Kleider machen Leute - sample

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Kleider machen Leute

- Vereinfachter und gekürzter Text mit Erklärung schwieriger Wörter als Fußnoten - Übungen zu Leseverständnis, Wortschatz und Grammatik - Übungen zur Prüfungsvorbereitung A2 - Abschlusstest Themen Sein und Schein

Gesellschaft

KLEIDER MACHEN LEUTE

Wenzel Strapinski - ein armer, aber gut gekleideter Scheider - ist auf der Suche nach einer neuen Arbeit. Als er in der kleinen Stadt Goldach ankommt, halten ihn alle für einen polnischen Grafen. Was soll er tun? Sagen, wer er wirklich ist? Als er das schöne und reiche Mädchen Nettchen kennenlernt, wird seine Situation immer komplizierter. Kleider machen Leute ist eine klassische und immer noch aktuelle Novelle über die Bedeutung der äußeren Erscheinung.

GOTTFRIED KELLER

Gottfried Keller

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ELI-Lektüren: Texte für Leser jeden Alters. Von spannenden und aktuellen Geschichten bis hin zur zeitlosen Größe der Klassiker.

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GOTTFRIED KELLER KLEIDER MACHEN LEUTE

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ELI-Lektüren: Texte für Leser jeden Alters. Von spannenden und aktuellen Geschichten bis hin zur zeitlosen Größe der Klassiker. Eine redaktionell anspruchsvolle Bearbeitung, ein klares didaktisches Konzept und ansprechende Illustrationen begleiten den Leser durch die Geschichten. So lernt man Deutsch wie von selbst!

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Gottfried Keller

Kleider machen Leute Nacherzählt von Gudrun Gotzmann Illustrationen von Elisabetta Bernardi

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Kleider machen Leute Gottfried Keller Nacherzählt von Gudrun Gotzmann Übungen: Gudrun Gotzmann Illustrationen: Elisabetta Bernardi Redaktion: Iris Faigle ELI-Lektüren Konzeption: Paola Accattoli, Grazia Ancillani, Daniele Garbuglia (Art Director) Grafische Gestaltung Airone Comunicazione - Sergio Elisei Produktionsleitung Francesco Capitano Layout Airone Comunicazione Fotos Shutterstock © 2017 ELI S.r.l. B.P. 6 - 62019 Recanati - Italien Tel. +39 071 750701 Fax +39 071 977851 info@elionline.com www.elionline.com Verwendeter Schriftsatz: Monotype Dante 11,5/15 Druck in Italien: Tecnostampa – Pigini Group Printing Division Loreto, Trevi ERA 232.01 ISBN 978-88-536-2316-4 Erste Auflage Februar 2017 www.eligradedreaders.com


Inhalt 6

Hauptfiguren

8

Vor dem Lesen

10

Kapitel 1

17

Aufgaben

20

Kapitel 2

28

Aufgaben

30

Kapitel 3

38

Aufgaben

40

Kapitel 4

48

Aufgaben

50

Kapitel 5

58

Aufgaben

60

Kapitel 6

68

Aufgaben

70

Zum Weiterlesen

Gottfried Keller

72

Zum Weiterlesen

Entstehung und authentische Fälle

74

Zum Weiterlesen

Medien und Kunst

75

Zum Weiterlesen

Studien und Fotoausstellung

76

Zum Weiterlesen

Mode heute

78

Selbstkontrolle

79

Syllabus

Ein Schneider wird zum Grafen Neue Bekanntschaften Ein wichtiges Treffen Das Fest Wenzels Geschichte Ende gut, alles gut

Zeichen für die Hörtexte auf der CD Anfang

Ende


wenzel

s t ra pi n s k i

n


n ett ch e n

H a u p t f i g u r e n

nettchens vater

M e l c h i o r b Ö h n i

d e r

w i r t


VOR DEM LESEN

Lesen & Lernen 1

Was bedeuten die folgenden Wörter? Kreuzen Sie die richtige Definition an (A, B oder C).

1 2 3 4 5

8

Ein Schneider/Eine Scheiderin ist A ■ eine Person, die Scheren verkauft. 3 eine Person, die Kleidung näht. B ■ C ■ eine Person, die Messer schärft, das heißt wieder scharf macht. Das Sprichwort „Kleider machen Leute“ bedeutet: A ■ Die Leute, meist Schneider, nähen Kleidung. B ■ Für viele Leute ist Kleidung wichtig. C ■ Die Menschen beurteilen andere nach der Kleidung, die diese tragen. Ein Mantel ist A ■ eine lange Jacke. B ■ eine lange Hose. C ■ ein großer Hut. Ein Gasthof ist A ■ ein Haus, in dem man gegen Bezahlung schlafen und essen kann. B ■ eine Art Bauernhof, auf dem man übernachten kann. C ■ ein Haus, in das man viele Gäste einladen kann, wenn man ein Fest feiern will. Eine Verlobung ist A ■ ein Fest, das man bei einer Geburt macht. B ■ ist ein Fest, das man vor der Hochzeit feiert. C ■ ein Familientreffen, das man macht, wenn jemand stirbt.


Wortschatz 2

Welche Assoziationen haben Sie mit dem Begriff „Kleidung“? Notieren Sie möglichst viele Wörter.

Kleidung

3

Welches Wort passt nicht? Streichen Sie das unpassende Wort durch.

