein politisches Wunder geschieht, wird die CDU auch nach den Wahlen in Rheinland-Pfalz (27.3.), Bremen (22.5.) und Berlin (18.9.) in der Opposition bleiben. Das wäre aus Sicht des Konrad-Adenauer-Hauses kein allzu großes Unglück. Schließlich gehört es zum politischen Rhythmus, dass die Kanzler-Partei in den Ländern nichts dazu gewinnt.

Eine bittere Niederlage droht der CDU dagegen in Hamburg (20.2.). Da scheint es eher eine Frage zu sein, wie groß die rotgrüne Mehrheit ausfällt, als ob es eine solche neue Mehrheit gibt. In gewisser Weise kehrt die Hansestadt damit wieder zum „Normalzustand“ zurück – mit der SPD als stärkster Regierungspartei. Das wäre aber nur zum Teil das Verdienst der SPD, die sich an der Elbe wieder gefangen zu haben scheint. Zum Niedergang der CDU hat vor allem das gescheiterte schwarz-grüne Experiment beigetragen. Besonders die bürgerlichen Wähler haben „ihrer“ CDU nicht verziehen, dass sie das Gymnasium als Morgengabe an die Grünen verschleudern wollte.

Wird die SPD zum Steigbügelhalter für grüne oder linke Regierungschefs? Die mit Abstand wichtigste Schlacht wird in Baden-Württemberg (27.3.) geschlagen. Rettet sich dort die CDU/FDP-Koalition – auch dank einer erfolgreichen „Stuttgart 21“-Schlichtung – mit knapper Mehrheit ins Ziel, bleibt der Union eine Demütigung in ihrem Stammland erspart. Anderenfalls könnte ihr eine Richtungsdebatte in Haus stehen, wie sie die CDU seit den fünfziger Jahren nicht mehr erlebt hat. Was bei den gängigen Prognosen für den Südweststaat gerne übersehen wird: Die CDU verpasste 2006 mit 44 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Sitze nur ganz knapp. Dank der Besonderheiten des dortigen Wahlrechts könnten schon 45 Prozent für Schwarz-Gelb reichen. Die FDP wird bei den sieben Wahlen schmerzlich erfahren, dass Opposition eben doch nicht immer „Mist“ ist, jedenfalls nicht aus der Sicht der landespolitischen Wahlkämpfer. Was die Liberalen zu Zeiten von Rot-Grün und Schwarz-Rot in den Ländern gewonnen haben, werden sie 2011 zu einem erheblichen Teil wieder verlieren. Für die Liberalen zählen mehr oder weniger nur zwei Ergebnisse: Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Dort müssen sie trotz

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Foto: Mussklprozz

In Sachsen-Anhalt (20.3.) und Mecklenburg-Vorpommern (4.9.) hängt das Schicksal der CDU eher am Verhalten der SPD als an dem der Wähler. Denn ob die beiden großen Koalitionen dort fortgesetzt werden, entscheidet die SPD. Falls sie Rot-Rot vorzieht, hat die CDU keine Chance.

Die Wut-Bürger von Stuttgart bedrohen die schwarz-gelbe Koalition in Baden-Württemberg. Sollte im März Grün-Rot im Ländle gewinnen, würde ein politisches Beben durch Deutschland gehen.

dafür, dass sich die SPD entscheiden muss, ob sie mit der Linkspartei weitermachen oder ein neues rot-grünes Kapitel aufschlagen möchte. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern könnte Rot-Rot durchaus Schwarz-Rot beziehungsweise RotSchwarz ersetzen. Während es für die CDU darum geht, mit einem blauen Auge davon zu kommen, steht die SPD vor einem anderen Problem. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die stolze Volkspartei in Baden-Württemberg und Berlin hinter die Grünen zurückfällt, in Sachsen-Anhalt hinter die Linke. Dann muss sich die SPD entscheiden, ob sie als Juniorpartner einer kleineren Partei zum ersten Mal zu einem Ministerpräsidenten verhilft: den Grünen, der Linkspartei oder beiden. Sollte es so weit kommen, könnte das unsere Fünf-Parteien-Landschaft weiter dramatisch verändern: Zu einem System mit einer verbliebenen Volkspartei, der CDU/CSU, und den drei mittelgroßen Parteien SPD, Grüne und Linke, die – wann immer es geht – in unterschiedlichen Konstellationen mit einander regieren. Das wäre dann in der Tat eine andere, eine neue Republik. ■

Dr. Hugo Müller-Vogg ist Publizist in Berlin und u.a. BILD-Kolumnist. In seinem letzten Buch „Volksrepublik Deutschland – Drehbuch für eine rot-rot-grüne Wende“ beschreibt er – noch fiktiv –, wie SPD, Grüne und Linkspartei eine Koalition für den Bund schmieden.

17


POLITIK & WIRTSCHAFT

Günthe er von Loje jewski

Wikileaks treibt die e Po olitik in die Defensive – Stolz auf „anarchistische Tat“

Wik W ikileaks-Gründer Juliliian an Assaange beabsichtigt nicht, Regi giier eru un ungshandeln zu korrigieren. Er will die Macht schwächen, indem er die die Kommunikationsflüsse als die Schwachstellen ausmacht unnd st stöört.

Ha at sich h ttec echn hniischer Fortschrittt je au ufh f ha allte en la lasssen? No och nie e in n de derr Menschheitsge esch chic icht htte, e, wed eder err B Buc u h-uc d ucck nocch Schießpulver, nichtt E -Lok dr o ,A Atto om mbo mbo bomb mbe e un nd diie Pill l e. Hat sich je ein Ged dan ank ke, ei ke, ke e nm n al al aus usge gesp s roch hen en,, wied wi ede er zu urü ück kholen las kh assse sen? n? Abe b rrm ma alls: Nei ein, a alllen e totalitä äre ren n Ve Verrsuch hen zu um Trot otz. z. „„D Die i Ged dan a ke k n si sin nd fre ei“ i , un nd so ow wer erde den n sicch auc uch Geda dank nken en nu un nd n dD Da atten a n die eF Fre reih ihei eiit, d die ie sie e im Inter erne et erreic icht h haben, ni n ch ht wi wied eder ed err ne eh hme m n la lass sen. n. Sie we erd den ru den de rund um den Glob ob bus wand der ern n, wie n, i sste t ts te miit Ch Cha ance cen n und Ri Risi sike ken, n, abe b r un unau ufh hal a ts tsam am m. Zu Z um Ex xempe pel: l: Wik ikil kil i ea eaks kss. Da D sss D Dok ok kum men ente te,, selb bstt aaus uss dem em Stat St atee De Depart parttm meent nt,, im i Int Inter erne er nett ei ne e ne nes Ta Tage gess ih ge hre r Geh e eeiimmhal h altu tu ung ng und Jun ngf g räul rääul u ic ichk hkei hk eit ve ei verl rlie ieren nw wü ürrd den, warr

18

vvoraaus usse sehb se hbar hb ar. Üb ar berra erraasc sche h nd nur, wi he w ie üb überra über rasc s htt sic i h al alle le ggaabe ben, n, die diiee Ent nttscheid heid dun ungs gstr t ägger iin n Poli liittiik und Wirt rtsc schaft ft,, Date Da te sch tens chüt ützze üt zer, r, Zut u rä räge ggeer, Jou urnalis aliisste te Nun hecheln ten. n sie w ieedeer hint hi nter nt er d der er tec echn hnis issch chen Ent chen ntw w ick wick wi cklu lu ung ng heer er, wi wieder hat a kei e neer di diee Kons Ko nseq eq ue uenz nzen en sei eine ness Tu ne T nss bed edaac acht noc nocch vo v rgesorgtt. Als hätt ten te n si sich ch im im Netz Netz Abeerm Ne rmil i liioon il nen n Inf nfoorr m maati t on o en e auf ewi w g un nd vor jeede vor derm rm man nn sc s hü ütz tzen en laassseen, n, als sei ess voor Kr K im i in inal alität ätt geefe feit it. Al Alss köön nn nte ten n (n (neu e e) eu e) Geset etze ze und und d Gerr iccht hte d deen Sc S ha had den de naach chtr träg ägli lich ch hei e le l n. n. Nein ein n,, w ir ir hab aben e uns en ns dar arau auff ei au einz nzu nz ur iiccht hten t n, mitt In mi Inte ternet et und ((m mobi mobi b le ler) r) Tel elef efon niee, mi mit Go G oglee, Wi Wike kep ke pedia pe ped dia un nd Wi Wiki kille ki leakss un leak u d viel ellen ande nderen eren Plaatt ttfo form r men e zu leebe ben. n. Wiki Wi kile kil leak ks wi w rrd d uns nseer er all lleer er A ll l ta tagg gr grü ün icch ve ündlic verä ränd rä n er nd ern. n Wei eitt mehr me hr noc och ch al a s di d e im im F Ferns nsseh ehen en nü übe bert rtra rt r geene A nh hörung

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


POLITIK & WIRTSCHAFT zu „Stuttgart 21“ stellt es nicht nur Transparenz her und bietet Partizipation an. Ob immer die Daten krimineller Energie oder dem „Ethos“ einer „Freiheit der Daten“ entspringen, ihre Veröffentlichung greift allemal auch in Privatsphären ein. Vertraulichkeit ist nicht mehr gewährleistet. Statt Vertrauen ist Misstrauen angesagt, statt reden schweigen. Verhandlungsstrategien werden obsolet, Verträge und Geschäfte gestört, wenn nicht verhindert. Nicht nur Information ist Tür und Tor geöffnet, sondern auch Desinformation. Am Ende sind die handelnden Personen nicht einmal mehr Herr des Verfahrens, weil sie nie wissen, ob oder was und wann und von wem und mit welcher Absicht über sie im Internet öffentlich wird.

Wikileaks öffnet der Information wie der Desinformation Tür und Tor. Keiner von uns käme wohl auf die Idee, der Bank, mit der er gerade noch über einen Kredit verhandelt, von sich aus zu offenbaren, wie aussichtslos es tatsächlich um seine Finanzen steht. Genau dazu aber sind die Regierungschefs in Dublin und Athen durch die Medien gezwungen worden, während sie noch um die Bedingungen für den Euro-Schutzschirm feilschten. Eben darum wird auch dem saudischen König das Leben schwerer, seitdem aus Washington bekannt geworden ist, dass er unter vier Augen einem Militärschlag gegen Iran nicht abgeneigt war. Ja, der Hacker Julian Assange selbst, der Wikileaks-Gründer, wird den Hacker Adrian Lamo verfluchen, der ihm den Gefreiten Bradley als mutmaßliche Quelle der diplomatischen Depeschen enttarnt hat – Hacker unter sich. Wie aber bei soviel Information und soviel Öffentlichkeit, soviel Transparenz und Partizipation, wie soll eine(r) da noch Politik machen? Verantwortlich und zum Wohle des Volkes, wie es geschworen wurde. Mit einem Mandat des Souveräns, das kein Hacker und kein Journalist besitzt. Politik, die nicht will, dass sie im Internet vorgeführt wird und das Volk sich von der repräsentativen Demokratie abwendet, wird sich deswegen mehr und mehr auf einen Wettlauf um die öffentliche Meinung verengen. Nur wer da gewinnt, wird in Zukunft noch gestalten können. Hingegen wird, wer sie nicht auf seiner Seite hat, immer weniger politikfähig sein. Und alle Mittel, die der Markt anbietet, Macht zu erringen und zu verteidigen, werden noch an Bedeutung gewinnen, ob es uns passt oder nicht: Public Relations und Werbung,

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Lobby und Korruption, Desinformation und Blackmailing, via Rundfunk und Printmedien, Telefonie und gewiss auch das eigene Portal im Netz. Und jeder kann mitmachen. Jeder einzelne. Nach seinem Gutdünken und Schlechtwollen. Assange ist vorangegangen. Als typischer „Single Person Organizer“ hat er Initiative, Entscheidung und Ausführung in einer Hand. Darum ist er so schwer zu fassen und zugleich so gefährlich, weil er die Tat vereinzelt, aber millionenfach verbreitet. Er beabsichtigt nicht einmal, Regierungshandeln zu korrigieren oder gar selbst zu regieren. Er will nicht mehr – und nicht weniger –, als die Macht schwächen. Leaking ist für ihn eine „inhärent anti-autoritäre“, eine „anarchistische Tat“. Die Kommunikationsflüsse, auf denen heute nahezu alle Systeme beruhen, hat er als angreifbare Schwachstelle ausgemacht. Ihre Störung ist seine Methode. Und jede Politik gerät damit in die Defensive. Das wiederum wird auch seine Konsequenzen haben für die, deren Beruf und Gewerbe originär Kommunikation ist. Die seit Alters her allem Geschehen und allen Gedanken erst zu Öffentlichkeit verhelfen. Die sich aufgeschwungen haben vom Dienstleister zum Kontrolleur der Mächtigen, ja mittlerweile selbst als vierte Gewalt im Staat durchgehen: die Journalisten. Nicht auszuschließen, dass sie inmitten digitaler Informationsflut und direkter Bürgerbeteiligung, vor lauter Internet und Wikileaks, gegen Bürgerreporter und Graswurzelblogger verloren gehen, weil keiner mehr sie will oder zu brauchen meint. Möglich aber auch, dass sie gerade darum eine Comeback erleben. Wenn sie professionelle Hilfe geben bei Auswahl, Gewichtung und Einordnung von Nachrichten und mit ihrem Namen stehen für Sorgfalt, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit. Das Internet und all seine Plattformen sind mithin eine Herausforderung auch für Qualitäts-Journalismus – und zugleich seine Chance. ■ Günther von Lojewski, 1935 in Berlin geboren, promovierte in Bonn über die bayerische Bistumspolitik im 16. Jahrhundert und begann seine journalistische Karriere bei der FAZ. Als Leiter der ZDF-Nachrichtenredaktion führte er das heute-journal ein, wurde Chef der Report-Redaktion beim Bayerischen Rundfunk und wechselte 1989 als Intendant des SFB nach Berlin. Er lebt in München und engagiert sich für den Aufbau des freien Journalismus vor allem in Russland.

19


POLITIK & WIRTSCHAFT Otma ar Issin ng

Politik muss Rahmen setzen, ohne die Dynamik der Wirtschaft zu zerstören

Ist nach der Krise vor der Krise? Die kurze Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges: Ja! Damit ist mehr gesagt, als auf den ersten Blick scheint. Zum einen: Die Wirtschaft folgt nicht einem linearen Trend – die Entwicklung ist von einem unaufhörlichen Auf und Ab geprägt. Nach gängigem Muster beenden Übertreibungen den Aufschwung; in der Krise, im Tal des Abschwungs bereitet sich die Erholung vor. In Bibliotheken füllenden Studien versucht die Nationalökonomie seit jeher möglichen Gesetzmäßigkeiten auf die Spur zu kommen.

20

Zum anderen: Jede Absicht, die Schwankungen zu eliminieren und die Wirtschaft auf einen gradlinigen Pfad zu bringen, ist nicht nur von vorneherein zum Scheitern verurteilt, sondern muss gleichzeitig die im Auf und Ab liegende positive Dynamik zerstören. Karl Marx sah die Geschichte des Kapitalismus als eine Geschichte seiner Krisen – Krisen die sich von Fall zu Fall verstärken und zwangsläufig im Untergang des Systems enden müssen. In Hegels Erklärung der Welt tritt dagegen das endogen positive Potential des dialektischen Prozesses in den Vordergrund; Wirtschaft und Gesellschaft finden sich sozusagen nach jeder „Runde“ auf einer höheren Ebene wieder.


POLITIK & WIRTSCHAFT Schumpeter, nach dem der Kapitalismus im Übrigen nicht an seinen Schwächen scheitern wird, sondern gerade wegen seiner Erfolge zum Untergang verdammt ist, charakterisiert mit der schöpferischen Zerstörung den Mechanismus, durch den Krisen schließlich zum Fortschritt führen. Hier mag man einen Moment einhalten und auf eine nur schwer einzudämmende Gefahr für die Zukunft des marktwirtschaftlichen Systems verweisen. Die positive Wirkung der Krise setzt die Korrektur von im Aufschwung aufgetretenen Fehlentwicklungen voraus. Das Abschreiben von Fehlinvestitionen, der Abbau von Überkapazitäten ist die unabdingbare Voraussetzung für die anschließende kräftige und anhaltende Erholung. Die Versuchung für die Politik, marode Unternehmen zu stützen und damit – scheinbar – Arbeitsplätze zu retten, bleibt dagegen allgegenwärtig. Der Hinweis auf die vermeintliche Rettung von Holzmann und die Debatte um Subventionen für Opel sollte hier genügen. Je mehr konkurrenzunfähige Unternehmen in der Krise durchgeschleppt werden,

Steuerzahler darf nicht von Banken in Geiselhaft genommen werden. desto geringer der Spielraum für die im Wettbewerb Überlegenen, desto niedriger das Wachstumspotential der Gesamtge wirtschaft. Nicht wenige Autoren erklären die jahrzehntelange Stagnation der japanischen Wirtschaft mit der Vielzahl künst-“, lich am Leben erhaltener sogenannter „Zombie-Unternehmen“, nicht zuletzt im Finanzsektor. Also: Nach der Krise ist vor der Krise – damit sollten wir uns nicht nur abfinden, sondern dies vielmehr mit dem Blick auf den dazwischen liegenden Aufschwung als positive Botschaft nverstehen. Freilich gilt es dabei, zwei fundamentale Einschränkungen zu beachten.

Der zweite Vorbehalt gilt der Dimension der Krise. Entschlossenes Handeln hat verhindert, dass die Weltwirtschaft eine Depression wie nach 1929 erlebt hat. Die deutsche Wirtschaft verzeichnet mittlerweile sogar wie der Phönix aus der Asche einen Aufschwung, der weltweit Erstaunen erregt. Wer sich jedoch mit den sichtbaren Erfolgen beruhigt, quasi einen Haken hinter die letzte Krise setzt, unterliegt einem gravierenden Irrtum. Zum einen war die Gefahr des beggar-my-neigbour Verhaltens zu keinem Zeitpunkt der Nachkriegszeit größer als heute. Zum anderen hat die Finanzmarktkrise schonungslos grundlegende Mängel in Regulierung und Aufsicht aufgedeckt. Die Krise hat offenbart, was aus der Theorie längst bekannt ist: Sind Finanzinstitute erst einmal so groß oder so vernetzt, dass ihre Insolvenz das ganze System in den Abgrund reißen würde, dann bleibt der Politik gar keine Wahl, als zu intervenieren und den Kollaps zu verhindern. Die Feststellung, eine Bank sei in diesem Sinne von systemischer Relevanz, nimmt den Staat, und das heißt letztlich den Steuerzahler, quasi in Geiselhaft. Damit gerät jedoch das Fundament freier Märkte ins Wanken. Die Marktwirtschaft beruht auf dem Prinzip, dass sich die Akteure im Rahmen des gesetzlichen Regelwerkes frei entfalten können. Hier liegt die entscheidende Stärke eines marktwirtschaftlichen, Anzeige

Sicherheitsmanagement – immer im Fokus. www.lufthansa-cargo.com

Erstens: Nur eine Gesellschaft, die erkannte Mängel aufdeckt und nicht beschönigt, die aus der Krise lernt und die offengelegten Schwächen korrigiert, kann das schöpferische Potential der Krise nutzen. Es ließe sich hier im Übrigen treff-lich über die interessante Etymologie des Ausdrucks „Krise“ philosophieren, in der die charakterisierte Dynamik durchauss erkennbar wird. Der Begriff Krise steht im griechischen Ursprung des Wortes für einen antagonistischen Vorgang, etwa einen Konflikt und seine Beendigung im Urteil. Im Chinesischen setzt sich der Begriff für Krise bezeichnenderweise aus den Schriftzeichen für „Gefahr“ und „Chance“ zusammen. g Auch wenn man sich hüten sollte zu verallgemeinern, vermag man doch in der Wahrnehmung und im Umgang mit Krisen typische nationale Merkmale wiedererkennen. Der ehemalige italienische Botschafter in Deutschland, Luigi Vittoro Graf Ferraris, formulierte zur deutschen Mentalität: „Acht Jahre war ich in Deutschland, acht schöne fruchtbare Jahre und jedes Jahr konnte ich einen neuen Ausbruch von Hysterie beobachten. Jeder Anlass war irgendwie begründet: von den Raketen bis zum Waldsterben, von den Nordseefischen bis zurr Volkszählung. Doch ich möchte den Deutschen versichern, dass die Welt nicht so leicht untergeht, wie sie befürchten.“

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

21


POLITIK & WIRTSCHAFT

freiheitlichen Systems, das sich allen anderen Konzeptionen gerade deshalb als weit überlegen erwiesen hat, weil Millionen von Individuen erwägen, welche Aktivitäten welche Chancen eröffnen. Es gilt, Initiativen zu ergreifen und Innovationen zu wagen, die Möglichkeit des Erfolgs gegen das Risiko des Scheiterns abzuwägen. Kein anderes System ist in der Lage, das Potential auszuschöpfen, das in unzähligen Individuen steckt. Der Markt ist nun einmal das beste „Entdeckungsverfahren“, wie Hayek feststellte. Wer im Rahmen der Spielregeln Erfolg hat, darf nach diesen Prinzipien den Gewinn (nach Steuern) behalten, muss aber auch für den Misserfolg haften – bis hin zum Extrem des Bankrotts. Das „too big to fail“ hebelt diese Bedingung an einer entscheidenden Stelle aus, das ganze Fundament gerät ins Wanken. Mit dem systemischen Risiko aus dem Zusammenbruch einzelner Institute macht die Finanzmarktkrise eine Dimension augenfällig, die über den Einbruch bei Wachstum und Arbeits-

Beim Ärger um die Boni geht es um die Akzeptanz der Marktwirtschaft. losigkeit hinausgeht. In der öffentlichen Erregung über Boni und milliardenschwere Rettungsmaßnahmen kommt mehr als Alltagsärger der Bürger zu Tage. Es geht um die Akzeptanz nicht nur freier Finanzmärkte, sondern der Marktwirtschaft schlechthin. Wie tief das Misstrauen inzwischen sitzt, lässt sich in Gesprächen auch mit ansonsten der Marktwirtschaft gegenüber wohlmeinenden Bürgern erfahren. Die Nachrichten in den Medien über Banken und noch mehr über Banker sind inzwischen fast immer von Häme begleitet. Die Finanzmarktkrise rührt wie keine Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zuvor an die Grundlagen der Marktwirtschaft und einer freiheitlich orientierten Gesellschaft schlechthin. Allzu große Erwartungen richten sich jetzt an den Staat, der sich doch gerade in Deutschland – sagen wir einmal milde – nicht wirklich als der bessere Banker erwiesen hat. Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, Markt und Gesellschaft ist neu auszurichten. Der Markt ist das einzige System, das Wohlstand und Freiheit zu vereinbaren weiß. Dass der Markt jedoch nicht alles kann, ist eine Erkenntnis, die das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft ausmacht. Dass die Politik geneigt ist, mehr

22

Bankenrettung kommt die Staaten teuer zu stehn. Staatsverschuldung steigt dramatisch an.

zu versprechen, als sie leisten kann, ist eine Versuchung, der sie nur allzu leicht nachzugeben bereit ist. Mutet sich der Staat aber mehr an Verantwortung zu, als er tatsächlich zu erfüllen vermag, zerstört er das in ihn gesetzte Vertrauen. Die richtige Balance zwischen staatlich gesetzten Regeln und der Freiheit des Marktes herzustellen, ist die entscheidende Aufgabe bei der Neuordnung der Finanzmärkte. Deutschland kann hier auf seine Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft zurückgreifen, allerdings nur bedingt mit dem, was daraus in der Praxis geworden ist. Nach der Krise ist vor der Krise? Die Gelassenheit, mit der ich eingangs mit „Ja“ geantwortet habe, ist gegenüber der tiefen Krise, die 2007 ihren Anfang nahm, nicht angebracht. Sie hat mit allen Krisen gemein, dass sie Mängel aufdeckt und Chancen für die Gestaltung der Zukunft eröffnet. Während aber der Versuch, das unvermeidliche Auf und Ab marktwirtschaftlicher Prozesse zu unterbinden, in Erstarrung und Stagnation enden muss, würde ein in absehbarer Zeit wiederholter drohender Kollaps des Finanzsystems, der nur durch den erneuten Einsatz riesiger öffentlicher Mittel zu verhindern wäre, nicht nur die Akzeptanz freier Finanzmärkte mit überwiegend privaten Akteuren, sondern das marktwirtschaftliche System insgesamt in Frage stellen. Mit der Gesellschaft freier Bürger geriete schließlich auch die Demokratie in Gefahr. Damit formuliert sich die Forderung an die Politik beinahe von selbst: Festigung der Rahmenordnung, ohne die Dynamik in Wirtschaft und Gesellschaft zu zerstören. Der Wettbewerb um die überzeugendste institutionelle Antwort ist im globalen Kontext längst eröffnet. ■

Prof. Dr. Otmar Issing, 1936 in Würzburg geboren, promovierte über „Monetäre Probleme der Konjunkturpolitik“. Er war Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, deren geldpolitische Strategie er maßgeblich mitentworfen hat. Von 1998 bis 2006 war er Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Heute leitet er als Präsident das Frankfurter Center for Financial Studies. Der Beitrag ist eine Rede, die Dr. Issing kürzlich bei den Schönhauser Gesprächen des Bundesverbandes deutscher Banken in Berlin gehalten hat.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Empfang der HD+ Sender UFS 931sw/HD+ Inkl. HD+ Karte arte für 1 Jahr freigeschal freig gescha altte et

g n u t l a h c s b a g o 2 Anal 1 0 2 l i r p A . 0 zum 3 Stand-by-Leistung < 1 Watt

HD+ Karte im Wert von 50 € inklusive 12 Monate gratis

Kathrein-EPG

exklusiv über Satellit

™-Kabel inklusive Weitere Sender folgen.

TESTSIEGER 9.2010

gut KATHREIN UFS 931SW/HD+

www.digitalfernsehen.de

Der UFS 931 ha at das Entschlüssellungssystem für die HD+ Plattform bereits integriert.

09/2010 KA THREIN UFS 931

Testurteil:

sehr gut

Eine für ein Jahr freigeschaltete HD+ Karte ist ebenfalls im Lieferumfang. Der übersichtliche Kathrein-EPG ermöglicht das Planen von Aufnahmen.

Internet: www.kathrein.de KATHREIN-Werke KG · Telefon 08031 184-0 · Fax 08031 184-306 Anton-Kathrein-Str. 1 - 3 · Postfach 10 04 44 · D-83004 Rosenheim

Antennen · Electronic


AKTUELLES

Lufthansa-Vorstand dockt in München an Die dritte Startbahn des Münchner Flughafens wurde nicht – wie manche Spötter lästern – schon vor 20 Jahren gleich mitgebaut und ist nur mit Gras bedeckt, ihr Bau steckt vielmehr noch in einem zähen Planfeststellungsverfahren. Doch einer ihrer wichtigsten Fürsprecher tritt künftig mit noch mehr Gewicht auf: Thomas Klühr, München-Chef der Lufthansa, steigt ab April in den Vorstand der Konzernsparte Passage auf. Er wird der erste LH-Vorstand Erster Lufthansamit Sitz in München Vorstand mit Sitz in sein, bleibt verantwortMünchen: Thomas Klühr steigt auf. lich für das Drehkreuz im Erdinger Moos und wird auch zuständig sein für die Direktverbindungen, die nicht Frankfurt oder München anfliegen. „In München stehen die Zeichen auf Wachstum“, sagt er. Dazu brauche man die dritte Startbahn ebenso wie ein drittes Terminal, intern bescheiden als „Satellit“ bezeichnet. Für den 650-Millionen-Bau wurde schon 2003 beim Bau von Terminal 2 vorgesorgt: Die Baugenehmigung liegt vor, die Fundamente sind gegossen und tragen derzeit eine Gepäckabfertigung und selbst je ein Tunnel fürs Gepäck und für eine PassagierBahn sind gegraben. Und wie beim Terminal 2 beteiligt sich die Lufthansa am Bau, der 2015 in Betrieb gehen soll.

Nord-Süd-Gefälle verfestigt sich Mitten in seiner nunmehr dritten Amtszeit wird dem Erlanger Oberbürgermeisters Siegfried Balleis von Experten bestätigt, die Universitätsstadt an die Spitze unter den deutschen Kommunen geführt zu haben. „In Erlangen findet sich der höchste Anteil Hochqualifizierter, die Arbeitslosenquote ist sehr niedrig, die Einkommensteuerkraft übertreffen nur noch München und Hamburg. Erlangen bringt die ganze Region nach vorne und überkompensiert sogar die Probleme des früheren Quelle-Standorts Fürth“, lautet

24

das Urteil beim aktuellen Städteranking, zu dem die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gemeinsam mit dem Magazin WirtschaftsWoche 100 Städte untersucht hat. Kriterien waren Arbeitsmarkt, Soziales, Wirtschaft und Wohlstand. Erlangen liegt mit München an der Spitze, gefolgt zumeist von Kommunen aus Bayern und Baden-Württemberg. „Es scheint sich ein Süd-Nord-Gefälle zu verfestigen“, meint Henning Krumrey, Vize-Chefredakteur der WirtschaftsWoche. „Süddeutsche und südwestdeutsche Städte dominieren die Top Ten.“ Berlin liegt abgeschlagen auf Platz 90.

Zitate: „Die meisten der weltweit religiös Verfolgten sind Christen, aber die Christen nehmen es nicht wahr.“ Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising

„Political Correctness ist ein Alibi fürs Nichtstun.“ Heinz Buschkowsky, SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, bekannt für engagiertes Reden und mutiges Handeln.

„Die Grünen wollen bei jedem Konflikt dabei sein, aber keinen Konflikt entscheiden.“ Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender

„Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Links-Partei, lässt die Maske fallen.

„Eine Rendite von sechs bis zehn Prozent sollte herausspringen.“ Pater Anselm Grün, Bestseller-Autor und Vermögensverwalter der BenediktinerAbtei Münsterschwarzach, über sein selbst gestecktes Renditeziel

„Bestimmte Frauen in den Regierungsautos zu sehen, ist nicht gut für das Ansehen des Landes.“ Barbara Berlusconi, über ihren Vater, den italienischen Ministerpräsidenten

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835), preußischer Diplomat, Staatsmann und Bildungsreformer

Bayern ist Deutschlands Jobmotor.

Auf dem Weg zur Vollbeschäftigung Selbst der frühe Wintereinbruch kann die Joblokomotive nicht aufhalten: In Bayern ist die Arbeitslosenzahl weiterhin so niedrig wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Zum Jahreswechsel lag die Quote bei 4,0 Prozent. „Wir waren im vergangenen Jahr der Jobmotor in Deutschland, und dies wird auch 2011 wieder so sein“, blickt Ministerpräsident Horst Seehofer zuversichtlich ins neue Jahr. Und seien Arbeitsminister Christine Haderthauer assistiert: „Vollbeschäftigung ist in Bayern keine Utopie, sondern in vielen Teilen des Landes bereits Realität.“ Prozent. Vor allem beim Spitzenreiter Eichstätt, der mit einer Arbeitslosenquote von 1,7 Prozent auch im Dezember als einzige Region Deutschlands eine 1 vor dem Komma erreichte. In 21 Kreisen und kreisfreien Städte liegt die Arbeitslosigkeit unter 3 Prozent – ein so niedriger Stand wird von Experten als Vollbeschäftigung bezeichnet.

