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Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien, 1762-1805 Wirtschaften in sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung (1762-1805) zur menschdem Traktate spanischer Reformökonomen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihren konkreten Niederschlag in Komödien des spanischen Reformtheaters finden, wird dieses zum di- Beatrice Schuchardt ist Privatdozentin in der Iberoromanischen Literaturwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ehemalige DFG-Stipendiatin. Aktuell vertritt sie eine Professur für Spanische und Französische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Forschungsschwerpunkte umfassen E-Mail-Roim Kontext von Exil und Migration in den Literaturen des Maghreb, Québecs und der Karibik. Vom vir oeconomicus bis zur femina profusa BEATRICE SCHUCHARDT in spanischen Komödien, 1762-1805 Wirtschaftsverhaltens. Erstmals seit Schumpeter wird hier ein aktueller deutschsprachiger Überblick über Strömungen wirtschaftlichen Denkens im aufklärerischen Spanien und ihre Vorläufer geboten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass dann, wenn vom ‚ökonomischen Menschen‘ die Rede ist, meist der ‚ökonomische Mann‘ gemeint ist, entwickelt dieser Band für die Figurentypen des aufklärerischen Reformtheaters in Spanien ein geschlechts- und sektorspezifisches begriffliches Instrubis zur reicht. Neben Transferprozessen zwischen ökonomischem und theatralem Diskurs und dem aufkeimenden Liberalismus steht eine für Spanien charakteristische Bedeutung des Religiösen im Fokus der Analyse, die mit dem Förderpreis der Universitätsgesellschaft Münster e.V. ausgezeichnet wurde. 35 DIE ANTHROPOLOGISIERUNG DES ÖKONOMISCHEN IN SPANISCHEN KOMÖDIEN, 1762-1805 Vom vir oeconomicus bis zur femina profusa Beatrice Schuchardt LA CUESTIÓN PALPITANTE LOS SIGLOS XVIII Y XIX EN ESPAÑA Vol. 35 Consejo editorial Joaquín Álvarez Barrientos (CSIC, Madrid) Pedro Álvarez de Miranda (Real Academia de la Lengua Española, Madrid) Lou Charnon-Deutsch (SUNY at Stony Brook) Luisa Elena Delgado (University of Illinois at Urbana-Champaign) Fernando Durán López (Universidad de Cádiz) Pura Fernández (Centro de Ciencias Humanas y Sociales, CSIC, Madrid) Andreas Gelz (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im Breisgau) David T. Gies (University of Virginia, Charlottesville) Kirsty Hooper (University of Warwick, Coventry) Marie-Linda Ortega (Université de la Sorbonne Nouvelle / Paris III) Ana Rueda (University of Kentucky, Lexington) Manfred Tietz (Ruhr-Universität, Bochum) Akiko Tsuchiya (Washington University, St. Louis) DIE ANTHROPOLOGISIERUNG DES ÖKONOMISCHEN IN SPANISCHEN KOMÖDIEN, 1762-1805 Vom vir oeconomicus bis zur femina profusa Beatrice Schuchardt Vervuert - 2023 Die Veröffentlichung wurde unterstützt durch den Open-AccessPublikationsfonds der WWU Münster. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung - Nichtkommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. © Vervuert, 2023 Elisabethenstr. 3-9 – D-60594 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 597 46 17 Fax: +49 69 597 87 43 info@iberoamericanalibros.com www.iberoamericana-vervuert.es ISBN 978-3-96869-262-3 (Vervuert) ISBN 978-3-96869-263-0 (E-Book) DOI: https://doi.org/10.31819/9783968692630 Depósito legal: M-150-2023 Umschlagabbildung: Die Leinenindustrie im 18. Jahrhundert. © Alamy.com Umschlag: a.f. Diseño y Comunicación Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier. Gedruckt in Spanien. Meinen Eltern, Wolfgang und Christine Schuchardt INHALTSVERZEICHNIS Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 15 1. Einleitung: Die Anthropologisierung des Ökonomischen . . . . . . . . . 17 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der Primärsektor: Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Der Sekundärsektor: Manufakturwesen und Industrie . . . . . . . . . . . . 2.3. Der Tertiärsektor: Binnen- und Außenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 61 69 77 3. Reformökonomische Diskurse vor dem Hintergrund eines veränderten Staatsapparates und des bourbonischen ‚Willens zum Wissen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Konzeptebene: Der Souverän als Manager der felicidad pública . . 3.2. Die Diskursebene: Phasen, Einflüsse, Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Vom arbitrismo zum proyectismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Merkantilismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Französische Physiokratie und spanischer Agrarismus . . . . . . . 3.2.4. Der Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Handlungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Erlasse zur Steigerung der Produktivität des Handwerks . . . . . 3.3.2. Die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften und Werksschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie . . . . . . . . . . 3.4.1. Über den Primärsektor: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1795) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Über den Sekundärsektor: Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3. Über den Tertiärsektor: Valentín de Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ökonomisierung des Theatralen im 18. Jahrhundert in Spanien 4.1. Merkmale eines ‚Theaters der Ökonomie‘: Vermenschlichung und Strukturhomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Zur Verschränkung des europäischen Sentimentalen mit dem spanischen Reformtheater und der Reformökonomie . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Vergeschlechtlichung des Ökonomischen oder: Warum der Begriff homo oeconomicus den vir oeconomicus meint . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Von ‚zivilen Helden‘ zu ProtagonistInnen der Produktion . . . . . . . . . 85 95 102 107 114 124 138 140 142 149 160 164 172 182 193 205 210 223 240 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels . . . . . . . 5.1. Der Kaufmann in der spanischen Literatur (1500-1700): Eine persona non grata? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Luciano Comellas El hombre agradecido (1790): Kaufmann, Zeitschere und Handelskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. Philanthropie und Kalkül: Grenzgänge zwischen Gabe und Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Vom Untertan zum Staatsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3. Der oikos als kaufmännischer Handlungsraum . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Bürgerliche Innerlichkeit im Kontext veränderter Inszenierungspraktiken im spanischen und deutschen Reformtheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Das bürgerliche Haus als Schnittstelle von Privatem und Geschäftlichem in El hombre agradecido . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Das szenische Mittel des Briefes in Gaspar Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793) . . . . . . . . 5.4. Soziales Kapital: Von der guten und schlechten Ökonomie der Affekte 5.4.1. Von der feudalen honra zur bürgerlichen amistad . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Der geizige Kaufmann und die Folie Molières in Leandro Fernández de Moratíns El viejo y la niña (1786) . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3. Intertextuelle Referenzen zu Shakespeares The Merchant of Venice (1600) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Gaspar Zavala y Zamoras La Justina (1790): Kaufmännischer Haushalt und matrimonio desigual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie. . . . . . . 6.1. Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788): Der Textilfabrikant als moralischer und wirtschaftlicher Ratgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Die Ehe: Metapher für das Verhältnis aufgeklärter Reformökonomen zu Spanien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789): Arbeit als bürgerlicher Wert . . . . . . 6.3.1. Zeitökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2. Der Lohn der Fleißigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3. Metonymische Performanzen: Das Pastoratsprinzip . . . . . . . . . 6.3.4. Zur Kopplung von unternehmerischem Erfolg und Religiosität 6.3.5. Die caritas als Tugend des philanthropen UnternehmerPaternalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Antonio Valladares y Sotomayors El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784): Religion und bürgerliche Tugend in englischem Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1. Der unternehmerische Kosmos des Textilgewerbes . . . . . . . . . . 6.4.2. Bürgerliche Tugend versus adelige Finanzmacht . . . . . . . . . . . . 6.5. Zwischenbilanz: Der vir oeconomicus, Protagonist der comedia económico-sentimental . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 249 254 269 276 278 280 288 291 296 301 308 315 317 329 334 339 343 351 358 362 365 368 371 375 382 387 7. Vir faber und vir rusticus: Männliche Typisierungen des Handwerks und der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Von der Ächtung zur Achtung? Trabajo manual und homo faber im (vor-)aufklärerischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. HandwerkerInnen und Kleingewerbetreibende in der spanischen und europäischen Literatur vor und nach 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Der vir faber in Cándido María Trigueros’ Los menestrales (1784) . . . . 7.3.1. Schuster, bleib bei deinem Leisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2. Des Schneiders neue Kleider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3. Handwerkerschaft und Staatsbürgertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4. Bürgerlichkeit im Dienst des aufgeklärten Absolutismus. . . . . . 7.4. Der soziale Aufstieg des vir faber in Valladares de Sotomayors El carbonero de Londres (1790) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1. Das Pastoratsprinzip: Der Souverän als Vaterfigur und Deidad 7.4.2. Adeliger Zorn und bürgerlicher Seelenadel . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3. Schuld(en), Tilgung, Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5. Vir rusticus: Der Bauer als theatrale Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6. Fermín del Reys La modesta labradora (1791): Die Vorspiegelung sozialer Gleichheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.1. Mise en abyme und ‚Als Ob der Repräsentation‘ . . . . . . . . . . . . . . 7.6.2. Habit und Habitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7. Luciano Comellas El buen labrador (1791): Aus Schwertern werden Pflugscharen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.1. Die physiokratische Lehre und der Kaiser von China . . . . . . . . . 7.7.2. Das Gleichnis vom Sämann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.3. Gier, Korruption und die Unbestechlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.4. Adelskritik und Abendmahlssymbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8. Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid (1782): Schnittstelle zwischen vir oeconomicus und vir faber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8.1. ¿Más? ¿O menos? Sexualdispositiv und Affektökonomie . . . . . . 7.8.2. Feudalstrukturen im bürgerlichen Gewand . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8.3. Bürgerliche Finanzmacht und Lob der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 7.8.4. Abermals Molière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9. Zwischenbilanz: Heldentum der Arbeit als soziale Evasion . . . . . . . . 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen: Femina oeconomica und femina fabra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Die femina oeconomica in spanischen Komödien der Spätaufklärung . . 8.1.1. Eine exzeptionelle femina oeconomica: Doña Guiomar aus María Rosa Gálvez’ La familia a la moda (1805) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2. Die Kette weiblicher Selbstaufopferungen in El fabricante de paños. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3. Prudentia als Tugend der femina oeconomica . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Die femina fabra im Kontext der escuelas patrióticas (1776-1813) der Matritense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 410 428 438 440 449 455 462 464 470 473 475 479 484 490 497 504 506 515 518 524 530 535 546 550 557 559 569 573 578 592 597 602 8.2.1. Die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña als femina fabra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2. Göttliche Interventionen: Die Weberin und der Dornbusch . . . . 8.2.3. Die Figur der Leandra und das reformökonomische Prämiensystem in Comellas El pueblo feliz (1789) . . . . . . . . . . . . . 8.3. Zwischenbilanz: Femina oeconomica und femina fabra diesseits und jenseits aufklärerischer Paternalismen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Typisierungen der Misswirtschaft: Vir profusus, femina profusa und die Palette der Normverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. Geschlechtliche Normverletzung: der petimetre als Variante des vir profusus und Verkörperung transgressiver Männlichkeit . . . . . . . . 9.1.1. Das Phänomen der petimetría im Kontext der aufklärerischen Luxusdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2. Kulturelle Normverletzung: Der vir profusus als Verkörperung merkantilistisch motivierter Xenophobie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3. Korrumpierte Jugend oder libertinage? Die Figur des Mariano aus Iriartes El señorito mimado, o la mala educación (1787) . . . . . . . 9.1.4. Religiöse Normverletzung: Aberglaube, falsche Schwüre, Häresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Die femina profusa in Gestalt der petimetra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1. Die petimetra als Heimsuchung einer männlich und national imaginierten Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2. Die unsichtbare Hand der Konsumentin und die weibliche Wollust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Zwischenbilanz: Das Maskenspiel der Metonymien und der reformökonomisch-christliche Kanon der Tugenden und Laster . . . . 608 613 617 625 627 630 633 643 648 655 661 663 670 674 10. Fazit: Sakrale Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 11. Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 12. Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 VORWORT Die vorliegende Studie wurde im Mai 2020 vom Fachbereich 09 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Als transdisziplinärer Beitrag verortet sie sich an der Schnittstelle zwischen Hispanistik, Romanischer Literatur- und Kulturwissenschaft, Wirtschafts- und Theoriegeschichte. Sie steht im Kontext eines gerade in den vergangenen beiden Dekaden erstarkten Forschungsinteresses am spanischen 18. Jahrhundert. Auch wenn die spanische Aufklärung den Fokus der Untersuchungen bildet, können die dortigen Entwicklungen nicht jenseits des europäischen Kontextes gedacht werden. Deshalb schlägt diese Studie immer wieder Brücken zu vergleichbaren Phänomenen in England, Frankreich, dem deutschsprachigen Raum und Italien. Eine Forschungsarbeit gewinnt durch fachlichen und transdisziplinären Austausch und wissenschaftliche Netzwerke. Zahlreiche Fachveranstaltungen boten Gelegenheit, Teilbereiche der Forschungen dieser Arbeit als ‚Work in Progress‘ zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen, darunter das Siegener Forschungskolloquium unter der Leitung von Christian von Tschilschke und Walburga Hülk; die von Urs Urban und mir geleitete Sektion Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien auf dem Hispanistentag in Passau (2011); die Sektion La religión, las letras y las Luces von Markus Ebenhoch und Veronika Österbaur auf dem Hispanistentag in Münster (2013); Christoph Strosetzkis und Christoph Lütges interdisziplinäre Konferenz Der Ehrbare Kaufmann in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing (2014); die Leipziger Forschungstage Lateinamerika/ Iberische Halbinsel bzw. Frankreich und Frankophonie unter Federführung von Alfonso de Toro; Susanne Schlünders und Andrea Stahls Sektion über Affektökonomien in Spanien und Frankreich auf dem Romanistentag in Mannheim (2015); die Tagung der Asociación de Hispanistas in Münster (2016); der Kongress der Sociedad Española de Estudios del Siglo xviii in Madrid (2016); der von Agnieszka Komorowska 12 und Annika Nickenig initiierte Workshop Economic Agency between Misfortune and Failure (Berlin, 2018); die von mir konzipierte und gemeinsam mit Christian von Tschilschke in Münster veranstaltete DFG-geförderte Tagung Protagonists of Production. Staging Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers in Preindustrial Spanish and European Economic Tracts, Literature and Press (1700-1800) (2019); die Konferenz Dinge, Waren, Güter von Urs Urban und Annika Nickenig als eine der letzten wissenschaftlichen Präsenzveranstaltungen vor Ausbruch der Pandemie (Berlin, 2020); das zweiteilige Colloque de Cerisy-la-Salle: Art/Argent unter der Leitung von Martial Poirson, Patrice Babeau und Yann Toma (2021/22) sowie, last not least, die Sunday Seminars (2021/22) unter der Leitung von Deirdre McCloskey und Nils Goldschmidt. An dieser Stelle möchte ich den Personen danken, die meine Forschungen über Jahre begleitet und gefördert haben. Mein tief empfundener Dank gebührt Christian von Tschilschke für achtsame Förderung, Unterstützung und die Möglichkeit, das spanische 18. Jahrhundert in einem ebenso wissenschaftlich bereichernden wie familienfreundlichen Umfeld zu einem Forschungs- und Herzensthema zu machen. Mein Dank geht an Tobias Leuker und Corinna Koch für aufmerksame Begutachtung und hilfreiche Anmerkungen. Manfred Tietz und Christoph Strosetzki danke ich für thesenschärfende Gespräche und fruchtbare Korrespondenzen rund um das spanische und französische 18. Jahrhundert. Ich danke Joaquín Ocampo Suárez Valdés und David T. Gies für die vertrauensvolle Überlassung unveröffentlichter Forschungsarbeiten, wertvolle Hinweise und intensiven fachlichen Austausch. Deirdre McCloskey und Nils Goldschmidt danke ich für inspirierende Kolloquien, beflügelnde Kooperationen und aufrichtige Transdisziplinarität, die den Geist und den Inhalt dieser Studie geprägt haben. Kirsten Mahlke danke ich für unterstützendes Mentoring und ideensprudelnde Kolloquien. Mein Dank gilt Vittoria Borsò für die Förderung in einer frühen Karrierephase und die Vermittlung kritischer disziplinenübergreifender Methoden, die eine wichtige Inspirationsquelle waren. Alfonso de Toro danke ich für transversale Brücken über Fächer- und Ländergrenzen hinweg. Bei der Korrektur des Manuskripts haben mich Anne Degenhardt, Imke Heine, Matthias Kern, Stephanie Kurczyk, Stefanie Muhr und Annegret Richter unterstützt. Ihnen sowie Karen Struve und Juliane Tauchnitz danke ich herzlich für Ihren wachen Blick und hilfreiche Anmerkungen. 13 Mein besonderer Dank geht an die Universitätsgesellschaft Münster e.V. für die Auszeichnung meiner in dieser Habilitationsschrift gebündelten Forschungen zu Theater und Ökonomie mit dem „Förderpreis 2021“ für „innovative und interdisziplinäre Arbeiten“. Das Preisgeld ist in der Förderung dieser Publikation eine wesentliche Säule. Großer Dank gilt auch dem Förderfonds der Universitäts- und Landesbibliothek Münster für die freundliche Übernahme der OpenAccess-Kosten. Last but not least danke ich Eric Achermann und Editha Chitruszko vom FB 09 der Universität Münster für die Begleitung eines Habilitationsverfahrens, das in Pandemiezeiten besonderen, in der Geschichte des Fachbereichs einmaligen Bedingungen unterlag. Wissenschaftsarbeit verdankt sich nicht allein einem funktionierenden beruflichen, sondern wesentlich einem unterstützenden, verlässlichen, zuweilen auch langmütigen privaten Umfeld, das jahrelange Forschungsarbeit, durchgearbeitete Tage, Wochenenden und Urlaube mitträgt. In der Zeit, in der diese Arbeit entstanden ist, wurden drei Kinder geboren und wuchsen heran. Ich danke meinem Mann, Jörg Roling, für geteilte Care-Arbeit sowie meinen Kindern Adrian, Gereon und Juno Isabella für duldsames Teilen ihrer Mutter mit „der Habil“, die für eine nicht unwesentliche Zeit zum sechsten Mitglied der Kernfamilie wurde. Meine vier: Ich liebe Euch. Den liebevollen Großeltern, Wolfgang und Christine Schuchardt sowie Mechtild und Heinz Roling danke ich für Unterstützung beim Baby- und Kindersitting in herausfordernden Situationen. Forschungs- und Fürsorgearbeit zu vereinen ist – nicht nur, aber vor allem während einer Pandemie – eine Leistung, zu der sich hoffentlich immer mehr Forschende gleich welchen Geschlechts selbstbewusst bekennen. Auch ihnen ist diese Arbeit gewidmet. ZUM GELEIT Die Zitate aus den spanischen Dramentexten entsprechen in Orthographie und Zeichensetzung den jeweils zitierten Fassungen und wurden, insofern es sich um Texte aus dem 18. Jahrhundert handelt, in der Originalschreibweise belassen. Nur vereinzelt wurden Groß- und Kleinschreibung angepasst. Auch die Angabe der Figurennamen richtet sich nach dem verwendeten Originaltext bzw. nach der benutzten edierten Ausgabe. Am Ende der jeweiligen Großabschnitte stehen Zusammenfassungen bereit, die den LeserInnen zur besseren Orientierung innerhalb der umfangreichen Studie dienen sollen. Die Arbeit ist so aufgebaut, dass die einzelnen Großkapitel auch ohne eine Gesamtlektüre zugänglich sind. Dies soll Forschenden entgegenkommen, die sich für wirtschafts- und theoriegeschichtliche Teilaspekte, bestimmte reformökonomische Diskurse oder einzelne Komödientexte interessieren. Querverweise zwischen den Kapiteln geben Hinweise darauf, in welchem Teil der Arbeit die für das Verständnis des jeweiligen Kapitels relevanten Kontexte bei Bedarf nachzulesen sind. 1. EINLEITUNG: DIE ANTHROPOLOGISIERUNG DES ÖKONOMISCHEN In den vergangenen Jahren und noch vor Beginn der Pandemie war in der deutschen Presse immer wieder die Rede von der ‚Krise des Handwerks‘.1 Dabei waren und sind die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe seit Jahren voll und die Branche konnte zuletzt einen Zuwachs verzeichnen.2 Der pandemiebedingte zwangsläufige Rückzug auf das Häusliche und das Ruhen betrieblicher Abläufe haben diese Entwicklung verstärkt, sodass das Handwerk der bestehenden Nachfrage zuweilen kaum nachzukommen vermag. Die zum geflügelten Wort avancierte Rede vom „Fachkräftemangel“3 in der Industrie und in der Dienstleistungsbranche illustriert den Kern des Problems: Es fehlt an Nachwuchs. Vor allem Berufe, die körperliche Tätigkeiten erfordern, sei es in der Altenpflege oder im Baugewerbe, erscheinen unattraktiv. Während Ausbildungsberufe, die vorwiegend mit Schreibtischtätigkeiten zu tun haben, begehrt sind und sich Firmen in diesen Bereichen 1 Vgl. Anonymus (2003): „Krise im Handwerk verschärft“. In: Faz.Net vom 14.03.2003. Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/handwerk-krise-im-handwerkverschaerft-199410.html, Zugriff: 22.02.2022. Vgl. auch die ZDF-Dokumentation von Bernd Reufels „Handwerk in der Krise“, ausgestrahlt am 23.09.2017. 2 Vgl. Borstel, Stefan von (2014): „Das deutsche Handwerk strotzt vor Kraft“. In: Welt.de vom 10.11.2014. Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article134166886/Dasdeutsche-Handwerk-strotzt-vor-Kraft.html, Zugriff: 22.02.2022. 3 Vgl. Terwey, Alexander (2019): „Fachkräftemangel in 400 Berufen“. In: Focus Online vom 28.06.2019. Quelle: https://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/ informatik-altenpflege-oeffentliche-verwaltung-fachkraeftemangel-in-400-berufenwie-sich-der-missstand-beheben-laesst_id_10869988.html, Zugriff: 22.02.2022 sowie DPA (2019): „Jens Spahn rekrutiert in Mexiko Pfleger für Deutschland“. In: Spiegel Online vom 18.09.2019. Quelle: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/jens-spahnrekrutiert-in-mexiko-pfleger-fuer-deutschland-a-1287398.html, Zugriff: 22.02.2022. 18 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vor Bewerbungen kaum retten können,4 sind Ausbildungsplätze in Bäckereien oder Metzgereien nur schwer vermittelbar, denn diesen Gewerben haftet ein „schlechtes Image“5 an. Erschwerend kommt in Deutschland der demographische Wandel hinzu. Was hat dies mit der Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des 18. Jahrhunderts zu tun? Mehr, als man zunächst meinen möchte. Auch wenn zwischen dem heutigen ‚Exportweltmeister‘ Deutschland und dem importabhängigen Spanien von damals gewaltige Unterschiede klaffen, gibt es doch Parallelen. Diese wurzeln unter anderem in der seit der Antike sich hartnäckig haltenden Unterscheidung zwischen artes liberales und artes mechanicae, und damit in der Differenzierung zwischen als ‚wertvoll‘ erachteter Kopfarbeit und nur scheinbar ‚wertloser‘ Handarbeit (vgl. Kap. 7.1), die im heutigen Deutschland ebenso ihre Wirkungen zeitigt wie im Spanien des 18. Jahrhunderts. Auch dort hat das Handwerk ebenso wie die Industrie und der Handel mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen, und auch diese Sektoren sind in der Epoche der Aufklärung in Spanien (1700-1808)6 von einem Mangel an Auszubildenden betroffen. In weitaus größerem Maße als heute, wo der körperlichen Arbeit allenfalls ein Makel des Prestiges und des Gehalts anhaftet, ist sie im 18. Jahrhundert in Spanien regelrecht verschrien und gilt als unehrenhaft. Entsprechend gering geachtet, wenn nicht geächtet, sind die, die eine solche Tätigkeit ausüben. Das gilt nicht nur für Spanien, sondern für weite Teile Europas seit dem Mittelalter (vgl. Kap. 7.1). Jeder, der in Spanien die finanziellen Möglichkeiten dazu hat, einen der aufgrund finanzieller Engpässe der Krone nun zum Kauf stehenden Adelstitel zu erwerben, tut dies, darunter auch und vor allem Kaufleute (vgl. Kap. 2.3). Wo junge Menschen heute eher Betätigungen am Schreibtisch nachfragen oder an die Universitäten streben, will der, dem in Spanien im 18. Jahrhundert ein Handwerksbetrieb oder kaufmännisches Geschäft als Erbe in Aussicht steht, lieber zum Militär oder einen der begehrten Titel 4 Hechel, Andrea (2014): „Heiß begehrt: Nachwuchs im Handwerk“. In: Stuttgarter Nachrichten vom 26.03.2014. Quelle: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.didacta-zukunft-handwerk-heiss-begehrt-nachwuchs-im-handwerk.cd9f2cfb-8b2c-483793ea-01a445801026.html, Zugriff: 22.02.2022. 5 Hechel (2014: ohne Paginierung). 6 Der Einfall der napoleonischen Truppen in Spanien im Jahre 1808 läutet das Ende der Aufklärung und einen Liberalisierungsprozess ein, der 1810 in die Cortes de Cádiz als die erste verfassungsgebende Versammlung mündet. 1. Einleitung 19 erwerben. Auch demographische Besorgnisse sind heute ebenso ein Thema öffentlicher Debatten wie im 18. Jahrhundert in Spanien. Das gilt insbesondere in ökonomischen Traktaten, befürchtet man doch einen Bevölkerungsrückgang. Wie in der Presse heute bildet im aufklärerischen Spanien die Rede von der Krise in Handwerk, Handel und Industrie einen wiederkehrenden Topos. Obgleich die Sorge um einen Bevölkerungsrückgang im wirtschaftsbezogenen Schrifttum der Epoche ubiquitär ist (vgl. Kap. 2), ist statistisch betrachtet genau das Gegenteil der Fall: Das Bevölkerungswachstum sorgt für eine steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Kleidung und Gegenständen des täglichen Bedarfs, aber auch nach Mode, Accessoires und Luxusartikeln. Diesen Bedarf vermag die nationale Wirtschaft nicht zu decken. Die Nachwuchssorgen insbesondere in Handwerk und Industrie sowie ein allgemeiner Arbeitskräftemangel führen zu einer angesichts der Nachfrage des Marktes zu geringen Produktivität. Die einstige Weltmacht Spanien, und mit ihr die zu Beginn des 17. Jahrhunderts an die Macht gelangte bourbonische Dynastie, sehen sich zunehmend mit der ausländischen Konkurrenz konfrontiert: Holland, Flandern und England haben mit ihren stetig wachsenden Industrien und ihren modernen Produktionsmethoden einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Auch das in der Industriespionage aktive Frankreich gewinnt Boden (vgl. Kap. 2). Die produktive Kapazität eines Staates wird im Wettstreit der europäischen Großmächte zum entscheidenden Machtfaktor – und Spanien ist dabei deutlich ins Hintertreffen geraten. Das gilt auch für den Handel, ein Sektor, in dem Spanien seit dem 17. Jahrhundert immer mehr von Importen aus dem Ausland abhängig ist, nicht nur aus Westeuropa, sondern auch aus dem Baltikum und Asien. Das Bewusstsein, sich in einer Krise zu befinden und das Bedürfnis, mit den europäischen Konkurrenzmächten gleichzuziehen, veranlasst die im Jahre 1700 mit Felipe V. (1700- 1746)7 neu angetretene, aus Frankreich stammende und daher in Spanien mit großem Misstrauen beäugte bourbonische Dynastie, die die Habsburger nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 dauerhaft ablöst, ein umfassendes Reformprogramm in Angriff zu nehmen, das insbesondere durch die Minister und Staatsbediensteten unter Carlos III. (1759-1788) vorangetrieben wird. 7 Die angegebenen Jahreszahlen beziehen sich auf die Regierungszeit des jeweiligen Monarchen. 20 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Überlegungen, welche wirtschaftliche Reformen vonnöten sind und wie diese in die Praxis umgesetzt werden können, führen zu einem sich in zahlreichen Discursos und Memorias niederschlagenden ökonomischen Diskurs, der sich durch einen in der europäischen Aufklärung einmaligen Pragmatismus auszeichnet (vgl. Kap. 3). Gleichzeitig rezipiert dieser Diskurs wirtschaftliche Theorien aus dem restlichen Europa, darunter das Denken Adam Smiths (1723-1790) und David Humes (1711-1776), die anglophone Agronomie, die französische Physiokratie sowie die französischen Enzyklopädisten, und macht diese für die eigenen Erfordernisse fruchtbar. In diesem Sinne kennzeichnet die spanische Wirtschaftstheorie der Epoche ein an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierter Eklektizismus. Der epistemologische Ort, dem die Mehrzahl dieser Theorien entsprang, ist die ‚Politische Ökonomie‘8, die im 18. Jahrhundert im Entstehen begriffen und daher noch ganz „in der Regierungskunst aufgehoben“9 ist. Damit dient sie primär den wirtschaftspolitischen Interessen der Herrschenden. Die Politische Ökonomie ist es auch, die die heutige Ökonomie als Wissenschaft präfiguriert. Im Zuge einer bourbonischen Reformpolitik, die neben dem Wirtschaftlichen auch die Gesellschaft und den Kulturbetrieb in den Blick nimmt, gerät das Theater in den Fokus des politischen Interesses. Über das Theater und seine Figuren sollen dem Publikum, insbesondere den wirtschaftlichen und intellektuellen Trägerschichten, die Leitlinien der bourbonischen Reformen und der Reformökonomie nahegebracht werden. Dieses Unterfangen kann nur unter Zuhilfenahme der dem Theater eigenen Medialität gelingen, die den Figuren und ihrem Agieren auf der Bühne eine zentrale Stellung einräumt. Im Theater erhält das abstrakte System Wirtschaft ein figurales Gesicht und wird damit menschlich. Mit seiner theatralen ‚Vermenschlichung‘, die auch – wenn nicht vor allem – in europäischen und spanischen Komödien der (Spät-)Aufklärung10 vollzogen wird, wird das vielgestaltige Feld Als Teil eines feststehenden Ausdrucks wird das Adjektiv ‚politisch‘ hier dann, wenn von der ‚Politischen Ökonomie‘ die Rede ist, groß geschrieben. 9 Vgl. Witthaus, Jan-Henrik (2012): Sozialisation der Kritik im Spanien des aufgeklärten Absolutismus. Von Feijoo bis Jovellanos. Frankfurt/Main: Klostermann, p. 306. 10 Zum Begriff der Spätaufklärung vgl. Blumenberg, Hans (1975): Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt/Main: Suhrkamp, passim. Vgl. dazu auch Villacañas Berlanga, José Luis (2013): „Blumenberg. das Engagement für eine späte Aufklärung“. In: Anthropos-Magazin: Footprints of Knowledge, 239, pp. 9-20. Die spanische Spätaufklärung 8 1. Einleitung 21 der Ökonomie für das Publikum epistemologisch greifbar. Gleiches gilt für die sich aus den Erkenntnissen der Politischen Ökonomie speisenden Leitlinien der bourbonischen Reformökonomie. Eben diese theatrale ‚Vermenschlichung‘ eines als Idealwirtschaft imaginierten Systems, die sich in spanischen Komödien der Spätaufklärung mittels neu kreierter Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften vollzieht, ist Gegenstand dieser Studie, die die Bezüge zwischen der bourbonischen Reform, der Ökonomie und ihrer theatralen Repräsentation untersucht. Die bourbonische Darstellung des Ökonomischen, die zugleich ein Spiel der Stellvertretungen initiiert, erfolgt wiederum in Form einer Anthropologisierung, die Aspekte der Vermenschlichung und Verkörperung beinhaltet, gleichzeitig aber darüber hinaus geht. Den für die Einleitung titelgebenden Begriff der „Anthropologisierung des Ökonomischen“11 bezieht die vorliegende Arbeit von Jan-Henrik Witthaus, der ihn erstmals in seiner Habilitationsschrift Sozialisation der Kritik (2012) verwendet. Eine solche Anthropologisierung beobachtet Witthaus im 18. Jahrhundert in Spanien bereits um 1750 in Juan Enrique Graefs Discursos Mercuriales (1752ff.), einer so genannten ‚Moralischen Wochenschrift‘12, in die Graef als Redakteur und einziger Beiträger ein organologisches Modell des Staates und seines Wirtschaftsgeschehens einbringt. Der kranke menschliche Körper wird in diesem Zusammenhang zur Metapher für die krankende Nationalwirtschaft, deren ‚Organe‘, sprich, deren Sektoren, an bestimmten Symptomen leiden und die es wiederum mittels der Einnahme einer ‚Medizin‘, also der Anwendung der reformökonomischen Maßnahmen, zu kurieren gilt. Eben diesen allegorischen Komplex aus einem in metaphorische Analogie zum menschlichen Leib gesetzten ‚Staats- und Wirtschaftskörper‘ und die diesbezüglich zur Anwendung kommenden medizinischen Metaphern bezeichnet Witthaus als setzt auf der Ebene der ökonomischen Theoriebildung ab ca. 1780 ein. Vgl. auch Kap. 3.2 sowie Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2010): „Jovellanos: Ilustración, economía y ‚felicidad pública‘“. In: Cuadernos dieciochistas, 11, pp. 93-117, hier p. 97. 11 Vgl. Witthaus (2012: 293). 12 Vgl. zu den Moralischen Wochenschriften vor allem die wegweisenden Forschungen von Klaus-Dieter Ertler, darunter: idem/Hobisch, Elisabeth/Humpl, Andrea Maria (eds.) (2014a): Die Spectators in Spanien. Die kleinen Schriften der 1780er Jahre. Frankfurt/Main: Lang; eidem (eds.) (2014b): Die Spectators in Spanien. Die kleinen Schriften der 1760er Jahre. Frankfurt/Main: Lang; eidem (eds.) (2012): Die spanischen Spectators im Überblick. Frankfurt/Main: Lang. 22 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eine „Anthropologisierung des Ökonomischen“13. Von Witthaus ausgehend identifiziert auch Beate Möller in der Schrift Informe sobre la Ley Agraria (1795) des spanischen Reformökonomen Gaspar Melchor de Jovellanos eine „Anthropologisierung ökonomischen Wissens“14, die etwa dann gegeben ist, wenn Jovellanos15 von der Körpermetapher der „Skelette der Städte“16 spricht. Der Verfall der Städte wird dabei mit körperlichen Verwesungsprozessen und diese wiederum werden mit einem wirtschaftlichen Niedergang korreliert. Anders als bei Graef ist hier aber gerade nicht von dem einen Wirtschaftskörper der spanischen Nation die Rede. Vielmehr sind die vielen postmortalen Stadtkörper für Jovellanos das Indiz eines allerorten zu beobachtenden Rückgangs wirtschaftlicher Aktivität, die, wie Jovellanos mutmaßt, mit dem Rückgang der Bevölkerung im Zusammenhang steht. Die Städte sind hier eine an die Körpermetaphorik angelehnte Metonymie für den urbanen Raum, der in Ermangelung von Arbeitskräften leblos ist, aber doch eigentlich der Kern des öffentlichen Lebens sein sollte. Wenn in der vorliegenden Arbeit von der „Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Spätaufklärung“ die Rede ist, geht dieser Begriff insofern über die bloße ‚Vermenschlichung‘ des Systems Wirtschaft hinaus, als in den untersuchten Stücken mittels wiederkehrender, nach Berufs- und Tätigkeitsfeldern variierender Figurentypen (des Kaufmanns, des Fabrikanten, der HandwerkerIn, des Bauern bzw. der Bäuerin) bestimmte, in Einklang mit der bourbonischen Reformökonomie stehende Formen des Wirtschaftsverhaltens zu Grundzügen eines neuen aufklärerischen Menschenbildes erklärt werden. Damit wird das Wirtschaften im Allgemeinen, und das 13 Vgl. Witthaus (2012: 293). Möller, Beate (2019): Die spanischen Regionen im Zeitalter der Aufklärung: Literarische Darstellungen und politisch-ökonomische Reform. Berlin u.a.: Lang, p. 145. 15 In diesem Zusammenhang ist der Umstand bezeichnend, dass Jovellanos zu den bourbonischen Reformern gehört, die sich nicht nur für wirtschaftliche Neuerungen einsetzen, sondern die sentimentale Komödie zugleich als neues Genre in Spanien verankern. Vgl. Cañas Murillo, Jesús (1994): La comedia sentimental, género español del siglo xviii. Cáceres: Universidad de Extremadura, pp. 31ff. 16 Möller (2019: 145) mit Bezug auf Jovellanos, Gaspar Melchor de (21998): Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, p. 313, wo in Bezug auf Kastilien von „los esqueletos de sus ciudades“ die Rede ist. 14 1. Einleitung 23 ‚richtige Wirtschaften‘ im Sinne der Reformökonomie im Besonderen, zu einer zentralen menschlichen Grundbedingung erklärt, die sich in der Gattung Komödie in Form eines rekurrenten Kanons an Tugenden und Lastern niederschlägt. Dabei triumphieren die Tugenden gattungskonform über die Laster. Das durch das spanische spätaufklärerische Theater vorgeführte neue Menschenbild kommt in Teilen mit Leitideen der europäischen Aufklärung wie Philanthropie, Erziehung, Bildung und Mäßigung zur Deckung. Gerade dort, wo es um das Religiöse geht, weist dieses Menschenbild kulturelle Spezifika der spanischen Aufklärung auf. Dass mit dem theatral inszenierten neuen Menschenbild auch der Entwurf neuer Geschlechterbilder verbunden ist, wird dann deutlich, wenn das auf der Bühne inszenierte Wirtschaften Männern und Frauen unterschiedliche Aktionsräume und Verhaltensweisen, aber auch ein unterschiedliches Haushalten mit Gefühlen zuweist. Daher kommt die auf der Bühne vollzogene Darstellung des Wirtschaftens nicht umhin, zugleich eine männliche oder weibliche Verkörperung des jeweils guten oder schlechten Haushaltens mit Finanzen, Materialien und Emotionen in bestimmten Bereichen des Ökonomischen (z.B. im kaufmännischen Geschäft, im bürgerlichen Haushalt, in der textilen Heimarbeit, im Ehehandel) zu sein. Da diese jeweiligen männlichen oder weiblichen Verkörperungen Gefühle zur Schau stellen, die jeweils auf die emotionale Beteiligung des Publikums in Form von Einfühlung in die Figuren bzw. auf die Distanzierung von ihnen abzielen, ist die Subjektivierung Teil der theatralen Anthropologisierung. Beide Aspekte, die Verkörperung und die Subjektivierung, sind Varianten der von Claire Pignol beschriebenen literarischen17 Konkretion von Wirtschaft (vgl. Kap. 4.1).18 Denn im Gegensatz zum 17 Zum Literaturbegriff des spanischen 18. Jahrhunderts ist anzumerken, dass das Theater in jener Epoche streng genommen noch nicht der Literatur zugerechnet wird. Im zeitgenössischen Verständnis ist Literatur vor allem verschriftlichtes Wissen. Zugleich werden Theaterstücke in der spanischen Spätaufklärung zunehmend gedruckt und privat gelesen, sodass es angesichts der auch von Jehle beobachteten „Literarisierung der Theaterverhältnisse“ im 18. Jahrhundert in Spanien (vgl. auch Kap. 4) legitim ist, von spanischen Dramen der Spätaufklärung als ‚literarischen Texten‘ zu sprechen. Jehle, Peter (2010): Zivile Helden: Theaterverhältnisse und kulturelle Hegemonie in der französischen und spanischen Aufklärung. Berlin: Argument, pp. 204ff. 18 Pignol, Claire/Akdere, Çinla (2016): „Économie et littérature“. In: Revue d’Histoire de la Pensée Économique, 2, 2, pp. 75-91, hier pp. 77f. 24 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ökonomischen Diskurs, der das Allgemeingültige, Gesetzmäßige und Systemische sucht, um wirtschaftliche Systeme adäquat zu beschreiben, geht es bei literarischen Darstellungen von Wirtschaft um Darstellungen des Ökonomischen in einem bestimmten sozialen und historischen Kontext. Diese literarischen Konkretionen eines ansonsten abstrakten Wirtschaftsgeschehens bestehen darin, dass die Aufs und Abs, die Hausses und Baisses dieses Geschehens an menschliche Liebes- und Leidenswege sowie an Narrative des Erfolgs und des Scheiterns gekoppelt werden. Dadurch erst wird Wirtschaftsgeschehen zum Schicksalsgeschehen: Der Bankrott des einzelnen Kaufmanns gerät zur familiären und sozialen Katastrophe, der unverhoffte Gewinn zum Moment, an dem das verloren geglaubte Glück sich wendet und eine zuvor nicht in Aussicht stehende Ehe möglich wird. Im Roman ebenso wie im Theater geben solche Momente Anlass zu emotionaler Rührung, indem sich das Publikum bzw. die LeserInnen mit den Figuren identifizieren, sich von ihnen distanzieren, mit ihnen oder über sie lachen bzw. weinen. Das spanische Reformtheater: Vermittlungsinstanz einer Kultur der Politischen Ökonomie In seinem Aufsatz „Homo oeconomicus, Kaufmannsethos und Liberalismus im Spanien des aufgeklärten Absolutismus“ regt Witthaus an, „nach Kulturen der Ökonomie zu fragen“, anstatt „die Ökonomie als Counterpart der Kultur zu verstehen“.19 Auch Klein und Windmüller werfen in ihrem Sammelband Kultur der Ökonomie die Frage nach der „(medialen) Kommunikation des Ökonomischen“ auf.20 Damit fragen sie zugleich nach den Prozessen der kulturellen Formung des Ökonomischen 19 Witthaus, Jan-Henrik (2017): „Homo oeconomicus, Kaufmannsethos und Liberalismus im Spanien des aufgeklärten Absolutismus“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 151-173, hier p. 153. 20 Vgl. Klein, Inga/Windmüller, Sonja (2014): „Kultur(en) der Ökonomie. Einleitendes“. In: eadem (eds.). Kultur der Ökonomie. Zu Materialität und Performanz des Wirtschaftlichen. Bielefeld: transcript, pp. 7-16, hier p. 9. Die Kursivierungen sind dem Originaltext entnommen. 1. Einleitung 25 im Sinne der Beschaffenheit seiner „Popularisierungen“21, die ihrerseits „nach Bildern und Symbolen, nach kommunikativen Ritualen und Gesten“22 verlangen und in der Lage sind, Volkswirtschaft zu metaphorisieren. Solche Metaphorisierungen und Popularisierungen des Wirtschaftlichen finden sich, vermittelt über Figurenrede und Bühnenhandlungen, auch in spanischen Komödien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Hier manifestiert sich eine Kultur der Ökonomie, die eine florierende Wirtschaft als Staatsaufgabe begreift, in der das Ökonomische umgekehrt aber auch Einzug in das Regierungswissen hält.23 Dies steht mit einer Ökonomisierung auch des Staatsapparates selbst im Zusammenhang (vgl. Kap. 3.1). Die Kultur der Ökonomie, wie sie das Theater der spanischen Spätaufklärung inszeniert, ist eine Kultur der Politischen Ökonomie. Im Zuge der ab den 1760er Jahren parallel zu der ökonomischen Reform in Angriff genommenen Erneuerung des Theaters hält nicht nur eine neue Ästhetik Einzug in die Bühnenlandschaft, auch auf das Publikum, seine Zusammensetzung und seinen sozialen, ökonomischen und religiösen Wertehorizont sucht die Reform Einfluss zu nehmen. Der vorliegenden Studie ist daran gelegen, die (inter-)diskursive24 Verschiebung deutlich zu machen, mittels derer Diskurselemente der ökonomischen Reformüberlegungen Eingang in das Medium und in das Diskurssystem des Theaters finden. Dabei geht es darum, die Formen, Funktionen und Themen, aber auch die gattungs- und geschlechtsspezifischen Erscheinungsformen dieser Verschiebung zu 21 Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9) mit Verweis auf Tooze, Adam J. (2004): „Die Vermessung der Welt. Ansätze zu einer Kulturgeschichte der Wirtschaftsstatistik“. In: Berghoff, Hartmut/Vogel, Jakob (eds.). Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels. Frankfurt/Main: Suhrkamp, pp. 325-351, hier p. 332. Tooze spricht seinerseits von „Metaphorisierungen der Volkswirtschaft“. 22 Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9) mit Verweis auf Tooze (2004: 332). 