1 2 3 4 5

Novembertag – kalt – regnerisch – früh – unfreundlich Arbeit – verlieren – mitkommen – bekommen – haben essen – langweilig – gut – viel – schnell Gepäck – haben – mitnehmen – abgeben – hängen Fest – helfen – organisieren – feiern – machen heiraten – jung – in der Kirche – reich – im Alter

4 Bringen Sie die Sätze (Ereignisse aus Kapitel 1) in eine logische Reihenfolge. Schreiben Sie die Zahlen hinter die Sätze. 1 Als sie am Gasthaus ankommen, werden gute Getränke und Speisen für Wenzel serviert. ____ 2 Auf dem Weg trifft er einen Kutscher, der ihn im Wagen nach Goldach mitnimmt. ____ 1 3 Der Schneider Wenzel Strapinski hat seine Arbeit verloren. ____ 4 Der Wirt und die Köchin beobachten Wenzel beim Essen und Trinken. Sie sind sicher, dass er eine wichtige Persönlichkeit ist. ____ 5 Um eine neue Arbeit zu finden, geht Strapinski auf Wanderschaft. ____

9


Kapitel 1

Ein Schneider wird zum Grafen 2 An einem unfreundlichen Novembertag wanderte ein armes

Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er immer zwischen den Fingern drehte, weil er keine Münze hatte. Wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, schmerzten ihm die Finger von diesem Drehen und Reiben. Denn er hatte wegen des Falliments1 irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seine Arbeit verloren und musste auswandern. Er hatte noch nichts gefrühstückt, als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er wusste nicht, wo das geringste Mittagbrot herkommen sollte. Das Fechten2 fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm unmöglich, weil er über seinem einzigen schwarzen Sonntagskleide einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Dieser verlieh3 seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen. Auch seine langen schwarzen Haare und Schnurrbärtchen waren sorgfältig gepflegt und er erfreute sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge. Solcher Habitus4 war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne dass er 1 2

s Falliment, e veraltet für: Bankrott, Zahlungsunfähigkeit fechten hier: betteln, um Geld bitten

10

3 4

verleihen, verlieh, verliehen hier: geben r Habitus (nur Sing.) hier: Aussehen, Erscheinungsbild



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etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte1. Er war zufrieden, wenn man ihn nur gewähren2 und im Stillen seine Arbeit verrichten ließ: Aber lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste. Wenn er wanderte und keine Ersparnisse3 mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde. Sie erwarteten nicht, dass er betteln würde. So erstarben ihm, da er überdies nicht beredt4 war, die Worte im Munde. Er war also der Märtyrer seines Mantels und litt5 Hunger. Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhe hinaufging, stieß er auf einen neuen und bequemen Reisewagen. Ein Kutscher6 hatte diesen in Basel abgeholt und überbrachte ihn seinem Herrn, einem fremden Grafen, der irgendwo in der Ostschweiz auf einem alten Schlosse saß. Der Kutscher ging wegen des steilen Weges neben den Pferden. Als er, oben angekommen, den Bock wieder bestieg, fragte er den Schneider, ob er sich nicht in den leeren Wagen setzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen, und er hatte mit einem Blick gesehen, dass der Fußgänger matt und kümmerlich durch die Welt ging. Derselbe nahm das Angebot dankbar und bescheiden an und der Wagen rollte rasch mit ihm von dannen7. Nach einer Stunde fuhr er durch den Torbogen von Goldach. Vor dem ersten Gasthofe, ,Zur Waage’ genannt, hielt der vornehme Wagen plötzlich. Der Hausknecht zog so heftig an der Glocke, dass der Draht beinahe entzweiging. etw. im Schilde führen idiomatisch für: eine (meist negative) Absicht haben 2 gewähren machen lassen 3 e Ersparnis, se Geld, das man nicht ausgibt, sondern spart 1

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beredt gut reden können leiden, litt, gelitten schlecht gehen 6 r Kutscher, - die Person, die die Kutsche (Wagen, der von Pferden gezogen wird) fährt 7 von dannen weg, fort 4 5


kleider machen leute

Da stürzten1 Wirt und Leute herunter und rissen die Tür auf; Kinder und Nachbarn umringten schon neugierig den prächtigen Wagen. Als der verdutzte2 Schneider endlich hervorsprang in seinem Mantel, blass und schön und schwermütig3 zur Erde blickend, schien er ihnen wenigstens ein geheimnisvoller Prinz oder Grafensohn zu sein. Er ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe bringen und bemerkte seine neue seltsame Lage erst recht, als er in einem wohnlichen Speisesaal war und ihm sein ehrwürdiger Mantel abgenommen wurde. „Der Herr wünscht zu speisen?” hieß es. „Gleich wird serviert werden, es ist eben gekocht!” Ohne eine Antwort abzuwarten, lief der Waagwirt in die Küche und rief: „In‘s drei Teufels Namen! Nun haben wir nichts als Rindfleisch und die Hammelkeule! Die Rebhuhnpastete darf ich nicht anschneiden, da sie für die Abendherren bestimmt und versprochen ist. So geht es! Den einzigen Tag, wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, muss ein solcher Herr kommen!”. Doch die ruhige Köchin sagte. „Nun, was ist denn da zu lamentieren, Herr? Die Pastete tragen Sie nur auf4, die wird er doch nicht aufessen! Die Abendherren bekommen sie dann portionenweise; sechs Portionen wollen wir schon noch herauskriegen!” „Sechs Portionen? Ihr vergesst wohl, dass die Herren gewohnt sind, sich sattzuessen!”, meinte der Wirt. Allein die Köchin fuhr unerschüttert fort: „Das sollen sie auch! Wir lassen noch schnell ein halbes Dutzend Kotelettes holen, die brauchen wir sowieso für den Fremden. Was er übrig lässt, schneide ich in kleine Stückchen und menge5 sie unter die Pastete, da lassen Sie nur mich machen! Es sind auch die Forellen da, die größte habe stürzen hier: schnell laufen verdutzt überrascht 3 schwermütig melancholisch 1

4

2

5

auftragen, trug auf, hat aufgetragen auf den Tisch stellen mengen mischen

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gottfried keller

ich in das siedende Wasser geworfen, als der merkwürdige Wagen kam und da kocht auch schon die Brühe im Pfännchen. So haben wir also einen Fisch, das Rindfleisch, das Gemüse mit den Kotelettes, den Hammelbraten und die Pastete.” „Hier sind die Gurken und hier die Kirschen, hier die Birnen und hier die Aprikosen. Aber das alte Konfekt darf man nicht mehr aufstellen; geschwind1 soll die Liese zum Zuckerbäcker laufen und frisches Backwerk holen, drei Teller, und wenn er eine gute Torte hat, soll er sie auch gleich mitgeben!” Aber Herr! Sie können ja dem einzigen Gaste das nicht alles aufrechen!” „Es ist für die Ehre2! Das bringt mich nicht um; dafür soll ein großer Herr, wenn er durch unsere Stadt reist, sagen können, er habe ein ordentliches Essen gefunden, obgleich er ganz unerwartet und im Winter gekommen sei! Es soll nicht heißen wie von den Wirten zu Seldwyla, die alles Gute selber fressen und den Fremden die Knochen vorsetzen!” Während dieser umständlichen Zubereitungen befand sich der Schneider in Angst, da der Tisch mit glänzendem Zeug gedeckt wurde. So sehr sich der ausgehungerte Mann vor kurzem noch nach einiger Nahrung gesehnt3 hatte, so ängstlich wünschte er jetzt, der Mahlzeit zu entfliehen4. Endlich fasste er Mut5, nahm seinen Mantel, setzte die Mütze auf und begab sich hinaus, um den Ausgang zu nehmen. Da er aber in seiner Verwirrung und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht gleich fand, so glaubte der Kellner, der Schneider 1 2

geschwind veraltet für: schnell e Ehre, n Ansehen, Wertschätzung durch andere Menschen