Wintermantel für Haus und Wohnung Bayerische Hausbesitzer planen in einen Mobilisierungsschub. Nach einer Marktstudie, die von der Bayerischen Landesbausparkasse LBS in Auftrag gegeben wurde, wollen in den nächsten drei Jahren 16 Prozent rund 31 Milliarden Euro in ihre selbstgenutzten Ein- und Zweifamilienhäuser investieren. Bundesweit ein Spitzenwert. Eine bessere Dämmung ist dabei erstes Ziel. Ungedämmte Häuser, so die LBS, verbrauchen bis zu sechsmal so viel Energie wie ein Neubau.

Internet: www.bayerischer-monatsspiegel.de

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


2O_^O NSO D_U_XP^ NOXUOX

=SMRO\ROS^ PÞ\ 6KXN _XN 6O_^O 6HLW XQVHUHU *UÙQGXQJ DXI ,QLWLDWLYH GHV GDPDOLJHQ 9HUWHLGLJXQJVPLQLVWHUV )UDQ] -RVHI 6WUDX¼ XQWHUVWÙW]HQ ZLU GLH %XQGHVZHKU EHL GHU 9RUEHUHLWXQJ XQG 'XUFKIÙKUXQJ LKUHU MHZHLOV DNWXHOOHQ XQG ]XNÙQIWLJHQ (LQVÁW]H :LU HQWZLFNHOQ 6LPXODWLRQHQ XQG 7HVWXPJHEXQJHQ IÙU GLH $QDO\VH WHFKQLVFKHU 6\VWHPH VRZLH IÙU GLH 'XUFKIÙKUXQJ YRQ ([SHULPHQWHQ ¹EXQJHQ XQG IÙU GLH $XVELOGXQJ LP 5DKPHQ GHU 9HUQHW]WHQ 2SHUDWLRQVIÙKUXQJ 9HUÁQGHUWH VLFKHUKHLWVSROLWLVFKH 5DKPHQEHGLQJXQJHQ HUIRUGHUQ QHXH /ÓVXQJVDQVÁW]H .ODVVLVFKH %HGURKXQJVV]HQDULHQ .DOWHU .ULHJ VLQG ZHJJHIDOOHQ GDIÙU KDW VLFK GLH %HGUR KXQJVODJH GXUFK 7HUURULVPXV ,QWHUQHWDWWDFNHQ XQG 1DWXUNDWDVWURSKHQ GUDVWLVFK HUKÓKW 'LH HUKÓKWH 9HUZXQGEDUNHLW GHU YHUQHW]W JOREDOLVLHUWHQ *HVHOOVFKDIW ] % 0HQVFKHQ :DUHQ )LQDQ] XQG ,QIRUPDWLRQVVWUÓPH RGHU EHL *UR¼HUHLJQLVVHQ HUIRUGHUW HLQHQ JDQ] KHLWOLFKHQ JHVHOOVFKDIWVYLVLRQÁUHQ $QVDW] 8QVHU ÙEHU -DKU]HKQWH JHZDFKVHQHV :LVVHQ QXW]HQ ZLU ]XU (UKÓKXQJ GHU ³IIHQWOLFKHQ 6LFKHUKHLW

$QDO\VH PÓJOLFKHU %HGURKXQJVV]HQDUH 5LVLNRHLQVFKÁW]XQJ 7HFKQLVFKH 6LPXODWLRQHQ XQWHU (LQEH]XJ VÁPWOLFKHU $EZHKUNUÁIWH XQG GLYHUVHU (LQIOXVVIDNWRUHQ

,QWHJULHUWH /HLWVWÁQGH IÙU GHQ

*HPHLQVDPH XQG XPIDVVHQGH $XVELOGXQJ XQG 7UDLQLQJ VÁPWOLFKHU .ULVHQUHDNWLRQVNUÁIWH

6LFKHUH .RPPXQLNDWLRQVOÓVXQJHQ XQG 1HW]PDQDJHPHQWV\VWHPH 0RELOH $G +RF 1HW]H %26 'LJLWDOIXQN

.DWDVWURSKHQIDOO 'LH ,$%* JTU FJO G ISFOEFT FVSPQjJTDIFT 5FDIOPMPHJF 6OUFSOFINFO 6OTFS 4DIXFSQVOLU MJFHU BVG [VLVOGUTXFJTFOEFO "OXFOEVOHFO WPO )PDIUFDIOPMPHJF VOE 8JTTFOTDIBGU 8JS QMBOFO SFBMJTJFSFO VOE CFUSFJCFO .JU CFS FSGBISFOFO VOE FOHBHJFSUFO .JUBSCFJUFSO CJFUFO XJS VOTFSFO ,VOEFO -zTVOHFO JO EFO #SBODIFO "VUPNPUJWF *OGP,PN 7FSLFIS 6NXFMU &OFSHJFUFDIOJL -VGUGBISU 3BVNGBISU 7FSUFJEJHVOH 4JDIFSIFJU ,KUH $QVSUHFKSDUWQHU FSSFJDIFO 4JF VOUFS 5FMFGPO & .BJM TJDIFSIFJU!JBCH EF

AS\ LSO^OX 3R\OX >KVOX^OX

OSX LO\_PVSMRO] D_RK_]O aaa SKLQ NO UK\\SO\O

ZZZ LDEJ GH #JMEOBDIXFJTF l7K\U^ 1K\WS]MR :K\^OXUS\MROXw .BSJB 1 5IBVU *NBHFT $PMF 5IPSOUPO GMBTIQJDT GPUPMJB DPN

3+,1 /SX]^OSX]^\KÁO " 9^^YL\_XX >OV # "# "" 0Kb # "# "" SXPY*SKLQ NO


POLITIK & WIRTSCHAFT Gerit Heinz

Deutschland auf der Überholspur Vom kranken Mann zur Wachstumslokomotive Europas

Die Entwicklung des vergangenen Jahres hat Deutschland viel Lob, aber auch Kritik eingebracht. Zu Beginn des Jahrtausends wurde die Republik noch als „kranker Mann Europas“ gesehen. Nun hat sie sich zur Wachstumslokomotive entwickelt – während der Großteil der Eurozone mühsam den Weg zur wirtschaftlichen Erholung sucht. Nach den ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2010 preisbereinigt um 3,6 Prozent gewachsen. Die kräftige Erholung hat vermutlich die Entwicklung aller anderen großen Volkswirtschaften übertroffen, dürfte 2011 aber etwas an Schwung verlieren. Nach unserer Einschätzung stehen die Chancen gut, dass Deutschland auf Jahre hinaus die Wachstumsführerschaft in Europa übernehmen wird. Die Gründe für unsere positive Einschätzung sind vielschichtig. Bekanntlich kam es auf dem deutschen Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren nicht zu den Übertreibungen wie in anderen Ländern, wo dies zu großen Verwerfungen und einer Überschuldung von Privathaushalten und Unternehmen geführt hat. Die Finanzlage deutscher Privathaushalte und Unternehmen stellt sich im Schnitt günstig dar. Zusammen mit der positiven Arbeitsmarktentwicklung sollte daher auch der Konsum einen Beitrag zum Wachstum leisten.

26


Einen weiteren wichtigen Faktor für ein exportorientiertes Land wie Deutschland stellt der Außenwert des Euro dar. Durch die Schuldenkrisen in einigen Ländern der Eurozone ist der EuroWechselkurs relativ gesehen schwach. Davon profitieren vor allem deutsche Exporteure, die nach unseren Berechnungen auch noch bei einem deutlich stärkeren Eurokurs auf dem Weltmarkt mithalten könnten. Hinzu kommt, dass das aktuelle Zinsniveau für Deutschland zu niedrig ist, sodass hiervon eine weitere Stimulierung ausgeht.

ben. Deutsche Exporteure dürfen sich daher nicht nur auf Kostensenkungsinitiativen verlassen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sondern sollten sich weiter auf Innovation und Effizienz konzentrieren.

Die Exportstärke Deutschlands beruht auf der Fähigkeit, in wachstumsstarke Märkte, insbesondere in Mittel- und Osteuropa und Asien, vorzudringen, sowie auf einer überlegenen Wettbewerbsfähigkeit dank Unternehmensrestrukturierungen und Lohnmäßigung. Dadurch verfügt Deutschland über dauerhafte Vorteile im Außenhandel, aufgrund derer es von globalen Konjunkturaufschwüngen stärker profitiert als die meisten anderen Länder. Diese Abhängigkeit vom Handel hat aber auch Schattenseiten. Unter Konjunkturabschwüngen leidet Deutschland wie 2009 stärker als vergleichbare Länder, die weniger vom Welthandel abhängig sind. Darüber hinaus könnte dieses Wachstumsmodell durch Protektionismus, strukturelle Veränderungen bei den wichtigsten Handelspartnern und billigere Konkurrenz

Das kräftige Wachstum in Deutschland vor und nach der globalen Rezession hat vom schwachen durchschnittlichen Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahrzehnt abgelenkt. Die im Vergleich zu den meisten anderen OECD-Ländern rasche Bevölkerungsalterung birgt erhebliche Gefahren für das Wachstumspotenzial. Die Folgen der sehr niedrigen Geburtenrate in Deutschland sind praktisch unumkehrbar, zumal die Zuwanderung die Bevölkerung wohl nicht stabilisieren kann. Die Erwerbsquote ist bereits recht hoch, so dass es nur in begrenztem Maße möglich sein dürfte, zum Ausgleich des Bevölkerungsrückgangs die Erwerbsbevölkerung durch mehr potenzielle Arbeitskräfte zu vergrößern. Die Jahresarbeitszeit ist in Deutschland jedoch sehr niedrig und könnte angehoben werden, um die negativen Folgen der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung etwas abzufedern. Die Kapitalbildung, die in der Theorie Arbeitskräfte ersetzen kann, wird sich unseres Erachtens nicht erheblich steigern lassen. Es scheint aber Spielraum für eine Steigerung der Gesamtproduktivität zu geben, indem das Land negativen Trends beim Innovationspotenzial begegnet und Reformen des Bildungssystems vorantreibt. Dazu zählt auch die Umsetzung einer Zuwanderungspolitik, die gut ausgebildete Personen anzieht. ■

Der Exporterfolg beruht auf preislicher Wettbewerbsfähigkeit. gefährdet werden. Unserer Meinung nach ist es für Deutschland wichtig, künftig ein ausgewogeneres Wachstumsmodell zu erreichen. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass die erfolgreiche Verteidigung der Marktanteile in erster Linie auf Verbesserungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte zurückzuführen ist. Nach der Einführung des Euro zu einem etwas überbewerteten Umrechnungskurs im Jahr 1999 versuchten die deutschen Exporteure, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, indem sie sich für eine Dämpfung der Lohnentwicklung einsetzten. Dies hatte zur Folge, dass die Löhne in der ersten Hälfte des Jahrzehnts nur sehr wenig anstiegen. Im Jahr 2008 war das reale Einkommensniveau praktisch dasselbe wie im Jahr 2001. Des Weiteren versuchten deutsche Unternehmen, von niedrigeren Produktionskosten zu profitieren, indem sie Teile ihrer Produktionskette auslagerten, insbesondere nach Mittel- und Osteuropa. Im Gegensatz zu diesen Kosten- oder Preisfaktoren scheinen manche nichtpreisliche Faktoren, wie Qualitäts- oder Effizienzsteigerungen, während des Exportbooms vor der Krise nur eine Nebenrolle gespielt zu haben. Auf längere Sicht sind nichtpreisliche Faktoren jedoch von Bedeutung. Im Allgemeinen sind wir der Ansicht, dass deutsche Unternehmen insbesondere von ihrer langjährigen Erfahrung im Auslandsgeschäft, ihrem hohen Grad an internationaler Integration und von ihren auf Investitionsgüter ausgerichteten Produktsortimenten profitieren, die gerade in den wachstumsstarken Schwellenmärkten sehr gefragt sind. Da Deutschlands Vorteil in den Auslandsmärkten sowohl auf preislicher Wettbewerbsfähigkeit als auch nichtpreislichen Strukturfaktoren aufbaut, sollte er längerfristig bestehen blei-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Ansprechpartner Oliver Frank UBS Deutschland AG Wealth Management München Tel 089 41439 261 Oliver.Frank@ubs.com

Autor Gerit Heinz leitet bei UBS Deutschland AG die Research Germany Abteilung

ab 27


Peter Schmalz

Hört die Signale! Linke Sehnsucht nach dem Kommunismus Oskar Lafontaine mumifiziert im Saarland, Gregor Gysi erschlafft in Berlin und Klaus Ernst schwadroniert sich auf seiner Alm um Kopf und Kragen. Das ist die Zeit für Gesine Lötzsch. Sie ist die Unbekannte in diesem Quartett. Wohl auch die Unbedarfte. Und Co-Vorsitzende der Linken wurde sie nur, weil die Ex-SED-Ex-PDS zum westlichen Lafontaine-Nachfolger Ernst ein Gender-Pendant brauchte: Ossi und weiblich. Das frühere SED-Mitglied Lötzsch, in Berlin vier Tage vor dem Bau der Mauer geboren und vor sieben Monaten zur Mit-Vorsitzenden der vereinigten Linken gewählt, hat seither kaum von sich reden gemacht. Und wenn sie selbst redete, verdrehten auch Parteimitglieder genervt oder gelangweilt die Augen. Doch nun endlich hat sie die Schlagzeilen erobert. Und das ganz einfach dadurch, dass sie mal die Wahrheit gesagt hat. Die Wahrheit über eine Partei, die in ihrem Kern nach wie vor aus Genossen besteht, die im marxistischen Glauben fest verankert sind. Eine Wahrheit, die lange verschleiert wurde von Camouflage-Künstlern wie Gysi und Lafontaine, die auf der Bühne im Duett das schöne Lied von der Gerechtigkeitspartei trällerten. Lötzsch offenbart, wofür hinter der Bühne das Herz schlägt: Für den Kommunismus. Erst in einem Zeitungsbeitrag schwärmt sie von den Wegen zum Kommunismus, die man nur finden könne, „wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung“. Und um dann sicher zu stellen, dass dies kein linguistischer Ausrutscher war, legt sie auf einer Veranstaltung unter dem frenetischen Jubel von 2000 Zuhörern nach: Es sei „falsch, den Mantel des Schweigens über die Idee des Kommunismus auszubreiten.“ Dafür gebührt der blonden Preußin Dank. Tollkühn reißt sie mit wenigen Sätzen die schöne Kulisse ein, die Gysi über Jahre hin eloquent aufgebaut. Eine Kulisse, die so schön gefärbt war, dass die PDS-Linke wie eine Partei ohne Vergangenheit und nur noch dem Wohle der Menschheit verschworen erschien. Das Wort Kommunismus hatte er aus seinem Vokabular gestrichen.

28

Und nun kommt Lötzsch und zeigt den richtigen Weg auf: Ob auf der Regierungs- oder Oppositionsbank, es gilt, den Weg zum Kommunismus zu marschieren. SPD und Grüne geben sich erschrocken und tun so, als würden sie von diesem Bekenntnis total überrascht. Mit einer solchen Partei könne man selbstverständlich nicht koalieren. Doch machen sie eine kleine Einschränkung: „Im Bund.“ In den Ländern

Tausende feiern die Linke-Chefin und singen die kommunistische Internationale. sind die Marx- und Lenin-Fans nach wie gern gesehen als Mehrheitsbeschaffer, entweder direkt in der Regierung wie in Berlin und früher schon in vielen Ostländern, oder als stillschweigende Mitregenten von der Oppositionsbank aus wie gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen. Nach den Landtagswahlen in diesem Jahr könnte die Linkspartei in Sachsen-Anhalt und in MecklenburgVorpommern als Partner durchaus gefragt sein. Schwupps hat SPD-Chef Gabriel wieder die Glaubwürdigkeitsdebatte am Hals: Wer in den Ländern mit der Linken ins Bett steigt, der wird doch nicht im Bund kneifen. Wenn zum Sturm aufs Kanzleramt geblasen wird. Gesine Lötzsch hat für Klarheit gesorgt. Das ist ihr hoch anzurechnen. Was ihre Fans auch tun. Gemeinsam mit ihr schmettern sie mit hochgerechter Faust die Internationale: „Völker hört die Signale.“ Es reicht schon, wenn die Wähle sie hören. ■

Peter Schmalz, 1943 in Würzburg geboren, ist Chefredakteur des Bayerischen Monatsspiegels und stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Presseclubs München. Von 2001 bis 2008 leitete er den Bayernkurier, davor war er ein München und Berlin für die Tageszeitung Die Welt tätig.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


www.tuev-sued.de

Internationalität gehört die Zukunft und sie verschafft Ihnen schon heute einen großen Wettbewerbsvorteil. In TÜV SÜD finden Sie einen Partner, der weltweit an 600 Standorten in allen wichtigen Wirtschaftszentren präsent ist. Für uns ist Nachhaltigkeit kein Schlagwort, sondern tägliche Herausforderung, der wir verantwortungsvoll begegnen. Denn wir verfügen über ein fundiertes Know-how und umfangreiche Erfahrung, mit denen wir unsere Kunden als Prozesspartner unterstützen. Wer in eine Zusammenarbeit mit uns investiert, sichert sich wirtschaftlichen Mehrwert. Deshalb: Gestalten

Sie mit uns lebens-

werte Zukunft!

TÜV SÜD AG • Westendstraße 199 • 80686 München • Tel: 0800 888 4444


POLITIK & WIRTSCHAFT

Oliver Rolofs

Wintermärchen braucht Nachwuchs IT-Branche boomt und sucht dringend Fachkräfte Ifo-Chef Werner Sinn schwärmt vom „reinsten Wintermärchen“. Der konjunkturelle Aufschwung, der im vergangenen Jahr Deutschland schneller und kräftiger aus der Krise geholt hat, als selbst Optimisten erwartet hatten, wird auch 2011 anhalten und die Zahl der Arbeitslosen unter die DreiMillionen-Marke senken. Doch der erfreuliche Erfolg hat auch eine Kehrseite: Ausgestattet mit vollen Auftragsbüchern, suchen vor allem hochmoderne Unternehmen händeringend nach Fachkräften. Allen voran die IT-Branche, die in Deutschland knapp 850 000 Menschen beschäftigt und damit nach dem Maschinenbau der zweitgrößte Arbeitgeber in der Industrie ist. Der Branchenverband Bitkom schätzt die Zahl der offenen Stellen auf knapp 30 000. Allen voran werden Software-Entwickler gesucht.

Viele IT-Experten wollen unabhängig bleiben und suchen temporäre Projekt-Jobs. „Unbesetzte Stellen“, meint Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer, „sind ein Hindernis für die Innovation.“ Und damit auch eine Gefahr für Deutschlands globale Wettbewerbsfähigkeit. Schon heute rechnen laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young fast zwei Drittel der Führungskräfte aus 1200 befragten forschungs- und entwicklungsintensiven Unternehmen mit Engpässen beim Spitzenpersonal. Besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, die wesentlich zur Innovation beitragen, hätten Schwierigkeiten, Spezialisten zu rekrutieren. Eine Notlage, die Personaldienstleister zumindest abfedern können. „Rasch und effektiv können wir den Firmen qualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung stellen“, sagt Reiner Pientka, Gründer und Vorsitzender Geschäftsführer des Münchner Unternehmens Tecops, das sich auf die Vermittlung von IT-Fachkräften auf Zeit spezialisiert hat. Vor 20 Jahren gegründet, haben sich die Münchner zu einem der führenden IT-Personaldienstleister in Deutschland entwickelt. Besonders in den letzten Jahren war der Anstieg rasant: Hatte das Unternehmen 2007 noch 155 Beschäftigte, wurde kürzlich der 1000. Mitarbeiter eingestellt. Und selbst

30

im allgemeinen Krisenjahr 2009 wuchs der Umsatz um satte 20 Prozent. In jenem Jahr wurde Tecops als besonders wachstumsstarkes mittelständischen Unternehmen unter „Bayerns Best 50“ ausgezeichnet. Im Laufe der Jahre haben die Münchner einen Kandidatenpool von übe 50 000 Profilen aufgebaut, aus denen sie 75 Prozent aller Projektanfragen innerhalb von 48 Stunden mit geeigneten Kandidaten beantworten können. „Ständiger Kontakt zu den Kandidaten und ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem sorgen für die notwendige Aktualität unserer Datenbank“, erläutert Pientka. Nachgefragt werden Programmierer, Systemarchitekten, Netzadministratoren, aber auch kaufmännisches Personal und Projektleiter. Viele namhafte Großunternehmen wie die T-Systems, aber auch innovative und erfolgreiche Mittelständler, suchen projektbezogen temporäre Mitarbeiter. Dabei hat sich im IT-Segment offenbar für die Unternehmen wie für die Mitarbeiter eine Win-win-Situation entwickelt: Die Betriebe können flexibel planen, die Arbeitnehmer haben je nach eigenem Interesse besondere Möglichkeiten: Wer über die Zeitarbeit eine feste Anstellung sucht, hat gute Chancen. Ein gutes Drittel der Zeitarbeitnehmer wird laut der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Auf der anderen Seite ist gerade unter den IT-Profis der Anteil derer groß, die sich nicht fest binden wollen und immer wieder in neuen Projekten als Selbständige ihre berufliche Erfüllung suchen. Der allgemeine Aufschwung und der zusätzliche Branchenboom führen allerdings auch bei den Personaldienstleistern zu einem wachsenden Personalmangel. Mehr Nachwuchs wird dringend benötigt. Deshalb, so bekräftigt Tecops-Chef Pientka, müssten Erwerbslose stärker berufsbegleitend gefördert, die Zahl der Lehrstellen und Studienplätze im Berufsfeld der Informationsund Kommunikationstechnologie deutlich erhöht und die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte erleichtert werden: „Bei Ingenieurberufen wie in der Computer- und Elektrobranche spüren wir einen erheblichen Mangel an Spezialisten. Hier tobt bereits ein ‚War of Talents‘. Dieser Trend stellt ein erhebliches Risiko für den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung dar.“ ■ Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Sicherheit Report über neue Herausforderungen – Beiträge auf den Seiten 32 – 61

31


SIC HERHEIT Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg

Alles bleibt anders! Sicherheitspolitisches Umdenken als Notwendigkeit

32


SIC HERHEIT gehalten? Und doch wurde einen Tag später zum ersten Mal in der Geschichte der NATO der Bündnisfall ausgerufen. Nach der Beistandsklausel in Artikel 5 des Washingtoner Vertrags ist ein Angriff auf ein Bündnismitglied ein Angriff auf alle. Eine weitere Tür war aufgestoßen, hin zu einer sicherheitspolitischen Wirklichkeit, in der Auslandseinsätze fern ab der Bündnisgren-

Quelle: © 2010 Bundeswehr / Björn Wilke

Wir wollen Frieden, wir wollen Sicherheit, wir wollen unser Land, unsere Demokratie und unseren Lebensstandard schützen und erhalten. Eine wohl unwidersprochene Tatsache. Doch die Schnelligkeit, in der sich Bedrohungen und Risiken in der Welt von heute wandeln, erfordert immer neue Anpassung, immer neues Engagement.

Mit dem Ende des Kalten Krieges begann eine neue sicherheitspolitische Zeitrechnung. Wir profitieren davon in besonderer Weise – heute, in der Mitte Europas, umgeben von Freunden und Partnern. Und doch bedarf es der Wachsamkeit. Denn die Blockkonfrontation wich einer subtileren, einer zunehmend komplexeren Sicherheitsgeometrie, die in schneller Abfolge Krisen und Konflikte aufwies, auf die die internationale Gemeinschaft wenig bis gar nicht vorbereitet war, wie sich schon bald zeigte. Anfang und Mitte der 90er-Jahre wurden wir mit Kriegen und Konflikten auf dem Balkan, direkt vor unserer europäischen Haustür, konfrontiert. Nach der Beteiligung an Einsätzen der Vereinten Nationen in Kambodscha und Somalia, stand die Bundeswehr gemeinsam mit ihren Partnern auf dem Balkan

Kein Staat ist in der Lage, den sicherheitspolitischen Herausforderungen allein zu begegnen.

Quelle: US Army

im Einsatz in der Friedenssicherung. Das „Nie wieder“ hatten wir Deutsche so tief verinnerlicht, dass diese Einsätze von heftigsten Diskussionen und kritischen Debatten begleitet wurden. Deutschland war gefordert, einen neuen gesellschaftlichen Konsens über sein sicherheitspolitisches Engagement zu finden. Denn mit der Wiedervereinigung hatte für Deutschland und die Bundeswehr eine neue Zeit begonnen. Statt bequemer Scheckbuchdiplomatie begannen unsere Partner nun eine aktive Beteiligung Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik einzufordern. Die nächste Zäsur erlebten wir mit den Angriffen auf die TwinTowers in New York am 11. September 2001. Islamistischer Terror bedrohte die westliche Welt, verwundete sie tief mit weitreichenden Folgen. Wer hätte bis dahin einen Einsatz in Afghanistan, fernab transatlantischer Bündnisgrenzen, für möglich Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Verteidigungsminister zu Guttenberg auf Flottenbesuch: Die deutsche Marine patrolliert vor Gaza und vor dem Horn von Afrika.

zen nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel sind. Auch diese neuen Realitäten mussten in unserem Land, in Politik und Gesellschaft erst verinnerlicht werden. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Hier ist politische Führung, hier ist aktives Gestalten in besonderem Maße gefordert. Die Notwendigkeit unseres sicherheitspolitischen Engagements muss erklärt, um Verständnis und Unterstützung muss geworben werden. Ende letzten Jahres haben die Staats- und Regierungschefs der NATO auf ihrem Gipfel in Lissabon ein neues Strategisches Konzept verabschiedet und damit die politischen und strategischen Grundlagen für die kommenden Jahre definiert. Und wieder ist Umdenken, ist Weiterdenken gefordert. Wieder geht es darum, unser sicherheitspolitisches Instrumentarium neu zu justieren und es auf die Herausforderungen von heute und morgen konsequent auszurichten. Cyberangriffe, Ressourcenknappheit und Piraterie sind nur einige der Bedrohungen, die neben den Internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die bisherigen, konventionellen Risiken treten. Kein Staat ist heute in der Lage, diesen sicherheitspolitischen Herausforderungen alleine zu begegnen. Erfolgreich sind wir nur im Verbund mit unseren Partnern, allen voran im Nordatlantischen Bündnis und in der Europäischen Union. Wir handeln gemeinsam. Es gilt die transatlantische Partnerschaft beständig zu erneuern und zu vertiefen und unsere Anstrengungen bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu verstärken. Nur so werden wir das volle Spektrum unserer Fähigkeiten nutzen können. Gemeinsam müssen wir entscheiden, was Sicherheit für unsere Nationalstaaten bedeutet und ihnen abverlangt.

33


Quelle: Bundeswehr

Quelle: Bundeswehr - René Marco Frank

Auch am Hindukusch geht es um die Sicherheit von Europa: Bundeswehr-Patrouille in Afghanistan.

Die Bundeswehr sichert im Auftrag der NATO den Frieden im Kosovo.

Wenn wir Frieden, Sicherheit und Demokratie erhalten und schützen wollen, müssen wir auf die sich ständig wandelnden Bedrohungen reagieren können. Hier bedarf es einer „Kultur der Verantwortung“, mit einer aktiv gestaltenden Sicherheitspolitik.

Sicherheitsvorsorge in Deutschland und für Hilfeleistungen im Katastrophenfall in Unterstützung unserer zivilen Kräfte, unverändert ein.

Die Sicherheitspolitik Deutschlands gründet sich dabei heute und in Zukunft auf drei wesentliche Erkenntnisse: Erstens: Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleuropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln besteht nicht mehr. Das kann angesichts des erweiterten europäischen Sicherheits- und Stabilitätsraums und der wachsenden Partnerschaft mit Russland auf absehbare Zukunft auch so bleiben. Zweitens: Landesverteidigung ist heute und in Zukunft primär Bündnisverteidigung an den und jenseits der äußeren Grenzen des Bündnisgebietes. Die Sicherheitsvorsorge für das Inland ist daneben weiterhin zu gewährleisten. Drittens: Sicherheitspolitik wird in Zukunft noch stärker in der Prävention von Krisen und Konflikten bestehen und Beträge leisten müssen zu deren

Die Erfahrungen zeigen: Die Bundeswehr ist noch nicht konsequent genug für ihre Aufgaben optimiert. Begrenzung. Dazu müssen unterschiedlichste Akteure zusammenarbeiten: Militär und zivile Organisationen, Entwicklungshilfe und humanitäre Organisationen. Duplizierungen müssen vermieden und Zusammenarbeit sinnvoll gestaltet werden. Um hierzu den notwendigen und zurecht geforderten Beitrag leisten zu können, wird die Bundeswehr konsequenter auf die Erfordernisse aktueller und absehbarer zukünftiger Einsätze ausgerichtet. Zeigen doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass sie trotz vieler Reformen noch nicht konsequent genug für ihre Aufgaben optimiert ist. Die bestehenden Defizite – eine zu geringe Anzahl verfügbarer Kräfte für den Einsatz, zu geringe Durchhaltefähigkeit, schwerfällige Entscheidungsprozesse und langwierige Verfahren – sind Ausdruck einer langjährigen dramatischen Unterfinanzierung und mangelnder organisatorischer Effizienz. Das müssen wir korrigieren. Wir brauchen reaktionsschnelle, multinational und in einem breiten Fähigkeitsspektrum einsetzbare Streitkräfte, die nachhaltig finanzierbar sind. Dies schließt die Befähigung zur Unterstützung auf nationaler Ebene, für die

34

In den nächsten fünf bis sieben Jahren entsteht eine neue Bundeswehr. Sie wird weiterhin in der Fläche präsent bleiben und fester Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben. Sie wird über einen Streitkräfteumfang von bis zu 185.000 Soldaten verfügen, davon bis zu 170.000 Zeit- und Berufssoldaten und sie wird als Organisation effizient und im Einsatz wirksam sein. An die Stelle der Wehrpflicht wird ein neuer Freiwilliger Wehrdienst treten. Junge Frauen und Männer erhalten ein attraktives Angebot für ein aktives Bürgerengagement, für einen angesehenen Dienst an unserer Gesellschaft. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist eine große politische Gestaltungsaufgabe. Dabei geht es um nichts geringeres als um unsere Sicherheit und um die Stärkung unserer Bündnisfähigkeit. Wir wollen das Beste für Deutschland: eine zukunftsfeste Bundeswehr, die in ihrem Einsatzwert zur Spitze in NATO und EU zählt und unser Land befähigt, auch künftig seiner internationalen Verantwortung gerecht zu werden und die Heimat zu schützen. Wir brauchen für die Neuausrichtung der Bundeswehr die Unterstützung aller Menschen in Deutschland, die Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Dafür setze ich mich ein. Die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben diese Unterstützung verdient. Und sie verdienen Anerkennung für Ihren Beitrag, den sie in der Heimat und oft unter großen Gefahren in den Einsätzen zum Schutz Deutschlands und unser aller Sicherheit erbringen. ■ Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Jahrgang 1971, ist seit Oktober 2009 Bundesverteidigungsminister, zuvor war er in Merkels Kabinett für einige Monate Wirtschaftsminister gewesen. Dem Deutschen Bundestag gehört der Oberfranke seit 2002 an. Bei der vergangenen Bundestagswahl erzielte er im Wahlkreis Kulmbach mit über 68 Prozent das bundesweit beste Ergebnis. Zu Guttenberg ist seit 1999 Mitglied der CSU. 2007 wurde er CSU-Bezirksvorsitzender, vor seiner Berufung in die Bundesregierung war er im Bundestag Außen-Experte der CDU/CSU-Fraktion sowie für kurze Zeit CSU-Generalsekretär.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


SICHERHEIT Christian Ehler

Kriminalität ist grenzenlos Parteiübergreifend arbeiten Abgeordnete an der europäischen Sicherheit

Die Europäische Union umfasst mehr als vier Millionen Quadratkilometer. Fast eine halbe Milliarde Menschen leben hier. Sie genießen die auf der Welt einmalige Freiheit, sich ungehindert zwischen 27 Staaten bewegen zu können. Grenzenlos können sie reisen, Waren transportieren und Ideen austauschen. Aber auch Gefahren und Gefährder, Krisen und Katastrophen setzen sich über Grenzen hinweg. Täterstrukturen der Organisierten Kriminalität schmuggeln Waffen, Rauschgift und Menschen. Überschwemmungen wie das Donau-Hochwasser, Wald- und Flächenbrände richten verheerende Schäden an. Cyber-Kriminalität ist per se grenzenlos. Die Sicherheit des europäischen Lebens-, Wirtschafts- und Wissenschaftsraumes ist die Aufgabe nationaler und europäischer Institutionen. Sie erfordert einen koordinierenden Rahmen, wie ihn die EU mit ihrer „Strategie der inneren Sicherheit“ vom November 2010 verfolgt.