23 Zur „Einführung der Ökonomie ins Regierungswissen“ vgl. Vogl, Joseph (2002): Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich: diaphanes, p. 55. 24 Das Adjektiv „interdiskursiv“ bezieht sich auf den von Jürgen Link auf der Basis von Foucaults Diskursbegriff entwickelten Terminus des „Interdiskurses“. Dieser meint „Diskurselemente und diskursive Verfahren“, die der „Re-Integration des in den Spezialdiskursen arbeitsteilig organisierten Wissens dienen“. Ein solcher „Spezialdiskurs“ ist auch der wirtschaftliche und wirtschaftstheoretische Diskurs. Vgl. Gerhard, Ute/Link, Jürgen/Parr, Rolf (2013): „Interdiskurs, integrierender“. In: Nünning, Ansgar (ed.). Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart: Metzler, pp. 341f. 26 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien untersuchen, die zugleich den medialen Transfer der ökonomischen Traktatliteratur in das performative Medium des Theaters vollzieht. Für ein Reformtheater, das zur Vermittlungsinstanz einer aufklärerischen ‚Kultur der Politischen Ökonomie‘ wird, kann das erklärte Ziel nicht mehr allein die moralische Belehrung des Publikums sein, wie sie das Theater seit Aristoteles vorgenommen hatte. Vielmehr geht es darum, eine Form der ökonomischen und sozialen Bildung für die Bühne zu entwickeln, die einerseits für das Publikum verständlich ist, andererseits aber auch die reformökonomischen Leitlinien der Gouvernementalität umsetzt.25 Die Gouvernementalität im Sinne Michel Foucaults fußt auf den Instanzen eines Staatsapparats, der im Auftrag des Souveräns statistisches und demographisches Wissen über die Bevölkerung sammelt.26 Dieses Wissen ist für den Souverän und seine gouvernementalen Stellvertreter deshalb essenziell, weil die Bevölkerung nun in ihrer Funktion als potenzielle Quelle des Reichtums in den Fokus des Staatsinteresses gerät.27 Daher müssen ihr Zuwachs oder ihr Rückgang in einem ersten Schritt statistisch überwacht und in einem zweiten biopolitisch reguliert werden. Dies geschieht über die Instanz der Policey, die nach Foucault die Menge der staatlichen Regulierungsmechanismen in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bezeichnet.28 Damit die Bevölkerung die ihr durch die Politische 25 So verweist beispielsweise Vittoria Borsò mit Recht darauf, dass sich hinter „dem Staat, der die Bevölkerung verwaltet, [...] Techniken des Regierens [verbergen], welche nicht allein im Feld des Politischen, sondern auch in verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen einschließlich Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Bildungsinstitutionen etc. operieren“. Borsò, Vittoria (2013): „Biopolitik, Bioökonomie, Bio-Poetik im Zeichen der Krisis. Über die Kunst, das Leben zu ‚bewirtschaften‘“. In: eadem/Cometa, Michele (eds.). Die Kunst, das Leben zu ‚bewirtschaften‘. Biós zwischen Politik, Ökonomie und Ästhetik. Bielefeld: transcript, pp. 13-35, hier p. 16. Auch das Theater ist ein solches Medium. 26 Vgl. Foucault, Michel (1994): „Omnes et singulatim: vers une critique de la raison politique“. In: Dits et écrits, vol. IV, eds. Daniel Défert & François Ewald. Paris: Gallimard, pp. 134-161. 27 Vgl. Lascoumes, Pierre (2004): „La Gouvernementalité: de la critique de l’État aux technologies du pouvoir“. In: Le portique. Revue de philosophie et de sciences humaines, 1314, pp. 1-23, hier p. 5. Quelle: http://journals.openedition.org/leportique/625, Zugriff: 22.05.2022. 28 Zur Policey vgl. Vogl (2002: 73f.) mit Bezug auf Foucault (1994: passim): „Die Policey übernimmt nun die Aufgaben positiver politischer Intervention und Steuerung innerhalb der politischen Regierung. [...] Nachdem sich der Polizeibegriff von den Sammlungen lokaler, städtischer und landesherrlicher Verordnungen über Kleidung, 1. Einleitung 27 Ökonomie der Gouvernementalität zugewiesene Rolle als Quelle des Reichtums der Nation wahrnehmen kann, ist aber nicht nur eine statistische und demographische Wissenserhebung über sie vonnöten, es gilt auch, die Bevölkerung selbst über ihre neue funktionale Rolle im Staat zu instruieren. Teile der spanischen Bühnenlandschaft der Spätaufklärung wandeln sich in propagandistische Lehranstalten ökonomischen Basiswissens. Als didaktisches Medium soll das Theater seinem Publikum das gute Wirtschaften zum Wohle der spanischen Nation, aber auch das zu vermeidende schlechte Wirtschaften vermitteln. Geht man mit Klein und Windmüller davon aus, „dass bestimmte Topoi, Themen und Figuren in Wirtschaftsdiskursen jeweils in bestimmten Zeiten und unter bestimmten Bedingungen hervorgebracht, durchgesetzt und weiterentwickelt werden“29, erweist sich für diese Studie die dramatische Subgattung der sentimentalen Komödie als privilegierte theatrale Form, in der sich ökonomische Diskurse in der spanischen Spätaufklärung kristallisieren. Die Darstellung der ‚guten‘ Ökonomie, die dem ‚öffentlichen Glück‘ (felicidad pública) aller Individuen der Nation zugutekommen soll, und der schlechten Ökonomie, die allen gleichermaßen schadet, kommt in der sentimentalen Komödie nicht ohne die simultane Vermittlung einer aufklärerischen Moralökonomie aus. Der Grund dafür ist, dass Aufklärung und Reformökonomie im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts Hand in Hand gehen.30 Einerseits steht die durch das Theater vermittelte aufklärerische Moralökonomie ganz im Einklang mit den Leitlinien einer paneuropäischen Aufklärungsbewegung und ihren Bemühungen um die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft. Diese ist im Kontext einer sich um 1700 vollziehenden epistemologischen Wende zu verorten, infolge derer eine Form des Wirtschaftens, deren Fundament die christliche Morallehre ist, durch eine bürgerlich und säkular fundierte ‚Ökonomie Luxus, Zünfte und Sitten, Feuergefahren und Bettler losgelöst hatte, erstreckt er sich auf die Lebensbedingungen der Leute, auf die Formen des Zusammenlebens insgesamt und auf alle Gebiete des politischen Wesens, er perspektiviert diese Gebiete unter dem Gesichtspunkt der Relationen und des Verkehrs, und er wendet die Förderung der individuellen und allgemeinen Wohlfahrt zu einer Stärkung des Staats überhaupt.“ 29 Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9). 30 Llombart Rosa, Vicent (2006): „Economía política y reforma en la Europa mediterránea del siglo xviii”. In: Mediterráneo económico, 9, pp. 95-113, hier p. 98. Ähnlich verhält sich dies etwa in der französischen Physiokratie, vgl. Kap. 3.2.3. 28 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Ursachen und Wirkungen‘ abgelöst wird.31 Zugleich bildet das Religiöse einen festen Referenzpunkt in der durch das spanische Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts vermittelte ‚Kultur der Politischen Ökonomie‘, die zugleich eine ‚Kultur der Reform‘ ist. Von der Religion als symbolischem intertextuellem und performativem Referenzrahmen nimmt die ‚neue‘ säkulare Moralökonomie des bourbonischen Reformprogramms ihren Ausgang. Die Frage, der diese Arbeit in diesem Zusammenhang nachgeht, ist erstens die nach der Funktion dieses religiösen Referenzrahmens, und zweitens die Frage danach, wie sich die Politische Ökonomie diesen Rahmen zum Zwecke der Säkularisierung über das Theater als Vermittlungsinstanz zunutze macht. Von Sattelzeiten und Epochenschwellen: Neue Menschenbilder im Licht und Schatten der Aufklärung Der europäischen Aufklärung geht es um nichts weniger als um den Entwurf einer neuen Gesellschaftsordnung, in deren Verlauf die Meriten des Berufsbürgertums und, damit einhergehend, Geld als neue soziale Währung, ein feudales System abzulösen beginnen, in dem sich die gesellschaftliche Bedeutung vor allem nach dem Adelstitel bemisst. Mit dem neuen Gesellschaftsentwurf sind neue Menschenbilder verbunden. Damit stehen zugleich tradierte Geschlechterbilder auf 31 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2003): „Industrialismo antes de la revolución industrial: la visión de los ilustrados“. In: Cuadernos de Estudios del Siglo xviii, 1213, pp. 93-115, hier pp. 97f.: „La producción de alimentos, al subordinarse a la dotación de tierras y ganado, requería mantener un delicado equilibrio entre suelo cultivable (ager), áreas de pasto (saltus) y superficies forestales (silva). Sobre tales premisas, se entiende que la riqueza se asociase al orden físico-natural, a los valores inmobiliarios y de uso. Epistemológicamente, la asunción de tales restricciones desde el aristotelismo y tomismo acabaría por cristalizar en un paradigma teológico-organicista del orden natural. Admitiendo tal orden y la oferta de recursos en él disponible como dados, la actividad económica, en un juego de suma cero, se cifraba en las operaciones de recolectar, acumular e inter-cambiar. [...] Desde el siglo xvii, el citado modelo fue sustituido por otro mecánico-causal. La idea de progreso sustituye a la de estabilidad, el precio de equilibrio al precio justo, los valores de cambios a los de uso. El orden natural se replantea y pasa a concebirse como un mecanismo sujeto a regularidades predecibles, susceptible de manipulación y de intervenciones capaces de ampliar su capacidad productiva. Era una cosmovisión más ajustada a un mundo modelado por la burguesía, por la máquina de vapor y por fuentes de riqueza que se alejaban de la tierra [...].” 1. Einleitung 29 dem Spiel, denn mit einer zunehmenden Ökonomisierung der Rolle des Individuums im Staat, das sich vom feudalen Vasallen und Untertan zum ökonomisch nützlichen Staatsbürger wandelt, werden auch die Rollen von Mann und Frau neu definiert. Dies zeigt sich anschaulich anhand von Jean-Jacques Rousseaus „Discours sur l’Économie Politique“(1755)32. Dort skizziert Rousseau die Unterschiede zwischen dem ökonomischen Makrokosmos des Staates und dem Mikrokosmos des oikos, der unter der Vormundschaft des Vaters als oberstem Familienoberhaupt steht. Dabei verdeutlicht Rousseau, dass der Ehemann und die Ehefrau im kleinsten wirtschaftlichen Gefüge der Familie nicht über dieselben Rechte verfügen: Während er über ihre Treue wacht, hat die seine für sie unerheblich zu sein.33 Obgleich Rousseau der familiäre oikos vor allem dazu dient, die Unterschiede zwischen Staatswirtschaft und Familienwirtschaft zu markieren, ähneln beide sich in ihrer patriarchalen Grundstruktur. Der Souverän hat im Staat die Rolle eines „premier magistrat“34 (‚oberster Verwaltungsbeamter‘, meine Übersetzung) des Makrokosmos der Nation inne. Als die Schnittstelle, an der die Fäden der Politischen Ökonomie zusammenlaufen, ist sein Gegenbild im familiären Mikrokosmos das autoritäre Leitbild des pater familias. Der Souverän operiert seinerseits an der Spitze des Staates als ‚Vater der Nation‘, der die Leitlinien der Politischen Ökonomie in wohlwollender paternalistischer Absicht durch ein patriarchales System der Stellvertretungen in alle Lebensbereiche hineinzutragen sucht, so auch in das System der Familie. Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht nicht nur, wie sich dieses Bestreben in der Struktur des Staatsapparates selbst manifestiert (vgl. Kap. 3), sondern auch, wie es sich in der Darstellung des Souveräns in spanischen Komödien der Spätaufklärung niederschlägt (vgl. Kap. 7.4ff.). Während Rousseau die Analogie von Hauswirtschaft und Staatswirtschaft nur benennt, um „sie unter dem Titel der ‚politischen 32 Rousseau, Jean-Jacques (1780-1789 [1755]): „Discours sur l’Économie Politique“. In: idem. Collection complète des œuvres, vol. I. Genève: ohne Verlagsangabe, pp. 361-414. Quelle: www.rousseauonline.ch, version du 7 octobre 2012, Zugriff: 22.02.2022. 33 Vgl. Rousseau (1780: 363f.): „[...] le mari doit avoir inspection sur la conduite de sa femme; parce quʼil lui importe de sʼassurer que les enfans, quʼil est forcé de reconnôitre & de nourrir, nʼappartiennent pas à dʼautres quʼà lui. La femme qui nʼa rien de semblable à craindre, nʼa pas le même droit sur le mari.“ 34 Rousseau (1780: 364). 30 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Ökonomie‘ sogleich hinter sich zu lassen“35, während das Haus und die Familie für ihn also gerade „nicht mehr als Leitbild der komplexen ökonomischen Beziehungen figurieren“36, verhält es sich im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch nicht so: Dort ist die ökonomisch funktionale bürgerliche Familie mit dem beruflichen Horizont des Familienvaters der ideale Ort, um in dem von Klein und Windmüller skizzierten Sinne Volkswirtschaft nicht nur zu metaphorisieren,37 sondern auch zu metonymisieren. Anders als Vogl38 dies für das Theater des französischen und deutschen Raums skizziert, lässt die Familie ihre ökonomische Modellfunktion im spanischen Theater nicht zugunsten ihrer Instrumentenfunktion hinter sich. Vielmehr ist sie Modell und Instrument zugleich: Sie ist sowohl ein Ort, an dem sich ökonomische Tugenden und Laster ideal abbilden lassen, als auch ein funktionales Rad im wirtschaftlichen Getriebe des Staates. Auf den spanischen Bühnen der Spätaufklärung fungiert das häusliche Innere als Metonymie der spanischen Nation, eine Welt im Kleinen, in der sich gutes und schlechtes Wirtschaften verdichten. Dies geschieht nicht nur durch einen auf das häusliche Innere reduzierten Handlungsraum, sondern auch dadurch, dass das gute Wirtschaften anhand von figural verkörperten Tugenden, das schlechte hingegen anhand von Lastern vorgeführt wird. Vernunft und die Fähigkeit zu differenzierten Empfindungen zeichnen das aufstrebende Berufsbürgertum aus, das sich durch seine nationalökonomische Nützlichkeit in Form einer produktiven Tätigkeit in Handel, Industrie, Landwirtschaft oder Handwerk von einem lasterhaften, da untätigen und daher unproduktiven Adel unterscheidet. Bereits an dieser Stelle offenbart sich nicht allein die volkswirtschaftliche, sondern zugleich die zivilisatorische Kraft, die der Arbeit in einem Diskurssystem zukommt, in dem die wirtschaftstheoretischen Überlegungen der Reformökonomie 35 Vogl (2002: 55). Vogl (2002: 55). 37 Klein/Windmüller (2014: 9). 38 Vgl. Vogl (2002: 55f.): „[...] die Familie [ist] nicht länger Modell, sondern Instrument: ein privilegiertes Instrument zur Verwaltung der Bevölkerung und kein trügerisches Vorbild einer guten Politik.“ Vogl bezieht sich hierbei auf Rousseaus Definition der politischen Ökonomie, auf Foucaults Ausführungen zur „gouvernementalité“ sowie auf das politische Programm Colberts zu einer steuerlichen Entlastung von Familienvätern. Vgl. Foucault, Michel (32017): „La gouvernementalité“. In: Dits et écrits, vol. II: 1976-1988, pp. 635-657. 36 1. Einleitung 31 Eingang in den didaktisch-ökonomischen ‚Belehrungsdiskurs‘ eines aufklärerischen und zugleich ‚aufklärenden‘ Theaters halten. Den figuralen Dreh- und Angelpunkt eines solchen Theaters bildet nicht nur in Spanien, sondern auf den Bühnen ganz Europas, der berufstätige Familienvater mit seinen geschäftlichen Besorgnissen, die mit dem oikos auch das private Wohl der Familienmitglieder gefährden. Schicksale dieser Art inszenieren George Lillo in The London Merchant (1731) und Denis Diderot in Le fils naturel (1757), dem dramatischen Prototyp des genre sérieux. Auch in Spanien kommt es im Zuge der wechselseitigen Rezeptionsprozesse in dem ‚sentimentalen Dreieck‘39, das Spanien zusammen mit England und Frankreich bildet, zu einer regelrechten Schwemme sentimentaler Komödien, die das berufstätige Bürgertum in den Blick nehmen. Dabei gilt für die spanische Dramenkultur der Aufklärung, anders als in Frankreich und England, die ungeschriebene Regel, dass sich die redlichen Berufstätigen am Ende als heimliche Adelige erweisen müssen. Trotz aller Adelskritik, die im spätaufklärerischen Spanien ebenso wie im Rest Europas40 an der Tagesordnung ist, hält sich zumindest das soziale Prestige des Adelsstandes hartnäckig. Die heimlichen Adeligen des spanischen sentimentalen Theaters sind insofern bürgerlich ‚akkulturiert‘, als sie protobürgerliche Tugenden wie Mäßigung, Fleiß, Philanthropie und Nächstenliebe vertreten, Werte, die zum Teil mit dem antiken und christlichen Tugendkanon zur Deckung kommen. Kennzeichnet die bourbonischen Reformpolitik einerseits das Bemühen, sich von der Vormachtstellung der katholischen Kirche zu emanzipieren und strebt sie nach Säkularisierung, sieht sie sich andererseits mit dem Umstand konfrontiert, dass das Religiöse ein unverrückbarer Bestandteil der Alltags- und Volkskultur ist, weshalb der aufklärerische Tugendkanon auf das Religiöse Bezug nimmt. In Spanien kann es im Zuge der staatlich vorangetriebenen Säkularisierung also nicht 39 Meine Übersetzung. Vgl. Fuentes, Yvonne (1999): El triángulo sentimental en el drama del Dieciocho (Inglaterra, Francia, España). Kassel: Reichenberger sowie García Garrosa, María Jesús (1990): La retórica de las lágrimas. La comedia sentimental española, 1751-1802. Valladolid: Secretario de Publicaciones, Universidad de Valladolid. In diesem ‚sentimentalen Dreieck‘ kommt es zu Rezeptionsprozessen zwischen der englischen sentimental novel und der französischen comédie larmoyante, die wiederum Einfluss auf die spanische comedia lacrimosa nehmen. 40 Man denke dabei etwa an die Adelskritik in Lessings Emilia Galotti. Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim (2001 [1772]): Emilia Galotti, ed. Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam. 32 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien um eine völlige Verabschiedung des Religiösen gehen, sondern vielmehr darum, auf die religiösen Praktiken selbst Einfluss zu nehmen, etwa, indem sie vom öffentlichen Raum in den Bereich des Privaten verlagert werden.41 Das ausgehende europäische 18. Jahrhundert ist nicht nur die Phase, in der sich eine zunehmende Verbürgerlichung der öffentlichen Sphäre vollzieht, die sich zum einen politisch, etwa durch Umstürze wie die Französische Revolution, zum anderen medial – das heißt in Presse und Literatur – niederschlägt. Es ist auch der Moment, in dem sich die Politische Ökonomie von einer staatlichen Praxis in eine zunehmend institutionalisierte Wissenschaft wandelt. Vicent Llombart Rosa veranschlagt das Jahr 1776 als Schwellenjahr, in dem Adam Smiths The Wealth of Nations42 erscheint, Étienne Bonnot de Condillac seinen Traktat Le Commerce43 verfasst und Anne Robert Jacques Turgot seine Réflexions sur la formation et la distribution des richesses in Buchform veröffentlicht. Zugleich ist dies die Phase, in der der spanische Minister Pedro Rodríguez Conde de Campomanes die Apéndices zu seinen reformökonomischen Discursos von 1774 und 1775 über die spanische Industrie und das Handwerk redigiert, aber auch die, in der Campomanes‘ Schützling, der Reformökonom Pablo de Olavide (1725-1803), von der Heiligen Inquisition festgenommen wird.44 Ähnliches widerfährt Jovellanos, seines Zeichens Reformökonom, Aufklärer und Minister unter Carlos IV. (1788-1808). Mit Bezug auf Vorfälle wie diese fragt Llombart Rosa zu Recht, ob die 41 Im Zuge dieses Prozesses erweckt die öffentlich zur Schau gestellte Religiosität nun den Anschein von Oberflächlichkeit. Vgl. López, Roberto J. (2017): „Religiosidad y comportamientos religiosos en la España moderna“. In: Cuadernos del Estudio del Siglo xviii, 27, pp. 81-112, hier p. 108: „En el siglo xviii, y de manera más acentuada en la segunda mitad, [...] la religiosidad externa – o al menos sus excesos – fue puesta en cuestión, para llamar la atención sobre la necesidad de una piedad y una religiosidad más interior, vinculada a una moral más rigorista, al tiempo que desde algunas instancias se criticaba el despilfarro de medios, tiempo y dinero que generaban algunas prácticas religiosas. Se trataba, en pocas palabras, de introducir criterios de racionalidad en las creencias y en las prácticas religiosas, como así lo propusieron autores como Feijoo, Jovellanos, Mayans, Arroyal, entre otros muchos. Frente a la herencia del barroco, parecía recuperarse así el influjo erasmiano con su insistencia en una religiosidad más interior.” 42 Vgl. Smith, Adam (1976 [1776]): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, ed. Roy H. Campbell. Oxford: Clarendon. 43 Condillac, Étienne Bonnot de (1776): Le Commerce et le gouvernement considérés relativement l’un à l’autre. Amsterdam: Jobert & Cellot. 44 Llombart Rosa (2006: 96). 1. Einleitung 33 Aufklärung, die in nahezu allen europäischen Sprachen mit der Lichtmetapher einer intellektuellen und moralischen ‚Erhellung‘45 bezeichnet wird, angesichts der diese Epoche ebenfalls kennzeichnenden blutigen Umstürze und einer fortwährenden politischen und kirchlichen Repression nicht besser als ein „claroscuro“46 zu bezeichnen wäre, als eine Epoche der Hell-Dunkel-Kontraste, die neben viel Licht mindestens ebenso viel Schatten birgt; von ihren Orientalismen, Rassismen47 und Androzentrismen ganz zu schweigen, ist die Aufklärung doch auch die Zeit, in der der koloniale Sklavenhandel sich intensiviert und bis dato nicht gekannte Ausmaße annimmt.48 Wenn Llombart Rosa die Gemälde Goyas mit ihren Licht- und Schattenspielen, ihren Gegensätzen und grotesken Körpern49 zu Recht als besonders geeignet erachtet, um das Helle im Widerstreit mit dem Dunkel dieser Epoche zu metaphorisieren, spart er diese Aspekte jedoch aus. Die Rede von der Anthropologisierung des Ökonomischen Neben dem Theater künden auch die Presse und der Roman der europäischen Aufklärung von einer zunehmenden ‚Verbürgerlichung‘, die 45 So etwa die Begriffe Enlightenment, Lumières, Ilustración, Illuminismo, Aufklärung. Llombart Rosa (2006: 96). 47 Vgl. Struve, Karen (2020): Wildes Wissen in der Encyclopédie. Koloniale Alterität, Wissen und Narration in der französischen Aufklärung. Berlin: De Gruyter. 48 Im aufklärerischen Spanien werden zwischen 1700 und 1800 mehr als 570.000 schwarze Afrikaner ihren Heimatländern entrissen und in die spanischen Kolonien deportiert. Vgl. Perdices de Blas, Luis/Ramos-Gorostiza, José Luis (2015): „Slavery and Slave Trade in Spanish Economic Thought, Seventeenth to Eighteenth Centuries“. In: History of Economic Ideas, 23, 2, pp. 12-40, hier p. 11 mit Bezug auf The Trans-Atlantic Slave Database. Eltis, David (dir.): The Trans-Atlantic Slave Database. Cambridge: Hutchins Centre for African and Afro-American Research. Quelle: https://hutchinscenter.fas. harvard.edu/trans-atlantic-slave-trade-database, Zugriff: 01.06.2022. Der direkte Vergleich mit der Phase zwischen 1595 und 1640, in dem es um die 270.000 sind (vgl. Serna, Juan M. [2004]: „Periodos, cifras y debates sobre el comercio de esclavos novohispanos, 1540-1820“. In: América Latina en la Historia Económica, 1, pp. 49-58, hier p. 52), illustriert den Anstieg im 18. Jahrhundert. Insgesamt schätzt Serna (2004: 54), dass zwischen 1450 und 1867 12 000 000 Sklaven in die Amerikas verbracht werden, 15 % sterben bei der Überfahrt durch Krankheiten wie Skorbut, anderen Infektionskrankheiten sowie an drakonischen Strafen. 49 Zu Ästhetik Goyas vgl. Schlünder, Susanne (2002): Karnevaleske Körperwelten Francisco Goyas – Zur Intermedialität der ,Caprichos’. Tübingen: Stauffenburg. 46 34 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ein direktes Resultat des Einflusses der Politischen Ökonomie auf den Kulturbetrieb ist. Dieser Einfluss wird in Spanien von staatlicher Seite bewusst forciert. Die Leitlinien des Reformprogramms der bourbonischen Politischen Ökonomie spiegeln sich etwa in den Moralischen Wochenschriften, Presseerzeugnissen mit ideologischer Nähe zum aufklärerischen Reformdiskurs der bourbonischen Politik, in deren Redaktionen Minister wie Jovellanos tätig sind. Im politisch-institutionellen und intellektuellen Bereich kennzeichnet die Politische Ökonomie als neu entstehende Wissenschaft die Prägung durch aufklärerische Wissensformen, allen voran die enzyklopädische50, für die paradigmatisch die Encyclopédie (1751-1772) Diderots und D’Alemberts steht. Speziell in Spanien ist die Entstehung der Politischen Ökonomie, die Marti auf Jovellanos zurückführt und auf 1777 datiert, an die statistische Erhebung demographischer Daten durch Zensus gekoppelt.51 Auch hier schlägt mit der Geburtsstunde der Politischen Ökonomie zugleich die der Biopolitik, der aktiven politischen Steuerung von Geburtenzahlen und Sterberaten.52 Grundvoraussetzung für eine solche Steuerung ist das ökonomisch fundierte ‚Staatswissen‘ als ein Wissen über das Leben der Bevölkerung, das zugleich eine neue politisch-ökonomische Epistemologie auf den Plan ruft: Dieses positive Wissen um das Leben des Staates als Leben der Bevölkerung verlangt nicht nur ein expansives Aufsammeln unterschiedlicher Gegenstände und Materien, sondern zugleich die Administration einer bestimmten Ebene der Wirklichkeit, die man seit dem 17. Jahrhundert „Ökonomie“ nennt. Die Kategorie des Ökonomischen [...] ist mit jener tief greifenden Umordnung politischen Wissens, seiner Repräsentationen und Grenzziehungen seit Ende des 17. Jahrhunderts verbunden, die neben naturrechtlichen Gründungsakten das Feld einer politischen Empirie systematisch erschließt. Das betrifft das Wissen über die Natur ebenso wie das 50 Für das enzyklopädische Wissen der Politischen Ökonomie in Spanien vgl. Astigarraga, Jesús (2009): „‚Economía Política‘ y ‚Comercio‘ en los diccionarios y la literatura enciclopédica española del siglo xviii “. In: Bulletin Hispanique, 111, 2, pp. 387-427. 51 Vgl. Marti, Marc (2012): „El concepto de la felicidad en el discurso económico de la Ilustración“. In: Cuadernos dieciochistas, 13, pp. 251-270, hier p. 256. 52 Zugleicht betont Borsò (2013: 16), dass „Biopolitik“ mitnichten „Biomacht“ sei, „sondern [...] vielmehr die Genealogie und Transformationen der Kunst des Regierens“. 1. Einleitung 35 Wissen über den Menschen und den sozialen Raum. Gutes Regieren ist nun vor allem ökonomisches Regieren.53 An die neuen ökonomischen Wissensformen ist die Einführung eines ‚reformierten Menschentyps‘54 gekoppelt, in dem die ratio der Politischen Ökonomie, die neue Bürgerlichkeit und das Sentimentale als Charakteristikum des Bürgertums zusammenlaufen. In der geisteswissenschaftlichen Forschung seit den 1990er Jahren sind solch anthropologische Perspektivierungen nicht neu. Doris Bachmann-Medick hat bereits 2004 in ihrem gleichnamigen Band „Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft“55 ausgerufen. Aktuell scheint das Anthropologische gerade dann wieder Konjunktur zu haben, wenn es um die literarische oder künstlerische Darstellung des Ökonomischen geht. Dies betrifft auch das Feld der Wirtschaftsanthropologie als Teilbereich der literarischen Anthropologie, wobei der Begriff ‚Anthropologie‘ in diesem Zusammenhang „in denkbar weitem Sinne als die ‚Lehre vom Menschen‘“56 verstanden wird. Für die Germanistik hat Manuel Bauer mit seiner Habilitationsschrift Ökonomische Menschen (2016) eine literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts bereitgestellt, in der er die Beteiligung literarischer Texte an der Modellierung ökonomischer Menschenbilder untersucht. Bauer verortet seine Studie im Feld einer „literarischen Anthropologie“57, die die Literatur als Medium der „Produktion und Verbreitung anthropologischen ‚Wissens‘“58 begreift. 53 Vogl (2002: 54). Vogl, Joseph (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes, p. 33. 55 Vgl. Bachmann-Medick, Doris (ed.) (2004): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Tübingen: UTB. 56 Bauer, Manuel (2016): Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 16. 57 Bauer (2016: 16) mit Bezug auf Riedel, Wolfgang (2007): „Literarische Anthropologie“. In: Braungart, Georg/Grubmüller, Klaus/Müller, Jan-Dirk/Vollhardt, Friedrich/ Weimar, Klaus (eds.). Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, vol. II. New York: De Gruyter, pp. 432-434, hier p. 432. 58 Bauer (2016: 16) mit Bezug auf Riedel (2007: 432). Bauer (2016: 17) grenzt in diesem Zusammenhang die „literarische Anthropologie“ im Sinne Riedels von der „Literaturanthropologie“ ab, die ihm zufolge den Text „als bloßes Dokument“, der Kultur, der er entspringt. Diesem Zweig rechnet Bauer (2016: 17) beispielsweise Doris Bachmann-Medicks Konzept „einer Literaturwissenschaft als historischer Kulturanthropologie“ zu. Vgl. Bachmann-Medick, Doris (2004): „Einleitung“. In: eadem (ed.), pp. 7-64, 54 36 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Für die Hispanistik hat zuletzt Urs Urban mit Die Ökonomie der Literatur (2018) eine „literarische Genealogie des ökonomischen Menschen“59 verfasst, die er anhand von Beispielen aus der deutschen, französischen, spanischen und argentinischen Literatur von der frühen Neuzeit bis heute entwickelt. Ebenfalls für die Hispanistik hat Christian von Tschilschke in seinem Aufsatz über die spätaufklärerische spanische Komödie La familia a la moda (2014) von María Rosa Gálvez „Anzeichen für eine neue Anthropologie und Poetologie des Ökonomischen“60 identifiziert. Eben diese „Poetik bzw. Poetologie des Wissens“61, von der auch bei Vogl62 die Rede ist, trägt der Bedeutung Rechnung, die die jeweilige Repräsentationsform für die Wissensproduktion hat.63 Für die ökonomische Poetologie des Wissens der europäischen Aufklärung macht Vogl verschiedene „Programme“64 aus: die Vertragstheorien, die Repräsentationslehren der politischen Macht, das Policeywissen, die Politische Ökonomie. Auch das Theater nennt Vogl explizit.65 Über sein Figurenarsenal leistet es eine Rückbindung des Politischen an die Personalität, es inszeniert Reziprozitätsbeziehungen und Stellvertretungen der politischen Macht und agiert damit interpersonell.66 Diese Aspekte finden sich auch in den Analysen der vorliegenden Studie wieder, die mit der Anthropologisierung des Ökonomischen in Komödien der spanischen Spätaufklärung zugleich veränderte soziale Beziehungen beobachtet, die sich im Horizont des Sentimentalen artikulieren. hier pp. 8ff. Dabei ist fraglich, ob Bauer Bachmann-Medicks Begriff der literarischen Kulturanthropologie nicht zu sehr verengt. 59 Vgl. den Titel von Urban, Urs (2018): Die Ökonomie der Literatur. Zur literarischen Genealogie des ökonomischen Menschen. Berlin: Aisthesis. 60 Tschilschke, Christian von (2014): „María Rosa Gálvez‘ neoklassizistische Komödie La familia a la moda (1805): Paradigma für eine neue Ökonomie des Theaters“. In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 283-303, hier p. 285. 61 Vogl (2002: 86). 62 Auch Urban (2018: 14) greift mit Bezug auf Vogl auf diese Poetologie zurück und macht sie fruchtbar, um die „Modalitäten der (ästhetischen) Diskursivierung von Wissen zu beschreiben“. 63 Vgl. Vogl (2002: 86). 64 Vogl (2002: 86). 65 Vgl. Vogl (2002: 86). 66 Vgl. Vogl (2002: 86). 1. Einleitung 37 Man muss nicht notwendigerweise, wie Vogl dies tut, auf die von Smith in The Theory of Moral Sentiments (1759) entwickelte Sympathielehre zurückgreifen, um das sentimentale Theater der europäischen Aufklärung als ein „Theater der Stellvertretungen“67 zu erkennen, bei dem Figuren auf der Bühne in Stellvertretung der sich in sie einfühlenden ZuschauerInnen gewinnen, verlieren, lieben und leiden. Schon im antiken Theater wird die Katharsis als moralische Läuterung des Publikums durch das Mitleiden mit den tragischen HeldInnen erreicht. Ein Theater der Stellvertretungen ist das unter dem Einfluss der bourbonischen Reformbemühungen stehende spanische Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts allerdings noch in einem weiteren Sinne: Als ‚Regierungstheater‘ agiert es stets in Stellvertretung eines reformorientierten Souveräns. Aus diesem Grunde muss sich unter den auf der Bühne agierenden Figuren eine die patriarchale Autorität verkörpernde Gestalt finden, die in Stellvertretung der gouvernementalen Macht bewertet, belehrt, verurteilt, lobt und damit für die rechte Ordnung sorgt. Erkenntnisinteressen: Diskursverschränkung und Vergeschlechtlichung Das Forschungsinteresse dieser Arbeit konzentriert sich auf den Nexus zwischen dem Diskurssystem der Politischen Ökonomie des bourbonischen aufgeklärten Absolutismus68 und dem Diskurssystem eines ebenfalls im Fokus dieses Absolutismus stehenden spanischen Reformtheaters, das als ‚neoklassisches Theater‘ bezeichnet wird. Das neoklassische Theater richtet sich nach der 1737 von Ignacio de Luzán formulierten Poetik69, die die aristotelische Regel der drei Einheiten 67 Vogl (2002: 90). Der aufgeklärte Absolutismus mit seiner Konzeption der starken spürbar lenkenden Hand des Monarchen, bildet den institutionellen Rahmen für ein anwendungsbezogenes reformökonomisches Programm, das die Politische Ökonomie als Wissenschaft im Dienste nationalen Glücks konzipiert und unter Carlos III. zu voller Blüte gelangt. Vgl. Anes, Gonzalo/Castrillón, Álvarez de (2000): „La economía española en el siglo xviii”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y Economistas españoles, vol. III: La ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 91-173, hier pp. 98ff. 69 Vgl. Luzán, Ignacio de (1974): La poética o reglas de la poesía en general y de sus principales especies. Ediciones de 1737 y 1789, ed. Isabel M. Cid de Sirgado. Madrid: Cátedra. Zu den italienischen Einflüssen auf Luzán vgl. Michel, Karin (1983): Ignacio de Luzán: 68 38 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien als verbindlich auffasst, die auch die französische Klassik70 prägt. Je mehr sich das 18. Jahrhundert seinem Ende nähert, desto deutlicher vollzieht das neoklassische Theater die Wende zum Sentimentalen. Die vorliegende Studie fragt danach, welche teils regierungskonformen, teils unerwartet widerständigen Reformdiskurse die spezifische Regierungsstruktur des bourbonischen Staatsapparates hervorbringt und unter welchen ökonomischen Grundbedingungen sie sich entwickeln. Sie fragt außerdem, welche ökonomischen Reformdiskurse Eingang in das Medium Theater und in die Gattung der zunächst neoklassischen, dann zunehmend sentimentalen, und letztlich auch in die populär-sentimentale Komödie der spanischen Spätaufklärung finden. Gerade die Gattung der Komödie weist eine besondere Affinität zur Ökonomie auf, drehen sich doch beide um das „Beziehungsgeflecht sozialer Tausch- und Verkehrsformen“71. Wenn Bernd Blaschke neben der Liebe das Geld als einen der wichtigsten Handlungsmotoren des Romans und des Theaters ausmacht,72 gilt dies für die Komödie verstärkt, ja sogar so sehr, dass Daniel Fulda ihrem Liebesgeschehen strukturelle Homologien zum Geldmarkt attestiert.73 Die vorliegenden Analysen sollen zeigen, wie der ökonomische Reformdiskurs das Sentimentale und das Moralische im Medium des Theaters verschränkt. Sie sondieren, wie das Diskurssystem des Theaters ökonomische Theorien über das ‚rechte Haushalten‘ in verschiedenen Wirtschaftssektoren mit einem sentimentalen ‚Gefühlshaushalt‘ verbindet und daraus eine aufklärerische Moralökonomie entwickelt, die wesentlich über einen durch das Theater figural vermittelten Kanon La poética (1737). Untersuchungen zur Frage ihrer Einordnung im Hinblick auf antike und italienische Vorbilder. Diss. Universität zu Köln. 70 Einen direkten Vergleich zwischen der französischen Klassik und der spanischen Neoklassik nimmt die überaus lesenswerte Studie von Jehle (2010) vor. 71 Vogl (2002: 54). 72 Vgl. Blaschke, Bernd (2004): Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline. Paderborn: Fink, p. 27. 73 Vgl. Fulda, Daniel (2005): Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing. Tübingen: Niemeyer, p. 22. Diese Strukturhomologien habe ich an anderer Stelle für französische und spanische Komödien des 18. Jahrhunderts untersucht. Vgl. Schuchardt, Beatrice (2016): „Économies amoureuses: homologies structurales dans les comédies espagnoles et françaises du xviiie siècle (Moratín, Iriarte, Destouches et Marivaux)“. In: L’Homme et la Société, 200, 2, pp. 171- 187. 1. Einleitung 39 der Tugenden und Laster operiert. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, welche Rolle das Säkulare und das Religiöse in diesem Kanon jeweils spielen. Im Hinblick darauf, wie die figurale Repräsentation von Wirtschaftsprozessen und die reformökonomische Theorie in der Komödie diskursiv interagieren, ist dieser Studie daran gelegen zu untersuchen, wie sich die Anthropologie des wirtschaftenden Menschen im spanischen Theater der Spätaufklärung in der Vergeschlechtlichung von Wirtschaftsprozessen konkretisiert. In dem Moment nämlich, in dem Wirtschaft infolge einer über das Medium des Theaters sich vollziehenden Anthropologisierung abstrakter ökonomischer Transaktionen figurale Gestalt annimmt, gewinnt auch die Frage nach der Bedeutung des Geschlechts dieser Figuren für ihr ökonomisches (Inter-)Agieren an Relevanz. Insofern man davon ausgeht, dass man es bei den auf der Bühne gut und schlecht wirtschaftenden Männern und Frauen im Sinne Judith Butlers mit ‚Körpern von Gewicht‘74 zu tun hat, dass also ihr Geschlecht in ihr normkonformes oder nonkonformes wirtschaftliches Handeln hineinspielt, repräsentieren die männlichen und weiblichen Verkörperungen des Ökonomischen auf der Bühne zugleich normative und von der Norm abweichende Vorstellungen von Geschlecht. Die vorliegende Studie geht von der These aus, dass mit dem auf der Bühne inszenierten guten und schlechten Wirtschaften modellhafte und wünschenswerte ebenso wie deviante und unerwünschte Geschlechtsentwürfe vorgeführt werden, die auf die Identifikation des Publikums mit der Norm bzw. auf die Erzeugung von Ablehnung angesichts der Abweichung abzielen. Besonders interessiert ist diese Forschungsarbeit an den seltenen Momenten, in denen das durch den aufklärerischen ökonomischen, sozialen und geschlechtlichen Leitdiskurs beeinflusste Theater aus der ihm zugewiesenen politischen Rolle fällt und sich in dem scheinbar glatten Konstrukt eines durch die staatliche und kirchliche Zensur doppelt kontrollierten Theaterbetriebs Falten, Risse und diskursive Brüche auftun. Dies ist etwa dann der Fall, wenn progressives liberales Gedankengut und die Vorstellung sozialer Gleichheit in einen 74 Vgl. Butler, Judith (1997): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, trans. Karin Wördemann. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Die englische Originalausgabe ist 1993 unter dem Titel Bodies that Matter. On the Discursive Limits of „Sex“ bei Routledge erschienen. 40 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien monarchisch regulierten Theaterdiskurs Einzug halten oder die in der Mehrzahl stereotype Figurenzeichnung entweder geschlechtlich oder sozial aufgebrochen wird. Zu solchen Momenten kommt es beispielsweise, wenn die wortlastige sentimentale Komödie den Bereich der Belehrung über die Figurenrede verlässt und ihrer ureigenen Medialität, dem Performativen75, Raum gibt; oder aber, wenn sich Vertreter eines volksnahen Unterhaltungstheaters die Handlungsgerüste des Reformtheaters aneignen und mit ihren auf den Volksgeschmack zugeschnittenen Aktualisierungen in die oft wenig unterhaltsamen76 ‚Lehrstücke‘ intervenieren. Diese singulären Momente der Destabilisierung des herrschenden Diskurses zu berücksichtigen, bedeutet dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Aufklärung nicht nur eine Epoche, sondern auch ein Prozess ist, der trotz der unbestrittenen Bedeutung seiner intellektuellen Trägerschichten nicht in allen Bereichen einer erfolgreichen Steuerung ‚von oben‘ unterliegt oder der stets linear-teleologisch vonstattengeht, auch wenn die aufklärerischen Fortschrittsideologien dies postulieren mögen. Forschungsstand Wurde Spanien lange Zeit die Existenz einer nationalen Aufklärungsbewegung mit eigener Prägung abgesprochen, ist die spanische Aufklärungsforschung spätestens seit Mitte der 1970er Jahre ein mit zunehmender Intensität und mittlerweile gut erforschtes Feld. Dies gilt für die Wirtschaftsgeschichtsschreibung und für die ökonomische Theoriegeschichte ebenso wie für die Literaturgeschichte. Für die wirtschaftliche Ausgangslage sind vor allem die frühen sozialgeschichtlichen Forschungen zum spanischen 18. Jahrhundert von Jean 75 Gerade in der Performanz des Theaters sieht Vogl (2002: 86) einen „Interventionsraum von performativen Akten und einer bürgerlichen Öffentlichkeit präfiguriert“. 76 Dass gerade das strikt nach neoklassischen Vorgaben komponierte Reformtheater die ursprüngliche Funktion der Komödie – die Unterhaltung – entbehrt, liegt auch daran, dass dort so gut wie nicht gelacht wird. Vielmehr fällt die Komik der ästhetischen und didaktischen Ökonomie der Neoklassik zum Opfer und wird gewissermaßen ‚wegrationalisiert‘. So bleibt in einem Theater, in dem, wie Vogl (2002: 97) konstatiert, die Figuren – und mit ihnen die ZuschauerInnen – zur „Moderation ihrer Beziehungen aufgerufen sind“, für die entgrenzende Kraft des Lachens kein Raum mehr. 1. Einleitung 41 Sarrailh (1954)77 und der wirtschaftshistorische Überblick von Richard Herr (1960)78 sowie die Untersuchungen von Gonzalo Anes79 und Antonio Elorza80 (beide 1970) zur ökonomischen Sozial- und Theoriegeschichte grundlegend. Einen Überblick über die Wirtschafts- und Theoriegeschichte sowie über die einflussgebenden Persönlichkeiten der spanischen Aufklärung hat Enrique Fuentes Quintana mit seinem Sammelband Economía y Economistas españoles (2000) bereitgestellt.81 Neuere und neueste Untersuchungen zur Wirtschaftsgeschichte und -theorie Spaniens haben mit Blick auf die europäischen Zusammenhänge und in Bezug auf die Forschungsfelder Handel, Industrie und Arbeit u.a. Joaquín Ocampo Suárez-Valdés und Patricia Suárez Cano (2021; 2022)82, Ocampo Suárez-Valdés (2017)83, Fernando Díez Rodríguez (2014)84, Guillermo Pérez Sarrión (2012)85 und Manuel PérezGarcía (2013)86 vorgelegt. Das Panorama der Geistesgeschichte der spanischen Aufklärung entrollen (mit Seitenblicken auf das Theater Moratíns) die seit den späten 1960er Jahren in Aufsatzform erschienenen Studien Antonio Vgl. Sarrailh, Jean (21964): L’Espagne éclairée de la seconde moitié du xviiie siècle. Paris: Klingsieck. 78 Vgl. Herr, Richard (11988 [1960]): España y la revolución del siglo xviii, trans. Elena Fernández Mel. Madrid: Aguilar. 79 Vgl. u.a. Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en la España moderna. Madrid: Taurus. 80 Vgl. u.a. Elorza, Antonio (1970): La ideología liberal en la Ilustración española. Madrid: Tecnos. 81 Vgl. Fuentes Quintana, Enrique (ed.): Economía y Economistas españoles, vol. III: La ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg. 82 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín/Suárez Cano, Patricia (2021): „Del otium al nec-otium: oficios viles, negocios bajo sospecha, empresarios sin honra”. In: Historia Social, 100, pp. 21-48; iidem (2022): „From otium to nec-otium: Vile Trades, Dishonorable Entrepreneurs. The Case of Spain“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 33-56. 83 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2017): „Economía política, desigualdad y liberalismo, 1750-1850”. In: Revista de Historia Constitucional, 18, pp. 1-19. 84 Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo, 1675-1945. Madrid: Siglo XXI. 85 Vgl. Pérez Sarrión, Guillermo (2012): La península comercial. Mercado, redes sociales y Estado en España en el siglo xviii. Madrid: Marcial Pons. 86 Vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers. Trans-National Meetings between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808). Farnham: Ashgate. 77 42 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Maravalls, die 199187 in einem Sammelband neu ediert worden sind. Für die Zwecke dieser Arbeit besonders interessant sind Maravalls Betrachtungen zur Herausbildung einer bürgerlichen Mentalität im Spanien des 18. Jahrhunderts.88 Neuere Werke zu Literatur und Gesellschaft der Epoche mit Überblickscharakter haben zuletzt Joaquín Álvarez Barrientos (2005)89 und Jesús Astigarraga (2015) herausgebracht, wobei vor allem der letztgenannte Sammelband erhellende Einsichten in den Zusammenhang zwischen Wirtschaftstheorie, Politik, Literaturbetrieb und Kultur gibt. Zum Theater der spanischen Spätaufklärung hat Jorge Campos (1969)90 eine frühe und erkenntnisreiche Monographie verfasst. René Andioc veröffentlicht Ender der 1980er Jahre91 eine Topographie des Madrider Theatergeschehens des 18. Jahrhunderts. Emilio Palacios Fernández nimmt eine Dekade später92 eine systematische Untersuchung der AutorInnen, Stücke und Subgattungen des populären Theaters und seiner Themen vor. Grundlegende Forschungen zur Kurzgattung des sainete, eines theatralen Zwischenstücks, und seinen ökonomischen Bezügen (Geld, Luxus, Mode) stellt Mireille Coulon 199393 bereit. Russel P. Sebold und John Dowling haben seit den 1970er Jahren kommentierte Neueditionen der Stücke einzelner Dramatiker des spanischen 18. Jahrhunderts wie Tomás de Iriarte und Ramón de la Cruz herausgegeben, die wertvolle Hintergrundinformationen und Detailsichten enthalten. Mit Beginn der 1970er Jahre und den Forschungen Ivy McClellands94, verstärkt aber ab den 1990er Jahren, 87 Vgl. Maravall, José Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento español (siglo xviii). Madrid: Mondadori. 