6. Okt. 2020Im Gespräch

Viel sehen und die richtigen Fragen stellen – die Teledermatologie in Linz

Seit beinahe zwei Jahren leitet OÄ Dr. Birgit Weindl von der Dermatologischen Abteilung des Ordensklinikum Linz Elisabethinen die teledermatologische Betreuung der stationären Patienten im KH Kirchdorf. Mit Clinicum derma spricht sie über die gesammelten Erfahrungen, dank derer man diese Kooperation auch während der Corona-Krise ungestört fortsetzen konnte.

CliniCum derma: Was war der Auslöser eine teledermatologische Sprechstunde einzuführen?

Weindl: Seit einigen Jahren hat unser Spital eine umfangreiche Konsiliartätigkeit in anderen Spitälern, in denen kein Hautarzt zur Verfügung steht, übernommen. Mittlerweile betreuen wir die Krankenhäuser in Steyr, Vöcklabruck und Kirchdorf mit. Von unserem Team, das derzeit aus zehn Fachärzten besteht, werden die Spitäler Steyr und Vöcklabruck zweimal und Kirchdorf einmal pro Woche angefahren. Nachdem Kirchdorf ein eher kleineres Spital ist, gab es zu Beginn noch wenige Zuweisungen – und das bei einer Fahrzeit von rund zwei Stunden pro Visite – so entstand die Idee, diese Einrichtung teledermatologisch zu betreuen, um Ressourcen zu schonen.

Das klingt einleuchtend und einfach; wie war die Umsetzung?

Wir haben 2018 mit einem Pilotprojekt gestartet, aber im öffentlichen Gesundheitsbereich und unter Berücksichtigung des Datenschutzes kann man nicht einfach Bilder und Patientendaten elektronisch hin- und herschicken. Zuerst mussten wir die technischen Voraussetzungen, das heißt, eine stabile Leitung schaffen, über die in kurzer Zeit große Datenmengen übertragen werden können und die über einen geschützten Server in Österreich betrieben wird. Ein weiterer Faktor war, dass unser Spital und das Spital in Kirchdorf unterschiedliche Betreiber und damit auch unterschiedliche Computersysteme haben. Es war für beide IT-Abteilungen eine große technische Herausforderung hier eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir haben verschiedenste Varianten ausprobiert, so hat es im Endeffekt beinahe ein Jahr gedauert, bis wir einen reibungslosen Ablauf sicherstellen konnten.

Was war abgesehen von der Technik das Allerwichtigste?

Das Allerwichtigste, und auch das hat sich erst im Laufe des Projekts herauskristallisiert, ist das Gegenüber in Kirchdorf. Es nützt nichts, wenn dort nur ein Patient vor der Kamera sitzt, es bedarf einer kompetenten Pflegeperson, die dermatologisch geschult ist und mich mit den Informationen versorgt, die ich rein aus dem Bild nicht erkennen kann. Diese Person ist das erweiterte Sinnesorgan vor Ort. Sie muss beschreiben können, ob die Hautveränderung rau, glatt, schmerzhaft, überwärmt, scharf oder unscharf begrenzt ist, ob es sich um Plaques oder Quaddeln handelt und vieles mehr. Ich bin extrem dankbar und froh, dass mir mit der Wundmanagerin Veronika Lattner (Kasten) eine kompetente Person zur Seite gestellt wurde. Sie gibt mir ein Gesamtbild des Patienten und ich kann mich auf mein Kerngebiet konzentrieren, was meine Arbeit ungemein erleichtert.

War es zu Beginn schwierig, Diagnosen durch die Kameralinse zu stellen?