Europa ist sowohl innerhalb als auch jenseits seiner Grenzen verwundbar. Zum Schutz der Menschen gilt es demnach, nationale Stärken zur Sicherheit der Gemeinschaft zu nutzen. Dieses Ziel verfolgt die 2007 von Abgeordneten des Europäischen Parlaments parteiübergreifend gegründete German European Security Association, kurz GESA. Sie fördert die zivile Sicherheitsarchitektur Deutschlands und Europas, engagiert sich als Forum für Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung sowie Vertretern aus Wirtschaft und Forschung. GESA-Workshops befassen sich etwa mit Katastrophenschutz und Energiesicherheit. Zuletzt brachte sie auf der 7. GESA-Konferenz „Raumfahrt für zivile Sicherheit“ Bedarfs-, Kompetenz- und Ideenträger zusammen. Bayern ist ein wichtiger Standort vieler Behörden, Firmen und wissenschaftlicher Einrichtungen, die sich wie die GESA für die zivile Sicherheit einsetzen. So wird der Bundesnachrichtendienst die technische Aufklärung weiterhin aus Pullach steuern. Aus dem Kreis der GESA beschäftigt Astrium in Taufkirchen fast tausend Mitarbeiter: sie entwickeln unter anderem moderne Kommunikationssysteme. Die IABG erarbeitet szenariBayerischer Monatsspiegel 158_2011

enspezifische Sicherheitsketten und das System ARGUS für das europäische Krisenmanagement. EADS realisiert den A400M für zivile und militärische Lufttransporte. In Oberpfaffenhofen vereint das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt acht wissenschaftliche Institute, zum Beispiel für Erdbeobachtungsund Navigationssysteme. Mit der vielseitigen Kompetenz ihrer Mitglieder aus Politik, Industrie und Wissenschaft bringt sich die GESA vermittelnd in die nationale und europäische Sicherheitsforschung ein. Im EU-Sicherheitsforschungsprogramm stehen bis 2013 Projektmittel von 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Allein die erste Förderperiode des Forschungsprogramms für zivile Sicherheit des Bundesbildungsministeriums umfasst über 120 Millionen Euro. Europa ist sowohl innerhalb als auch jenseits seiner Grenzen verwundbar. Mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und des Deutschen Bundestags setzt sich die GESA dafür ein, nationale Sicherheitsinteressen zu formulieren und gezielt in den europäischen Dialog einzubringen, um die Freizügigkeit und die Sicherheit der Bürger Europas langfristig zu gewährleisten. ■

Dr. Christian Ehler, gebürtiger Münchner, ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments und dort Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe. Der 47-Jährige ist Vorstandsvorsitzender der GESA, einem parteiübergreifenden Zusammenschluss von Abgeordneten. Von 1999 bis 2004 gehörte er dem Brandenburger Landtag an.

35


SICHERHEIT Eberhard Piltz im Gespräch mit Wolfgang Ischinger

Vertrauen schafft globale Sicherheit 47. Münchner Sicherheitskonferenz: Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Sicherheitsgemeinschaft Die 47. Münchner Sicherheitskonferenz, vom 4. bis 6. Februar traditionsgemäß im Hotel Bayerischer Hof, steht im Zeichen erheblicher Veränderungen der globaler Machtbalance sowie beständig wachsender terroristischer Bedrohungen weltweit. Im Gespräch mit dem Bayerischen Monatsspiegel analysiert Wolfgang Ischinger, der Chef der „SiKo“, die aktuelle Lage und erläutert die Fragen, die das diesjährige Treffen beschäftigen werden: Cybersecurity, nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Auswirkungen der Wirtschaftsund Finanzkrise auf die globale Sicherheitslage sowie die schwindende politische Gestaltungs- und Legitimitätskraft des Westens. Das Gespräch führt der frühere ZDF-Korrespondent Eberhard Piltz.

Eberhard Piltz: Die Münchner Sicherheitskonferenz könnte man mit der Arbeit von Meteorologen vergleichen: Es werden Hochund Tiefdruckgebiete analysiert, es werden Temperaturen gemessen, Stürme vorhergesagt und daraus wird ein Bild gewonnen, das eine Prognose ermöglichen soll. Wie ist die sicherheitspolitische Großwetterlage diesmal? Wolfgang Ischinger: Sie stellt sich als eine Lage dar, in der es am Horizont doch einige erfreuliche Aufheiterungen gibt, aus denen sich hoffentlich ein allgemeines geopolitisches Hochdruckgebiet entwickelt. Insbesondere die Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und Russland im Lauf der letzten eineinhalb Jahre hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Das bedeutet natürlich nicht, dass mit einer solchen besseren Verständigung

„Wie ist die sicherheitspolitische Großwetterlage?“: In seinem Münchner Büro steht Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, dem früheren Fernsehjournalisten Eberhard Piltz Rede und Antwort. Beide kennen sich aus Amerika, Ischinger war deutscher Botschafter, Piltz leitet das Washingtoner ZDF-Studio. Jetzt trafen sie sich wieder zum Interview für den Bayerischen Monatsspiegel.

36


SICHERHEIT auf der Nordhalbkugel die Konfliktprobleme, mit denen wir uns seit Jahren bei der Münchner Konferenz beschäftigen müssen, gelöst sind. Aber sie lassen sich vielleicht in den kommenden Monaten und Jahren ein kleines bisschen leichter lösen. Das wäre die Hoffnung. Ich spreche von der Nahostfrage genauso wie von der Bewältigung oder Beendigung des Afghanistan-Engagements und der Bereinigung der Frozen Conflicts auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, aber auch nach wie vor von den noch ungelösten stabilitätspolitischen Problemen auf dem Balkan. Piltz: Die Kongresswahlen im letzten Herbst haben gezeigt, dass sich der amerikanische Präsident und damit Amerika in einer sich abschwächenden Position befindet. Er ist durch den Verlust der Mehrheit im Kongress nicht nur innenpolitisch geschwächt, sondern auch international ist von den riesengroßen Erwartungen, die die Welt an diesen Anti-Bush gesetzt hat, nicht allzu viel übriggeblieben. Abgesehen von einigen wundervollen Reden zeigt sich Obama als ein Verwalter einer sich im Abschwung befindlichen Supermacht. Kann aus dieser Veränderung eine dramatische Situation entstehen? Ischinger: Ich sehe zwei Probleme. Zum einen ist die Sorge berechtigt, dass der Kurs von Präsident Obama, die Verständigung mit Russland insbesondere auch in der Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik, Stichwort START, zu suchen, von einem Kongress, der ihm jetzt mehrheitlich nicht mehr zugewandt ist, nicht

Der Sicherheitsrat repräsentiert die Weltbevölkerung nicht mehr adäquat. mitgetragen und sogar blockiert werden könnte. Als das andere Problem sehe ich, dass niemand so dramatisch von den weltpolitischen Veränderungen, die sich abzeichnen, betroffen sein wird, wie die amerikanische Supermacht. Die amerikanische Elite hat sich zu Beginn dieses Jahrtausends als die die Welt dirigierende Supermacht selbst definiert. Sie empfand sich sozusagen als den guten Hegemon. Bei Lichte betrachtet ist davon 10 Jahre später nicht so viel übriggeblieben. Verglichen mit Amerikas ungeheurem Schuldenberg zeigen andere Mächte wie China, Indien oder Brasilien schon allein durch ihr dramatisches Wirtschaftswachstum, dass sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geostrategisch große Veränderungen abzeichnen. Das wird der amerikanischen Bevölkerung und der amerikanischen Politik ein ganz anderes Bekenntnis zu Partnerschaften abfordern. Amerika steht vor der Frage, ob auch angesichts der beschränkteren finanziellen Möglichkeiten das weltweite militärische Engagement in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufrechterhalten werden kann. Ich denke, Präsident Obama hat die richtigen Akzente gesetzt, indem er betonte, dass Amerika Partnerschaften suchen muss, sowohl im Pazifi k wie auch über den Atlantik. Aber das Bewusstsein in der Bevölkerung ist sehr stark, dass Amerika die größte, die einzige, die ganz besondere Nation mit einem Sendungsbewusstsein ist. Das wird es schwer machen, die Einsicht in die Notwendigkeit von Kompromissen zu fördern.

ten. Ich denke aber, das ist nach der Auffassung auch einer großen Mehrheit heute in der Tat keine reale Option mehr. Die finanzielle, wirtschaftliche und politische Vernetzung Amerikas mit Europa und dem pazifischen Raum ist so groß, dass ein Rückzug auf das amerikanische Festland nicht mehr funktionieren könnte. Piltz: Aber wenn dann Kooperation und Zusammenarbeit die Lösung sein muss, dann stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Institutionen dafür geeignet sind, eine neue Ordnung zu schaffen? Ischinger: Das ist die große Aufgabe. Der Reform der bestehenden internationalen Strukturen und Organisationen hat sich der Westen bisher nur zaghaft zugewandt. Ich denke, es geht hier nicht nur um die Frage der Effizienz und der Funktionsfähigkeit, es geht auch um die Frage der Legitimation. Gerade wir in Europa sollten angesichts unserer vorhersehbar abnehmenden eigenen Rolle unser Interesse darauf richten, eine globale Ordnung zu haben, die sich auf legitime anerkannte Strukturen stützt. Dazu muss man sich mit der Frage beschäftigen, ob beispielsweise der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch diese Legitimität beanspruchen kann, wenn ihm als ständiges Mitglied das Vereinigte Königreich, nicht aber Indien angehört. Das kann im 21. Jahrhundert nicht mehr stimmen. Es fehlen in diesem Gremium Japan, Indien und wohl auch Brasilien, um die Weltbevölkerung auch nur annähernd adäquat zu repräsentieren. Ähnliche Defizite können Sie beim Internationalen Währungsfond und bei der Weltbank feststellen, wo die Abstimmungsmodalitäten eher die Realitäten des Jahres 1960 als die des Jahres 2010 widerspiegeln. Piltz: Immerhin hat sich als eine neue Institution die G20 entwickelt, wenn es auch nur ein Beratungsgremium ist. Ischinger: Es ist sehr erfreulich, dass innerhalb von zwei Jahren der Sprung vom bisherigen Kreis der G7 und G8 auf G20 vollzogen werden konnte. G20 ist ein richtiger Schritt, ersetzt aber nicht die überfälligen Reformen der globalen Institutionen, insbesondere der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates. Das drängendste Thema aber ist die nukleare Nichtverbreitung. Zwar hat sich die internationale Gemeinschaft mit der Wiener Internationalen Atomenergiebehörde vor Jahrzehnten ein Instrument geschaffen, doch das war zu einer Zeit, als man nicht befürchten musste, dass Staaten wie Nordkorea oder Iran versuchen würden, selbst eine militärische Nuklearfähigkeit zu erwerben. Diese Organisation müsste ganz andere Kontrollverifizierungs- und Durchsetzungs„Ein richtiger Schritt“: G20 wurde zu einem weltumspannenden Gremium (hellblau die Länder, die durch die EU vertreten werden).

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

© Marcin N

Piltz: Eine mögliche Reaktion wäre ja auch die bekannte amerikanische Reaktion des Rückfalls in den Isolationismus. Oder ist das heutzutage nicht mehr möglich? Ischinger: Diese Gefahr ist sicherlich da. Diese Idee wird ja auch im amerikanischen Kongress von dem einen oder anderen vertre-

37


SICHERHEIT rechte für sich in Anspruch nehmen können, um die Nichtverbreitung von nuklearem Material als ein erstrangiges Ziel für die ganze Welt zu definieren. Piltz: Eine Institution, die sich reformieren will, ist die NATO. Was wird ihre neue Rolle sein? Soll sie Weltpolizist werden? Ischinger: Die Diskussion über Ziel, Wesen und Aufgabe der NATO hat nach dem strategischen Gipfel Ende 2010 dazu geführt, dass die NATO auch in Zukunft als ein Verteidigungsbündnis definiert wird, auch wenn sich heute kein Europäer mehr von seinem Nachbarn militärisch bedroht fühlt. Die eigentliche Aufgabe des Bündnisses wird es aber in den kommenden Jahren sein, einen Beitrag dazu zu leisten, dass wir die Mahnung ernst nehmen, die der damalige Bundespräsident von Weizsäcker am Tag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ausgesprochen hat. Er sagte, wir müssen darauf achten, dass die Westgrenze der Sowjetunion, die es damals noch gab, nicht zur neuen Ostgrenze Europas wird. Das war ein Plädoyer für ein vereinigtes und friedliches Europa. Auf diesem Weg sind wir zwar, doch der Weg ist noch weit. Denken Sie an den Platz Weißrusslands in der europäischen Ordnung, oder an die Frage, wo sich Kasachstan, Kirgisien, die Ukraine in der europäischen Ordnung befinden.

zwischen der NATO und Russland beschließen soll. Bisher ist davon nichts zu sehen gewesen. Das heißt: Dieses Gremium ist seiner Aufgabe, Gemeinsamkeit herzustellen und Vertrauen zu bilden, bisher nur marginal gerecht geworden. Piltz: Da stellt sich natürlich die Frage, warum dann nicht Russland in die Nato aufnehmen? Ischinger: Diese Frage wird seit den 90er Jahren immer wieder aufgeworfen. Ich denke, die NATO sollte diese Frage unter keinen Umständen negativ beantworten. Realistischerweise müssen wir uns aber auch klar darüber sein, dass auch aus russischer Sicht eine russische NATO-Mitgliedschaft nicht für morgen früh auf der Tagesordnung steht. Ich halte es aber für richtig, wenn die NATO ganz kategorisch die Tür für neue Mitgliedschaften über Georgien und die Ukraine hinaus, denen man die Mitgliedschaft schon prinzipiell und grundsätzlich angeboten hat, offen hält für alle, die die Kriterien erfüllen. Also im Prinzip auch für Russland. Und

Diese Staaten, zumeist Folgeerscheinungen des Zerfalls der Sowjetunion, haben keinen definierten Platz in einer europäischen Ordnung. Die NATO muss sich also die Frage gefallen lassen, welchen Beitrag sie leisten kann, damit sich hier nicht auf dem Weg zu einer umfassenderen gesamteuropäischen Sicherheitsgemeinschaft neue Trennlinien verfestigen. Wir haben vor Jahrzehnten die damalige KSZE und spätere OSZE gegründet. Sie ist die einzige Organisation, die alle Staaten von Europa über Nordamerika bis hinein nach Asien umfasst. Sie tut sich aber sehr schwer mit Entscheidungen, weil sie nur einstimmig entscheiden kann. Deshalb ist es notwendig, dass die NATO, die Europäische Union und die OSZE Schritte ergreifen, um insbesondere auch der Russischen Föderation Mitwirkungsmöglichkeiten zu eröffnen und um den Staaten in dem Zwischenbereich einen Platz zu ermöglichen, der sie nicht im Schatten der gegenwärtigen Organisationen stehen lässt. Ich denke, dies wird ein langer Prozess über Jahre sein. Das Ziel muss eine europäisch-atlantische Security Community sein, in der alle Sitz und Stimme erhalten. Piltz: Wäre es gut, Russland an den geplanten, möglicherweise im Entstehen begriffenen Raketenabwehrschild der NATO zu beteiligen? Ischinger: Das wäre ein erfreulicher Schritt, der vor allem Vertrauen bilden könnte zwischen den militärischen Organisationen in Russland und im Westen. Aber für sich alleine genommen, wäre es kein hinreichender Schritt. Wir brauchen viele solcher vertrauensbildenden Maßnahmen im Bereich der Abrüstung, der Rüstungskontrolle, der militärischen Zusammenarbeit und wir brauchen einen NATO-Russland-Rat, der seiner Aufgabenstellung gerecht wird. Wir haben schon vor fast 10 Jahren beschlossen, dass der sogenannte NATO-Russland-Rat nicht nur gemeinsame sicherheitspolitische Problemstellungen beraten soll, sondern dass er gemeinsame Entscheidungen und gemeinsame Aktionen

38

Foto: Antje Wildgrube

Die NATO muss Russland Mitwirkung ermöglichen.

Sicherheitskonferenz 2007: Wladimir Putin, damals noch russischer Präsident, nutzt das das Treffen zu einer Demonstration der geopolitischen Stärke seines Landes.

dann wird man die weitere Entwicklung und auch die russischen Entscheidungen in Richtung Westen abwarten müssen. Piltz: Es wäre ja eine fast historische Chance, Russland näher in die euroatlantischen Sicherheitsstrukturen einzubinden. Sehen Sie dafür ein nur begrenztes Zeitfenster? Ich denke an die russischen Präsidentschaftswahlen und an die Wahlen zur Duma. Ischinger: In der politischen Debatte in Moskau und zwischen Russland und dem Westen ist deutlich zu sehen, dass es in Moskau natürlich auch Leute gibt, die nur darauf warten, dass der Rüstungskontrollprozess doch noch scheitert und man daraus dann den Beweis ableiten kann, dass den Amerikanern bei der Absicht, die Nuklearrüstung weiter herunterzufahren, eben doch nicht in vollem Umfang zu trauen ist. Insoweit stimme ich der These zu, dass es hier eine wichtige historische Gelegenheit gibt. Würde das START-Abkommen in der Duma wie im amerikanischen Kongress ratifiziert, wäre das nach der Vorstellung beider Regierungen nur ein erster Zwischenschritt. Es sollten dann massivere Reduzierungen der nuklearen strategischen Rüstung folgen und es sollten dann die sogenannten taktischen Nuklearwaffen angepackt werden, die gerade für uns Europäer nach wie vor ein Unsicherheitselement darstellen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Piltz: Das konkrete Nahziel ist, den Iran daran zu hindern, sich zur atomaren Macht aufzurüsten. Zuckerbrot und Peitsche, Sanktionen und Drohungen mit möglicher militärischer Intervention oder weitere Versuche, die Führung in Teheran zum Einlenken zu bewegen – wie kann das ausgehen? Ischinger: In diesem Fall sind Sanktionen durchaus ein richtiges und notwendiges Instrument. Es kann aber immer nur das zweite Instrument sein, das erste Instrument müssen die Anreize sein.

Soweit das iranische Nuklearprogramm bekannt ist, lässt es nur einen Schluss zu: Teheran strebt die Atombombe an.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Foto: Kai Moerk

Piltz: Wir haben das Thema Proliferation schon kurz angesprochen. Wenn wir eine Prioritätenliste der Gefahrenmomente aufstellen sollten, steht dieses Thema ganz oben, eng verbunden mit der Frage nach der Atombewaffnung des Iran und wie sie verhindert werden kann. Ist die Proliferation, auch im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus, die größte Gefahr, die im Augenblick unserer Erde droht? Ischinger: Dass die Risiken der nuklearen Proliferation zu den ganz großen globalen Sorgen zählen, steht außer Frage. Die Sorge ist konkret, dass nukleare Sprengköpfe in die falschen Hände geraten könnten. Das Horrorszenario wäre, dass taktischen Nuklearwaffen, von denen es insbesondere in Russland Tausende gibt, in die Hände fundamentalistischer, terroristischer Gruppen geraten könnten - mit unabsehbaren Folgen. Schon die Drohung mit einer Dirty Bomb, die ein größeres urbanes Gebiet in Westeuropa oder in den USA radioaktiv verseuchen würde, ist ein kaum vorstellbares Horrorszenario, mindestens genauso schrecklich wie die Vorstellung eines implodierenden Nuklearreaktors. Deswegen ist es alternativlos richtig, dass man sich nicht bei der NATO und den westlichen Regierungen, sondern auch bei der G20 darauf verständigt hat, die Bekämpfung der Proliferation als eines der zentralen Themen zu definieren. Um diesem Bemühen Rückhalt zu verleihen, ist es auch wichtig, dass die Nuklearstaaten ihre eigenen Verpflichtungen aus dem sogenannten Nuklearnichtverbreitungsvertrag von 1968 ernst nehmen, der sie zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Insoweit hängt die Global Zero Vision von US-Präsident Obama und seinem russischen Kollegen Medwedew durchaus unmittelbar zusammen mit der Glaubwürdigkeit einer Nichtverbreitungspolitik, die die Zahl der Nuklearwaffen abzurüsten voranbringt und an dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt arbeitet.

Peinlicher Auftritt im vergangenen Jahr: Der damalige iranische Außenminister Manuchehr Mottaki zog eine bizarre Propagandashow ab.

Der Anreiz muss darin bestehen, dem Iran vor Augen zu führen, was alles passieren würde, wenn die iranische Seite sich an die eigenen Verpflichtungen nach dem Nichtverbreitungsvertrag gegenüber der internationalen Atomenergiebehörde IAEO halten würde. Das würde zum Beispiel die Chancen des Iran auf den Weltmärkten ungemein erhöhen. Es ist für uns nicht immer ganz einfach, nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die iranische Seite bei den Verhandlungs- und Diskussionsversuchen doch immer wieder stecken bleibt. Was können wir in dieser Lage tun? Wir müssen dem Iran eine Perspektive bieten und sehr deutlich ausbuchstabieren, dass ein vertragstreuer Iran als anerkanntes

Der Horror wären Nuklearwaffen in Terroristenhänden. Mitglied der internationalen Gemeinschaft natürlich ein Kernkraftwerk in Busher betreiben kann. Das iranische Programm, so wie es uns bekannt geworden ist, lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu, als den, dass diese großen Anstrengungen nur dann Sinn machen, wenn man auch militärische Zielsetzungen damit verfolgt. Die iranische Seite muss daher ihre Versuche zur Vertrauensbildung in ganz anderer Weise darstellen. Hier fehlt besonders ein intensiver bilateraler Dialog zwischen der iranischen und der amerikanischen Seite. Dieses Gespräch wird seit der Botschaftskrise vor über 30 Jahren nicht mehr geführt. Gibt es eine Chance, den Iran wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, wird dies nur erreichbar sein, wenn die USA zu einem strategisch-politischen Deal mit dem Iran bereit sind. Zu Recht oder zu Unrecht nimmt der Iran für sich in Anspruch, als alte Hochkultur eine besondere Rolle in dem strategischen Raum des Nahen und des Mittleren Ostens zu haben. Diese Rolle werden wir dem großen und wichtigen Land nicht absprechen können. Wir werden auch anerkennen müssen, dass der Iran gute Gründe hat, sich Sorgen über seine eigene Nachbarschaft zu machen. Wir haben im Westen zum Teil vergessen, dass der Iran in den 80er Jahren vom Irak unter Einbeziehung von Massenvernichtungswaffen wie Giftgas angegriffen wurde und der Westen keinen Finger gehoben hat. Niemand kam dem Iran zur Hilfe, auch in der Nachbarschaft rührte sich niemand. Deshalb habe ich einiges Verständnis für das iranische Gefühl „Wir müssen uns selber helfen“. Sollte das amerikanisch-iranische Gespräch gelingen, führt das nicht automatisch zu einer Verbesserung der Lage. Es ist aber eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt die Chance für einen strategischen Deal in dieser Region zu haben. Und natürlich hängt mit der iranischen Frage die Nahostfrage zumindest mittelbar 씮 zusammen.

39


Foto: Ryan Rodrick Beiler

Foto: Harald Dettenborn

Auf der weltweit wichtigsten Sicherheitskonferenz ist auch die neue Großmacht China hochrangig vertreten, 2010 mit Außenminister Yang Jiechi (Bild).

Europa hat als unmittelbarer Nachbar im Nahen und Mittleren Osten mehr zu verlieren oder zu gewinnen als die USA.

Piltz: Auch im Nahost-Konflikt scheinen die USA festgefahren? Sind alle Hoffnungen auf eine friedliche Zweistaatenlösung zu begraben? Ischinger: So pessimistisch wäre ich nicht. Ich würde die Hoffnung nicht aufgeben. Die neue amerikanische Administration hat sich hier große Ziele gesetzt. Ich bin sicher, dass die amerikanische Regierung ihre Bemühungen fortsetzen wird. Nach meinen Eindruck hat sich Hillary Clinton persönlich vorgenommen, in dieser Sache in den kommenden Monaten selbst eine aktive Rolle zu spielen.

Wachstumsraten kann man tatsächlich ins Grübeln geraten, ob das westliche Modell das zukunftsträchtigere ist gegenüber dem Modell, das in Teilen Asiens doppelt und dreifach höhere Wachstumsraten bringt. Gleichwohl dürfen wir unsere Grundüberzeugungen nicht zur Disposition stellen. Ich bin überzeugt davon, dass das westliche Modell allen anderen Modellen überlegen ist, weil es von der Grundvorstellung ausgeht, dass der Kern aller Aktivitäten die Würde, der Schutz und die Entfaltung des Einzelnen ist. Bei China ist die Frage, ob nicht zwischen der Ansammlung materieller Güter einerseits und der beschränkten Entfaltungsmöglichkeit des Einzelnen ein Grundkonflikt angelegt ist. Ich sehe in unserem System das nachhaltigere, dauerhaftere und schlussendlich auch historisch überlegenere. Aber wir dürfen nicht die Hände in den Schoß legen und uns zufrieden geben mit durchschnittlichen Wachstumsraten von einem oder zwei Prozent. Auch wenn wir schon wegen der abnehmenden Bevölkerung in Deutschland mit Wachstumsraten von sechs, sieben und acht Prozent wie in China oder Indien, wo sich eine junge Bevölkerung alle 20 Jahre verdoppelt, nicht konkurrieren können. Bei uns sind wegen der demographischen Entwicklung grundsätzlich andere Weichenstellungen gefragt. Für uns stellt sich zum Beispiel immer dramatischer die Frage nach einer umfassenderen und zielgerichteten Einwanderungspolitik.

Piltz: Es wirkt manchmal so, als tanze die Politik Israels der amerikanischen Intention auf der Nase herum. Ischinger: Diesen Eindruck kann man haben. Doch es gibt auch die Hoffnung, dass sich in Israel über kurz oder lang eine Art Großer Koalition entwickeln könnte. Ob das die Verhandlungsbereitschaft beflügeln würde, vermag ich nicht zu sagen. Wir

Europa in die Verhandlungen im Nahen Osten besser einbinden. Europäer tun aber das Richtige, wenn wir die amerikanischen Bemühungen unterstützen. Allerdings nicht nur in der Rolle des Zahlmeisters, sondern in dem Bewusstsein, dass Europa als unmittelbarer Nachbar des Nahen und Mittleren Ostens wahrscheinlich sogar mehr zu verlieren oder zu gewinnen hat von einer Nahost-Lösung oder einer Nahost-Katastrophe als die USA. Und deswegen ist es aus meiner Sicht nicht akzeptabel, wenn bei den Verhandlungsversuchen, wie kürzlich in Washington geschehen, die europäische Vertreterin Baroness Ashton nur zum Abendessen eingeladen wird, bei den eigentlichen Verhandlungen aber außen vor bleiben soll. Das ist nicht die Art, mit der man Europa als adäquaten Partner einbezieht, und das sollte hoffentlich bei einer nächsten Runde anders laufen. Piltz: Das berührt wieder die eingangs gestellte Frage nach dem Zustand der Supermacht Amerika. Ich möchte sie erweitern um eine, grundsätzliche Komponente mit immensem sicherheitspolitischen Sprengstoff: Gilt weiterhin unsere Vorstellung, dass die westliche demokratische Organisationsform von Staat und Gesellschaft allen anderen überlegen ist? Wir haben den ökonomischen Wettbewerb und damit auch den ideologischen mit dem kommunistischem Wirtschaftssystem gewonnen, aber sieht es nicht so aus, als wären wir nun unterlegen gegenüber autoritären Regierungsformen, die sich jedoch durchaus kapitalistischer Methoden bedienen, wie der Aufsteiger China? Ischinger: Das westliche Modell ist in eine Glaubwürdigkeitsund Legitimationskrise geraten, nicht zuletzt durch die Finanzkrise und ihre Folgen. Bei oberflächlicher Betrachtung aktueller

40

Piltz: Eine abschließende Frage zur bevorstehenden Münchner Sicherheitskonferenz. Im vergangenen Jahr stand sie unter dem Leitmotto „No more Excuses“, wie wird es für die Sicherheitspolitik des Jahres 2011 lauten? Ischinger: Mir erscheint sinnvoll, die kommende Konferenz unter das Motto zu stellen „Auf dem Wege zu einer umfassenderen europäischen Sicherheitsgemeinschaft.“ Der NATO-Gipfel in Lissabon, bei dem sich Russland und der Westen auf eine engere Zusammenarbeit verständigt haben, ist ein Signal, dass in München das wachsende Vertrauen zwischen Moskau und der NATO verstärkt werden kann, sofern den Worten nun konkrete Taten folgen. Das Bekenntnis muss hier heißen: Die Vereinigten Staaten, Europa und Russland müssen als eine lebendige Sicherheitsgemeinschaft eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung einer zunehmend fragmentierten internationalen Ordnung spielen. Aber auch in anderen Bereichen müssen Taten folgen. Daher werden wir uns auf dieser 47. Münchner Sicherheitskonferenz mit Fragen zur Cybersecurity, der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung sowie den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Sicherheitspolitik und der marginalisierten politischen Gestaltungs- und Legitimationskraft des Westens beschäftigen müssen. Immer deutlicher wird, dass im 21. Jahrhundert Sicherheitspolitik neu gedacht werden muss – und hier kann die Münchner Sicherheitskonferenz entscheidende Impulse setzen. ■

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


SICHERHEIT Joachim Herrmann

Ohne Sicherheit ist keine Freiheit Bayern verbindet Sicherheit, Datenschutz und Freiheitsrechte vorbildlich miteinander

© Bayerische Polizei

Gewa Ge wapp wa pppneet fü für de für den n Errns nstf tffal all:l:l Bei em Tagg deer offfe Ta fene neen Tü ür de d mo mons nstr ns trie tr iert ie rt ddie iee Polililize Po zeei,i wie sie mit Pissto tole le und Hun u d eine ei neen Ve Verb rbre rb r ch re cher er iim m Za Zaum um häl ält. t.