88 Vgl. Maravall, José Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración española”. In: Hispanic Review 47, 3, pp. 291-325. 89 Vgl. Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españolas. Madrid: Síntesis. 90 Vgl. Campos, Jorge (1969): Teatro y sociedad en España (1780-1820). Madrid: Moneda y Crédito. 91 Vgl. Andioc, René (1987): Teatro y Sociedad en el Madrid del siglo xviii. Madrid: Castalia. 92 Vgl. Palacios Fernández, Emilio (1998): El teatro popular del siglo xviii. Lleida: Milenio. 93 Coulon, Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz. Pau: Publications de l’Université de Pau. 94 Vgl. u.a. McClelland, Ivy (1970): Spanish Drama of Pathos 1750-1808, vol. I: High tragedy. Toronto: Toronto University Press. 1. Einleitung 43 wird der Entwicklung der sentimentalen Komödie in Spanien und den einflussgebenden Rezeptionswegen zwischen England, Spanien und Frankreich durch die Forschungen von María Jesús García Garrosa (1990ff.), Jesús Cañas Murillo (1994) und Yvonne Fuentes (1999) Aufmerksamkeit zuteil. Die Untersuchung der Beeinflussung des Dramendiskurses durch wirtschaftliche Theorie hat sich seit Ende der 1990er Jahre vor allem auf das Thema Mode, die spanischen Textilimporte und die Luxusdebatte konzentriert. Diese drei zusammenhängenden Themenbereiche stehen im Kontext merkantilistischer Theorien und kondensieren sich in Spanien im Figurentypus des petimetre bzw. der petimetra, d.h. des Stutzers oder der Stutzerin, die in der Presse und im Theater ebenso vorkommen wie im Roman und in der Essayistik. Mit ihrem Fokus auf den Zusammenhängen zwischen merkantilistischen Besorgnissen, dem nationalen Modemarkt, der Luxusdebatte und dem erwähnten literarischen Typ haben Ana María Díaz Marcos (2006), Ana Hontanilla (2008; 2022), und Rebecca Haidt (1998ff.) wertvolle Forschungsbeiträge geleistet.95 Vor einigen Jahren hat Manuel Pérez García (2013)96 diesen Figurentypus im Hinblick auf den Merkantilismus und die Handelsbeziehungen im Mittelmeerraum einer Neubetrachtung unterzogen. Zusammenhänge zwischen dem wirtschaftlichen Reformdiskurs und dem Theater haben bisher vor allem einzelne Aufsätze thematisiert, 95 Vgl. Díaz Marcos, Ana María (2006): La edad de seda. Cádiz: Servicio de Publicaciones de la Universidad de Cádiz; Hontanilla, Ana (2022): „Maja’s Labors Lost in Ramón de la Cruz’s sainetes“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 195-206; eadem (2008): „The Airy and the Irrational. Elaborating on the Meanings of the Petimetra from a Selection of Goyas Caprichos and the Spanish Periodical El Censor.“ In: Decimonónica 5, 1, pp. 48-64; Haidt, Rebecca (2011): Women, Work and Clothing in Eighteenth-Century Spain. Oxford: Voltaire Foundation; eadem (2003): „A Well-Dressed Woman Who will not Work: Petimetras, Economics, and Eighteenth-Century Fashion-Plates“. In: Revista Canadiense de Estudios Hispánicos 28, 1, pp. 137-157; eadem (1999): „Luxury, Consumption and Desire: Theorizing the Petimetra“. In: Arizona Journal of Hispanic Studies, 3, pp. 33-50 sowie eadem (1998): Embodying Enlightenment. Knowing the Body in Eighteenth-Century Spanish Literature and Culture. New York: Macmillan. 96 Vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers. Trans-National Meetings between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808). Farnham: Ashgate, pp. 42ff. 44 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien darunter David T. Gies‘ Beiträge (1996ff.)97 über die Umsetzung des industriellen Programms des Ministers Campomanes in Francisco Duráns Komödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789) sowie María Jesús García Garrosa mit ihren Studien (1990ff.)98 zum Zusammenhang zwischen der bourbonischen Gesetzgebung und der theatralen Darstellung bestimmter Berufe und Berufsgruppen. Yvonne Fuentes‘ Aufsatz (2014) untersucht dieses Phänomen für das Handwerk.99 Intensiv erforscht worden sind mit den wegweisenden Studien der spanischen Historikerin Mónica Bolufer Peruga100 die männlichen 97 Vgl. Gies, David T. (2022): „Two Women, Two Ways: Economy and Theater in Enlightenment Spain”. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 181-194; idem (2016): „María Rosa Gálvez de Cabrera, La familia a la moda (1805), and the Multiple Anxieties of Late Nineteenth-Century Spain“. In: Anales de Literatura Española Contemporánea 41, 4, pp. 153-172; idem (2015): „Gustos and gastos: Anxiety, Economy, Nation and the Theatre in Nineteenth-Century Spain.” In: Bulletin of Spanish Studies XCII, 8-10, pp. 387-410; idem (1996): „Sentencias y buenas máximas: Francisco Durán, dramaturgo y poeta ilustrado“. In: Álvarez Barrientos, Joaquín/Checa Beltrán, José (ed.). El siglo que llaman ilustrado. Homenaje a Francisco Aguilar Piñal. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, pp. 451-457. 98 Vgl. García Garrosa, María Jesús (2022): „Business and Businessmen in Eighteenth-Century Spanish Drama”, trans. Philip Deacon. In: Schuchardt, Beatrice/ Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 131-147; eadem (1996): „Algunas observaciones sobre la evolución de la comedia sentimental en España”. In: Sala Valldaura, María Josep (ed.). Teatro español del siglo xviii, vol. II. Lleida: Universitat de Lleida, pp. 427-446; eadem (1993): „La Real Cédula de 1783 y el teatro de la Ilustración“. In: Bulletin Hispanique 95, 2, pp. 673-692. García Garrosa behandelt den Einfluss der Gesetzgebung auch in ihrer Monographie La retórica de las lágrimas (1990). 99 Vgl. Fuentes, Yvonne (2014): „Urban and Labor Identities: Madrid’s menestrales in Eighteenth-Century Sainetes and Plays“. In: Dieciocho 37, 2, pp. 211-232. 100 Vgl. u.a. Bolufer Peruga, Mónica (2016): „§13. Höhepunkte der öffentlichen Geschlechterdebatte”. In: Rohrbeck, Johannes/Rother, Wolfgang (eds.). Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, vol. IV: Spanien, Portugal, Lateinamerika. Basel: Schwabe, pp. 157-166; eadem (2011): „Femmes et hommes dans la société idéale: les Sociétés Economiques des Amis du Pays dans l’Espagne des Lumières“. In: La Découverte: dix-huitième siècle, 43, 1, pp. 487-504; eadem (2007): „‚Hombres de bien‘: modelos de masculinidad y expectativas femeninas, entre la ficción y la realidad“. In: Cuadernos de Ilustración y Romanticismo, 15, pp. 7-31; eadem (1998): Mujeres e ilustración. La construcción de la feminidad 1. Einleitung 45 und weiblichen Geschlechterbilder des spanischen 18. Jahrhunderts. Kristina Heße hat 2008 mit ihrer Dissertation Männlichkeiten in der spanischen Aufklärung101 eine systematische Untersuchung der in der Presse entworfenen Männlichkeitsideale und der davon abweichenden Männlichkeiten veröffentlicht. Auch Claudia Gronemann hat mit ihrer Habilitationsschrift Polyphone Aufklärung (2014)102 einen wesentlichen Beitrag zur systematischen Aufarbeitung der essayistischen und literarischen Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe geleistet. Victoria López Barahona hat in ihrer soziohistorischen Dissertation (2015) die Arbeitsbedingungen von Handwerkerinnen im Madrid des 18. Jahrhunderts untersucht.103 Die Zusammenhänge zwischen dem Haushalten mit Gütern und dem Haushalten mit Gefühlen im europäischen 18. und 19. Jahrhundert haben Susanne Schlünder und Andrea Stahl in ihrem Sammelband Affektökonomien (2018)104 erhellt. Was bislang aussteht, ist eine Studie, die die Bezüge zwischen der reformökonomischen Theorie und den durch das Theater inszenierten Figuren aus dem Wirtschaftsleben systematisch und geordnet nach Berufsfeldern in ihren theorie- und wirtschaftsgeschichtlichen Bezügen untersucht. Dies bedeutet, Figuren aus dem Wirtschaftsleben, wie etwa den Kaufmann, den Fabrikanten, den Bauern bzw. die Bäuerin und den/die HandwerkerIn, als figurale Verkörperungen nicht nur von Ökonomie allgemein, sondern eines ganz konkreten Wirtschaftsgeschehens zu begreifen, wie es der autoritäre und androzentrische Diskurs der Politischen Ökonomie idealtypisch imaginiert und zur sozialen Norm erklärt. Ebenso fehlt es an einer Untersuchung, die die in der Gattung der Komödie erfolgende figurale Repräsentation en la ilustración española. Valencia: Institució Alfons el Magnànim; eadem (1995): „La construcción de la identidad femenina. Reformismo e Ilustración“. In: Estudis. Revista de historia moderna, 21, pp. 249-265. 101 Heße, Kristina (2008): Männlichkeiten in der spanischen Aufklärung. Der Diskurs der moralischen Wochenschriften El Pensador, La Pensadora gaditana und El Censor. Berlin: Logos. 102 Gronemann, Claudia (2014): Polyphone Aufklärung. Zur Textualität und Performativität der spanischen Geschlechterdebatten im 18. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Vervuert. 103 López Barahona, Victoria (2015): Las trabajadoras madrileñas del siglo xviii: familias, talleres y mercados. Diss. Departamento de Historia Moderna, Facultad de Filosofía y Letras, Universidad Autónoma de Madrid. Junio de 2015. 104 Vgl. Schlünder, Susanne/Stahl, Andrea (eds.) (2018). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink. 46 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eines idealisierten aufklärerischen und reformierten Wirtschaftsgeschehens mit einer Reform nicht nur der Theaterverhältnisse, sondern auch anderer Gesellschaftsbereiche in Bezug setzt, durch die Männerebenso wie Frauenbilder in Bewegung geraten. An eben diesen neuralgischen Punkten setzen die vorliegenden Forschungen an, wenn sie die genannten Elemente zusammendenken und in spanischen Komödien der Spätaufklärung Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften identifizieren, die das männliche und weibliche Wirtschaften ebenso wie die Tätigkeit in verschiedenen Wirtschaftssektoren zu Facetten ein und derselben menschlichen Grundbedingung erklären und Wirtschaft damit ganz im Sinne des Reformgeistes der Politischen Ökonomie anthropologisieren. Insbesondere in der Figurenrede lassen sich dabei konkrete Bezüge zu den reformökonomischen Diskursen der spanischen Spätaufklärung identifizieren, denen diese Arbeit nachspürt. Methode(n) Methodisch verortet sich diese Studie im interdisziplinären Feld einer kulturwissenschaftlich fundierten Hispanistik, der europäischen Aufklärungsforschung – weshalb ihr stets daran gelegen ist, Bezüge zwischen dem spanischen und dem europäischen Kontext herzustellen –, und der wirtschaftlichen Theoriegeschichte. Dabei kann es der Verfasserin, die selbst Hispanistin und Frankoromanistin ist, nicht um einen innovativen Beitrag zur wirtschaftlichen Theoriegeschichte gehen. Vielmehr geht es darum, die Grundzüge des reformökonomischen Denkens des spanischen 18. Jahrhunderts in ihrer Entwicklung sowie in ihren innereuropäischen Bezügen nachzuzeichnen und sie unter Berücksichtigung aktueller Forschungen neu zu perspektivieren. Dadurch wird die spanische Wirtschaftstheorie der Epoche nicht nur als Ausgangspunkt und Grundlage für die hier angestellten Textanalysen zusammenfassend dargestellt, vielmehr wird sie erstmals seit der deutschen Übersetzung von Joseph A. Schumpeters History of Economic Analysis (1954) für nachfolgende Forschungen aus dem germanophonen Bereich zur Verfügung gestellt. Das innovative Potenzial dieser Arbeit gründet sich auf die Analyse der diskursiven Interferenzen zwischen der Politischen Ökonomie als neu entstehender Wissenschaft, ihrer Anthropologisierung durch 1. Einleitung 47 das Theater, den damit verbundenen Geschlechterentwürfen und den immer wieder aufscheinenden religiösen Bezügen. Diskurs wird dabei immer auch als Machtdiskurs im foucaultschen Verständnis aufgefasst. Zugleich ist er ein Interdiskurs im Sinne Links, ein Diskurs, der seine Inhalte über ihm fremde Formen und Medien vermittelt. Indem diese Monographie den ‚wirtschaftenden Menschen‘ im Kontext der Politischen Ökonomie der spanischen Aufklärung als ‚wirtschaftenden Mann‘ erkennt, der sich durch sein spezifisch männliches Wirtschaften von der weiblichen Ökonomie der femina oeconomica unterscheidet, hinterfragt und vergeschlechtlicht diese Studie das inzwischen zum Allgemeinplatz der kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschungen gewordene Konstrukt des homo oeconomicus in seinen machtdiskursiven und genderbezogenen Implikationen (vgl. Kap. 4.3). Indem diese Forschungsarbeit dem als vir oeconomicus – und damit als Mann – identifizierbaren ökonomischen Menschen weitere geschlechtlich kodierte Figurentypen an die Seite stellt, etwa den vir faber und den vir rusticus als Repräsentanten von Handwerk und Landwirtschaft (vgl. Kap. 7), nimmt sie eine geschlechtliche und sektorspezifische Ausdifferenzierung dieses Konzeptes vor. Das gilt auch für die Untersuchung des weiblichen Figurentypus der femina fabra als die im Sinne der Reformökonomie handwerklich tätige oder handarbeitende Frau im Unterschied zur femina oeconomica als ‚Kopfarbeiterin‘ (vgl. Kap. 8). Eine methodische Herausforderung, mit der sich diese Studie ebenso konfrontiert sieht wie alle Forschungen, die das Theater in gegenwartsfernen Epochen erkunden, ist der Zugriff auf die spezifische Medialität des Theaters, d.h. auf die konkrete Aufführungssituation. Musik, Gesang und Tanz sowie teils intendierte, teils nichtintendierte Unterbrechungen bestimmen das spanische Theatergeschehen der Frühen Neuzeit. Mit der Bedeutung, die das Musikalische sowie das Erbe der barocken Festkultur in der nationalen Theaterkultur Spaniens einnehmen, steht diese eher der englischen als der französischen Dramenpraxis nahe.105 Zwar weiß man inzwischen Einiges über den Theaterbetrieb der spanischen Aufklärung und seine materiellen 105 Zu den Gemeinsamkeiten des englischen und spanischen Theaters des 17. Jahrhunderts vgl. Cañadas, Ivan (2005): The Public Theater in Golden Age Madrid and Tudor-Stuart London. Class, Gender, and Festive Community. Aldershot: Ashgate. Vgl. auch Cohen, Walter (1985): Drama of a Nation. Public Theatre in Renaissance England and Spain. Ithaca: Cornell University Press. 48 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Bedingungen, die zuletzt Judith Hoffmann in ihrer Dissertation Theater in Bedrängnis (2017)106 mit Blick auf die staatlicherseits unternommene Theaterreform gewinnbringend untersucht hat. Was die konkrete Aufführungssituation einzelner Stücke anbelangt, stehen außer den in Zeitschriften wie dem Memorial literario veröffentlichten Kritiken heute hingegen nur beschränkt Informationsquellen zur Verfügung.107 Damit geht einiges von der (Inter-)Medialität, vor allem aber von der theatralen Performanz als einer einmalig stattfindenden, so nicht wiederholbaren auditiven, visuellen, haptischen und olfaktorischen108 Erfahrung verloren. Dass gerade das sentimentale Theater der spanischen Spätaufklärung ein wortlastiges und daher aktionsarmes Schauspiel darstellt, ist für diese Untersuchung, die ihren Fokus auf das Diskursive – und damit auf den Dramentext – legt, von Vorteil. Dennoch muss betont werden, dass eine sich allein auf den Dramentext konzentrierende Analyse notwendigerweise die Besonderheiten der einzelnen Aufführungen außer Acht lassen muss, sofern sie nicht über Theaterkritiken in zeitgenössischen Periodika erschließbar sind. Vor diesem Hintergrund ist es umso bedeutsamer, den Nebentexten die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Dass die Bühnenanweisungen im Laufe der Entwicklung des Theaters der Spätaufklärung immer länger werden, deutet auf deren wachsende Bedeutung hin: Kommt beispielsweise ein neoklassisches Stück wie Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra 1762 noch ganz ohne sie aus, nehmen sie zu Beginn von Luciano Francisco Comellas sentimentaler Komödie El pueblo feliz (1789) schon eine Viertelseite ein (vgl. Kap. 8.2.3). Der Bühnenraum und seine Ausstattungsgegenstände werden so zum ökonomischen Symbolraum, in dem sich wirtschaftliche 106 Vgl. Hoffmann, Judith (2017): Theater in Bedrängnis. Politische, soziale und ästhetische Vereinnahmungen des Madrider Theatergeschehens im späten 18. Jahrhundert. Dissertation an der Universität Wien. Quelle: https://utheses.univie.ac.at/detail/43482#, Zugriff: 11.09.2022. 107 Zur Theaterkritik im Memorial literario als Quelle für die damaligen Aufführungssituationen vgl. Hoffmann (2017: 261ff.). 108 Das Erlebnis des Theaters als Spektakel und gesellschaftliches Ereignis umfasste auch die haptische Erfahrung des Gedränges der Menge sowie den obligatorischen Kniefall, wenn der als Zensor abgestellte Priester mit der „Hostie im Gepäck“ durch das Publikum zur Bühne ging. Jehle (2010: 137). Sie umfasste aber auch olfaktorische Reize wie die mit der Menge verbundenen Gerüche und ebenso Geschmäcker, etwa die der während der Aufführung zum Verzehr angebotenen Früchte (vgl. Kap. 4). 1. Einleitung 49 Missverhältnisse manifestieren, noch bevor sie in den Dialogen zur Sprache kommen. Utensilien wie die Uhr gewinnen als theatrale Requisiten im Zuge der neuen Zeitökonomie des Handels eine zuvor nicht gekannte Relevanz (vgl. Kap. 5.2). Diesen Details tragen die Analysen ebenso Rechnung wie der Figurenrede, auf die sich das Hauptaugenmerk der Textanalysen richtet, bilden die Repliken doch das vorrangige Mittel, über das die Elemente des ökonomischen Reformdiskurses Eingang in das theatrale Diskurssystem halten. Der vorliegenden Arbeit kommt es darauf an, Elemente des reformökonomischen Diskurses im theatralen Diskurs nachzuweisen, aber auch darauf, den Mehrwert eines theatral vermittelten idealen Wirtschaftsgeschehens gegenüber einer in Traktaten und Denkschriften formulierten Wirtschaftstheorie herauszustellen. Dieser Aspekt betrifft das dem Theater eigene ökonomische Wissen.109 Der homo oeconomicus – ein Auslaufmodell? Das kulturwissenschaftlich fundierte wachsende Interesse der Geisteswissenschaften an anthropologischen Fragestellungen, das kurz nach dem Millennium einsetzt, scheint sowohl mit einer ‚Entgeschlechtlichung‘ als auch mit einem Verzicht auf heuristische Konstrukte wie den homo oeconomicus einherzugehen. Manuel Bauer jedenfalls erklärt den wirtschaftenden Menschen in seiner bereichernden wirtschaftsanthropologischen Studie Ökonomische Menschen für passé. Dass die für seine Studie titelgebenden ökonomischen Menschen allesamt wirtschaftende Männer sind, während die Frau als wirtschaftliche Akteurin allenfalls in Bauers drei Seiten umfassenden Epilog einen Kurzauftritt hat, erscheint als Selbstverständlichkeit. Die in den Literatur- und Kulturwissenschaften vielfach untersuchte110 109 Dem ökonomischen Wissen der Literatur widmet sich auch die Studie von Urban, vgl. (2018: 15) und insbesondere pp. 23ff. 110 Zum homo oeconomicus vgl. u.a. Maschewski, Felix (2019): „Homo oeconomicus“. In: Vogl, Joseph/Wolf, Burckhardt. Handbuch Literatur & Ökonomie. Berlin/Boston: De Gruyter, pp. 160-163; Witthaus (2017); Habermann, Friederike (2008): Der homo oeconomicus und das Andere: Hegemonie, Identität und Emanzipation. Baden-Baden: Nomos; Wunderlich, Werner (2007): „Geld im Sack und nimmer Not.“ Betrachtungen zum literarischen Homo oeconomicus. Zürich: Versus sowie idem (1989): „Der literarische Homo oeconomicus. Allegorie und Figur“. In: idem. (ed.). Der literarische Homo oeconomicus. 50 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Gestalt des homo oeconomicus weist Bauer deshalb als simplifizierende Konstruktion der Wirtschaftswissenschaften und „anthropologische Fiktion“111 zurück, weil sie nicht für die Analyse von Narrativen tauge. Das sei deshalb der Fall, weil sich ökonomische Menschen – wie Bauer treffend beobachtet – in ein breites Spektrum von Tätigkeiten und Typen auffächern ließen, es also eine Pluralität ökonomischer Menschen gebe, die es zu differenzieren gelte.112 Als Ausgangspunkt für die hier unternommenen Untersuchungen ist das mitnichten unproblematische, ja spektrale Konzept des homo oeconomicus jedoch gerade aus den Gründen geeignet, aus denen Bauer es zurückweist. Als heuristisches Konstrukt und Fiktion der klassischen Nationalökonomie, als das Bauer113 dieses Konzept ausweist, meint es den Typus des aus der Perspektive Adam Smiths ideal, da gewinnmaximierend und im eigenen Interesse wirtschaftenden Menschen. In diesem Zusammenhang hat Friederike Habermann bereits auf den dem Konzept inhärenten Widerspruch hingewiesen, der darin besteht, dass es von einem perfektem Egoismus des ökonomischen Menschen „auf dem Markt“114 ausgeht, „aber gleichzeitig perfekten Altruismus gegenüber den eigenen Familie“115 postuliert. Produktiv ist das Konzept des homo oeconomicus für die Zwecke der hier angestellten Analysen deshalb, weil es aus dem bereits skizzierten Schwellenjahr um 1776, und somit aus der Geburtsphase der Politischen Ökonomie stammt. Daher nimmt es genau die heuristische Konstruktion und Fiktionalisierung vor, die auch die durch die staatlichen Reformdiskurse beeinflussten spanischen Komödien der Spätaufklärung kennzeichnet. Diese Komödien sind Teil einer Dramenproduktion, deren Vom Märchenhelden zum Manager. Beiträge zum Ökonomieverständnis in der Literatur. Bern u.a.: Paul Haupt, pp. 9-21; Blaschke (2004); Volkmann, Laurenz (2003): Homo oeconomicus: Studien zur Modellierung eines neuen Menschenbilds in der englischen Literatur vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Heidelberg: Winter. 111 Bauer (2016: 28) auf der Basis von Richter, Sandra (2012): Mensch und Markt. Warum wir den Wettbewerb fürchten und ihn trotzdem brauchen. Hamburg: Murmann, p. 7. 112 Vgl. Bauer (2016: 28; 54). 113 Vgl. Bauer (2016: 28). 114 Habermann (2008: 14). 115 Habermann (2008: 14), die überdies darauf hinweist, dass das Konzept schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts auf Kritik stößt: „Bereits 1825 wies William Thompson zusammen mit Anna Wheeler auf den Widerspruch einer politischen Ökonomie hin, nach welcher Männer sich vollkommen egoistisch untereinander, aber völlig altruistisch gegenüber ihren Frauen und Kindern verhielten.“ 1. Einleitung 51 Hochphase mit der Entstehung der klassischen Nationalökonomie zusammenfällt. Auch deshalb spielt die Politische Ökonomie in diesem Theater eine entscheidende Rolle. Eingang in das Medium des Theaters halten die Diskurselemente der Politischen Ökonomie über die figurale Anthropologisierung und Vergeschlechtlichung. Die durch spanische Komödien der Spätaufklärung inszenierten wirtschaftenden Männer und Frauen stimmen allerdings nicht mit dem von Manfred Pirsching bezeichneten Typus des raffgierigen Einkommensmaximierers und gefühllosen Egozentrikers116 überein, zu dem der homo oeconomicus im deutschen Sprachraum erklärt worden ist.117 Dass diese Figuren des spätaufklärerischen spanischen Theaters ihr Eigeninteresse verfolgen, stellt sie zwar in die Nähe von Smiths Konzept des ökonomischen Menschen.118 Doch anders als von Smith in The Wealth of Nations beschrieben, verfolgen die im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts entworfenen ökonomischen Modellmenschen und ihre Negativfolien ihr Eigeninteresse nicht ungehindert, sondern in dem politischen und moralökonomischen Rahmen, den ihnen die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus steckt. So muss das Streben nach Gewinn zumindest rhetorisch stets im Dienst des Gemeinwohls der spanischen Nation stehen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass das Selbstinteresse der Figuren zuallererst auf den moralischen Zugewinn und erst dann auf den finanziellen Vorteil gerichtet ist, was damit zusammenhängt, dass nach der aufklärerischen Moralökonomie nur moralisches Handeln materiellen Gewinn verspricht. Auch an dieser Stelle erweist sich der arbeitende Mensch als besonders zivilisiert. Den Ausgangspunkt und das Zentrum der hier unternommenen Analysen bilden also kultur- und epochenspezifische theatrale Figurentypen des wirtschaftenden Mannes und der wirtschaftenden Frau, die sich aus den Basisannahmen der nationalen spanischen Reformökonomie speisen. Diese wiederum ist im Rahmen des europäischen aufklärerischen Reformdenkens zu verorten, weist jedoch 116 Vgl. Pirsching, Manfred (1985): Über die Karriere einer Handlungstheorie. p. 257, zitiert in Bauer (2010: 27). 117 Vgl. Bauer (2016: 29). 118 Vgl. Bauer (2016: 30) mit Bezug auf Hirshman, Albert O. (1987): Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, trans. Sabine Offe. Frankfurt/Main: Suhrkamp, p. 109. 52 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eigene kulturelle, soziale, ökonomische, politische, aber auch religiöse Spezifika auf. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegenden Studie ebenfalls an der von Bauer völlig zu Recht geforderten Ausdifferenzierung verschiedener Typen des wirtschaftenden Menschen gelegen. Während Bauer das Konzept des homo oeconomicus als für eine solche Ausdifferenzierung hinderlich erachtet, nimmt diese Studie ihren Ausgang ganz bewusst vom Begriff des ‚wirtschaftenden Menschen‘ als einem Konzept mit offensichtlichen machtdiskursiven und geschlechtsspezifischen Implikationen (vgl. Kap. 4.3). Es ist daher gerade der gespenstische Charakter des homo oeconomicus als einem artifiziellen und patriarchalen Typus des implizit männlich gedachten wirtschaftenden Menschen, der sich für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung als besonders fruchtbar erweist, zeugt diese Spektralität doch zugleich von den Heimsuchungen durch das von dem Konzept Ausgeschlossene: das Weibliche, Queere, den People of Colour etc. Gerade die für den homo oeconomicus charakteristische heuristische Stilisierung und Typisierung konvergiert mit den in spanischen Komödien der Spätaufklärung gezeichneten idealisierten oder abschreckenden Figurentypen. Dies erstaunt schon deshalb wenig, weil diese Figuren im Nachgang der besagten Sattelzeit der Politischen Ökonomie um 1776 entstanden sind. Über eine geschlechtliche und nach Wirtschaftssektoren geordnete Ausdifferenzierung des Konzepts des homo oeconomicus ist dieser Studie daran gelegen, die männlichen und weiblichen Typisierungen guten und schlechten Wirtschaftens sowohl in ihren moralökonomischen Implikationen als auch in ihren spektralen Ausschlüssen offenzulegen. Korpus Erkenntnisse über die Anthropologisierung und die geschlechtliche Kodierung von Wirtschaftsdiskursen im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts verspricht insbesondere die detaillierte Analyse des Genres der Komödie und seiner gattungsspezifischen wirtschaftlichen Bezüge. Untersucht werden ausschließlich solche Komödien, die als comedias de teatro das Zentrum der sich über mehrere Stunden erstreckenden Theaterabende der Epoche bildeten. Gerade auf diese Hauptstücke konzentrierte sich auch die bourbonische Theaterreform, weshalb behauptet werden kann, dass der ökonomische 1. Einleitung 53 Reformdiskurs sich in diesen Komödien an der Schnittstelle von Theater-, Gesellschafts- und Wirtschaftsreform am deutlichsten niederschlägt. Kurzgattungen wie den sainete und (musikalische) Zwischenspiele wie die tonadilla lässt die vorliegende Studie bewusst außer Acht, wobei auch deren systematische Untersuchung im Hinblick auf ihre Bezüge zu und etwaigen Abgrenzungen von aufklärerischen ökonomischen Reformdiskursen ein fruchtbarer Boden für künftige Studien zu sein verspricht, wie dies Rebecca Haidts bereichernde Studie Women, Work and Clothing in Eighteenth-Century Spain (2011) gezeigt hat, die die Repräsentation weiblicher Berufe aus den Bereichen der Produktion, Auf- und Umarbeitung von Kleidung in den genannten theatralen Kurzgattungen analysiert. Untersucht werden hier Komödien aus dem Zeitraum zwischen 1762 und 1805, also der Phase, in der die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Reformbemühungen zunächst unter der Regentschaft des bourbonischen Souveräns Carlos III. ihren Höhepunkt erreichen, bevor sie dann unter Carlos IV. und unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse in Frankreich stagnieren. Herzstück der bourbonischen Theaterreform im Sinne eines aufklärerischen Modelltheaters ist die ab der Jahrhundertmitte entstehende neoklassische Komödie. Ab den 1770er Jahren ist eine zunehmende Ausrichtung dieser Gattung auf das Sentimentale zu beobachten, aber auch eine populäre Vereinnahmung der Neoklassik durch Dramatiker wie Luciano Francisco Comella, Gaspar Zavala y Zamora oder Antonio Valladares de Sotomayor. Das ursprüngliche Betätigungsfeld dieser Autoren ist zunächst nicht das regierungsnahe und wortlastige didaktische Aufklärungstheater, sondern ein publikumsnahes Theater des Spektakels. Infolge der Rezeption und Übersetzung französischer und englischer Dramen verfassen die genannten Vertreter des populären Theaters Stücke, denen die Neoklassik als formale Folie und das Wirtschaftsleben thematisch als Inspirationsquelle dient. Dieses Phänomen ergibt sich zum einen aus dem Druck, stetig neue Stücke produzieren zu müssen, zum anderen aber auch daraus, dass die Autoren einer immer rigoroseren staatlichen und kirchlichen Zensur gegenüber standen. Ihre Komödien richten sich zunehmend auf einen sentimentalen und berufsbürgerlichen Wertehorizont aus, sodass seit dem Ende der 1770er Jahre sowohl sentimentale Komödien neoklassischer als auch publikumsnaher populärer Prägung neben vereinzelten noch strikt neoklassisch gehaltenen Stücken stehen. Die vorliegende 54 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Monographie untersucht alle drei Subgattungen der Komödie und die dort vorhandenen Verkörperungen und Vergeschlechtlichungen der spanischen Reformökonomie. Etappen der Analyse In einem ersten Schritt wenden sich die Betrachtungen dieser Studie der wirtschaftlichen Ausgangslage in Spanien vom ausgehenden 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zu (vgl. Kap. 2), wobei die Betrachtungen nach Wirtschaftssektoren gegliedert sind, beginnend mit dem Primärsektor, der Landwirtschaft, gefolgt vom Sekundärsektor, der Industrie, und endend mit dem Handel als Teil des Tertiärsektors. Dieser einleitende Teil dient zum einen als Erklärung für die im Verlauf des 18. Jahrhunderts von der bourbonischen Regierung unternommenen Wirtschaftsreformen, illustriert zum anderen aber auch die Abweichungen zwischen den von den Reformern vermuteten Ursachen und Wirkungen für den von ihnen beobachteten wirtschaftlichen Niedergang und den nach heutigem wirtschaftshistorischen Stand tatsächlich wirksamen Kausalbeziehungen. In einem zweiten Schritt widmet sich diese Studie den Leitlinien der wirtschaftlichen Reformpolitik in Theorie und Praxis (vgl. Kap. 3) und unterscheidet diesbezüglich die Diskurs- von der Handlungsebene. Den Ausgangspunkt hierfür bilden die mit dem Dynastiewechsel von den Habsburgern zu den Bourbonen einhergehenden Veränderungen in der Administration und im strategischen Aufbau des Staates, mit dem sich auch das Verständnis des Königtums selbst, seiner Aufgaben ebenso wie seiner Stellung im Staat wandelt. Bei der anschließenden Darstellung der wesentlichen Diskurselemente der reformökonomischen Theoriebildung geht es darum, die Besonderheiten der spanischen Theorien in ihren historischen Bezügen und ihrer Genealogie aufzuzeigen. Auch werden die spanischen Reformideen im Kontext sowohl der europäischen Aufklärung als auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Theoriebildung der Epoche und ihrer jeweiligen Rezeption in Spanien betrachtet. Im Rahmen der Darstellung der Handlungsebene wird untersucht, in welche konkreten Projekte die spanischen Reformdiskurse münden. Der letzte Abschnitt dieses Teils wendet sich drei ausgewählten theoretischen Abhandlungen spanischer Reformökonomen zu, die von Ministern 1. Einleitung 55 oder hohen Beamten im Dienst der Krone verfasst werden und sich in paradigmatischer Art und Weise jeweils einem der drei Wirtschaftssektoren zuwenden. Behandelt werden in diesem Zusammenhang die Vorschläge des Ministers Jovellanos zur Reform des Agrarsektors, die Empfehlungen des ebenfalls als Minister tätigen Campomanes zur Reform der Industrie und ein Traktat des Diplomaten Valentín de Foronda über den Handel. In einem dritten Schritt fokussieren die Analysen den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Theater, die bourbonische Theaterreform, die Aufführungssituation ab 1750 sowie die Gattung der sentimentalen Komödie im spanischen und europäischen Kontext (vgl. Kap. 4). In diesem Teil der Arbeit geht es außerdem um die Frage, wie die Literatur im Allgemeinen sowie das Theater im Besonderen wirtschaftliche Prozesse repräsentieren, und welchen besonderen Bezug zu ökonomischen Themen die Komödie aufweist. Dies führt uns anschließend zum homo oeconomicus als literarischer Figur und dem vir oeconomicus als seiner geschlechtlichen Verkörperung. Ausgehend vom Konzept des vir oeconomicus, das ein aufklärerisches Modell des versiert wirtschaftenden Mannes repräsentiert, mit dem zugleich bestimmte Idealvorstellungen aufklärerischer Männlichkeit verbunden sind, unterscheidet die vorliegende Studie anhand detaillierter Analysen einzelner Theaterstücke verschiedene theatrale Figurentypen des im Sinne der Reformökonomie gut wirtschaftenden Mannes. Zu diesen Figurentypen zählen neben dem vir oeconomicus als Verkörperung idealen männlichen Verhaltens in Handel (vgl. Kap. 5) und Industrie (vgl. Kap. 6) auch der vir faber als idealer handwerklich tätiger und körperlich arbeitender Mann sowie der vir rusticus als idealer Bauer (vgl. Kap. 7). Die Kapitel 5 bis 7 untersuchen außerdem, inwiefern über diese Figuren ein Kanon wiederkehrender Tugenden entworfen wird. Den in diesen Kapiteln unternommenen Analysen ist daran gelegen, die in den untersuchten Stücken aufscheinenden Bezüge zu den Diskursen und Maßnahmen der Reformökonomie zu beleuchten und zu zeigen, wie der Reformdiskurs Einzug in das Medium des Theaters hält. Kapitel 8 nimmt anhand ausgewählter Textanalysen den Figurentypus der im Haushalt versiert wirtschaftenden Frau, der femina oeconomica, und der handwerklich tätigen bzw. handarbeitenden Frau, der femina fabra in den Blick, wobei diese in den comedias de teatro des 18. Jahrhunderts im Vergleich zu ihren männlichen Pendants 56 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in bedeutend geringerer Zahl zu finden sind. Wie schon im Falle der männlichen Verkörperungen guten Wirtschaftens geht auch die Untersuchung der figuralen Erscheinungsformen der versierten Wirtschafterinnen der Frage nach, inwiefern sie Idealbilder eines spezifisch weiblichen Wirtschaftens entwerfen und mit welchen Tugenden diese im Zusammenhang stehen. Auch hier bilden die in den jeweiligen Stücken hergestellten Bezüge zu den Diskursen und Maßnahmen der bourbonischen Wirtschaftsreform den Schwerpunkt der Analysen. Abschließend thematisiert Kapitel 9 anhand der Figurentypen des vir profusus und der femina profusa die geschlechtsspezifischen Ausprägungen schlechten Wirtschaftens vor dem Hintergrund des Leitdiskurses der Reformökonomie. Gerade in der Darstellung des nonkonformen Wirtschaftens werden Brüche im reformökonomischen Machtdiskurs sichtbar. Wird mit Blick auf die guten Wirtschaftenden die Frage erörtert, welche Tugenden sie verkörpern, untersucht dieser Abschnitt die durch die schlecht Haushaltenden repräsentierten Laster und fragt, inwiefern diese dem Publikum von der aufklärerischen Norm abweichende Geschlechterbilder vermitteln, von denen sich die ZuschauerInnen distanzieren sollen. Die jeweils am Ende der Kapitel 6 bis 9 erfolgenden Zwischenbilanzen bündeln die zentralen Erkenntnisse der Dramentextanalysen zu den einzelnen Figurentypen und stellen diese in komprimierter Form für die LeserInnen bereit. Alle Analysekapitel richten ihr Augenmerk zudem auf etwaige Bezüge zum Religiösen. 2. DIE WIRTSCHAFTLICHE AUSGANGSLAGE Seit Beginn des 18. Jahrhunderts sind in Spanien ein Anstieg in der Bevölkerungszahl und ein Aufschwung in den Bereichen der agrarischen und industriellen Produktion sowie im Handel zu verzeichnen. Zumindest quantitativ attestiert Pietschmann der Epoche von 17001800 ein ansehnliches Wirtschaftswachstum, das auf qualitativer Ebene allerdings zu wünschen übrig lässt,1 da es zu keinen grundlegenden sozialen, technischen und legislativen Neuerungen kommt. Die wirtschaftliche Wiederbelebung Spaniens setzt schon im ausgehenden 17. Jahrhundert und unter der Herrschaft des siechen Monarchen Carlos II. ein.2 Nach einer Reihe von Missernten, Epidemien und einer hohen Beschäftigungslosigkeit, die sich vor allem im geographisch und infrastrukturell benachteiligten Kastilien niederschlägt, kommt die Inflation zum Stillstand.3 Zugleich begründet der Verkauf von ganzen Ortschaften, Bodenrechten und Ämtern neue Abhängigkeiten der ärmeren Teile der Bevölkerung von den (land-)besitzenden Schichten, die nunmehr darin bestehen, dass die (Kleinst-)Pächter weltlichen statt kirchlichen Herren ihre Abgaben zahlen.4 Als die spanische Nationalökonomie um 1700 beginnt, sich nach einer langen Phase des Niedergangs zu regenerieren, geht damit ähnlich 1 Pietschmann, Horst (42005): „Von der Gründung der spanischen Monarchie bis zum Ausgang des Ancien Régime”. In: idem/Bernecker, Walther L. Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer, pp. 13-237, hier p. 200. 2 Vgl. Pietschmann (2005: 175), demzufolge sich die in der Geschichtsschreibung lange in einem negativen Lichte betrachtete Regentschaft Carlos‘ II. (1665-1700) positiver darstellt als gemeinhin angenommen. 3 Vgl. Pietschmann (2005: 170). 4 Domínguez Ortiz, Antonio (1999): „El siglo xvii español. El trasmundo del arbitrismo”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 403-424, hier p. 411. 58 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien wie im Nachbarland Frankreich5 eine wachsende soziale Mobilität einher,6 die durch die während der Regentschaft Carlos‘ III. (1759-1788) unternommenen wirtschaftlichen Reformen begünstigt wird. Die Bemühungen um die Abschaffung der Preisbindung für Getreide, der tasa de granos7, die schließlich 1765 vollzogen wird, die 1778 erfolgende Aufhebung des zuvor den Häfen von Cádiz und Sevilla vorbehaltenen Monopols, mit den Kolonien in Übersee Handel zu treiben,8 sowie eine ganze Reihe von Erlassen, die – wie etwa die Real Cédula von 1783 – die Ehrbarkeit körperlicher Arbeit erklären, führen zu einem sich in der zweiten Jahrhunderthälfte herausbildenden Bürgertum,9 haben aber nicht die gewünschten wirtschaftsfördernden Effekte. Anders als in England und Frankreich ist der tatsächliche Einfluss des spanischen Bürgertums auf die politischen Entscheidungen der Regierung aus der Perspektive gegenwärtiger Forschungen als „inexistente o, siempre, minoritaria“10 einzustufen. Nichtsdestotrotz begünstigt die Möglichkeit des Amtserwerbs durch Geldmittel die Entstehung neuer urbaner Eliten.11 Dies führt dazu, dass eine Gruppe von durch den 5 Vgl. Hinrichs, Ernst (1994): „Absolute Monarchie und Ancien Régime (16611789)“. In: idem (ed.). Kleine Geschichte Frankreichs. Stuttgart: Reclam, pp. 187-253, hier pp. 222ff. 6 Pietschmann (2005: 175). 7 Die tasa de granos legt den Getreidepreis auf ein von der Regierung bestimmtes Maximum fest, um Lebensmittel für die größtmögliche Anzahl von Menschen erschwinglich zu machen und dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken. Wesentlich vorangetrieben hat deren Abschaffung und die Liberalisierung des spanischen Getreidemarktes Gittermann zufolge (2008: 231) Bernardo Tanucci (1698-1783), der Carlos III. schon in Neapel beratend zur Seite gestanden hatte und ihm nach Spanien folgt. Tanucci wurde seinerseits wesentlich durch Antonio Genovesis Übersetzung von Claude-Jacques Herberts Essai sur la police générale des grains (1755) beeinflusst. 8 Maßgeblich hierfür verantwortlich ist eine Initiative des spanischen Reformökonomen Pedro Rodríguez y Pérez, Conde de Campomanes (1723-1803). Vgl. MacLachlan, Colin (1991): Spain’s Empire in the New World. The Role of Ideas in Institutional and Social Change. Berkeley: University of California Press, p. 79. 9 Vgl. Anes, Gonzalo (31981): Economía e „Ilustración“ en la España del siglo xviii. Barcelona: Ariel, p. 18. 10 Anes (1981: 20). 11 Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 411). In diesem Zusammenhang betont Domínguez Ortiz allerdings, dass im Spanien des 17. Jahrhunderts trotz des Verkaufs öffentlicher Ämter keine mit Frankreich vergleichbare noblesse de robe und deshalb auch keine vergleichbare Elite mit reaktionären Ambitionen existiert: „Hay que hacer constar, sin embargo, que se procuró no enojar los altos cargos militares y judiciales, por lo que no 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 59 Handel zu Reichtum gekommenen Hochadeligen nun dem alten Adel gegenübersteht, der diese Parvenüs teils ignoriert, teils boykottiert.12 Der Lebenswandel des neuen, aus Großkaufleuten und Unternehmern bestehenden Patriziats gleicht sich dem des Adels an,13 ein Umstand, der den Wunsch des alten Hochadels nach sozialer Distinktion verstärkt, während er beim Bürgertum dazu führt, dass die Nachfrage nach prestigeträchtigen Waren wie luxuriöser und modischer Kleidung sowie teuren Inneneinrichtungsgegenständen steigt. Historikern14 wie Domínguez Ortiz zufolge ist die sich in Kastilien am deutlichsten manifestierende geringe Einwohnerzahl Spaniens für die im direkten Vergleich mit Frankreich und England hervortretende wirtschaftliche Unterlegenheit Spaniens im 17. Jahrhundert verantwortlich. In der Tat ist zwischen 1500 und 1700 ein starker Rückgang der Einwohnerzahl zu verzeichnen, für den Faktoren wie Kriege, Epidemien, die durch die sogenannte ‚kleine Eiszeit‘ zwischen 1570 und 1715 hervorgerufenen Missernten und die Vertreibung der Morisken verantwortlich sind.15 Ein Faktor, der die geringe Bevölkerungsdichte Spaniens im 17. Jahrhundert mitbegründet, ist Domínguez Ortiz zufolge auch eine desaströse und von Korruption geprägte Wirtschaftspolitik.16 Die Zahlen im direkten Vergleich mit den Nachbarländern sprechen eine deutliche Sprache: Während Frankreich im anbrechenden 18. Jahrhundert über achtzehn Millionen Einwohner zählt, sind es hubo, como en Francia, coroneles propietarios de su cargo, ni una noblesse de robe cuyo papel perturbador en el vecino país es bien conocido.“ 12 Pietschmann (2005: 195). 13 Pietschmann (2005: 198). 14 Die Betreffenden sind ausschließlich Männer. In diesem Fall wird hier auf die Nennung der weiblichen Form verzichtet. 15 Diese erfolgt 1609 unter Felipe III. Dadurch büßt Spanien ca. 4 % seiner damaligen Bevölkerung ein. Vgl. Barceló, Pedro (2001): „Das spanische 17. Jahrhundert – eine Epoche der Dekadenz?”. In: Schmidt, Peer (ed.). Kleine Geschichte Spaniens. Stuttgart: Reclam, pp. 180-207, hier p. 185. Zur Moriskenvertreibung im Kontext des Bevölkerungsrückgangs vgl. auch Domínguez Ortiz, Antonio (1999): „El siglo xvii español. Es trasmundo del arbitrismo”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 403-424. Die Auswirkung der Abwanderung in die überseeischen Kolonien schätzt Barceló (2002: 185) mit um die 100.000 Personen für das gesamte 17. Jahrhundert eher gering ein. 16 Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 406ff.). 