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sich sehnen nach etw. sich etw. intensiv wünschen entfliehen, entfloh, entflohen vor etw. weglaufen 5 r Mut (nur Sing.) das Gegenteil von Angst 3

4



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suche eine gewisse Bequemlichkeit1, und rief: „Erlauben Sie, mein Herr, ich werde Ihnen den Weg weisen!” und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend anders endete als vor einer schön lackierten Türe, auf welcher eine zierliche Inschrift angebracht war. Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch2, sanft wie ein Lämmlein, dort hinein und schloss ordentlich hinter sich zu. Dort lehnte er sich bitterlich seufzend an die Wand und wünschte, der goldenen Freiheit der Landstraße wieder teilhaftig3 zu sein. Diese erschien ihm jetzt, so schlecht das Wetter war, als das höchste Glück. Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbsttätige Lüge4, weil er in dem verschlossenen Raum ein wenig verweilte5, und er betrat hiermit den Weg des Bösen6. Unterdessen schrie der Wirt, der ihn gesehen hatte im Mantel dahin gehen: „Der Herr friert! Heizt mehr ein im Saal! Wo ist die Liese, wo ist die Anne? Zum Teufel, sollen die Leute in der ,Waage’ im Mantel zu Tisch sitzen?” Und als der Schneider wieder aus dem langen Gange hervor kam, begleitete er ihn mit hundert Komplimenten wiederum in den Saal hinein. Dort wurde er an den Tisch gebeten, der Stuhl zurechtgerückt. Der Duft der kräftigen Suppe, dergleichen er lange nicht gerochen, beraubte7 ihn vollends seines Willens und er ließ sich in Gottes Namen nieder und tauchte sofort den schweren Löffel in die braungoldene Brühe.

e Bequemlichkeit, en hier: Toilette r Widerspruch, “e hier: „Nein”-Sagen 3 teilhaftig sein veraltet für: haben

e Lüge, n das Gegenteil von Wahrheit verweilen veraltet für: bleiben 6 s Böse (nur Sing.) das Gegenteil vom Guten 7 berauben nehmen, wegnehmen

1

4

2

5

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AUFGABEN

Grammatik 1

Markieren Sie in den folgenden Sätzen die Verben im Präteritum und schreiben Sie die Sätze dann im Präsens.

An einem unfreundlichen Novembertag wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach. An einem unfreundlichen Novembertag wandert ein armes _____________________________________________________ Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach. _____________________________________________________ 1 Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er immer zwischen den Fingern drehte, weil er keine Münze hatte. _____________________________________________________ _____________________________________________________ 2 Das Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm unmöglich, weil er über seinem einzigen schwarzen Sonntagskleid einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug. _____________________________________________________ _____________________________________________________ 3 Derselbe nahm das Angebot dankbar und bescheiden an und der Wagen rollte rasch mit ihm von dannen. _____________________________________________________ _____________________________________________________ 4 Nach einer Stunde fuhr er durch den Torbogen von Goldach. _____________________________________________________ 5 Er ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe bringen. _____________________________________________________

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Lesen 2

Welche Antwort ist richtig? Kreuzen Sie A, B oder C an.

1 2

18

Der Schneider A ■ wandert von Seldwyla nach Goldach. B ■ wandert von Goldach nach Seldwyla. C ■ wohnt in Goldach, in der Nähe von Seldwyla. Er hat kein Geld, weil A ■ er zu teure Kleidung gekauft hat. B ■ sein Meister bankrott gegangen ist und er seine Arbeit verloren hat. C ■ der Schneidermeister ihn nicht mehr wollte und ihn entlassen hat. 3 Er hat Schwierigkeiten zu betteln, weil A ■ er gute Kleidung trägt und die Leute nicht wissen, dass er arm ist. B ■ er nicht reden kann. C ■ die Leute, die er trifft, auch sehr arm sind. 4 Auf seinem Weg A ■ hat der Schneider einen Unfall mit einem Kutscher. B ■ fragt der Schneider den Kutscher, ob er mitfahren darf. C ■ fragt der Kutscher den Schneider, ob er ihn mitnehmen soll. 5 Der Wirt gibt dem Schneider sofort zu essen, weil A ■ er sieht, dass der Schneider arm und hungrig ist. B ■ der Kutscher ihm sagt, dass der Schneider Hunger hat. C ■ er denkt, dass der Schneider eine wichtige und reiche Person ist.


Wortschatz 3

Welche Wörter gehören zusammen? Verbinden Sie die Wörter. unmöglich scheinen Aussehen geraten schwer lassen in Not etwas zu tun dankbar fallen übrig annehmen Mut decken gewohnt sein fassen den Tisch verleihen

VOR DEM LESEN

4 Welche Begriffe passen Ihrer Meinung nach zum Schneider? Verbinden Sie.

Schneider

viel essen und trinken selbstsicher sein die Angst verlieren dem Kutscher für seine Hilfe danken „Ja“-Sagen besorgt sein nichts essen und trinken eine Arbeit suchen unsicher sein „Nein“-Sagen