Am Anfang war es eine Herausforderung, da man ja das Live-Bild der eigenen Augen gewöhnt ist und hier kann eine Kamera bei Weitem nicht mithalten. Man muss sich einschauen und mit zunehmender Übung gelingt es immer besser, z.B. die verschiedenen Rottöne eines Ausschlags über die Kamera zu unterscheiden. Nach wie vor problematisch sind sehr helle Ausschläge, diese feinen Unterschiede kann die Kamera nicht abbilden. In solchen Fällen bin ich umso mehr auf die Pflegeperson vor Ort angewiesen und habe auch gelernt, die richtigen Fragen zu stellen. Erysipel und Herpes zoster hingegen lassen sich telemedizinisch sehr gut diagnostizieren. Die Dermatologie ist an sich schon ein Fach, in dem man viel gesehen haben muss, und in der Teledermatologie muss man vorher noch mehr gesehen haben, um das, was man auf dem Bildschirm sieht, richtig zu interpretieren.

Als Arzt nimmt man den Patienten ja als Gesamtes wahr; funktioniert das auch in der Telemedizin?

Möglicherweise geht ein kleines Bisschen an Information verloren, aber ich sehe den Patienten ja als Ganzes dort sitzen und kann auch schon einiges aus seiner Körperhaltung herauslesen. Zudem erhalte ich von der Pflegeperson vor Ort vorab Informationen über die Vorgeschichte und die Lebensumstände des Patienten, die das Krankheitsgeschehen beeinflussen könnten. Insofern sehe ich hier keine oder nur eine minimale Einschränkung.

Wo sehen Sie Limitationen oder Nachteile?

Wir haben in unserem Setting aktuell (noch) nicht die technischen Möglichkeiten via Teledermatologie Hautveränderungen auflichtmikroskopisch zu begutachten, was jedoch in der Dermatologie unerlässlich ist. Ein Erysipel oder eine Gürtelrose sind Blickdiagnosen, aber bei allen Gewächsen auf der Haut und zur Beurteilung der potenziellen Gefährlichkeit von Muttermalen kann eine korrekte Diagnose ohne Verwendung des Auflichtmikroskops eigentlich nicht gestellt werden. Natürlich kann man aus der Erfahrung heraus grob beurteilen, ob eine Hautveränderung eher als suspekt oder doch als wahrscheinlich harmlos einzustufen ist, aber ein Auflichtmikroskop gäbe mehr Sicherheit. Es sind hier bereits Systeme in Entwicklung, allerdings sind die Kosten dafür hoch. Ein weiterer Nachteil der Teledermatologie ist, dass wir als Ärzte keine Aktionen am Patienten setzen können und selbst für einfache Therapien, wie z.B. eine Vereisung, an den niedergelassenen Dermatologen verweisen müssen.

Was sehen Sie als großen Vorteil der Telemedizin?

Abgesehen davon, dass wir durch die Telemedizin Ressourcen in vielen Bereichen schonen, ist der große Vorteil, dass bei Bedarf auch spontane Begutachtungen vereinbart werden können. Wenn die Kollegen in Kirchdorf einen akuten Fall haben, können wir relativ einfach eine Sitzung aktivieren und unsere Expertise abgeben.

Was wäre noch zu beachten?

Es ist wichtig, auch die Apotheke vor Ort in das Konzept einzubinden. Wir haben in der Dermatologie sehr viele magistrale Rezepturen und es macht keinen Sinn, wenn wir Diagnosen stellen und Behandlungen verordnen, aber die Herstellung der Salbe mehrere Tage dauert, da wird der Patient oft vorher aus dem Krankenhaus entlassen. Für die Zusammenarbeit mit Kirchdorf konnten wir einen Prozess etablieren, bei dem die von mir aufgeschriebene magistrale Rezeptur ausgedruckt und noch am selben Tag in die Krankenhaus-Apotheke gefaxt wird und spätestens am nächsten Tag ist die Salbe beim Patienten auf der Station.

Ursprünglich war die teledermatologische Sprechstunde ja als Projekt geplant, in dem Sie zusätzlich zur Fernbegutachtung noch am selben Tag ins Krankenhaus Kirchdorf fahren und den Patienten persönlich aufsuchen?