60 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in Spanien zirka acht Millionen.17 Der Bevölkerungsschwund des 17. Jahrhunderts macht sich in den ländlichen Gebieten Spaniens deutlicher bemerkbar als in den Städten.18 Um 1700 herum stagniert der Rückgang und schlägt mit Beginn des neuen Säkulums in ein Wiederanwachsen um.19 Anes zufolge ist hierfür die Finanzreform von 1680 ursächlich, die eine Wende von der wirtschaftlichen Dekadenz des 16. und 17. Jahrhundert zu einem wenn auch langsam erfolgenden wirtschaftlichen Aufschwung im 18. Jahrhundert markiert.20 Dieser macht sich auch in der Einwohnerzahl Spaniens bemerkbar, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf 14 Millionen steigt.21 Der größte Anstieg ist dabei in den Jahren zwischen den Anfangsjahren der Regierungszeit Fernandos VI. (1746-1759) um 1748 und der Regentschaft Carlos‘ III. (1759-1788) zu verzeichnen.22 Sieht man von den Ereignissen um den 17 Zur Verlässlichkeit und Wahrscheinlichkeit der auf Basis der Zensus der Minister Aranda (1768), Floridablanca (1787) und Godoy-Larruga (1797) ermittelten demographischen Zahlen sowie zu der diesbezüglich von Historikern geführten Debatte vgl. Marcos Martín, Alberto (2000): España en los siglos xvi, xvii y xviii. Economía y sociedad. Barcelona: Crítica pp. 555ff. 18 Konkrete Zahlen für den Norden, das Landesinnere und die Levanteküste liefert Marcos Martín (2000: 565ff.). 19 Vgl. Anes (1981: 14). Vgl. auch Mercader Riba, Juan/Domínguez Ortiz, Alonso (31979): La época del despotismo ilustrado. Barcelona: Vicens. Diese konstatieren allein für die Zeit von 1715 bis 1725 einen Zuwachs von 3 %, der auch auf die Remigration von Soldaten und deren Familien aus Flandern und Italien zurückzuführen ist. Bis 1750 wächst die Population der iberischen Halbinsel um eine halbe Million Menschen. 20 Vgl. Anes (1981: 14) sowie Marcos Martín (2000: 529), der von einem „momento renovador a finales del siglo xvii“ spricht. 21 Vgl. Pietschmann (2005: 194). Diese Zahl zeigt abermals die nicht nur von Marcos Martín, sondern bereits von Jaume Vicens Vives nahegelegte Unzuverlässigkeit der Daten, die im Rahmen der unter Carlos III. initiierten Volkszählungen erhoben werden. Der Zensus von 1797 etwa verzeichnet lediglich 10.541.221 Einwohner. Vgl. Vicens Vives, Jaume (1979): Historia social y económica de España y América. Barcelona: Vicens, pp. 4f. Im Gegensatz zu Pietschmann schätzen Marcos Martín (2000: 560ff.) und Livi Bacci, Bustelo, Nadal und Eiras Roel den Bevölkerungszuwachs Spaniens zwischen 1700 und 1800 einhellig auf 3 Millionen und gelangen so für das Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Einwohnerzahl von 11 Millionen. Vgl. Marcos Martín (2000: 560ff.). 22 Damit verzeichnet Spanien im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit einem Bevölkerungszuwachs von 57,14 % den zwar größten Anstieg, der allerdings von deutlich niedrigeren Zahlen seinen Ausgang nimmt als im Nachbarland Frankreich, wo sich dieser Wert zwischen 1700 und 1790 auf 28 % (von 21,5 auf 26 Millionen Einwohner) im Vergleich zu 39 % in England (von 5,1 auf 7 Millionen Einwohner) beläuft. Vgl. Pérez Sarrión, Guillermo (2012): La península comercial. Mercado, redes sociales y Estado 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 61 motín de Esquilache von 1766 einmal ab,23 wird gerade diese zweite Phase von Historikern wie beispielsweise Vicens Vives als eine Periode des relativen Friedens und der inneren Stabilität betrachtet.24 Wie Guillermo Pérez Sarrión gezeigt hat, ist das wirtschaftliche Nachsehen, das Spanien gegenüber anderen europäischen Ländern wie England, Frankreich und Holland hat, nicht allein auf den Aspekt der Bevölkerungszahlen zurückzuführen. Das Beispiel England veranschaulicht, dass politische und soziale Veränderungen notwendige Voraussetzungen für das wirtschaftliche Gedeihen eines Staates sind. Kann in England im Zuge des Bürgerkriegs (1642-1649) bzw. der sogenannten ‚Kriege der drei Königreiche‘ England, Schottland und Irland (16391651) ein Staat entstehen, der an die Interessen des landbesitzenden Adels und die des handeltreibenden Bürgertums angepasst ist, halten sich im absolutistischen Spanien hartnäckig die feudalen Strukturen. Während in England niedrige Zölle und Steuern das Prosperieren von Handel und Industrie sowie den Export bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts begünstigen und zudem ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen besteht, der das Privateigentum schützt, verschieben sich diese Maßnahmen in Spanien auf das erste Drittel des 19. Jahrhunderts.25 2.1. Der Primärsektor: Landwirtschaft Obwohl sich vor allem ab 1750 die Anzeichen für ein Bürgertum häufen, das sich nicht nur gegen den Adel und seine Privilegien, sondern auch gegen das „von adeligem Gepränge [...] geprägte höfische en España en el siglo xviii. Madrid: Marcial Pons, p. 95. Pérez Sarrión bezieht diese Zahlen seinerseits von Crozet, François (1985): De la supériorité de l’Angleterre sur la France. L’économique et l’imaginaire xviie-xxe siècles. Paris: Perrin, pp. 254ff. 23 Vgl. dazu Gittermann (2008: 235f.), die den Aufstand nicht nur als „Aufstand von Interessengruppen“ gegen die Politik des „ungeliebten Ministers“ Leopoldo de Gregorio Marqués de Esquilache (ital.: Squillace), betrachtet, sondern vor allem als Reaktion auf die Herabstufung des Kastilienrats (Consejo de Castilla) als „Repräsentativorgan des spanischen Volkes“. Lange Zeit ist die Revolte allein als spontane Reaktion auf „eine der letzten unpopulären Maßnahmen“ Esquilaches angesehen worden: „das Verbot des breitkrempigen Huts und des langen Mantels, die oft genug das Ergreifen von Verbrechern erschwerten“. Gittermann (2008: 234). 24 Vgl. Vicens Vives (1979: 5). 25 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 81; 88). 62 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Zeremoniell“26 wendet, bleibt Spanien im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein durch das Feudalsystem und die Interessen der landbesitzenden Schichten geprägter Agrarstaat.27 70 % des Bruttosozialproduktes entfallen auf den Agrarsektor, desgleichen zwei Drittel der Arbeitsplätze und der Großteil der Einkünfte, auf die auch die Krone nur schwerlich verzichten kann. Was seine Erträge im Agrarsektor betrifft, kann sich Spanien im 17. und 18. Jahrhundert zwar durchaus mit anderen europäischen Staaten wie England und Holland messen.28 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts allerdings macht sich angesichts wiederholter Missernten eine „stark spekulativ geprägte Konjunktur“29 bemerkbar, die durch große Preisschwankungen und Teuerungsraten von bis zu 300 % gekennzeichnet ist und sich vor allem auf den Handel mit Getreidesorten wie Weizen und Gerste im Landesinneren auswirkt. Während die küstennahen Regionen Missernten durch Importe aus Übersee ausgleichen können, behindern schlechte, zuweilen gänzlich fehlende Infrastrukturen Getreidetransporte in die Provinzen des Landesinneren. Infolgedessen bewegen sich die Preise für Cerealien in Zentralspanien 26 Pietschmann (2005: 215). Dieses Bürgertum ist zu dieser Zeit „freilich noch ohne kohärente politische Vorstellungen“ und dementsprechend noch keine soziale ‚Klasse‘ mit einem dezidierten Klassenbewusstsein. Diese These vertritt auch Maravall, José Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración española“. In: Hispanic Review 47, 3, pp. 291-325, hier p. 299, auf dessen Bewertung des sozialen Status des Bürgertums im spanischen 18. Jahrhundert diese Arbeit an späterer Stelle ausführlich zu sprechen kommt. 27 Vgl. Llombart Rosa, Vicent (2000): „El pensamiento económico de la Ilustración española”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y Economistas españoles, vol. III: La Ilustración, Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 7-89, hier p. 10. 28 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94). Vgl. auch Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en la España moderna. Madrid: Taurus. 29 Vgl. Pietschmann (2005: 229) sowie bezüglich der Teuerungsraten Anes/Castrillón (2000: 107). Die Zahlen beziehen sich auf die extremen Jahre 1796-1800. Besonders starke Schwankungen bei den Getreidepreisen beobachten Anes/Castrillón (2000: 108) ab 1765, also ausgerechnet im Jahr der Abschaffung der tasa de granos. Marcos Martín (2000: 672) führt diesbezüglich erklärend an: „En los años críticos la caída de la producción engendraba carestías; la subida de los precios, empero, era tanto el resultado de la disminución de la oferta como del aumento de la demanda, ya que a la demanda de los consumidores tradicionales (habitantes de las villas y ciudades [...]) se sumaba la de los propios campesinos productores cuya producción resultaba insuficiente para atender a sus necesidades.“ Dabei ist zu berücksichtigen, dass zudem Reserven für die Wiederaussaat zurückgehalten werden müssen, was die Verknappung forciert. 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 63 konstant auf einem höheren Niveau als an den Küsten.30 Die Teuerungsrate für Getreideprodukte wird durch die allgemein übliche und gerade deshalb durch Regierungsvertreter gerügte Praxis befeuert, Feldfrüchte von der Ernte bis zum Ende des Ackerjahres im Winter zu horten, um dann bei zunehmender Knappheit die größtmöglichen Preise zu erzielen.31 Überdies werden die Preisschwankungen durch eine Politik begünstigt, die die Initiativen von Händlern und Transportunternehmern behindert. Hinsichtlich der Spekulationen mit den Preisen von Cerealien führt die Aufhebung der tasa de granos im Zuge der Real Pragmática von 1765 eher zu einer Verschärfung der Situation als zu einer Milderung.32 Was die beteiligten Akteure anbelangt, stehen Großgrundbesitzer aus Adel und Klerus neben „unternehmerisch handelnden“33 Pächtern, die für die immensen Preissteigerungen gegen Jahresende mitverantwortlich sind, während am unteren Ende der sozialen Skala Unterpächter, Minifundisten und ländliche Tagelöhner um das nackte Überleben kämpfen.34 Parallel zu einem Anstieg der Getreidepreise ab 1750 sinken die Löhne der Landarbeiter. Damit gestaltet sich deren ökonomische Situation ähnlich prekär wie die der Minifundisten.35 Um beiden Gruppen ein überlebensnotwendiges Mindestauskommen zu 30 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 106). Vgl. Anes/Castrillón (2000: 106). 32 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 107). Zu den Gründen dafür, dass die Aufhebung der Getreidepreisdeckelung kaum positive Effekte zeigt, vgl. Marcos Martín (2000: 678). Ihm zufolge spielt diese den gegenüber den Pächtern ohnehin im Vorteil befindlichen Großgrundbesitzern in die Hände, weil die Abschaffung der tasa de granos nicht mit einer Reform der (feudalen) agrarischen Produktions- und Distributionsprozesse einhergeht. Wie Anes/Castrillón (2000: 107) mit Bezug auf die Gesetze VI und VII in Abschnitt 19, Band III, Buch VII der Novísima Recopilación de las Leyes de España von 1805, pp. 452ff. nachgewiesen haben, stellt die Real Pragmática weltliche Händler kirchlichen gleich, die bis dato Privilegien beim Kauf, Verkauf und Transport von Getreide genossen hatten. Zudem schreibt sie vor, dass über Käufe und Verkäufe Buch zu führen sei und dass die von den Landbesitzern betriebenen Kornkammern der Öffentlichkeit Getreide zu marktüblichen Preisen zur Verfügung zu stellen hätten, lässt aber außer Acht, dass die marktüblichen Preise sich infolge der Spekulationen ohnehin auf einem hohen Niveau bewegen. Zu einer völligen Liberalisierung des Getreidehandels kommt es 1813. 33 Dass sich auch die Kirche an den Spekulationen beteiligt und damit die Preise zum Nachteil der ärmeren Teile der Bevölkerung in die Höhe treibt, zeigt Anes (1981: 73). 34 Pietschmann (2005: 199). 35 Vgl. Anes (1981: 101). 31 64 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ermöglichen, existieren seit dem Mittelalter die so genannten Pósitos, die ab 1751 einheitlich der staatlichen Verwaltung unterstehen,36 nach 1808 aber abgeschafft werden, als sie sich aufgrund von in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgenden Versorgungskrisen als finanziell nicht mehr tragbar erweisen.37 Bei den Pósitos handelt es sich um eine auf kommunaler Ebene operierende Einrichtung, die Kornkammern unterhält und den Bauern in Krisenzeiten gegen einen in Cerealien zu leistenden Zins von 4,1 % Saatgut zur Verfügung stellt, Vorräte für die Brotproduktion bereithält und die erwirtschafteten Gewinne in den Unterhalt von Infrastruktur investiert.38 Gerade für die Unterpächter, die kaum in der Lage sind, genügend Getreide für den eigenen Bedarf zu erwirtschaften, stellen die Pósitos eine notwendige Existenzsicherung dar.39 Die desolate Lage der Unter- und Kleinstpächter ist nicht zuletzt auch dadurch begründet, dass kirchliche und weltliche Großgrundbesitzer Böden verpachten, die nur bedingt ertragreich sind, während sie fruchtbare Flächen selbst bewirtschaften. Besonders karge Parzellen werden von den Pächtern wiederum unterverpachtet. Diese Praxis erklärt die geringen Erträge der Minifundisten. Sie ist königlichen Verwaltungsorganen wie dem Consejo Real auch deshalb ein Dorn im Auge, weil viele Pächter die Unterverpachtung und die damit verbundene Kleinstparzellierung der ihnen zur Verfügung stehenden Flächen zur Aufbesserung ihrer Einkünfte nutzen.40 Die prekäre Lage der Kleinbauern und Landarbeiter, von deren Vagabundentum und elendem Zugrundegehen an den Wegesrändern der Region La Mancha auch die Cartas von Francisco Cabarrús Lalanne, Conde de Cabarrús (1752-1810) zeugen,41 hat einen regelrechten Exodus der 36 Die zuvor teils unter Leitung des Gemeinderats, teils unter der Aufsicht Einzelner, teils unter der kirchlicher Verbände stehenden Pósitos unterliegen ab 1751 dem Ersten Staatssekretariat, dem Secretario de Estado y del Despacho universal de Gracia y Justicia und werden mit der Real Cédula von 1792 dem Kastilienrat (Consejo de Castilla) unterstellt. Vgl. Anes (1981: 76f.). 37 Vgl. Anes (1981: 94). 38 Die Investitionen fließen beispielsweise in den Unterhalt von Ärzten, Lehrern, in öffentliche Gebäude sowie in den Straßenbau. Vgl. Anes (1981: 75). 39 Vgl. Anes (1981: 73ff.). 40 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 108). 41 Vgl. Cabarrús, Francisco de (1813 [1795]): Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública. Madrid: Imprenta de Collado, p. 171. Vgl. hierzu auch Vicens Vives (1979: 13f.). 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 65 ländlichen Bevölkerung zwischen 1787 und 1797 zur Folge, die in den Städten auf Arbeit und eine bessere Existenz hofft. Noch in den 1750er und 1760er Jahren und bevor es 1798 infolge der staatlichen Finanzkrise unter Manuel de Godoy (1767-1851) zur Säkularisierung und Desamortisation zahlreicher kirchlicher Besitzungen kommt,42 befindet sich der Großteil des spanischen Bodenbesitzes in den Händen einzelner Großgrundbesitzer aus Klerus und Adel. Rund 14,8 % des landwirtschaftlich nutzbaren Landes liegen um 1750 in den Händen der Kirche, die durch fromme Schenkungen beträchtliche Mengen an Land- und Immobilienbesitz ansammeln kann.43 Die zahlreichen Besitzungen der ‚Toten Hand‘44 (span.: manos muertas), d.h. nicht veräußerbare Liegenschaften aus kirchlichem und adeligem Besitz, sowie die ebenfalls an die Erbfolge innerhalb der Adelsgeschlechter gebundenen Flächen der Majoratsgüter (mayorazgos), sind in den Augen aufgeklärter Reformökonomen45 wie Campomanes für die agrarwirtschaftliche Rückständigkeit Spaniens ursächlich.46 Auch Jovellanos macht sie in seinem Informe sobre la Ley Agraria für geringe Erträge verantwortlich, wenngleich die Datenlage keinen Hinweis darauf gibt, dass verpachtete Flächen aus Großgrundbesitz weniger 42 Vgl. Pietschmann (2005: 233). Im Zuge dieser Enteignungen „dekretierte die Krone den Verkauf des Liegenschaftsbesitzes aller religiösen Bruderschaften, kirchlichen Hospitäler und frommen Stiftungen zugunsten einer staatlichen Finanzkasse – Caja de Amortización –, die zur Bedienung und Tilgung der Staatsschuld eingerichtet wurde“. Die Maßnahme wird „1804 auch auf Amerika ausgedehnt“. 43 Pietschmann (2005: 197). 44 Der im Deutschen gebräuchliche Begriff ‚Tote Hand‘ steht im Singular, seine spanische Entsprechung hingegen im Plural. 45 Wenn die Verfasser ökonomischer Traktate und Vertreter der bourbonischen politischen Ökonomie hier antizipatorisch und mit Llombart Rosa (2006: 96) als ‚Ökonomen‘ bezeichnet werden, muss darauf hingewiesen werden, dass die Politische Ökonomie, wie Witthaus (2012: 267) treffend formuliert, im 18. Jahrhundert „erst noch im Begriff ist, ihre Eigengesetzlichkeit als Wissenschaft auszubilden“. Auch Llombart Rosa (2006: 96) führt aus: „Por simplicidad y por la calidad de sus obras les denominaremos economistas, aunque en el sentido estricto no lo eran.” Er (ibid.) verweist zugleich darauf, dass die Verfasser ökonomischer Schriften im 18. Jahrhundert zumeist aus ‚fachfremden’ Disziplinen wie der Philosophie, dem Militär, den religiösen Orden oder aus der Geschäftswelt kommen. Eine Institutionalisierung der Ökonomie als Disziplin ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht vollzogen, weshalb es keine Institutionen gibt, in denen die Grundzüge einer ‚Wirtschaftslehre‘ vermittelt werden. 46 Vgl. dazu Campomanes’ Tratado de la regalía de amortización (1765). 66 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien intensiv bewirtschaftet werden als andere, liegen große Erträge doch im Interesse der Pächter.47 Kennzeichnend für die spanische Agrarwirtschaft des 18. Jahrhunderts ist also die Unverhältnismäßigkeit zwischen einem geringen Anteil an Privateigentum – für dessen Schutz sich Cabarrús in seinen Cartas48 vehement ausspricht – und Großgrundbesitz in adliger und kirchlicher Hand. In der Provinz Ávila beispielsweise stehen um das Jahr 1750 herum 957.092 fanegas49 an Latifundien, von denen sich knapp ein Viertel in kirchlichem Besitz befindet, 8.160 fanegas in bäuerlichem Privatbesitz gegenüber, was einem Verhältnis von 117 zu 1 entspricht. Die feudalen Besitzverhältnisse haben gravierende Folgen für die zahlenmäßige Relation der arbeitenden zur nichtarbeitenden und ihre Einkünfte aus Landbesitz beziehenden Bevölkerung. Sie begründen auch die Frequenz, mit der sich die Kritik an der Untätigkeit des Adels in Verbindung mit dem Lob der arbeitenden Schichten ab 1750 in ökonomischen Traktaten und in der Presse, aber auch im Theater findet. Angesichts der Tatsache, dass 30 % der männlichen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt um 1768 allein mit Einkünften aus Liegenschaften bestreiten und somit keinen Beitrag zur Erhöhung der wirtschaftlichen Produktivität Spaniens leisten, vermag diese Kritik kaum zu verwundern. An Berufstätigen stehen den untätigen Landbesitzern 60 % Bauern, aber nur 10 % HandwerkerInnen und Kaufleute gegenüber. Die im Primärsektor Beschäftigten repräsentieren damit sowohl die größte als auch die dem größten Armutsrisiko ausgesetzte Bevölkerungsgruppe. Die Zahl der männlichen Adeligen liegt bei 15 % der männlichen Gesamtbevölkerung, die der Kleriker bei 5 %. Insgesamt ist die Zahl der Adeligen zwischen 1768 und 1787 rückläufig,50 was dadurch begründet ist, dass 47 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 113f.). Vgl. Cabarrús (1813: 5ff.). Er (1813: 7) spricht zudem von den „derechos sacrosantos de seguridad y propiedad“. 49 Die fanega ist ebenso Hohl- wie Flächenmaß und bemisst die Fläche, deren Bewirtschaftung für einen Ertrag von ca. 55,5 Litern Getreide notwendig ist. Da die Böden Spaniens unterschiedlich fruchtbar sind, variiert die Quadratmeterzahl pro fanega von Region zu Region. Eine fanega entspricht etwa 64 Ar oder 6.400 m2. Wie das Flächenmaß variiert auch das Hohlmaß der fanega von 22,5 bis 55,5 Liter. Die hier genannten Werte beziehen sich auf Kastilien. Vgl. „FANEGA“, in: Sánchez Pérez, Aquilino (dir.) (81996): Gran Diccionario de la lengua española. Madrid: SGEL, p. 911. 50 Der Anteil der Adeligen an der Gesamtbevölkerung sinkt von 7,2 auf 3,8 %. 48 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 67 der Anteil der Nichtadeligen im Zuge des Bevölkerungswachstums des 18. Jahrhunderts steigt.51 Auch die am Jahrhundertende unter dem Minister Godoy vollzogene Enteignung der Kirche als Großeigentümerin landwirtschaftlicher Flächen ändert wenig an den althergebrachten Besitzverhältnissen, führt sie doch nicht etwa zu einer Verringerung, sondern vielmehr zu einem Anstieg der Latifundien. Es sind die ruralen und urbanen, aus Funktionären, Kaufleuten, Angehörigen des Militärs und Handwerkern bestehenden Mittelschichten, die nun auch im Primärsektor in Konkurrenz zum landbesitzenden Adel treten und insgesamt ein Drittel der ehemals in kirchlichem Besitz befindlichen Ländereien erwerben.52 Joaquín Ocampo Suárez-Valdés illustriert die Verquickung von Landbesitz und Handel am Beispiel asturischer Leinenimporteure, die den durch die Agrarkrise der ausgehenden 1790er Jahre begründeten Rückgang in der Nachfrage dieses Stoffes unter anderem durch den Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen kompensieren, sodass die Grenzen zwischen „hidalguía rural“ und „comercio“ durchlässig werden.53 Diese Entwicklung steht parallel zu den bereits skizzierten Entwicklungen in den Städten. Eine zunehmende Durchbrechung der Standesschranken kennzeichnet das ausgehende 18. Jahrhundert in Spanien auch modisch54 und zeigt sich daran, dass sich Teile des Hochadels in der volkstümlichen Tracht der majos und majas unter das einfache Volk zu mischen pflegen.55 Wie Peter Jehle ausführt, gründet 51 Zu allen genannten Zahlen vgl. Vicens Vives (1979: 9). Pietschmann (2005: 234). Zum Landerwerb durch spanische Kaufleute im 16. Jahrhundert bemerkt Grice-Hutchinson, Marjorie (1978): Early Economic Thought in Spain, 1177-1740. London: Allen & Unwin, p. 92: „Spanish merchant families, once their fortunes were established, showed in succeeding generations a tendency to sell their businesses, buy land with the proceeds and retire to the tranquil pleasures of their estates”. Dass Kaufleute Ländereien aufkaufen, ist also kein Phänomen des 18. Jahrhunderts. Neu ist vielmehr, dass die Zahl der Kaufmannsfamilien steigt, die sich dies leisten können. Damit wachsen Anzahl und Größe der in bürgerlichem Besitz befindlichen Flächen auf ein bis dato nicht gekanntes Maß. 53 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2012): „Asturias: minifundismo empresarial, comerciantes-fabricantes y manufacturas estatales“. In: idem (ed.). Empresas y empresarios en el norte de España (siglo xviii). Gijón: Trea, pp. 91-122, hier p. 96. 54 Vgl. Pietschmann (2005: 229f.). 55 Herr (1988: 127) definiert den majo als Idol der unteren Schichten mit folgenden optischen Charakteristika: „[...] matones que lucían pomposamente la capa, el pelo largo y el sombrero chambergo y fumaban cigarros puros; en vez de llevar casaca, 52 68 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien sich das Prestige, das das Populäre in Form des majismo beim Adel genießt, auf die Faszination, die populäre Schauspielerinnen wie María Antonia de la Caramba, María del Rosario Fernández alias ‚die Tirana‘ oder María Ladvenant auf das Publikum ausüben, bringen sie doch beim Volk beliebte Tänze und Gesänge (Fandangos, Boleros und seguidillas) auf die Theaterbühne.56 Dass die landwirtschaftliche Produktion Spaniens im 18. Jahrhundert insgesamt unter ihren Möglichkeiten bleibt und den steigenden Nahrungsmittelbedarf einer wachsenden Bevölkerung nicht zu decken vermag, ist den feudalen Besitzverhältnissen geschuldet, an die auch Reformökonomen wie Campomanes57 und Jovellanos58 nicht zu rühren wagen. Aus der Sicht heutiger wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen ist es maßgeblich das Fortbestehen dieser jahrhundertealten sozialen Strukturen, das im 18. Jahrhundert für die Rückständigkeit der spanischen Wirtschaft in jener Zeit verantwortlich ist.59 Ein calarse la peluca y el sombrero de tres picos y tomar rapé como hacían las personas distinguidas.” 56 Vgl. Jehle (2010: 190). Mit Bezug auf Martín Gaite, Carmen (21987): Usos amorosos del dieciocho en España. Barcelona: Anagrama, p. 106 schildert Jehle (2010: 191) die Begeisterung der von Goya vielfach proträtierten Duquesa de Alba für den majismo. Jehle (ibid.) zufolge verspricht dieser „einen neuen Distinktionswert [...], nachdem der durch die clase media vielfach nachgeahmte cortejo [das Hofieren verheirateter Damen durch ‚Hausfreunde‘] zur bloßen ‚cursilería‘ herabgesunken war“. Zu den im ausgehenden spanischen 18. Jahrhundert beliebten Tänzen und Gesängen vgl. Jacobs, Helmut C. (2015): „Die Faszination spanischer Musik: Der Fandango und Bolero der Epoche Goyas“. In: Hispanorama, 149, pp. 43-48. 57 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 119f.). 58 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2015): „Economía política y desigualdad en España”. In: Llopis, Enrique/San Román, Elena (eds.). El legado de Gonzalo Anes, alumnos y discípulos. Sant Vicent de Raspeig: Publicacions de la Universidad d’Alacant, pp. 101-112, hier p. 109. Zwar verweist Möller (2019: 140) darauf, dass Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria ein „Schlüssel zur ökonomischen Reform“ in der Veräußerung gebundener Besitztümer und ebendarum in der „Auflösung der überlieferten feudalen Besitztümer“ ist. Demgegenüber betont Ocampo Suárez-Valdés das überaus vorsichtige, wenn nicht zögerliche Vorgehen Jovellanos‘ sowie den in den letzten Absätzen seiner Carta sobre la agricultura y propiedades geäußerten Zweifel daran, dass es überhaupt möglich sei, aus dem Inneren des absolutistischen Regimes heraus eine ausgeglichene soziale Ordnung anzustoßen. 59 Vgl. auch Marcos Martín (2000: 703): „Ello es claro que en lo que atañe a la estructura social, que, en lo sustancial, permaneció incontestada o, por lo menos, no experimentó cambios que demandaban las necesidades de un progreso económico que rebasara con holgura el listón de lo conseguido en épocas anteriores de expansión. 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 69 weiteres Hemmnis für ein nennenswertes Wachstum des Primärsektors sind die weitreichenden Privilegien der Mesta, der Vereinigung spanischer Schafzüchter.60 Sie genießen das Sonderrecht, landwirtschaftliche Flächen während der transhumancia, dem jährlichen Schafsabtrieb von den Sommerweiden des Nordens zu den Winterweiden Andalusiens, als Weideland zu nutzen. Von ähnlichen Privilegien profitiert die Cabaña Real, der Verbund der spanischen Ochsenzüchter.61 Der Schaden, den die Viehherden an jungen Bäumen anrichten, beschleunigen den im 18. Jahrhundert in Spanien dramatisch voranschreitenden Schwund von Waldflächen. 2.2. Der Sekundärsektor: Manufakturwesen und Industrie Das gegen Ende des 17. Jahrhunderts einsetzende Bevölkerungswachstum führt zwischen 1750 und 1808 zu einer steigenden Nachfrage nach Produkten aus Agrarwirtschaft, Handwerk und dem Manufakturwesen, und damit zu einer höheren Produktion.62 Zugleich behindern innerspanische Zölle und die bereits in Bezug auf Kastilien erwähnte schlechte Infrastruktur vor allem im Landesinneren die Zufuhr von Rohstoffen und den Transport heimischer Produkte.63 Beide Faktoren sind dafür mitverantwortlich, dass sich in Spanien auch gegen Ende Nada cambió, por ejemplo, durante la dicha centuria en lo relativo a la estructura de propiedad de la tierra como no fuese en el sentido de acentuar su concentración en manos privilegiadas, de la misma manera que tampoco cambiaron las relaciones sociales de producción que a partir de ella se establecían, ni el aparato de distribución del producto que estas propiciaban y que condicionaban en un sentido negativo el desenvolvimiento de la economía.“ 60 Dass die Privilegien der Mesta die landwirtschaftliche Produktion hemmen, erkennen Reformökonomen wie Campomanes, der dies am Beispiel des Dorfes Espinar veranschaulicht. Vgl. MacLachlan (1991: 79). 61 Vgl. Anes (1981: 106) sowie Marcos Martín (2000: 707). 62 Vgl. Anes (1981: 16) sowie Pietschmann (2005: 199). 63 Das Problem mangelnder bzw. schlecht instand gehaltener Transportwege in Form von Straßen und Kanälen verschärft im anbrechenden 19. Jahrhundert den erheblichen Rückstand Spaniens gegenüber dem übrigen Westeuropa. Vgl. Anes/Castrillón (1999: 125). Hatten die Reyes Católicos Ende des 15. Jahrhunderts damit begonnen, das kastilische Straßennetz auszubauen, werden diese Wege von den nachfolgenden Regenten kaum gepflegt, geschweige denn erweitert. Vgl. Herr (1998: 111f.). Zum „deterioro perceptible de la red caminera” und seiner „elementos más característicos, [...] tales como puentes, pasos de montaña, ventas...“ vgl. Marcos Martín (2000: 531f.). 70 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des 18. Jahrhunderts noch kein landesweit präsentes Manufakturwesen entwickeln kann. Großgewerbe an der Schwelle zur industriellen Produktion konzentrieren sich auf einzelne städtische Zentren an der Levanteküste.64 Es sind in Barcelona, Vich, Olot und Reus beheimatete katalanische Textilfabriken, die ab der zweiten Jahrhunderthälfte als erste zur industriellen Fertigung übergehen.65 Die dortige Baumwollindustrie zeigt bereits früh Anzeichen kapitalistischer Produktionsformen. Dies geschieht in dem Maße, in dem das System einer zunftgebundenen Handwerkerschaft allmählich einer Lohnarbeiterschaft weicht66 und die maschinelle Verarbeitung zunehmend Anwendung findet, etwa der Einsatz von Spinnmaschinen nach dem Vorbild der 1769 durch Richard Arkwright patentierten Waterframes (1732-1792), die in der Herstellung von Seiden-, Woll- und Baumwollstoffen eingesetzt werden.67 Katalonien ist in dieser Zeit als einzige Region in der Lage, nicht nur den spanischen Binnenhandel, sondern auch die 64 Vgl. Pietschmann (2005: 198). Vgl. Herr (1988: 115). 66 Vgl. Herr (1988: 115). Zum enormen Wachstum der Textilindustrie von Barcelona ab den 1730er Jahren, die Herr anhand der Produktion der indianas, der ursprünglich aus den Kolonien importierten bedruckten Leinen- und Baumwollstoffen aufgezeigt hat, vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2004): „Campomanes: un programa industrial en tiempos de la Ilustración”. In: Revista de Historia Económica, 1, pp. 111-145, hier p. 128: „Entre 1736 y 1767, el número de fábricas de indianas en la ciudad pasó de 3 a 38, agrupando más de 1.000 telares y 4.000 operarios; en 1778 se censaban 71 establecimientos y 6.500 trabajadores.” 67 Zu vergleichbaren maschinellen Innovationen des 18. Jahrhunderts vgl. Pérez Sarrión (2012: 98f.). Zur Waterframe vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 113) und Herr (1988: 118f.), die sich bei der Erwähnung dieser Technik auf Townsend, Joseph (21792): A Journey to Spain in the Years 1786 and 1787. With Particular Attention to the Agriculture, Manufactures, Commerce, Taxes and Revenue of that Country and Remarks in Passing Through a Part of France, vol. I. London: C. Dilly, pp. 138ff. berufen. Den Eindruck von Barcelona als einer geschäftigen Metropole der Textilindustrie, wie er sich bei Townsend findet, bestätigt auch sein Landsmann Arthur Young, zitiert in Herr (1988: 119). Bei Young wird zugleich die Allgegenwart von Maschinen deutlich, die zu jener Zeit noch größtenteils handbetrieben werden: „No se puede ir en ninguna parte [de Barcelona] sin oír el chirrido de las máquinas de hacer medias.“ Young, Arthur (1792): Travels in France during the Years 1787, 1788, 1789, vol. I. London: W. Richardson, p. 635. Zum potenziellen Nutzen der Beobachtungen Youngs für die ökonomische Analyse vgl. Schumpeter, Joseph A. (22007): Geschichte der ökonomischen Analyse, vol. I, trans. Gottfried & Johanna Frenzel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 215. 65 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 71 überseeischen Kolonien mit Waren zu versorgen.68 Die geringen Kapazitäten der spanischen Manufakturen insgesamt und ihre bereits seit dem 16. Jahrhundert bestehende Unfähigkeit, den Binnenmarkt zu bedienen, sind laut Marcos Martín der Hauptgrund für die bereits im 17. Jahrhundert einsetzende Krise des nationalen Manufakturwesens, begründen sie doch eine Abhängigkeit von Importen, die europäischen Händlern und den durch sie feilgebotenen Konkurrenzprodukten Tür und Tor öffnet.69 Zwar gibt es in wirtschaftlich weniger prosperierenden Gebieten wie Asturien Versuche, das katalanische Erfolgsmodell nachzuahmen und ebenfalls Baumwollfabriken zu errichten, diese scheitern allerdings am Fehlen des für Investitionen in Anlagen, Technik und Infrastruktur nötigen Kapitals, werden doch die Finanzgesuche lokal ansässiger comerciantes-fabricantes,70 die sich dem Handel ebenso widmen wie der Produktion, von der Junta de Comercio aufgrund leerer Kassen abgelehnt. 71 68 Vgl. Pietschmann (2005: 200). Dass die Industrie in dieser Region besser gedeiht als anderswo in Spanien, schreibt Marcos Martín (2000: 303f.) der Geschäftsstrategie der dortigen Kaufmannschaft zu, der es gelingt, durch die Konzentration auf einige wenige Geschäftsbereiche und durch den systematischen Ankauf von Ländereien Kapital zu akkumulieren, das wiederum in die heimische Industrie investiert wird. Anders als andere landbesitzende Handelsgesellschaften (Compañías) legt die katalanische steigende Abgaben für Verpachtungen auf die Landbesitzer und nicht auf die Bauernschaft um, um die Expansion des Primärsektors nicht zu gefährden und damit eine Grundlage für das Gedeihen von Handel und Manufakturwesen zu schaffen. 69 Vgl. Marcos Martín (2000: 521f.). Ein wesentlicher Grund für die nicht ausreichende Produktivität Spaniens zur Bedienung des Binnenmarktes sind für Marcos Martín die stetig steigenden Abgaben der Landbevölkerung, die die leeren Staatskassen angesichts der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts füllen sollen, zugleich aber die Grundnahrungsmittel und damit auch die Löhne sowie die Produktion insgesamt verteuern. Als zusätzlichen Faktor erachtet Marcos Martín die „agresión mercantilista“ (ibid.) von Ländern wie England, Frankreich, Holland und Flandern im 17. Jahrhundert. 70 Ocampo Suárez-Valdés (2012: 100ff.) veranschaulicht das Phänomen der comerciantes-fabricantes am Beispiel asturischer Kaufleute, die ebenso in die Leinenproduktion einsteigen, wie sie ab 1760 Kupferschmieden betreiben und gewinnbringend an Gesellen unterverpachten. 71 Vgl. Marcos Martín (2000: 526f.). Die 1679 gegründete und ab 1682 umstrukturierte Real y General Junta de Comercio richtet ab 1683 in kommerziellen und industriellen Zentren wie Granada, Sevilla, Valencia und Barcelona lokale Dependancen ein, die sich u.a. der Förderung individueller Initiativen zur Gründung von Manufakturen und Handelshäusern widmen. Die Förderung besteht etwa in steuerlichen Vergünstigungen. 72 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Abseits der Levanteküste gelegene traditionelle Zentren des spanischen Textilgewerbes sind kastilische Städte wie Segovia und Cuenca. Dort sind in erster Linie königliche Manufakturen angesiedelt, während sich private Unternehmen nur vereinzelt finden.72 Die Einrichtung von Betrieben in Kronbesitz ist ein im 18. Jahrhundert in ganz Europa verbreitetes Phänomen, das im Zeichen des Colbertismus und den von Jean-Baptiste Colbert (1619-1689) vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erhöhung der nationalen Produktion im Rahmen einer merkantilistisch orientierten protektionistischen Wirtschaftspolitik steht.73 Die erste königliche Manufaktur Spaniens, eine Textilfabrik, öffnet 1718 in Guadalajara ihre Pforten.74 Zwischen 1780 und 1790 sind dort um die 4.000 Weber beschäftigt. Eine größere Anlage wird im Real Sitio de San Fernando in der Nähe von Madrid errichtet und 1768 nach Brihuega verlagert. Dort arbeiten zuletzt bis zu 40.000 Weber, die aus dem Großraum Madrid und der Mancha stammen.75 Obwohl in den königlichen Textilmanufakturen Wollstoffe guter bis sehr guter Qualität entstehen,76 sind die Betriebe nicht wirtschaftlich. Ein Grund hierfür ist der in Kastilien und Zentralspanien mangels Alternativen erforderliche Transport über Eselsrücken und Ochsenkarren, der ebenso zeitaufwändig wie teuer ist. Als hinderlich erweist sich daher auch die Distanz zwischen den Manufakturen und den Herden der Mesta, 72 Vgl. Pietschmann (2005: 200). Vgl. Herr (1988: 104) sowie Farr (2000: 79f.), der als Beispiel für das königliche Manufakturwesen in Europa die Porzellanbetriebe in Berlin und Wien nennt, zugleich aber betont, dass die auf Colbert zurückgehende und 1661 in Frankreich ihren Anfang nehmende Gründung von Fabriken dieser Art sich vor allem auf die Textilbranche als den größten Zweig der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Produktion konzentriert. Für ein Kurzporträt des Colbertismus als einer spezifischen Ausprägung des Merkantilismus vgl. Gömmel, Rainer/Klump, Rainer (1994): Merkantilisten und Physiokraten in Frankreich. Darmstadt: WBG, pp. 54ff. 74 Zur königlichen Fabrik von Guadalajara vgl. auch González Enciso, Agustín (1975): Inversión pública e industrial textil en el siglo xviii: la Real Fábrica de Guadalajara: notas para su estudio. Madrid: Fundación Universitaria Española. MacLachlan (1991: 83) zufolge ist die Anlage bis 1820 in Betrieb. 75 Vgl. Herr (1988: 104). 76 Vgl. Herr (1988: 104) mit Bezug auf den französischen Spanienreisenden Bourgoing, der hinsichtlich der Reales Fábricas anmerkt, „que sus productos eran tan buenos como los de Julienne y más baratos“. Vgl. Bourgoing, Jean-François de (1789): Nouveau voyage en Espagne, ou tableau de l’état actuel de cette monarchie, vol. I. Paris: Regnault, pp. 49ff. 73 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 73 von denen die Betriebe Merinowolle in Rohform beziehen. Das Scheitern der 1763 in Segovia gegründeten königlichen Textilmanufaktur im Jahre 1779 illustriert die Kurzlebigkeit der königlichen Produktionsstätten, die aufgrund ihrer nachteiligen geographischen Lage von staatlichen Subventionen abhängig sind.77 Maßnahmen, die zur Verringerung der Importe ausländischer Konkurrenzprodukte getroffen werden, etwa die Erhebung von Zöllen, der Beschluss von Einfuhrbeschränkungen oder das ab 1788 verhängte Importverbot ausländischer Textilien aller Art,78 sind nur bedingt in der Lage, die Durchsetzungsfähigkeit fremder Waren auf dem heimischen Markt einzudämmen. Dabei wird die infrastrukturelle Benachteiligung Zentralspaniens von der Krone durchaus erkannt. Bereits unter Carlos III. werden mehrere Kanalbauprojekte geplant und initiiert, von denen einer Segovia und Altkastilien über Valladolid mit Santander und der Biskaya verbindet. Ein weiteres, bereits von Carlos I. ersonnenes Kanalbauprojekt wird 1771 unter Federführung von Pedro Pablo Abarca de Bolea, Conde de Aranda (1719-1798) beschlossen und 1776 in Angriff genommen: Der Canal Imperial de Aragón verläuft von Tudela ausgehend parallel zum Ebro bis zu dessen Quellen, soll schließlich über einen weiteren Kanal bis zum Mittelmeer reichen und so den Regionen Navarra und Aragón eine Verbindung zu diesem bedeutenden Handelsraum verschaffen.79 In den 1750er Jahren entstehen zudem neue Straßen, u.a. eine Verbindung von der nahe der kantabrischen Küste und in Reichweite Santanders gelegenen Ortschaft Reinosa nach Kastilien.80 Nicht nur ihre geographische Lage bereitet den kastilischen Gebieten allerdings wirtschaftliche Nachteile gegenüber den Küstenstädten: Als zusätzliches Hindernis erweist sich ein veraltetes Abgaben- und Steuersystem, das Kastilien durch die dort 77 Vgl. Herr (1988: 120). Vgl. Herr (1988: 107). Zu den im Laufe des 18. Jahrhunderts verhängten Zöllen und Verboten vgl. auch Anes/Castrillón (2000: 135ff.). Dabei ist anzumerken, dass Importverbote für Textilien keine Erfindung des 18. Jahrhunderts sind, sondern bereits im 17. Jahrhundert zur Anwendung kommen, so etwa in den Beschlüssen der Cortes de Aragón von 1626, 1675 und 1678. Vgl. Perdices Blas, Luis (1997): „La restauración de la riqueza de España por la industria. Reflexiones sobre el industrialismo de los arbitristas del siglo xvii“. In: Bel, Germà/Estruch, Alejandro (eds.). Industrialización en España: Entusiasmos, desencantos y rechazos. Madrid: Civitas, pp. 31-59, hier p. 51f. 79 Zu beiden Kanälen vgl. Herr (1988: 112). 80 Vgl. Marcos Martín (2000: 703). 78 74 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien anfallenden rentas provinciales im Vergleich zu Aragón, Navarra, Valencia und vor allem Katalonien ins Hintertreffen geraten lässt.81 Hinzu kommen die bei Überquerung der kastilischen Grenzen anfallenden Binnenzölle, die dort höher als in anderen Regionen ausfallen.82 Es sind vor allem verarbeitete Waren83 aus Spanien, die auf dem Binnenmarkt wie im Außenhandel mit Absatzschwierigkeiten kämpfen und gegenüber ausländischen Konkurrenzprodukten das Nachsehen haben. Demgegenüber ist spanische Merinowolle in Rohform aufgrund ihrer exzellenten Qualität ein begehrtes Handelsgut, auf das insbesondere englische Tuchmanufakturen gerne und in großer Menge zurückgreifen.84 Gleiches gilt für spanisches Eisenerz, das als Rohstoff ein beliebtes Exportgut ist, während verarbeitete Eisenwaren seit dem 17. Jahrhundert importiert werden müssen.85 Was die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit spanischer Textilien anbelangt, ist diese nicht zuletzt auf ein Defizit im Bereich des Knowhows und der technischen Möglichkeiten zurückzuführen. Von beiden Faktoren hängt die Flexibilität ab, mit der ProduzentInnen auf die Bedürfnisse einer in erster Linie weiblichen, nach neuen und modischen Stoffen verlangenden Kundschaft reagieren. Der bereits im 17. Jahrhundert zu verzeichnende Niedergang der spanischen Textilindustrie insgesamt,86 darunter auch der auf die Produktion von Luxusartikeln spezialisierten Fertigungsstätten in Kastilien, Aragón und Navarra,87 wurzelt teils in nicht vorhandenen Kenntnissen im Bereich der Fertigungstechnik, teils aber auch in Einschränkungen und Vorschriften seitens der Zünfte. All dies behindert die Herstellung begehrter Stoffe 81 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 91). Vgl. Herr (1988: 108ff.). 83 Dies sind u.a. Tuchwaren, vgl. Herr (1988: 117; 121), und Metallprodukte, vgl. Anes/Castrillón (2000: 95). 84 Anes/Castrillón (2000: 120f.) schätzen den Anteil der aus Spanien importierten Wolle noch zwischen 1815 und 1819 auf 40 % und konstatieren vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine verstärkte Nachfrage von englischer Seite. Um die Abhängigkeit von Lieferungen aus Spanien zu minimieren, kaufen Frankreich und England, begünstigt durch die napoleonischen Kriege, ganze Merinoherden auf, um eigene Zuchten aufzubauen. Zu einer Minderung der spanischen Exporte führt dies erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. 85 Vgl. Marcos Martín (2000: 515). 86 Konkrete Zahlen hierzu liefert Marcos Martín (2000: 514f.). 87 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 127). Ocampo Suárez-Valdés (2012: 99ff.) zeichnet für die asturische Leinenproduktion ein ähnliches Bild. 82 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 75 wie Kamelott,88 Mamparella89 oder moirierte Seide90, die im Heimtextilbereich ebenso zum Einsatz kommen wie in der Damenkonfektion. Demgegenüber bieten französische, englische und vor allem holländische ProduzentInnen das Gewünschte in einer breiten Farbpalette und in verschiedenen Texturen an.91. Als regelrechter Exportschlager erweisen sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts die so genannten new draperies, feine, leichte und entsprechend auch für warme Klimazonen geeignete Mischgewebe aus Wolle, Leinen und Seide, die zwar weniger langlebig sind als die traditionellen Stoffe, dafür aber preislich erschwinglicher.92 Die in den Textilmanufakturen Kastiliens, Aragóns, Navarras und Asturiens produzierten schweren und robusten Woll-, Leinen- und Seidenstoffe93 sowie die noch im 16. Jahrhundert stark nachgefragten, da günstigeren tafetanes geraten aus der Mode. Stattdessen halten leichte Gewebe wie Musselin, Cambray-Tuch und Batist 88 Kamelott ist ein Stoff auf Angora-Basis, der teils mit Leinen-, teils mit Seidengewebe gemischt ist. 89 Bei der Mamparella handelt es sich um einen vor allem für die Inneneinrichtung gebräuchlichen hochwertigen und feinen Stoff, der dem Damast ähnlich ist. Vgl. hierzu Sahelly i Sabi, Àngels M. (2009): „Els capítols matrimonials a la Vall d’Aran (segles xvii-xix): algunes aportacions per a l’estudi de la casa“. In: Estudis d’Història Agrària, 22, pp. 61-90, hier p. 70. 90 Das für die Moiré-Produktion nötige Knowhow gelangt erst 1790 mit der Instrucción metódica sobre los muarés des valencianischen Seidenfabrikanten Joaquín Manuel Fos nach Spanien, der während seiner Reisen gezielt englische und französische Fabriken aufsucht, um mehr über die dortigen Produktionsverfahren zu erfahren. Vgl. Fos, Joaquín Manuel (1790): Instrucción metódica sobre los muarés. Madrid: Imprenta de la viuda de D. Joaquín Ibarra. Zu Fos vgl. auch Herr (1988: 114). 91 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94; 127). 92 Zu den new draperies vgl. Pérez Sarrión (2012: 89; 96f.) sowie Farr (2000: 80). Diese werden ursprünglich in Flandern und der Wallonie gefertigt und ab 1560 im Zuge der Flucht und gleichzeitigen Anwerbung protestantischer WeberInnen im Kontext der Religionskriege auch in Ostengland produziert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird dieses Tuch durch holländische, ab 1700 durch französische Manufakturen imitiert. Zum Begriff der new draperies vgl. auch Hey, David (ed.) (22009): „New Draperies“. In: The Oxford Companion to Family and Local History. Oxford: Oxford University Press, ohne Paginierung. Quelle: https://www.oxfordreference.com/view/10.1093/ acref/9780199532988.001.0001/acref-9780199532988-e-1283?rskey=H4agst&result=1294, Zugriff: 03.08.2022. 93 Vgl. hierzu auch Farr (2000: 80), der anmerkt, dass die leichten neuen Mischgewebe englischer, französischer und holländischer Provenienz „destroyed the textile sector of the economies of the towns that had geared their capacities to heavy woolen broadcloth“. 76 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Einzug auf den spanischen Handelsplätzen und erfreuen sich großer Beliebtheit.94 Als ein zusätzliches Handicap spanischer Erzeugnisse erweisen sich hohe Produktionskosten, die nicht nur im Textilsektor durch veraltete und zeitaufwändige95 Fertigungsmethoden entstehen, hohe Lohnkosten verursachen und das Endprodukt verteuern:96 Auch in der Stahlproduktion hatten englische Hütten schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf Steinkohle sowie auf effiziente Hochöfen umgestellt, und damit aufgrund eines höheren Hitzegrades billiger produzieren können. In Spanien verzögert sich dieser Prozess bis zum Ende des Säkulums,97 wird dort mangels adäquater Förderungstechniken doch zumeist Holzkohle verwendet.98 Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Leistungsfähigkeit des spanischen Sekundärsektors im 18. Jahrhundert insgesamt gering ausfällt und sich regional äußerst heterogen gestaltet. Richard Herr spricht diesbezüglich von einem Gefälle zwischen dem prosperierenden 94 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 137). Zu Material und Textur dieser aus Frankreich stammenden Tuchwaren vgl. auch die linguistische Analyse von Höfler, Manfred (1967): Untersuchungen zur Tuch- und Stoffbenennung in der französischen Urkundensprache. Tübingen: Niemeyer, hier insbesondere zu den Cambray-Stoffen pp. 29f. Ein Zeitzeuge bezeichnet diese 1664 als „aussi fines et a aussi desliées [sic] que l’araignée fait la sienne“. 95 Die aufwändigen und technisch rückständigen Produktionsmechanismen jenseits der industriellen Zentren der Levanteküste veranschaulicht Ocampo Suárez-Valdés (2012: 95) exemplarisch anhand der asturischen Leinenmanufakturen: „Tras el laborioso proceso de preparación de la fibra, el ciclo productivo (hilado, blanqueado, tisaje) se verá secularmente afectado por limitaciones técnicas – empleo de la rueca y del uso, blanqueo ‚en crudo’, arcaísmo de los telares ... – responsables tanto de la baja productividad del trabajo como de la escasa competitividad final de los lienzos.“ Die hohen Preise der heimischen Leinenstoffe machen Importe aus dem Baltikum, etwa aus Riga, für die lokalen Handelshäuser rentabel. Vgl. ebenda. 96 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 95). Mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen laut Marcos Martín (2000: 516) bereits im 17. Jahrhundert die im Baskenland angesiedelten Werften, deren Schiffe nicht mit den leichteren und wendigeren Modellen der europäischen und überseeischen Konkurrenz mithalten können. Hinzu kommt die Abhängigkeit der baskischen Werften von Importwaren wie Holz, Segeltuch und Teer, deren kostspielige Einfuhr das Endprodukt verteuert. 97 Vgl. Marcos Martín (2000: 523). 98 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 110. Es ist der Minister Jovellanos, der in seinen zahlreichen Informes zur Förderung von Mineralkohle (v.a. in der Region Asturien) die Notwendigkeit hervorhebt, in (englische) Techniken der Rohstoffgewinnung, in die Vermittlung des dafür nötigen Knowhows und in Transportwege (Straßen, Kanäle, Häfen) zu investieren. 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 77 Norden99 und Osten und den industriell nahezu brachliegenden Gebieten im Zentrum und Süden Spaniens.100 Eine Fertigung, die vor allem in kleinen Handwerksbetrieben, Manufakturen sowie in Heimarbeit stattfindet und nur an der Levanteküste Anzeichen einer maschinellen industriellen Produktion in größerem Stil aufweist, kennzeichnet Spanien bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein als protoindustriellen Staat.101 Auch im Sekundärsektor sind es die sich hartnäckig haltenden feudalen Besitzverhältnisse, die eine nachhaltige Verbesserung der produktiven Kapazitäten verhindern und an denen auch die ökonomischen Reformen des 18. Jahrhunderts nichts zu ändern vermögen.102 2.3. Der Tertiärsektor: Binnen- und Aussenhandel Die auf breiter nationaler Ebene geringe industrielle Produktivität Spaniens bleibt für den Außenhandel nicht ohne Folgen.103 Im transatlantischen wie im europäischen Warenverkehr dominieren bereits seit dem 17. Jahrhundert ausländische Großkaufleute,104 die Teil der 99 Im Baskenland etwa siedelt sich eine prosperierende metallverarbeitende Industrie an. Vgl. Herr (1988: 115). Diese hat aufgrund der Verteuerung der Holzkohle im Zuge der voranschreitenden Abholzungen der Waldgebiete gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Produktionsschwierigkeiten zu kämpfen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 105). 100 Vgl. Herr (1988: 128). 101 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 96): „El industrialismo como programa de crecimiento y como expresión de un nuevo orden social, se retrasará hasta bien entrado el primer tercio del siglo xix.“ Zum Begriff der Protoindustrialisierung vgl. Mendels, Franklin F. (1972): „Protoindustrialization. The First Phase of the Industrialization Process”. In: The Journal of Economic History, 32, 1, pp. 241-261, hier p. 241. Mendels versteht die von ihm als Protoindustrialisierung bezeichnete präindustrielle Phase als Vorform der Industrialisierung, die dieser den Weg bereitet. Als Beispiel für eine protoindustrielle Produktionsform führt er etwa das flämische Manufakturwesen an. 102 Vgl. Marcos Martín (2000: 677): „[...] el crecimiento de los intercambios [comerciales] – y, primero, de la producción – precisaba, antes que nada, de unas nuevas relaciones sociales y de la abolición del marco legal que amparaba a las antiguas. Y esto es precisamente lo que los ilustrados no quisieron o no pudieron hacer.“ 103 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94f.). 104 Vgl. Pietschmann (2005: 175). Marcos Martín (2000: 537) illustriert dies am Beispiel Alicantes, wo in sich schon der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 82 % des 78 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien städtischen Eliten sind.105 Das Hauptgeschäft der spanischen Kaufmannschaft besteht darin, der ausländischen Konkurrenz bei ihren Geschäften als Mittler zu dienen.106 Sind in der Mittelmeerregion um Barcelona, Valencia und das Königreich Murcia noch im 17. Jahrhundert italienische Handelshäuser federführend, werden diese im 18. Jahrhundert durch französische Kaufleute abgelöst,107 in deren Hand sich große Teile des spanischen Kreditwesens befinden.108 Besonderen Einfluss auf den spanischen Markt üben international vernetzte Handelsgesellschaften wie die Compagnie Roux-Frères aus.109 Über Außenhandelsmarktplätze wie Marseille und Bordeaux sowie über in Cádiz und in anderen spanischen Hafenstädten ansässige Niederlassungen bedienen sie den spanischen Markt ebenso wie den französischen und überseeischen. Die in Spanien in geringerer Anzahl vertretenen englischen Kaufleute sind auf den Handel mit dem Fernen Osten und Brasilien spezialisiert, wobei sie die meisten Geschäfte über Portugal abwickeln.110 Infolge des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) und Spaniens Engagement im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) nimmt ihre Präsenz jedoch kontinuierlich ab.111 Ein blühendes Geschäft angesichts der protektionistischen Wirtschaftspolitik, die die meisten europäischen Staaten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts im Zuge des Merkantilismus betreiben und die zu einer steten Erhöhung der Zölle und Abgaben auf ausländische Waren Importgeschäftes in der Hand englischer, holländischer und französischer Kaufleute befinden. 105 Vgl. Herr (1988: 125f.), der dies am Beispiel der Stadt Cádiz belegt, wo im Jahre 1772 ganze 79 Lagerstätten französischer Handelshäuser angesiedelt sind. Die Zahl der vormals ebenfalls in Cádiz vertretenen englischen Kaufleute hatte bereits nach ihrer Ausweisung im Zuge des Siebenjährigen Krieges (1754-1763) beträchtlich abgenommen. 106 Vgl. Marcos Martín (2000: 7000), der die Kaufmannschaft von Cádiz als in ihrer Mittlerfunktion für ausländische Handelskompagnien besonders aktiv einschätzt. 107 Vgl. Pérez-García (2013: 94). 108 Vgl. Marcos Martín (2000: 678). 109 Zum Einfluss der Compagnie Roux-Frères auf den Handelsraum des Mittelmeeres und insbesondere Spaniens vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers. Trans-National Meetings between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808). Farnham: Ashgate, pp. 77ff. 110 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 93f.). 111 Vgl. Herr (1988: 125f.). Ursächlich hierfür ist der Siebenjährige Krieg, der die Ausweisung englischer Kaufleute zur Folge hat. 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 79 führt, ist der Schmuggel, der über die englisch-französische, die französisch-spanische Grenze und über den Seeweg betrieben wird.112 Zu besonderer fama in diesem Geschäftsbereich gelangen englische und holländische Kaufleute, die sich auf den Schmuggel von Waren aus den spanischen Besitzungen in Übersee spezialisieren. Auch für die spanische Kaufmannschaft ist der Schmuggel vor allem in Zeiten, in denen ihre sonstigen Geschäftsbereiche rückläufig sind, eine willkommene Einnahmequelle.113 Seit Beginn des 17. Jahrhunderts gehört Spanien aufgrund seiner überseeischen Besitzungen zwar noch zu den weltweit größten Handelsplätzen, importiert aber bereits zu diesem Zeitpunkt und sehr zu Lasten seiner Außenhandelsbilanz bedeutend mehr Produkte, als es exportiert.114 Infolgedessen erreicht sein Außenhandelsdefizit zwischen 1786 und 1796 ganze 3.877 Millionen reales. Auffällig ist der große Anteil französischer Produkte unter den importierten Waren, 112 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 94). So werden im 18. Jahrhundert zwischen Kent und Dünkirchen Seide, Bänder und Brandy geschmuggelt. ‚Offizielle‘ Handelsbeziehungen nehmen England und Frankreich erst im 19. Jahrhundert auf. Dass der Schmuggel ein blühendes Geschäft ist, bleibt auch der spanischen Krone nicht verborgen. Diese möchte im 16. und 17. Jahrhundert vom Schmuggel verbotener Waren in das eigene Hoheitsgebiet profitieren, indem sie Schmuggellizenzen (licencias de contrabando) verkauft, um damit u.a. den Krieg mit Frankreich zu finanzieren. Vgl. Marcos Martín (2000: 535). Zur Beteiligung spanischer Händler am Schmuggel vgl. Marcos Martín (2000: 701f.). 113 Den Schätzungen des Abate de Gándara (1719-1783) zufolge werden Waren im Wert von 38 Millionen Pesos aus den kolonialen Besitzungen eingeführt. Davon gelangen Güter im Wert von 23 Millionen via Schmuggel ins Ausland. Dies bedeutet für die spanische Krone einen hohen Verlust an Ein- und Ausfuhrzöllen. Obgleich diese Zahlen Marcos Martín (2000: 687ff.) zufolge übertrieben sind, veranschaulichen sie doch die Ersthaftigkeit des Problems. Zur Eindämmung des Schmuggels werden seitens der Krone ab 1714 Handelsgesellschaften von kurzer Lebensdauer gegründet, die das jeweilige Handelsmonopol mit ihren titelgebenden Vizekönigtümern innehaben, z.B. die Compañía de Cuba oder die Compañía de Venezuela. 1785 werden sie in der Compañía de Filipinas gebündelt. Für eine Liberalisierung des Amerikahandels setzen sich ab 1765 Reformpolitiker wie Campomanes und Francisco de Craywinckel y Hunneus (1713-1772) ein. 114 Beispielsweise im Jahr 1786 belaufen sich die spanischen Importe auf 710 Millionen reales de vellón, die Exporte hingegen auf nur 291 Millionen. Vgl. Marcos Martin (2000: 680f.). 1791 haben die exportierten Waren nur 10 % des Wertes der importierten Waren. 80 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die vor allem Textilien und Luxusartikel sind.115 Politikgeschichtlich ist die Dominanz französischer Kaufleute und der durch sie auf den spanischen Märkten feilgebotenen Waren auf den Ausgang des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) und den Sieg der Bourbonen zurückzuführen, der dazu führt, dass 1731, 1743 und 1761 drei Familienpakte zwischen der französischen und der spanischen Linie geschlossen werden, die sich für Spanien als ökonomisch nachteilig erweisen, da sie den französischen Kaufleuten langfristig niedrige Zölle zusichern.116 Von einer kleinen Palette an Rohstoffen (Wolle, Eisenerz), Agrarerzeugnissen (Wein, Olivenöl, Trockenfrüchte) und ebenfalls in Rohform eingeführten Kolonialwaren aus Amerika (Tabak, Zucker, Kakao) einmal abgesehen, die nur geringe Gewinnmargen versprechen, führe Spanien vor allem teure und verarbeitete Güter wie Luxus-, Tuch- und Eisenwaren ein.117 Dass diese Praxis paradoxale und für die spanische Wirtschaft nachteilige Effekte nach sich zieht, zeigt sich am Beispiel des Textilsektors am deutlichsten, wo kastilische Rohwolle zu günstigen Preisen ausgeführt, in südfranzösischen Manufakturen verarbeitet und dann teuer wieder nach Spanien eingeführt wird.118 Von spanischer Seite besteht Importbedarf mit temporären Schwankungen und in Abhängigkeit von den eigenen Ernten zudem an Grundnahrungsmitteln wie Getreide, aber auch an Papier und Schiffsbaustoffen. Ein großer Teil dieser Waren wird nach der Einfuhr in die überseeischen Kolonien reexportiert. Aus den Kolonien eingeführte Handelsgüter wie Getreide, Kakao, Tabak, Kaffee und Zucker werden durch 115 Vgl. Marcos Martín (2000: 683). 1792 haben französische Produkte einen Anteil von 25 % am Gesamtvolumen der insgesamt nach Spanien importierten Waren, gefolgt von deutschen (24,2 %) und englischen (20,6 %) Gütern. Die 30 verbleibenden Prozent verteilen sich auf Importe aus den übrigen Ländern, darunter die baltischen Staaten. 116 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 104) sowie Marcos Martín (2000: 683f.). Was England anbelangt, schlägt die Handelsbilanz beider Länder zumindest im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zugunsten Spaniens aus, verlagert sich aber zwischen 1730 und 1780 zugunsten Englands. Nach Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges 1783 gleichen sich die Zahlen der Im- und Exporte langsam wieder aus, im weiteren Verlauf kommt es zu einer allmählichen Angleichung der englischen und spanischen Ein- und Ausfuhren, wovon insbesondere Spanien profitiert. 117 Marcos Martín (2000: 674; 680) macht diesbezüglich das Argument des Preises pro Gewichtseinheit des betreffenden Produktes geltend, der bei den ausgeführten Rohwaren geringer ausfällt als bei den eingeführten verarbeiteten Produkten. 118 Vgl. Pérez-García (2013: 88). 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 81 ausländische Großkaufleute über die Häfen des Baskenlandes (Bilbao, San Sebastián) und Kantabriens (Santander) u.a. nach Nordeuropa und in das Baltikum verschifft.119 In Spanien nachgefragte Importwaren aus Asien und dem Vorderen Orient sind Webwaren wie Musselin und Kattun, aber auch chinesische Rohseide, die in der europäischen Textilproduktion Verwendung findet. Eine regelrechte Schwemme asiatischer Rohmaterialen hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Folge, dass kastilische Wolle mit steigenden Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat.120 Die Nachfrage nach diesem bedeutendsten spanischen Handelsgut war bereits ab 1670 mit der wachsenden Popularität der new draperies auf dem europäischen Textilmarkt zurückgegangen, da die neuen Mischgewebe einen geringeren Wollanteil aufweisen. Erst mit dem Erstarken der Textilindustrien in England, Frankreich und Holland um 1700 steigt auch die Nachfrage nach spanischer Merinowolle wieder an.121 Haben die spanischen Handelsaktivitäten seit 1570 aufgrund der in Europa grassierenden Epidemien und Kriege einen Niedergang zu verzeichnen, nehmen sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wieder an Fahrt auf, wobei es allerdings dabei bleibt, dass die Zahl der Importe die der Exporte deutlich übersteigt. Haupthandelsplätze für den Import und Export sind im 17. Jahrhundert der Hafen von Bilbao, wo vor allem kastilische Wolle verschifft wird, sowie die Häfen von Cádiz und Sevilla, wobei Sevilla seine Bedeutung als führender Außenhandelsplatz noch im 17. Jahrhundert an Cádiz abzutreten 119 Vgl. Marcos Martín (2000: 702f.). Vgl. Pérez-García (2013: 88). Aus diesem Grund spricht sich auch Campomanes, der von 1760 bis 1789 Finanzminister ist, vehement gegen den Import von Stoffen aus Asien aus. Vgl. Campomanes, Pedro de (1975 [1774]): Discurso sobre el fomento de la industria popular / Discurso sobre la educación popular de los artesanos, ed. J. Reeder. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 88: „De donde es presumible que nunca pueden concurrir con ellas las de Europa en aquellos países donde se permita la introducción de las telas de algodón asiáticas, a pesar de los mayores esfuerzos. Por esta reflexión es indispensable subsista la prohibición para que pueda tener lugar nuestra industria en esta parte. La España podría sacar de tales fábricas notables ventajas, supliendo con las telas de algodón mucha parte de los lienzos que necesitará tomar siempre del extranjero.“ 121 Vgl. Marcos Martín (2000: 239f.) Es ist insbesondere die Entwicklung neuer Produktionsmethoden und Innovationen im Bereich der Webwaren, die den Bedarf an qualitativ hochwertigen Rohstoffen wie der spanischen Merinowolle wieder ansteigen lässt. 120 82 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien hat.122 Beide Städte hatten das Monopol für den Handel mit den Kolonien seit 1503 inne, 1778 wird es mit Inkrafttreten des Reglamento de Libre Comercio aufgehoben.123 Am Beispiel des Hafens von Cádiz lässt sich illustrieren, dass schon im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts 88 %, der Handelsaktivitäten von ausländischen Kaufleuten aus Holland124, Frankreich, England, Flandern und Genua abgewickelt werden, die Waren nach Nordeuropa und in die Kolonien verschiffen.125 Ähnlich wie in Cádiz stellt sich die Situation in anderen spanischen Häfen, beispielsweise in Cartagena dar, das als Tor zum Handel mit Waren aus dem fernen und mittleren Osten sowie aus Nordafrika fungiert. Maghrebinische Hafenstädte wie Algier sind bedeutende 122 85 % des Warenverkehrs mit den Kolonien werden zwischen 1707 und 1777 über Cádiz abgewickelt. Noch 1792 werden über diesen Hafen Waren im Wert von 270 Millionen reales exportiert und im Wert von über 700 Millionen importiert. Vgl. García León, José María (2013): „Del monopolio de Sevilla al puerto franco de Cádiz“. In: Diario de Cádiz. Quelle: https://www.diariodecadiz.es/opinion/articulos/monopolioSevilla-Puerto-Franco-Cadiz_0_724127786.html, Zugriff: 08.08.2022. Als „home-port of the treasure fleet“ übt Sevilla von 1535 an eine große Anziehungskraft auf Kaufleute aus ganz Europa aus. Vgl. Grice-Hutchinson (1978: 92). Diese Ära endet, als Cádiz im Verlauf des 17. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt. 123 Vgl. Marcos Martín (2000: 542). Von den über Cádiz in die Amerikas verschifften Handelswaren sind allerdings nur 5 % spanischen Ursprungs, ein Umstand, der in der Unfähigkeit der spanischen Produktion bedingt ist, sowohl dem Bedarf des heimischen Marktes als auch der großen Nachfrage seitens der Kolonien nachzukommen. Vgl. Marcos Martín (2000: 549). Von der Liberalisierung des Amerikahandels ausgeschlossen bleibt der Hafen von Bilbao, der stattdessen sein Hauptgeschäft weiterverfolgt: den geringeren Schwankungen und Risiken unterworfenen Handel mit Nordeuropa. Das Privileg des Handels mit Kolonialwaren und der Export von Öl, Wein, Branntwein und Getreide obliegt San Sebastián und Santander. Von Santander aus wird v.a. Mehl in die Kolonien exportiert. Vgl. Marcos Martín (2000: 702ff.). 124 Wie Ocampo Suárez-Valdés (2010: 95) zeigt, führt die wirtschaftliche Vormachtstellung Hollands in den „manuales y diccionarios de comercio“ im beginnenden 17. Jahrhunderts zu einer regelrechten Hollandbegeisterung, die sich etwa bei Savary manifestiert. Zu Savarys Dictionnaire universel de commerce (1723) vgl. Strosetzki, Christoph (2017): „Der Kaufmann von der Patristik zum honnête homme bei Savary“. In: Lütge, Christoph/idem (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 5-20. Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhundert fällt die wirtschaftliche Vorreiterrolle in Europa dann England zu, wo eine Liberalisierung der Besitzverhältnisse im Zuge eines veränderten institutionellen Rahmens in dem auch von Pérez Sarrión (2012) skizzierten Sinne zu idealen Bedingungen für eine florierende Wirtschaft führt. 125 Vgl. Marcos Martín (2000: 542). 2. Die wirtschaftliche Ausgangslage 83 Umschlagplätze für Wolle aus Kastilien, Granada und Murcia. Zusammen mit den Häfen der Levanteküste und Italiens bilden sie die Stützpunkte eines durch Kaufleute aus Frankreich, Italien, Malta, England, dem Maghreb und dem Maschrek errichteten transnationalen Handelsnetzwerks.126 Ein Umstand, der bewirkt, dass der spanische Markt von ausländischen Waren regelrecht überrollt wird, sind die infolge der Familienpakte konstant niedrigen Einfuhrzölle, die sich im 18. Jahrhundert zwischen 5 % und 15 % bewegen und sich nicht am Wert, sondern am Volumen der Ware bemessen. Dies bietet den französischen, holländischen, englischen und maltesischen Kaufleuten Anreize, möglichst viele verarbeitete Güter nach Spanien einzuführen, mit denen sich höhere Gewinnmargen erwirtschaften lassen. Die Tatsache, dass der heimische Markt von diesen Gütern in großen Teilen abhängig ist,127 lässt die spanische Krone zunächst zögern, entschieden gegen Importwaren vorzugehen. Eine erste protektionistische Zollreform greift erst 1782: Mit einer empfindlichen Erhöhung der Ein- und Ausfuhrzölle soll dem Export von Rohstoffen und dem Import verarbeiteter Güter Einhalt geboten und die Ausfuhr verarbeiteter Waren aus heimischer Produktion gefördert werden.128 In den Handelszentren an den Küsten Andalusiens, Kataloniens und des Baskenlandes kommt es insbesondere im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu einer Überkreuzung der Warenströme des Außenund Binnenhandels.129 Eine Besonderheit des spanischen Binnenhandels ist, dass es dort – ähnlich wie im deutschen Raum – bis in das 19. Jahrhundert hinein keinen einheitlichen nationalen Markt gibt. Auch wenn die innerspanischen Grenzen zwischen 1708 und 1717 sukzessive aufgehoben werden, bietet sich aufgrund der Aufrechterhaltung der bereits erwähnten Binnenzölle, aber auch aufgrund einer Fülle 126 Vgl. Pérez-García (2013: 89) sowie Marcos Martín (2000: 685). Letzterer weist darauf hin, dass „los contactos comerciales con algunas plazas norteafricanas (Oran, Argel, Túnez) y con el Magreb en general debieron ser más intensos y fluidos de lo que las fuentes oficiales dan a entender; además, éste fue un comercio que la Administración trató de impulsar [...].“ Eine nicht unbedeutende Rolle auf dem spanischen Textilmarkt spielen Stoffe aus Ländern des Maschrek wie Ägypten und Smyrna. 127 Vgl. Marcos Martín (2000: 679). 128 Vgl. Marcos Martín (2000: 780). 129 Vgl. Marcos Martín (2000: 674). Für die Regionen des Baskenlandes und Kataloniens ist dies ab 1778, dem Jahr der Liberalisierung des Amerikahandels, der Fall. 84 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien verschiedener Hohl-, Gewichtsmaße und Währungen das Bild einer Vielzahl regionaler Märkte.130 An spanischen Produkten werden neben Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Frisch- oder Salzfisch, Wein aus dem Duero-Tal oder La Rioja, Früchten, Oliven und Salz auch verarbeitete Produkte gehandelt, darunter baskische Eisenwaren, das in Kastilien Absatz findende katalanische Baumwolltuch, galizische Leinenstoffe, Wollwaren aus Kastilien, die nach Nordspanien gehen, und Seide aus Valencia. In welcher Weise ausländische Textilien zunehmend in Konkurrenz zu heimischen Produkten treten, wurde bereits im Abschnitt zum Sekundärsektor skizziert. Größter Absatzmarkt für Mode, Luxusartikel und Accessoires ist Madrid, dessen Bevölkerung aufgrund des dort ansässigen Hofes und der dort ebenfalls beheimateten, sich aus adeligen Landbesitzern und Großkaufleuten zusammensetzenden urbanen Eliten über eine große Kaufkraft verfügt. Dieser Umstand wiederum verleiht den seit 1763 in der Compañía General y de Comercio de los Cinco Gremios de Mayores de Madrid131 organisierten comerciantes-fabricantes eine in Spanien beispiellose Finanzmacht.132 Dass das lokale Manufakturwesen so gut wie nicht von dem in Madrid akkumulierten Kapital profitiert, liegt daran, dass die Einkünfte der Cinco Gremios aus Finanzspekulationen, Kreditvergaben und Landbesitz derart hoch sind, dass von ihrer Seite kaum Anreize bestehen, in Produktionsstätten oder Technologien zu investieren. 130 Vgl. Marcos Martín (2000: 671) sowie das Beispiel des Hohl- und Flächenmaßes der fanega, s.o. 131 Vgl. Marcos Martín (2000: 699). Die Cinco Gremios setzen sich aus Händlern und (männlichen) Produzenten zusammen, die sich auf die fünf Warensegmente Textilien, Kurzwaren, Schmuck, Gewürze und Drogerieartikel spezialisiert haben. 132 Vgl. Marcos Martín (2000: 698f.). Die ab 1763 nach dem Prinzip einer Aktiengesellschaft organisierten Madrider Zünfte, die Cinco Gremios, besitzen und verpachten Ländereien. Ihre Niederlassungen fungieren sowohl für ihre Teilhaber als auch für die Krone als Kreditinstitute. Sie betreiben königliche Manufakturen wie die Real Fábrica von Guadalajara, treiben bis in die zu Madrid gehörenden Provinzen hinein Steuern und Abgaben für die Krone ein und besitzen bei den lokalen Adeligen, den Hofbeamten und Kirchenvertretern einen hohen Kredit. Das in Madrid akkumulierte und in Umlauf befindliche Kapital der Compañía de los Cinco Gremios beläuft sich 1777 auf 210 Millionen reales (zum Vergleich: die in Bilbao ansässigen Kompagnien besitzen zusammen 22,4 Millionen) und zieht entsprechend das Kapital von Kaufleuten aus dem Baskenland und Kantabrien an. 3. REFORMÖKONOMISCHE DISKURSE VOR DEM HINTERGRUND EINES VERÄNDERTEN STAATSAPPARATES UND DES BOURBONISCHEN ‚WILLENS ZUM WISSEN‘ Wie im vorausgehenden Abschnitt gezeigt wurde, begründet eine zwar nicht absolut gesehen schwache, aber mit vielerlei Hemmnissen konfrontierte landwirtschaftliche und industrielle Produktion in Spanien ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber konkurrierenden Staaten wie Frankreich, England und Holland. Vom Primärsektor, d.h. vom feudalen Prinzip des agrarischen Großgrundbesitzes ausgehend, wirken sich die skizzierten Hindernisse auch auf den Sekundär- und Tertiärsektor aus. Die Abhängigkeit der übrigen beiden Wirtschaftssektoren von der Landwirtschaft fasst Ocampo Suárez-Valdés treffend zusammen: „El peso de la agricultura en la producción, en la ocupación, en la industria y el comercio era muy elevado, y lo era también en la mentalidad y en los movimientos sociales de protesta. Si la agricultura estornudaba, la economía se constipaba y la sociedad enfermaba.“1 Für den spanischen Sekundärsektor ist in diesem Zusammenhang eine passive Außenhandelsbilanz prägend, die unter anderem durch eine geringe industrielle Produktion und marktführende Konkurrenzprodukte aus dem Ausland bedingt ist. Alle drei Sektoren sehen sich durch mangelnde Transportwege gleichermaßen behindert. Aus alledem resultiert ein Krisendiskurs, der dazu führt, dass der durch die ökonomische Traktatliteratur des 17. Jahrhunderts begründete Dekadenztopos auch in der spanischen Aufklärung in einer Vielzahl wirtschaftsbezogener Publikationsformen, darunter 1 Vgl. Llombart, Vicent/Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2012): „Para leer el Informe de ley agraria de Jovellanos”. In: Revista Asturiana de Economía, 45, pp. 119-143, hier p. 120. 86 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Discursos, Cartas, Memorias, Informes, Dictámenes und Reflexiones, fortgeschrieben wird.2 Infolge des Dynastiewechsels von den Habsburgern zu den Bourbonen im Jahre 1700, der durch den Ausgang des Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714) zugunsten der Linie der Bourbonen konsolidiert wird, führt die Rede über die spanische Dekadenz in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und insbesondere unter Carlos III. verstärkt zu Reformbemühungen auf administrativer, ökonomischer und kultureller Ebene. Während der Regentschaft von Carlos IV. kommt es demgegenüber zu einer Art ‚Gegen-Aufklärung‘, für die unter anderem die Kriege mit dem postrevolutionären Frankreich und Großbritannien ursächlich sind. Diese Phase kennzeichnet die Instrumentalisierung der kirchlichen Inquisition durch die Krone, was der Eindämmung aufklärerischer und insbesondere liberalistischer Ideen dienen soll.3 Ein wesentliches Merkmal der Reformökonomie von Carlos III. ist, dass sich diese auf der Diskursebene als produktiver als auf der Handlungsebene erweist. Zugleich zeugt die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften, Akademien und Werksschulen von der pragmatisch-praktischen Orientierung der Reformpolitik. Zu erklären ist dieser paradoxal anmutende Umstand unter anderem dadurch, dass insbesondere die zahlreich angeregten Maßnahmen zur Erhöhung der Produktivität von Ackerbau und Industrie nur selten von Praktikern ersonnen werden. Als hemmend erweisen sich für die Ebene des Primärsektors auch die großen regionalen Unterschiede, die sich durch unterschiedliche Klimazonen und Bodenqualitäten ergeben. Nicht zuletzt ist der Überhang der Diskursproduktion über die ergriffenen Maßnahmen auf die pyramidal-hierarchische Organisationsstruktur des bourbonischen Hofes selbst zurückzuführen. Der Umstand, dass die Regierung und ihre Organe mehr über die Krise sinnieren, als konkrete Maßnahmen zu ergreifen, gründet sich auf die feudale Struktur des spanischen Staates und seines agrarischen Wirtschaftssystems.4 Die Krone als oberste Spitze der feudalen Pyramide kann 2 Zum Dekadenztopos in der spanischen Aufklärung vgl. auch Tschilschke, Christian von (2009): Identität der Aufklärung / Aufklärung der Identität. Literatur und Identitätsdiskurs im Spanien des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 43. 3 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123). 4 Zu dieser pyramidalen Hierarchie vgl. López-Cordón Cortezo, María Victoria (2015): „The merits of good gobierno: culture and politics in the Bourbon Court”. In: 3. Reformökonomische Diskurse 87 schwerlich an die Fundamente des politischen Systems rühren, auf dem sie selbst ruht, zählen Abgaben für Großgrundbesitz doch neben den Edelmetallimporten aus den Kolonien zu den Haupteinnahmequellen des feudalen Agrarstaates. Infolge des aus dem Erbfolgekrieg resultierenden Dynastiewechsels und der damit verbundenen Reorganisation des Regierungssystems,5 im Zuge derer ein alternder Stab von Kronberatern durch ein Kabinett aus jüngeren Sekretären ersetzt wird,6 richtet sich die Politik bis ca. 1750 zunächst an den Leitlinien von ‚Einheit‘, ‚Stabilisierung‘ und ‚Beständigkeit‘ aus. Notwendig erscheint dies deshalb, weil Felipe V. (1700-17467) als erster spanischer König aus dem Hause Bourbon von weiten Teilen des einfachen Volkes als ‚französisch‘, und damit illegitim, wahrgenommen wird.8 Eine grundlegende Veränderung der bestehenden Gesellschaftsordnung und der Verteilung des Landbesitzes ist daher weder im Interesse der Krone noch liegt sie in ihrer Macht.9 Dies bleibt in Bezug auf die Wirtschaftssektoren, auf die sich das Augenmerk des bourbonischen Reformdiskurses richtet, nicht ohne Folgen: Dieser nimmt vor allem den Handel und die Industrie in den Blick, während er sich auf der Ebene Astigarraga, Jesús (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 19-40, hier p. 26. 5 Zu den bourbonischen Reformen zählt auch die Eingliederung der zuvor unabhängigen Regionen Aragóns und Valencias (1707) sowie Kataloniens (1716) in das kastilische Verwaltungssystem. Obgleich Navarra und Aragón ihre Privilegien behalten, wird der Einfluss der Krone auch dort gestärkt. Vgl. MacLachlan (1991: 84). 6 Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26). Vgl. auch MacLachlan (1991: 85): „By 1714 the conciliar system began to give way to a ministerial structure.“ 7 Die Jahreszahlen beziehen sich jeweils auf die Dauer der Regentschaft. 8 Vgl. hierzu Egido López, Teofanes (1971): Opinión pública y oposición al poder en la España del siglo xviii (1713-1759). Valladolid: Sever-Cuesta, pp. 107ff. 9 Dies gilt umso mehr für die Regierung Carlos’ IV. Vgl. Llombart/Ocampo SuárezValdés (2012: 134): „[...] no existían condiciones políticas ni voluntad para una reforma agraria de ese calado por parte de una Monarquía crecientemente endeudada desde 1793.“ Auch der Umstand, dass das 1718 eingeführte und nach französischem Vorbild modellierte System der intendantes, das das alte Verwaltungssystem der corregidores ablösen soll, erst nach großen Widerständen und zwei Anläufen durchgesetzt werden kann, illustriert, dass die konservativen Kräfte im Staat einen großen Einfluss ausüben. Muss das Intendantensystem kurz nach seiner Einführung aufgrund von Protesten innerhalb des bürokratischen Apparats wieder abgeschafft werden, setzt es sich 1749 unter Fernando VI. schließlich doch durch. Vgl. MacLachlan (1991: 84f.). Zur Einführung des Intendantensystems in Spanien vgl. auch Ozanam, Didier (2002): Les intendants espagnols du xviiie siècle. Madrid: Casa de Velázquez. 88 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des Ackerbaus darauf beschränkt, die Frage nach geeigneten Agrartechniken zu erörtern. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im Kontext des Liberalismus wird die eigentlich drängende Frage nach einer Reform der Besitzverhältnisse zum Gegenstand des ökonomischen Diskurses, zeitigt auf der Handlungsebene jedoch nur geringe Auswirkungen. Eine durch den Dynastiewechsel von den Habsburgern zu den Bourbonen bedingte wesentliche Neuerung auf administrativer Ebene ist das veränderte (Selbst-)Verständnis der Sekretäre und Minister im Dienste des bourbonischen Staates. Hier vollzieht sich eine Ökonomisierung im Sinne einer Straffung des vormaligen Staatsapparates, die sich von den höchsten Regierungsorganen auf die untergeordneten Ebenen auswirkt und in deren Verlauf die neu eingesetzten Kronbeamten von bloßen Schreibern, d.h. von Erfüllungsgehilfen des Willens des Monarchen, zu Verantwortlichen für ihren jeweiligen Kompetenzbereich werden.10 Pérez Sarrión bezeichnet diese Phase, die auch nichtadeligen Beamten mit dem entsprechenden Ehrgeiz erstmalig die Möglichkeit einer administrativen Karriere einräumt, als Beginn der ‚administrativen Monarchie‘ in Spanien.11 1714 werden die Verwaltungskompetenzen auf fünf Staatssekretariate (span.: secretarios de despacho) verteilt: 1) das für Angelegenheiten des Inneren und Außenpolitik; 2) das für Rechtswesen und kirchliche Angelegenheiten; 3) das für Kriegswesen; 4) das für Schatzmeisterei; 5) das für Marine und die Kolonien.12 Die in Blöcken zusammengefassten Staatssekretariate unterstehen jeweils der Leitung eines Verantwortlichen,13 dem allein 10 Vgl. auch Gittermann (2008: 205-235). Eine allgemeine, sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch in Spanien vollziehende Verschiebung von der Erudition (der Gelehrtenrepublik) hin zur Kompetenz im Sinne des – nicht nur ökonomischen – Fachwissens beobachtet auch Witthaus (2012: 313). 11 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 234). 12 Vgl. MacLachlan (1991: 85). 1787 wird unter Carlos III. das Sekretariat für Marine und die Kolonien zweigeteilt; hinzu kommt das Sekretariat für Handel und Seefahrt. 13 Vgl. Pérez Sarrión (2015: 234). José Patiño steht 1726-1736 den Sekretariaten für Finanzen, Staat und Krieg, José del Campillo y Cossio von 1741-1743 den Sekretariaten für Finanzen, Krieg, Marine und die Kolonien vor. Er wird 1742 von Zenón de Somodevilla y Bengoechea, Marqués de la Ensenada (1702-1781) abgelöst, der diese Funktion bis 1754 innehat. Pérez Sarrión bescheinigt diesen drei Ministern, für eine größere administrative Einheit gesorgt und die zuvor tonangebenden und durch den Hochadel dominierten consejos politisch an den Rand gedrängt zu haben. Gittermann (2008: 207f.) bestätigt, dass das vorrangige Ziel von Carlos III. nach seiner Ankunft aus 3. Reformökonomische Diskurse 89 die Ernennung der in dem betreffenden Sekretariat tätigen Staatsbediensteten obliegt, was den für den bourbonischen Staatsapparat charakteristischen Klientelismus14 sowie eine Neigung zur Korruption15 begünstigt. Eine weitere wesentliche Neuerung im Zuge des Dynastiewechsels ist auch, dass die Gliederung der Sekretariate in Ressorts den für die einzelnen secretarios16 verantwortlichen Ministern17 ein gewisses Maß an Sachkunde abverlangt, eine Einstellungsvoraussetzung, die sich aus dem aufklärerischen Bildungsideal speist. Anders als noch unter den Habsburgern finden sich daher in den Reihen der unter Carlos III. und IV. tätigen hohen Beamten nur noch wenige Hochadlige.18 Stattdessen dominieren in den secretarías del despacho universitär gebildete Vertreter des mittleren Adels und des gehobenen Bürgertums,19 die zumeist aus den Provinzen stammen und mittels ihrer sozialen und Neapel, wo er zuvor regiert hatte, die „Umgestaltung des Kastilienrats“ war, war ihm doch die enge Allianz dieser Instanz mit den Jesuiten ein Dorn im Auge, zumal der consejo eigentlich die Interessen der Krone vertreten sollte. 14 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 235f.). Solche klientilistischen Strukturen identifiziert Pérez Sarrión auch im Consejo de Castilla, wo Posten zuvorderst an Verwandte und Freunde der Ratsmitglieder vergeben werden. 15 Von korrupten Praktiken und politischen Intrigen während der Regierungszeit Ensenadas, denen 1755 auch der Minister selbst zum Opfer fällt, zeugen Graefs Discursos mercuriales (1754-1755 und 1755-1756), in denen von der „Inkompetenz und Korruption“ die Rede ist, die den Blick der in den Augen des Verfassers durchaus kompetenten Minister auf die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten Spaniens trübt, und die Graef unter Rückgriff auf die Metaphorik des Glücksspiels als ‚Kartenspieler‘ bezeichnet. Witthaus (2012: 279) mit Bezug auf Graef, Juan Enrique (1752): Discursos mercuriales económico-políticos (1752-1756), I, ed. Francisco Sánchez. Sevilla: Fundación El Monte, p. 12. 16 Die vollständige Bezeichnung lautet: Secretario de Estado y del Despacho Universal de..., gefolgt von der Bezeichnung des bzw. der jeweiligen Ressorts, dem oder denen der einzelne Sekretär vorsteht. Nach 1787 gründet Carlos III. die Junta de Estado als das Organ, indem sich die einzelnen Ressorts austauschen und kooperieren. Die Junta hat Kabinettsfunktion. Vgl. MacLachlan (1991: 85). 17 MacLachlan (1991: 85) zufolge ist es insofern korrekt, die Staatssekretäre als „Minister“ zu bezeichnen, als einer Person oft mehrere Sekretariate unterstehen. Dies zeigen die Beispiele Patiños, Campillos und Ensenadas, s.o. 18 Dass und inwiefern deren Macht empfindlich beschnitten wird, zeigt Pérez Sarrión (2012: 241). 19 Aus dem Hochadel stammen López-Cordón Cortezo (2015: 26) zufolge allein Aranda und José de Carvajal y Lancaster (1698-1754), der von 1746-1754 unter Fernando VI. als Ministro decano de Estado und Außenminister fungiert. 90 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien familiären Netzwerke20 den ‚neuen Adel‘21 bilden. Der gesellschaftliche Aufstieg dieser Schichten läutet zugleich eine Krise des tradierten adeligen Ehrbegriffs (span.: „honor“) ein, demzufolge sich Ehre in erster Linie an der ‚Reinheit des Blutsadels‘ bemisst, ein Wert, der sich nun durch das Leistungsprinzip ersetzt sieht: El honor, consustancial a la sangre o linaje, fuente de preeminencia social y principio discriminador de estados y privilegios, comienza a difuminarse a media que el reformismo borbónico da entrada en la administración a grupos sociales de provincias ennoblecidos por los servicios prestados a la Corona.22 Zum bourbonischen Ideal der Bildung und eines daraus sich ableitenden gouvernementalen ‚Willens zum Wissen‘23, der unter anderem in Maßnahmen wie den wiederholt stattfindenden Volkszählungen24 (censos) zum Ausdruck kommt, zählt auch, dass Fremdsprachenkompetenz nun zu einer notwendigen Voraussetzung für den Staatsdienst wird, betrachtet sich der Großteil der Beamten doch als Teil einer aufgeklärten europäischen Gelehrtenrepublik.25 Ein prominenter 20 Ein Beispiel für solche Netzwerke ist etwa der von Ensenada ins Leben gerufene partido riojano, ein politisches Netzwerk, dessen Mitglieder allesamt aus der Region La Rioja stammen. Vgl. Pérez Sarrión (2012: 244). 21 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 241), meine Übersetzung. Im Gegensatz zur französischen noblesse de robe setzt sich der neue spanische Adel allerdings nicht ausschließlich aus in den Adelsstand erhobenen Bürgern zusammen, sondern auch aus berufstätigen Adeligen. 22 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2021: 13). 23 Vgl. Foucault, Michel (1976): Histoire de la sexualité 1: La volonté de savoir. Paris: Gallimard. 24 Die schon im 16. und 17. Jahrhundert abgehaltenen Volkszählungen dienen neben dem Zweck der Besteuerung auch der Sondierung von Möglichkeiten der militärischen Rekrutierung. Auch der Zensus von Ensenada von 1753 zählt noch zu dieser herkömmlichen Art der Volkszählung. Zensus im modernen Sinne, d.h. solche, die im Dienste der Politischen Ökonomie den Anteil der vasallos útiles ermitteln, werden ab 1768 mit dem Zensus des Conde de Aranda erstmals erhoben. Weitere folgen 1767 unter dem Grafen von José Moñino y Redondo, Conde de Floridablanca (1728-1808) und 1797 unter Godoy weitere. Vgl. Instituto de Estadística (2019): „Los censos de población en España“. Quelle: https://www.ine.es/explica/docs/historia_censos.pdf, Zugriff: 13.08.2022. 25 Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26) sowie Witthaus (2012: 14ff.). Witthaus verdeutlicht, dass die aufklärerischen „Kritikdiskurse zwischen Gelehrtenkultur, 3. Reformökonomische Diskurse 91 Repräsentant dieses universell gebildeten und nach Europa ausgerichteten neuen Adels, dessen Karriere im bourbonischen Verwaltungsapparat geradezu beispielhaft ist, ist Jovellanos, Spross einer niederen Adelsfamilie von hidalgos aus Gijón. Jovellanos ist ab 1768 zunächst Richter in Sevilla, wird dann richtendes Mitglieder der dortigen Real Audiencia, tritt 1778 in der Hauptstadt ein höchstrichterliches Amt an und wird im selben Jahr ein aktives und aufgrund seiner zahlreichen Reden zur wirtschaftlichen Lage der Nation viel beachtetes Mitglied der dortigen Ökonomischen Gesellschaft.26 Er steigt sodann in den Consejo de las Órdenes auf, ein militärisches Administrationsorgan. 