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Kapitel 2

Neue Bekanntschaften

Als er den Teller geleert hatte und der Wirt sah, dass es ihm so wohl schmeckte, munterte er ihn höflich auf, noch einen Löffel voll zu nehmen, das sei gut bei dem rauen Wetter. Nun wurde die Forelle aufgetragen. Doch der Schneider, von Sorgen gequält1, wagte2 nicht, das Messer zu brauchen, sondern hantierte schüchtern mit der silbernen Gabel daran herum. Das bemerkte die Köchin. Sie guckte zur Türe herein, um den großen Herrn zu sehen, und sagte zu den Umstehenden: „Gelobt sei Jesus Christ! Der weiß noch einen feinen Fisch zu essen, wie es sich gehört. Das ist ein Herr von großem Hause! Und wie schön und traurig er ist! Gewiss ist er in ein armes Fräulein verliebt, das man ihm nicht lassen will! Ja, ja, die vornehmen Leute haben auch ihre Leiden!” Inzwischen sah der Wirt, dass der Gast nicht trank, und sagte: „Der Herr mögen den Tischwein nicht; befehlen Sie vielleicht ein Glas guten Bordeaux, den ich bestens empfehlen kann?” Da beging der Schneider den zweiten selbsttätigen Fehler, indem er aus Gehorsam3 ja statt nein sagte, und sofort ging der Waagwirt persönlich in den Keller, um eine ausgesuchte Flasche zu holen; denn 1

quälen Schaden, Leid zufügen

2 3

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wagen, etw. zu tun den Mut haben, etw. zu tun r Gehorsam Subordination


kleider machen leute

es lag1 ihm alles daran, dass man sagen könne, es sei etwas Rechtes im Ort zu haben. Als der Gast von dem eingeschenkten Wein wiederum aus schlechtem Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, lief der Wirt voll Freuden in die Küche und rief: „Der versteht‘s, der schlürft meinen guten Wein auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Goldwaage legt!” So nahm die Mahlzeit ihren Verlauf, und zwar sehr langsam, weil der arme Schneider unentschlossen aß und trank und der Wirt, um ihm Zeit zu lassen, die Speisen lange stehen ließ. Trotzdem war es nicht der Rede wert2, was der Gast bis jetzt zu sich genommen. Der Hunger begann nun, den Schrecken zu überwinden. Als die Pastete von Rebhühnern erschien, schlug3 die Stimmung des Schneiders gleichzeitig um, und ein fester Gedanke begann, sich in ihm zu bilden. „Es ist jetzt einmal, wie es ist!”, sagte er sich, von einem neuen Tröpflein Weines erwärmt und aufgestachelt4. „Nun wäre ich ein Tor5, wenn ich die kommende Schande und Verfolgung ertragen wollte, ohne mich dafür satt gegessen zu haben! Was ich einmal im Leib habe, kann mir kein König wieder rauben!” Gesagt, getan; mit dem Mut der Verzweiflung nahm er die leckere Pastete, ohne an ein Auf hören zu denken. Sie war in weniger als fünf Minuten zur Hälfte geschwunden. Alles schlang er hinunter; dazu trank er den Wein in tüchtigen Zügen und steckte große Brotbissen in den Mund. Wieder lief der Wirt in die Küche und rief: „Köchin! Er isst die Pastete auf, während er den Braten kaum berührt hat! Und den Bordeaux trinkt er in halben Gläsern!” jmdm. liegt (viel) an jmdm./etw. jmd. findet jmdn./etw. (sehr) wichtig 2 nicht der Rede wert sein idiomatisch für: wenig, unbedeutend sein 1

umschlagen, schlug um, ist umgeschlagen hier: wechseln, sich verändern 4 aufstacheln aktivieren, animieren 5 r Tor, en Dummkopf, Idiot 3

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„Lassen Sie ihn nur machen, der weiß, was Rebhühner sind! Wär‘ er ein gemeiner1 Kerl, so hätte er sich an den Braten gehalten!” sagte die Köchin. „Ich sag‘s auch”, meinte der Wirt; „es sieht sich zwar nicht ganz elegant an, aber so hab‘ ich nur Generäle und Kapitelsherren essen sehen!” Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde füttern lassen und selbst ein handfestes Essen eingenommen in der Stube für das untere Volk: Da er Eile hatte, ließ er bald wieder anspannen. Die Angehörigen des Gasthofes ,Zur Waage’ fragten den Kutscher, wer sein Herr da oben sei und wie er heiße. Der Kutscher, ein schalkhafter2 und durchtriebener3 Kerl, versetzte: „Hat er es noch nicht selbst gesagt?” „Nein”, hieß es, und er erwiderte4: „Das glaub‘ ich wohl, der spricht nicht viel. Nun, es ist der Graf Strapinski! Er wird aber heut und vielleicht einige Tage hierbleiben, denn er hat mir befohlen, mit dem Wagen vorauszufahren.” Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an dem Schneiderlein zu rächen5. Er glaubte, dass er sich in das Haus begeben hatte und den Herrn spielte, statt ihm für seine Gefälligkeit ein Wort des Dankes und des Abschiedes zu sagen. Er bestieg den Wagen und fuhr aus der Stadt, ohne nach der Zeche6 für sich und die Pferde zu fragen. Dieser, ein geborener Schlesier, hieß wirklich Strapinski, Wenzel Strapinski. Mochte es nun ein Zufall sein oder mochte der Schneider sein Wanderbuch im Wagen vergessen und der Kutscher es zu sich genommen haben. Der Wirt trat freudestrahlend und händereibend vor ihn hin und fragte, ob der Herr Graf Strapinski zum Nachtisch ein Glas alten Tokaier7 oder ein Glas Champagner nehme und meldete ihm, dass die gemein hier: gewöhnlich, normal schalkhaft macht gerne Scherze 3 durchtrieben negativ für: intelligent 4 erwidern antworten 1

