Agrochemie
Syngenta-Verwaltungsrat über chinesische Besitzer: «Wir sind keine Befehlsempfänger»

Jürg Witmer, amtsältester Verwaltungsrat von Syngenta, spricht im Interview über den Einfluss von Chemchina und einen Börsengang.

Andreas Möckli
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Jürg Witmer, Syngenta
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Witmer ist Syngenta-Verwaltungsrat.
Witmer beim Interview im Hotel Renaissance in Zürich.    
«Die Schweiz ist für die hiesigen grossen Konzerne als Markt unbedeutend.»
CH Media traf Witmer im Hotel Renaissance in Zürich zum Interview.

Jürg Witmer, Syngenta

Claudio Thoma

Jürg Witmer hat eine entscheidende Rolle im Verwaltungsrat des Basler Agrochemiekonzerns Syngenta. Der 70-jährige Solothurner trat dem Gremium schon 2006 bei, er ist Leiter der unabhängigen Verwaltungsräte. Witmer sieht sich als Garanten, dass Syngenta ein nach Schweizer Recht organisiertes Unternehmen bleibt – auch wenn es nun dem chinesischen Konglomerat Chemchina gehört.

Vor der Übernahme durch Chemchina war Syngenta ein unabhängiges, börsenkotiertes Unternehmen. Und heute?

Jürg Witmer: Syngenta ist noch immer ein führender, global tätiger Konzern im Agrochemiesektor mit Hauptsitz in der Schweiz. Man mag Syngenta als Schweizer Unternehmen bezeichnen. Das stimmt zwar. Aber was heisst das schon, wenn nun viele behaupten, mit der Übernahme durch Chemchina sei eine Schweizer Firma verloren gegangen? Als wir noch an der Börse kotiert waren, kamen vielleicht 1000 Aktionäre an die Generalversammlung. Diese vertraten jedoch nur ein bis zwei Prozent des Aktienkapitals, der Rest war in den Händen ausländischer Investoren und ihrer Stimmrechtsvertreter.

Die grosse Mehrheit war also in ausländischem Besitz?

Das stimmt. Die Generalversammlung (GV) war letztlich eine Art Landsgemeinde. Das war mit viel Folklore verbunden sowie mit Kaffee und Gipfeli. Dabei traten die üblichen Kleinaktionäre und die obligaten Nichtregierungsorganisationen auf. Es war eine Gelegenheit, Dampf abzulassen. Das ist bei anderen grossen Schweizer Unternehmen nicht anders.

Jürg Witmer

Der 70-jährige Jürg Witmer begann seine Karriere bei Roche. So baute er etwa das China-Geschäft für den Pharmakonzern auf und war Assistent des damaligen Konzernchefs Fritz Gerber. Letzterer war es auch, der Witmer mit der Aufgabe betraute, das Aromen- und Riechstoffgeschäft in die Selbstständigkeit zu führen. Zwischen 1999 und 2005 leitete er das Unternehmen mit dem Namen Givaudan. Danach wechselte er in den Verwaltungsrat der Genfer Firma und stand dem Gremium bis 2017 vor. Im Jahr 2006 wurde er in den Verwaltungsrat von Syngenta gewählt, dem er bis heute angehört. Zwischen 2008 und 2012 war er auch Präsident des Baselbieter Spezialchemiekonzerns Clariant. Witmer ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. (mka)

Sie halten wenig davon, wenn man sagt, Syngenta sei ein eigenständiges Schweizer Unternehmen gewesen?

Man muss das relativieren. Sei es bei Syngenta oder bei anderen grossen Schweizer Konzernen: Hier befinden sich der Hauptsitz und das Entscheidungszentrum, aber diese Firmen sind global tätig. Vergessen wir nicht, die Schweiz ist für die hiesigen grossen Konzerne als Markt unbedeutend.

Dennoch ist eine Verbundenheit der Bevölkerung mit den grossen Konzernen vorhanden. Diese Firmen haben hier ihren Sitz und ihre Geschichte.

Auf das können wir stolz sein. Gleichzeitig müssen wir aber dem Standort auch Sorge tragen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Schweiz nicht verregulieren. Denken Sie nur an die KonzernverantwortungsInitiative oder die Aktienrechtsreform. Es besteht die Gefahr, dass wir das bisherige liberale Umfeld zerstören, in dem ein Unternehmen Platz zum Atmen hat. Ich warne davor, alles per Gesetz zu regeln.

