Versöhnung  

»Die Ursünde der Kirche ist der Klerikalismus«

Warum sich Klerikalismus und ein erwachsener Glaube gegenseitig ausschließen

Die Ursünde des Menschen ist: sein wollen wie Gott. Die Ursünde der Kirche ist der Klerikalismus, denn hier maßen sich Menschen im Grunde genommen dasselbe an, indem sie zwar nicht Gott, aber doch zumindest seine Stellvertreter sein wollen und dabei so tun, als würden sie – und nur sie – seinen Willen genau kennen. Klerikal ist dabei nicht eine bestimmte Theologie oder Kleidung, sondern ein archaisch-magisches Machtgefälle sowie ein monarchisches Erwählungs- und ein paternalistisches Sendungsbewusstsein.

Wo eine Gemeinde oder eine Diözese ihren Leiter als skurrilen Schamanen erlebt und sogar akzeptiert (Klerikalismus von unten) und wo ein Geweihter sich selbst von den sogenannten Laien abgrenzen muss, um seine wankende Identität zu stärken oder gar die eigene Unsicherheit zu verstecken (Klerikalismus von oben), entstehen Misstrauen und Angst. Die Christen an der Basis schauen noch viel zu sehr nach oben, und die Kleriker bilden einen eigenen Klüngel. Das Handeln der Kleriker an den Laien wird häufig als Seelsorge, das Handeln der Christen in der Welt als Pastoral bezeichnet. In den meisten Gemeinden jedoch wird nach Seelsorge gefragt, nicht an der Pastoral mitgewirkt.

Gerade in der Corona-Zeit konzentrierte sich wieder alles auf die Amtsträger statt auf die Gemeinschaft der Christinnen und Christen, so als hätte das Zweite Vatikanische Konzil gar nicht stattgefunden. In vielen Gemeinden möchte man möglichst mit dem Chef sprechen, also mit dem jeweils verfügbaren ranghöchsten Kleriker. Solange noch dieses Denken an der Basis herrscht, wird die Kirche klerikal bleiben. Der Grund ist wieder die Infantilität des Gottesvolkes: Nur unmündige Kinder brauchen Väter, erwachsene Christen haben Geschwister.

Klerikale Koalition aus Angst und Macht

Als am schädlichsten für die Entwicklung eines erwachsenen Glaubens erweist sich die typisch klerikale Koalition aus Angst und Macht. Wer sich nur religiösen Autoritäten unterzuordnen gelernt hat, wird keine eigene christliche Identität ausbilden, sondern infantil bleiben.

Wer sich zeitlebens selbsternannten geistlichen Vätern oder einer übermächtigen Mutter Kirche unterzuordnen hatte, wird niemals ein erwachsener Christ oder eine erwachsene Christin werden, denn die Gefahr ist groß, dass die Angst vor kirchlichen Autoritäten auch das Gottesbild nicht unberührt lässt. Im schlimmsten Fall wird der Missbrauch kirchlicher Macht religiös begründet und akzeptiert – eine Spirale der Angst.

Vielen Christen hat man über Jahrhunderte nur ein Autoritätsgewissen (das dem Lehramt zu gehorchen hat) zugestanden und dementsprechend ein Verantwortungsgewissen (das selbstständig und mündig Urteile fällt und handelt) unterdrückt. Das Gewissen als oberste Instanz wurde nur verbal propagiert, nicht jedoch beherzigt, besonders im Bereich der typisch katholischen kollektiven Sexualneurose, deren detailverliebte Normen häufig nur ein Spiegel der Phantasie ihrer Urheber, nicht aber lebensnah und hilfreich sind.

Klerikalismus

Wie lässt sich Klerikalismus überwinden?

Wer den Klerikalismus in der katholischen Kirche überwinden hilft, arbeitet deshalb mit am Mündigwerden des Gottesvolkes und am Erwachsenwerden der Christinnen und Christen. Es gilt, das im Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte gemeinsame Priestertum weiterzuentwickeln in Richtung der Berufung und Sendung aller Getauften. Gewaltenteilung in der Kirche würde ein Aufbrechen aus einem klerikalen und autoritären, sich selbst erhaltenden und nicht kontrollierbaren System bedeuten. Dass die offizielle Kirche es hier an Aufklärung hat fehlen lassen, ja, dass sie die Umsetzung und Weiterentwicklung der Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils aktiv behindert hat, lässt sich wiederum leicht an der Liturgie ablesen: Sie trägt weiterhin kultische Züge; das Amt des Gottesdienstleiters wird immer noch sakralisiert, das des Predigers an der Weihe statt an Kompetenz und Charisma festgemacht.

Dass einige Bischöfe während der Corona-Krise ihre Priester aufgefordert haben, allein und stellvertretend, also ohne Gemeinde, die heilige Eucharistie zu feiern, zeigt überdeutlich, dass die Kirche auch liturgisch in den Kinderschuhen einer archaisch-magischen Religiosität steckengeblieben ist. Die Ehrfurcht vor dem Sakralen, die jeder natürlichen Religiosität innewohnt, muss im Christentum anders erreicht werden als mit der Sakralisierung der Amtsträger, denn der aufgeklärt-mystische Glaube braucht keine weiteren Mittler als Jesus Christus allein.

Dieser Text ist ein Auszug aus: Stefan Jürgens, Von der Magie zur Mystik. Der Weg zur Freiheit im Glauben © Patmos Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2021 www.verlagsgruppe-patmos.de.

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Von der Magie zur Mystik

Von der Magie zur Mystik

»In 25 Jahren seelsorglicher Praxis ist mir bei vielen Menschen nur wenig Glaube begegnet, dafür aber viel Magie; wenig Gottvertrauen, dafür aber viel Angst; wenig Entwicklung, dafür aber viel Tradition«, sagt Stefan Jürgens. Viele Christen leben ihren Glauben so, als solle Gott durch fromme Leistung gnädig gestimmt werden.

Stefan Jürgens erzählt, wie er selbst zu einem erwachsenen Glauben gefunden hat: nicht, weil er gut ist, sondern weil Gott gut ist. Er folgt den Spuren geistlicher Entwicklung, wie sie auch in der Bibel ihren Ausdruck finden. Er fragt nach den tieferen Ursachen für das Verharren im Kinderglauben. Entwickelte Spiritualität und Identität zeigt er als entscheidende Schritte zu einem erwachsenen Glauben auf, der nicht fordert, sondern fördert, der im Alltag trägt und der letztlich zur persönlichen Freiheit führt. Ein neuer Blick auf die Kirche und auf die wesentlichen Inhalte des Christentums macht dieses leicht lesbare Buch zu einem anregenden Grundkurs des Glaubens.


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