2

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sich an jmdm. rächen (für etw.) jmdm. etw. Schlechtes tun, der einem vorher selbst etw. Schlechtes getan hat 6 e Zeche, n hier: Rechnung für Speisen, Getränke in einem Gasthaus 7 r Tokaier, - ungarischer Wein 5



gottfried keller

Zimmer soeben zubereitet würden. Da erblasste der arme Strapinski, verwirrte sich von Neuem und erwiderte gar nichts. Inzwischen waren der Stadtschreiber und der Notar gekommen, um den Kaffee zu trinken und das tägliche Spielchen zu machen. Bald kam auch der ältere Sohn des Hauses Häberlin und Cie., der jüngere des Hauses Pütschli-Nievergelt, der Buchhalter einer großen Spinnerei1, Herr Melchior Böhni. Statt ihre Partie zu spielen, gingen sämtliche Herren in weitem Bogen hinter dem polnischen Grafen herum. Also das sollte ein polnischer Graf sein? Die Kreise, die die neugierigen Herren um den Fremden zogen, wurden immer kleiner, bis sie sich zuletzt vertraulich an den gleichen Tisch setzten. Sie begannen um eine Flasche zu würfeln2. Doch tranken sie nicht zu viel, da es noch früh war. Dagegen nahmen sie einen Schluck guten Kaffee. Sie boten dem Polacken, wie sie den Schneider bereits heimlich3 nannten, gutes Rauchzeug4 an. Der Himmel entwölkte sich in weniger als einer Viertelstunde, der schönste Herbstnachmittag trat ein. Es wurde beschlossen, auszufahren, den fröhlichen Amtsrat auf seinem Gute zu besuchen und seinen neuen Wein, den roten Sauser5, zu kosten6. Pütschli-Nievergelt, Sohn, sandte nach seinem Jagdwagen. Der Wirt selbst ließ ebenfalls anspannen, man lud den Grafen zuvorkommend ein, sich anzuschließen und die Gegend etwas kennenzulernen. Er überdachte schnell, dass er sich bei dieser Gelegenheit am besten unbemerkt entfernen und seine Wanderung fortsetzen könne. e Spinnerei, en Betrieb, in dem Fäden für Stoffe hergestellt werden 2 würfeln mit Würfeln (kleine Objekte aus Holz mit 6 Seiten für jede Zahl) spielen 1

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heimlich ohne, dass es jmd. merkt s Rauchzeug (nur Sing.) Zigarren und Zigaretten 5 r Sauser, - neuer süddeutscher Wein 6 kosten hier: probieren 3

4


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Er nahm daher die Einladung mit einigen höflichen Worten an und bestieg mit dem jungen Pütschli den Jagdwagen. Der Schneider hatte seine Militärzeit bei den Husaren abgedient und verstand demnach mit Pferden umzugehen. Als sein Gefährte höflich fragte, ob er vielleicht fahren möge, ergriff er sofort Zügel und Peitsche und fuhr in schulgerechter Haltung, in raschem Trabe1 durch das Tor und auf der Landstraße dahin, sodass die Herren einander ansahen und flüsterten: „Es ist richtig, es ist ein Herr!” In einer halben Stunde war das Gut des Amtsrates erreicht. Der Amtsrat kam herbei und führte die Gesellschaft ins Haus, und alsbald war auch der Tisch mit einem halben Dutzend Karaffen voll Sausers besetzt. Das heiße, gärende Getränk wurde vorerst geprüft, gelobt und dann fröhlich getrunken. Mittlerweile teilte sich die Gesellschaft in zwei Partien, um das versäumte2 Spiel nachzuholen. Strapinski, welcher die Teilnahme aus verschiedenen Gründen ablehnen musste, wurde eingeladen zuzusehen. Er musste sich zwischen beide Partien setzen, und sie legten es nun darauf an, geistreich und gewandt zu spielen und den Gast zu gleicher Zeit zu unterhalten. Der beste Gegenstand, so dachten sie, waren Pferde, Jagd und dergleichen. Strapinski wusste hier auch am besten Bescheid. Er brauchte nur die Redensarten hervorzuholen, die er früher in der Nähe von Offizieren und Gutsherren gehört und die ihm schon damals sehr wohl gefallen hatten. 1

Trab (nur Sing.) mittelschnelle Gangart von Pferden

2

versäumt nicht gemacht, verpasst

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gottfried keller

Melchior Böhni, der Buchhalter, sagte zu sich selbst: „Der Mann dort hat so wunderlich zerstochene1 Finger, vielleicht aus Praga oder Ostrolenka! Nun, ich werde mich hüten, den Verlauf zu stören!” Die beiden Partien waren nun zu Ende und es wurde ein allgemeines Hasardspiel2 vorgeschlagen. Man mischte die Karten, jeder warf einen Brabanter Taler3 hin, und als die Reihe an Strapinski war, konnte er nicht seinen Fingerhut auf den Tisch setzen. „Ich habe kein solches Geldstück”, sagte er errötend; aber schon hatte Melchior Böhni für ihn eingesetzt, ohne dass jemand darauf achtgab. Im nächsten Augenblick wurde dem Schneider, der gewonnen hatte, der ganze Einsatz zugeschoben; verwirrt ließ er das Geld liegen. Böhni besorgte für ihn das zweite Spiel, das ein anderer gewann, sowie das dritte. Doch das vierte und fünfte gewann wiederum der Polacke, der allmählich aufwachte und sich in die Sache fand. Indem er sich still und ruhig verhielt, spielte er mit abwechselndem Glück. Zuletzt, als man das Spiel satt bekam, besaß er einige Louisdors. Das war mehr, als er jemals in seinem Leben besessen hatte. Als er sah, dass jedermann sein Geld einsteckte, nahm er es ebenfalls zu sich, nicht ohne Furcht, dass alles ein Traum sei. Böhni, der ihn fortwährend scharf betrachtete, war jetzt fast im Klaren über ihn und dachte: Den Teufel fährt der in einem vierspännigen Wagen! Weil er aber zugleich bemerkte, dass der rätselhafte Fremde keine Gier4 nach dem Geld gezeigt, sich überhaupt bescheiden5 verhalten hatte, so war er nicht übel gegen ihn gesinnt, sondern beschloss, die Sache gehen zu lassen. Aber der Graf Strapinski, als man sich vor dem Abendessen ins Freie ging, nahm seine Gedanken zusammen und hielt den rechten 1 2

zerstochen (durch Stiche) verletzt s Hasardspiel, e Glücksspiel

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r Brabanter Taler, - Geldstück/Münze aus Brabant, einer Stadt in Belgien 4 e Gier (nur Sing.) starkes, maßloses Verlangen 5 bescheiden mit wenig zufrieden 3


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Zeitpunkt einer geräuschlosen Beurlaubung1 für gekommen. Er hatte ein ausreichendes Reisegeld und nahm sich vor, dem Wirt, Zur Waage’ von der nächsten Stadt aus das Mittagsmahl zu bezahlen. Also schlug er seinen Radmantel um, drückte die Pelzmütze tiefer in die Augen und schritt unter einer Reihe von hohen Akazien in der Abendsonne langsam auf und nieder. Er sah mit seiner bewölkten Stirn, seinem lieblichen, aber schwermütigen Mundbärtchen, seinen glänzenden schwarzen Locken, seinen dunklen Augen, im Wehen2 seines faltigen Mantels vortrefflich aus. Allmählich ging er immer etwas weiter vom Haus hinweg, schritt durch ein Gebüsch, hinter dem ein Feldweg vorüberging.