1783 wird er in die Junta de Comercio, Moneda y Minas berufen, 1797 avanciert er zum Justizminister. Bekannt ist Jovellanos heute nicht nur als einer der laut Schumpeter besten und weitsichtigsten Ökonomen seiner Zeit mit zahlreichen Beiträgen zum zeitgenössischen Wirtschaftsdiskurs,27 sondern auch als Verfasser von Gedichten und zweier Dramen,28 darunter die sentimentale Komödie El delincuente honrado (1774), in der sich Jovellanos kritisch mit dem spanischen Justizsystem auseinandersetzt. Literaturkritik, literarischem Engagement und Nationalisierung“ allerdings nicht mit der neuhumanistischen Gelehrtenrepublik zur Deckung kommen, und zwar deshalb, weil in der Aufklärung die neuen Herausforderungen des Nationalstaats und der Ausdifferenzierung des Wissens mit dem ‚holistischen Selbstverständnis des Neuhumanismus‘ in Konflikt geraten. Witthaus prägt für die spezifische literarische Wissenskultur der spanischen Aufklärung den Begriff der „Sozialisation der Kritik“, der eine „schriftstellerische Intervention“ vor allem des Literaten in die Erscheinungsbereiche der Soziabilität (etwa in der Presse) und in die Ökonomie als neu entstehende Wissenschaft (z.B. in der ökonomischen Traktatliteratur) bezeichnet. Diese Form der Intervention ist in den neuen Rahmen der Nation eingebettet und steht mit den spanischen Reformbemühungen im Zusammenhang. Daher zeugt die Sozialisation der Kritik auch von der durch López-Cordón Cortezo beschriebenen Verschränkung zwischen Kulturbereich, Staatsmacht und Politischer Ökonomie, der stets ein Moment der Selbstinszenierung der Autoren in dem und mittels des öffentlichen medialen Raum(s) eingeschrieben ist. 26 Zuvor war Jovellanos bereits Mitglied der Ökonomischen Gesellschaft von Sevilla. Vgl. Anes y Álvarez de Castrillón, Rafael (2000): „De las ideas de Jovellanos sobre la economía y actividad económica“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 315-329, hier p. 320. 27 Vgl. Schumpeter (2007: 231). 28 Vgl. Carnero, Guillermo (21998): „Introducción“. In: idem (ed.). Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, pp. 13-109, hier pp. 36ff. 92 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Eine Besonderheit des bourbonischen Staatsapparates mit zentralen Auswirkungen auf den Kulturbetrieb ist auch die von López-Cordón Cortezo beobachtete Kombination einer pyramidalen mit einer horizontalen Herrschaftsstruktur: Die hierarchisch-pyramidale Organisation der staatlichen Verwaltung, an dessen Spitze der Souverän steht, gefolgt von den Ministern der secretarías sowie der nächsttieferen Ebene, den ihnen unterstehenden Beamten, setzt sich horizontal in die Ebene gelehrter Kreise fort, so auch in die tertulias,29 deren Gastgeber prominente Staatsbedienstete wie Olavide und Pedro Pablo Abarca de Bolea, Conde de Aranda (1719-1798) sind. Diese spezifische Staatsstruktur ermöglicht eine direkte Einflussnahme der Krone nicht nur auf das Bildungswesen, etwa durch die Reform der Universitäten, die unter bourbonischer Herrschaft von kirchlicher in staatliche Hand übergehen,30 sondern auch auf den Kulturbereich, was sich etwa in der von Aranda durchgesetzten Theaterreform zeigt. Gittermann konstatiert, dass Carlos III. eine Einflussnahme auf weite Teile des gesellschaftlichen Lebens nicht zuletzt deshalb möglich war, weil er „bewusst die Diskurse förderte, die dem von ihm gewünschten Modell entsprachen. Ihm gelang [...] dadurch [...], dass seine Reformziele mit dem politischen Denken der spanischen Reformer so sehr übereinstimmten, eine weitgehende Instrumentalisierung der politischen Literatur seiner Zeit“31. Im Zusammenhang mit unseren Analysen kann dies neben dem kulturellen Feld auch für das Ökonomische postuliert werden. Auch die ab 1750 erfolgende Gründung zahlreicher 29 Die tertulias sind gelehrte Zirkel, in der Männer und, wie das Beispiel der tertulia María Francisca de Sales Portocarrero, Condesa de Montijo (1754-1808) zeigt, auch Frauen, über Literatur, Philosophie und Politik debattieren. Die tertulias sind zudem Artikulationsorte der aufklärerischen Geselligkeit. Vgl. hierzu Gelz, Andreas (2006): Tertulia. Literatur und Soziabilität im Spanien des 18. und 19. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, pp. 33ff. 30 Zur spanischen Universitätsreform, zu deren Hauptakteuren Gregorio de Mayans y Siscar (1699-1781), Juan Sempere y Guarinos (1754-1830) und Olavide zählen und zu deren Maßnahmen u.a. die Ausweisung der Jesuiten 1767 gehört, vgl. Onaindía, Mario (2002): La construcción de la nación española. Republicanismo y nacionalismo en la Ilustración. Barcelona: Ediciones B, pp. 139ff., zu diesen drei Hauptakteuren vgl. Onaindía (2002: 140). Vgl. auch Perrupato, Sebastián (2014): „Antiguos y modernos en la universidad española de la segunda mitad del siglo xviii. Avances de secularización en el plan de reforma universitaria elaborado por Gregorio Mayans y Siscar (1767)“. In: Historia y Sociedad, 27, pp. 165-188. 31 Gittermann (2008: 27). 3. Reformökonomische Diskurse 93 Akademien, darunter die der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando (1744), bedeutet eine Ausdehnung der staatlichen Macht auf den Bildungsbereich, die über das Instrument der Institutionalisierung von Wissensstrukturen erfolgt. Damit kommt es zu einer Allianz, mehr noch, zu einer Einswerdung von Staatsmacht und Wissen, die für die Politische Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts charakteristisch ist und auch den deutschen Kameralismus kennzeichnet.32 Als die drei für die bourbonische Reformökonomie charakteristischen Elemente können also festgehalten werden: a) die Fortschreibung des Dekadenztopos, der zugleich Movens und Ausganspunkt des ökonomischen Reformprogramms ist; b) die Allianz von nach Kompetenzbereichen gegliederter staatlicher Administration und statistischer Wissenserhebung; c) die Ausdehnung eines pyramidal und hierarchisch organisierten Staatsapparats in die horizontale Struktur der aufgeklärten Gelehrtenrepublik hinein, die Foucaults Konzept der Gouvernementalität und ihrem Fortwirken in verschiedene Gesellschaftsbereiche hinein entspricht. Letztere tangiert das Bildungswesen im gleichen Maße wie den Unterhaltungsbereich und wirkt sich entsprechend auf das regierungsnahe 32 Vgl. Vogl (2002: 61; 85). Ihm zufolge formiert sich im deutschen Kameralismus das Ökonomische „nicht bloß als ein eigenes Gegenstandsfeld, sondern als eine Regierungsmentalität, in der sich Regierungswissen und politische Steuerung zu einer neuen Einheit fügen“. Ähnliche Tendenzen prägen die wirtschaftliche Reformpolitik in Spanien. Zum Einfluss des deutschen Kameralismus auf die ökonomische Theoriebildung des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. Lluch Martín, Ernest (2000): „El cameralismo en España“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 721-728. Deutsche Kameralisten wie Jakob Friedrich von Bielfeld (1717-1770) und Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720-1771) legen den Schwerpunkt ihres reformökonomischen Denkens deshalb auf steuerliche Maßnahmen, weil sie – wie die Bezeichnung ‚Kameralismus‘ nahelegt – in der königlichen Schatzkammer tätig sind. Vgl. Lluch Martín (2000: 723). Ihre Ideen werden in Spanien hauptsächlich durch das Organ der Presse, allen voran durch Francisco Mariano Nipho verbreitet, der u.a. Gründer der Zeitschrift Diario noticioso, curioso-erudito y comercial, público y económico (1758) ist. Vgl. MacLachlan (1991: 81). Als Übersetzer kameralistischer Schriften ins Spanische betätigt sich der spanische Reformökonom Foronda, der sich für die liberalistischen Aspekte der Doktrin und Bielfelds Kritik an Spanien und Portugal interessiert. Vgl. Lluch Martín (2000: 725f.). 94 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien neoklassische Theater und die sentimentale Komödie aus, die als Unterhaltungsformen ebenso wie als Mittel der ökonomischen Erziehung und moralischen Belehrung fungieren.33 Das weite Feld der spanischen Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus in Spanien lässt sich in drei Bereiche gliedern: die Konzept-, die Diskurs- und die Handlungsebene. Das für den spanischen Reformdiskurs zentrale Konzept der felicidad pública und seine Verschränkung mit einer veränderten Wahrnehmung der Figur des Souveräns behandelt der nächste Abschnitt. In Bezug auf die Diskursebene widmen wir uns sodann den unterschiedlichen Phasen und Ausprägungen der ökonomischen Theoriebildung im 18. Jahrhundert in Spanien: dem Arbitrismus, der Projektemacherei, den unterschiedlichen Etappen des Merkantilismus, die aufgrund ihrer verschiedenen Ausprägungen hier als ‚Merkantilismen‘ bezeichnet werden, dem Einfluss der französischen Physiokratie, der zur Herausbildung des spanischen Agrarismus führt, und nicht zuletzt dem Liberalismus. Daran schließt sich die Darstellung der Handlungsebene an. In diesem Zusammenhang fokussiert diese Studie exemplarisch die königlichen Erlasse (Reales Cédulas) zur Erhöhung des Anteils der arbeitenden Bevölkerung. Überdies behandelt das Kapitel die Gründung von Institutionen zur theoretischen (Ökonomische Gesellschaften) und praktischen (Werksschulen) Wissensvermittlung, deren Ziel zum einen die Verbesserung der Produktionsprozesse, zum anderen die volle Ausschöpfung potenziell produktiver Teile der Bevölkerung ist. Die Ökonomischen Gesellschaften und die Werksschulen sind mit dafür ursächlich, dass der spanischen Aufklärung insgesamt, aber auch den ökonomischen Diskursen, die sie hervorgebracht hat, heute ein einzigartiger Pragmatismus attestiert wird.34 Diese praktische Orientierung zeigt sich auch daran, dass die Schriften spanischer Reformökonomen des 18. Jahrhunderts stets die Interdependenz des von ihnen untersuchten Sektors zu den anderen beiden Sektoren betrachten. 33 Damit steht das spanische Reformtheater des 18. Jahrhunderts nicht allein. Eine Studie zum nach den Modellen Gottscheds und Lessings reformierten deutschen Theater als ‚pädagogischer Anstalt‘ hat Alexander Weinstock vorgelegt. Vgl. Weinstock, Alexander (2019): Das Maß und die Nützlichkeit. Zum Verhältnis von Theater und Erziehung im 18. Jahrhundert. Bielefeld: transcript, insbesondere pp. 70-93. 34 Vgl. Bolufer Peruga (2016: 166), die den „gemäßigten und pragmatischen Charakter der spanischen Aufklärung“ betont. 3. Reformökonomische Diskurse 95 Dass beispielsweise der Ackerbau auch dann mitberücksichtigt werden muss, wenn der Handel und/oder die Industrie als Mittel zur Abhilfe empfohlen werden, ist in der agrarischen Struktur Spaniens begründet. Den letzten Teil dieses Abschnittes bildet die Darstellung und Analyse dreier paradigmatischer Schriften der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts zu Ackerbau, Industrie und Handel, von denen die ersten beiden von Mitgliedern des Regierungsapparates verfasst worden sind: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1794), Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) und Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778). Relevant sind diese einführenden Darstellungen der in Spanien im 18. Jahrhundert zirkulierenden Wirtschaftsdiskurse im Hinblick auf die Frage nach ihrem Eingang in und ihrer medialen und diskursiven Transformation durch das Medium des Theaters im Allgemeinen und die Form der sentimentalen Komödie der spanischen Spätaufklärung im Besonderen. 3.1. Die Konzeptebene: Der Souverän als Manager der felicidad pública Zwei Schlüsselbegriffe der europäischen Aufklärung tauchen auch im Kontext der absolutistischen Reformpolitik der bourbonischen Herrscher immer wieder auf: der des „Gemeinwohls“, des bien común, und der des „öffentlichen Glücks“, der felicidad pública. Schumpeter zufolge wurzelt die felicidad pública konzeptuell im scholastischen Verständnis des bien común, das der italienische Ökonom Antonio Genovesi (1712-1769) für das 18. Jahrhundert aktualisiert und unter der Bezeichnung felicità pubblica erneut in den Wirtschaftsdiskurs einbringt. Die aufklärerische Aktualisierung des scholastischen Konzepts besteht darin, dass es ab 1780 eine Allianz mit einer „spezifisch utilitaristischen Glückseligkeit“35 eingeht. Ab diesem Moment werden beide Konzepte, die felicidad pública und der bien común, nahezu synonym verwendet. Jovellanos definiert die felicidad pública in seinem Discurso económico sobre los medios para promover la felicidad pública de Asturias (1781) explizit nicht im moralischen Sinne („no [...] en sentido 35 Vgl. Schumpeter (2007: 216). 96 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien moral“36), sondern als „aquel estado de abundancia y comodidades que debe procurar todo bien gobierno a sus ciudadanos“37. Während die Rhetorik der spanischen Reformökonomie immer wieder betont, dass das vorrangige Ziel die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Nation zum Wohle aller sei, geht es doch im Grunde um die Auffüllung der chronisch leeren Staatskassen angesichts sinkender Einnahmen aus den kolonialen Edelmetallimporten und steigender Ausgaben für die Kriege mit Frankreich und England.38 Dies deutet sich etwa bei Jovellanos an, wenn er zu dem Schluss kommt: „la nación más rica será la más feliz“39. Öffentliches Glück ist also gleichbedeutend mit materiellem Reichtum, und wo es wohlhabende Untertanen gibt, steigen die Einnahmen der Krone. Der Begriff der felicidad pública schließt seinerseits an das Konzept der riqueza de la nación, des nationalen Reichtums an, das seit den Anfängen des Merkantilismus im 16. Jahrhundert ebenso als Gegenkonzept wie als Heilmittel zur Verschuldung der spanischen Krone fungiert.40 Damit erweist sich die felicidad pública als eine Aktualisierung des merkantilistischen Konzepts der riqueza de la nación durch die Politische Ökonomie der spanischen Spätaufklärung, die Ocampo Suárez-Valdés zufolge ab ca. 1780 einsetzt. Auf der Ebene des ökonomischen Diskurses zeichnet sich die ilustración tardía, die spanische Spätaufklärung, dadurch aus, dass das Staatswissen als Instrument der Gouvernementalität dort zumindest rhetorisch in den Dienst des öffentlichen Glücks gestellt wird.41 Wenn also Jovellanos die Politische Ökonomie in seinem Elogio de Carlos III (1788) als „verdadera ciencia que enseña a gobernar a los hombres y hacerlos felices“42 bezeichnet, so tritt darin genau jene rhetorische 36 Vgl. Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008a): Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de Asturias dirigido a su Real Sociedad por Don Gaspar de Jovellanos (1781). In: idem. Obras completas, vol. X: Escritos económicos, eds. Vicent Llombart i Rosa & Joaquín Ocampo Suárez-Valdés. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii, pp. 267-304, hier p. 279. 37 Vgl. Jovellanos (2008a: 279). 38 Vgl. Marcos Martín (2000: 711). 39 Jovellanos (2008a: 279). 40 Vgl. Marti (2012: 256). 41 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97). 42 Vgl. Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008b): Elogio de Carlos III, leído en la Real Sociedad Económica de Madrid el día 8 de noviembre 1788. In: idem. Obras completas, vol. X: Escritos económicos, ed. Vicent Llombart i Rosa & Joaquín Ocampo Suárez-Valdés. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii, pp. 659-667. 3. Reformökonomische Diskurse 97 Kopplung des öffentlichen Glücks an die bourbonischen Regierungstechniken hervor. Indem staatliche Reformdiskurse die Individuen des Staates dazu aufrufen, in Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht aktiv zur Mehrung des Gemeinwohls beizutragen, wird der einzelne Untertan zu einer funktionalen Einheit innerhalb des staatlichen Systems. Die Reformökonomen, die den Beitrag des Einzelnen zum Gemeinwohl und seine produktive Funktion im Gesamtgefüge des Staates in ihren Schriften immer wieder hervorheben, fungieren ihrerseits als sachkompetente Unterstützer der finanziellen Interessen des absolutistischen Herrschers, dessen Willen sie von den Staatssekretariaten bis in die Lokalbehörden hineintragen. Der bourbonische Staat basiert also wesentlich auf dem Stellvertreterprinzip: Leitende Beamte werden in ihren jeweiligen administrativen Organen, aber auch dann, wenn sie öffentlich auftreten, zu Repräsentanten des Monarchen. Mit dem Stellvertreterprinzip einher geht eine Säkularisierung der Figur des Souveräns, die einer Profanisierung gleichkommt und durchaus krisenhafte Züge aufweist. Im Laufe dieses Prozesses büßt der König seine unbestrittene Rolle als von Gott eingesetzter Herrscher ein, als der er über eine quasi-göttliche Autorität verfügt. An die Stelle dieser Autorität tritt das Leistungsprinzip, bemessen sich Ansehen und Macht der Krone doch im 18. Jahrhundert zunehmend an ihrem Vermögen, für das Wohl der Nation zu sorgen. Wenn der Souverän und sein Staatsapparat also Handel, Industrie und Agrarwirtschaft zu größeren Leistungen antreiben, um mit Hilfe der steigenden Wirtschaftsleistung die bestehenden Haushaltslöcher zu stopfen, leisten sie damit überdies einer ‚Professionalisierung‘ und ‚Funktionalisierung‘ nicht nur des königlichen Verwaltungsapparates und der königlichen Untertanen Vorschub, sondern auch der Krone selbst.43 Von einer Herrschergestalt, die der irdischen Sphäre gewissermaßen enthoben ist,44 wird der Monarch selbst zum funktionalen Element im Getriebe des Staates.45 43 Ganz ähnlich stellen sich die Motive der von Colbert vertretenen Doktrin des Merkantilismus in Frankreich dar, deren Ziel es ist, „die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs zu verbessern, um die königlichen Einkünfte zu erhöhen“. Gömmel/ Klump (1994: 54). 44 Ein Indiz für die seit dem Mittelalter bestehende, quasi-sakrale Position des Monarchen im Staat ist die „Zweiheit“ des königlichen Körpers, die Kantorowicz 98 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Bei Melchor Rafael de Macanaz (1670-1760), zunächst Intendant in Aragón und später Generalstaatsanwalt im Consejo de Castilla, offenbart sich die besagte ‚Professionalisierung des Souveräns‘ in einem Brief an Felipe V., in dem es heißt, die Hauptaufgabe des Monarchen sei es, der oberste Kaufmann (comerciante principal) seiner Nation zu sein.46 Dies ist nicht allein in dem Sinne zu verstehen, dass der Souverän als Leit- und Vorbild des Tertiärsektors fungieren soll. Vielmehr ist die dem Monarchen zugewiesene Berufstätigkeit zugleich Ausdruck einer Ökonomisierung der staatlichen Verwaltung durch die Gouvernementalität, die nach dem Bumerangprinzip zum Souverän zurückkehrt und dazu führt, dass sich seine Macht nun nach dem ökonomischen Gesichtspunkt seiner kaufmännischen Kompetenz bemisst. Für diese verantwortlich ist MacLachlan zufolge eine „ideology based on economic criteria“,47 die wiederum durch das Konzept des Selbstinteresses48 beeinflusst ist und ihren Höhepunkt mit Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1795) erreicht. Für diese Studie fruchtbar ist MacLachlans These, dass der Monarch ab Mitte des 18. Jahrhunderts von einer mystischen Instanz zum Haupt eines ökonomisierten und damit durch und durch kaufmännisch orientierten Staatsapparates wird, insofern, als sie den Blick fort von der oft postulierten Allmacht des absolutistischen Herrschers hin zu dem Moment lenkt, in dem diese Macht brüchig zu werden beginnt. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist die aufklärerische Reformökonomie nicht allein Ausdruck des absolutistischen Willens, den wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben, um im Wettstreit der Mächte verlorenen Boden zurückzugewinnen, vielmehr zeugen die Diskurse und Maßnahmen des bourbonischen Staates zugleich von 45 unter dem Konzept der „zwei Körper des Königs“ fasst. Da ist zum einen der politische (body politic), zum anderen der natürliche Körper (body natural) des Monarchen. Während der natürliche Körper sterblich ist, erweist sich der politische als unsterblich. Nichtsdestotrotz bilden beide „eine unteilbare Einheit“. Vgl. Kantorowicz, Ernst (1990): Die zwei Körper des Königs. München: dtv, p. 37. 45 Vom Staat als einer Maschine spricht auch Francisco Romá i Rosell (1710-1784). Vgl. idem (1768): Las señales de la felicidad de España, y medios de hacerlas eficaces. Madrid: Antonio Muñóz del Valle, p. 58. Vgl. hierzu auch MacLachlan (1991: 75). 46 Vgl. MacLachlan (1991: 71) mit Bezug auf Macanaz, Melchor de (1787): „Auxilios para bien gobernar una monarquía católica“. In: Semanario erudito, vol. 5, p. 235. 47 MacLachlan (1991: 86). 48 Vgl. Marti (2012: 269). 3. Reformökonomische Diskurse 99 einem Aktionismus, der offenbart, dass das Herrscherhaus durch eine ökonomische Ideologie, die verstärkt die Leistung des Einzelnen für den Staat einfordert, nun selbst unter den Druck dieser ökonomischen Bringschuld gerät. Ein anschauliches Beispiel für eine durch die Reformökonomie unwillentlich herbeigeführte Entmystifizierung der Figur des Souveräns ist die Aufhebung der seit 1502 erhobenen tasa de granos im Sommer 1765. Zu den negativen Auswirkungen dieser Maßnahme zählt nicht nur die bereits erwähnte Befeuerung der Spekulationspraxis, sondern auch eine deutliche Verschlechterung der Lebensumstände weiter Teile der Bevölkerung, die Anes zufolge für den Ausbruch des motín de Esquilache im Folgejahr ursächlich ist.49 Vor allem aber führt die Abschaffung der staatlichen Regulierung des Getreidepreises den Bruch mit einer über zwei Jahrhunderte betriebenen Symbolpolitik herbei, die über das Stellrädchen der Versorgung mit dem ‚täglichen Brot‘ eine soziale Hierarchie stabilisiert hatte, an deren Spitze der Monarch als väterlich-wohlwollende, gottgleiche Instanz das Überleben seiner Untertanen kontinuierlich sicherte: Le monarque assure le pain quotidien de ses sujets, à l’image de Dieu: „Donne-nous aujourd’hui notre pain quotidien.“ C’est un système de pouvoir paternaliste qui s’appuie sur cette institution de la taxe. [...] Le Roi est un père omnipotent; on fait appel à sa bienveillance, à sa justice, à son aide lorsque les prix flambent [...].50 Mit der Aufhebung der tasa im Zuge der aufklärerischen Reformökonomie büßt der Souverän seine hochsymbolische Funktion als Statthalter des brotgebenden Gottes ein. Stattdessen sieht er sich mit der Erwartungshaltung konfrontiert, möglichst gewinnbringend mit dem symbolischen Kapital des Volkswohls zu haushalten, d.h. er wird von einer existenzsichernden göttlichen Instanz zum Manager 49 Vgl. Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en la España moderna. Madrid: Taurus, pp. 351f. Auch die zwischen 1789 und 1790 in Barcelona ausbrechenden Unruhen, die auf Katalanisch als „rebomboris del pa“ und im Spanischen als „alborotos del pan“ bezeichnet werden, sind auf die erhöhten Getreidepreise mit Steigerungen um 50 % zurückzuführen. Vgl. hierzu Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123). 50 Marti, Marc (1997): Ville et campagne dans l’Espagne des Lumières (1747-1808). SaintÉtienne: Université de Saint-Étienne, p. 120. 100 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der felicidad pública degradiert.51 In den Schriften von Reformökonomen wie dem Grafen von Campomanes wird die Profanisierung und Professionalisierung des Souveräns insofern ins Positive gewendet, als dieser dort vom bloßen Verwalter der felicidad pública zum „Protagonisten“ öffentlichen Wohlstandes avanciert.52 Auch in den Schriften Floridablancas figuriert der König als „principal responsable de la felicidad del país”53, was dem Monarchen mit der entsprechenden Verantwortung auch die Gravität einer für das Kollektiv lebenserhaltenden Rolle zuweist. Einen durch die wachsende Bedeutung des Ökonomischen ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeleiteten Säkularisierungsprozess beobachtet neben MacLachlan auch Marti, der daraus eine zunehmende Entkopplung von (religiöser) Moral und (säkularer) 51 Castellano weist seinerseits darauf hin, dass die ökonomische Reformpolitik den Bourbonen auch dazu dient, den Absolutismus als eine besonders rigide Form der Monarchie zu legitimieren, da – wie Bernardo Ward in seinem Proyecto económico ausführt – die reformpolitischen Maßnahmen die ‚starke Hand‘ eines autoritären Monarchen erfordern. An diesem ‚Willen zur Macht‘ hatte es den Habsburgern Ward zufolge gemangelt. Vgl. Castellano Castellano [sic], Luis (2000): „Bernardo Ward“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 185-201, hier p. 189 mit Bezug auf Ward, Bernardo (1982 [1779]): Proyecto económico en que proponen varias providencias dirigidas a promover los intereses de España, con los medios y fondos necesarios para su planificación, ed. J. L. Castellano. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 327. Marti betont im Gegensatz zu MacLachlan, dass die Verbindung zwischen Monarchie und öffentlichem Wohl kein Phänomen des 18. Jahrhunderts sei, sondern sich bereits im 16. Jahrhundert und in Pedro de Ribadeneyras Tratado de la religión y virtudes que debe tener el príncipe cristiano para gobernar y conservar sus estados (1595) manifestiere, das 1788 neu ediert wird. Ein durch die bourbonische Politik herbeigeführtes Novum sei allerdings, wie Marti überzeugend darlegt, die reformökonomische Umdeutung des Begriffs der felicidad pública zu einem säkularen Konzept. Marti identifiziert auch die zentrale Rolle, die etwa in den Schriften Jovellanos‘ aufklärerischen Eliten wie den Mitgliedern der Sociedades Económicas de Amigos del País eingeräumt wird, als eine neue Entwicklung, die der reformökonomische Diskurs der spanischen Aufklärung herbeiführt. Vgl. Marti (2012: 267f.). 52 Vgl. Marti (2012: 266f.) mit Bezug auf Campomanes’ Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento, Cap. XIX: „Campomanes hace del soberano el protagonista principal de la felicidad económica del país: ‚Tiene nuestra nación la fortuna, que desde el ingreso al trono de la augusta casa de Borbón, han mejorado notablemente las fábricas, y la felicidad pública.‘“ 53 Marti (2012: 267) mit Bezug auf Floridablanca, José de (1952): Obras originales del Conde de Floridablanca, y escritos referentes a su persona, ed. Antonio Ferrer del Río. In: Biblioteca de autores españoles (BAE), vol. LIX. Madrid: Atlas, p. 7b. 3. Reformökonomische Diskurse 101 Ökonomie ableitet. War der Begriff der felicidad seit dem 13. Jahrhundert vor allem religiös konnotiert, wird er mit dem Aufkommen der Politischen Ökonomie in Spanien ab 1750 zunehmend säkularisiert und schließlich zum Synonym für wirtschaftliches Gedeihen im Sinne von Wohlstand (prosperidad).54 Das führt dazu, dass das Konzept der prosperidad pública ab den 1780er Jahren das der felicidad pública ablöst. Damit ist zugleich die Entkopplung des Wohlstands vom zuvor religiös konnotierten Begriff der felicidad vollzogen. Hatte die mittelalterliche Scholastik, so auch die Schule von Salamanca, versucht, Wirtschaft im Sinne von Reichtum mit der christlichen Moral in Einklang zu bringen,55 fallen im Zuge der Politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts religiöse und ökonomische Moral auseinander.56 In den in dieser Studie angestellten Textanalysen gilt es zu prüfen, ob sentimentale Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung diese Tendenz fortschreiben oder ob sie stattdessen an die scholastisch-katholische Tradition anknüpfen und versuchten, Moral, Ökonomie und Religion wieder aneinander zu koppeln, um so an den Katholizismus als eine in der spanischen Alltagskultur tief verwurzelte Praxis anzuschließen, was es erleichtern würde, die dem Geiste der Aufklärung entsprungenen ‚neuen‘ Ideen einem tendenziell konservativen und sich mit der spanischen Volkskultur identifizierendem Publikum schmackhaft zu machen. Im Zuge der von MacLachlan skizzierten und das Königtum unter Druck setzenden „ökonomischen Ideologie“, die durch die Krone selbst initiiert und von den seit 1711 agierenden Intendanten57 des Staates verbreitet wird, kommt dem Staatshaushalt eine entscheidende Rolle zu, wird er doch zum Indikator eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts in allen Bereichen: Geringe Staatseinkünfte stehen hohen Ausgaben gegenüber; die Außenhandelsbilanz ist durch einen Überhang der Importe gegenüber den Exporten defizitär; eine erhöhte Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Gütern kann durch die 54 Vgl. Marti (2012: 255). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 95). 56 Vgl. Marti (2012: 261). Auf den Umstand, dass das ökonomische Denken im 18. Jahrhundert in Spanien Gefahr läuft, mit den Vorgaben und Institutionen der Religion im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen in Konflikt zu geraten, verweist auch Witthaus (2012: 268). 57 Ihnen obliegt es, den Willen des Königs (im Sinne seiner Politischen Ökonomie) in den Provinzen um- und durchzusetzen. Vgl. Pérez Sarrión (2012: 237). 55 102 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien geringe landwirtschaftliche und industrielle Produktion nicht gedeckt werden. Literarisch und in der Gattung der sentimentalen Komödie manifestiert sich dieser aus den Fugen geratene Haushalt im Topos der domus perversa, des auf den Kopf gestellten Hauses, während das Ungleichgewicht durch die geometrische Figur des Dreiecks metaphorisiert wird, die für die Komödie gattungsprägend ist und auf der Ebene der Figurenkonstellationen zum Tragen kommt. Die klassische Figur eines triangulären Ungleichgewichts entsteht dann, wenn – das ist der in der Literaturgeschichte mithin am häufigsten anzutreffende Fall – zwei Männer um eine Frau konkurrieren und in diesem ménage à trois einer von beiden ‚zu viel‘ ist.58 Für die spanische Spätaufklärung erweist sich die felicidad pública als das Rettung verheißende Schlüsselkonzept, mit dessen Hilfe die bourbonische Reformökonomie die paradoxale Rolle des Monarchen als Herrscher und Manager auf diskursiver Ebene aufzulösen versucht: Dient das öffentliche Glück dem Souverän einerseits als Argument, die geplanten Reformen unter Verweis auf das Volkswohl voranzutreiben, gibt die Krone damit andererseits den ‚schwarzen Peter‘ dieser neu gewonnenen Verantwortung für den öffentlichen Wohlstand wieder an das Volk zurück. Es gilt nicht nur die Devise, dass jeder seines Glückes Schmied ist, sondern auch, dass sich der Einzelne in patriotischer Dienstbarkeit als Schmied am opus magnum des nationalen Glücks beteiligen müsse, wenn das von der Krone präsentierte Ziel der Reformökonomie – der Wohlstand aller – erreicht werden solle. Mit dem Konzept der felicidad pública geht also die Behauptung einer säkularen Reziprozitätsbeziehung zwischen Herrscher und StaatsbürgerInnen einher, in der der Souverän das Glück seiner Untertanen zwar verwaltet, aber nicht mehr verantwortet. 3.2. Die Diskursebene: Phasen, Einflüsse, Strömungen Die Diskurse der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts lassen sich mit Ocampo Valdés-Suárez in drei Phasen einteilen, von denen jede durch ein konkretes Problem umgetrieben wird und sich 58 Zur Dreiecksstruktur spanischer Komödien ab 1750 im Vergleich zur Vierecksstruktur der eher spielerisch angelegten Komödien eines Marivaux vgl. Schuchardt (2016). 3. Reformökonomische Diskurse 103 durch eine bestimmte Herangehensweise an die ökonomischen Herausforderungen ihrer Zeit auszeichnet.59 Die erste Phase, deren Leitfigur Jerónimo de Uztáriz (1670-1732) ist, reicht von 1700 bis 1760. In ihr sind die Projektemacherei (proyectismo) sowie der Früh- und Spätmerkantilismus zu verorten. Hier ist die dem Geiste Colberts verpflichtete Überzeugung vorherrschend, dass die heimische Wirtschaft durch protektionistische staatliche Maßnahmen geschützt und gestärkt werden muss. Paradigmatisch für den Einfluss Colberts ist Gerónimo de Uztáriz Theórica, y Práctica de Comercio, y de Marina (1724).60 Als geeignete Stellschrauben erscheinen diesem Autor legislative Maßnahmen in den Bereichen der Besteuerung, des Außenhandels und der kolonialen Rohstoffförderung. Weitere Vertreter dieser Generation von Ökonomen sind Campillo y Cossio, Gándara und Bernardo de Ulloa (1682-1740). Die zweite Phase, die von 1760-1780 reicht, und für die paradigmatisch die Texte Campomanes‘ stehen, markiert den Beginn der Politischen Ökonomie in Spanien, der aus der Rezeption ökonomischer Schriften ausländischer Autoren wie Sir William Petty (1623-1687), Vincent de Gournay (1712-1759), Honoré Gabriel de Riqueti, Comte Mirabeau (1749-1791), Richard Cantillon (1680-1734), Anne Robert Jacques Turgot (1727-1781) und französischer Enzyklopädisten wie Denis Diderot (1713-1784) oder Jean-Baptiste le Rond, genannt D’Alembert (1717-1783), resultiert. Neue Konzepte wie das Naturrecht oder das Selbstinteresse halten Einzug in den ökonomischen Diskurs, was zu einer Abkehr von der merkantilistischen Regulierungswut und zu der Überzeugung führt, dass das ökonomische Heil der Nation vielmehr in der Liberalisierung zu suchen sei. Entsprechend groß ist die Skepsis gegenüber Instanzen, die – wie etwa die Zünfte – für Traditionen stehen. Auch Privilegien und Monopolstellungen, z.B. denen der Seehäfen Cádiz und Sevilla, begegnen die Vertreter dieser Gruppe von Ökonomen mit Misstrauen. Gleiches gilt für gesetzliche Eingriffe in Preise und Märkte. Verfasser ökonomischer Traktate, die in diese 59 Für alle vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97f.). Vgl. hierzu, insbesondere hinsichtlich des Bezuges der Theórica auf den Handel mit den Kolonien, Bitar Letayf (1968: 75ff.). Vgl. außerdem Grice-Hutchinson (1978: 160ff.) und Witthaus (2012: 267). 60 104 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Phase fallen, sind Nicolás de Arriquíbar61 (1714-1779), Olavide, Enrique Ramos62 (1738-1801), Bernardo Ward, von dem nur das Todesjahr (1779) bekannt ist, und Romá i Rosell. Die dritte und letzte Phase reformökonomischer Theoriebildung in Spanien, die Spätaufklärung (Ilustración tardía), setzt 1780 ein und reicht bis weit in das 19. Jahrhundert (ca. 1830). Für sie paradigmatisch sind die Texte Jovellanos‘, aber auch die Schriften Forondas, des Conde de Cabarrús (1752-1810) und Antonio Alcalá Galianos (1798-1865). In dieser Phase erfolgt die Konsolidierung der Politischen Ökonomie durch das Konzept des in erster Linie männlich gedachten ‚Staatsbürgers‘: Dieser steht deshalb notwendigerweise im Dienst der felicidad pública, weil er seinem Selbstinteresse und damit seinem freien Willen folgt. In dieser letzten Phase, in der sich liberalistische, vereinzelt auch radikal-liberale Überzeugungen finden, werden nicht nur die Traktate französischer Physiokraten wie u.a. François Quesnay (16941774) rezipiert, sondern auch Schriften zu Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus Italien (u.a. Antonio Genovesi, 1712-176963; Gaetano Filangieri, 1752-1788), aus der Schweiz (Jacques Necker, 1732-1804), aus Deutschland (u.a. Bielfeld) sowie aus dem anglophonen Raum (u.a. Smith; Hume; Francis Hutcheson, 1694-1746). Was den Topos der decadencia española anbelangt, herrschen unter den zeitgenössischen Ökonomen zweierlei Haltungen vor: Während die erste Generation der spanischen Reformökonomen des 18. Jahrhunderts die Dekadenzthese unter Zuhilfenahme der Statistik und Arithmetik genauer analysiert und teils kritisch revidiert, leistet die zweite eine Reformulierung der Dekadenzthese, die nun unter dem Topos der spanischen Rückständigkeit gegenüber anderen Großmächten 61 Zu Arriquíbar, der selbst dem Kaufmannsstand angehört, vgl. auch Elorza (1970: 52ff.). 62 Für Elorza (1970: 48) hingegen erweist sich Ramos, der 1760 unter dem Pseudonym Antonio Muñoz seinen Discurso sobre economía política bei Joaquín Ibarra in Madrid veröffentlicht, als ein später Merkantilist. Im Gegensatz zu Gándara plädiert Ramos nicht für die wirtschaftliche Autarkie Spaniens, sondern für die Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen mit anderen Staaten, vgl. ibid. Ramos ist stark von Cantillons Essai sur la nature du commerce en général (1755) beeinflusst, plädieren doch beide dafür, dass das Verhältnis zwischen den produzierten Gütern und dem im Umlauf befindlichen Geld ausgeglichen sein müsse. Vgl. Elorza (1979: 49f.). Zudem finden sich in Ramos‘ Werk physiokratische Einflüsse. Vgl. Elorza (1979: 51). 63 Zu Genovesi vgl. Gittermann (2008: 188-202). 3. Reformökonomische Diskurse 105 weiterlebt. Reformökonomen wie Campomanes entwickeln ihre reformtheoretischen Modelle aus dem Krisendiskurs heraus, der ihnen als Antrieb zur Entwicklung wirtschaftsfördernder Konzepte und Institutionen dient, darunter die Sociedades económicas und die Werksschulen. Jovellanos hingegen versucht in seinem Informe sobre la Ley Agraria (1795) bewusst mit der Dekadenzthese zu brechen,64 die durch die Vertreter des frühen Merkantilismus begründet worden war. In diesem Zusammenhang muss allerdings eingeräumt werden, dass auch frühe Merkantilisten wie Luis Ortiz, Martín Gonzales de Cellorigo, Sancho de Moncada oder Pedro Fernández de Navarrete bemüht sind, nicht in der Klage über den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens zu verharren, sondern konkrete Vorschläge zu unterbreiten, um der negativen Entwicklung Einhalt zu gebieten.65 Inwieweit die Rede von der wirtschaftlichen Krise insbesondere der Presse des spanischen 18. Jahrhunderts – allen voran der Gattung der nach dem Vorbild der englischen Spectators modellierten Moralischen Wochenschriften (prensa moral) – als „récit fondateur“66 und Legitimation der eigenen Existenz dient, hat Christian von Tschilschke untersucht. Die spanischen Spectatores belassen es nicht dabei, die Krise nur zu konstatieren, vielmehr empfehlen sie sich selbst als Mittel zur Abhilfe.67 Bezeichnend ist dabei die Art und Weise, in der der Begriff 64 Vgl. Jovellanos (1998: 233). Im Namen der Matritense, der Ökonomischen Gesellschaft von Madrid, räumt Jovellanos hier einerseits ein, dass die spanische Landwirtschaft dringend einer Reform, insbesondere der sie betreffenden Gesetzgebung, bedürfe. Zugleich spricht er sich gegen die Dekadenzthese aus: „La Sociedad, Señor, más convencida que nadie de lo mucho que falta a la agricultura española para llegar al grado de prosperidad a que puede ser levantada, [...] lo está también de la notoria equivocación con que se asiente a una decadencia que, a ser cierta, supondría la caída de nuestro cultivo desde un estado próspero y floreciente a otro de atraso y desaliento.“ 65 Vgl. Perdices Blas, Luis (1999): „El florecimiento de la economía aplicada en España: arbitristas y proyectistas“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 451-497, hier p. 459. 66 Tschilschke, Christian von (2012a): „Conscience de crise et ‚proyectismo‘ dans les ‚spectateurs‘ espagnols“. In: Ertler, Klaus-Dieter/Lévrier, Alexis/Fischer, Michaela (eds.). Regards sur les ‚spectateurs‘. Periodical Essay – Feuilles volantes – Moralische Wochenschriften – Fogli moralistici – Prensa moral. New York et al.: Lang, pp. 197-211, hier p. 202. 67 Vgl. Tschilschke (2012a: 202). Die Krankheitsmetapher und die Selbstempfehlung der Presse als Arzt der patria sind auch in Graefs Discursos mercuriales sowie in Feijoos 106 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der ‚Krise‘ in seiner ursprünglichen medizinischen Bedeutung, nämlich als Wende zur Heilung oder zum Tod, metaphorisch zum Einsatz kommt: In den Moralischen Wochenschriften ist die Rede von Spanien als einem Patienten, den es von einer Krankheit – der Rückständigkeit – zu heilen gilt.68 Die These von der Rückständigkeit Spaniens verbreiten im europäischen 18. Jahrhundert vor allem französische Spanienreisende und Aufklärer, die philosophes, die in diesem Zusammenhang die frühneuzeitliche leyenda negra wiederbeleben.69 Die spanischen Repliken lassen auch auf reformökonomischer Ebene nicht lange auf sich warten: Begegnen die Einen den französischen Invektiven, indem sie konkrete Vorschläge für Maßnahmen gegen die von Fremden wie Einheimischen beklagte schlechte Infrastruktur unterbreiten, bekennen sich die Anderen, darunter Gándara in seinen Apuntes sobre el bien y mal de España (1762), offen zum „atraso cultural“70 Spaniens, freilich nicht ohne in patriotischer Manier die vielen Vorzüge des Vaterlandes zu benennen. Ähnlich verfährt Campomanes: In seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) greift er die Vorurteile auf, die Teatro crítico universal und im Diario de los literatos de España vorhanden. Vgl. hierzu Witthaus (2012: 284ff.): „Ein angemessener allegorischer Ausdruck dieser Zusammenhänge findet sich [bei Graef] im Motiv der Krankheit des Vaterlandes, das es dem Kritiker erlaubt, sich durch die traditionellen semantischen Überschneidungen der Kritik mit dem medizinischen Vokabular als Arzt zu präsentieren, der die Mittel zur Heilung der spanischen Nation bereitzustellen vermag.“ 68 Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26) sowie Tschilschke (2012a: 200ff.). 69 Zu den französischen Invektiven und ihren spanischen Repliken vgl. Gelz, Andreas (2022): „The Nation as Economic Agent in Spanish Eighteenth-Century Apologetic Texts“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 85-102; Tschilschke (2009); Floeck, Wilfried (1981): „Das Spanienbild der französischen Aufklärer und seine Auswirkungen auf die spanische Ilustración“. In: Iberoromania 13, pp. 62-95; Tietz, Manfred (1980): „Das französische Spanienbild zwischen Aufklärung und Romantik: Inhalte, Funktionen und Repliken“. In: Komparatistische Hefte, 2, pp. 25-41. Die Leitfigur der französischen Sticheleien ist Nicolas Masson de Morvilliers mit seiner provokanten Frage nach dem Beitrag Spaniens zur europäischen Aufklärung („Que doit-on à l’Espagne?“)“, den er in dem Artikel „L’Espagne“ seiner Encyclopédie méthodique (1782) formuliert. Vgl. dazu Tschilschke (2009: 59). Auch Montesquieu stimmt im 78. Brief seiner Lettres persanes in die Invektiven gegen Spanien ein. Darauf antwortet Cadalso mit seiner Defensa de la nación española (1768/1771). Vgl. Tschilschke (2009: 185ff.). 70 Vgl. Elorza, Antonio (1970): La ideología liberal en la Ilustración española. Madrid: Tecnos, p. 43. 3. Reformökonomische Diskurse 107 im europäischen Ausland über Spanien kursieren, etwa die den Spaniern nachgesagte Trägheit71 oder den Topos von Spanien als dem ‚Afrika Europas‘. Diesen verbindet der Minister mit der merkantilistischen Thematik der passiven Handelsbilanz Spaniens, in der die Importe die Exporte überwiegen. Campomanes führt aus, dass das Ausland die Überschüsse seiner landwirtschaftlichen Produktion in Spanien absetze.72 Wie Gándara benennt auch Campomanes die Rückständigkeit Spaniens, wenn er explizit vom „gran atraso“73 seines Heimatlandes spricht. Noch im selben Satz unterbreitet er jedoch einen Vorschlag zur Abhilfe: die staatliche Förderung einer „industria bien establecida“74. So schlägt Campomanes die Brücke zur Politischen Ökonomie, die er als Allheilmittel gegen die spanischen Gebrechen präsentiert. 3.2.1. Vom arbitrismo zum proyectismo Nicht nur der ökonomische Reformdiskurs des 18. Jahrhunderts, sondern das konzeptuelle Gerüst der spanischen Aufklärung insgesamt, fußt auf dem arbitrismo des 16. und 17. Jahrhunderts, der seinerseits bereits eine „ökonomische und politische Reformbewegung“75 ist und den Grundstein für das merkantilistische Denken in Spanien legt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass viele der in diesem Abschnitt genannten Arbitristen später als prominente Vertreter des frühen Merkantilismus figurieren. Der Begriff arbitrista bezeichnet einen intellektuellen Typus, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich den ökonomischen Herausforderungen, mit denen Spanien im 16. und 17. Jahrhundert zu kämpfen hat, auf eine bestimmte Art und Weise nähert. Mit dem arbitrismo genealogisch verwandt ist der proyectismo, d.i. die Projektemacherei des 18. Jahrhunderts. Arbitristas und proyectistas 71 Vgl. Campomanes (1975: 52): „[...] que los Españoles son perezosos.” Vgl. Campomanes (1975: 79f.): „[...] las Naciones confinantes de Europa donde se escribe de estas materias Las de África ganan sobre nuestra balanza las sumas que reciben por el sobrante de su agricultura que nos venden.” Zum Topos von Spanien als dem ‚Afrika Europas‘, das durch französische Schriftsteller und Aufklärer von Charles de Saint-Évrement (1610-1703) bis hin zu Voltaire in seinem Essai sur les mœurs et l’esprit des nations (1756) verbreitet worden war, vgl. Tschilschke (2009: 80ff.). 