Onli On liine ne-D -Dur Durch chsu such chung, chun ung, aut un u om omat atis at isie is iert ie rtte Ke rte Kenn nnze nn zeic ze iche ic hene he nerk ne rk ken nnung nu n ode d r Vi Vide d oü de oübe be erw rwac achu ac hung hu ng g – bei die iese iese sen n Sc Schl hlag agwo ag wort wo rtten e tauc ta uche uc h n in he nd der er Ö Öff ffen ff entl en tlic tl ichk ic hkei hk eitt im ei imme merr wi me wied eder ed e Bef er efür ürch ür chtu ch tung tung ngen en a f:: Der au er Sta taat at a als ls „„Bi Biig Br Brot othe ot her“ he r“ ode derr de er „G „Glä läse lä sern se rne rn e Bü Bürg rger rg e “.. er D es Di ese eS So org r en g gil iltt es ern il rnst st zu ne nehm h en hm en.. Diie pe pers rsön rs önli ön lich li c e ch Frei Frei Fr e he eitt ist s e ein in u unv nver nv erzi er zich zi ch htb tbar ares ar es R Rec eccht htsg sg gut ut,, da dass es e ent nt-nt schl sc h osssse hl en zu z ver erte teid te idig id igen ig e gillt. en t Ein fun unda dame da m nt me ntal aler al er W Wer ertt un er und d eine ei ne u una nabd na bd din ingb gbar a e Vo ar Vora raus ra usse us setz se tzun tz ung un g fü fürr in indi d vi di vidu duel du elle el le Fre eih ihei eitt ei istt ab is aber er aucch di d e Si Sich c errhe ch heit it,, di it d e un unse se er Re R ch chts tsst ts staa st aatt se aa ein inen en Bürg Bü rger rg erin er in nne nen n un und Bü und Bürg Bürg gern errn ge gewä wäh wä ähr hrle rle leis eis i ten ten muss te muss mu ss.. De Derr mo mode erne R Rec echt ec h ss ht ssta taat ta at trä at r gt V Ver eran er antw an twor tw orrtu ung n für d die ie S Sic icche erh rhei eiit wi we f r di fü d e Fr F eiihe heit heit it se eiine nerr Bü Bürg rger rg er.. er

41


SICHERHEIT

Dank unserer bewährten Sicherheitsstrategie ist der Freistaat Bayern das sicherste Land in der Bundesrepublik Deutschland. Dies belegt die Polizeiliche Kriminalstatistik seit vielen Jahren eindrucksvoll. Auch im Jahr 2010 konnten wir nahtlos an unsere ausgezeichneten Werte der Vorjahre anknüpfen. In Bayern leben die Menschen sicherer als anderswo. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen bleiben dabei weiterhin sehr groß. Die beiden Sprengstoffpakete aus dem Jemen und das versuchte Selbstmordattentat in Stockholm haben uns erst jüngst wieder die Gefährlichkeit von Terrornetzwerken wie Al Qaida drastisch vor Augen geführt. Unsere Sicherheitsbehörden brauchen ein geeignetes rechtliches Instrumentarium gegen diese menschenverachtenden Extremisten. Es ist deshalb unerlässlich, dass wir im konkreten Einzelfall auch verdeckt auf Computer von Terrorverdächtigen zugreifen können. Das Internet ist längst zur Drehscheibe für die Anwerbung von Attentätern und radikalen Islamisten geworden. Es wäre fatal, wenn wir im Kampf gegen den internationalen Terrorismus hinterherhinken würden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nicht schrankenlos garantiert wird. Drogenkuriere, Menschenhändler, Autoschieber: Dank der Schleierfahndung zieht die Polizei reihenweise Kriminelle aus dem Verkehr.

42

In den Koalitionsverhandlungen von CSU und FDP konnten wir für Bayern erfreulicherweise erreichen, dass OnlineDurchsuchungen grundsätzlich möglich sind, um konkrete Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter abzuwehren. Die Befugnisse zum verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme orientieren sich dabei streng an den Vorgaben des obersten deutschen Gerichts. Die Grundrechte unserer Bürger bleiben durch enge Eingriffsvoraussetzungen und viele verfahrensrechtliche Sicherungen voll gewahrt. Die OnlineDurchsuchung ist „ultima ratio“ im Kampf gegen den Terrorismus. Auch hier wird deutlich, dass wir uns im Spannungsfeld Innere Sicherheit – Datenschutz sehr sensibel bewegen. Wenn wir den Terrorismus und andere Formen der Schwerkriminalität effektiv bekämpfen wollen, führt auch an der gesetz-

Nirgendwo in Deutschland leben die Menschen so sicher wie im Freistaat Bayern. lichen Verankerung von Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten kein Weg vorbei. Wir brauchen dieses Instrument überdies, um etwa Amokläufe oder Suizidversuche, die zuvor im Internet angekündigt werden, zu verhindern. Auch insoweit lässt uns das Bundesverfassungsgericht durchaus Spielraum für eine verfassungskonforme Ausgestaltung. Die Bundesjustizministerin ist deshalb aufgerufen, raschestmöglich eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen. Sicherheitslücken können wir uns hier keinesfalls leisten. Auch der grenzüberschreitenden Kriminalität gilt es wirkungsvoll zu begegnen. Wir haben deshalb frühzeitig Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Grenzkontrollen in die Wege geleitet. Es sind dabei nicht nur organisatorische „Schachzüge“, die sich im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und die internationale Bandenkriminalität auszahlen. Auch dank unserer erfolgreichen Schleierfahnder gelingt es uns immer wieder, Drogenkuriere, Menschenhändler oder Autoschieber dingfest zu machen. Es spricht für sich, dass wir 2009 mit einer Aufklärungsquote von mehr als 71 Prozent im grenznahen Raum noch deutlich über dem ausgezeichneten bayerischen Gesamtergebnis lagen. Schon in den 90er-Jahren haben wir unserer Polizei mit der Befugnis zu verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen ein wichtiges rechtliches Instrument an die Hand gegeben. Bayern hat mit der Schleierfahndung eine

© Bayerische Polizei

„Ohne Sicherheit ist keine Freiheit!“ Diesen Satz hat Wilhelm von Humboldt schon vor etwa 200 Jahren geprägt. Er ist heute vor dem Hintergrund terroristischer Anschläge und aktueller Meldungen über erschreckende Gewaltexzesse aktueller denn je. Wer Angst hat, Opfer einer Straftat zu werden, zieht sich zurück und traut sich nicht mehr auf die Straße. Sicherheit ist also in der Tat unerlässlich für ein Leben in Freiheit und Wohlstand. Sicherheit und Freiheit stehen nicht im Widerspruch zueinander. Sie bedingen sich vielmehr gegenseitig. Sie sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Für mich ist innere Sicherheit ein soziales Grundrecht, insbesondere auch des „kleinen Mannes“. Deshalb muss es sich ein wehrhafter Rechtsstaat zum Ziel setzen, die Bevölkerung wirkungsvoll vor Straftaten aller Art zu schützen, auch wenn dies im Einzelfall einen rechtsstaatlich legitimierten und mit Augenmaß durchgeführten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bedeutet.


© Bayerische Polizei

Moderne Technik ist für die Verbrechensbekämpfung unerlässlich. „Der unbescholtene Bürger hat nichts zu befürchten“, versichert Innenminister Joachim Herrmann.

gesetzgeberische Vorreiterrolle übernommen und sich auch vom Störfeuer der Opposition, die das Horrorbild eines „Fahndungsgroßraums Bayern“ an die Wand malte, nicht irritieren lassen. Inzwischen sind zahlreiche Bundesländer sowie der Bund selbst unserem Vorbild gefolgt. Die Akzeptanz bei der Bevölkerung war von Anfang an in hohem Maße vorhanden, zumal unsere Schleierfahnder mit sehr viel Fingerspitzengefühl zu Werke gehen und der unbescholtene Bürger nicht das Geringste zu befürchten hat. Zu einem unverzichtbaren Baustein bei der Abwehr von Kriminalitätsgefahren ist für die Bayerische Polizei auch die automatisierte Kennzeichenerkennung geworden. Sie hat sich insbe-

Bei der Schleierfahndung war Bayern Vorbild für viele andere. sondere zur Unterstützung der Schleierfahndung bewährt. Ich will ausdrücklich betonen, dass in Bayern bei der automatisierten Kennzeichenerkennung von Anfang an nur „Treffer“ gespeichert wurden, also niemals der unbescholtene Kraftfahrer. Auch hier wird deutlich, dass wir Sicherheit, Datenschutz und Freiheitsrechte harmonisch miteinander verbinden. Gerade bei gefährlichen Sexualstraftätern und anderen Gewaltverbrechern, die hinter Schloss und Riegel gehören, hat sich die Sicherungsverwahrung sehr bewährt. Vor dem Hintergrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) war hier allerdings eine Neuregelung erforderlich. Es freut mich, dass die Bayerische Staatsregierung inzwischen in Berlin einen guten Kompromiss erreichen konnte, auch wenn nicht alle unsere Forderungen erfüllt wurden. Am 2. Dezember 2010 hat der Bundestag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der europäischen Vorhaben genügt und gleichzeitig unsere Bevölkerung gebührend vor diesen Tätern schützt. Danach sollen gefährliche Sexual- und Gewalttäter, die aufgrund des EGMR-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Urteils aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen sind, bei Vorliegen einer psychischen Störung in eigenen gesicherten Einrichtungen mit spezifischen Therapieangeboten verbleiben können. Weiterhin ist vereinbart, dass die so genannte vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut wird. Der Richter kann damit im Urteil eine spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung bis zum Haftende offen halten. Schließlich wird die Führungsaufsicht für aus der Haft zu entlassende Straftäter gestärkt, insbesondere durch Einführung einer neuen Weisung, die die elektronische Aufenthaltsüberwachung einer verurteilten Person ermöglicht. Sehr bewährt sich in Bayern im Übrigen die bundesweit bahnbrechende „Haft-EntlassenenAuskunfts-Datei-Sexulatäter“ (HEADS). In diese Datei sind seit Oktober 2006 bereits mehrere hundert Sexualstraftäter, die wegen Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Tötungsdelikten mit sexuellen Tatmotiven oder unklarem Motiv verurteilt wurden, aufgenommen worden. Insgesamt gelingt es uns in Bayern nach meiner Überzeugung sehr gut, für Freiheit und Sicherheit gleichermaßen erfolgreich zu arbeiten. Wir werden auch weiterhin alles tun, um hier mit viel Verantwortungsbewusstsein, Engagement und Sorgfalt für eine optimale Balance zu sorgen. Die sprichwörtliche „Liberalitas Bavariae“ soll ebenso unser Markenzeichen bleiben wie der höchste Sicherheitsstandard in Deutschland. ■

Joachim Herrmann ist seit 2007 Staatsminister des Innern. Zuvor führte er vier Jahre lang die CSU-Landtagsfraktion. Dem Bayerischen Landtag gehört der Jurist seit 1994 an. Herrmann ist Vorsitzender des CSU-Bezirksverbandes Mittelfranken und Mitglied des CSU-Präsidiums.

43


SIC C HERHEIT Hans-Peter Uhl

Wenn Mörder gedeckt werden Das Fehlen einer Mindestspeicherfrist für Telekommunikationsverkehrsdaten ist ein Sicherheitsrisiko

Seit März 2010 fehlt den deutschen Sicherheitsbehörden ein wesentliches Instrument zur Gefahrenabwehr und zur Kriminalitätsbekämpfung. Damals hat das Bundesverfassungsgericht die konkrete gesetzliche Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung für nicht verfassungsgemäß erklärt. Eine Mindestspeicherfrist von Telekommunikationsverkehrsdaten besteht seither nicht mehr. Dies stellt die Polizei- und Ermittlungsbehörden vor große Probleme: Telekommunikationsverkehrsdaten stellen bei vielen Straftaten einen wichtigen und häufig den einzigen erfolgversprechenden Ermittlungsansatz. Nicht zuletzt für die Aufklärung krimineller Strukturen im Bereich der Organisierten Kriminalität und von terroristischen Netzwerken bräuchten die Sicherheitsbehörden Auskunft über Verkehrsdaten: Nur so ließe sich aufklären, mit wem ein auffällig gewordener Straftäter bzw. Tatverdächtiger zu welcher Zeit kommuniziert hat. Im engen Sachzusammenhang steht ein weiteres Problem: Zumal in bestimmten Bereichen der Internetkriminalität, etwa der Verbreitung von Kinderpornografie, ist die Tataufklärung anhand einer bekannt gewordenen IP-Adresse regelmäßig nicht

44


SICHERHEIT mehr möglich. Denn dazu bedarf es der Identifizierung der natürlichen Person, die hinter der dynamisch vergebenen IP-Adresse steht. Diese sogenannte Bestandsdatenauskunft ist als solche rechtlich unproblematisch – vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet – und nach wie vor zulässig. Allerdings läuft diese Recherche, da keine Verpflichtung zur Verkehrsdatenspeicherung besteht, regelmäßig ins Leere, weil ohne Verkehrsdaten die entsprechende Verknüpfung nicht mehr zurück verfolgt werden kann.

derliche Ermittlungsmaßnahme gewesen wäre. Wer dies im Ernst bestreiten will, muss sich schon gewaltige ideologische Scheuklappen aufsetzen. Wohlgemerkt: Diese Speicherung soll nicht durch Behörden, sondern ausschließlich bei den Telekommunikationsunternehmen – unter strengen technischen Standards – erfolgen, verbunden mit der automatisierten Löschung nach Fristende. Der Abruf der Daten durch die Ermittlungsbehörden soll nur in rechtsklar definierten Fällen schwerer Kriminalität zulässig sein.

Eine gesetzliche Mindestspeicherfrist wird um so notwendiger, je länger der Trend zu Pauschaltarifen sowohl im Bereich des Internets als auch bei der Telefonie anhält und die Verkehrsdatenspeicherung daher für Abrechnungszwecke zunehmend entfällt. Die Problematik wird im Folgenden an drei Beispielen deutlich: Die polnischen Behörden fahnden gegenwärtig europaweit nach einem Mörder. Der Flüchtige meldete sich regelmäßig bei seinem Account eines polnischen Sozialen Netzwerks an. Eine Liste der festgestellten IP-Adressen wurde mit der Bitte um Ermittlung der Kundendaten an die deutschen Behörden übermittelt. Eine Zuordnung war ohne die erforderlichen Verkehrsdaten jedoch nicht mehr möglich. Da die deutschen IP-Adressen bislang den einzigen Fahndungsansatz darstellten, konnte der Mörder bisher nicht identifiziert werden. Eine alleinstehende Rentnerin wurde von ihrer Tochter tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Es wurden deutliche Hinweise auf Fremd- bzw. Gewalteinwirkung festgestellt. Die Verstorbene hatte zuvor immer wieder verdächtige Telefonanrufe von einer bislang unbekannten männlichen Person erhalten, bei denen eine sexuelle Motivation im Vordergrund gestanden haben soll. Um den unbekannten Anrufer und möglichen Mörder zu ermitteln, wurde eine Auskunft zu allen auf dem Festnetz des Opfers eingegange-

Die Bundesjustizministerin wiegelt ab. Doch ihr Vorschlag ist keine taugliche Alternative. nen Anrufen beantragt – mangels gespeicherter Verkehrsdaten ohne Erfolg. Ein Täter konnte bis heute nicht ermittelt werden. Ein an einer Straßenböschung aufgefundenes Mordopfer konnte nach wenigen Tagen als 43-jähriger italienischer Staatsangehöriger identifiziert werden, der sich unangemeldet in Köln aufgehalten hatte. Durch italienische Behörden wurde mitgeteilt, dass das Opfer der Mafia nahe gestanden habe. Der Polizei gelang es, drei Monate nach der Tat, den möglichen Tatort und vier mögliche Tatbeteiligte zu ermitteln. Für die Beweisführung wäre es erforderlich, die Verkehrsdaten aller Verdächtigen auswerten zu können. Eine solche Auskunft war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht mehr möglich. Der Mord bleibt weiterhin unaufgeklärt. Mit diesen und zahlreichen weiteren Beispiele aus der polizeilichen Praxis lässt sich die Notwendigkeit der Verkehrsdatenspeicherung zwar nicht kriminalstatistisch belegen, weil niemand wissen kann, ob eine erfolgreiche Datenabfrage im einzelnen tatsächlich zur Aufklärung des Verbrechens geführt hätte. Offenkundig ist jedoch, dass eine solche Datenauswertung eine sachlich im höchsten Maß naheliegende, hilfreiche und somit erfor-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Auf der Jagd nach Schwerkriminellen wäre eine gesetzliche Mindestspeicherfrist äußerst hilfreich, ist CSU-Innenexperte Uhl überzeugt.

Doch die in der Verantwortung stehende Bundesjustizministerin wiegelt bislang ab und propagiert stattdessen das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren. Dieses anlassbezogene Einfrieren noch vorhandener Daten kann jedoch keine taugliche Alternative sein. Auf diesem Weg könnten immer nur die beim Telekommunikationsunternehmen noch vorhandenen Verkehrsdaten konserviert werden. Wenn dort aber wegen der Pauschaltarife regelmäßig keine Daten mehr gespeichert sind, können naturgemäß auch keine Daten „eingefroren“ werden. Auch wenn es nach Evaluierung durch die EU-Kommission zu Änderungen an den Datenschutzstandards, den Zugriffsrechten sowie bei der Höchstdauer der Speicherung kommen mag, wird es jedenfalls auch in Zukunft eine europarechtliche Verpflichtung zur Speicherung der Verbindungsdaten geben. Mit einer schnellen Neufassung könnte Deutschland sogar Vorbild für die Novellierung der EU-Richtlinie sein. Kurzum: Wir brauchen eine verfassungs- und europarechtskonforme Neuregelung für die Mindestspeicherung von Verbindungsdaten. ■

Dr. Hans-Peter Uhl ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestags und dort seit 2005 innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Zuvor war der CSU-Politiker elf Jahre lang als Kreisverwaltungsreferent Leiter der Sicherheitsund Ordnungsbehörde der Landeshauptstadt München.

45


SICHERHEIT

Reisen noch sicherer machen Übergriffe auf Bahn-Mitarbeiter nicht länger hinnehmbar Die Bahn ist Teil des öffentlichen Raums. Sie ist damit Spiegelbild der Gesellschaft – auch ihrer Schattenseiten. Damit werden auf Bahnsteigen und in Zügen auch die Konflikte ausgetragen, die sonst auf den Plätzen und Straßen der Städte und Gemeinden zu finden sind. Wo tagsüber viele Menschen auf dem Bahnsteig stehen, macht sich abends schnell ein Gefühl der Unsicherheit breit, weil man allein in der Bahn oder auf den Bahnhöfen unterwegs und es dunkel ist. Kriminologen kennen dieses Phänomen als Kriminalitätsfurcht-Paradox.

und geschützter Informationsaustausch zwischen Bundespolizei und Deutscher Bahn rund um die Uhr ermöglicht. Rund 160 Sicherheitsexperten der Deutschen Bahn, von Verkehrsverbünden, Polizei, Sicherheitsbehörden und anderen Unternehmen treffen sich bereits seit drei Jahren jährlich zur Sicherheitskonferenz der Bahn im Kaiserbahnhof Potsdam. Mit besonderer Sorge registriert die Konzernsicherheit Übergriffe gegen Mitarbeiter der Bahn im direkten Kundenkontakt in den Zügen und Bahnhöfen. Auch wenn die Zahl rückläufig ist (2009 wurden 836 Strafanzeigen erfasst, im ersten Halbjahr 2010 315 Fälle), so ist keine einzige dieser Taten hinnehmbar. Ein wesentlicher Ansatz zur Reduzierung von Gewalt ist es, neben einer personellen Präsenz, Videotechnik, der Repression sowie Deeskalations- und Verhaltenstrainings für Mitarbeiter der Bahn, einen Schwerpunkt auf die Präventionsarbeit zu setzen.

Foto: DB AG/Peter Brenneken

Parkanlagen, Parkhäuser oder eben auch Bahnhöfe sind mit Einbruch der Dunkelheit klassische Angsträume. Mit harten Zahlen lässt sich die Angst meist nicht begründen. Dennoch bleibt für viele zu diesen Zeiten ein mulmiges Gefühl. Aufgabe der Sicherheitsorganisation der Deutschen Bahn ist es nun, gemeinsam mit den Polizeien an einer hohen objektiven Sicherheit, die sich dann auch in der gefühlten Sicherheit widerspiegelt, zu arbeiten.

Präventionszug mit gemeinsamer Streife der Bundespolizei und der DB Sicherheit.

Wir wollen das Reisen mit der Bahn noch sicherer machen, denn jedes negative Ereignis ist eines zu viel. Die nationalen und regionalen Sicherheitskonzepte der Bahn setzen dabei auf ein Zusammenspiel von Organisation, Personal, Technik, Sicherheitspartnerschaften und Prävention. Die Sicherheits-Organisation des Unternehmens arbeitet eng mit den Polizeien der Länder, mit der Bundespolizei und den Sicherheitsbehörden zusammen. Die erfolgreiche Ordnungspartnerschaft zwischen der Deutschen Bahn AG und der Bundespolizei wurde im Jahr 2000 durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, zur Intensivierung der Zusammenarbeit unterzeichnet. Die Konzernsicherheit verfügt im zentralen DB-Lagezentrum über ein gemeinsames Sicherheitszentrum, in welchem die Bundespolizei ihre eigene Informationsstelle zur Bahnsicherheit unterhält. Durch diese enge Zusammenarbeit wird ein schneller

46

Die Deutsche Bahn hatte in den vergangenen Jahren bereits sehr gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Präventionsmitarbeitern in Schulen oder auch mit dem Einsatz eines Präventionszuges der Schweizerischen Bundesbahnen gemacht. Derzeit validiert die Konzernsicherheit die bisher zeitlich befristeten Projekte. Darüber hinaus baute die Konzernsicherheit der Deutschen Bahn ihre Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forum für Kriminalprävention (DFK) in diesem Jahr weiter aus. Wichtig ist eine frühzeitige und nachhaltige Präventionsarbeit, die an der Wurzel ansetzt. Präventionsarbeit muss einen Verhaltens- sowie einen Einstellungswandel erreichen, durch einen Wertewandel in der Gesellschaft. Gerade der Respekt vor anderen Menschen spielt hierbei eine zentrale Rolle. Auch Sicherheits- und Videotechnik ist Teil der Sicherheitskonzeption der Deutschen Bahn AG. Videoüberwachung wirkt präventiv. Sie hilft bei akuter Gefahr, Einsatzkräfte zu steuern und unterstützt Ermittlungen. Die Möglichkeiten der Video- und Sicherheitstechnik wird weiter zunehmen, wenn es erweitert möglich sein wird, durch Softwarelösungen verdächtige Handlungen oder Ereignisse vorzuanalysieren. Derzeit arbeitet ein Konsortium aus Wissenschaft und Industrie unter Beteiligung der Deutschen Bahn und der Bundespolizei an Lösungen, um zum Beispiel abgestellte Koffer oder Vandalismus zuverlässig zu detektieren. Aber, Sicherheitstechnik alleine wird keine Gewalttat Prof. Gerd verhindern. Das Wichtigste für Neubeck eine hohe tatsächliche und geist Leiter der Konzernfühlte Sicherheit ist und bleibt sicherheit bei die menschliche Präsenz, durch der Deutschen Polizisten, Sicherheitskräfte Bahn AG. und Mitarbeiter der Bahn. ■ Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Foto to: DB AG/ /Hart Ha mut Reic Reiche he

Gerd Neubeck


SICHERHEIT Arne Schönbohm

Das neue militärische Schlachtfeld Angriffe über das Internet können ganze Volkswirtschaften lahm legen

Sind Cyberangriffe eine reale neue Bedrohung? In den vergangenen Jahren gab es weltweit verschiedene Angriffe per Internet auf Staaten oder staatliche Infrastrukturen: Estland wurde im Frühjahr 2007, Georgien in 2008, Kirgisien in 2009 und Irans Nuklearprogramm im Jahr 2010 mit massiven Attacken aus dem Web konfrontiert. Diese Länder befanden sich zum jeweiligen Zeitpunkt in Konflikten mit anderen Ländern. Bei den Angriffen ging es darum, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben innerhalb eines Staates zu beeinträchtigen und die Wirtschaft zu beschädigen. Der Angriff auf Estland zeigte deutlich, welche fatalen Auswirkungen ein Cyberangriff haben kann. Das Land mit 1,4 Millionen Einwohnern gehört zu jenen Staaten, die frühzeitig einen hohen Grad an Internetvernetzung erreicht hatten und gilt als Pionier des E-Government. Entsprechend sahen auch die Angriffsziele aus: Es wurden unter anderem das Präsidialamt, das Parlament, die meisten Ministerien, politische Parteien, etwa die Hälfte der großen Nachrichtenorganisationen, zwei große Banken sowie Kommunikationsunternehmen attackiert.

47


SICHERHEIT Während der etwa drei Wochen dauernden Angriffe war der Emailverkehr weitgehend lahmgelegt. Froh könne man sein, diesen Vorfall überlebt zu haben, meinte der Sprecher des estnischen Verteidigungsministers Mikko Maddis. Doch Cyberattacken können noch weitere Konsequenzen haben. Die Streitkräfte des betroffenen Staates könnten im Falle eines Angriffes für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beansprucht werden, die Ressourcen wären zu einem großen Teil innerhalb des Landes gebunden. Zudem können sich länger andauernde Störungen des öffentlichen Lebens zermürbend auf die Bevölkerung auswirken. Man stelle sich vor, in Deutschland würde der Strom für mehrere Wochen ausfallen oder die Produktionsbänder ständen still. Wie hochvernetzt und angreifbar wir sind, wird am Beispiel E-on deutlich. Im November 2006 schaltete das Unternehmen eine Hochspannungsleitung über der Ems ab, damit ein in Papenburg gebautes Kreuzfahrtschiff die Nordsee erreichen konnte. Es entstand eine unvorhergesehene Kettenreaktion im Stromversorgungssystem: von Deutschland über Frankreich und Italien bis nach Marokko blieben zehn Millionen Menschen zeitweise ohne Strom. Cyberangriffe auf die Systeme der Energieversorger könnten vergleichbare Auswirkungen haben.

Das Internet hat sich zum fünften militärischen Schlachtfeld entwickelt. Auch der Angriff auf das iranische Atomprogramm in Bushara mit Hilfe des Stuxnet Virus verdeutlichte die Gefährlichkeit der neuen Bedrohung. Dort wurde das sogenannte SCADAProgramm attackiert. SCADA Programme sind Steuerungsprogramme, die in Raffinerien, Kraftwerken oder Fabriken Prozesse überwachen und automatisierte Betriebsabläufe steuern und visualisieren. Würden die Systeme durch einen Cyberangriff so gestört, dass sie falsche Daten wie Temperaturangaben anzeigten, könnten Unfälle mit dramatischen Auswirkungen die Folge sein. In Ohio wurde im Jahr 2003 ein Hacker-Angriff auf das DavisBesse-Atomkraftwerk verübt, woraufhin das Sicherheitssystem des Kraftwerks für Stunden lahmgelegt war. Aber auch

Angriffe auf andere Ziele, beispielsweise auf Banken, hätten erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abläufe eines Landes. Allein das tägliche Überweisungsvolumen der Citi-Bank beläuft sich auf rund drei Billionen Dollar – das entspricht rund 20 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung eines Jahres. Es ist leicht vorstellbar, welch verhängnisvollen Auswirkungen Manipulationen oder simple Löschungen von Daten im System dieser Bank hätten. Eine Rekonstruktion wäre schwierig und langwierig. Aufgrund der fatalen Folgen, die ein Cyberangriff auf einen Staat haben kann, kann das Internet mittlerweile als fünftes „militärisches Schlachtfeld“ neben dem Boden, der Luft, dem Wasser und dem Weltraum betrachtet werden. Angriffe per Internet können größere Schäden verursachen, als einzelne konventionelle Raketenangriffe und dieses zu einem Bruchteil der Kosten. Angriffskomponenten in der notwendigen Qualität und Zuverlässigkeit zu kaufen oder zu entwickeln, verursacht Kosten im siebenstelligen Euro-Bereich – im Vergleich zu anderen Rüstungsgütern ein kleiner Betrag. Spannend wird die Frage sein, wie sich diese Entwicklung für die wehrtechnische Industrie auswirken wird. Wenn hier eine neue „Waffengattung“ entstünde, wäre ein entsprechender Kompetenzaufbau bei den Streitkräften notwendig, was wiederum ein Umdenken bei der wehrtechnischen Industrie voraussetzen würde, die in der Regel über ein begrenztes Knowhow bei der Verteidigung gegen Cyberangriffe verfügt. Große Unternehmen wie Boeing, Lockheed Martin oder EADS Cassidean haben zwar in jüngster Vergangenheit entsprechende Unternehmensbereiche gegründet, der Erfolg bleibt aber noch abzuwarten. Starke Unternehmen in diesem Bereich sind bereits Kapersky oder Symantech. Die generelle Zunahme von Cyberangriffen auf Unternehmen und Staaten rechtfertigen, dass sich die NATO mit dem Thema intensiv beschäftigt. Alle Mitgliedstaaten der NATO sind wirtschaftlich starke Staaten. Diese sind in der Regel stark vernetzt, global aktiv und haben moderne Streitkräfte. Hochtechnologisierte moderne Streitkräfte sind effizient, aber auch teuer. Aus diesem Grunde werden zunehmend so genannte „Commercial of the shelf“ Systeme beschafft, die in Bereichen der Wirtschaft

Wochenlang legten Cyber-Angreifer Estlands E-Mailverkehr lahm.

48

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


SICHERHEIT bereits eingesetzt werden. Diese Systeme sind nicht nur kostengünstiger, sondern auch schneller beschaffbar, was wiederum eine schnellere Anpassung an neue technische Entwicklungen ermöglicht.