1

e Beurlaubung, en hier: Verabschiedung

2

s Wehen (nur Sing.) hier: Bewegung

27


AUFGABEN

Sprechen 1

Spielen Sie zu zweit ein Rollenspiel. Sie sind Gast und Ihr Partner/Ihre Partnerin ist die Bedienung in einem Restaurant. Benutzen Sie für den Dialog die Speisekarte und die Redemittel (für den Gast und den Kellner/die Kellnerin). Tauschen Sie anschließend die Rollen.

Gasthaus „Zum Schneider” Suppen

Tomatensuppe (mit Basilikum und Sahne) Gemüsesuppe (mit Möhren, Kartoffeln, Sellerie, Erbsen)

$ 4,40 $ 5,90

Kleine Gerichte

Bratwurst mit Pommes Frites Fischstäbchen mit Kartoffelbrei Kleiner gemischter Salatteller mit Brot Großer gemischter Salatteller mit Brot und Kräuterbutter Große Ofenkartoffel mit Kräuterquark

$ 5,20 $ 5,50 $ 4,80 $ 7,30 $ 7,50

Spezialitäten

Wiener Schnitzel mit Pommes Frites oder Kartoffeln und Salat Rindsroulade mit Reis oder Kartoffeln und Rosenkohl Seebarsch mit Petersilienkartoffeln und Blattsalat Kartoffelauflauf, überbacken mit Käse, Tomaten, Kräutern und Sahne

$ 13,80 $ 14,50 $ 15,30 $ 11,50

Nachspeisen

Vanilleeis mit heißen Kirschen Kleiner gemischter Eisbecher Großer gemischter Eisbecher mit Sahne Schokoladenpudding, hausgemacht, mit Vanillesoße

$ 4,30 $ 3,20 $ 4,50 $ 3,70

Getränke

Mineralwasser, still oder mit Kohlensäure 0,25 l Apfelsaft, Orangensaft 0,25 l Bier 0,33 Flasche Bier vom Fass 0,5 l Rot- oder Weißwein 0,2 l

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$ 2,60 $ 2,20 $ 2,80 $ 3,30 $ 4,20


Mögliche Redemittel: – „Haben Sie schon gewählt?/Was kann ich Ihnen bringen?/Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“ – „Ich hätte gern.../Ich nehme....“ – „Ich möchte bitte zahlen.“ – „Das macht...Euro.“ – „Stimmt so.“ (d.h. der Kellner/die Kellnerin darf den Rest als Trinkgeld behalten)

VOR DEM LESEN

2

Welcher Satzanfang passt zu welchem Satzende? Orden Sie zu. 1

2

3

4 5

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■ Er wollte eben mit festen Schritten ins Feld gehen, ■ Der Wanderer nahm schnell seine Mütze vom Kopf und ■ Sie sprach sogleich schnell und vieles mit ihm, ■ Am Tisch erhielt er den Platz ■ Der Wirt sagte: „Es ist richtig, Herr Graf, man hat vergessen, ■ Es wurde ihm nun klar,

a wie es die Art von Kleinstädterinnen ist, die sich den Fremden zeigen wollen. b dass er eigentlich nur wegen Nettchen so lange dageblieben war. c als ihm plötzlich der Amtsrat mit seiner Tochter Nettchen entgegentrat. d Ihr Gepäck abzuladen! Auch das Notwendigste fehlt!” e neben der Tochter des Hauses. f begrüßte sie.

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Gottfried Keller Gottfried Keller wurde am 19.7.1819 in Zürich geboren. Seine Schwester Regula kam 1822 zur Welt. Fünf weitere Geschwister starben während ihrer Kinderjahre. Auch sein Vater starb bereits 1824 und die Familie hatte finanzielle Schwierigkeiten. Trotzdem besuchte er zunächst eine höhere Schule, die er aber nach kurzer Zeit wegen eines Jugendstreiches wieder verlassen musste. Schon in seiner Kindheit und frühen Jugend malte er Aquarellbilder und schrieb. Er verfasste z.B. Theaterstücke, die er zusammen mit Freunden inszenierte.

Der Maler

Gottfried Kellers Geburtshaus in Zürich.

Sein Wunsch war es zunächst, Maler zu werden und er begann eine Lehre als Landschaftsmaler in Zürich. 1840 ging er nach München und studierte dort Kunst. Wegen einer TyphusErkrankung und Geldnot kam er 1942 zurück in seine Heimatstadt.

Der Dichter Er konzentrierte sich immer mehr auf das Schreiben und 1845 wurde sein erster Gedichtband „Lieder eines Autodidakten“ veröffentlicht. 1848 bekam er ein Stipendium in Heidelberg, wo er u.a. Literaturgeschichte studierte. Dort lernte er den Philosophen und Anthropologen Ludwig Feuerbach (1804- 1872) kennen. Diese Begegnung prägte seine spätere Weltanschauung. 70

Lieder eines Autodidakten.


Berliner Jahre Keller lebte von 1850 bis 1855 in Berlin. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Werke (z.B. „Der grüne Heinrich“ und Teile von „Die Leute von Seldwyla“), die auch beim Publikum Erfolg hatten. Dennoch zahlten ihm die Verlage ein nur geringes Honorar.

Rückkehr nach Zürich 1855 ging er für immer zurück nach Zürich, wo er als freier Schriftsteller arbeitete. 1861 nahm er die Stelle des Staatsschreibers im Kanton Zürich an und hatte somit keine finanziellen Sorgen mehr. Die Arbeit als Schriftsteller ließ er allerdings fast ganz ruhen. 1876 gab er sein Amt auf und widmete sich nur noch dem Schreiben. Nach längerer Krankheit starb er 1890.

Liebe

Luise Scheidegger.