Das wurde bis März 2020 so gehandhabt, einfach um sicherzugehen, dass die korrekte Diagnose gestellt wurde. In diesem Zeitraum wurden mehr als 200 Patienten begutachtet und der Abgleich mit der Direktbegutachtung hat nur eine einzige Fehldiagnose ergeben. Dann kam die Corona-Krise und seitdem betreiben wir mit Kirchdorf reine Telemedizin. Ich will nicht sagen, dass das immer gut ist, denn abgesehen vom persönlichen Kontakt zu den Kollegen und der Pflegeperson vor Ort, muss man sich bestimmte Krankheitsbilder direkt anschauen können. Wenn es jedoch weiterhin so gut funktioniert wie in den letzten Wochen, werden wir den Schwerpunkt auf die Telemedizin legen und in Zukunft nur noch hinfahren, wenn sich Fragestellungen ergeben, die meine Anwesenheit vor Ort erfordern.

Empfinden Sie die persönliche oder die telemedizinische Ordination als anstrengender?

Während der telemedizinischen Sprechstunde sitze ich in einem ruhigen Raum, niemand kommt herein und fragt schnell etwas und auch das Telefon läutet nicht. Das ist viel entspannter, aber andererseits ist diese Arbeit auch anstrengender, weil ich das Gefühl habe, in meiner Wahrnehmung eingeschränkt zu sein, und daher mehr nachfragen und mich noch stärker konzentrieren zu müssen, damit mir nichts entgeht, insofern würde ich sagen, dass es ausgeglichen ist.

Veronika Lattner, Kirchdorf

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Diplom-Gesundheits- und Krankenpflegerin Veronika Lattner ist zertifizierte Wundmanagerin und das teledermatologische Gegenüber von OÄ Dr. Birgit Weindl im Krankenhaus Kirchdorf. Sie ist seit 4/2019 in dieser Kooperation tätig und gemeinsam wurden in der Zwischenzeit mehr als 200 Patienten betreut. „Ich bin das erweiterte Auge und Ohr, die verlängerte Hand, die erfüllen muss und die erweitere Nase, die riechen kann“, sagt sie. „In der Dermatologie sind alle Sinne wichtig, und das, was durch den teledermatologischen Zugang nur reduziert vorhanden ist, müssen wir hier ausgleichen.“

Daher ist in der telemedizinischen Betreuung von Hautpatienten eine dermatologisch geschulte und erfahrene Pflegefachkraft am einen Ende der Leitung genauso wichtig wie die Dermatologin am anderen. Lattner erhält die stationären Patienten in Kirchdorf zugewiesen, erhebt eine ausführliche Anamnese und erklärt den bevorstehenden Ablauf, was pro Patient circa 30 Minuten an Vorbereitungszeit in Anspruch nimmt, aber dadurch die eigentliche Sprechstunde enorm erleichtert und beschleunigt. „Unsere Patienten haben die teledermatologische Sprechstunde sehr positiv aufgenommen, sie sind interessiert und fühlen sie sich wohl und zum Teil auch wichtig und wertgeschätzt, weil sie an etwas Neuem teilhaben dürfen.“ Bis jetzt gab es keinen einzigen Patienten, der dieses Angebot abgelehnt hätte. Die Alternative wäre, einen Termin bei einem niedergelassenen Dermatologen zu vereinbaren oder in eine andere Klinik zu fahren. „Im ländlichen Bereich sind dermatologische Praxen rar und die Wartezeiten lang, vor allem für die ältere und zum Teil von chronischen Erkrankungen geprägte Generation ist dieses Angebot einfach eine Frage der Lebensqualität, quasi ein digitaler Hausbesuch, bei dem Wissen ausgetauscht, Diagnosen gestellt und Therapien eingeleitet werden, das funktioniert sehr gut“, resümiert die Wundmanagerin. Gerade während der Corona-Krise hat sich die telemedizinische Betreuung als großer Vorteil herausgestellt. „Das ist eine neue Art von Medizin. Jedoch würde ich sie als ergänzendes Werkzeug ansehen, das den persönlichen Arzt-Pflege-Patienten-Kontakt NICHT vollständig ersetzen kann“, unterstreicht Lattner.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma