Schalke-Sportdirektor im Interview: Schröder: „Für Schalke ließ ich meine Frau im Restaurant sitzen“

Seit dem 1. Juni 2021 Sportdirektor bei S04: Rouven Schröder

Seit dem 1. Juni 2021 Sportdirektor bei S04: Rouven Schröder

Foto: Gerd Scheewel
Von: Maximilian Wessing und Max Backhaus

Rouven Schröder (45) kommt vorbereitet zum Interview-Termin. Er hat ein Foto ausgedruckt. Es zeigt die Schalker Mannschaft nach dem 3:1-Treffer im letzten Heimspiel gegen Düsseldorf am 5. Spieltag. Wie sie in einer Jubel-Traube an der Eckfahne feiert. Mittendrin: Schröder selbst.

SPORT BILD: Ist das Ihr neues Lieblingsbild, Herr Schröder?

ROUVEN SCHRÖDER: Das Foto zeigt, wie wir uns unseren Fans präsentieren wollen. Dass es nur gemeinsam geht. Es ist für mich schön zu sehen, dass die Spieler, mit denen wir bei den Vertragsverhandlungen am Tisch saßen, diese Emotionen wirklich leben. Wir wollen sehen, dass die Jungs sich jeden Tag den Allerwertesten aufreißen.

Szene vom Heimsieg gegen Düsseldorf: Nach dem 3:1-Treffer jubelt die Mannschaft gemeinsam, auch Rouven Schröder (M.) sprintete von der Bank los. Ein ähnliches Motiv brachte er zum Interview-Termin mit

Szene vom Heimsieg gegen Düsseldorf: Nach dem 3:1-Treffer jubelt die Mannschaft gemeinsam, auch Rouven Schröder (M.) sprintete von der Bank los. Ein ähnliches Motiv brachte er zum Interview-Termin mit

Foto: David Inderlied/dpa

Hinter Ihnen liegt ein Transfer-Sommer, wie ihn kein anderer Profi-Klub in Deutschland erlebt hat. 45 Zu- und Abgänge. Ein Total-Umbruch. Fühlten Sie sich wie bei einer Fließband-Arbeit?

Wir mussten den Kaderumbau zunächst einmal strukturieren – und haben gemeinsam mit der Abteilung Finanzen zwei Töpfe gebildet. Dem ersten Topf wurden die Spieler zugeordnet, die wir für unsere neue Mannschaft behalten beziehungsweise neu dazu holen wollten. Im zweiten Topf waren die Spieler, die wir aufgrund ihrer großen Verträge nicht halten konnten oder deren individuelle Perspektive auf Einsätze nicht gut war. Ich habe diese Töpfe mit allen Namen auf dem Papier immer vor mir gehabt, ich bin ein Typ, der Dinge sehen muss. Und dann war die Frage: Wo fange ich jetzt überhaupt an?

Wie haben Sie angefangen?

Die ersten Gespräche waren die schwierigsten, weil so viele Dinge unklar waren. Ich habe anfangs vor allem mit Spielern und deren Beratern aus Topf zwei gesprochen. Einige haben zunächst gesagt: Wir bleiben auf Schalke. Zusammen mussten wir dann viel Überzeugungsarbeit leisten, um erst einmal in einen Fluss zu kommen. So haben wir uns Handlungsspielraum geschaffen. Wichtig war, dass es uns gelungen ist, uns recht schnell von einigen Spielern zu trennen. Natürlich gab es Tage, da habe ich nur telefoniert, geschrieben, Ideen entwickelt – und abends feststellen müssen, dass ich nicht einen finalen Haken setzen konnte.

Welcher Transfer war am langwierigsten?

Rodrigo Zalazar. Ich habe viele Wochen vor der Verpflichtung bei Markus Krösche (Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt, d. Red.) hinterlegt, dass wir großes Interesse an ihm haben, sofern er auf den Markt kommt. Er hatte in Frankfurt ja noch Vertrag. Markus sagte mir, dass Rodrigo sich bei der Eintracht beweisen solle, er mir aber Bescheid gebe, wenn sich eine Tür öffne. Das ist geschehen. Und dann muss man mit aller Macht handeln.

Wie genau?

Grundsätzlich wichtig ist in der heutigen Zeit, dass man den richtigen Berater des gewünschten Spielers erwischt. Das ist von Fall zu Fall manchmal undurchsichtig. Ich hatte den Vorteil, dass ich Rodrigos Berater noch gut aus meiner Mainzer Zeit kannte. Nach der Erlaubnis der Eintracht habe ich anschließend mit Rodrigo selbst gesprochen und den Eindruck bekommen, dass er Lust auf Schalke hat. Wir haben Video-Gespräche geführt, um in seinem Gesicht, in seiner Mimik erkennen zu können, ob der Spieler einen Wechsel wirklich will.

Wie ging es weiter?

Unser Interesse wurde irgendwann öffentlich. Häufig ist es so, dass andere Vereine sich dann auch noch einmal Gedanken über den Spieler machen, es beginnt ein Ziehen und Zerren. Parallel mussten wir mit der Eintracht eine Lösung finden, wie das Transfer-Modell aussehen kann (Leihe mit Kaufpflicht, d. Red.). Wichtig in dieser Phase ist, dass man den Spieler vom Wechsel überzeugt hat. Wir haben uns persönlich getroffen, haben ihm ein Video geschickt, in dem die Emotionen, die wir hier haben, transportiert wurden. Und es gibt noch Kleinigkeiten, mit denen man Spieler locken kann. Rodrigo ist ein emotionaler Mensch, für ihn ist Schalke perfekt.

Welche Schwierigkeiten haben Sie in dem Sommer erlebt?

Bei Ko Itakuro war es so, dass wir viel Geduld brauchten. Wir wollten ihn unbedingt von Manchester City verpflichten. Das Problem war: Er reiste noch nach Tokio zu den Olympischen Spielen. Wir können uns nicht erlauben, einen Spieler zu bezahlen, der erst einige Wochen nach Saisonstart bei uns einsteigt. Wir haben gesagt: Es ist ein richtig guter Spieler – aber das können wir nicht machen.

Nun steht er aber bei Schalke unter Vertrag.

Der Transfermarkt besteht aus Schwingungen. Wir haben durch Abgänge noch Puffer im Budget gehabt, zu dem Zeitpunkt war Olympia fast zu Ende. Plötzlich passt es dann. Es ist häufig ein Thema der Zeit und des Moments.

Nicht gepasst hat es bei dem Spanier Sergi Enrich, der schon zum Medizincheck auf Schalke war – dann aber nicht unterschrieb. Wussten Sie zu dem Zeitpunkt, als der Spieler nach Deutschland kam, von seiner Vorgeschichte? Dass er verurteilt wurde, weil er pornografische Videos illegal veröffentlichte?

Zu dem Thema ist alles gesagt.

Sie haben nach außen nur kommuniziert, dass man sich mit dem Spieler beschäftigt habe, von einer Verpflichtung aber Abstand nehme. Warum erklären Sie nicht einfach, wie es war: Dass Ihnen der ganze Skandal so zu Beginn nicht bewusst war und Sie – als sich das geändert hatte – dann auf eine Verpflichtung verzichtet haben.

Nochmal: Das Thema ist abgehakt.

Von den Fans werden Sie dafür gefeiert, Enrich nicht geholt zu haben. Welche Note geben Sie sich selbst für die Transfer-Periode?

Wir haben unter den gegebenen Umständen alles Mögliche unternommen, um die Lizenzspielerabteilung nach dem Abstieg neu zu strukturieren. Dass wir dies im Team geschafft haben, darauf sind wir zurecht stolz. Das maximal Mögliche haben wir umgesetzt. Das waren allerdings nur die ersten von vielen weiteren Schritten. Darauf bauen wir auf.

Haben Sie Ihren Job zwischenzeitlich verflucht?

Wenn wir über diesen besonderen Transfersommer sprechen, dann braucht es eine große Leidenschaft im gesamten Club, um die vielen Herausforderungen Stück für Stück abzuarbeiten. Alle Beteiligten geben in diesem Prozess unheimlich viel auf. Es gab Momente, da saß ich mit meiner Frau im Restaurant, als mein Handy klingelte. Sie meinte nur: ‚Sag mir bitte nicht, dass es wieder wichtig ist.‘ Dann saß meine Frau 30 Minuten alleine im Restaurant, was mir wahnsinnig leidtut. Bei so wichtigen Baustellen im Kader kann ich aber nicht sagen: ‚Ich ruf‘ zurück.‘ Diesen Job kann man nur machen, wenn man positiv verrückt ist – und die Familie einen so großartig unterstützt wie meine.

Wie häufig hatten Sie Ihr Handy in der Transfer-Phase aus?

Nie.

Sie haben zwei Handys.

Ja, ich habe noch ein altes Klapp-Handy, weil es einen besseren Akku hat. Und ich so auf meinem Smartphone parallel zum Gespräch Dinge nachschauen kann.

Was haben Sie gedacht, als Sie nach gefühlt ewigen Verhandlungen und in höchster Zeitnot Amine Harit zu Olympique Marseille verleihen konnten, der für Schalke mit einem Jahresgehalt von mehr als fünf Mio. Euro nicht im Ansatz zu zahlen gewesen wäre?

Das war schon ein tiefes Durchatmen bei allen Beteiligten, auch beim Spieler. Er hatte den großen Wunsch, nach Frankreich zu gehen. Und wir konnten sein Gehalt über die gesamte Saison eigentlich nicht stemmen, hätten bei einem Verbleib an anderen Ecken sparen müssen. Dann zog sich der Transfer, das war nervenaufreibend. Amine war schon in Marseille, sogar die Fotos mit ihm wurden dort schon gemacht und gepostet – plötzlich waren sie wieder gelöscht.

Weil Marseille sich nicht sicher war, ob er wirklich ins Gehalts-Budget passt.

Marseille musste mit der Liga und dem Verband noch offene Fragen klären. Für uns war das der Wahnsinn: „Wo sind die Bilder? Weg!“ Amines Berater hat dann noch einmal mit dem Verein gesprochen und dabei unterstützt, die Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Ich saß mit meinem Schwiegervater in der entscheidenden Nacht zusammen, er hat da mitgefiebert und mitgelitten. Er hat mir später einen Artikel über den Transfer geschickt und schrieb mir: ‚Ich war dabei.‘ Heute kann ich darüber schmunzeln.

Ist Schalke jetzt reif für den Aufstieg?

Wir sind mit dem Kader sehr zufrieden. Wir wollen bis Weihnachten in Schlagdistanz zu den Top 6 sein, um dann intern zu beraten, wie wir in die letzten 16 Ligaspiele gehen werden.

Ist das bei einem Kader mit Spielern wie Terodde, Bülter, Zalazar und Latza nicht untertrieben?

Man kann etwas über Bescheidenheit und Demut erzählen – oder man lebt sie! Letzteres machen wir. Was aber nicht heißt, dass wir keine Ambitionen haben. Das wäre bei Schalke auch gar nicht möglich.

Ihr Trainer Dimitrios Grammozis sagte zuletzt: „Andere Vereine haben mehr Tiefe im Kader.“ Darf er sich Krisen auf Schalke erlauben?

Was die Tiefe unseres Kaders betrifft, ist das eine rein mediale Diskussion. Natürlich sind Fehler erlaubt, und Krisen in der 2. Bundesliga auch gar nicht auszuschließen, das haben die vergangenen Jahre bewiesen. Der Umgang mit einer solchen Phase ist entscheidend. Dimitrios und sein Team geben Vollgas, wir arbeiten hier als Team. Ich werde jetzt zum Beispiel das Büro wechseln, von der Geschäftsstelle ins Profileistungszentrum ziehen. Ich wünsche mir, dass wir weiter zusammenwachsen als Verein. Und dass wir ein Club sind, mit dem sich die Fans total identifizieren und stolz auf die Mannschaft sein können.

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