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Evangelischen Kirche: „Woke“-Protestantismus oder der Fall Claussen

Evangelischen Kirche: „Woke“-Protestantismus oder der Fall Claussen

Evangelischen Kirche: „Woke“-Protestantismus oder der Fall Claussen

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„Omas gegen Rechts“ und die „Evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus“ demonstrieren 2020 gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt
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„Woke“-Protestantismus oder der Fall Claussen

Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, fehlt es in der EKD an echten Debatten. Bestenfalls werden Kontroversen simuliert. Ansonsten herrschen Selbstgerechtigkeit und Dünkel, Unbarmherzigkeit und Unduldsamkeit im Umgang mit opponierenden Kräften. Ein aktueller Fall erlaubt nun einen seltenen Blick hinter die Kulissen.
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Einer breiteren Öffentlichkeit dürfte das Magazin Zeitzeichen kein Begriff sein. Dasselbe gilt für den Theologen Johann Hinrich Claussen. Zeitzeichen gehört zu den Resten der einst so stolzen protestantischen Publizistik, Claussen ist der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

In dieser Funktion entfaltet er seit 2016 eine rege Veröffentlichungstätigkeit, wobei seine Einlassungen grundsätzlich dem entsprechen, was man „Woke“-Protestantismus nennen könnte: politisch-korrekt, den Vorgaben der Regenbogen-Weltanschauung folgend, im engen Schulterschluß mit den tonangebenden Kreisen der Republik und bereit, alles fahren zu lassen, was im eigentlichen Sinn die christliche Lehre ausmacht (Claussen meint zum Beispiel, man sollte nach AT und NT den „Koran … als drittes Testament auffassen“).

Verzerrend und rufschädigend

Angesichts dessen kann die Verve nicht überraschen, mit der Claussen am „Kampf gegen Rechts“ teilnimmt. Zumal dieser Kampf seiner Meinung nach gegen einen „Feind“ – nicht einen „Gegner“ – und das heißt unerbittlich geführt werden muß: der „Feind“ darf „keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern“. Der Passus stammt aus einem Aufsatz Claussens, den er vor vier Jahren zum Zweck der Mobilmachung gegen „Nationalisten“ und „Populisten“ für Zeitzeichen geschrieben hat.

Aber das Thema läßt ihm offenbar keine Ruhe. Anders ist kaum zu erklären, daß in der jüngsten Ausgabe seines bevorzugten Organs ein Beitrag unter dem Titel „Religion von neurechts“ erschienen ist, in dem es um ein „Studienobjekt“ geht, mit dem Claussen sich intensiv beschäftigt zu haben behauptet: Karlheinz Weißmann.

Claussens Darstellung meiner religiösen Überzeugungen – er spricht sogar von meiner „Theologie“ – ist einseitig, verzerrend und passagenweise rufschädigend. Das heißt, sie geht über das hinaus, was man üblicherweise als Polemik im Meinungsstreit akzeptieren muß und macht die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands erforderlich.

Mehrere Falschbehauptungen

Davon abgesehen, scheint es mir notwendig, die entscheidenden Falschaussagen Claussens öffentlich richtigzustellen.

  1. Der zur Kennzeichnung meiner theologischen Position genutzte Begriff „völkisches Christentum“ beziehungsweise „deutschchristlich“ ist bewußt irreführend. Er dient der Unterstellung, daß meine Ansichten letztlich denen der nationalsozialistischen „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) entsprechen. In denselben Zusammenhang gehört Claussens Behauptung, daß Emanuel Hirsch, der bedeutendste DC-Theologe, mein „wichtigster theologischer Gewährsmann“ sei. Soweit ich mich mit der DC und ihrer Lehre beschäftigt habe, geschah das durchgängig historisch-darstellend. Ihre Ideen habe ich mir nirgends zu eigen gemacht. Dasselbe gilt auch für Hirschs Konzept einer Synthese aus Protestantismus und NS-Ideologie. Davon unberührt bleibt Hirschs geistesgeschichtliche Bedeutung, die auch Claussen nicht zu bestreiten wagt.
  2. Wie Claussen an anderer Stelle richtig bemerkt hat, sind meine „theologischen Orientierungspunkte“ die Theologen Wilhelm Stählin, Karl Bernhard Ritter und Hans Asmussen. Ich beziehe mich auch regelmäßig auf Dietrich Bonhoeffer und Helmut Thielicke, die mit den drei von Claussen erwähnten gemeinsam haben, daß sie der Bekennenden Kirche angehörten und mithin entschiedene Gegner der Deutschen Christen wie des Nationalsozialismus waren. Dieser Widerspruch zu seiner These, daß ich eine Art Fortsetzer der DC sei, hätte Claussen auffallen können.
  3. Daß es dazu nicht kam, ist nicht nur mit Dissonanzreduktion zu erklären, sondern mit Claussens erkenntnisleitenden Interesse: mir die Maske des konservativen Lutheraners vom Gesicht zu reißen, damit der Krypto-Nazi in seiner ganzen Häßlichkeit sichtbar werde. Um dieses Ziel zu erreichen, scheut er nicht einmal vor der absurden Behauptung zurück, ich plädierte dafür, „alle alt-israelitischen und jüdischen Traditionselemente aus dem Christentum zu verbannen und es stattdessen mit heidnisch-germanischen Motiven anzureichern“.