Wo ist die Grenze zwischen Cybercrime und Cyberwar? Eine klare Trennung gibt es nicht mehr. In allen Fällen werden Viren, Trojaner oder andere Schadprogramme angewendet. Wie verschiedenen Presseberichten über den Krieg zwischen Georgien und Russland zu entnehmen war, wurde das Russian Business Network als Gruppierung der Organisierten Kriminalität in quasi staatlichem Auftrag eingesetzt, um Georgien

Auch der neue Personalausweis ist schon Ziel von IT-Attacken. zu attackieren. Zumeist liegt das Ziel von Cyberangriffen aber darin, an Geld zu gelangen. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit über 200.000 Straftaten registriert, die via Internet begangen wurden, fast 25 Prozent mehr als im Jahr 2008. Die Straftaten liegen hauptsächlich im Warenbetrug (37,6 Prozent). Oft werden auch Entwicklungsunterlagen oder Zugangscodes entwendet, um dieses Wissen zu verkaufen oder selber zu verwerten. Laut Interpol wurden im Jahr 2009 auf Verkaufsplattformen im Internet etwa 162 Millionen Datensätze von Kreditkarten angeboten. Diese enthalten in der Regel die Kontonummer, den Namen des Karteninhabers und den dreistelligen Sicherheitscode, so dass die Karten voll einsetzbar sind. Durch das Eindringen in die Datensysteme von Banken, Fluggesellschaften und Hotelreservierungsportalen gelangen die Straftäter an die Daten. Diese zum Kauf angebotenen Kreditkartendaten sollen eine Kaufkraft von 5,3 Milliarden US-Dollar gehabt haben. Auch in Deutschland gab es solche Fälle. Im vergangenen Jahr mussten 100.000 Kreditkarten ausgetauscht werden, die während eines bestimmten Zeitraums in Spanien im Einsatz gewesen waren. Auch Unternehmen verzeichnen immer größere Schäden. So fielen etwa 75 Prozent der im Rahmen einer aktuellen Studie befragten Unternehmen jüngst IT-Attacken zum Opfer, deren

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Quelle: BMI

Nach Schätzung von James B. Appleberry, dem langjährigen Präsidenten der American Association of State Colleges and Universities (AASCU), hat sich das auf der Welt verfügbare Wissen zwischen 1750 und 1900, also innerhalb von 150 Jahren, verdoppelt. Derzeit verdopple sich das Wissen alle fünf Jahre. Wenn diese Entwicklung weiter anhält, die Einführung eines Hubschraubers aber 20 Jahre dauert, wird es kaum möglich sein, mit dem technischen Fortschritt Schritt zu halten. Es gibt jedoch auch eine Kehrseite der Medaille. Durch den Einsatz der grundsätzlich sinnvollen „Commercial of the shelf“-Produkte nimmt die Verwundbarkeit der beschaffenden Einrichtung zu, da bei der Entwicklung und der Herstellung dieser Produkte vorsätzlich Fehler, sogenannte Trap Doors, eingebaut werden können, die auch für Experten kaum erkennbar sind. Windows Vista beispielsweise besteht aus 50 Millionen Programmzeilen, die rund um den Globus entwickelt wurden. Wie mittlerweile bekannt wurde, war in dem Tabellenprogramm Excel 1997 ein Flugsimulator als „Scherz“ versteckt eingearbeitet worden. Wie sicher ist der neue Personalausweis? Kaum hatten ihn die Bürger in Händen, wurden erste Bedenken laut.

Ursachen auf Viren, Trojaner, Spams und Spyware zurückzuführen waren. Die daraus resultierenden Schäden lagen bei jedem zweiten dieser Unternehmen in IT-Ausfällen und somit in Produktionsrückgängen. Als weitere Auswirkungen werden Imageschäden, Kunden- und Auftragsverluste sowie direkte finanzielle Verluste angegeben. Ein weiteres Beispiel für die Angreifbarkeit von Datensystemen ist der neue Personalausweis. Dieser wurde lange entwickelt und vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert. 24 Stunden nach Einführung wurde er bereits gehackt. Derzeit wird nach Schätzungen des BSI alle zwei Sekunden eine neue Malware erstellt. Es gibt weitere Analystenschätzungen, wonach die Organisierte Kriminalität 2009 erstmals mehr Geld mit Cyberkriminalität als mit Drogen umgesetzt haben soll. Entsprechend stark wächst der Markt der IT-Sicherheit. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie wird der IT-Sicherheitsmarkt in Deutschland von rund 4,7 Milliarden Euro in 2008 auf rund 10,6 Milliarden Euro also um 124 Prozent in 2015 wachsen. Diese Zahlen und Informationen zeigen das erhebliche neue Gefahrenpotential – aber auch die Chancen: etwa für Unternehmen, neue Segmente im Sicherheitsmarkt zu erschließen. ■

Arne Schönbohm, 1969 in Hamburg geboren, ist Chef der beiden Münchner Unternehmen Schönbohm Consulting und BSS BuCET Shared Services AG, ein Dienstleister, der sich auf Technologie- und Datenmanagement spezialisiert hat. Der Diplombetriebswirtschaftler hat bei EADS im zivilen und militärischen Sicherheitsmanagement gearbeitet. Sein Vater Jörg Schönbohm war Bundeswehr-General und CDU-Innenminister in Brandenburg.

49


SIC C HERHEIT Michael Lardschneider

Die Taktgeber Wie die Informationsflut unseren Alltag bestimmt

Welchen Wert hat eine Information? Das hängt ganz davon ab, welche Bedeutung der Informant oder der Empfänger der Information beimisst. Informationen haben daher keinen absoluten Wert, der sich in einem Geldbetrag angeben lässt. Sie haben auch keinen gleichbleibenden Wert, denn ihre Bedeutung ändert sich mit der Zeit. Eine Information, die heute für eine Person sehr wertvoll ist, kann morgen schon wieder unbedeutend sein. Die aktuellen Geschehnisse um die durch die Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks publizierten Dokumente zeigen, welchen Bedeutungswert Informationen haben können. Auch wenn dieser nicht unmittelbar in Geld aufgewogen werden kann, so wird er von den Umständen unter denen Informationen erstellt, beschafft und publiziert werden mitbestimmt. Gäbe es für die Wikileaks-Dokumente keinen Abnehmer, wären sie wertlos. Da sie aber von verschiedensten Seiten zu unterschiedlichsten Zwecken verwendet werden, hat ein und die gleiche Information sogar verschiedene Einzelbedeutungswerte. Dieses Beispiel zeigt, dass sogar die reine Ankündigung neuer Informationen bereits Auswirkungen hat. So möchte Wikileaks demnächst brisante Fakten zur Kommunikation einer US-amerikanischen Großbank publizieren. Kurz nach dieser Ankündigung fielen die Aktienkurse zweier amerikanischer Großbanken in überdurchschnittlichem Maß. Informationen, fast egal welchen Inhalts, beeinflussen also auch die Wirtschaft. Sie können sogar bis zum Ruin einzelner Unternehmen, von Privatpersonen ganz zu schweigen, und der nachhaltigen Erschütterung ganzer Wirtschaftssysteme führen.

50


SICHERHEIT Informationen sind Machtinstrumente, deren Wirksamkeit insbesondere vom Inhalt, Auditorium, Umfeld und Veröffentlichungszeitpunkt abhängen. Nicht umsonst wurde der Begriff „Information Warfare“ (Informationskrieg) gebildet. Cyberwar deckt nur einen Teil davon ab. Beide Themengebiete erhalten derzeit im Risikomanagement eine spürbar zunehmende Bedeutung. Wir Menschen nehmen vom Zeitpunkt unserer Zeugung bis zu unserem Tod schier endlose Mengen an Informationen auf. Diese gilt es möglichst sinnvoll zu nutzen und zu verarbeiten. Jeden Tag aufs Neue sind wir dem Informationsstrom ausgesetzt und müssen damit zurechtkommen. Um diese Mengen bewältigen zu können, hat uns die Natur einige Filter- und Verarbeitungsmechanismen geschenkt, die das überhaupt ermöglichen. Wir unterscheiden meist unbewusst zwischen wichtigen und damit vermeintlich bedeutungsvollen sowie weniger wichtigen und damit eher wertlosen Informationen. Wir können uns manche Informationen länger merken, andere dagegen verbleiben nur sehr kurz in unserem Gedächtnis. Und wir bilden uns eine eigene Meinung über die Glaubwürdigkeit mancher Informationen und hinterfragen manchmal auch deren Vollständigkeit.

Soziale Netzwerke wie XING und Facebook haben in der Gesellschaft ihren Platz gefunden.

Insbesondere die modernen Medien versorgen uns mit Informationen, die wir früher nicht bekommen hätten. Die weltweite Vernetzung und damit der nahezu unbegrenzte Datenstrom zwischen den Kontinenten führt dazu, dass wir fast zeitgleich mit dem Stattfinden eines Ereignisses, Informationen darüber erhalten und zwar aus fremden Ländern und von allen Wirtschaftsregionen dieser Welt. Die Informationsmenge aus der wir die bedeutungsvollen Fakten herausfiltern müssen, wächst ständig. Wir lassen uns damit sehr häufig von unserem eigentlichen Tun ablenken und beschäftigen uns parallel mit zunehmend mehr verschiedenen Dingen. Dies führt naturgemäß dazu, dass manche Entscheidungen aufgrund des sogenannten Information Overflow schwer fallen oder vertagt werden, weil zu viele Fakten berücksichtigt werden wollen. Der Mensch ist schlichtweg überfordert, solange er sich kein neues Konzept zulegt, mit der Informationsmenge besser umzugehen. Je mehr Informationen, vor allem digitale Informationen, auf uns einströmen, desto weniger kritisch können wir uns mit diesen auseinander setzen. Es würde für uns immer wichtiger, uns auf unser Gefühl und unsere Sinne verlassen zu können. Aber diese Option gibt es im virtuellen Raum, dem sogenannten Cyberspace, nicht mehr. Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Die angemessene Behandlung von Informationen, vor allem wenn es sich um besonders vertrauliche handelt, wird immer schwieriger. Die Transparenz zur Sicherheit der Übertragungswege und der Speicherorte schwindet. Die Möglichkeiten, Informationsdiebstahl zu verhindern oder festzustellen sind sehr bedingt. Je mehr digitale Informationen erzeugt werden, desto häufiger kommt es zu Vertraulichkeitsverletzungen mit teilweise verheerenden Konsequenzen. Digitale Informationen stammen immer häufiger aus Quellen, deren Zuverlässigkeit wir nicht verifizieren können. Sie erreichen uns auf Wegen, deren Zuverlässigkeit der Einzelne nicht sicherstellen kann. Suchmaschinen wie Google, soziale Netzwerke

Die Transparenz zur Sicherheit der Übertragungswege und der Speicherorte schwindet. wie XING und Facebook, Wissensdatenbanken wie Wikipedia, Foto- und Videoplattformen wie Flickr und Youtube, Foren, Blogs und der Kurznachrichtendienst Twitter sind nur einige der technischen Kanäle, die wir dabei nutzen. Da der Mensch keine von der Natur gegebenen Sinne hat, sich eine Meinung über die Richtigkeit und Vollständigkeit digitaler Informationen zu bilden, steigen die damit verbundenen Risiken. Die wachsende Technikhörigkeit unserer Gesellschaft fördert diese Risiken weiter. Wir glauben immer mehr den Informationsquellen und den uns zugänglichen Informationen. Dies geschieht, ohne die Vertrauenswürdigkeit der Quellen und ohne die Authentizität der Informationen selbst zu hinterfragen, obwohl unser Leben zunehmend mehr davon abhängt, dass Informationen unverfälscht zur Verfügung stehen und permanent genutzt werden können. Die Manipulationsanfälligkeit jedes Einzelnen und der gesamten Gesellschaft steigt. Fehlentscheidungen aufgrund falscher Grundannahmen führen in nahezu allen Bereichen zu vielfältigen Schäden. Dies betrifft auch den Zustand der öffentlichen Sicherheit. Diese hängt immer mehr von der Gewährleistung der Vertraulichkeit, Authentizität und Verfügbarkeit von Informationen ab. Das Internet steht für die Chancen, die sich aus der globalen Vernetzung ergeben. Es steht inzwischen aber auch für eine Vielzahl von Risiken. Sie liegen vor allem darin, mit den Mengen der vorhandenen Informationen nicht geordnet umgehen zu können sowie den fehlenden Wahrheitsgehalt manipulierter Informationen nicht zu erkennen. Dass es eines Tages zur Bewältigung des Informationschaos ein geordnetes Informationsmanagement geben wird, darf bezweifelt werden. Gleiches gilt für die Erreichung des Ziels, ein sehr hohes Maß an Sicherheit garantieren zu können. Deshalb müssen geeignete Verfahren und Verhaltensweisen entwickelt werden, diesen Zustand geordnet zu managen. Nur ein bewussterer Umgang mit den geschilderten Informationsrisiken bietet die Chance, dieser immensen Herausforderung geeignet zu begegnen. ■

Michael Lardschneider ist Chief Security Officer bei der Münchener Rück AG.

51


SICHERHEIT Michael Hange

Die Kriminellen im Netz Im Internet stecken für Staat, Wirtschaft und Bürger vielfältige Gefahren

© Leo Leowald

Bloß keinen Virus einfangen – das gilt nicht nur für Mensch und Tier, sondern auch für den Computer.

Angriffe auf IT-Systeme gehen heute von international vernetzten Kriminellen aus, deren Schadprogramme immer professioneller arbeiten. Staat, Unternehmen und Bürger sind gleichermaßen betroffen. IT-Sicherheit kann darum nur gemeinsam umgesetzt werden. Die Informations- und Kommunikationstechnik durchdringt immer mehr Lebensbereiche. Computer und Internet bereichern das Leben vieler Menschen und schaffen völlig neue Produkte und Dienstleistungen, mit denen Unternehmen am Markt er-

52

folgreich sein können. Gleichzeitig stehen Staat, Wirtschaft und Privatpersonen durch die zunehmende Bedeutung der Informationstechnologie (IT) vor neuen Herausforderungen: Die Abhängigkeit von funktionierenden IT-Infrastrukturen führt dazu, dass Kriminelle die neuen Kommunikations- und Handelskanäle der digitalen Welt verstärkt ins Visier nehmen. Dabei bildet der ethisch motivierte und als Einzelgänger aktive Hacker eher die Ausnahme. Die heutigen Computerkriminellen sind hoch professionell und arbeitsteilig organisiert: In interna-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


SICHERHEIT

© BSI

Vorsicht! Auf der Internetseite des Bundesamts für Sicherheit wird informiert, wie man sich vor Web-Kriminellen schützen kann.

tionalen Netzwerken gibt es Experten für die Programmierung von Schadsoftware, für den späteren Verkauf dieser „Malware“ und für ihren Einsatz für konkrete Delikte. Den Tätern geht es dabei ausschließlich um monetäre Bereicherung. Während die Hacker der Vergangenheit das Rampenlicht suchten, arbeiten die Cyberkriminellen heute so verdeckt wie möglich. Die kriminelle IT-Schattenwirtschaft ist außerordentlich aktiv: Die Zahl der neuen Schadprogramme steigt exponentiell an – im Sommer 2010 registrierten die Antiviren-Hersteller monatlich rund eine Million neuer Varianten. Dieser Zuwachs stellt auch herkömmliche Gegenmaßnahmen wie Virenscanner zunehmend vor Schwierigkeiten. Haben sie die Schutzmaßnahmen einmal überwunden, übernehmen die Kriminellen unbemerkt die Kontrolle über infi-

Die kriminelle Schattenwirtschaft im Internet ist außerordentlich aktiv. zierte PC und schließen häufig eine große Zahl von ihnen zu so genannten Botnetzen zusammen. Diese illegalen Netzwerke verfügen über eine sehr große Rechenkapazität und werden von ihren Betreibern professionell an „Kunden“ vermietet. Die Botnetze dienen beispielsweise dazu, massenhaft Spam-Mails zu verschicken oder Internetseiten durch eine große Anzahl von Anfragen in die Knie zu zwingen – das kann etwa bei einem Online-Shop zu großen finanziellen Schäden führen. Im Sommer 2010 wurde eine neue Schadsoftware namens Stuxnet bekannt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schadprogrammen richtet sich Stuxnet nicht gegen „normale“ PC, sondern gegen Computer in der Industrie, die für die Steuerung von Prozessen zuständig sind. Sie sind die „Gehirne“ und „Nervenbahnen“ für viele Abläufe, etwa in der Industrieproduktion. Werden hier Messwerte oder Steuersignale manipuliert, kann das zu unbrauchbaren Produkten und hohen Schäden führen. In der öffentlichen Diskussion wurde im Zusammenhang mit Stuxnet vor allem die Verwundbarkeit Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) mit Sorge betrachtet. Dies sind Bereiche, die für das Gemeinwesen eine wichtige Bedeutung haben, so dass bei ihrem Ausfall erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eintreten würden. Beispiele sind die Energieversorgung, die Telekommunikation und die Trinkwasserversorgung. Prozessteuerungssysteme finden sich hier in den unter-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

schiedlichsten Anwendungen. Ein erfolgreicher Angriff auf kritische Infrastrukturen würde nicht nur große wirtschaftliche Schäden verursachen, sondern auch die öffentliche Ordnung gefährden. Stuxnet lieferte nun den Nachweis, dass es Täter gibt, die weder Kosten noch Mühen scheuen, um wichtige Ziele mittels IT anzugreifen und möglichst unbemerkt zu sabotieren. Wurden bislang Angriffe auf Kritische Infrastrukturen und ihre Prozesssteuerungssysteme wegen der vermeintlich geringen Wahrscheinlichkeit als „Restrisiko“ akzeptiert, gilt es nun, diese Risikobewertung neu vorzunehmen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist als zentraler IT-Sicherheitsdienstleister des Bundes operativ für den Bund, kooperativ mit der Wirtschaft und informativ für den Bürger tätig. Gemeinsam mit der Wirtschaft arbeitet das BSI beispielsweise an Abwehrmaßnahmen gegen Angriffe auf Unternehmen und Kritische Infrastrukturen. Das IT-Lagezentrum des BSI beobachtet rund um die Uhr die aktuelle Situation im Bereich der IT-Sicherheit, das Computernotfallteam des Bundes ist die zentrale Anlaufstelle für präventive und reaktive Maßnahmen. Das Informationsangebot des BSI richtet sich aber auch an private IT-Nutzer, deren Sensibilisierung für IT-Sicherheit besonders wichtig ist. Die Verbreitung von Botnetzen zeigt beispielsweise, dass IT-Sicherheit beim Schutz jedes einzelnen Computers beginnen muss. Darum stellt das BSI auf der Website „BSI für Bürger“ Informationen zu den verschiedenen Aspekten der IT-Sicherheit zusammen und arbeitet darüber hinaus auch mit Partnern zusammen, um das Bewusstsein für einen sicheren Umgang mit Internet und IT zu fördern. ■ www.bsi-fuer-buerger.de www.sicher-im-netz.de www.bsi.bund.de Michael Hange, ist seit Oktober 2009 Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn. Hange studierte Mathematik in Bonn. Seit 1977 war er Referent für Computersicherheit in der Bundesverwaltung, ehe er 1985 als Referatsleiter im Bereich IT-Sicherheit tätig wurde. Mit der Gründung des BSI wurde er Abteilungsleiter und 1994 Vizepräsident. Von Februar bis Oktober 2009 war Hange ständiger Vertreter des IT-Direktors im Bundesministerium des Innern.

53


SIC HERHEIT Caroline Mükusch

Gut vernetzt bringt mehr Sicherheit Deutsche Energiepolitik muss geostrategische Aspekte besser beachten

Das Energiekonzept der Bundesregierung von Oktober 2010 erhebt den Anspruch, über langfristige, strategische Leitlinien eine saubere, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung Deutschlands bis 2050 sicher zu stellen. Kann es diesem Anspruch gerecht werden? Zahlreiche Faktoren sprechen dafür, dass es in Zukunft in deutschen Wohnzimmern kalt werden könnte, wenn die deutsche Energiepolitik geostrategischen Versorgungsaspekten nicht ganzheitlich und umfassend Rechnung trägt. Vernetzte Sicherheit ist die deutsche Version des 2006 mit der Comprehensive Political Guidance auf dem NATO-Gipfel in Riga eingeschlagenen Weges zu einem „Comprehensive Approach

54

to Security“, mit dem alle Instrumente, die einem Staat zur Verfügung stehen, unvoreingenommen betrachtet, aufeinander abgestimmt und wirkungsorientiert zum Einsatz gebracht werden sollen. Dieser „Comprehensive Political Approach“ ist auch Wesenskern der vor wenigen Wochen verabschiedeten neuen NATOStrategie. Das Konzept der Vernetzten Sicherheit selbst wurde mit dem Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr entwickelt. Dort heißt es: „Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen, die nur im multinationalen Zusammenwirken beeinflusst werden können, bestimmen die


künftigen sicherheitspolitischen Entwicklungen. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden, gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist.“

Vernetzte Energiesicherheit bedeutet, die Grundsätze der Vernetzten Sicherheit in der deutschen Energiepolitik anzuwenden und ist das Ergebnis des Übergangs der Organisation deutscher Energiepolitik von linearen zu vernetzten Strukturen und Prozessen. Da Energiesicherheit wie kaum ein anderer Bereich nicht nur von komplexen, miteinander verbundenen Herausforderungen unterschiedlicher Dimensionen – ökonomische, soziale, kulturelle, technologische, sicherheitspolitische – betroffen ist, sondern auch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure involviert, verlangt nationale Energiesicherheitspolitik nach Lösungen jenseits der zwanghaften Aufrechterhaltung der strikten Trennung von innen und außen, staatlich und privat sowie national und international. Vernetzte Energiesicherheit ermöglicht eine ganzheitliche, systemische Planung und Nutzung aller verfügbaren nationalen Instrumente durch eine schnelle und kontinuierliche Lagefest-

Energieversorgung ist ein Teil der Sicherheitspolitik. stellung, eine zweckmäßige Orchestrierung und Synchronisierung von Instrumenten durch die politische Führung und die Konzentration auf eine integrierte Zielsetzung. So wird Deutschland in die Lage versetzt erstens zur zusammenhängenden und zielgerichteten Wirkungsentfaltung nationaler energie- und sicherheitspolitischer Instrumente, zweitens zum Erreichen einer deutlich verbesserten Entscheidungsqualität in diesem komplexen und dynamischen internationalisierten Prozess und drittens zum koordinierten und gemeinsamen Vorgehen in Krisenfällen. Will Deutschland langfristig selbst Verantwortung für seine Energiesicherheit übernehmen und nicht nur anderen Akteuren in internationalen Energieprojekten folgen, benötigt es eine umfassende Vorgehensweise zur Sicherung seiner Energieversorgung. Insbesondere aber eine Strategie, die die deutsche

© vinciber - Fotolia.com

Bei der Vernetzten Sicherheit geht es im Kern darum, Prozesse und Strukturen so zu definieren, dass Wissen und Technologie aller Bereiche der Gesellschaft miteinander verbunden werden können, um damit die Effektivität und Effizienz politischen Handelns maßgeblich zu erhöhen.

Energiesicherheit im sicherheitspolitischen Kontext begreift. Hierzu benötigt Deutschland einerseits einen vernetzten Politikansatz, der gleichermaßen Krisenprävention, Krisenmanagement und die Fähigkeit zur Gestaltung der internationalen Energiearchitektur sowie anderseits die Fähigkeiten zur gemeinsamen Konzeptentwicklung, zum Wissensmanagement und zur Kooperation; ein Lagebild, das der gegebenen Komplexität und Dynamik entspricht, einen raschen Überblick ermöglicht und auf einem gemeinsamen Lageverständnis deutscher Energiesicherheit beruht; Handlungsoptionen in Form eines „Baukastens“, mit dem die vorhandenen Instrumente deutscher Energie- und Sicherheitspolitik nicht nur jedes für sich, sondern diese insgesamt vernetzt wirken können und die verstärke Kooperation und Koordination an energiepolitischen Schnittstellen begünstigen – zum einen der Ressorts untereinander und zum anderen zwischen Staat und Wirtschaft; Werkzeuge wie die Modellbildung und Simulation, die einerseits die Strategie optimieren und andererseits die Wirksamkeit und Effizienz der eingesetzten Instrumente überprüfen. Die IABG verfügt über ein breites Spektrum an Forschungs-, Beratungs- und Dienstleistungen, das zum Beispiel im Bereich der Krisenübung und -prävention bei den deutschen und europäischen Energieversorgern zur Anwendung kommt. Mit der Einheit „Comprehensive Security“, die im Zuge der Neuausrichtung des Bereichs „Defence and Security“ etabliert wurde, kann die IABG wichtige Beiträge hin zu einer kontinuierlich leistungsstarken und -steigernden nationalen Energiesicherheitsvorsorge aus einer Hand leisten. ■

Die IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH) ist ein Analyse- und Testdienstleister für die Luft- und Raumfahrtindustrie und das Verteidigungsministerium. Der Firmenhauptsitz befindet sich in Ottobrunn bei München Die IABG wurde 1961 auf Initiative des Bundes gegründet. Ein frühes großes Projekt war 1973 zum Beispiel der Gesamtzellen-Ermüdungsversuch am ersten Airbusmodell, dem A300. 1982 erhielt die IABG den Auftrag zum Betrieb der Transrapid-Versuchsanlage Emsland. 1992 begannen Großversuche an der europäischen Ariane 5-Rakete. 1993 wurde das Unternehmen privatisiert. Der Gesamtzellen-Ermüdungsversuch am Airbus A380 begann 2004 in Dresden und ist eines der zurzeit bekanntesten Projekte. Heute beschäftigt die IABG circa 1000 Mitarbeiter an 18 deutschen und internationalen Standorten, der Gesamtumsatz beträgt 132 Millionen Euro. Caroline Mükusch ist Referentin für Unternehmensentwicklung im Stab der Geschäftsführung. Sie studierte Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik und beschäftigte sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Konzept der Vernetzten Sicherheit, das helfen soll die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen im Bereich deutscher Energiesicherheit zu bewältigen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

55


SICHERHEIT Klaus-Dieter Fritsche

Wie bedroht sind wir wirklich?

Im Rahmen d deer Be B riichte chteers rsta t tt ttun u g de un d r ve verg rg gan ange g nen ge neen Mo Mona nate na te zzur ur tter erro er rori ro r sri tischen Beedroh droh dr ohun u g in Deu un euts tsscch hla land n wurrde im nd mm mer w wie iede ie ede derr geefr frag gt: Wiee b bed ed dro roht ht ist Deutscchl hlan a d wi an wirk rkli rk kli lich ch?? W ch Weelc l hee Kon onse sequ qu quen uenze enze en z n zi zieh ehtt di eh diee Bu und n essre regi g er gi e un ng aus der ak aktu t el elleen Be Bedr Bedr droh oh hun ungs gssi gs s tu si uat a io i n? Sin ind d wiir im B Ber erreeiich der Ter erei e ro rori riism s us u bekämp mpfu mp fun ng g wir irkl kllic ich h gu gutt au ufg ges e teell llt? t t? Zweiife Zwei fell llooss hab llos aben been n die vver errga g ngen ngen ng neen n Woch ocche hen eerrne neut ut deu utlic tllicch ggeemach mach ma chtt:: W cht: Wir i müsse ir üsse üs sen en weit we iter it erh hiin in ffü ür daas Ge Gebi b et bi et der B Bun un u nddeesr nde srep srep ep pu ubbliik vvooon u n ei eine ner in nte ten nsssiv iv iert iv iert ie r ten teen n Gef efäh fährd äh hrrddun ng du urch rch de rc den issla lami mist mi ssttiissch cheen nT Ter errro rori riism smu smus uss aussgehe geehen, hen, he n, die die ie sic ich h je jede jede derrzzeeiit in in For orm vo von A An nsscchl hläg ägen en unt nter ter e sscchi hied edli ed liich cher err D Dim im men ensi sion ion on un ndd Int nten ensi nssiitä itä tät rreealis alliissiere ierreen k ie kaann. nn n. SSeeiitt Mittttee ddees JJaah hrre res es 201 010 ve 010 verzzei eich cch hne n tteen diie Siich her erhe erh heit itsbbeeh hör ö de den ve verrsstäärk rkt Hi Hinw nweeiise se, e, w woo nacch na h die ie A Alll-- Q Qaaid ida llääng äng nger erfr rfr fris issti tig pl tig plan laan nt, t, A Ans nssch n chlä hllääge g in ddeen U USSA, A, in E Eu uro rop opa pa u n ndd aau uch uc ch

56


Die versuchten Anschläge auf die zivile Luftfahrt Ende Oktober 2010, zu denen sich die Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel bekannte, waren zuvor neuerlicher Beleg für die Anpassungsfähigkeit und zugleich Beharrlichkeit islamistischer Täter bei der Verfolgung ihrer Ziele. Deutschland war hierbei durch den Transport eines Sprengstoffpaketes über den Köln/Bonner Flughafen betroffen – die generelle Ankündigung weiterer Anschläge auf den Luftverkehr, sei es durch Selbstmordattentäter oder über die Luftfracht, richtet sich auch gegen deutsche Flugzeuge und Passagiere. Dass sich Europa unverändert mit der Bedrohung durch religiös motivierte Täter und Tätergruppen auseinandersetzen muss, haben zuletzt der Anschlag vom 11. Dezember 2010 in Stockholm und die Verhaftungen in Dänemark im Zusammenhang mit Anschlagsplanungen gegen das Verlagshaus der Zeitung "Jyllands Posten" Ende des vergangenen Jahres deutlich gemacht. Die Anfang November 2010 in Griechenland per Luftfracht aufgegebenen Paketbomben, von denen eine im Bundeskanzleramt entdeckt wurde, waren hingegen das Werk einer griechischen linksterroristischen Gruppierung, ebenso wie die Anschläge auf die schweizerische und chilenische Botschaft in Rom am 23. De-

Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern müssen eng zusammenarbeiten. zember 2010. Dies hat uns gezeigt, dass uns auch außerhalb des islamistischen Terrorismus terroristische Gefahren drohen können. Unsere Wachsamkeit darf sich daher keinesfalls auf den islamistischen Terrorismus allein beschränken. Als oberster Luftsicherheitsbehörde Deutschlands ist es Ziel des Bundesinnenministeriums, die Sicherheit im Luftverkehr weiter zu verbessern. Vor dem Hintergrund der vereitelten Anschläge mittels Paketbomben in der Luftfracht aus dem Jemen – die Pakete konnten Ende Oktober in Dubai und dem Vereinigten Königreich sichergestellt werden – hatte die Bundesregierung daher einen ressortübergreifenden Arbeitsstab unter meiner Leitung eingerichtet, in dem wir die Konsequenzen geprüft haben, die sich aus den genannten Vorfällen für die Kontrollen von Luftfracht in Deutschland, auf europäischer sowie auf internationaler Ebene ergeben. Auf Initiative des Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière wurden auch innerhalb der Europäischen Union diesbezüglich konkrete Vorschläge erarbeitet, die nunmehr möglichst zügig in entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden. Bereits seit Ende September 2010 testet die Bundespolizei am Hamburger Flughafen zwei Körperscanner, die unter anderem Waffen und Sprengstoffe aufspüren sollen, auf ihre Funktionsfähigkeit. Unserer Terrorismusbekämpfungsstrategie liegt dabei die Erkenntnis zugrunde, dass eine erfolgreiche Terrorismusbekämpfung jedoch auch eine enge und abgestimmte Zusammenarbeit

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Quelle: Bundespolizei

in Deutschland zu begehen. Im November 2010 traten weitere Erkenntnisse hinzu, die die Einschätzung begründeten, dass wir es mit einer qualitativ neuen Bedrohungssituation zu tun hatten, auf die die Innenminister des Bundes und der Länder mit entsprechenden – auch öffentlichkeitswirksamen – Maßnahmen reagierten.

Mit erhöhter Polizeipräsenz zeigt der Staat, dass er sich von Terrordrohungen nicht einschüchtern lässt.

der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern untereinander erfordert und dass allein ein ganzheitlicher Bekämpfungsansatz zielführend ist. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin arbeiten zu diesem Zweck seit 2004 Vertreter von insgesamt 40 mit Sicherheitsaufgaben befassten Behörden von Bund und Ländern zusammen. Dort werden Informationen aus verschiedenen Bereichen zusammengeführt sowie operative Maßnahmen abgestimmt. Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus wurde so nachhaltig verbessert. In den Folgejahren wurde es immer dringlicher, einschlägige Online-Präsenzen im Hinblick auf den islamistischen Terrorismus zu beobachten und zu analysieren. Um die in den verschiedenen Sicherheitsbehörden vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zu nutzen, wurde 2007 das Gemeinsame Internetzentrum (GIZ) – nach dem bewährten Modell des GTAZ – errichtet. Das GIZ beschafft die Informationen aus dem Internet, die als Basis für eine erfolgreiche Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus benötigt werden. Auch das GIZ hat sich als ein Erfolgsmodell erwiesen. Neben der erforderlichen engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf nationaler Ebene kommt auch der internationalen Kooperation und Kommunikation im Rahmen der Terrorismusbekämpfungsstrategie eine entscheidende Rolle zu. Terroristen machen eben nicht an Staatsgrenzen halt. Erst die Kommunikation und Kooperation zwischen den Staaten – so zeigt es sich bei der Aufdeckung von Anschlagsplänen immer wieder – führt zu gemeinsamen Erfolgen. Es gilt jedoch nicht nur operativ islamistischen Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen. Im selben Maß gilt es bereits im Vorfeld einer Radikalisierung präventiv tätig zu werden. Nicht zuletzt leistet die 2006 ins Leben gerufene Deutsche Islam Konferenz ihren Beitrag zur Intensivierung der Kooperation mit Muslimen in der Präventionsarbeit. Gemeinsam mit Vertretern der Länder und Kommunen und Vertretern der in Deutschland lebenden Muslime arbeiten wir dort an praktischen Verbesserungen für ein friedliches Miteinander der Menschen in unserem Land. So gilt es auch zu verhindern, dass die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zu einer Verschlechterung im Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Muslimen führt. Denn die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland lehnt Terrorismus ab und lebt gerne in unserem Land. Unsere Gesetze liefern die Grundlage für eine effektive Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Werden Lücken erkannt, wer-

57


SICHERHEIT den diese durch den Gesetzgeber im parlamentarischen Verfahren geschlossen. So wurde beispielsweise Anfang August 2008 das Strafgesetzbuch im Hinblick auf terrorismusspezifische Taten ergänzt: Unter anderem wird fortan derjenige, der einen terroristischen Anschlag vorbereitet oder sich in terroristischen Kenntnissen und Fertigkeiten beispielsweise in einem Terrorcamp unterweisen lässt, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft. Derjenige, der Bombenbauanleitungen über das Internet verbreitet, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden wurde durch die 2007 per Gesetz eingerichtete Antiterrordatei von Bund und Ländern entscheidend verbessert. Aber auch im Bereich der Telekommunikationsüberwachung müssen wir im Rahmen der Terrorismusbekämpfung mit den neuesten Entwicklungen der Kommunikationstechnik Schritt halten und den Sicherheitsbehörden das erforderliche Rüstzeug an die Hand geben. Hierbei denke ich zunächst an die Frage der Wiedereinführung von Mindestspeicherfristen von Telekommunikationsverkehrsdaten. Es hat sich gezeigt, dass in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 nicht hinnehmbare Schutzlücken entstanden sind. Diese Lücke gilt es zeitnah zu schließen – durch eine verfassungsrechtlich konforme Regelung. Im Hinblick auf unsere Nachrichtendienste ist es mir darüber hinaus ein Anliegen, dass diese ihre Handlungsfähigkeit behalten, die ihnen nach den Anschlägen vom 11. September 2001

eingeräumt wurde. Ich denke dabei unter anderem an die Befugnis der Nachrichtendienste, bei Post- und Telekommunikationsunternehmen, Finanzinstituten und Fluggesellschaften Auskünfte zu Einzelpersonen einzuholen. Diese Auskunftsbefugnisse haben sich in der Vergangenheit als unabdingbar bei der Aufklärung insbesondere islamistischer Bestrebungen erwiesen. Wenn wir diese Befugnisse nicht rechtzeitig durch ein entsprechendes Gesetz verlängern, entfallen sie im Januar 2012 ersatzlos. Das müssen wir verhindern. Deutschland ist im Bereich der Terrorismusbekämpfung gut aufgestellt und tritt der Bedrohung entschlossen entgegen mit dem Ergebnis, dass seit dem Jahr 2000 die deutschen Sicherheitsbehörden in sieben Fällen Anschläge unterschiedlicher Dimension erfolgreich verhindern konnten. Auf dieser Erkenntnis und diesen Erfolgen ruhen wir uns nicht aus, sondern passen unsere Maßnahmen neuen Lagen an. Unsere Sicherheitsbehörden sind wachsam und wir lassen uns als Bürger dieses Landes nicht verunsichern. ■ Klaus-Dieter Fritsche (57), ist seit 2009 beamteter Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Von 1993 bis 1996 war Fritsche Büroleiter des bayerischen Innenministers Günther Beckstein. Anschließend war er neun Jahre lang Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ehe er ab 2005 bis zum Wechsel ins Bundesinnenministerium als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt fungierte.

NBB Kommunikation – Münchens Agentur für PR, Werbung und Verkaufsförderung.

Marken und Macher in Szene setzen. Produkte und Dienstleistungen sichtbar werden lassen. Meinungsbildner und Multiplikatoren, Verbraucher und Handelspartner sensibilisieren. Netzwerke knüpfen. Mit überzeugender PR, spannender Werbung und wirkungsvollen Events erobern wir öffentlichen Raum. Kommunikationsarchitektur by NBB.

NBB Ko

ikation GmbH | Ridlerstraße 33 | 80339 München | www.nbbkommunikation.de


SICHER RHEIT Stephan Lechner

Wohin führt die Datenflut? Die Sicherheitstechnologie muss einen gewaltigen Schritt nach vorne machen

eine extrem vernetzte Welt: Es ist schon lange klar, dass Sicherheitsprobleme nicht an nationalen Grenzen enden. Im Jahre 2010 wurde an vielen Beispielen sichtbar, wie weit neue Kommunikationstechnologien den klassischen Sicherheitskonzepten bereits enteilt sind. Zwei wesentliche Trends werden sich dabei in der Zukunft noch deutlich verstärken, wie Ereignisse aus dem Jahr 2010 zeigen: Die Datenflut ist nicht mehr kontrollierbar: • Die deutsche Verbindungsdatenspeicherung erweist sich als verfassungswidrig. • Flashmob-Verabredungen werden über soziale Netwerke arrangiert. • Google Street View versorgt die Welt mit detaillierten Straßenansichten. • Iranische Dissidenten informieren die Welt via Twitter. • Wi Wiki k leaks veröffentlicht in aller Welt interne Dokumente der USA ü USA übe b r sc be schü hütz hü t en tz ensw swerte Infrastrukturen in Europa.

Infras Infr astr truk uktu ture ren n we werd rden en iint ntel elli lige gent nter er, ab aber er aauc uch h ve verw rwun undb dbar arer er: • Der elektronische Personalausweis geht an den Start und die PIN IN-E -Ein inga gabe be am PC w ir irdd un unve verz rzüg ügli lich ch als mög ögli lich chee Schwachstelle identifiziert. • De Der EE-Br B ie ieff ko komm mmt, mt, ist st abe ber niich cht vo vom m Ab Abse send se nder er zum um Emp mpfä fängger e dur urch c ge gehe hend nd ver ersc schl hlüs üsse s ltt. • Der Stuxnet-Computerwurm greift gezielt spezialisierte Industrieanlagen an und zeigt die professionelle Handschrift eein ines es N Nac achr hric icht hten endi dien enst stes es.. Um angesichts der jüngsten Entwicklungen ein geeignetes Maß an Sicherheit aufrecht zu erhalten, muss auch die Sicherheitstechnologie einen gewaltigen Schritt nach vorne machen. Zum einen muss die Datenanalyse zu Sicherheitszwecken professionalisiert und international rechtlich abgesichert werden, um auf das technische Niveau der privatwirtschaftlichen Anbieter zu kommen, zum anderen müssen die Mechanismen der weltweiten Internet-Gemeinde besser für Sicherheitszwecke übernommen werden. Für beide Problemfelder ist ein dezentraler, intelligenter und vernetzter Ansatz unabdingbar.

Europäisch denken für zukünftige Sicherheitskonzepte .

59


Vernetzte Sicherheitstechnologien können Bürger und Staat besser schützen.

Riesige zentrale Datensammlungen wachsen schnell, sind leicht angreifbar, schwer auf dem aktuellen Stand zu halten und erfordern einen erheblichen Infrastrukturaufwand. Die Sicherheitstechnologie der Zukunft muss die heutigen Konzepte durch verteilte Ansätze ergänzen, die ohne zentrale Koordinierung auskommen. Videoüberwachung in England liefert hier ein gutes technisches Beispiel, wie in die Fläche verteilte Datensammlung effizient zur Strafverfolgung beitragen kann, ohne von einem zentralen Punkt aus gesteuert zu werden. Weitere Beispiele sind die Analyse von verteilt im Internet verfügbaren Informationen („Open Source Analysis“), die ohne zentrale Vorgaben publiziert wurden und dennoch zur schnellen Lagebilderstellung bei Katastrophen herangezogen werden können. Oder etwa der elektronische Reisepass, der trotz unterschiedlicher nationaler Ausprägung von verschiedenen Lesegeräten in den europäischen Mitgliedsstaaten vor Ort verifiziert werden kann. In all diesen Ansätzen wird das Muster der gesellschaftlichen Durchdringung mit Technologie erfolgreich zu Sicherheitszwecken eingesetzt. Durch den raschen Fortschritt der Mikroelektronik finden sich erstaunlich intelligente Technologien in sehr kleinen Umgebungen wieder: Elektronische RFID-Etiketten, intelligente Sensorik, drahtlose Meldewege und GPS-basierte Navigation werden bereits für sicherheitsrelevante Anwendungen genutzt, haben diesen Bereich aber bei weitem noch nicht ausreichend durchdrungen. Auch unsere gefährdeten Infrastrukturen sind nur teilweise mit Hightech-Kontrollmechanismen ausgerüstet, die zum Beispiel in Sekundenschnelle Lecks in Versorgungsleitungen identifizieren und die erforderlichen Korrekturmaßnahmen automatisiert einleiten, so dass eine manuelle Fehlersuche vor Ort entfallen kann. All diese Anwendungen müssen flächendeckend zum Einsatz kommen. Die dafür erforderlichen Basistechnologien sind in vielen Sektoren bereits vorhanden, und die kommerziellen Lösungen werden in Zukunft gleichzeitig intelligenter und kostengünstiger werden. Innerhalb der intelligenten Sicherheitstechnologie spielt die Vernetzung vorhandener Informationen eine große Rolle. Der automatisierte Abgleich von lokal erhobenen Daten mit zentralen Angaben, die drahtlose Übertragung von Daten zwischen unterschiedlichen Systemen und der schnelle Zugriff auf zusätzliche Informationen bedingen einen hohen Grad an Interoperabilität. Der bestehende technologische Standardisierungsprozess ist jedoch komplex und langwierig, so dass selbst auf anerkannten Technologiefeldern die Verabschiedung von technischen Standards leicht drei Jahre oder länger dauern kann. Allgemein anerkannte Formate oder Plattformen zum Datenaustausch wie pdf oder mp3haben hingegen die weltweite Gemeinschaft der Internet-Nutzer erobert, und weitere von ihnen werden sich weltweit etablieren, ohne dass der Staat dabei gefragt oder auf Staatsorgane gewartet wird. Die Sicherheitstechnologie wird in Zukunft solche existierenden allgemeingängigen Formate und

Plattformen deutlich stärker nutzen müssen, anstatt umständlich neue formale Standards für komplette Sicherheitssysteme zu setzen und dabei die unterschiedlichen Vorteile bestehender Systeme auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Erste Ansätze, aus der Bevölkerung gezielt Sicherheitsinformationen zu gewinnen, sind zum Beispiel Staumeldungen von Autofahrern über SMS, automatisierte Aufrufe an Reisende zur Meldung von herrenlosem Gepäck oder Hochwassermeldungen durch Anwohner über das Internet. Diese meist privatwirtschaftlich organisierten Mechanismen bieten ein großes Potential, allgemeine Bedrohungssituationen frühzeitig zu erkennen. Das europäische Motto „In Vielfalt geeint“ kann exemplarisch für die Sicherheitsanforderungen der Mitgliedstaaten gesehen werden. Unterschiedliche nationale, regionale oder lokale Gegebenheiten bestimmen die Anforderungen der lokalen Sicherheitskräfte, Bedarfsträger und Entscheider. Dennoch ist ein gemeinsamer Ansatz unabdingbar, der nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages durch die Etablierung des Europäischen Auswärtigen Dienstes seit dem 1. Dezember 2010 unterstützt wird. In der Technologieforschung wirkt die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission seit über 50 Jahren als ein wis-

Nicht nur bei Staus kann der Bürger gezielte Sicherheitsinfos geben. senschaftliches Referenzzentrum Europas in zahlreichen Themenfeldern und unterstützt die Entscheidungsorgane der Europäischen Union mit unabhängiger technologischer Expertise. Im Bereich der Sicherheitsforschung verfolgt das Institut für den Schutz und die Sicherheit des Bürgers (IPSC) in Ispra/Italien seit zehn Jahren mit mehr als 300 wissenschaftlichen-technischen Mitarbeitern die neuesten technologischen Trends und unterstützt die politischen Entscheider in Brüssel durch unabhängige Fachkompetenz. Die inhaltlichen Aufgabengebiete des IPSC umfassen dabei Krisenmanagement, maritime Sicherheit, Netzwerksicherheit, Infrastrukturschutz und die Sicherheitsauswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf den Bürger. Für die künftige Nutzung der verteilten Intelligenz zu Sicherheitszwecken spielen Kompetenzen wie die Analyse frei zugänglicher Internetseiten in mehr als 20 Sprachen, die automatische Fusion von Daten zu Lagebildern oder die mathematische Modellierung der Ausbreitung von Gefährdungen eine Schlüsselrolle. Auf all diesen Gebieten ist das IPSC bereits fest in der wissenschaftlichen Gemeinschaft etabliert. Ziel der Forschungen ist die Nutzung der Fähigkeiten unserer heranwachsenden „Generation Internet“, die von klein auf den Umgang mit Mobiltelefon, Webdiensten, SMS und E-Mail gelernt hat, und die in den nächsten Jahrzehnten den Kern der modernen europäischen Gesellschaft bilden wird. ■ Dr. Stephan Lechner, ist seit 2007 Direktor an der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Europäischen Kommission. Das Institut unterstützt mit seinen rund 500 Mitarbeitern auf verschiedenen Sicherheitsgebieten den europäischen Politikprozess durch technologische Expertise. Zuvor war er für die Mobilfunkunternehmen E-Plus und O2 Germany sowiedie Siemens AG tätig.


Hauptsponsor der IBU INTERNATIONAL BIATHLON UNION

Magdalena Neuner 2-fache Olympiasiegerin 7-fache Weltmeisterin

Spitzenleistung verbindet!

DKB-Cash So geht Internet-Banking. w eltweit kostenlos Geld abheben mit der DKB-VISA-Card

hohe variable Zinsen, täglich verfügbar auf der DKB-VISA-Card kostenloses Internet-Konto mit DKB-VISA-Card

„Meine Internet-Bank“


BAYERN & KULTUR

62


BAYERN & KULTUR Ludwig Spaenle

Jeder nach seinen Fähigkeiten Bayerische Bildungspolitik heißt: Ja zu mehr individueller Förderung, Nein zur Einheitsschule Auf individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler statt auf Einheitsschule setzt der Freistaat Bayern in der Schulpolitik. Im Mittelpunkt steht dabei die bestmögliche Förderung unserer Kinder und Jugendlichen. Dieses Kernanliegen im Schulalltag umzusetzen, gelingt - dies zeigen auch die Ergebnisse von Vergleichsstudien. In der PISA-E-Studie 2006 und dem Bildungsvergleich der deutschen Länder 2010 hatten die Schülerinnen und Schüler von Bayern sehr gut abgeschnitten. Gerade ein differenziertes Schulwesen mit seinen vielfältigen Angeboten entspricht den einzelnen Schülerinnen und Schülern mit ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und Interessen. In den unionsregierten Ländern setzen wir darauf, bei unseren Kindern und Jugendlichen Talente und Begabungen zu entdecken und sie daraufhin bestmöglich zu fördern. Dabei haben wir auch die Aufgabe, die jungen Menschen zu unterstützen und vorhandene Schwächen auszugleichen. Das differenzierte Schulwesen entwickeln wir im Freistaat nach den Grundsätzen „Qualität und Gerechtigkeit“ kontinuierlich weiter. In Bayern besuchen Im laufenden Schuljahr rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche Schulen in Bayern, rund 400.000 von ihnen berufliche Schulen. Für dieses Schuljahr hat der Freistaat insgesamt 1.279 zusätzliche Lehrerstellen bereit gestellt. Dadurch können wir die Anzahl der Schulstandorte mit gebundenen Ganztagsange-

Mittagsbetreuung, mehr Lehrer, kleinere Klassen – Bayern investiert in Schulen. boten von bisher 618 auf nun 785 ausbauen und die Gruppen der offenen Ganztagsangebote von 2.831 im vergangenen Schuljahr auf nun 3.140 anheben. Auch die Mittagsbetreuung wurde weiter ausgebaut. Zudem konnten wir die durchschnittliche Klassenstärke in mehreren Schularten senken, so in den Grundschulen von 22,2 auf 21,9 und an den Haupt- und Mittelschulen von 20,5 auf 20,2 Schülerinnen und Schüler. Grundschulklassen, bei denen mehr als der Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund haben, werden ab einer Klassenstärke von 25 Schülerinnen und Schülern geteilt. Dazu wendet

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

63


BAYERN & KULTUR das Kultusministerium im laufenden Schuljahr insgesamt 411 Vollzeitstellen auf. Die zusätzlichen Lehrer ermöglichen uns auch, Kindern in der 5. Jahrgangsstufe nach dem Vorbild der Intensivierungsstunden des Gymnasiums eine erweiterte individuelle Förderung anzubieten. Als Mittelschule sind zum aktuellen Schuljahr rund 600 der insgesamt 963 Hauptschulen im Freistaat gestartet. 61 Hauptschulen haben aufgrund ihrer Größe und der Angebotsvielfalt allein den Status einer Mittelschule erreicht, 526 weitere haben sich in 178 Mittelschulverbünden zusammengeschlossen. Sie haben sich dazu auf den Weg gemacht, nachdem Schulleiter, Eltern, Schüler, Bürgermeister sowie Vertreter von Wirtschaft und Gesellschaft zunächst in rund 80 Dialogforen die Schulentwicklung in den einzelnen Land- bzw. Stadtkreisen diskutiert hatten. An den Mittelschulen können die Schülerinnen und Schüler ein umfassendes Bildungsangebot besuchen. Dazu gehören mehrere Bildungsabschlüsse, so auch der Mittlere Bildungsabschluss auf dem Niveau des Abschlusses von Wirtschafts- und Realschule; drei berufsorientierende Zweige Wirtschaft, Technik und Soziales sowie ein hoher Praxisbezug; eine Stärkung der Kernkompetenzen der Schülerinnen und Schüler gerade in Deutsch, Englisch und Mathematik; eine Kooperation einer beruflichen Schule mit der regionalen Wirtschaft und der Agentur für Arbeit sowie Ganztagsangebote. Durch dieses erweiterte Bildungsangebot der Mittelschule können die jungen Leute ihre Begabungen besser entfalten. Der „Schulverbund“ dient als Instrument, um möglichst viele kleine Hauptschulstandorte zu erhalten. Gefährdet sind diese durch die Demografie und ein verändertes Übertrittsverhalten. Für den Alltag der Menschen in kleinen Gemeinden vermittelt die Schule ein Stück Lebensqualität und bildet eine Klammer für das Gemeinschaftsleben. Deshalb ist uns der Erhalt möglichst vieler Schulstandorte möglichst lange ein wichtiges Anliegen. Jeder Schulverbund erhält ein eigenes Budget an Lehrerwochenstunden, mit denen flexibel Klassen gebildet werden.

Die bisherige Mindestgröße von 15 Schülerinnen und Schülern pro Klasse an Hauptschulen wird für die Verbünde aufgehoben. Der Modellversuch „Flexibel Grundschule“ wird derzeit gemeinsam mit der Stiftung „Bildungspakt Bayern“ an 20 Grundschulen durchgeführt. In einer flexiblen Eingangsstufe erlernen Kinder in ihrem Lerntempo Lesen, Schreiben und Rechnen als Grundfertigkeiten – unabhängig davon, ob sie dazu ein, zwei oder drei Jahre benötigen. Danach besuchen sie auf einem sicheren Fundament die dritte und vierte Jahrgangsstufe. So dauert die Grundschule für die Schülerinnen und Schüler der Modellschulen entweder drei, vier oder fünf Jahre.

Die Durchlässigkeit wird gesteigert, die individuelle Förderung ausgeweitet. Auch damit wollen wir die Grundschule im Freistaat künftig noch stärker als bisher auf das einzelne Kind hin abstimmen. Zum neuen Schuljahr fand erstmals der Übertritt der Grundschüler auf die weiterführenden Schulen Haupt-/Mittelschule, Realschule und Gymnasium nach dem neuen Verfahren statt. Um dem einzelnen Kind gerecht zu werden, spielen in dieser Übertrittsphase, die sich von der 3. Jahrgangsstufe bis in die 5. Jahrgangsstufe erstreckt, künftig eine zentrale Rolle: die Beratung der Eltern, die Empfehlung der Lehrkräfte über die Schullaufbahn, der mögliche Probeunterricht, die Verantwortung der Eltern und die Begleitung in der 5. Jahrgangsstufe auf der weiterführenden Schule. Die Durchlässigkeit zwischen den Schularten wird gesteigert und die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler ausgeweitet. So verbinden wir die Vorteile des differenzierten Schulwesens mit vielfältigen mit neuen Chancen, die einzelnen Schülerinnen und Schüler auch für den Übergang von einer Schulart in eine andere zu begleiten. Wir erhöhen die Durchlässigkeit zum Beispiel durch: Modellversuche, bei denen Haupt-/Mittelschulen mit Real- oder Wirtschaftsschulen kooperieren. Dazu gehören die verstärkte individuelle Förderung in der 5. Jahrgangsstufe sowie das Angebot der Beruflichen Oberschule als zweiten gleichwertigen Weg zum Hochschulstudium. Eine besonders Aufgabe im bayerischen Bildungswesen ist es, junge Menschen mit Migrationshintergrund intensiver zu begleiten. Dafür haben wir ein Gesamtkonzept zusammengestellt, zu dem vorrangig die intensivierte Sprachförderung im Kindergarten und an den Schulen gehört. Allein an den Volksschulen stehen dafür 736 Vollzeitstellen zur Verfügung. Wir werden auch die interkulturellen Kompetenzen der Schüler und der Lehrkräfte stärken. Die Absenkung der Klassenstärke an Grund- und Hauptschulen, wenn bei mehr als zur Hälfte der Kinder Migrationshintergrund besteht, habe ich bereits erwähnt. Bei allen unseren Bemühungen dürfen wir aber nicht die Eltern aus ihrer Pflicht entlassen, denn es ist von zentraler Bedeutung, dass sich die Zuwandererfamilien aktiv an dem Integrationsprozess beteiligen und ihre Kinder dabei unterstützen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Modellversuch: An 20 Grundschulen wird derzeit die „Flexible Grundschule“ getestet.

Wir müssen den Anliegen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der jungen Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in unserem Schulwesen gerecht werden. Bayern setzt die UNBehindertenrechtekonvention um. Stärker als bisher sollen dabei die Eltern künftig die Entscheidung fällen, ob ihre Kinder eine Regelschule oder eine Förderschule besuchen. Unser Ziel ist die Inklusion durch Kooperation, bei der wir die jungen Menschen mit besonderen Angeboten wie den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten begleiten. Qualität und Gerechtigkeit müssen sich als Ziele im bayerischen Schulwesen ergänzen. Diesen Zielen dienen die qualitative Weiterentwicklung der Schularten wie auch Maßnahmen, um unterschiedlich begabte junge Menschen je eigens zu fördern. Zu den Maßnahmen, die Schularten weiterzuentwickeln, gehören auch die Initiative Realschule 21 und die Fortentwicklung der bayerischen Gymnasien.

Der doppelte Abiturjahrgang 2011 ist eine große Herausforderung. Eine große Herausforderung stellt der doppelte Abiturientenjahrgang 2011 dar. Dabei handelt es sich um mehr als 69.000 junge Menschen. Wir haben für unseren Bereich Maßnahmen getroffen, um die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Schulen bei der Bewältigung dieser historischen Sondersituation zu begleiten. So werden die Abiturprüfungen des achtjährigen und des neunjährigen Gymnasiums werden zeitlich getrennt. Durch zusätzliche Feststellungsprüfungen können Schülerinnen und Schüler trotz nicht ausreichender Leistungen in einzelnen Fächern in der Jahrgangsstufe 13 des G9 noch zum Abitur zugelassen werden. Und G9-Schüler, die die Abiturprüfungen nicht bestanden haben sollten, können sich für den Nachtermin im September 2011 anmelden.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Die Abiturientinnen und Abiturienten des letzten Jahrgangs des neunjährigen Gymnasiums können bereits zum Sommersemester in vielen Fächern und an vielen Hochschulstandorten in Bayern ihr Studium aufnehmen. Vorlesungsbeginn ist in Bayern Anfang Mai. Die Staatsregierung schafft mit den Universitäten und Fachhochschulen zusammen rund 38.000 zusätzliche Studienplätze. Entscheidend ist, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen noch intensiver individuell fördern. An diesem Ziel werden wir konsequent weiterarbeiten. Der Haushaltsentwurf für den Doppelhaushalt 2011/2012 sieht hier entsprechende Möglichkeiten mit vor: Etat des Bayerischen Kultusministeriums wird von 9,48 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 9,78 Milliarden Euro im Jahr 2012 steigen. Mit dem Doppelhaushalt 2009/2010 (mit insgesamt 2.738 zusätzlichen Stellen) und dem Entwurf 2011/2012 können wir jährlich 1000 Lehrerstellen für zusätzliche Aufgaben bereitstellen und so die Ziele der Koalitionsvereinbarung weiterhin umsetzen. Für uns gilt: Die Einheitsschule mit Einheitslösungen für alle Kinder und Jugendlichen gehört konzeptionell dem vergangenen Jahrhundert an. Wir setzen auf individuelle Förderung in einem sehr durchlässigen Schulsystem – unserer jungen Leute wegen. ■

Dr. Ludwig Spaenle, Jahrgang 1961, ist seit Oktober 2008 Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus. Seit 1994 sitzt der Münchener CSU-Politiker im Bayerischen Landtag, wo er von 2004 bis 2008 Vorsitzender des Hochschulausschusses war.

65


Karikatur: Horst Haitzinger

BAYERN & KULTUR KULTU UR

Hannes Burger

Reise fürs Geschichtsbuch Seehofers Prag-Reise öffnet neues bayerisch-tschechisches Kapitel

Wer in der Geschichtsschreibung ein neues Kapitel aufschlagen will, hat dafür außer der Überschrift zunächst einmal leere Seiten vor sich. Nicht anders verhält es sich mit dem Ziel von Horst Seehofer und Petr Necas, ein neues Kapitel zwischen den Nachbarn Bayern und Tschechien aufzuschlagen. Sie erklärten diese Absicht beim ersten offiziellen Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten beim tschechischen Kollegen in Prag am 20. Dezember 2010. Der lange vorbereitete eintägige Kurzbesuch vier Tage vor Weihnachten fand 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und 65 Jahre nach dem II. Weltkrieg statt – also nicht mehr zu früh. Im Frühjahr wird er mit einem Gegenbesuch in München erwidert. Dann muss das neue Kapitel vollgeschrieben werden, ohne die alten Kapitel von 1000 Jahren Geschichte zu vergessen. Tausend Jahre vorwiegend friedlicher Nachbarschaft entlang der Grenzen vom Freistaat Bayern und der heutigen Republik Tschechien sind eine lange Zeit. Aber in der Schule muss man vor

66

allem Daten von Konflikten, Kriegen, feindlichen Einfällen und Vertreibungen über die Grenzen hinweg lernen. So bleibt dann in Erinnerung, als seien Friede und tolerantes Zusammenleben die Ausnahme gewesen. Dies umso mehr, als nach dem I. Weltkrieg Nationalisten beider Seiten begannen, Hass und Neid zu schüren. Dann haben deutsche Nationalsozialisten zwölf Jahre und anschließend tschechoslowakische Nationalkommunisten über 45 Jahre lang die gemeinsame Geschichte gegenseitiger Vertreibungen jeweils in ihrem Sinne propagandistisch verfälscht. Das letzte Unrecht in dieser langen Reihe war die Vertreibung und Enteignung von rund vier Millionen sowie die Misshandlung und Ermordung von rund 800 000 Sudetendeutschen nach dem Krieg. Gerechtfertigt und per Amnestie straffrei gestellt wurde diese Rache an Unschuldigen durch Dekrete des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes. Diese wurden trotz beiderseitiger Bekenntnisse des Unrechts und des Versöhnungswillens bisher nicht aufgehoben, sondern Benes wird nach wie vor mit Denkmälern verehrt. Die formale Aufhebung der Unrechts-De-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


BAYERN & KULTUR krete haben alle Staatsregierungen Bayerns als Schirmherr der überwiegend im Freistaat aufgenommenen und gut integrierten Sudetendeutschen als Vorbedingung für offizielle Beziehungen gefordert. In Tschechien hat es seit Ende des Kommunismus jedoch in 20 Jahren keine Regierung innenpolitisch gewagt, auch nur zu versuchen, das durchzusetzen. Gesten zur Versöhnung kamen von den Sudetendeutschen, nicht aber von tschechischen Politikern.

wurde wegen des Einsatzes für Demokratie, Freiheit einen marktwirtschaftlich orientierten Reformkurs in Prag mit der Goldenen Medaille des Peutinger-Collegiums ausgezeichnet. Necas und Seehofer hatten sich vor der offiziellen Begegnung ebenfalls heimlich an der Grenze getroffen, um sich kennenzulernen und den Besuchsablauf zu besprechen. Das erste Treffen war zwar nur kurz, aber gut vorbereitet. Daher gibt es für die Regierungen eine lange Liste, was endlich getan werden muss.

Um diesen Teufelskreis einer nahezu 100 Jahre lang mit gegenseitigem Unrecht vergifteten Nachbarschaft zu beenden, musste der Gordischer Knoten der permanenten Aufrechnungen durchschlagen werden. Der Minimal-Kompromiss lautete: Seehofer klammert den historischen Ballast der Benes-Dekrete aus und Necas akzeptiert, dass der bayerischen Delegation mit dem CSU-

Wer mit einem Nachbarn wirklich reden will, muss als erstes dessen Sprache verstehen. Auf beiden Seiten des Grenzgebietes sprachen früher viele Leute deutsch und tschechisch; nach dem I. Weltkrieg machten Nationalisten jeweils die Fremdsprache zur Feindsprache. Ältere Tschechen verstehen meist noch etwas Deutsch, das für alltägliche Verständigung reicht, junge Tschechen lernen eher Englisch. Von den Deutschen entlang der Grenze verstehen nur sehr wenige tschechisch. Die Sprachbarriere muss daher zuerst bei den Jungen über die Schulen abgebaut werden, damit die Kontakte über die Grenze neu aufgebaut werden können. Das erfordert ein Kulturabkommen zwischen München und Prag, sowie ein Jugendwerk nach dem Vorbild des deutsch-französischen. Dazu gehören gemeinsame Regelungen und finanzielle Förderungen für Kindergärten, Schulen und Hochschulen im Grenzgebiet über Nachbarsprache, aber auch Anerkennung der Schulzeugnisse sowie Schüler- und Lehreraustausch.