73 Vgl. Campomanes (1975: 79). 74 Vgl. Campomanes (1975: 79). 75 Vgl. Bolufer Peruga (2016: 166). 72 108 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien entwerfen in ihrem Versuch, den Schwächen der spanischen Wirtschaft beizukommen, ein ähnliches Programm, das sich aus drei Aspekten zusammensetzt: a) die (zahlenmäßige) Stärkung der Bevölkerung, b) die Förderung der produzierenden Sektoren Ackerbau und Manufakturwesen und c) die Stabilisierung der Kronfinanzen.76 Während der arbitrista nach kurzfristig wirksamen Mitteln zu Bekämpfung des wirtschaftlichen Niedergangs sucht, hat der proyectista, der zumeist ein Verwaltungsbeamter im Dienste der Krone ist, Zugang zu einer Fülle von Daten über das sich ihm stellende Problem, weshalb seine Lösungsansätze mehrschrittig und auf lange Sicht gedacht sind.77 Von der Warte der literarischen Erzeugnisse des 17. und 18. Jahrhunderts aus betrachtet, sind sowohl der arbitrista als auch der proyectista Verkörperungen des Scheiterns der ökonomischen Theorie an der wirtschaftlichen Praxis, werden doch die meisten der arbitristischen Schiedssprüche (arbitrios) ebenso wie die Mehrzahl der entworfenen Projekte (proyectos) dem Anspruch, probate Mittel gegen das Darniederliegen der spanischen Ökonomie zu sein, nicht gerecht. Als eine grundsätzliche Crux des Arbitrismus führt etwa MacLachlan dessen Unvermögen an, verschiedene Problemfelder in ihrer Interdependenz zu erkennen. Stattdessen konzentrieren sich die Arbitristen auf ein, maximal zwei ökonomische Aspekte, die sie jeweils isoliert betrachten.78 Dass viele arbitristische Empfehlungen mit den realen historischen und ökonomischen Gegebenheiten unvereinbar sind, hat zur Folge, dass der arbitrista in der Wahrnehmung seiner Zeitgenossen eine lächerliche Figur ist, was seine literarische Ausgestaltung als Zielscheibe der Satire etwa bei Cervantes nach sich zieht: Novelists and dramatists portray the projector79 as an elderly, dowdy, pretentious bore and busybody, at once a failure and a menace. Above all, he is that stock figure of fun, an intellectual, so deeply absorbed in his frantic 76 Vgl. Perdices Blas (1999: 487). Vgl. Perdices Blas (1999: 460). 78 Als Ausnahme von dieser Regel führt MacLachlan, vgl. (1991: 68), Miguel Álvarez de Osorio an, der zwar der Strömung des Merkantilismus zugerechnet wird (s.u.), in Bezug auf seine Ansichten zu staatlichen Interventionen aber deutlich über diesen hinausgeht. 79 Wenn hier vom „projector“ die Rede ist, meint Grice-Hutchinson (1978: 139) tatsächlich den arbitrista. Sie begründet dies damit, dass „projector“ der von den meisten englischen ÜbersetzerInnen bevorzugte Begriff für das spanische Wort „arbitrista“ sei. 77 3. Reformökonomische Diskurse 109 scribblings that he is capable of putting out his own eye with a goose-quill, almost without noticing the fact.80 Die Lächerlichkeit des Arbitristen wird durch das dem Begriff zugrunde liegende Lexem „arbitrio“ fundiert, das sich aus dem lateinischen Substantiv ‚arbitrium‘ (‚Wille‘, aber auch ‚Willkür‘) herleitet, im damaligen Spanisch so viel wie ‚Rat‘, ‚Meinung‘ oder ‚Maßnahme‘ bedeutet,81 später aber zum Synonym für absurde und lächerliche Vorschläge wird.82 Zu einem ähnlich angelegten satirischen Typus mutiert auch der Projektemacher: Auch die von ihm vorgeschlagenen Mittel zur Krisenbewältigung sind oft nicht realisierbar, nicht immer zeugen sie von Sachverstand der Ideengeber, was sich insbesondere im Bereich des Ackerbaus niederschlägt.83 Daher bleibt es auch dem proyectista des 18. Jahrhunderts nicht erspart, zur Zielscheibe literarischer Spötteleien zu werden, etwa in Luciano Comellas Saynete nuevo: El alcalde proyectista (1800-1815). Bezeichnenderweise ist der titelgebende projektemachende Bürgermeister des Stückes nicht etwa ein aufgeklärter Reformökonom, sondern er repräsentiert die durch die Reformökonomie verurteilte unaufgeklärte, sprunghafte und unreflektierte Geisteshaltung.84 80 Grice-Hutchinson (1978: 139f.). Ihr zufolge ist der Figurentypus des lächerlichen Arbitristen auf Cervantes‘ El Coloquio de los Perros (1613) zurückzuführen. Cervantes führt seine Satire in den Novelas ejemplares (1613) sowie im zweiten Band des Quijote, Kap. I (1615) fort. Mehr Beispiele für satirische Darstellungen des Arbitristen liefert Vilar Berrogain, Jean (1973): Literatura y economía. La figura satírica del arbitrista en el Siglo de Oro. Madrid: Selecta de Revista de Occidente. Zur Figur des arbitrista vgl. auch Fuente Merás, Manuel de la (2005): „Una aproximación a los ‚arbitristas‘ del siglo xvii desde la teoría de las tres capas del poder político“. In: El Catoblepas. Revista crítica del presente, 35, p. 9. Quelle: https://www.nodulo.org/ec/2005/n035p09.htm, Zugriff: 03.03.22. 81 Vgl. Grice-Hutchinson (1978: 139). 82 Perdices Blas (1999: 458). Vgl. auch Tschilschke (2012a: 203): „Le sens originel de ‚arbitrio‘ [...] a vite pris un ton le plus souvent dépréciatif, satirique, dénonçant le caractère impraticable et chimérique de la plupart des projets.“ 83 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 102). 84 Vgl. Comella, Luciano (o.J.): El alcalde proyectista. Ohne Orts- und Verlagsangabe. Quelle: http://www.cervantesvirtual.com/obra/saynete-nuevo-el-alcalde-proyectista, Zugriff: 20.05.2022. Der titelgebende Projektemacher in diesem Stück ist der zweite Bürgermeister („Alcalde 2“) einer kleinen Ortschaft. Er steht als Pars pro Toto für diejenigen, die sich unreflektiert von den neuesten Moden leiten lassen. Die Arbeit ebenso wie den Kirchgang befindet er für überflüssig. Stattdessen beruft der proyectista falsche Gelehrte, modische Gecken, italienische Sängerinnen, Friseure und Modisten zu 110 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Auf der Ebene der historisch verbürgten Projektisten des 18. Jahrhunderts ist neben Ward und seinem Proyecto económico (1765)85, in dem die Bedeutung des Geldes als Instrument der Warenzirkulation und des Kredits hervorgehoben wird,86 der Abate de Gándara zu nennen, der ein ausgewiesener Kenner der französischen Aufklärungsliteratur und im Besitz zahlreicher von der Inquisition verbotener Bücher ist.87 Ward wird uns im Folgenden als Vertreter des Spätmerkantilismus wiederbegegnen, und auch sein Beispiel zeigt, dass die Bezeichnung „Projektismus“ zwar eine bestimmte Methodik, jedoch nicht notwendigerweise eine einheitliche doktrinäre Ausrichtung meint. Was Gándara anbelangt, bezieht dieser einen Großteil seines Wissens teils aus französischen Quellen, darunter die Schriften Colberts und Jean François Melons (1675-1738), aber auch von spanischen Arbitristen des 17. Jahrhunderts wie Luis Ortiz, Sancho de Moncada und Fernández de Navarrete. Zu den zeitgenössischen Referenzen des Abtes zählen Jerónimo de Uztáriz und Bernardo de Ulloa.88 Der wiederholt anzutreffende Bezug spanischer Projektisten der Ilustración auf die Arbitristen des vorausgehenden Jahrhunderts bietet Anlass, den proyectismo des 18. Jahrhunderts als eine aufklärerische Aktualisierung des arbitrismo des 17. Jahrhunderts zu begreifen.89 Dass unter den Projektemachern viele Kronbeamte und Minister zu finden sind, zeigt nicht nur, dass ein florierendes wirtschaftliches System zunehmend als Staatsaufgabe wahrgenommen wird, sondern LehrmeisterInnen für die Dörfler. Sein Gegenspieler, der „Alcalde 1“, der mit dieser Nummerierung zugleich als der Vernünftige und Überlegene ausgewiesen wird, ruft den Projektemacher zur Ordnung. Wenn der erste Bürgermeister die Frauen ermutigt, sich daheim in der Textilproduktion zu betätigen, und die Männer anleitet, sich besser bei der Feldarbeit zu verausgaben als in der Taverne dem Müßiggang zu frönen, erweist er sich als leuchtendes Beispiel reformökonomischen Denkens und Handelns. 85 Vgl. Ward, Bernardo (1982 [1779]): Proyecto económico en que proponen varias providencias dirigidas a promover los intereses de España, con los medios y fondos necesarios para su planificación, ed. de Juan Luis Castellano. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales. 86 Vgl. MacLachlan (1991: 75). 87 Vgl. Macías Delgado, Jacinta (1988): „La cultura de un ‚proyectista‘ del siglo xviii“. In: Moneda y crédito. Revista de economía, 185, pp. 39-59. 88 Vgl. Macías Delgado (1988: 40). 89 Ähnliches formuliert Tschilschke, vgl. (2012a: 203): „Mais il convient de rappeler qu’ils [les projecteurs] prennent la relève du tandem antérieur de ‚arbitrio‘ et ‚arbitrista‘, profondément ancré dans l’Espagne des Habsbourg, au moins depuis la fin du xvie siècle.“ 3. Reformökonomische Diskurse 111 auch, dass der mit der Reformökonomie verbundene Aktionismus, der sich u.a. in einer großen Anzahl königlicher Erlasse (span.: „Reales Cédulas“) niederschlägt, mehr und mehr der Selbstlegitimation des absolutistischen Staates dient. Tschilschke zufolge ist der proyectismo des 18. Jahrhunderts sowohl ein Ausdruck für als auch eine Maßnahme gegen ein Krisenbewusstsein, das in Moralischen Wochenschriften wie dem Pensador und dem Censor zum Ausdruck kommt, d.h. in aufklärerischen Periodika, in deren Redaktionen Staatsbedienstete wie Jovellanos aktiv sind.90 Diese Interdependenz zwischen administrativer Struktur und ökonomischer Theorie erklärt den Umstand, dass weder der Arbitrismus des 17. Jahrhunderts noch die Projektemacherei des 18. die bestehende soziale Ordnung in Frage stellen, und dies, obwohl sie die in Spanien bestehenden Missstände durchaus benennen, sei es die weit verbreitete Armut und die Beschäftigungslosigkeit der unteren Schichten, sei es die Untätigkeit des Adels am oberen Ende der Gesellschaft.91 Gerade weil die agrarischen Besitzverhältnisse im absolutistischen Staat so unabänderlich feststehen, gerät das rurale und urbane Manufakturwesen als scheinbar leichter zu verändernder Wirtschaftssektor in den Fokus der Reformökonomen.92 Davon zeugen mehrere Schriften des Conde de Campomanes, etwa sein Discurso sobre la industria popular (1774) und sein Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775).93 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erscheinen die Neuauflagen der Werke spanischer Arbitristen von Sancho de Moncada (1746) über Miguel Caxa de Leruela (1773) bis hin zu Martín Fernández de Navarrete (1792; 1805). Auch hier erweist sich Campomanes als federführend, wenn er arbitristische Schriften der Vertreter der so genannten „Gruppe von Toledo“94 um Moncada, Olivares und 90 Vgl. Tschilschke (2012a). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 102). 92 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103). 93 Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103). Fuente Merás, vgl. (2005: 9), konstatiert Ähnliches in Bezug auf Campomanes‘ vierbändigen Apéndice a la educación popular (17751777). 94 Für eine Definition dieser sich aus Theoretikern und Praktikern zusammensetzenden Gruppe vgl. Perdices Blas (1997: 41f.): „El ‚grupo de Toledo‘ es un conjunto de universitarios, comerciantes y empleados de la administración local que escribieron en esa ciudad con la intención de proponer medidas contra la decadencia de la industria local, en particular de la segoviana, la manchega y la toledana.“ Als weitere Vertreter 91 112 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien González de Cellorigo im Anhang seines Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento neu ediert.95 Die Toledaner Arbitristen hatten sich mit Themen wie der Inflation aufgrund von Edelmetallimporten, dem Bevölkerungsschwund, den Herausforderungen des Ackerbaus angesichts hoher Abgaben sowie mit den Privilegien der Mesta und dem Brachliegen der einheimischen Produktion von Waren und Gütern befasst.96 Sie bringen die geringe Produktivität der verarbeitenden Gewerbe mit der seit dem Mittelalter bestehenden und sich auch im 18. Jahrhundert fortsetzenden gesellschaftlichen Ächtung der arbeitenden Schichten in unmittelbaren Zusammenhang (vgl. Kap. 7.1), die wiederum der Untätigkeit weiter Teile des landbesitzenden Adels gegenübersteht. Den Fokus, den diese Gruppe von Ökonomen auf den Sekundärsektor richtet, veranlasst Perdices Blas, ihnen einen frühen ‚Industrialismus‘97 zu attestieren, da ihre Schriften von der Erkenntnis geleitet seien, dass Produktivität allein zu Reichtum führe. Die Einnahmen aus den Edelmetallimporten hingegen brächten einen nur scheinbaren Wohlstand, weil es Frankreich, Flandern, Holland und England seien, die letzten Endes von diesen Importen profitierten, jene Länder also, in denen Rohware aus Spanien und seinen Kolonien verarbeitet und dann zu hohen Preisen wieder nach Spanien eingeführt werde. Gleiches gelte für die italienische Seidenproduktion in Genua und Venedig, Städte, die zugleich bedeutende Handelsplätze für diese Produkte seien.98 González de Cellorigo etwa beklagt 1618 die „flojedad de los nuestros y la sobrada diligencia de los extranjeros, dieser Gruppe nennt er García Herrera y Contreras, Baltasar de Medinilla, Alonso und Eugenio de Narbona, Juan Vázquez, Juan Belluga de Moncada, Garcés de Molina und Pedro Hurtado de Alcocer sowie das Ratsmitglied Jerónimo de Ceballos. Damián de Olivares ist selbst Kaufmann. 95 Vgl. Marti (2012: 264). 96 Vgl. Fuente Merás (2005: 9). 97 Vgl. Perdices Blas (1997: 35). 98 Dies konstatiert auch der italienische Gelehrte Giovanni Botero (1540-1617) in seiner Descripción de todas las Provincias, Reynos, Estados, Ciudades principales del Mundo, die 1748 neu ediert wird und deren italienische Originalfassung Perdices Blas (1997: 48ff.) zufolge großen Einfluss auf die Gruppe von Toledo und andere spanische Arbitristen hat. Botero vertritt bereits früh die Auffassung, dass das Agrarwesen ein notwendiger, aber nicht der wichtigste Wirtschaftssektor sei. Dies obliege der Industrie. Die Bedeutung des Werks Boteros für die spanischen Arbitristen sieht Perdices Blas (1997: 50) darin, dass sie erst durch Botero erkannt hätten, dass die Industrie imstande sei, das Problem der passiven Außenhandelsbilanz Spaniens zu lösen. 3. Reformökonomische Diskurse 113 por cuya industria se saca diez tanto más que las órdenes del Consejo de Guerra y Estado”.99 Damit widerspricht er jenen, die in den hohen Kriegsausgaben die Hauptursache für die spanische Wirtschaftskrise sehen. Königreiche mit potenter Industrie betrachtet er in ihrer Ambivalenz, gleichzeitig für und wider die Interessen Spaniens zu handeln: [...] por ellos en las contrataciones de las Indias, en las cuales con las cosas naturales e industriales que allá faltan atraen a España el oro y la plata que allá hay, y contra ellos porque por medio de las cosas que en estos Reinos podrían gozar por sus manufacturas hechas y labradas por no las querer hacer, aplicándose a ello.100 Damit identifiziert González de Cellorigo ebenso wie andere Toledaner Arbitristen, darunter Fernández de Navarrete und Ortiz, die Vernachlässigung des Sekundärsektors als Hauptursache der spanischen Dekadenz.101 González de Cellorigo und Fernández de Navarrete zählen zu den ersten spanischen Ökonomen, die den Wert der Arbeit und der Warenproduktion für die heimische Wirtschaft erkennen und schätzen.102 Der Gruppe von Toledo ist daran gelegen, den paradoxalen Umstand zu erklären, dass ein an Rohstoffen und Feldfrüchten so reiches Land wie Spanien mit seinen Kolonien gegenüber weniger rohstoffreichen Ländern wie Italien, Holland und Flandern 99 Vgl. González de Cellorigo, Martín de (1991 [1600]): Memorial de la política necesaria y útil restauración a la república de España y estados de ella y del desempeño universal de estos reinos, ed. José l. Pérez de Ayala. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, pp. 69f. 100 González de Cellorigo (1991: 69). 101 Vgl. Perdices Blas (1997: 37ff.) mit Bezug auf Ortiz, Luis de (1970 [1558]): Memorial del contador Luis de Ortiz a Felipe II, ed. J. Larraz. Madrid: Instituto de España, pp. 30f. 102 So bemerkt auch Eberhard Geisler in Bezug auf Cellorigo: „Erkannt zu haben, dass Wert hauptsächlich durch die auf die Warenproduktion verwendete Arbeit geschaffen wird, ist Leistung der arbitristas“. Geisler, Eberhard (2014): „Reziprozität und Gabe im spanischen Theater des Siglo de Oro“. In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs (eds.). Handel – Handlung – Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 59-93, hier p. 61. Vgl. auch Geisler, Eberhard (1981): Geld bei Quevedo. Zur Identitätskrise der spanischen Feudalgesellschaft im frühen 17. Jahrhundert. Frankfurt/Main u.a.: Lang, p. 52ff. Die spanische Übersetzung dieser Monographie ist 2013 erschienen, vgl. idem: El dinero en la obra de Quevedo. La crisis de identidad en la sociedad feudal española a principios del siglo xvii, trans. Elvira Gómez Hernández. Kassel: Reichenberger. 114 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien das Nachsehen hat. Für Arbitristen wie Caxa de Leruela (†1631) und Lope de Deza (1546-1525) hingegen gilt der Primärsektor als besonders förderungswürdig,103 während dieser für Moncada allenfalls bedingt in der Lage ist, den Wohlstand der Bevölkerung eines Landes zu garantieren.104 Die hier genannten Aspekte des frühen Industrialismus der Gruppe von Toledo sind deshalb relevant, weil Campomanes als Staatsmann und prominenter spanischer Reformökonom diese in seinem Discurso sobre la industria popular aufgreift: Wie Moncada schlägt auch er vor, Fabriken zu errichten, um die Arbeitslosen und Untätigen („la gente ociosa“) zu beschäftigen.105 Der in den Schriften der Gruppe von Toledo zutage tretende Industrialismus im Sinne eines Plädoyers für die Notwendigkeit der Förderung des Primärsektors avanciert mit Campomanes und seiner Rezeption der Arbitristen des 17. Jahrhunderts zu einer der Säulen der spanischen Reformökonomie. Der spezifische Beitrag Campomanes‘ besteht darin, dass er die wirtschaftstheoretischen Beiträge der Toledaner Arbitristen unter Einbeziehung des neuen Geistes der Politischen Ökonomie aktualisiert. Auf der Handlungsebene mündet dies, wie Kapitel 3.3.1 zeigen wird, in Erlasse zur Erweiterung des für Handwerksberufe infrage kommenden Personenkreises und in Bemühungen um die Professionalisierung der Heimarbeit durch die Schaffung geeigneter Institutionen. Damit wird der ökonomische Diskurs der Arbitristen mittels seiner Rezeption durch den Staatsmann Campomanes um das aufklärerische Ideal der Bildung (instrucción) erweitert und im Sinne der bourbonischen Politischen Ökonomie institutionalisiert. 3.2.2. Merkantilismen Wie gezeigt werden konnte, führen die Reformüberlegungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Belebung der spanischen Wirtschaft angestellt werden, keine radikale Zäsur mit den Gedanken herbei, die das vorherige Säkulum zur Erhöhung der Produktivität 103 Vgl. Perdices Blas (1997: 40). Vgl. Perdices Blas (1997: 45). 105 Vgl. Moncada, Sancho de (1974): Restauración política de España, ed. Jean Vilar. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 109. 104 3. Reformökonomische Diskurse 115 in Ackerbau, Handel und Handwerk hervorgebracht hatte. Vielmehr baut der reformökonomische Diskurs auf diesen auf und schreibt sie unter dem Einfluss der bourbonischen Politischen Ökonomie ebenso fort, wie er sie weiterentwickelt. Dementsprechend weist auch der Merkantilismus des 18. Jahrhunderts Kontinuitäten zum merkantilistischen Gedankengut des 17. Jahrhunderts auf.106 Was seine zeitliche Einordnung anbelangt, ist der Terminus „Merkantilismus“ ebenso uneindeutig wie umstritten. Begrifflich kann er sowohl eine wirtschaftstheoretische Richtung als auch praktische Maßnahmen des Staates bezeichnen,107 die in Spanien vor allem durch die Herausforderung der bereits skizzierten passiven Außenhandelsbilanz motiviert sind.108 Den spanischen Merkantilismus kennzeichnet nicht nur dessen praxisund lösungsorientiertes Denken, sondern auch die Art und Weise, in der die Berücksichtigung der kulturellen und religiösen Besonderheiten den wirtschaftlichen Diskurs beeinflusst.109 Dass der Merkantilismus im 16. und 17. Jahrhundert in ganz Europa zu finden ist, ist durch den Wettstreit der europäischen Großmächte um die militärische und wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa begründet, ein Faktor, der in der Politischen Ökonomie des späten 17. und anbrechenden 18. Jahrhunderts von zunehmender Bedeutung ist.110 So richten England und Frankreich ihre Begehrlichkeiten auf Spanien, das sich ab dem 16. Jahrhundert von einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen Konkurrenten in einen florierenden Absatzmarkt für ausländische Güter verwandelt.111 106 Vgl. Pietschmann (2005: 176). Vgl. Pérez Sarrión (2012: 104). 108 Rolf Walter hingegen betont, dass der Merkantilismus gerade „kein Lehrgebäude“ sei, sondern vielmehr der „Inbegriff“ bestimmter wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die die meisten europäischen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert vor dem Hintergrund einer als schwach empfundenen Wirtschaftsleistung vornähmen, und die je nach Land unterschiedlich ausgeprägt seien. Vgl. Walter, Rolf (42003): Wirtschaftsgeschichte. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. Köln: Böhlau, p. 22. 109 Vgl. Martín-Rodríguez, Manuel (1999a): „Subdesarrollo y desarrollo económico en el mercantilismo español“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 359-402, hier p. 368. 110 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 80ff.). 111 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 88). 107 116 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Als die ‚lange Epoche‘112 des spanischen Merkantilismus im Sinne einer theoretischen Strömung identifiziert Manuel Martín Rodríguez den Zeitraum von 1479, dem Beginn der Regentschaft der Reyes Católicos, bis 1812 als dem Moment, an dem der Liberalismus mit den Cortes de Cádiz seinen vorläufigen Kulminationspunkt erreicht. Gängig ist die Unterteilung in Früh- und Spätmerkantilismus. Werden die Frühmerkantilisten durch die Probleme der vermeintlichen Dekadenz und der Entvölkerung umgetrieben, ist der Spätmerkantilismus durch die Auffassung geprägt, dass eine aktive Handelsbilanz die Hauptquelle staatlichen Wohlstands bilde.113 Diese Auffassung kondensiert sich in der Überzeugung, dass es den heimischen Markt unter allen Umständen vor Importen aus anderen europäischen Staaten zu schützen gelte, eine Reaktion auf die bereits skizzierte Überschwemmung der spanischen und kolonialen Märkte durch die Waren europäischer Konkurrenzmächte. Anstelle der Unterscheidung zwischen Früh- und Spätmerkantilismus plädiert Luis Perdices Blas unter Rückgriff auf Jacob Viner für eine Aufteilung der merkantilistischen Strömungen nach Ländern. So unterscheidet er beispielsweise den für Frankreich charakteristischen Colbertismus von dem für den deutschen Raum prägenden Kameralismus, während der Handel den Fokus des englischen Merkantilismus bildet.114 Ausgehend von der Differenzierung zwischen Früh- und Spätmerkantilismus unterscheidet Manuel Martín Rodríguez zwei Etappen merkantilistischer Theoriebildung. Da wäre zunächst der primer mercantilismo, der mit Luis Ortiz‘ Memorial (1558) beginnt und 1700 mit der Regentschaft Carlos II. als dem letzten spanischen Herrscher aus dem Hause Habsburg endet.115 Mit dieser ersten Phase einher geht die im Spanischen mit dem Begriff des poblacionismo bezeichnete Sorge um einen Bevölkerungsschwund und den Möglichkeiten, diesem beizukommen. Obwohl ein Rückgang der spanischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert aus heutiger Sicht statistisch nicht mehr nachweisbar ist, 112 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 359), der vom „largo período” des spanischen Merkantilismus spricht. 113 Vgl. Perdices Blas (1999: 452). 114 Vgl. Perdices Blas (1999: 453) mit Bezug auf Viner, Jacob (1937): Studies of the Theories of International Trade. New York: Harper & Bros. 115 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). In einem anderen Artikel, vgl. idem (1999b), modifiziert er diese Datierung und setzt den primer mercantilismo von 1600-1724 an. 3. Reformökonomische Diskurse 117 was vor allem die zahlreichen Zensus belegen, zieht sich die Sorge um einen etwaigen Rückgang der Einwohnerzahl auch noch lange nach Ende dieser ersten Phase wie ein roter Faden durch die Schriften der Epoche, und treibt Reformökonomen wie Jovellanos116 und Campomanes ebenso um wie Literaten, darunter José Cadalso (1741-1782), den Autor der Cartas marrruecas (1789). Die Omnipräsenz des Themas der Entvölkerung fußt auf der in Giovanni Boteros Schrift Della ragion di Stato (1589)117 vertretenen Überzeugung, dass allein ein an EinwohnerInnen reicher Staat auch ein mächtiger sei, eine Haltung, die bis weit in das 18. Jahrhundert hinein fortwirkt.118 Allgegenwärtig ist der poblacionismo bereits in den Schriften der Arbitristen, die zugleich die bekanntesten Merkantilisten ihrer Epoche sind, und findet sich bei González de Cellorigo und Sancho de Moncada ebenso wie bei Saavedra Fajardo und Martínez de Mata.119 Die zweite große Etappe des Merkantilismus ist Martín Rodríguez zufolge die des ‚aufgeklärten Merkantilismus‘, der wiederum in verschiedene Zwischenetappen und Unterströmungen unterteilt ist, beginnend mit einer Phase des Übergangs („etapa de transición“120) zwischen dem ‚Frühmerkantilismus‘ (primer mercantilismo) und der Aufklärung. Während Martín Rodríguez zunächst geneigt ist, diese Zwischenetappe mit der Thronbesteigung Carlos‘ II. im Jahre 1665 anzusetzen und sie mit Bernardo de Ulloas Restablecimiento de las fábricas y comercio español121 aus dem Jahre 1740 zu beschließen,122 setzt er diese Phase andernorts mit der zweiten Regentschaft Felipes V. von 1724 bis 116 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 501). Botero, Giovanni (1593 [1589]): Della ragion di Stato / Razón de Estado. Diez libros de la razón de estado, con tres libros de las causas de la grandeza, y magnificencia de las ciudades, trans. Antonio de Herrera. Madrid: Luys Sánchez. 118 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 501f.). 119 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 503) mit Bezug auf Saavedra Fajardo, Diego de (1946 [1640]): Idea de un príncipe político cristiano representada en cien empresas. Madrid: Aguilar, p. 508; González de Cellorigo (1600), fol. 4; Moncada, Sancho de (1974 [1619]): Restauración política de España, ed. Jean Vilar. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 134; Martínez de Mata, Francisco (1971): Memoriales y discursos. Madrid: Moneda y Crédito, p. 287. 120 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). 121 Nach Ansicht von Martín Rodríguez (1999a: 362) und Grice-Hutchinson (1978: 143) bildet Ulloas Schrift den Schlusspunkt des merkantilistischen Denkens in Spanien. 122 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). 117 118 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 1746 gleich.123 Erweist sich in diesem Zeitraum einerseits die Vorstellung von der spanischen Dekadenz als hartnäckig, ist man andererseits zu der Einsicht gelangt, dass es nicht mehr darum gehen könne, die spanische Hegemonie wiederherzustellen. Stattdessen sucht man in europäischen Ländern, die sich durch ihren ökonomischen Erfolg auf den Gebieten des Handels und der Industrie auszeichnen, nach Modellen und Lösungsansätzen, die auf Spanien übertragbar sind, beispielsweise in England.124 Auch nach dem Ende dieser Übergangsphase wirkt die Orientierung an wirtschaftlichen Vorbildern aus dem Ausland fort, etwa in den von Fernando VI. beauftragten Reisen Wards, die den spanischen Ökonomen irischen Ursprungs zwischen 1750 und 1754 nach Nordeuropa führen: nach Frankreich, in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, nach Skandinavien, in das Baltikum und nach Russland.125 Die Phase einer auf wirtschaftstheoretischer und -politischer Ebene als merkantilistisch zu charakterisierenden Aufklärung, die 1740 beginnt und gegen Ende des 18. Jahrhunderts abebbt,126 ist durch deutliche Veränderungen in den traditionellen spanischen Gesellschaftsstrukturen gekennzeichnet. In dem eingangs bereits dargestellten Sinne machen sich hier Einflüsse schottischer, englischer und französischer Wirtschaftstheoretiker – z.B. Smiths Überlegungen zu Selbstinteresse und Arbeitsteilung oder Cantillons Ausführungen zum Unternehmertum – auf das merkantilistische Denken bemerkbar.127 Diese prägen wiederum den Neomerkantilismus, der von der Überzeugung geleitet ist, dass der Anteil der arbeitenden Bevölkerung erhöht werden müsse, wenn man die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit der spanischen Wirtschaft insgesamt steigern wolle.128 In diese Phase fallen die bereits zur Sprache gekommenen Erlasse zur Erhöhung der Zahl der HandwerkerInnen. Zu den neomerkantilistischen Schriften zählen neben Wards Proyecto económico (1779) auch Campomanes’ 123 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 506). Vgl. beispielsweise zum englischen Konstitutionalismus als Vorbild für Spanien Varela Suanzes-Carpegna, Joaquín (2015): „The Reception of the British Constitutional Model in Eighteenth-Century Spain (1759-1814)”. In: Astigarraga, Jesús (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 193-211. 125 Vgl. Castellano (2000: 185). 126 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). 127 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). 128 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 512). 124 3. Reformökonomische Diskurse 119 Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774), der als Gründerschrift des Neomerkantilismus gilt, sowie Romá i Rosells Las señales de la felicidad en España y medios de hacerlos eficaces (1768), Normante y Carcavillas Proposiciones de economía cívil y comercio (1795) und Miguel Dámaso Generés’ Reflexiones políticas y económicas (1793).129 Eine dritte und letzte Unterströmung des aufgeklärten Merkantilismus bildet die liberale Variante, die dafür plädiert, sich von einer Politik des staatlichen Interventionismus zu verabschieden und stattdessen den Selbstregulierungsmechanismen des Marktes zu vertrauen.130 Den doktrinären Leitgedanken bildet hier das Individualinteresse als Motor wirtschaftlichen Wachstums, getreu dem Smith‘schen Leitsatz, dass öffentlicher Wohlstand automatisch erreicht werde, wenn jedes Individuum sein Interesse verfolge.131 Wirft man einen Blick auf merkantilistische Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts, weisen die dort behandelten Themen und die unterbreiteten Vorschläge trotz der unterschiedlichen demographischen und ökonomischen Gegebenheiten Parallelen zum reformökonomischen Diskurs des 18. Jahrhunderts auf. Cristóbal Pérez de Herrera etwa plädiert bereits im 16. Jahrhundert für ein Umdenken, wenn er anregt, dass sich der Wert eines Menschen mehr an seinem ökonomischen Nutzen als an seinem Adelstitel bemessen solle.132 Auch die Debatte um die aus den Krisen des 17. Jahrhunderts resultierende Armut, das damit einhergehende Bettlertum und die Beschäftigungslosigkeit findet sich als Thema gleichermaßen in ökonomischen Schriften des 17. wie in denen des 18. Jahrhunderts.133 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzt sich die Auffassung durch, dass die vom christlichen 129 Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 513). Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 515). 131 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103). Ihm zufolge setzt sich dieser liberale Merkantilismus bis weit in das 19. Jahrhundert hinein fort. 132 Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 371) mit Bezug auf Pérez de Herrera, Cristóbal (1975 [1598]): Discurso del amparo de los legítimos pobres y reducción de los fingidos, y de la fundación y principio de los alberques destos Reynos y amparo de la milicia dellos. Madrid: Espasa Calpe. 133 Vgl. hierzu Tietz, Manfred (2022): „Poverty Between Dignity and Criminalization in Early-Modern France and Spain: Attempts to Include and Exclude the Poor“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 57-83. 130 120 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Caritasgedanken getragene Selbstverpflichtung der Wohlhabenden, sich durch Almosen einen Platz an der Tafel des Herrn zu sichern, die Untätigkeit der Armen fördere. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wird der Caritasgedanke durch eine ‚neue Arbeitsethik‘ ersetzt, an deren Verbreitung die Presse als Ort der Artikulation eines veränderten öffentlichen Bewusstseins maßgeblich beteiligt ist.134 Journalisten wie Francisco Mariano Nipho schlagen in diesem Kontext den Arbeitslohn und das Sparen als probate Mittel der Existenzsicherung vor.135 Auch die Diskussion um den wirtschaftlichen Schaden oder Nutzen von Luxusgütern und um die Frage nach den Folgen des ausgedehnten adeligen und kirchlichen Großgrundbesitzes für die einfache Landbevölkerung beschäftigt die Merkantilisten des 17. und 18. Jahrhunderts gleichermaßen. Angesichts der drängenden Finanznot der Krone mündet diese Debatte 1798 unter dem ersten Staatsminister Manuel de Godoy y Álvarez de Faria Rios Sanchez Zarzosa (1767-1851) in die Pfändung und Versteigerung kirchlicher Besitztümer (desamortización). Der bei der Bevölkerung äußerst unbeliebte und für einen luxuriösen Lebenswandel und Vetternwirtschaft berüchtigte Godoy, der nicht zuletzt durch seine Liebschaft mit Maria Luise von Bourbon-Parma (1751-1819), der Gattin Carlos‘ IV., zu politischem Einfluss gelangt, ist ein Paradebeispiel für die klientilistischen Strukturen des bourbonischen Verwaltungsapparates. 134 Vgl. Gelz (2006: 143ff.). In diesem Zusammenhang muss allerdings einschränkend eingeräumt werden, dass die Presse des spanischen 18. Jahrhunderts auch ab der zweiten Hälfte des Säkulums weniger ein freies Organ öffentlicher Meinungsbildung ist, als sie, wie Witthaus (2012: 23) anmerkt, „im Kontext eines Reformwillens steht, der stets aufs Neue und unter dem Wandel der jeweiligen Prämissen von ‚oben‘ initiiert wird“, sich also nach der jeweiligen Staatsmacht und ihrem Souverän richtet. Zur Herausbildung einer öffentlichen Meinung im Raum der Presse v.a. gegen Ende des 18. Jahrhunderts vgl. auch Fernández Sebastián, Javier (2015): „From the ‚Voice of the People‘ to the Freedom of the Press: the Birth of Public Opinion”. In: Astigarraga, Jesús (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 213-233. 135 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 104). Dies geschieht etwa 1786 in Niphos Zeitschrift La Estafeta de Londres, die der Gattung der Spectators zuzurechnen und nach dem englischen Vorbild von Joseph Addisons und Richard Steeles The Tatler modelliert ist. Zu dieser Zeitschrift vgl. u.a. Villamediana González, Leticia (2012): „La Estafeta de Londres de Francisco Mariano Nifo, otro precedente de las Cartas marruecas de Cadalso“. In: Cuadernos de Estudios del Siglo xviii, 22, pp. 165-177. Zu Nipho vgl. auch Kamecke, Gernot (2015): Die Prosa der spanischen Aufklärung. Beiträge zur Philosophie der Literatur im 18. Jahrhundert (Feijoo – Torres Villaroel – Isla – Cadalso). Frankfurt/Main: Vervuert, pp. 348ff. 3. Reformökonomische Diskurse 121 Bedeutsam sind die hier skizzierten Merkantilismen für die Zwecke dieser Studie erstens aufgrund ihrer Bemühungen, Arbeit anstelle des Adelstitels als neuen gesellschaftlichen Wert zu etablieren. Damit ist die Forderung verbunden, die vom reformökonomischen Diskurs als vasallos útiles bezeichneten arbeitenden Schichten in ihrem Nutzen für den Staat, d.h. als neue wirtschaftliche Ressource, zu erkennen,136 wie dies die Neomerkantilisten vorschlagen. Mit der Einsicht in den wirtschaftlichen Nutzen des Humankapitals einher geht 1783 der königliche Erlass, dass den zuvor der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzten HandwerkerInnen, Tagelöhnern137 und Landarbeitern nunmehr soziale Anerkennung zuteilwerden soll. Für die Zwecke dieser Studie sind die Merkantilismen zweitens hinsichtlich ihrer Bemühungen relevant, politisch auf den Konsum und die Konsumenten, vor allem aber auf Konsumentinnen einzuwirken. In colbertistischer Tradition gilt es, den Verbraucherinnen, denen merkantilistisch inspirierte Traktate einen besonderen Hang zum Kauf ausländischer Modeartikel und zur Verschwendung unterstellen, zu überzeugen, dass der Kauf von Gütern aus dem Ausland durch die Tugend der Mäßigung, der Kauf von Gütern aus dem Inland hingegen durch die Wertschätzung der heimischen Tradition geleitet sein soll. Dies läuft darauf hinaus, die Käuferinnen dazu zu bewegen, in einem Akt patriotischen Verzichts die teuren, schweren und weniger haltbaren spanischen Wollstoffe zu erwerben, statt der ebenso günstigen wie strapazierfähigen new draperies aus England oder die modisch-leichten Gazestoffe aus Frankreich. In diesem Sinne fußt der Merkantilismus nicht nur auf einer nationalistischen Grundhaltung, wie Elorza am Beispiel von Gándaras Apuntes veranschaulicht;138 er erweist sich überdies als das 136 Dieser Gedanke ist an Adams Smiths Theorie über den durch die Arbeitsteilung erreichten ‚Mehrwert‘ angelehnt, wie Smith ihn in The Wealth of Nations entwickelt. Heute würde man von ‚Humankapital‘ sprechen. Vgl. Smith, Adam (1976 [1776]): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, ed. Roy H. Campbell. Oxford: Clarendon. 137 Sofern in dieser Arbeit die männliche Form verwendet wird, handelt es sich bei der betreffenden Gruppe nach heutigem Forschungsstand nahezu ausschließlich um Männer. 138 Vgl. Elorza (1970: 45): „[...] en un pensamiento económico rigurosamente mercantilista [...] la competencia económica es considerada, a escala internacional, como estricta relación de poder entre las naciones.” In diesem Zusammenhang spricht Elorza (ibid.) auch vom „radical nacionalismo económico“ Gándaras. 122 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien doktrinäre Produkt einer Zeit, in der Kriege an der Tagesordnung sind, was dazu führt, dass auch „die Politik der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu einer Politik des Wirtschaftskrieges“139 gerät, und so zu einer Waffe im „endlosen Spiel der Machtpolitik“140 wird. Wirtschaft als Waffe im Kampf der Großmächte einzusetzen bedeutet, Importe und Exporte staatlich zu regulieren, indem man die Quoten der Exporte gemäß dem Credo einer aktiven Handelsbilanz141 möglichst hoch, die Importe dagegen durch Zölle und Einfuhrbeschränkungen und -verbote möglichst niedrig hält. Letztlich trägt das wirtschaftliche Konkurrenzverhältnis der europäischen Großmächte dazu bei, dass das Konzept der Nation zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dies geschieht wesentlich über das Instrument der Politischen Ökonomie, die bewirkt, dass kaum andere Wissensformen als die ökonomischen und die militärischen unter politischen Rahmenbedingungen eines fortwährenden Ausbalancierens der europäischen Machtverhältnisse so sehr dem Bewusstsein konkurrierender Nationen und in diesem Sinne einer Nationalisierung der Kulturen Vorschub leisten.142 Handelskriege zu führen bedeutet, die Kontrolle nicht nur über den Markt, sondern auch über jede einzelne Transaktion zu erlangen.143 Während Schumpeter dabei vor allem den Kaufmann als Wirtschaftsakteur im Blick hat, dessen Geschäfte etwa durch Stapelrechte144 der politischen Kontrolle unterstellt werden können, nimmt Pérez-García die VerbraucherInnen in den Blick, geht es bei einer konsequent betriebenen merkantilistischen Politik doch wesentlich darum, auf die 139 Schumpeter (2007: 430). Schumpeter bezieht diese ‚wirtschaftspolitische Kriegsführung‘ ausschließlich auf die merkantilistische Devisenwirtschaft, während Pérez Sarrión (2012: 121ff.) die von England und Frankreich gegenüber Spanien ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Kontext des Handelsimperialismus‘ betrachtet. 140 Schumpeter (2007: 430). 141 Schumpeter (2007: 435). 142 Witthaus (2012: 267). 143 Vgl. Schumpeter (2007: 431). 144 Zum Stapelrecht vgl. Schumpeter (2007: 431). Das Stapelrecht unterstellt die Händler dem Zwang, ihre Waren bei der Durchreise durch eine der Stapelstädte in genau dieser Stadt zum Kauf anzubieten, d.h. sie auf dem dortigen Markt „zu stapeln“. Gegen Zahlung des so genannten „Stapelgeldes“ können sich die Kaufleute von dieser Pflicht freikaufen. 3. Reformökonomische Diskurse 123 Entscheidungen des Einzelnen einzuwirken.145 Dies erklärt die im europäischen 17. und 18. Jahrhundert mit großer Polemik geführte Debatte über den Nutzen und Schaden von Luxusgütern, in deren Zusammenhang die Frage nach der Herkunft dieser Güter ganz entscheidend ist. Dass der primer mercantilismo ebenso wie seine aufklärerische Variante den bzw. die VerbraucherIn dazu zu bewegen versucht, eine im Grunde irrationale Kaufentscheidung zu treffen, wenn er ihn/sie ermutigt, heimische Produkte den im Ausland gefertigten selbst dann vorzuziehen, wenn diese in Bezug auf Qualität, Auswahl und Preisgestaltung attraktiver sind, wird durch die reformökonomische Rhetorik als eine rationale Handlung präsentiert, indem man unter Rückgriff auf das patriotische Argument erklärt, der Kauf der spanischen Waren diene dem Wohle aller, und zwar umso mehr, je mehr Individuen diesem Beispiel folgten. In den wirtschaftlichen Traktaten, aber auch in der Literatur und Presse der spanischen Aufklärung, führt die Konsumsteuerung als Instrument einer merkantilistisch inspirierten Wirtschaftspolitik zum Konstrukt des ‚ehrbaren Kaufmanns’, der erkannt hat, dass er den eigenen Profit am ehesten steigert, wenn er seine Handelsgeschäfte danach auswählt, ob sie eine Investition in das Wohl der patria, ihre Wirtschaft und ihre Individuen sind. Mit dem ehrbaren Kaufmann wird ein männlicher Idealtypus und eine Personifikation des Handels fernab der Realität konstruiert, eine fiktive Figur also, die sich stets patriotisch, in ihren (Ver-)Handlungen umsichtig und klug, aber dennoch aufrichtig und philanthrop verhält. Der Einfluss merkantilistischen Gedankenguts führt auf der Ebene der literarischen und journalistischen Produktionen des spanischen 18. Jahrhunderts aber auch zur Kreation eines aus merkantilistischer Perspektive durch und durch abschreckenden Typus. Wenn der ehrbare Kaufmann die verklärte Vermenschlichung, aber auch die Vermännlichung des Handels ist (vgl. Kap. 5), verkörpern der petimetre und sein weibliches Pendant, die petimetra146 (vgl. Kap. 9), die negative geschlechtliche Typisierung 145 Vgl. Pérez-García (2013: 31). Zur Figur des petimetre vgl. einführend Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españoles, Madrid: Síntesis, pp. 235ff. sowie, für den Bezug dieses Typs zum wirtschaftshistorischen Kontext, Hontanilla (2008) sowie Haidt (2011; 2003; 1999; 1998). Zur Figur des petimetre in der Kurzgattung des sainete vgl. Coulon, Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz. Pau: 146 124 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien exzessiven Konsums, die ebenso abschreckend wie komisch ist und eine Variante modischen Stutzertums aufs Korn nimmt, die durch den verschwenderischen Konsum ausländischer Waren bei gleichzeitiger Mittellosigkeit gekennzeichnet ist. Dies führt notwendigerweise dazu, dass die petimetres und petimetras ihren Mitbürgern im Allgemeinen und ihrer Familie im Besonderen finanziell zur Last fallen. Im Hinblick auf den seitens des merkantilistischen Zweiges der bourbonischen Reformökonomie unternommenen Versuch, insbesondere auf Verbraucherinnen einzuwirken, ist der Umstand bezeichnend, dass in der Literatur und Presse des spanischen 18. Jahrhunderts die Zahl der petimetras die der petimetres bei weitem übersteigt. Dies werden auch die hier angestellten literaturwissenschaftlichen Analysen spiegeln. 