Gottfried Keller hatte kein Glück in der Liebe. In Heidelberg verliebte er sich in Johanna Kapp, eine Malschülerin, die aber bereits eine Beziehung zu Ludwig Feuerbach hatte. Im Jahr 1865 lernte er die Pianistin Luise Scheidegger (1843 – 1866) kennen, mit der er sich im Mai 1866 verlobte. Es kam aber nicht zur Hochzeit, weil sie sich nur eine Woche nach der Verlobung das Leben nahm. Einige Jahre später, mit 53 Jahren, machte er Lina Weißert (1851–1910) einen Heiratsantrag, nicht wissend, dass diese bereits liiert war.

Werke Gottfried Keller schrieb Romane (z.B. Martin Salander, 1886), Novellen und Gedichte. Am bekanntesten ist sein Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla (entstanden zwischen 1856 und 1874). Hierzu gehören Romeo und Julia auf dem Dorfe (1856) und Kleider machen Leute (1873/74). Es sind meistens humorvolle Geschichten von Menschen in einem fiktiven Schweizer Ort. Es wird von ihren Schwächen und Problemen erzählt. 71


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Entstehung und authentische Fälle Literarische Vorlagen Gottfried Keller schätzte das Märchen vom falschen Prinzen (1825) von Wilhelm Hauff sehr. Dieses Märchen handelt von dem Schneidergesellen Labakan, der von einem vornehmen Leben träumt. Eines Tages zieht er die Kleider des Bruders des Kaisers an und alle halten ihn für einen Prinzen. Des Kaisers neue Kleider.

Auch im Märchen Des Kaisers neue Kleider (1837) von Hans Christian Andersen geht es um Schein und Betrug. Der Kaiser legt sehr großen Wert auf schöne, extravagante Kleidung und ist bereit viel Geld dafür auszugeben, sodass er Opfer zweier Betrüger wird. Sie versprechen dem Kaiser die schönste Kleidung, die aber für dumme und unfähige Menschen unsichtbar bleibe. Also geben alle vor, die wunderbaren Kleider des Kaisers zu sehen, obwohl er eigentlich nackt ist. 72


Wahre Geschichte In der Zeit Kellers gab es den Fall eines jungen Mannes, der sich als Sohn eines Grafen ausgab. Er behauptete, nach einem Duell auf der Flucht zu sein. Hilfe bekam er von dem Grafen Sobansky, der ihn in die Gesellschaft von Winterthur, einer Nachbarstadt von Zürich, einführte. In Wirklichkeit war er ein Jägerbursche, der wegen verschiedener Betrügereien weglaufen musste.

Spätere Fälle Im Jahre 1905 wurde der 56-jährige Schuster Wilhelm Voigt nach langer Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen. Man wollte ihm in seiner Heimatstadt weder Arbeit noch Ausweispapiere geben. Voigt wollte sich auf illegalem Weg einen Ausweis verschaffen und hatte die Idee, sich eine alte Hauptmannsuniform zu kaufen. Er marschierte mit einer Gruppe von Soldaten in das Rathaus von Köpenick, besetzte es und verhaftete den Bürgermeister. Zu seinem Pech gab es dort keine Passstelle! Der Hauptmann von Köpenick.

Rathaus Köpenick.

Carl Zuckmayer (1896-1977) nahm den Fall des Schusters als Vorlage für seine bekannte Komödie Der Hauptmann von Köpenick (1931).

Der Rentner Claude Khazizian aus Paris, auch „Monsieur Claude“ genannt, mischte sich gerne unter bekannte Persönlichkeiten. So wurde er selber berühmt. Am 8. Mai 1995 zum 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges trafen sich über 60 Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt in Paris. Es gelang ihm, sich zum gemeinsamen Foto hinter den damaligen französischen Staatschef Mitterand und seinen Nachfolger Chirac zu stellen. „Monsieur Claude“ erzählte, dass es wichtig sei, überzeugend zu wirken. 73


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Medien und Kunst Film Im Jahr 1940 erschien die Verfilmung Kleider machen Leute von Helmut Käutner. In den Hauptrollen spielen Hertha Feiler und der bekannte Heinz Rühmann. Die romantische, aber auch ironische und gesellschaftskritische Liebeskomödie war damals in Deutschland sehr erfolgreich.

Theater Immer wieder wird die Geschichte vom Schneidergesellen Wenzel Strapinski als Theaterstück aufgeführt. Besonders beliebt sind JugendtheaterInszenierungen.

Internet In Zusammenarbeit mit dem bekannten deutschen Verlag Reclam hat Michael Sommer, u.a. Literaturwissenschaftler, Autor und Regisseur, die Reihe Sommers Weltliteratur to go realisiert. Dort fasst er auf originelle Art in wenigen Minuten 74

Klassiker der Literatur zusammen, indem er sie szenisch mit Playmobil-Figuren darstellt. Dabei benutzt er Umgangs- bzw. Jugendsprache. Die 9-minütige Zusammenfassung von Kleider machen Leute findet man bei youtube.


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Studien und Fotoausstellung Studien

Fotoausstellung

„Machen Kleider Leute“, so wie das Sprichwort behauptet? Psychologen sagen, dass man sich mit Hilfe der Kleidung einfach und schnell einen ersten Eindruck von unbekannten Mitmenschen bilden kann. Durch die Kleidung können wir Vermutungen über das Alter, den wirtschaftlichen Status, die Einstellung und verschiedene Persönlichkeitsdimensionen anstellen. In einer Studie der University of Minnesota fand man heraus, dass Personalmanager Frauen, die auf Bewerbungsfotos Anzüge trugen, als am kompetentesten einschätzten. Ein anderes Experiment zeigte, dass Menschen Personen eher Geld geben, wenn die „Bittenden“ ähnlich gekleidet sind wie sie selbst. Das kann daran liegen, dass diese Menschen als Mitglieder der eigenen sozialen Gruppe wahrgenommen werden.