Wichtig ist das für Claussen, weil er den Eindruck verstärken will, ich nähme das Programm der DC wieder auf, aber vor allem, weil er so zum entscheidenden Punkt kommt: daß ich mir den Vorwurf gefallen lassen müsse, „ein antisemitisches Erbe fortzuschreiben“. Selbstverständlich müßte Claussen bei Kenntnisnahme meiner Texte klar geworden sein, daß da kein Antisemitismus zu finden ist. Irregemacht hat ihn das aber nicht. Was mit der Schludrigkeit seiner Arbeitsweise erklärt werden könnte, aber eher noch mit der Verfügung über einen argumentativen Taschenspielertrick: Es ist für Claussen im Hinblick auf die Feststellung von Antisemitismus „nicht erheblich“, ob der Angezeigte „jüdische Menschen hasse oder nicht“. Was nur bedeuten kann, daß jemand – in diesem Fall Claussen – jemand anderen – in diesem Fall mich – ohne sachlichen Grund zum Antisemiten erklären darf und das heißt heute: dem sozialen Tod überantworten.

Damit zurück zum Ausgangspunkt. Nachdem mich vor drei Wochen Reinhard Mawick, der Chefredakteur von Zeitzeichen, kontaktiert hatte und um ein Foto für Claussens Text bat, versicherte er mir, daß dessen „Ton … un-aggressiv und in keiner Weise persönlich diffamierend“ sein werde. Davon ist keine Rede, wie jeder nach Lektüre des ins Netz gestellten Aufsatzes sehen kann. Allerdings stellt sich die Frage, ob das bewußte Täuschung war oder eine spezifische Art von protestantischem Wirklichkeitsverlust vorliegt. Ich vermute letzteres und erkläre mir auch einiges an Claussens Äußerungen so.

Selbstgerechtigkeit und Dünkel

Der Einleitungssatz seines Textes – „Die evangelische Kirche ist keine Einheitspartei, sondern ein Begegnungsraum“ – findet sich ähnlich in vielen seiner Veröffentlichungen. Was aber nichts daran ändert, daß solche Behauptung in groteskem Mißverhältnis zu den Tatsachen steht. Claussen muß das als hochrangiges Mitglied des protestantischen Klerus wissen. Denn seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, fehlt es in der EKD an echten Debatten. Bestenfalls werden Kontroversen simuliert. Ansonsten herrschen Selbstgerechtigkeit und Dünkel, Unbarmherzigkeit und Unduldsamkeit im Umgang mit opponierenden Kräften.

Für Claussens offenen Rückgriff auf den Feind-Begriff muß man deshalb fast dankbar sein. Erlaubt er doch einen seltenen Blick hinter die Kulissen. Denn üblicherweise wird unter Berufung auf „Offenheit“ und „Menschlichkeit“ und „Toleranz“ und „Demokratie“ an den Rand gedrängt oder diszipliniert. Was die Sache nicht besser macht. Es verfestigt sich so nur der Eindruck von Heuchelei. Für die sind religiöse Institutionen und ihr Personal besonders anfällig. Aber Heuchelei verdeckt je länger je weniger, womit man es in bezug auf den realexistierenden deutschen Protestantismus zu tun hat: intellektuelle Seichtheit, Entfremdung gegenüber der Bibel, der Überlieferung und dem eigentlichen Auftrag der Kirche im Hinblick auf Wort und Sakrament.

„Omas gegen Rechts“ und die „Evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus“ demonstrieren 2020 gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt
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