Auch die Kirchen aus Tschechien haben zur Versöhnung aufgerufen. Europaabgeordneten Bernd Posselt ein Vertreter der Sudetendeutschen angehört. Gegen Vertreter der Kirchen und der Wirtschaft in der kleinen Gruppe aus München hatte sowieso niemand etwas, denn die wirtschaftlichen Beziehungen laufen gut, und die Kirchen waren die ersten, die auch aus Tschechien zur Versöhnung aufgerufen haben. War es auch nur ein erster vorsichtiger Schritt auf schwankendem diplomatischem Seil – er ging nicht zuletzt dank der geschickten Vermittlung des tschechischen Außenministers Karel Fürst Schwarzenberg erfolgreich in die richtige Richtung. Von „Tauwetter nach der Eiszeit“, „Reise fürs Geschichtsbuch“ und „Ende der Sprachlosigkeit“ war in den übereinstimmend positiven Medienberichten die Rede. Der Händedruck kann daher zu Recht als „historisch“ bezeichnet werden. Beide Ministerpräsidenten bemühten sich, unterschiedliche Auffassungen von der Geschichte weder zu leugnen noch zu ihrem Hauptthema zu machen. Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit muss sowieso jedes Land zuerst für sich bewältigen. Horst Seehofer wie Petr Necas wollten die Hardliner beider Seiten nicht reizen und keine zu hohen Erwartungen wecken. Die sind jedoch längst vorhanden, vor allem im Grenzgebiet, denn die längste Grenze zu Deutschland hat Tschechien nun mal mit drei bayerischen Bezirken. Viele Probleme müssen zwischen den Regierungen in München und Prag direkt gelöst werden, weil die kommunalen Ebenen damit rechtlich überfordert sind. Für einige sind bereits weitere und konkretere Gespräche vereinbart. Die Frage ist nun, wie die inoffiziell guten Beziehungen auf den Ebenen der Beamten, der Kommunen und der Wirtschaft künftig auch offiziell noch besser werden können. Doch auch beim Aufräumen und Saubermachen in der Geschichte ist es zweckmäßig, wenn jeder Nachbar vor seiner Haustüre zu kehren beginnt. „Gute Nachbarschaft“ wurde schon öfter beschworen – zuletzt 2008 von den Ministerpräsidenten Beckstein und Topolanek bei zwei inoffiziellen Treffen. Zu einem Staatsbesuch kam es nicht mehr, weil beide aus dem Amt schieden. 2009 war der tschechische Staatspräsident Václav Klaus inoffiziell in München. Er

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Die Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes auf der traditionellen Industrieachse von Nürnberg, Regensburg und Deggendorf über Cham nach Westböhmen bis Pilsen und Prag durch die Further Senke ist bisher am besten vorangekommen. Auch zwischen Oberfranken und Nordböhmen läuft die grenzüberschreitende Zusammenarbeit recht gut. Nur südlich des Böhmerwaldes zwischen Niederbayern und Südböhmen fehlt es weitgehend an der nötigen Infrastruktur. Das Dreiländereck zwischen Passau, Linz und Südböhmen ist bisher ein strukturpolitisch vernachlässigtes Stiefkind seitens der Regierungen in München und Prag. Wo immer Bayern und Tschechien künftig mehr Wege gemeinsam gehen wollen, brauchen sie natürlich die Bereitschaft der Menschen und der Kommunen entlang der Grenzen. Das betrifft zum Beispiel auch zweisprachige Beschilderungen und Informationstafeln als nachbarschaftlicher Service. Aber die Landkreise, Gemeinden und auch die Euregios stoßen bisher oft an die Grenzen ihrer Kompetenz. Die offizielle staatliche Kontaktaufnahme war daher dringend erforderlich. Ministerpräsident Necas betonte: „Wir dürfen nicht noch länger die gemeinsame Zukunft durch die Vergangenheit belasten!“ Und Seehofer fügte am Ende „der schwierigsten und sensibelsten Reise“ seiner politischen Laufbahn erleichtert hinzu: „Die Zeit war reif für dieses Treffen.“ ■

Hannes Burger, 1937 in München-Schwabing geboren, war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung und Bayern-Korrespondent der WELT. 22 Jahre lang schrieb er die Salvatorreden für den Starkbieranstich auf dem Nockherberg. Heute lebt er im Bayerischen Wald und trägt den Ehrentitel „Botschafter Niederbayerns“.

67


BAYERN & KULTUR Dirk Götschmann

Bayerns Weg zur Wirtschaftsmacht Bildung, Innovation und effiziente Verwaltung: Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die Weichen für den rasanten Aufstieg im Freistaat gelegt

68

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


BAYERN & KULTUR

Es ist diese Mischung aus Bewunderung und Neid. Wie haben es diese Bayern denn nach ganz oben geschafft? Nirgendwo anders vollzog sich der Wandel vom Agrarstaat zum Hightech-Standort so rasch wie im Freistaat. Stolz sind die Menschen zwischen Berchtesgaden und Aschaffenburg ob des rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Der Erfolg ist unbestritten, doch die Frage über die Urheberschaft noch lange nicht abgeschlossen. Wer einen geschichtlichen Rückblick unternimmt, gleicht einem Wanderer, der nach einem langen Tag auf dem Gipfel eines Berges angekommen ist. Nun erst sieht er, auf welchen Wegen oder Umwegen er an sein Ziel gelangt ist. Und wer nach den Anfängen und Ursachen für den wirtschaftlichen Erfolg Bayerns sucht, der muss weit zurückschauen. Dieser Weg beginnt nämlich nicht erst nach 1945, sondern schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 씮

69


Früher war’s Erfindergeist, heute heißt es Innovation: Ingenieure tüfteln 1910 im oberbayerischen Höllriegelskreuth an der Verflüssigung von Gas.

Die Grundlage jeder Volkswirtschaft sind das Land und seine Menschen. Größe, Oberflächengestaltung, Boden, Klima, geographische Lage, Wasser- und Landwege, Bodenschätze und Rohstoffe bilden das Potential eines Landes. Dessen Nutzung aber hängt von den Menschen ab, die es bewohnen.

tungsfähigen und -willigen Arbeitskräften, auf das innovative Unternehmer zurückgreifen konnten. Da man Rohstoffe teuer importieren musste, ging man mit diesen sparsam um und führte sie einer möglichst hohen Veredelungsstufe zu; das förderte Innovation und Qualität. Am Ende des 19. Jahrhunderts lebte bereits jeder dritte Mensch im Königreich von der Industrie. Besonders hoch war der Anteil der so genannten „industriellen Bevölkerung“ in Augsburg, Nürnberg, Hof und

Bei den meisten dieser Faktoren sah es in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum schlechter aus als in anderen Teilen Deutschlands. Erst mit der Industrialisierung, die um 1840 an Fahrt gewann, geriet Bayern wirtschaftlich ins Hintertreffen. Ursache dafür war vor allem, dass es in Bayern kaum Kohle und Erz gab und sich so keine bedeutendere Schwerindustrie entwickeln konnte. Diese aber war – neben der Textilindustrie etwa in Augsburg – die Grundlage der ersten Industrialisierungswelle.

Der Staat hat seine Hausaufgaben gemacht. Er schuf die Grundlagen für den Erfolg. Kulmbach. Vor allem nach der Reichsgründung 1871 hatte die Wanderung vom Land in die Städte rasant zugenommen. Insgesamt hat sich zwischen 1840 und 1910 die Bevölkerung etwa in München auf 596 000 Menschen und in Nürnberg auf 333 000 mehr als verfünffacht. Firmen wie MAN, die „Vereinigte Maschinenfabrik Augsburg und Nürnberg“ und Erfinder wie der Oberfranke Carl von Linde stehen beispielhaft für den Aufstieg Bayerns.

Trotzdem verpasste man in Bayern nicht den Anschluss. Im Gegenteil: Auf dem Gebiet der Feinmechanik, des Maschinen- und Apparatebaus, aber auch in manchen anderen Industriezweigen bildeten sich schon vor 1850 leistungsfähige Unternehmen aus, die mitunter sogar bereits einen weltweiten Absatz erreichten. Denn obwohl in Bayern die meisten Menschen von der Landwirtschaft lebten, gab es daneben einen weitgefächerten gewerblichen Sektor, der sich in den Regionen etwa um Nürnberg und Augsburg konzentrierte.

Auch der Staat hat frühzeitig seine Hausaufgaben gemacht. Mit einer effizienten und vor allem korruptionsfreien Verwaltung schuf er die wichtigste Grundlage jeder Entwicklung und durch einen forcierten Ausbau des Bildungswesens steigerte er

© The Linde Group 2010

Dieser Sektor bildete ein Reservoir an gut ausgebildeten, leis-

Premiere auf Schienen: 1835 fuhr der „Adler“ von Fürth nach Nürnberg. Sechs Kilometer wurden in neun Minuten zurückgelegt.

70

Die Königin der Meere: Der Luxusliner Queen Elizabeth 2 wird mit Schiffsdieselmotoren von MAN betrieben.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


© Siemen Siemen eme s AG 201 2 0 20

Odipit nonum zzriure tatue commy nostrud erat, conse tat nis dignim nulluptatet, quipsum iuscilit ute etter elim velendiam, senim zzrit.

© The Linde Group 2010 0

Aluminium, so hart wie Stahl – daran arbeiten Siemens-Forscher. Mit leichtem, aber festem Aluminium ließe sich die Leistung von Turboladern und Motoren steigern.

Kühlschrank der Nachkriegsgeneration: Technik der fünfziger Jahre aus dem Hause Linde.

die Schlüsselqualifikation der Menschen. 1900 bereits gehörte die Technische Hochschule in München zu den besten Ausbildungsstätten im Reich. Durch Einrichtung einer umfassenden Statistik verschaffte er sich die Kenntnisse, die für eine zielgerichtete Wirtschaftsund Sozialpolitik unabdingbar sind und durch die Gründung von Banken – etwa der „Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank“ – und Versicherungen sorgte er für die Bereitstellung von Kapital, ohne das keine Volkswirtschaft funktioniert. Nicht zuletzt sorgte er durch den Bau eines Eisenbahnnetzes für eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und wahrte Bayerns Anschluss an die weiter entwickelten Regionen Deutschlands. Es ist kein Wunder, dass die erste deutsche Eisenbahn 1835 zwischen Fürth und Nürnberg verkehrte. All diese Entwicklungen fallen noch in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich hat man auch auf Erfolge aufmerksam gemacht. Hier ist auf die vielbeachteten Industrieausstellungen zu verweisen, deren erste bereits 1834 stattfand und die besonders nach dem Bau des spektakulären Glaspalastes in München 1854 große Resonanz erhielten. Zugleich markiert dieser Bau übrigens den Beginn der Münchner Karriere als internationaler Ausstellungsort. Große Aktivitäten dieser Art entfaltete man auch 1906, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des

Königreiches. Und schließlich diente auch das auf eine Initiative von Oskar von Miller zurückgehende Deutsche Museum, das 1903 gegründet wurde, zu einem guten Teil der Darstellung der Leistung bayerischer Ingenieure. Einer davon war Miller selbst, dessen Tätigkeitsbereich vor allem die Elektrotechnik war und Projektleiter beim Bau des damals größten Wasserkraftwerks der Welt am Walchensee. Die Elektrotechnik aber war jener Industriesektor, der – neben der Chemie – die um 1880 einsetzende zweite Industrialisierungswelle trug und bei der Bayern von Anfang an voll beteiligt war. Seit etwa 1880 hat sich dadurch Bayerns industrieller Rückstand gegenüber anderen Teilen des Reiches kontinuierlich verringert und dies bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Erst angesichts des desolaten Zustandes, in dem sich Bayerns Wirtschaft nach dem Zusammenbruch von 1945 befand und der großen Versorgungsprobleme in den folgenden Jahren setzte sich jedoch wieder das Bild vom Agrarland durch. Dieses Bild bestimmt die Vorstellung der meisten Menschen bis heute und gibt den Hintergrund ab, vor dem die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte besonders rasant erscheint. Es schmälert jedoch nicht die Verdienste der Menschen, die in der Nachkriegszeit durch ihren oft harten persönlichen Einsatz dazu beitrugen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und weiterzuentwickeln, wenn man konstatiert, dass auch die früheren Generationen ihren Beitrag geleistet haben, dass Bayern heute ein erfolgreicher Wirtschaftstandort ist. Nicht nur aus Respekt vor deren Leistung, sondern um zu verstehen, wie Bayern geworden ist, was es heute darstellt, lohnt sich eine Betrachtung dieses Bereichs der bayerischen Geschichte. ■

Prof. Dr. Dirk Götschmann ist seit dem Jahr 2000 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Würzburg. Der gebürtige Heidelberger studierte an der Universität Regensburg und hat sich frühzeitig mit bayerischen Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte befasst. Seine Dissertation schrieb er über das oberpfälzische Montanwesen im 16. und 17. Jahrhundert und wurde dafür mit dem „Professor Josef Engert-Preis“ der Stadt Regensburg ausgezeichnet. Von ihm erschien zuletzt der Band „Wirtschaftsgeschichte Bayerns. 19. und 20. Jahrhundert“, Verlag Friedrich Pustet, 672 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 49,90 Euro.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

71


BAYERN & KULTUR Walter Beck im Gespräch mit Magdalena Neuner

Ich will mein Bestes geben Bayerns erfolgreichste Biathletin über Ansporn, Freude und schwere Beine

Bayerischer Monatsspiegel: Wie können Sie sich selbst vor dem Wettkampf einschätzen? Wissen Sie denn vorher, ob Sie in dem Wettkampf wahrscheinlich gut werden oder nicht? Magdalena Neuner: Es ist wirklich komisch, aber ich kann das nicht so richtig. Manchmal

72

Foto: biathlon-Weltcup antholz.it

Wenige Sportarten sind in sich so widersprüchlich wie Biathlon. Beim Skating treiben die Athleten ihren Puls auf 200 Schläge pro Minute und mehr. Doch beim Schießen brauchen sie wieder eine möglichst ruhige, möglichst ausgeglichene Hand. Ist dieser Widerspruch womöglich der besondere Reiz dieser Kombinationssportart? Biathlon hat eine lange Geschichte, ist aber eine junge Sportart. Höhlenmalereien in Norwegen zeigen, dass schon vor 5000 Jahren Jäger auf Skiern dem Wild nachstellten. Später wurden in Skandinavien und in Russland schnelle und flexible Ski-Regimenter aufgestellt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Biathlon zum zivilen Sport und wurde 1954 vom IOC als eigenständige Sportart anerkannt. Die Frauen durften erst viel später an den Start: 1984 konnten sie die ersten Weltmeisterschaften austragen, 1994 durften sie erstmals im französischen Albertville um olympisches Gold laufen und schießen. Mit Kati Wilhelm, Uschi Disl, Andrea Henkel und Magdalena Neuner hat Deutschland besonders erfolgreiche Biathletinnen. Der Bayerische Monatsspiegel sprach mit der Wallgauerin Magdalena Neuner.

Das Gewehr geschultert, die Ski gut gewachst: Seit Jahren eilt Magdalena Neuner im Biathlon von Sieg zu Sieg.


BAYERN & KULTUR fühle ich mich beim Einlaufen ganz schlecht, schwer in den Beinen und dann laufe ich anschließend meine besten Rennen. Dann fühle ich mich wieder gut und es klappt nicht so hundertprozentig; ich schieße Fahrkarten. Heuer konnte ich wegen meiner Krankheit den letzten Druck im Training nicht aufbauen. Ich habe mich zwar selbst gut gefühlt und wusste, dass meine Laufleistung stimmt. Ich konnte mich aber nicht einordnen, wusste also nicht, wie meine Mitbewerberinnen und Freundinnen vorbereitet sind. Das ist das eigentliche Problem. Jetzt hat die Saison gezeigt: Insgesamt klappt es schon recht gut. Wir sind schon wieder besser als die Männer.

Sportlerin sein, falls diese Spiele in acht Jahren in GarmischPartenkirchen stattfinden. Aber vielleicht kann ich ja als Kommentatorin oder Trainerin teilnehmen. Meinem Sport bleibe ich verbunden. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Schon mit neun Jahren bin ich zum Biathlon gekommen. Dieser Sport hat mir die Welt gezeigt und mir Erlebnisse gegeben, wie ich sie mir schöner gar nicht vorstellen kann. Deshalb lege ich auch großen Wert darauf, dass alle, die mir etwas Gutes tun wollen, anderen helfen, die sozial schwach sind. Das ist die größte Freude, die sie mir bereiten können. Es war sehr schön zu sehen, dass viele Fans auf Weihnachtsgeschenke verzichtet haben und stattdessen für sozial Schwache gespendet haben. Das ist echte Nächstenliebe.

BMS: Apropos Männer. Warum sind eigentlich immer nur Männer Trainer? Wir hätten doch auch Frauen, die sehr erfolgreich im Biathlon waren, wie beispielsweise Petra Behle? Neuner: Das stimmt. Vielleicht wäre es ein Vorteil, weil Frauen Frauen halt doch besser verstehen. Wir Frauen sind auch im Training, auch im Wettkampf mehr mit dem Kopf dabei als die Männer. Wir denken mehr und gleichen Emotionen und Denken im Training aus. Die Männer sind da viel emotionaler. Unsere Trainer verstehen uns aber wirklich recht gut. Wenn wir manchmal Probleme haben, die die Männer nichts angehen, sind wir schließlich genug Frauen und können uns untereinander besprechen. Aber eins möchte ich schon betonen: Frauen denken mehr als Männer, jedenfalls ist das meine Erfahrung im Biathlon.

BMS: Haben Sie wirklich noch Ziele im Biathlon? Neuner: Freilich: Zehn Goldmedaillen wären wirklich eine schöne runde Zahl. Dafür muss ich noch arbeiten und mein Bestes geben. Das tue ich ja wirklich sehr gerne. BMS: Sie sind sehr musikalisch, mit Musik aufgewachsen. Hilft Ihnen die Musik auch im Sport? Neuner: Ich habe schon als Kind Blockflöte gespielt und dann mit zehn Jahren mit der Harfe begonnen. Ich liebe Musik. Sie hilft mir, mich zu entspannen. Am Tag nach einem anstrengenden Training eine halbe Stunde Musik: Das ist herrlich! Ich kann dann komplett abspannen, werde im Kopf völlig frei, weil ich mich nur auf die Musik konzentriere. Insofern hat Musik auf mich auch eine heilende Wirkung. Ohne Musik möchte ich nicht leben. Im Wettkampf selbst höre ich allerdings keine Musik. Ich muss schließlich den Wettkampf und den Ablauf beachten. Beim Schießen muss ich mich auf die Technik konzentrieren. Da würde Musik eher stören. Ich habe es allerdings noch nicht ausprobiert.

BMS: Ihre bisherigen Trainer kommen alle aus Ostdeutschland. Ist das ein Problem? Neuner: Für mich spielt das keine Rolle. Ich habe ja nur das wiedervereinigte Deutschland erlebt und bin sehr froh über unsere Trainer und ihre Qualitäten. In der Mannschaft geht es ja

„Zehn Goldmedaillen wären eine schöne runde Zahl.“

BMS: Und die Zukunft des Biathlons? Neuner: Darum ist mir gar nicht bange. Schauen Sie, wie unglaublich schnell unsere Jüngste, Miriam Gössner, der Welt gezeigt hat, dass wir in Deutschland immer neue Talente hervorbringen. Gerade wenn ich mit unseren Jungen trainiere, sehe ich mit Freude, mit wie viel Begeisterung sie sich in den Sport vertiefen. Das ist das Entscheidende.

BMS: Sie haben in sehr jungen Jahren alles erreicht, waren die beste und erfolgreichste Biathletin weltweit und noch die Jüngste. Wie kann man sich denn da überhaupt noch motivieren? Neuner: Das war schon ein wirkliches Problem für mich. Es war alles ein bisschen viel im letzten Jahr. Der Urlaub war auch so kurz. Ich wusste wirklich nicht, ob ich noch volle Kraft habe und mit vollem Spaß dabei bin. Ich habe aber jetzt wieder gemerkt: Es macht mir eigentlich unglaublich viel Spaß! Ich kann mir aber keinen schöneren Beruf vorstellen. Ich will mein Bestes geben, wenn ich im Wettkampf bin. Das gilt überall: Wer Erfolg haben will, muss sein Bestes geben, das gilt auch in persönlichen Beziehungen. Auch eine Freundschaft kann nur funktionieren, wenn jeder sein Bestes geben will. Auch insofern zeigt mir mein Sport immer wieder: Es ist unglaublich wichtig, sich auf die jeweilige Situation optimal vorzubereiten. BMS: Wie stehen Sie zu den Olympischen Spielen 2018 in Garmisch? Neuner: Ich begrüße es sehr, dass sich München und Garmisch dafür bewerben. Ich selbst werde wohl nicht mehr aktive

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Foto: biathlon-Weltcup antholz.it

auch völlig gemischt zu. Einige kommen aus Schwaben, andere aus Sachsen oder Thüringen. Miriam Gössner spricht auch kein Bayerisch, sondern Hochdeutsch oder Norwegisch, also sind wir recht bunt gemischt. Das ist auch schön so.

Weltmeisterin mit kleiner Schwäche: Nur dreimal hat Magdalena Neuner bisher fehlerfrei geschossen.

73


Foto: biathlon-Weltcup antholz.it

Sympathische Siegerin: Schon mit 20 war Magdalena Neuner jüngste Dreifach-Weltmeisterin und Sportlerin des Jahres.

Aus der Vita von Magdalena Neuner: • Geboren am 9. Februar 1987

BMS: Ist Deutschland ein „Lena“-Land? Im Sommer Lena MeyerLandrut, im Winter Lena (Magdalena) Neuner? Neuner: Also: Ich bin ja die Magdalena. Ich finde es aber toll, wie sich Lena in Europa durchgesetzt hat. Sie hat ihren eigenen Stil gezeigt, ganz sich selbst vertraut. Ich kenne sie noch nicht persönlich. Ich habe aber den Eindruck: Sie wird ihren Weg machen. Intelligent, witzig und mit klaren Vorstellungen – eben eine überzeugende Frau. Ich hatte mit 19 Jahren meinen ersten Weltcupsieg, am 5. Januar 2007. Lena wurde mit 19 Jahren EuroContest-Siegerin. Sie hat also noch die ganze Zukunft vor sich. BMS: Sie sind Botschafterin der Frauenfußball-WM für Augsburg. Wussten Sie, dass der Ahnherr und Namensgeber des Peutinger-Collegiums einer der maßgeblichen und herausragenden Personen in Augsburg war? Einer der großen Humanisten

Deutschlands Fußball-Frauen zeigen größeren Siegeswillen als die Männer. des 15. und 16. Jahrhunderts? Ein Mann, der ganz gegen die damals herrschende Auffassung sowohl seiner Frau, wie auch seinen Töchtern eine umfassende Ausbildung hat zukommen lassen, ein Mann, der die persönliche Gedankenfreiheit auch gegen herrschende Auffassungen durchgesetzt hat. Neuner: Das ist mir neu, das finde ich aber ganz toll. Ein Grund mehr, in Augsburg die Frauenfußball-WM zu unterstützen. Vielleicht ergibt sich ja dabei auch die Möglichkeit, die besonderen Fähigkeiten, die uns Frauen nun einmal von den Männern unterscheiden, ganz deutlich herauszustellen. Mein Eindruck ist: Gerade im Sport zeigen die deutschen Frauen häufig mehr Bereitschaft, sich zu quälen, größeren Siegeswillen und auch mehr Beharrlichkeit. Wie Bundeskanzlerin Merkel einmal so schön formulierte: Unsere Frauen haben es ja schon geschafft, Fußballweltmeisterinnen zu werden. Warum soll das nicht auch den Männern gelingen? Diese Reihenfolge gefällt mir. ■

74

• Mit 19 Jahren am 5. Januar 2007 erster Weltcup-Sieg • Mit 20 Jahren Sportlerin des Jahres sowie dreimalige und jüngste Dreifach-Weltmeisterin • Danach noch vier weitere Weltmeisterschaftstitel • Sieben Mal Weltmeisterin bei den Junioren • Zwei olympische Goldmedaillen und eine Silbermedaille in Vancouver • 2007, 2008, 2009 und 2010 Siegerin im Gesamtweltcup • Weitere Siege 2008 und 2009 beim Einzelweltcup, 2007 und 2008 beim Sprintweltcup, 2009 und 2010 in der Verfolgung • 29 Erstplatzierungen auf dem Podium, neun Mal Zweite, zehn Mal Dritte • Als Achtjährige gewann sie ihren ersten Wettbewerb im Skilanglauf • Mit neun Jahren hatte sie ihr erstes Biathlontraining • Nach dem Realgymnasiums in Garmisch seit 2003 Mitglied im Zoll-Ski-Team • Ihr größtes Problem bleibt das Schießen – nur drei Mal hat sie bisher fehlerfrei geschossen • Ihre schlechteste Bilanz: Neun Schießfehler bei der Verfolgung in Hochfilzen im Dezember 2008 • Sie gehört zum Kuratorium für die Olympiabewerbung in München und ist für Augsburg Städtebotschafterin für die Fußball-WM der Frauen, zudem unterstützt sie die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe (siehe Seite 84) • 2008 hat sie die Patenschaft für einen neugeborenen Elch in der Nähe von Östersund übernommen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


Michael Weiser

Immerwährender Mythos Landesausstellung 2011 zeigt das ewige Rätsel Ludwig II.

Digitalbild: Prof. Dr. Gerd Hirzinger

Digitalbild: Haus d.Bayerischen Geschichte/Augsburg

© Deutsches Museum München

„Nie sollst du mich befragen!“ heißt es im „Lohengrin“ von Richard Wagner. Nicht minder geheimnisvoll als der Schwanenritter gab sich auch sein glühendster Bewunderer. „Ein ewig Rätsel will ich bleiben“, sagte Ludwig II. Das ist er letztlich auch geblieben. Bis hin zu den ungeklärten Umständen seines Todes am 13. Juni 1886 im Starnberger See. Die bayerische Landesausstellung 2011 in Schloss Herrenchiemsee – sie beginnt im 125. Todesjahr am 14. Mai unter dem Titel „Götterdämmerung“ – wird Ludwigs Rätsel nicht lösen können, aber versuchen, Licht auf die vielen Widersprüche seines Lebens zu werfen. Und sie wird damit gewaltig Besucher anziehen. „Eine unzerstörbare Ikone der Moderne und einen grandiosen Mythos“ nennt der Historiker Peter Wolf den Märchenkönig, der in den USA und Japan der vielleicht bekannteste europäische Herrscher ist und der mitunter wie aus seiner Zeit gefallen wirkt. „Lebhafte Herzlichkeit und kühle Distanz, Liebenswürdigkeit und Rücksichtslosigkeit, Wirklichkeitssuche und Weltflucht“, so fasst der Historiker Hermann Rumschöttel des Königs schwierigen Charakter zusammen. „Ein realistisch-analytischer Geist mit einer ausschwärmenden Phantasie, ein hoch gesteigerter monarchischer Machtanspruch neben Selbstvorwürfen und persönlicher Unsicherheit.“ Und eingebunden in widrige politische Passend zum 125. Todestag von König Ludwig II. und zur Landesausstellung in Schloss Herrenchiemsee widmet Finanzminister Georg Fahrenschon den Jahreskalender 2011 seines Ministeriums dem Märchenkönig. Der reich bebilderte Kalender ist für 10 Euro in den Museumsläden der bayerischen Schlösser zu kaufen oder über die Internetadresse www.schloesser.bayern.de zu bestellen.

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Umständen. Die Präsentation in Herrenchiemsee zeigt das Königsreich Bayern im Umbruch, zwischen dem Klischee der Gebirgsidylle und der Realität der Industrialisierung und Verstädterung, zwischen Anspruch auf Eigenständigkeit und preußisch bestimmter Wirklichkeit. Die Ausstellungsmacher haben dabei die Besonderheiten des Schlosses für einen stillen dramatischen Effekt genutzt: Der Besucher betritt und verlässt die Schau über das unvollendete Treppenhaus mit den nackten Ziegelwänden, die an die Rückseite von Theaterbauten und an Fabriken erinnern. Backsteinerne Kehrseite, strahlende Fassaden – auch so kann man sich dem Kini nähern. ■ MW. Die bayerische Landesausstellung 2011 „Götterdämmerung“ ist vom 14. März bis 16. Oktober in Schloss Herrenchiemsee geöffnet. „Im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen“ ließ Ludwig II. auf zerklüfteten Felsen in malerischer Bergszenerie ab 1869 Schloss Neuschwanstein erstehen. Als er 15 Jahre später starb, war das Märchenschloss noch immer nicht vollendet (oben li.) Der „Kini“ war modernster Technik aufgeschlossen. Doch sein Plan, mit einem Pfauenwagen über den Alpsee zu fliegen, scheiterte noch. In der Landesausstellung werden Ludwigs nicht realisierte Projekt mit Hilfe von 3D-Animationen virtuell lebendig (oben Mitte) In der Grotte von Schloss Linderhof fand der König eine seiner „Gegenwelten“ (oben r.) Im Herzen der Bevölkerung lebt Ludwig II. über seine Tod hinaus, wie hier auf einer Bildpostkarte mit einem von Alpenrosen bekränztes Porträt des Königs (unten r.)

75


FÜR SIE GELESEN könnte die Weltwährung entweder der Yuan oder das Gold sein. Die Empfehlungen des Autors sind weder überraschend noch originell, aber vernünftig: In Rohstoffe, Schwellenländer, Sachwerte und den Yuan investieren. Das wussten wir schon vorher. Aber auch da gilt – wie immer beim Blick in die Zukunft – die alte Weisheit: Genau weiß es keiner, und oft kommt es anders, als man denkt. WB.

Daniel D. Eckert

Weltkrieg der Währungen

zu banalisieren. Worauf es dem Autor aber dann doch ankommt, zeigt der von ihm zitierte Satz aus der Weihnachtsbotschaft von Konrad Adenauer 1953: „Wir, die jetzt Lebenden, werden die Verantwortung dafür tragen, ob das zum Kehricht geworfen wird als nutzloser Plunder, was wir von unseren Vätern ererbt haben: Gerechtigkeit, Güte, Barmherzigkeit, Lauterkeit, Seelenfrieden, Nächstenliebe, Frömmigkeit, Freiheit und Frieden.“ Das Buch ist eine kluge und mutige Bestandsaufnahme über das Missionsgebiet, in das Papst Benedikt XVI. im September reisen wird. MB.

Wie Euro, Gold und Yuan um das Erbe des Dollar kämpfen Finanzbuch Verlag 272 Seiten, 19,95 Euro Der Titel klingt martialisch, doch er fasst in drei Worten knapp und präzise die wenig komfortable Lage zusammen, in der sich die globalen Finanzmärkte gegenwärtig befinden: Wir stehen am Beginn eines Zeitalters der Währungskriege. Daniel Eckert, Wirtschaftsredakteur bei Welt und Welt am Sonntag, beschreibt die prekäre Situation: Die USA stehen vor dem größten Schuldenberg ihrer Geschichte und überschwemmen die Welt inflationäre mit Billig-Dollars, um heimlich ihre Billionen-Schuldenlast abzuwälzen. Als Helfer in der Not steht ausgerechnet China bereit. Peking hat die größten DollarReserven auf der Welt gebunkert und hält den Yuan künstlich niedrig, stützt damit seine Exportindustrie und greift Amerika als Konkurrenten auf dem Weltmarkt an. Dazwischen steht die Europäische Union, deren Mitgliedsstaaten sich recht unterschiedlich entwickeln. Die EU ist wie ein Tisch, bei dem die Beine verschieden lang sind. Der Euro könnte deshalb und besonders wegen des Euro-Rettungsschirms deutlich an Wert verlieren. Eckert geht sogar so weit, dass er der europäischen Gemeinschaftswährung ohne eine tiefgreifende Reform kaum noch eine Überlebenschance gibt. Anschaulich beschreibt der Autor die aktuelle Lage, erklärt dem Leser aber auch die Waffen im „Weltkrieg der Währungen“ und öffnet ihm den Blick ebenso in die Geschichte wie in die mögliche Zukunft der Währungen: Gold wird immer beliebter, und letztlich könnte der chinesische Yuan den Dollar als Leitwährung beerben. In zehn Jahren, meint er,

76

Andreas Püttmann

Gesellschaft ohne Gott Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands Verlag GerthMedien 288 Seiten, 17,95 Euro Unter dem allgemeinen Titel „Gesellschaft ohne Gott“ wird der Publizist Andreas Püttmann sehr konkret. Er analysiert nicht nur unsere Gesellschaft im Allgemeinen, sondern insbesondere die Union, den deutschen Mehrheits-Journalismus, die „deutsch-katholische Daueropposition gegen den Papst“ sowie einen „polit-protestantischen Gesinnungsdilettantismus“. Die dafür als Beleg ausgesuchten Zitate und deren hellsichtige Einordnung machen die Lektüre dieses Buches durchaus zu einem Ereignis. Püttmann nennt Tapferkeit die „Kardinaltugend christlicher Freiheit in gottvergessener Zeit“ und zeichnet die Möglichkeit eines Bewusstseinswandels und einer Bewegung, die sich der Anpassung entzieht und Politik wie Gesellschaft mit wiederentdeckten Fermenten anreichert und Demokratie zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen kann. Bisweilen stellt sich bei der Lektüre aber auch die Frage, ob der Sozialwissenschaftler Püttmann nicht in Gefahr ist, einem gesellschaftlichen Vernunftchristentum die Aufgabe eines Staatskitts zuzuschreiben und die christliche Botschaft damit

Jutta Falke-Ischinger

Wo bitte geht’s zur Queen? Diplomatische Abenteuer in England und Amerika Collection Rolf Heyne 272 Seiten, 19,90 Euro Eine reizvolle Mischung: Eine erfolgreiche Journalistin verliebt sich in einen ebenso erfolgreichen Diplomaten, geht unverheiratet mit ihm nach Washington, wo die Hochzeit nachgeholt wird, und verbringt schließlich an der Seite des Botschafter-Gatten noch zwei Jahre in London. Wolfgang Ischinger ist heute Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (ein Interview mit ihm veröffentlich wir in dieser Ausgabe), seine Frau nutzte nach dem Abschied von der Themse die von Repräsentation und Smalltalk befreite Zeit, schrieb eine Fülle von kleinen Features und bündelte sie zu einem Buch. Ihr journalistisch geschärfter Blick hinter die Kulissen des diplomatischen Lebens liefert eine weit amüsantere Lektüre als der Datenwust von Wikileaks. Jutta Falke-Ischinger nimmt den Leser mit zu Ladies Lunch und an den Küchentisch, zu dem sich unerwartet auch Hillary Clinton gesellt, erzählt fast nebenbei Bayerischer Monatsspiegel 158_2011


vom rücksichtslosen Überfall des damaligen grünen Außenministers in die Privaträume des Botschafters und vom Schrecken des ersten offiziellen Amtstages in Washington. Es war der 11. September 2001, und unweit der auf einer Anhöhe gelegenen deutschen Botschaft stieg aus dem Pentagon eine schwarze Rauchwolke auf, nachdem ein entführtes Passagierflugzeug ins amerikanische Verteidigungsministerium gestürzt war. Zum Ernsten gesellt sich aber weit mehr lockerer Diplomatenalltag. Geradezu köstlich die Schilderung über die Protokollverrenkungen am britischen Hof in London. Sie genießt spürbar viele Ungewöhnlichkeiten in dieser – wie sie schreibt – „surrealen Glamourrolle mit begrenzter Haltbarkeit“, bewahrt sich aber meist eine leicht ironische Distanz und holt zum Schluss noch zu einer geradezu herben Kritik am „aufwendigen Residenzapparat“ aus, mit der sie sich im Berliner Außenamt kaum viele Freunde gemacht haben wird. PS.

Fredmund Malik

Richtig denken – wirksam managen Mit klarer Sprache besser führen Campus-Verlag 189 Seiten, 29,95 Euro Fredmund Malik, gebürtiger Vorarlberger, leitet seit 1984 das Malik Management Zentrum St. Gallen. Er ist Professor an der Universität St. Gallen. Sein neues Buch beschäftigt sich intensiv mit dem Problem: „Führen durch das Wort“. Zwar spricht er vom richtigen Denken, letztlich geht es ihm aber darum, dass im Management die falschen Begriffe verwendet werden und dadurch Fehlleistungen am laufenden Band passieren. Er geht auf drei große „Irrtumsbereiche“ ein, auf die psychologischen Irrtümer, auf Management-Irrtümer Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

und auf wirtschaftliche Irrtümer. Die Verwirrung durch die Sprache ist seiner Meinung nach einer der maßgeblichen Gründe für die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen und Exzesse in der jüngeren Vergangenheit. Diese Auffassung vertritt er schon seit 20 Jahren. In diesem Buch fasst er sie besonders überzeugend zusammen. Klare Sprache ist ein Instrument klaren Denkens. Wäre in den letzten 10 Jahren diese klare Sprache verwendet worden, wäre die Wirtschaft realitätsgetreu geblieben und hätte nicht so undifferenziert abgehoben. Wer ein Unternehmen richtig und gut führen will, muss auf die Sprache achten. Gerade im Management herrscht aber eine „babylonische“ Sprachverwirrung. Dazu einige Beispiele: • „Wir brauchen Leader mit Charisma!“ So wird behauptet. Das ist falsch, geschichtlich haben charismatische Führer fast immer Katastrophen bewirkt – in allen Bereichen. Echte Führer brauchen kein Charisma. Sie führen durch Selbstdisziplin und durch Beispiel. Oder: • „Führungskräfte müssen Menschen begeistern können.“ Auch für diese Behauptung gibt es keine Beweise. Im Gegenteil: Je mehr jemand von etwas begeistert ist, desto geringer sind typischerweise seine Kenntnisse von der Sache. Echte Leistung, besonders Spitzenleistung, benötigt keine Begeisterung, erforderlich sind Kompetenz und Erfahrung. • „Herausforderungen.“ Angebliche Manager brauchen immer wieder Herausforderungen. Genau an dieser Forderung erkennt man aber in der Wahrheit die Inkompetenz dieser angeblichen Macher. Nicht, was das Unternehmen braucht, interessiert sie – sondern was sie selbst brauchen. Nicht die Aufgabe ist ihr Bezugspunkt – sondern es sind ihre eigenen Bedürfnisse. Mit diesen und ähnlichen Überlegungen und logischen Ansätzen untersucht er auch typische Managementirrtümer im Führungsstil, beim Menschenbild, im Wissensmanagement oder beim Coaching. Er weist auf die verhängnisvollen Fehler bei den Begriffen der Shareholder hin, bestreitet die angebliche Überlegenheit des US-Managements und des US-Wirtschaftswunders, äußert seine berechtigten Zweifel an dem Begriff der Nachhaltigkeit und der Globalisierung. Insgesamt ein logisch aufgebautes Buch, das auch weitgehend die richtigen Denkansätze darstellt. Es lohnt sich. WB.

Peter März

Mythen, Bilder, Fakten Auf der Suche nach der deutschen Vergangenheit Olzog Verlag 336 Seiten, 26,90 Euro Die Bemerkung „Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht“ zählt zum wohlfeilen Redner-Repertoire. Das „Woherkommen“ ist die Geschichte – die ganz persönliche der Familie, in die das Individuum eingebettet ist, oder die Historie einer Nation, die ihrerseits wieder eingebettet ist in die Geschichte des Kontinents, ja der Welt. Geschichte ist für Peter März, promovierter Historiker und seit 2005 Direktor der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, eine „natürliche Ressource zur Deutung der Gegenwart wie der prognostizierbaren Zukunft“ und liefert zudem das wesentliche Arsenal „für die unentwegte geistige und kulturelle Auseinandersetzung über das Wichtigste hinter der Tagespolitik“. Auf seiner Suche nach der deutschen Vergangenheit nimmt März, wie im Titel angekündigt, Mythen auf, erläutert ihre Herkunft und ergänzt sie mit fachlichem Wissen und intellektueller Schärfe durch Fakten. Und schärft damit auch den Blick auf fast vergessene oder verdrängte Ereignisse, die aber bis heute nachwirken. Von solcher historischer Nachhaltigkeit geprägt und zugleich aktuell amüsant ist sein Hinweis darauf, dass der Ruf „Wir sind ein Volk“ nicht erst 21 Jahre alt ist, sondern bereits 233: Nach dem Siebenjährigen Krieg 1766 wortgleich formuliert, sollte der Ruf mithelfen, den drohenden Zerfall des Reiches zu verhindern. Was denn auch gelang. Das Buch liefert gutes Rüstzeug für eine in Selbstzweifel und Beliebigkeit triftende Gesellschaft. PS.

77


LEBEEN & GEN NIESSEN

Hans-Joachim Epp

Touch Dir Dein Menü Moderne Zeiten im Münchner „La Baracca“ – Elektronische Speisekarte an jedem Tisch Ein neuer Italiener in München, der größ ößte öß ten te n it ital alie al ieni ie nisc ni sche sc hen n Mettrop Me tropol olee nö örd rdli dlilich ch der Alp lpeen, en wä wäre re k kaum der Erwähnung wert. Wenn aber eine cucina italiana seit nun über einem halben h lb Jahr J h die di verwöhnten öh t Münchner Mü h mittags itt wie i abends b d lockt, wird die Neugierde geweckt. Was geschieht am Maximiliansplatz, wo früher Ferraris und Maseratis bestaunt und gekauft wurden? „Alles anders als bei allen anderen“, meinen die drei in der Branche hochgeschätzten Gründer Patrik Jaros (einst Küchenchef im legendären „Aubergine“), Cosimo Gericke (Winzer im Chianti-Classico-Gebiet) und Mark Korzilius, der mit dem Vapiano Prinzip erfolgreich gastronomisches Neuland betrat: Er mixt Hightech (Chipkarte zum Bestellen und Bezahlen) mit hochwertigem Fast Food (frisch vor den Augen der Gäste zubereitet). Im „La Baracca“, einem modernen und sachlich ausgestatteten Edel-Schuppen Edel Ed el-Schup uppe pen, n, w wur wurde urde de ddas as V Vapiano-Prinzip ap piaano n -P Prinzip p auf 700 Quadratm tern me tern ver te ver erfe fein fe in ner ertt. Die C Chi hipk hi p ar pk arte te,, be te bei ei fr freu e nd eu ndli l ch li cheer Beggrü rüßu ßung ng Ein kleiner Bildschrm an jedem Platz ersetzt die Speisekarte, bestellt wird mit dem Finger.

78


übergeben und am Tisch auf ein Schlüsselsymbol gelegt, öffnet die elektronische Speisekarte auf einem Tablet-PC, der an jedem Platz liegt. Der beratende Kellner entfällt, bestellt wird per Touchscreen. Leicht zu bedienen und von kommunikativem Reiz mit den Nachbarn, aber nicht empfehlenswert für beharrliche Computer-Muffel. Doch auch den anderen ist beim ersten Besuch zu raten: Keinen falschen Ehrgeiz, eine Einweisung ins Reich der E-Menüs erspart spätere Überraschungen. Ganz menschlich: Die Speisen kommen noch per Kellner auf dem Holzbrett.

Das Restaurant besticht durch Raumaufteilung und Schwerpunktbildung. Holzarbeiten, Stein und viel Dekoration, dazu ein offener Kamin prägen ein unaufdringlich-exklusives Ambiente, in dem sich dem Augenschein nach Geschäftsleute ebenso wohlfühlen wie Studenten, Solo-Esser genauso wie Familien, deren Jüngste Freude haben an einer Spielecke im Untergeschoss. Bequeme, teils wuchtige Sofalandschaften und Couches in der Lounge sind ein idealer Ort für flüchtige oder auch ernste Verabredungen. Gerät das Gespräch ins Stocken, reicht ein Blick auf den Altstadtring mit seinem nie versiegenden Verkehr zum The-

Der Eindruck, die Gerichte seien billig, trügt – die Portionen sind klein. menwechsel. Zum Aperitif animieren die Kaffeemaschinen-Stationen zu einer der vielen Kaffee- oder Kakaospezialitäten. Tipp: ein Haferl Trinkschokolade mit Ingwer abgestimmt (3,50 E). E

Ein paar Schritte weiter hängen an der Antipasti-Station reifende Schinken und Räucherwürste von der Decke. Deren Duft und wuselige Köche am Herd machen Appetit. Touch, touch, touch, ein munteres Fingerspiel führt zur Bestellung. Doch aufgepasst: Nicht gleich das ganze Menü ordern, sondern gelassen Gang nach Gang bestellen. Das hat den Vorteil, dass der Hauptgang nicht vor der Suppe und Antipasti nicht als Dessert serviert werden (was gelegentlich vorkommt) und der Gast nach jedem Gericht neu entscheiden kann, wonach ihn noch gelüstet. Das können selbst Ungeduldige wagen, denn nach dem Fingerdruck auf „Auswahl bestellen“ wird das Gericht meist nach wenigen Minuten an den Tisch gebracht. Dann spätestens erweist sich der beim Ordern entstandene Eindruck, die Gerichte seien preiswert, als trügerisch. Kleine Preise bedeuten auch kleine Portionen. Das Tapas-Prinzip führt zu gewollten Nachbestellungen. Die Speisen werden auf niedlichen Tellerchen und in putzigen Töpfchen serviert, was aber wohl dem Designer mehr Freude bereitet als dem Gast, der in einem Liguine-überfüllten MessingPfännchen mit den Vongole jonglieren muss. Tipps aus dem Küchenangebot: Aperitivo misto mit Peperonata, Balsamico-Karotten, Meatballs und Mandeln (12 E E), eine gelungene Kombination; Lachscarpaccio (8,50 E E), ohne Einschränkung ein Genuss;

kung „Nur Wasser“ zurück. Als Höhepunkt unter den Suppen wird die Minestrone ob des besonders knackigen Gemüses und der Vielzahl der Kräuter gepriesen. Ein Renner ist abschließend das Tiramisu zum Espresso (4,50 E), doch das in einer Tasse servierte war eines Italieners nicht würdig: Nur sparsam befeuchteter, teils sogar trockener Löffelbiskuit. Weine werden im „La Baracca“ fast ausschließlich aus italienischen Provinzen angeboten. Ausnahme und Tipp: 2009er Hofgarten Weißburgunder Kabinett, trocken vom badischen Weingut Frhr. Von Gleichenstein (0,25 zu 5 E E). Dieser leichte, fruchtigfrische Wein passt schon mittags und speziell zu Fisch oder Geflügel.

Die Preise sind moderat kalkuliert: 2009er Rosato Rignana aus dem Chianti-Classico-Gebiet, ein frischer Sommerwein vom Winzer Gericke, der Schoppen zu 2 E. Tipp: 2007er Chianti Classico Reserva zu 4 E. Obwohl noch jung, schon gut entwickelt. Besonderer Tipp: 2004er Brunello di Monteclino (11,50 E E). Ein großer Jahrgang, ein guter Wein!

Die Weinbar ist mit 84 Kreszenzen gut bestückt und bietet auch absolute Spitzen wie den toskanischen Marchese Antiori 2001er Solaia, den Schoppen für 64 E. Wirkt teuer, aber ein sehr guter Tropfen, der seinen Preis wert ist. An der Weinbar kann sich der Gast Probierschlückchen zapfen (ab 70 Cent). Nach dem Dessert noch ein Vorteil der Chipkarte: Zum Bezahlen kein Warten auf einen gestressten Kellner, einfach mit der Karte zur Kasse am Ausgang gehen. Ein idealer Lunch-Ort für die terminlich eng getakte Business-Gemeinde. Die Meinungen über die gastronomische Leistung von Chefin Jasmin Wieninger und ihr rund 50köpfiges Team sind breit gestreut vom begeisterten „Hotspot“ bis zur herben Kritik im neuen „Gault Millau“: „Konzeptlokal, was hier zählt, ist der Schein, nicht das Sein.“ Und die Facebook- und Twittergeneration ist in der Beurteilung schnörkellos direkt: voll daneben, echte Katastrophe oder Glückwunsch an die Macher. Man kommt gerne wieder, um sein Urteil bestätigt zu bekommen. ■ La Baracca, Maximiliansplatz 9, 80333 München, Tel. 089 - 41 61 78 52 www.labaracca.eu

Arrosto di Vitello mit Senf und Kräutern (6,90 E E), ungewöhnlich, aber delikat; Ossobuco Milanese (6,50 E E), rund und fein angepasster Garungsgrund, etwas viel Sauce.

Kein Tipp kann die Fischsuppe mit Dorade und Lachs (4,90 E) sein. Wohl schmackhaft, doch Fischeinlage war nur am Nebentisch vorhanden, an einem anderen Tisch ging sie mit der Bemer-

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Hans-Joachim Epp ist Sachverständiger für das Hotelwesen und Mitglied der Chaîne des Rôtisseurs Oberbayern.

79


Brigitte Mohn

Kurzschluss im Kopf Volkskrankheit Schlaganfall: Seit 17 Jahren entwickelt die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe innovative Lösungen zur Versorgung der Betroffenen

sensibilisiert, und rund drei Millionen Bundesbürger haben sich im Zuge von der Stiftung organisierter Aufklärungskampagnen bereits Risikotests unterzogen. Schlaganfälle belasten jedoch nicht nur Betroffene und deren Familien, sie stellen auch Politik und Gesellschaft vor eine enorme Herausforderung. Auf derzeit rund 5,5 Milliarden Euro jährlich schätzt man die volkswirtschaftlichen Kosten. Ob das System dem gewachsen bleibt, ist mehr als fraglich. Unser Gesundheitssystem ist fragmentiert, es fehlen Transparenz und Wettbewerb sowie Konzepte für optimierte Versorgungsprozesse. Mehrausgaben ohne erkennbaren medizinischen Nutzen sind die Folge. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zeigt neue Versorgungswege auf und entwickelt tragfähige Lösungen. So führt beispielsweise eine am Patienten orientierte Verbundversorgung zu deutlich mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit. Infolge struktureller Veränderungen im Gesundheitswesen und neuer Organisationsformen – Stichwort: regionale medizinische Versorgungszentren – werden ambulante und stationäre Versor-

Pro Jahr erleiden mehr als 250.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Er ist die dritthäufigste Todesursache überhaupt und verursacht die meisten im Erwachsenenalter erworbenen Behinderungen. Die Langzeitpflege von Patienten beansprucht drei Milliarden Euro. Dies hat schon heute eine erschreckende Dimension, bis 2050 aber wird es sich dramatisch entwickeln, denn der demografische Wandel dürfte die Zahl der Opfer verdoppeln. Schon 2025 werden direkte Behandlungskosten mit über 100 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind gravierend.

Demografischer Faktor: Wachsende Patientenzahl hat Folgen für die Volkswirtschaft. gung zusammenwachsen. Voraussetzungen dafür sind integrierte Konzepte und klar definierte Abläufe ohne Brüche in der Behandlungskette.

Die Versorgung eines Schlaganfall-Patienten kostet im ersten Jahr durchschnittlich etwa 18.500 Euro, lebenslang rund 43.000 Euro. Allein für stationäre Akutbehandlung werden bundesweit jährlich etwa 1,4 Milliarden Euro aufgewendet. Aufgrund der demograBevor Liz Mohn 1993 die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe fischen Entwicklung nimmt die volkswirtschaftliche Relevanz gründete, hatten die Betroffenen keine Lobby. Ziel der Stiftung ist von Schlaganfällen zu. Außerdem wächst die epidemiologische es, zu informieren und die Versorgung von Patienten zu optimie- Bedeutung dieser Krankheit, denn rund die Hälfte der Patienten ren. Die bisherige Bilanz kann sich sehen lassen: Inzwischen gibt ist nach einem Jahr immer noch auf Hilfe angewiesen, und ca. 80 es 170 zertifizierte Schlaganfall-Stationen in Krankenhäusern, Prozent aller Schlaganfälle ereignen sich bei über 60-Jährigen – Tausende ausgebildete Ärzte, Rettungskräfte und Sanitäter, 490 also in einer Altersgruppe, die laut Statistischem Bundesamt im Selbsthilfegruppen, 180 Regionalbeauftragte, sowie ein erstes Jahr 2050 mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen wird. Eltern-Kind-Haus für kleine Patienten. Damit hat die Stiftung Die Folge: Bei gleichbleibender Inzidenz ist bis dahin mit einer Deutsche Schlaganfall-Hilfe bereits viele Versorgungslücken kontinuierlich steigenden Zahl von Betroffenen zu rechnen. Es geschlossen. Zudem sind unzählige Menschen für die Thematik besteht also dringender Handlungsbedarf.

80


Die Stiftung hat daher gemeinsam mit ihren Partnern einen sektorenübergreifenden Behandlungsweg für das Krankheitsbild Schlaganfall entwickelt, der – erfolgreich pilotiert – das Potenzial birgt, einen Standard in Sachen qualitätsgesicherter, ökonomisch tragfähiger und patientenorientierter Versorgung zu setzen. Darüber hinaus entwickelt die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Projekte und Lösungen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Dazu gehören individuelle Vorsorge, frühes Erkennen von Risikofaktoren, schnellere und spezifischere Diagnosen, wirksamere Therapien sowie hochwertige Rehabilitation und Nachsorge. Ziel ist es, von der Prävention über ambulante und stationäre Versorgung bis zur Rehabilitation und Pflege eine umfassende Behandlung zu implementieren. Ein Qualitätsmodell für Integrierte Schlaganfallversorgung (QuIS) beschreibt Soll-Prozesse und das dazugehörige Datenmodell: Auf dieser Basis wurde ein qualitätsgesichertes Case Management mit Schlaganfall-Lotsen entwickelt. Diese Lotsen sind speziell für das Krankheitsbild Schlaganfall ausgebildete Betreuerinnen und Betreuer. Sie begleiten Patienten aktiv auf dem Weg zurück in den Alltag und übernehmen die Koordination von Therapieschritten. Dieses Case Management wird in Modellregionen erprobt, bevor es flächendeckende Wirkung entfalten kann.

Case Management in Modellregionen • Ziel der Stiftung ist es, Schlaganfällen durch geeignete Präventionsmaßnahmen vorzubeugen und im Krankheitsfall die Versorgung von der Akutphase über die Rehabilitation bis in die Nachsorge hinein zu optimieren. • Der Aufbau eines strukturierten Daten- und Prozessmanagements ermöglicht es Leistungsanbietern und Kostenträgern, Versorgungsschritte über alle Bereiche hinweg zu dokumentieren. Wenn Maßnahmen bestmöglich gesteuert werden, verbessert sich die Qualität der Versorgung. • Schlaganfall-Lotsen koordinieren Therapieschritte und begleiten Patienten aktiv auf dem Weg zurück in den Alltag.

Kontakt Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, Carl-Miele-Str. 210, 33311 Gütersloh Service- und Beratungszentrum 01805 - 093 093 (0,14 EUR/Min, Mobilfunk max. 0,42 EUR/Min), www.schlaganfall-hilfe.de Spendenkonto Kto.-Nr. 50, BLZ 478 500 65, Sparkasse Gütersloh

Bayerischer Monatsspiegel 158_2011

Zur Verbesserung des präklinischen Notfallmanagements hat die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe im Jahr 2005 gemeinsam mit dem Roten Kreuz Rhön-Grabfeld, dem Forschungszentrum Informatik Karlsruhe (FZI) und der Neurologischen Klinik in Bad Neustadt an der Saale die „Stroke Angel“-Initiative ins Leben gerufen. Dieses mit dem Golden Helix Award – dem ältesten in Deutschland vergebenen Preis für Qualitätsverbesserungen im Gesundheitswesen – ausgezeichnete Projekt beschleunigt und optimiert die Akutversorgung, indem Untersuchungsdaten von Patienten aus dem Rettungswagen direkt in behandelnde Kliniken übertragen werden. So verkürzt sich die Zeitspanne vom Auftreten der Schlaganfall-Symptome bis zum Therapiebeginn deutlich, die Behandlungsquote in der Akutphase steigt. Infolgedessen behalten weniger Betroffene einen hohen Behinderungsgrad und langfristige neurologische Ausfälle zurück; ihre Chancen, weiter unabhängig leben zu können, steigen. Das „Stroke Angel“-Modell gehört in den Landkreisen Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld inzwischen zur Regelversorgung. Unabhängig und ausschließlich den Interessen von Patienten und potenziell Betroffenen verpflichtet, sieht sich die spendenfinanzierte Stiftung als Wissensvermittlerin und Motor der Schlaganfall-Versorgung in Deutschland. Die Verhältnisse zum Wohl der Patienten zu verbessern, ist ihr satzungsgemäßer Auftrag. Im Sinne ihrer Unterstützer pflegt die Deutsche Schlaganfall-Hilfe mit den ihr anvertrauten Mitteln einen verantwortungsvollen Umgang. Sie führt ein Berichtswesen, für das sie von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers im Wettbewerb um den renommierten Transparenzpreis im vergangenen Jahr mit dem zweiten Platz ausgezeichnet wurde. Deutschland braucht kein billigeres Gesundheitswesen und keine billigere Schlaganfall-Versorgung. Um heutige und künftige Herausforderungen zu bestehen, sind vielmehr Effizienz und Qualität unabdingbar. Wer Verbesserungen fordert, sollte auch an tragfähigen Lösungen mitwirken. Mit ihren Konzepten zur integrierten Schlaganfall-Versorgung trägt die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe nachhaltig dazu bei. Das Potenzial ihres qualitätsgesicherten Case Managements entlastet die Sozialsysteme zum Vorteil aller Versicherten, zudem gibt es wichtige Impulse für Lösungen – auch in anderen Indikationsbereichen. ■

Politikwissenschaftlerin Dr. Brigitte Mohn arbeitete am Institut für Weltwirtschaft, als Marketingleiterin der amerikanischen Verlage Bantam, Doubleday und Dell sowie als Beraterin bei McKinsey und Pixelpark. 2001 übernahm sie den Vorsitz der Stiftung Deutsche SchlaganfallHilfe. 2002 wurde sie in die Geschäftsleitung der Bertelsmann Stiftung berufen und ist heute Mitglied des Vorstands. Seit 2008 gehört sie dem Aufsichtsrat der Bertelsmann AG an.

81


Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

Angeregte Diskussionen beim Empfang im Kleinen Atrium des HVB-Forums.

Erläutert engagiert Bayerns Bildungspolitik: Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle.

Beeindruckt verfolgen Mitglieder und Gäste des Peutinger Collegiums dem Vortrag des Kultusministers.

Friederike Meyer, Chefredakteurin, Rundschau-Verlag; Prof. Dr. Walter Beck, Präsident des PeutingerCollegiums.

Dipl.-Kfm. Christian Kahlenberg, Steuerberater; Dipl.-Kfm. Dr. Joachim Gabloffsky, Wirtschaftsprüfer und geschäftsführender Gesellschafter, Finas GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Alexander Grundner-Culemann; Dr. Klaus Heinz Laber, Mitglied des Vorstandes der Leipold, beide Rechtsanwälte und UniCredit Bank AG, ehemals Bayerische Prokuratoren des Peutinger-Collegiums. Hypo- und Vereinsbank AG.

Sanja Suto, Generalkonsulat Dr. Gerhard A. Schmidt, International Marketing der Republik Kroatien. Service; Jochen von Bülow; Dr. Uwe Janssen, Unternehmensberatung.

Dr. Ludwig Spaenle, MdL, Bayerischer Staats- Stefan Pratsch, Forstbetriebsleiter, minister für Unterricht und Kultus; Peter Schmalz, Bayerische Staatsforsten; Chefredakteur Bayerischer Monatsspiegel. Dieter Kielmann, Bankdirektor i.R.

Rechts: Hans Freundl, Bankdirektor a.D. Dresdner Bank; Karlrobert Stöhr, Stöhr-Consult Unternehmensberatung; Dr. Klaus Geiger, Rechtsanwalt; Dr. h.c. Alfred Bayer, Staatssekretär a.D., Ehrenmitglied des Peutinger-Collegiums; Dr. med. Tarig Kusus, Internist, Kardiologe.

82

Fotos: Justa sta, Mü Münche nc n

Links: Michael Funke, Geschäftsführender Gesellschafter DiBaUCO Dienstleistungsgesellschaft für Bauen, Umwelt und Consulting mbH.


VORSCHAU

Veranstaltungen des Peutinger Collegiums Die Grundhaltung des Collegiums: „Gelebte Freiheit in sozialer Verantwortung“.

Dienstag, 22. Februar 2011 Kardinal Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising

Montag, 19. September 2011 Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung

Donnerstag, 03. März 2011 Viviane Reding, EU Kommissarin für Justiz, Stellvertretende Präsidentin der EU-Komission

Donnerstag, 20. Oktober 2011 Peter Meyer, Präsident des ADAC

Sonntag, 17. April 2011 Christian Thielemann, Generalmusikdirektor München

Montag, 21. November 2011 Prof. Dr. Manfred Milinski, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie

Impressum Montag, 16. Mai 2011 „Made in Germany im 21. Jahrhundert“, ein Symposium in Zusammenarbeit mit der TÜV SÜD AG und dem Wirtschaftsbeirat

Dienstag, 28. Juni 2011 Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG

Redaktion Peter Schmalz (Chefredakteur) Thomas Breitenfellner Julius Beck Farchanter Straße 35 · D-81377 München redaktion@bayerischer-monatsspiegel.de Leserbriefe an die Redaktion oder an leserbriefe@bayerischer-monatsspiegel.de Verlag & Anzeigen Bayerischer Monatsspiegel Verlagsgesellschaft mbH Hagnweg 13 · D-83703 Gmund Tel: +49 8022 96 56-25 · Fax: +49 8022 96 56-28 www.bayerischer-monatsspiegel.de Herausgeber Prof. Dr. Walter Beck, Peutinger-Collegium Gestaltung, Realisierung & Anzeigen NBB Kommunikation GmbH · Ridlerstraße 33 80339 München · www.nbbkommunikation.de

Montag, 18. Juli 2011 Dr. Theodor Weimer, Vorstandsvorsitzender HypoVereinsbank

Druck Messedruck Leipzig GmbH · An der Hebemärchte 6 04316 Leipzig · www.messedruck.de

83


Keine Versicherung ist wie die andere. Wenn es um die Sicherheit Ihres Vermögens, Ihrer Altersversorgung geht:

Ostendstraße 100, 90334 Nürnberg Telefon 0911 531-5, Fax -3206 info@nuernberger.de www.nuernberger.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.