Zahlreiche Firmen haben in den letzten Jahren mit Fehlverhalten nicht dazu beigetragen, den Unternehmen möglichst viel Spielraum zu lassen.

Wir haben einen rechtlichen Rahmen, der die wichtigsten Fragen absteckt. Wir brauchen nicht alles im Detail zu regeln. Macht jemand etwas nicht korrekt, so haben wir die Instrumente, das Unternehmen oder die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft zu ziehen, rechtlich wie medial. Es herrscht weitgehende Transparenz.

Zurück zu Syngenta. In Bevölkerung und Politik besteht die Angst, dass der Bezug zur Schweiz verloren geht. Das sieht man etwa an der Firmenspitze. In der Geschäftsleitung gibt es keine Schweizer, im Verwaltungsrat sitzt neben Ihnen nur noch einer.

Nochmals, wir sind ein global tätiges Unternehmen. Qualität des Managements und fachliche Kompetenz des Verwaltungsrates sind sehr gut. Darauf kommt es letztlich an. Der amerikanische Konzernchef Erik Fyrwald war zuvor unter anderem bei Dupont für den Agrochemieteil zuständig. Der Chef des Saatgutbereichs hat das Geschäft von der Pike auf gelernt. Sowohl die Pflanzenschutzsparte als auch deren Forschung werden aus der Schweiz heraus geführt. Der Saatgutbereich ist zum Grossteil in den USA angesiedelt, wo sich der Hauptmarkt befindet. Letztlich ist alles Teil eines globalen Verbunds.

Trotzdem sind die Ängste da. Haben Sie kein Verständnis dafür?

Natürlich. Aber glauben Sie, Chemchina zahlt 43 Milliarden Dollar in bar, um danach die Substanz aus der Firma herauszuziehen? Damit würden sich die Chinesen selber schaden. Die Mitarbeiter von Syngenta haben einen grossen Erfahrungsschatz. Daran halten wir fest. Es steht überhaupt nicht zur Diskussion, strategische Bereiche von Syngenta aus der Schweiz abzuziehen. Daran ändert auch der Verkauf des Geländes und der Gebäude am Basler Hauptsitz nichts.

In Basel haben Sie wiederholt Stellen abgebaut. Geht dies weiter?

Ein gewisser Abbaubedarf bei den Hauptsitzfunktionen besteht weiterhin. Das hat aber nichts mit der Übernahme durch Chemchina zu tun. Das sind über die Jahre gewachsene Strukturen, die wir regelmässig überprüfen. Gewisse Aufgaben wie Administration oder Informatik lassen sich an anderen Orten auf der Welt schlicht und einfach billiger ausführen.

Sollte Chemchina versuchen, das Unternehmen auszuhöhlen, könnten sich die vier unabhängigen Verwaltungsräte dagegen wehren.

(Quelle: )

Investiert Syngenta heute noch vergleichbar stark in den Schweizer Standort, wie es vor der Übernahme durch Chemchina der Fall war?

Natürlich. Wir haben in den letzten zehn Jahren gegen eine Milliarde Franken in der Schweiz investiert. Das Forschungszentrum in Stein AG und das Werk in Monthey VS sind gut aufgestellt und werden wichtige Standorte für Syngenta bleiben. Zudem investieren wir in Forschung- und Entwicklung jährlich über eine Milliarde in der Schweiz, den USA und China.

Nach dem Abgang von Vizepräsident Michel Demaré und von Geschäftsleitungsmitglied Christoph Mäder mehren sich allerdings die Zweifel, ob sich Chemchina an die früher gemachten Abmachungen hält.

Die Abmachungen von damals gelten weiterhin. Sollte Chemchina zum Beispiel versuchen, die Firma auszuhöhlen oder den Sitz zu verlegen, könnten sich die vier unabhängigen Verwaltungsräte dagegen wehren. Ich leite diesen Ausschuss innerhalb des Gremiums und bemühe mich um eine saubere Governance. Syngenta wurde auch zugesichert, dass wir eine einwandfreie Bonität, das sogenannte Investment Grade, behalten. Diese Abmachungen bestehen für fünf Jahre und sind wichtig für einen künftigen Börsengang.