Die Modedesignerin und Fotografin Herlinde Koelbl analysierte in der Ausstellung „Kleider machen Leute“ (Juli - September 2016 in der Stadt-Galerie Neuwied) die Bedeutung von Kleidung. Dort sind 60 Personen aus aller Welt auf jeweils zwei Fotos zu sehen: Auf einem tragen sie ihre Arbeitsuniform und auf dem anderen Freizeitkleidung. Es sind z.B. Generäle, Richter, Köche und Kaminkehrer vertreten. Anhand der Arbeitskleidung kann man eine Person einem Beruf oder Stand zuordnen. Die Berufskleidung kann auch Anerkennung verleihen. Außerdem verändert sie Körpersprache und Ausstrahlung der Person. Auf dem Foto in Freizeitkleidung wirken die Menschen oft ganz anders und man nimmt sie eher das Individuum wahr. Die Fotografin will mit ihren Doppelporträts zum Nachdenken anregen: Wer bin ich und wie stelle ich mich dar?

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Mode heute Wie die Novelle Kleider machen Leute zeigt, spielte Kleidung schon vor über hundert Jahren eine große Rolle. Sie beeinflusste die Wahrnehmung einer Person durch die Gesellschaft. Auch heute ist Mode sehr wichtig. In einer Studie (Statistica, 2016) gaben 57,9 % der befragten deutschen Jugendlichen an, dass sie Geld am häufigsten für Kleidung ausgeben.

In Deutschland wachsen die Ausgaben für Kleidung und Schuhe jedes Jahr. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 74,77 Milliarden Euro (Statistica, 2016).

Marken und Trends

Experten sagen, dass gerade Jugendliche bei Mode sehr auf Marken achten, weil diese einen bestimmten Lebensstil suggerieren. Viele orientieren sich auch am Modetrend, um zu einer Gruppe zu gehören. Sie kaufen die Kleidung, die auch andere Gleichaltrige tragen und mögen. Da die Trends immer schneller wechseln und es immer mehr Kollektionen gibt, die nur kurze Zeit aktuell sind, stehen viele Jugendliche unter einem Konsumdruck. Sie kaufen daher oft viele und qualitativ schlechte Kleidungsstücke für wenig Geld. Dieses Phänomen wird „fast fashion“ genannt (www.welt.de). 76


Faire und ökologische Mode In einer repräsentativen GreenpeaceStudie (2015) fand man heraus, dass die meisten Jugendlichen von den schlimmen Arbeitsbedingungen in den Fabriken der Herstellungsländer gehört haben. Auch ist ihnen bewusst, dass in der Textilindustrie viele Chemikalien verwendet werden.

Dennoch achten nur wenige beim Einkauf auf die Produktionsbedingungen oder auf ökologische Herstellung der Kleidung (www.greenpeace.de/sites/ www.greenpeace.de/files/publications/ mode-unter-jugendlichen-greenpeaceumfrage_zusammenfassung_1.pdf).

Gebrauchte Kleidung Was passiert mit den Massen an Kleidung, die man nicht mehr tragen will? Über 70 Prozent der Befragten bringen die abgetragene Kleidung zur Altkleidersammlung, aber 20 Prozent wirft sie einfach weg. Die Hälfte spendet sie sozialen Einrichtungen oder gibt sie privat weiter. Über die Hälfte verschenkt oder verkauft sie auch an Freunde und Bekannte. Greenpeace hat dazu beigetragen, dass sich 30 große Firmen zu einer giftfreien Kleidungsproduktion verpflichtet haben. Die Organisation wirbt auch für einen alternativen Kleidungskonsum: mehr Second-Hand-Kleidung und zertifizierte Mode kaufen und Kleidungstücke reparieren anstatt sie sofort wegzuwerfen. 77


SELBSTKONTROLLE Kreuzen Sie an. (Es gibt nur eine richtige Lösung.) 1 Wenzel Strapinski verlässt Seldwyla, weil A ■ er dort seine Arbeit verloren hat und eine neue Arbeit suchen muss. B ■ er eine bessere Arbeit in Goldach gefunden hat. C ■ er gern reist. 2 Wenzel ist A ■ ein Graf, der als Schneider arbeitet. B ■ ein Schneider, der schon immer davon träumte, ein Graf zu sein. C ■ ein Schneider, der für einen Grafen gehalten wird. 3 Für Wenzel ist wichtig, A ■ dass er gut gekleidet ist. B ■ dass er viel Geld als Schneider verdient. C ■ dass er elegante Kleidung nähen kann. 4 Als er Nettchen kennenlernt, A ■ erzählte er ihr, dass er ein Schneider ist. B ■ verliebt er sich in sie und möchte er gern ein Graf sein. C ■ sagt er ihr, dass er ein Graf ist. 5 Auf der Verlobungsfeier A ■ gibt es viele Gäste aus Goldach. B ■ tanzt Nettchen mit ihrem Vater. C ■ gibt es Leute aus Goldach und Seldwyla. 6 Wenzel und Nettchen A ■ sind nach dem Fest sehr traurig. B ■ sind sehr zufrieden mit dem Fest und gehen glücklich nach Hause. C ■ streiten sich auf dem Fest. 7 In dem langen Gespräch zwischen Nettchen und Wenzel A ■ erzählt sie ihm von ihrer Kindheit. B ■ erklärt er ihr, wie alles passiert ist. C ■ erzählt sie ihm von ihrer Mutter. 8 Am Ende A ■ geht Wenzel allein als Schneider zurück nach Seldwyla. B ■ heiraten Wenzel und Nettchen und ihre Kinder ziehen später nach Seldwyla. C ■ heiraten Wenzel und Nettchen, leben zuerst in Seldwyla und später in Goldach.

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SYLLABUS Europäischer Referenzrahmen – Niveaustufe A2 Themen Sein und Schein Gesellschaft Liebe Betrug Glück, Zufall Grammatik Präteritum, Präsens Fragewörter Adjektivdeklination Verben mit Präpositionen Sprechen von sich erzählen beschreiben Rollenspiel Schreiben Kurznachricht beschreiben Lesen Leseverständnis (Lektüre) Informationen und Argumentationen in Medientexten verstehen Informationstafel verstehen

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ERWACHSENE

LEKTÜREN

NIVEAU 1

Emanuel Schikaneder, Die Zauberflöte

NIVEAU 2

Joseph Roth, Die Kapuzinergruft Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts Theodor Fontane, Effi Briest Anselm von Feuerbach, Kaspar Hauser Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laudris Brigge Gottfried Keller, Kleider machen Leute

NIVEAU 3

J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther Franz Kafka, Die Verwandlung Georg Büchner, Woyzeck Friedrich Schiller, Die Räuber Stefan Zweig, Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers


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