Diskussionen zwischen Chemchina und Michel Demaré über den Verschuldungsgrad sollen zu seinem Abgang beigetragen haben.

Michel Demaré hat den Verkauf an Chemchina erfolgreich abgeschlossen. In der Folge fehlte es aber am nötigen Vertrauensverhältnis mit den neuen Eigentümern. Das hat ihn belastet, weshalb er sich entschieden hat, zu gehen.

Witmer beim Interview im Hotel Renaissance in Zürich.    

Witmer beim Interview im Hotel Renaissance in Zürich.    

Claudio Thoma

Wie steht es um das Vertrauensverhältnis von Ihnen und Chemchina? Seit Sommer ist neu Frank Ning Präsident von Syngenta und Chemchina.

Für uns ist Frank Ning ein Glücksfall. Er ist ein führender Industrieller Chinas. Er blickt auf eine langjährige Erfahrung zurück und hat beste Kontakte zur chinesischen Regierung. Ning hat in Pittsburgh studiert, spricht deshalb perfekt Englisch. Er ist sehr pragmatisch und zugänglich.

Es stellt sich die Frage, wie stark die Chinesen Einfluss nehmen. Wie viel haben die unabhängigen Verwaltungsräte überhaupt noch zu sagen?

Wir sind ein nach Schweizer Recht organisiertes Unternehmen. Dafür stehe ich ein. Das Gremium besteht aus qualifizierten Personen und ist international zusammengesetzt, mit zwei Verwaltungsräten aus China. Wir sind keine Befehlsempfänger.

Dennoch hat Chemchina das Sagen.

Das ist bei anderen Firmen auch so. Sind die Aktionäre mit einem Verwaltungsrat nicht zufrieden, können sie ihn abwählen.

Sehen Sie sich als Hüter der damaligen Abmachungen mit Chemchina?

Das ist so. Ich war schon lange vor der Übernahme durch Chemchina im Verwaltungsrat. Ich wurde nicht von ihnen eingesetzt und bin unabhängig.

Wir sind nicht Teil des Problems, wir sind Teil der Lösung.

(Quelle: )

Zum chinesischen Eigentümer kommt der schlechte Ruf der Agroindustrie hinzu, mit dem auch Syngenta kämpft.

Wir werden halt als Grossunternehmen angesehen, das mit gentechnisch veränderten Organismen arbeitet und zudem in Entwicklungsländern tätig ist. Zudem gab es einzelne Unternehmen in unserer Industrie, deren Reputation beschädigt war. Oft geht vergessen, dass unsere Firma für die Ernährungssicherheit wichtig ist. Das ist natürlich ein hoch politisches Thema. Das weckt Ängste, das kann ich verstehen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich bin überzeugt, dass Firmen wie Syngenta eine kritische Rolle spielen, um die Ernährungssicherheit auf der ganzen Welt zu verbessern. Mit unseren Produkten sind wir führend, gerade auch in der Biotechnologie. Wir sind nicht Teil des Problems, wir sind Teil der Lösung. Es braucht modernen Pflanzenschutz und modernes Saatgut. Auch aus umweltpolitischen Gründen.

Wie das?

Mit modernen landwirtschaftlichen Methoden muss man etwa das Land weniger pflügen. Damit entweicht weniger CO2 aus dem Boden. Das hat grossen Einfluss auf die Klimaemissionen, wo die Landwirtschaft ein wichtiger Verursacher ist.

Sie haben sich mit Chemchina einen besseren Zugang zum chinesischen Markt erhofft. Schlägt sich das bereits in den Zahlen nieder?

Das entwickelt sich, viele Projekte sind auch dank den Chinesen angelaufen. Das wird sich laufend in den Zahlen zeigen.

In der Schweiz wie in Europa wächst die Kritik am Ausverkauf hiesiger Firmen nach China. Auch der Bundesrat hat Vorbehalte bei Übernahmen strategisch sensibler Unternehmen geäussert. Wie stehen Sie dazu?

Wenn es um strategische Interessen wie etwa die Energieinfrastruktur eines Landes geht, bin ich für staatliche Interventionen. Aber das muss in einem sehr engen Rahmen bleiben. Zwar ist die Agrochemie für die Schweiz wichtig, aber tangiert dennoch keine strategischen Interessen.