3.2.3. Französische Physiokratie und spanischer Agrarismus Während Rolf Walter als gängiges Hauptmerkmal der Physiokratie herausstellt, dass diese unter den „Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden“147 einzig den Agrarsektor als produktiv betrachtet,148 weil dieser die alleinige Quelle des Reichtums eines Staates sei,149 weisen Lluch und Argemí Definitionen dieser Art als Allgemeinplatz zurück.150 Stattdessen identifizieren sie – nicht weniger allgemein – einen rigiden konzeptuellen und begrifflichen Apparat als Erkennungszeichen dieser Schule. Dieses theoretische Fundament wird von Université de Pau, pp. 419ff. Zu petimetre und petimetra im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts vgl. Schuchardt, Beatrice (2014): „Von petimetres und petimetras. Strukturen von Ökonomie und Verschwendung in Moratíns La petimetra (1762) und Iriartes El señorito mimado (1787)“. In: eadem/Urban, Urs (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 269-282. 147 Walter (2003: 35). 148 Der Grund dafür ist ebenso simpel wie einleuchtend und wird von Marti (1997: 197) auf die Formel gebracht, dass der Bauer eben mehr ernte als er sähe, da aus jedem Korn eine Ähre mit mehreren Körnern entstehe. Sowohl im Handwerk als auch in der Rohstoffförderung bringt der Arbeitsprozess selbst hingegen keine Vermehrung des an sich schon vorhandenen (Roh-)Materials hervor. 149 Vgl. Schumpeter (2007: 313). 150 Vgl. Lluch Martín, Ernest/Argemí d‘Abadal, Lluís (2000): „La fisiocracia en España”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 709-719, hier p. 709. 3. Reformökonomische Diskurse 125 den Physiokraten in nahezu „sektiererischer“151 Manier verteidigt, ein Vorwurf, den sich die Gruppe schon von ihren zeitgenössischen Kritikern gefallen lassen muss, und der sich entsprechend auch in der Forschungsliteratur wiederfindet.152 Konkreter als die Definition Lluchs und Argemís ist Jesús Astigarragas Zusammenfassung der prägnantesten Merkmale der Physiokratie: die Dreiteilung der Gesellschaft in eine produktive Klasse (Pächter) sowie in eine sterile (Handel; Handwerk; Industrie) und eine landbesitzende (propriétaires);153 ein Verständnis von landwirtschaftlichen Erträgen als Nettoerlös (produit net), was zur Folge hat, dass nach Auffassung der Physiokraten allein die reine Bodenrente, d.h. die Einnahmen der Pächter und Großgrundbesitzer, besteuert werden sollen (impôt unique), nicht aber Einkommen oder Umsätze aus Verkäufen.154 Wenn sich die physiokratischen Überlegungen ausschließlich am landwirtschaftlichen Großbetrieb (grande culture) orientieren,155 dann deshalb, weil sie diesen im Vergleich zu den Minifundien als effizienter betrachten und die Erträge größer sind. Dem Merkantilismus steht die Physiokratie ebenso kritisch gegenüber wie Monopolen in Handel und Industrie,156 weshalb sie für den Freihandel plädiert und insgesamt einer Wirtschaftspolitik des laissez faire den Vorzug gibt. Wenn die Gesetzgebung einschreiten muss, darf dies allein zum Wohl der Landwirtschaft geschehen. Um deren Erträge zu erhöhen, sprechen sich die Physiokraten außerdem für die Vermittlung agrartechnischen Wissens an die Pächter aus, befürworten aber auch, dass diese insgesamt über eine solide Allgemeinbildung verfügen sollten. Auch die gesellschaftliche Wertschätzung körperlicher Arbeit ist den Physiokraten, wie schon den Merkantilisten vor ihnen, 151 Lluch/Argemí (2000: 709), meine Übersetzung. Vgl. Marti (1997: 186). 153 Die Arbeiterschaft kann, wie Schumpeter (2007: 308) ausführt, entweder als vierte Klasse betrachtet oder der zweiten und dritten Klasse zugeordnet werden. Wichtig für das Verständnis der „Klassen“ im physiokratischen Sinne ist, dass diese keine soziologischen „Entitäten“ sind, sondern vielmehr ökonomische Gruppen im statistischen Sinne. 154 Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 490). 155 Dabei gehen die Physiokraten, allen voran Quesnay, nicht etwa von einem ausgebeuteten ländlichen Proletariat, sondern von einem intelligenten und unternehmerisch aktiven Pächterstand aus. Vgl. Schumpeter (2007: 303). 156 Schumpeter (2007: 297) spricht diesbezüglich von der „Feindschaft der Physiokraten gegenüber jeglicher Art von Privilegien“. 152 126 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ein Anliegen.157 Ein weiteres wichtiges Element der französischen Physiokratie, das spanische Liberalisten wie Cabarrús aufgreifen, ist ihr Plädoyer für den Schutz des Privateigentums, das sie aus dem Naturrecht herleiten.158 Diese Forderung macht sich Cabarrús in seinen Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública (1795) zu eigen. Die meisten der hier genannten Prämissen der physiokratischen Lehre gehen auf Richard Cantillon (1680-1734) und François Quesnay (1694-1774) zurück, die beiden Hauptbegründer der Physiokratie in Frankreich, wobei insbesondere Quesnay hier als Referenzpunkt dienen soll, der Autor des Tableau économique ist (31758).159 Ihm attestiert Schumpeter einen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der ökonomischen Analyse.160 Quesnay ist überdies Autor der Encyclopédie-Artikel „Fermiers“ (1756) und „Grains“ (1757) sowie der Abhandlung Despotisme de la Chine (1767)161, in der er das chinesische Staatsund Wirtschaftssystem mit der Begründung zum Vorbild für Europa erklärt, dass die chinesischen Kaiser in exemplarischer Art und Weise naturrechtlichen Prinzipien folgten.162 Für unsere Untersuchung 157 Vgl. Perdices Blas, Luis (2000): „Agronomía y fisiocracia en la obra de Pablo de Olavide”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 275-302, hier p. 277. 158 Vgl. Cabarrús (1813). Für das Privateigentum als zentraler Aspekt der physiokratischen Lehre vgl. Chevalier, Marie Jean (1984): Introduction à l‘analyse économique. Paris: La Découverte. 159 Quesnay veröffentlicht zwischen 1758 und 1759 drei Fassungen des Tableau économique, von denen hier auf die letzte von 1759 verwiesen werden soll. 160 Vgl. Schumpeter (2007: 310f.). Auch Gömmel/Klump (1994: 65) betonen, dass Quesnays Modell den ersten einheitlichen Analyserahmen zur Erfassung des Wirtschaftskreislaufes und der wirtschaftlichen Entwicklung bereitstellt. Kernaussage des Tableau ist, dass alles, was die Pächter an Kapital erhalten, verdoppelt wird. Vgl. Schumpeter (2007: 306f.). Mit dem Tableau untermauert Quesnay seine These, dass die Bodenrente den einzigen Nettoertrag darstelle. 161 Dieses Werk ist seinerseits ein Plagiat des mit La Chine betitelten vierten und fünfte Bandes von Jacques Philibert Rousselot de Surgys Mélanges intéressants et curieux, X vols (1763-1765). Paris: Durand. 162 Vgl. Shi, Zhan (2007): „L’image de la Chine dans la pensée européenne du xviiie siècle: de l’apologie à la philosophie pratique“. In: Annales historiques de la Révolution française, 347, pp. 93-111, hier p. 103. Voltaire wendet sich gegen die Despotismuskritik Charles de Secondat, Baron de Montesquieus (1689-1755), die dieser in L’esprit des lois (1748) am Beispiel Chinas dargelegt hatte. In China herrscht für Montesquieu eine besonders rigide Form des Despotismus vor, die es in Frankreich zu verhindern gelte. 3. Reformökonomische Diskurse 127 literarischer Verkörperungen einzelner Wirtschaftssektoren in Komödien der spanischen Spätaufklärung ist China als Referenzpunkt und Topos der physiokratischen Lehre deshalb relevant, weil es den Mythos vom ackerbauenden Monarchen begründet, den Comellas Theaterstück El buen labrador (1791) aufgreift (vgl. Kapitel 7.7.1).163 Prägend für die Idealisierung der chinesischen Kultur durch die europäische Aufklärung insgesamt ist die Sinophilie Gottfried Wilhelm Leibniz‘ (1646-1716) und Pierre Bayles (1647-1706) sowie der 1756 mit dem Essai sur les moeurs et l’esprit des Nations unternommene Versuch Voltaires, seinen Deismus mithilfe des Konfuzianismus zu untermauern, eine Religion, der er eine besondere Rationalität zuschreibt.164 Das positive Chinabild, das unter französischen und englischen Intellektuellen schon im 17. Jahrhundert kursiert, nimmt seinen Ausgang von Berichten spanischer und portugiesischer Jesuiten.165 Die jesuitische Schule des Figurismus, die von nach China entsandten katholischen Montesquieu stützt sich im Gegensatz zu Voltaire auf Informationen aus erster Hand, die er u.a. von dem Chinesen Huang Jialue erhält, den er 1713 in Paris kennenlernt. Überdies konsultiert er im Handel mit China erfahrene Kaufleute, die das Land durch ihre Reisen kennen. Vgl. Shi (2007: 105ff.) mit Bezug auf Montesquieu, Louis Sécondat de (1951): De l’esprit des lois. In: Œuvres complètes, vol. II., ed. Roger Caillois. Paris: Gallimard, p. 239. Obgleich Montesquieu das positive Chinabild seiner Zeitgenossen kritisch hinterfragt, konstruiert auch er ‚sein China‘, wenn er sein Gedankengerüst okzidentaler Prägung auf die fremde Kultur überträgt. 163 Der Umstand, dass nur eine der hier untersuchten Komödien auf China als einen Topos rekurriert, der vor allem in physiokratischen Schriften zu finden ist (vgl. Kapitel 7.7.), scheint Martis Eindruck von der geringen Verbreitung der Physiokratie in Spanien einmal mehr zu bestätigen. Vgl. Marti (1997: 187f.): „[...] il semble que lest textes des physiocrates furent [...] peu diffusés.“ 164 Vgl. Shi (2007: 98f.) mit Bezug auf Voltaire (2009 [1756]): Essai sur les mœurs et l’esprit des Nations. In: The Complete Works of Voltaire, vol. XXII, 2. Oxford: Voltaire Foundation, Kapitel 1 und 2: „De la Chine“. 165 Der erste euphemistische jesuitische Bericht über China ist die Historia del gran reyno de la China (1585) von Juan González de Mendoza (1545-1615). Es folgen die zunächst lateinische, später die französische Fassung De Christiana Expeditione apud Sinas (1615) von Pater Nicolas Trigault (1577-1628) sowie die Histoire universelle de la Chine (1667) des portugiesischen Paters Álvarez Semedo (1585-1658), ein Werk, das erstmalig 1742 auf Spanisch erscheint. Louis XIV entsendet 1684 eine jesuitische Expedition nach China, was das Interesse des französischen Adels und der Kronbeamten an der chinesischen Kultur und der politischen Struktur dieses Staates steigert. Eine weite Verbreitung in gebildeten Kreisen findet das Kollektivwerk Confucius Sinarum Philosophus (1687) unter der Leitung von Philippe Couplet, das ins Französische (1688) und Englische (1691) übersetzt wird. Einsichten in das wirtschaftliche und politische System 128 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Missionaren begründet worden war, unterstellt der chinesischen Kultur christliche Wurzeln.166 Ganz im Sinne der Fremdheitstheorie Bernard Waldenfels‘ macht sie das Fremde damit zum Suchbild des Eigenen,167 was zu einer euphemistischen Darstellung von Land, Leuten, Politik und Religion führt. Diesem Prinzip folgen Quesnay und die Physiokraten168, wenn sie den chinesischen Despotismus zu einer aufgeklärten und besonders rationalen Form des europäischen Absolutismus erheben.169 Dass Quesnay den monarchistischen Absolutismus in „unkritischer und unhistorischer Weise“170 zum Dreh- und Angelpunkt seiner Staatstheorie macht, bietet den durch die absolutistische Monarchie beauftragten spanischen Reformökonomen willkommene Anknüpfungspunkte.171 Dennoch ist anzumerken, dass das physiokratische Gedankengut in Spanien vergleichsweise spät und nicht auf breiter Ebene rezipiert wird, sodass sich in Spanien kaum Reformökonomen finden, die dieser Lehre in ihrer ursprünglichen Form anhängen. Physiokratisches Gedankengut in Reinform identifiziert Astigarraga allenthalben im Discurso zu J. Álvarez Guerras Übersetzung des Discours complet d’agriculture, einem Traktat aus der Feder des französischen Agronomen François Rozier (1734-1793).172 Der mit den Chinas vermitteln überdies die Nouveaux mémoires sur l’état présent de la Chine (1696) des Paters Louis Lecomte (1655-1728). Vgl. für alle Shi (2007: 95). 166 Vgl. Shi (2007: 98f.). Sehen die Figuristen den Konfuzianismus als eine Form des christlichen Glaubens, ist er für Voltaire (1694-1778) eine Variante des Deismus. Dabei interpretiert Voltaire die Werte der französischen Aufklärung in China und den Konfuzianismus hinein. Vgl. Shi (2007: 101f.). 167 Vgl. Waldenfels, Bernhard (2006): Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 168 So auch Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Comte de Mirabeau (1715-1789), der das Tableau économique in seiner Totenrede auf Quesnay als eine Veranschaulichung konfuzianischen Denkens preist. Vgl. Shi (2007: 104) mit Bezug auf Zhu, Qianzhi (1999): The Influence of Chinese Philosophies on Europe. Hubei: People’s Press of Hubei, p. 325. 169 Vgl. Shi (2007: 102). 170 Schumpeter (2007: 296). 171 Auch für Marti (1997: 185ff.) ist unbestritten, dass Quesnay einen gewissen Einfluss auf die spanische Reformökonomie hat, den er allerdings als nicht allzu groß bewertet. 172 Vgl. Astigarraga, Jesús/Usoz, Javier (2008): „Algunas puntualizaciones en torno a la fisiocracia en la Ilustración tardía española“. In: Revista de Historia Económica / Journal of Iberian and Latin American Economic History, 3, pp. 489-498, hier p. 489. 3. Reformökonomische Diskurse 129 Machado-Brüdern entfernt verwandte Politiker Álvarez Guerra (17701845), der ebenso wie Foronda, Cabarrús und Salas Verfechter einer späten und radikaleren Variante der spanischen Aufklärung ist,173 teilt mit den Physiokraten immerhin die Basiselemente ihrer Lehre. Die vergleichsweise geringe Resonanz, auf die die Physiokratie in Spanien trifft, ist auch den mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgenden Übersetzungen geschuldet: Zwar erscheint Serafín Trigueros‘ auf einem Text von Quesnay basierende Disertación sobre el cultivo de trigos bereits 1764,174 und damit in der Hochphase der Physiokratie in Frankreich, die Perdices Blas auf den Zeitraum zwischen 1763 und 1770 datiert.175 Allerdings lässt die Übersetzung der Maximes générales du gouvernement d’un royaume agricole (1759), einer gemeinsamen Arbeit Quesnays und Mirabeaus, die durch den argentinischstämmigen Manuel Belgrano ins Spanische übertragen wird, auf sich warten und erscheint erst 1794 unter dem Titel Máximas generales del gobierno de un reino agricultor.176 Pedro Dabout, ein Gefolgsmann Campomanes‘, trägt durch seine 1774 erfolgende Übersetzung des Essai sur l’améloriation des terres (1765) des Agronomen Henry Pattullo177, der seinerseits Ideen aus Quesnays Encyclopédie-Artikel „Hommes“ aufgreift, mittelbar zur Verbreitung des Gedankenguts Quesnays in Spanien bei.178 Dabouts Übersetzung veranlasst wiederum Campomanes, von der Veröffentlichung seines eigenen Discurso sobre la agricultura abzusehen. Campomanes selbst ist kein Adept der physiokratischen Schule, vielmehr übernimmt er von ihr einzelne Elemente, während er andere kritisiert, so in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular 173 Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 495). Vgl. Marti (1997: 187). Der vollständige Titel des Werkes lautet Disertación sobre el cultivo de trigos que la Academia de Agricultura de la ciudad de Berna premió en el año 1760. Das Original ist zwar von Mirabeau unterzeichnet, stammt aber wahrscheinlich von Quesnay. 175 Vgl. Perdices Blas (2000: 283). 176 Vgl. Marti (1997: 187). Belgrano ist es auch, der Quesnays „Analyse du gouvernement des Incas du Perou“ (1767) in einer Rede vor dem Kongress von Tucumán plagiiert. Vgl. Lluch/Argemí (2000: 710f.). 177 Dieser ist, wie Lluch Martín & Argemí d’Abadal (2000: 711) mutmaßen, irischer Herkunft. Marti (1997: 196) hingegen bezeichnet ihn als Franzosen mit schottischen Wurzeln. 178 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 711). 174 130 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien (1774).179 Dort erhebt er zwar den Ackerbau zur Basis der felicidad pública, räumt aber unter Rückgriff auf Moncada ein, der Primärsektor allein sei nicht in der Lage, ein ganzes Volk zu ernähren.180 Während Lluch und Argemí die physiokratischen Einflüsse auf die spanische Reformökonomie als nur partiell einstufen,181 weist Llombart Rosa darauf hin, dass Bekanntheitsgrad und Einfluss der Physiokratie auf die spanische Reformökonomie größer seien, als gemeinhin angenommen.182 Dieser Ansicht widerspricht Astigarraga mit Verweis auf den Umstand, dass zwischen 1764 und 1823 von den zahlreichen französischen und englischen Physiokraten nur fünfzehn ins Spanische übersetzt worden seien.183 Unbestritten ist, dass der komplexe theoretische Apparat der französischen Physiokratie, den Lluch und Argemí als Hauptmerkmal der Schule identifizieren, die spanische Rezeption erschwert: Zum einen kann die Physiokratie in Spanien auf keine doktrinäre Tradition zurückgreifen, zum anderen läuft ihre theoretische Schwerpunktsetzung dem pragmatischen Charakter der spanischen Aufklärung entgegen.184 Elemente physiokratischer Theoriebildung, die in Spanien Anklang finden, sind daher konkrete Vorschläge zur Lösung einzelner Probleme, wie sie bereits der Arbitrismus des 17. Jahrhunderts bereitgestellt hatte. Marti plädiert mit Lluch und Argemí185 dafür, die anwendungsbezogene und auf die konkreten spanischen Verhältnisse übertragene Rezeption der Physiokratie in Spanien als „agrarismo“ zu bezeichnen und diesen als ein staatliches Maßnahmenpaket zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge 179 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 711). Die Übersetzung des Werks des französischen Agronomen Henri-Louis Duhamel du Monceau (1700-1782) ins Spanische wird durch Campomanes veranlasst. 180 Vgl. Campomanes (1975: 50). 181 Vgl. Lluch/Argemí d (2000: 715). Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Marti (1997: 188; 191). 182 Vgl. Llombart Rosa, Vicent (1995): „Market for ideas and reception of Physiocracy in Spain: some analytical and historical suggestions“. In: European Journal of the History of Economic Thought, 1, pp. 29-51. 183 Vgl. Astigarraga, Jesús (2005): „La Fisiocracia en España: los Principes de la législation universelle (1776) de G. L. Schmid d’Avenstein”. In: Historia Agraria, 37, pp. 545-571, hier p. 547. 184 Vgl. hierzu auch Perdices Blas (2000: 279): „[...] los españoles no utilizaron ni comprendieron la teoría económica ni las herramientas analíticas de los fisiócratas.” 185 Vgl. Argemí, Lluis/Lluch, Ernesto (1985): Agronomía y fisiocracia en España (17501820). Valencia: Instituto Alfons el Magnànim, p. 97. 3. Reformökonomische Diskurse 131 zu definieren.186 Mit Moncada und Campomanes geht der Agrarismus von der Annahme aus, dass der Ackerbau ein bedeutsamer, aber nicht der wichtigste Wirtschaftssektor sei.187 Während Marti der Regierungszeit Carlos III. einen „interventionistischen Agrarismus“ attestiert, der durch Maßnahmen wie die Abschaffung der tasa de granos gekennzeichnet sei, sieht er mit der Thronbesteigung Carlos IV. den Beginn einer liberalistischen Phase eingeläutet, die durch das physiokratische laissez faire beeinflusst sei, was wiederum die Ausbreitung liberalistischen Gedankenguts in Spanien begünstigt habe.188 Während Marti die Physiokratie als abstraktes, theoretisches und dogmatisches Konstrukt französischer Intellektueller ausweist, identifiziert er den „merkantilistischen Agrarismus“189 in Spanien als eine auf 186 Zum Unterschied zwischen „Agrarismus” (frz.: agrarisme, meine Übersetzung), ein Terminus, den Marti für Spanien dem Begriff der „Physiokratie“ vorzieht, und „Agronomie“ (frz.: agronomie, meine Übersetzung) vgl. Marti (1997: 193): „Si l’on devait utiliser des catégories modernes de classification, l’agronomie appartiendrait aux sciences exactes, puisqu’elle utilise la physique, la chimie, la biologie, la météorologie, etc. L’agrarisme serait classé dans les sciences humaines, comme l’économie, car c’est avant tout une perspective de l’analyse des faits et des mécanismes économiques. L’agronome est un technicien alors que l’agrariste est un penseur pragmatique.“ Lluch/ Argemí (2000: 717) zufolge verhalten sich Agronomie und Physiokratie zueinander komplementär, da beide eine neue, im Grund kapitalistische Ordnung errichten wollen, deren Basis die Landwirtschaft ist. Kapitalistisch ist diese deshalb, weil sie auf dem Prinzip des landwirtschaftlichen Großbetriebs basiert. Während sich die Physiokratie mit der theoretischen und rechtlichen Basis als Voraussetzung für die Instaurierung dieses System befasst, geht es in der Agronomie um die technische Komponente, d.h. um konkrete Anbaupraktiken. Einer der mithin bekanntesten französischen Agronomen ist Monceau, einer der prominentesten anglophonen Henry Jethro William Tull (1674-1741), zugleich Namensgeber der gleichnamigen britischen Rockband. Tulls Überlegungen beeinflussen ihrerseits Monceau. Zu den Agronomen zählt auch Thomas Hale, von dem allein das Todesjahr (1759) bekannt ist. Auf Resonanz im spanischen Agrarismus stoßen Monceau und Tull insbesondere bei Olavide, der die von ihnen vorgeschlagenen Techniken zur Verfeinerung der Erde, zur Parzellierung und zur Pflanzung in Saatreihen in seinem Projekt zur Besiedelung der Sierra Morena umsetzt. Vgl. Perdices Blas (2000: 291f.). 187 Vgl. Marti (1997: 192), der anhand von Zitaten aus konkreten Werken darlegt, inwiefern Reformökonomen von Ward über Floridablanca bis hin zu Campomanes und Jovellanos diese Auffassung teilen. 188 Vgl. Marti (1997: 192) auf der Basis von Argemí/Luch (1985: 47f.). 189 Auch diesen Begriff bezieht Marti von Argemí/Lluch (1985). Auch Perdices Blas (2000: 275) plädiert für den Begriff des „agrarismo mercantilista“ und rückt damit ebenfalls den Protektionismus in den Vordergrund, durch den die spanische 132 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien den Primärsektor ausgerichtete und empirisch basierte Praxis spanischer Regierungsbeamter.190 Wie für die spanische Reformökonomie insgesamt typisch, gehe es auch bei dieser politischen Praxis darum, die übrigen Wirtschaftssektoren in die reformökonomischen Überlegungen einzubeziehen, ein Ansatz, der auf Wards Proyecto económico zurückgehe.191 Von der Überzeugung, dass sich die verschiedenen Wirtschaftszweige komplementär zueinander verhalten, zeugt auch der von Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) gemachte Vorschlag, die Feldarbeit und die Produktion von Textilien dergestalt in Einklang zu bringen, dass die Fertigung in Heimarbeit und im Winter als der Phase des Jahres stattfinde, in der der Ackerbau ruht.192 Ähnlich wie Marti unterscheidet auch Jesús Astigarraga eine erste, in den 1760er und 1770er Jahren angesiedelte Phase der partiellen Rezeption analytischer und normativer Ansätze der Physiokratie in Spanien, in der Ökonomen wie Xavier María de Munibe e Idiáquez, Conde de Peñaflorida (1729-1785), Arriquíbar, Olavide und Campomanes das eigene Reformprogramm durch Versatzstücke physiokratischen Gedankenguts argumentativ zu stützen suchen.193 Die Rezeption der Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft im 17. und 18. Jahrhundert wirtschaftstheoretisch und politisch geprägt ist. 190 Vgl. Marti (1997: 191). Merkantilistisch ist der spanische Agrarismus deshalb, weil sich die reformökonomischen Maßnahmen eben auf eine Regulierung des Handels mit Cerealien beschränken. 191 Vgl. hierzu Llombart Rosa (2000: 21). In Wards Proyecto económico ist die Rede davon, dass Ackerbau, Industrie und Handel Hand in Hand gehen („se dan la mano“). Vgl. hierzu den „Discurso preliminar“, p. XVII. Die bibliographische Angabe bezieht sich auf die Originalausgabe von 1779. 192 Vgl. Campomanes (1975: 55). Auch Arriquíbar spricht in seiner Recreación política (1779) von einer Interdependenz von Ackerbau, Kirche, Staat und den „artes personales“, das sind das Handwerk und die Industrie, wobei der Industrie insofern die größte Bedeutung zukommt, als die ersten drei von ihr abhängen. Arriquíbar spricht wörtlich von einer „cadena de dependencias, consumos y ocupaciones“. Vgl. Elorza (1970: 53f.) mit Verweis auf Arriquíbar, Nicolás (1779): Recreación política. Primera parte. Vitoria: Tomás de Robles y Navarro, p. 47. 193 In dieser Phase wird laut Astigarraga (2005: 566) vor allem Mirabeaus L’ami des hommes ou traité de la population (1759) rezipiert, dessen großen Einfluss auf Olavide Perdices Blas (2000: 286f.) nachweist. Ihm zufolge wurde Mirabeaus Schrift ihrerseits stark von Cantillons Essai beeinflusst. Auch Jovellanos gibt in seinem Elogio a Carlos III Mirabeaus L’ami des hommes als eine seiner Quellen an. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 100). 3. Reformökonomische Diskurse 133 Physiokratie ab den 1780er Jahren zeichnet sich hingegen durch Debatten über die Frage nach dem für das Reformprogramm geeigneten politischen Rahmen aus.194 Die Rezeption des britischen Konstitutionalismus, der Schriften Montesquieus und der republikanischen Ideen Filangieris und Gabriel Bonnot de Mablys (1709-1785) leitet jene liberalisierenden Prozesse ein, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den Cortes de Cádiz führen,195 bildet doch das Naturrecht die gemeinsame Grundlage der spanischen Vertreter des Liberalismus.196 Diese naturrechtliche Basis der Physiokratie mit den Aspekten Privateigentum, Sicherheit und Freiheit instrumentalisieren die Regierungsbeamten des aufgeklärten Absolutismus ihrerseits, um Ökonomie und Politik aneinander zu koppeln und so die Politische Ökonomie als Regierungstechnik zu etablieren.197 Aufgrund der unterschiedlichen klimatischen und geographischen Herausforderungen, mit denen sich die spanische Landwirtschaft im Gegensatz zur französischen konfrontiert sieht,198 sind die meisten in Spanien aufgegriffenen praktischen Vorschläge der französischen Physiokraten auf das teils aride, teils mediterrane Klima der Iberischen Halbinsel nicht übertragbar und können allenfalls in Kantabrien Anwendung finden.199 Der Vorschlag französischer Physiokraten, das Pflügen sei mit Pferden zeitsparender zu bewältigen als von Hand, wird für den spanischen Kontext angepasst, indem man Ochsen 194 Vgl. Astigarraga (2005: 566). Vgl. Astigarraga (2005: 567). 196 Zu Foronda und seiner partiellen Rezeption des Werks des späten Physiokraten Guillaume Grivel, der eine Brücke zwischen der absolutistischen Basis der physiokratischen Lehre und dem antiabsolutistischen Liberalismus Forondas schlägt, vgl. Lluch/Argemí (2000: 712). In eine liberalistische Richtung weist auch eine 1820 von Juan del Castillo y Carroz übertragene Abhandlung Paul-Pierre Mercier de la Rivières (1720~1793/94), die unter dem spanischen Titel El orden natural y esencial de las sociedades políticas erscheint und basierend auf Locke den Schutz des Privateigentums und die Freiheit als Basis für eine blühende Gesellschaft preist. Vgl. Lluch/Argemí (2000: 716). Auch hier dient der chinesische Despotismus als Vorbild, dem ein System autonomer Magistraturen zugeschrieben wird, die zwar durch den König bestimmt werden, aber letztlich eigenständig handeln. 197 Vgl. Astigarraga (2005: 567). 198 Dies betrifft die Gegebenheit von trockenen und feuchten Klimazonen, den zonas áridas und den zonas húmedas. 199 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 712f.). 195 134 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vorschlägt, die billiger und leichter verfügbar sind.200 Des Weiteren werden vor allem im ausgehenden 18. Jahrhundert der Vorschlag einer Reform zur Einheitssteuer und die Einführung neuer Agrartechniken diskutiert.201 Auch wenn Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1795),202 in dem wiederholt auf die Bedeutung des Primärsektors verwiesen wird, zuweilen eine gewisse Nähe zur Physiokratie unterstellt wurde, weil Jovellanos empfiehlt, sich mit der technischen, d.h. mit der agronomischen Seite der Landwirtschaft zu befassen,203 teilt die Schrift weder die physiokratische Überzeugung von der Überlegenheit des Agrarsektors über die übrigen Wirtschaftszweige noch die Vorliebe der Physiokraten für Latifundien.204 Aus dem Geiste seiner Kritik an den kirchlichen Majoratsgütern heraus, die es in den Augen des asturischen Reformökonomen abzuschaffen gilt, argumentiert Jovellanos vielmehr, dass von den Großgrundbesitzern selbst bewirtschaftete Flächen in der Regel weniger ertragreich seien als die von Pächtern beackerten. Seine Präferenz für kleine, durch Kleinbauern und Tagelöhner bewirtschaftete Parzellen, teilt Jovellanos mit Campomanes 200 Möller verweist in diesem Zusammenhang auf den 1781 in der Moralischen Wochenschrift El Censor abgedruckten zweiundzwanzigsten Diskurs. Dabei handelt es sich um den fiktiven Leserbrief eines englischen Spanienreisenden, der unter anderem kolportiert, dass die Spanier zum Pflügen Maultiere statt der effizienteren Bullen einsetzen. Vgl. Möller (2019: 135) mit Bezug auf Anonymus (2011 [1781]): „Discurso Vigesimosegundo“. In: El Censor, 1, 22, pp. 333-348, eds. Klaus-Dieter Ertler & Elisabeth Hobisch. Die „Spectators“ im internationalen Kontext. Digitale Edition. Graz: Universität Graz. Quelle: http://gams.uni-graz.at/archive/get/o:mws-096-343/sdef:TEI/get, Zugriff: 24.05.2022. 201 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 713f.). 202 Der vollständige Titel der Abhandlung lautet Informe de la sociedad económica de Madrid al Real y Supremo Consejo de Castilla en el expediente de ley agraria, extendido por su individuo de número el señor don Gaspar Melchor de Jovellanos, a nombre de la junta encargada de su formación, de Gaspar Melchor de Jovellanos. Empfehlenswert ist neben der von Guillermo Carnero herausgegebenen Cátedra-Ausgaben des Informe von 21998 und 32007 auch die hier vielfach zitierte, von Vicent Llombart Rosa und Joaquín Ocampo SuárezValdés (2008) edierte Gesamtausgabe der ökonomischen Schriften Jovellanos‘ als Teil der Obras completas, vol. X: Escritos económicos. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii. 203 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714). 204 Dies zeigt auch Ocampo Suárez-Valdés (2010: 105). 3. Reformökonomische Diskurse 135 und Olavide.205 Zudem ist eine gedeihende Landwirtschaft für Jovellanos lediglich die Voraussetzung für die Entwicklung erst der Industrie und dann des Handels.206 Auch wenn Jovellanos die aus den Latifundien erwachsenden ökonomischen Hindernisse deutlich benennt, wagt, wie vor ihm bereits Campomanes, auch er es nicht, eine Änderung der Besitzverhältnisse in Betracht zu ziehen.207 Anders gestaltet sich dies in den Cartas político-económicas (1786-1790) von León de Arroyal (1755-1813),208 der sich für den in Spanien weitverbreiteten gebundenen Besitz ausspricht und dafür plädiert, dass der Boden dem gehören solle, der ihn beackere.209 Kennzeichnend für die spanische Reformökonomie, in der progressive Stimmen wie Arroyal die Ausnahme bilden, ist der widersprüchlich anmutende Umstand, dass sie einerseits in Bezug auf den Handel mit Getreide liberalisierende Maßnahmen ergreift, so durch die schon erwähnte Real Pragmática vom 11. Juli 1765 zur Aufhebung der Getreidepreisdeckelung, andererseits aber die Strukturen des Antiguo Régimen beibehält und so die Spekulationen landbesitzender Monopolisten begünstigt.210 Zu Beginn des 205 Zu Olavide vgl. Perdices Blas (2000: 278; 281). Zu Campomanes und Jovellanos vgl. Marti (1997: 190f.). 206 Vgl. Jovellanos (1998: 302ff.). Vgl. hierzu auch Marti (1997: 189f.). 207 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714). Vgl. auch Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 127f.), der auf die ambivalente Haltung Jovellanos‘ zum kirchlichen und adeligen Großgrundbesitz verweist. So zieht Jovellanos nicht etwa die Pfändung kirchlichen Besitzes in Betracht, vielmehr setzt er auf Freiwilligkeit und, sollte dies nicht fruchten, auf Pfändungen in der fernen Zukunft. Diese Maßnahme wird Godoy drei Jahre später angesichts leerer Staatskassen umsetzen. Was den adeligen Landbesitz anbelangt, sind Jovellanos‘ Reformvorschläge ähnlich prospektiv ausgerichtet und fallen mehr als moderat aus, wenn er die künftige Einschränkung der Bindung dieser Flächen an adelige Familien und gesetzliche Maßnahmen zu einer Flexibilisierung der Verpachtung dieser Böden anregt. 208 Zur Urheberschaft dieser Briefe, die auch Campomanes zugerechnet wird, vgl. López, François (1967): „León de Arroyal, auteur des Cartas político-económicas al Conde de Lerena“. In: Bulletin Hispanique, 69, 1-2, pp. 26-55. 209 Vgl. Marti (1997: 191) mit Bezug auf Arroyal, León de (1971 [1795]): Cartas político-económicas al Conde de Lerena, ed. José Caso González. Oviedo: Centro de Estudios del siglo xviii, p. 254. Zu Arroyal vgl. auch Gittermann (2008: 371ff.). 210 Vgl. Marti (1997: 125). Ähnlich verhält es sich Marti zufolge mit der 1774 von dem Physiokraten Anne Robert Jacques Turgot vorgenommenen Liberalisierung des Getreidehandels in Frankreich. Turgot ist zu diesem Zeitpunkt Generalkontrolleur der Finanzen. Vgl. Gömmel/Klump (1994: 73). Den Gedanken der Notwendigkeit dieser Maßnahme formuliert Quesnay bereits 1765 in seiner Abhandlung Liberté du commerce 136 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 19. Jahrhunderts geht das Bewusstsein spanischer Ökonomen für die Notwendigkeit einer Änderung der bestehenden Aufteilung des ländlichen Besitzes nahezu gänzlich verloren.211 Ein Verdienst der Physiokratie, das sich nicht nur in der spanischen Reformökonomie, sondern auch in kulturellen Artefakten der europäischen Aufklärung niederschlägt, die den Ackerbau bildlich oder literarisch repräsentieren, ist eine aus einem „gepriesenen primitiven Stadium der Gesellschaft“212 resultierende Aufwertung des Primärsektors, mit der auch eine positivere Wahrnehmung der seit Jahrhunderten gering geschätzten Tätigkeit der Landarbeit einhergeht, die nun als beachtenswerte, weil besonders ertragreiche Form der Produktion wahrgenommen wird. Dies bleibt auch für die Literatur nicht ohne Folgen, führt der Einfluss der physiokratischen Lehre doch zu einer Aufwertung des Ländlichen im Allgemeinen und der Figur des Bauern im Besonderen. In der französischen und spanischen Aufklärungsliteratur beispielsweise avancieren das Landleben und seine ProtagonistInnen zu idealisierten Gegenbildern einer korrumpierten Urbanität.213 Den Physiokraten selbst ist allerdings nicht an dem des grains (1765). Vgl. Schumpeter (2007: 292). Dass die Aufhebung der tasa de granos Monopolisten Vorschub leistet, ist ein Verstoß gegen die physiokratische Kritik an Monopolstellungen in Handel und Industrie. Zur Monopolkritik der Physiokraten vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 490). 211 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714): „La forma y el tamaño de la propiedad, las formas de tenencia y la legislación sobre comercio desaparecen las más de las veces o, en su caso, se da por propuesta una organización clásica. Ésta sería la de la gran propiedad latifundista o, en algunos casos, la de aparcería, pero generalmente el tema no se menciona, y mucho menos se menciona ninguna ley agraria que modifique las estructuras.” Lluch/Argemí beziehen das schwindende Bewusstsein für das Problem des Großgrundbesitzes namentlich auf Arias, Antonio Sandalio de (1808): Cartilla elemental de agricultura, acomodada a nuestro suelo y clima. Madrid: Gómez Fuentenebro; Botelou, Claude (1817): Elementos de agricultura, vol. I. Madrid: Martínez Dávila; Quinto, Agustín de (1818): Curso de agricultura práctica, conforme a los últimos adelantamientos hechos en esta ciencia, y las mejoras prácticas agrarias de Europa. Madrid: Collado. 212 Schumpeter (2007: 296). 213 Für die französische Aufklärung zeigt dies Wyngaard, Amy S. (2004): From Savage to Citizen. The Invention of the Peasant in the French Enlightenment. Cranbury: University of Delaware Press, für die spanische Ilustración illustriert dies Marti, vgl. (1997: 207ff.) sowie idem (2001): „Menosprecio de corte y alabanza de aldea en la novela de finales del siglo xviii“. In: Revista de Literatura, 63, 125, pp. 197-206. Wyngaard (2004: 15) stellt explizite Bezüge zwischen der Aufwertung des Bauern in der Physiokratie und ähnlichen Entwicklungen in der Literatur (Marivaux, Rétif de la Brétonne) und Malerei 3. Reformökonomische Diskurse 137 gelegen, was Schumpeter als die „Klasseninteressen des Agrariers“214 bezeichnet hat. Als mit dem reformökonomischen Denken der spanischen Aufklärung deckungsgleich erweist sich hingegen die von Schumpeter identifizierte Losung der Physiokraten, dass das Interesse des Individuums Diener des öffentlichen Interesses sei,215 begründet sie doch ein Konzept des Staatsbürgers (ciudadano), der sich dadurch auszeichnet, dass er sein eigenes Interesse in einem patriotischen Gestus dem Wohl der Nation unterordnet. Ein solches Konzept vom Einzelnen als funktionalem und dienstbarem Bestandteil des ‚Staatskörpers‘ ist schon in Bernardo Wards Proyecto económico angelegt.216 Interessanterweise führt die Rezeption des Gedankenguts der Physiokraten durch die Politik in den unterschiedlichen politischen Kontexten Frankreichs und Spaniens zu völlig konträren Effekten: Ist in Frankreich das erwachende Bürgertum der Hauptprofiteur des physiokratischen Einflusses auf die Politik, weil gesetzliche Hindernisse für Landwirtschaft und Handel durch die starke Hand des staatlichen Despotismus leichter aus dem Weg geräumt werden können und die Bourgeoisie so von steigenden Erträgen profitieren kann, begünstigt der spanische Agrarismus im Gegenteil die Aristokratie, da die höheren (Greuze, Fragonard, Watteau) der französischen Aufklärung her: „The peasant embodied philosophical and aesthetic ideals of nature and sentiment, reflected the growing interest in agriculture generated by the writing of the physiocrats and agronomists, and served as the basis for the nostalgic reveries of moralists concerned about rural exodus and community breakdown.“ Der Bauer, der in Philosophie und Kulturbetrieb der französischen Aufklärung vom barfüßigen, in Lumpen gekleideten und lächerlichen Anderen zur tugendhaften Quintessenz des französischen Staatsbürgers schlechthin avanciert, ist ähnlich wie der bon sauvage eine Erfindung aufklärerischen Denkens mit kompensatorischer Funktion: Dient, mit Ausnahme der Schriften Diderots, das exotistisch verklärte Zerrbild des edlen Wilden zumeist der Rechtfertigung der Kolonialisierung und der Sklaverei, soll der Mythos vom glücklichen, empfindsamen und tugendhaften Bauern als Hüter eines ländlichen Idylls über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Landbevölkerung wie schon im 16. und 17. Jahrhundert auch im 18. ein karges Dasein fristet. Vgl. Wyngaard (2004: 13ff.). Diese Tatsache treibt französische und spanische Pächter gleichermaßen dazu, vom Land in die Städte zu fliehen. Dieses realökonomische Problem wird im Kulturbetrieb durch die Idealisierung des Landlebens und seiner Bevölkerung kompensiert. 214 Schumpeter (2007: 297). 215 Vgl. Schumpeter (2007: 301). 216 Vgl. Castellano (2000: 199). 138 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien landwirtschaftlichen Erträge die Einkünfte des Adels aus Bodenrenten steigen lassen. Führt also die Umsetzung physiokratischer Ideen in Frankreich zu einer letztlich in die Französische Revolution mündenden Destabilisierung des Feudalsystems, untermauert sie in Spanien die bereits bestehenden feudalen Strukturen.217 Nichtsdestotrotz ist es die Physiokratie, die den Grundstein für den ökonomischen und politischen Liberalismus der spanischen Spätaufklärung legt, dem sich das folgende Kapitel widmet.218 3.2.4. Der Liberalismus Der politische Umsturz in Frankreich 1789 und das Ende des englischen Kolonialismus in Nordamerika läuten im Europa der Spätaufklärung die Epoche des Liberalismus ein. Gleichzeitig verursacht die Französische Revolution ein Schockmoment, das seitens der spanischen Monarchie Ängste auslöst und beim alten ebenso wie beim neuen Adel Widerstände produziert, die die spanische Aufklärung hemmen und ihre Entwicklung nicht nur verlangsamen, sondern in Teilen sogar umkehren. Im Zuge des erwachenden Liberalismus werden Eigentum und Besitz zur Bedingung für den Zugang zum Staatsbürgertum und zur politischen Teilhabe,219 was das wohlhabende und besitzende Bürgertum ebenso wie den Adel begünstigt. Während moderate Reformökonomen wie Jovellanos mit seinem Informe sobre la Ley Agraria versuchen, private Eigentumsrechte mit den Interessen des absolutistischen Staates in Einklang zu bringen, bewerten progressivere Stimmen, darunter Cabarrús, dies als Herablassung.220 Dieser greift in seinen Cartas Rousseaus Konzept des contrat social221 auf und spricht 217 Vgl. Lluch/Argemí (2000: 717). Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 496). 219 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2017): „Economía política, desigualdad y liberalismo, 1750-1850”. In: Revista de Historia Constitucional, 18, pp. 1-19, hier p. 2. 220 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 105). Im vierten Brief seiner Cartas (1792) spricht Cabarrús mit Bezug auf Jovellanos wörtlich von der „condescendencia lamentable“ der Mächtigen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 6) mit Bezug auf Cabarrús, Francisco (1973): Cartas, ed. José Maravall. Madrid: Castellote, p. 223. 221 Als Rousseaus Schrift Du contrat social ou Principes du droit politique (1762) in den letzten Tagen des 18. Jahrhunderts ins Spanische übertragen wird, ist die Verbreitung so gering, dass Jovellanos kein einziges Exemplar aufzutreiben im Stande ist. 218 3. Reformökonomische Diskurse 139 vom ‚sozialen Pakt‘222 der gesellschaftlichen Schichten zum Wohle des Eigentums sowie von den „derechos sacrosantos de seguridad y propiedad“, „á cuya conservación conspiraban pacto y leyes”223. Einigkeit herrscht wiederum hinsichtlich der Erkenntnis, dass es die Besitzverhältnisse sind, die den Rückstand Spaniens gegenüber anderen europäischen Wirtschaftsmächten begründen. Befinden Liberalisten wie Alcalá Galiano224 die feudale Gesellschaftsordnung unter Berufung auf die Naturgesetze für notwendig, prangern radikalere Vertreter der spanischen Aufklärung wie Manuel de Aguirre und León de Arroyal225 (1755-1813) die aus den Besitzverhältnissen erwachsende soziale Ungleichheit an226 und sprechen sich für eine von den Großgrundbesitzern unabhängige Bauernschaft aus.227 Wenn also Arroyal in seinen Cartas político-económicas als Einziger der spanischen Reformökonomen den Primärsektor als alleinige Quelle des Reichtums eines Staates bezeichnet, geschieht dies nicht etwa im Geiste der physiokratischen Doktrin, sondern im Dienste der Kritik an den Eine offizielle spanische Ausgabe wird erst 1820 gedruckt. Ab 1800 zirkulieren einzelne Exemplare klandestin. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Cabarrús die Schrift Du contrat social in seiner Eigenschaft als Geschäftsmann französischen Ursprungs und aufgrund seiner Beziehungen nach Frankreich bekannt war. Dass Cabarrús es überhaupt wagt, sich auf Rousseau zu beziehen, zeigt seine progressive Ausrichtung, denn insgesamt stoßen Rousseaus Schriften in Spanien auf harsche Kritik, die zuvor Feijoo in seinen Cartas eruditas (1742-1760), Pérez y López‘ in seinen Principios del Orden (1785) und Jovellanos in seinen Diarios (1794) formuliert hatten. Vgl. Sánchez-Agesta, Luis (1979): El pensamiento político del despotismo ilustrado. Sevilla: Universidad de Sevilla, p. 93 mit Bezug auf Feijoo, Benito Jerónimo (1753): Cartas eruditas y curiosas, vol. IV. Madrid: Pedro Marín, p. 18; Pérez y López, Antonio Xavier (1785): Principios del orden esencial de la naturaleza, establecidos por fundamento de la moral y política, y por prueba de la religión: nuevo sistema filosófico. Madrid: Imprenta Real, p. 173 [Fußnote]; Jovellanos, Gaspar Melchor de (1915 [1790-1801]): Diarios: memorias íntimas, 9.-24. August 1794. Madrid: Imprenta de los Sucesores de Hernando. 222 Vgl. Cabarrús (1813: 5f.): „[...] tal es aun y tal fué y será siempre el pacto social: se dirige á proteger la seguridad y la propiedad individual, y por consiguiente la sociedad nada puede contra estos derechos que la son anteriores.“ 223 Cabarrús (1813: 7). 224 Vgl. Elorza, Antonio (1968a): „El liberalismo económico de Vicente Alcalá Galiano”. In: Moneda y Crédito, 106, pp. 65-87, hier p. 87. 225 Zu Arroyal vgl. Andújar Castillo, Francisco (1990): „Militares e Ilustración. El pensamiento militar de Manuel de Aguirre”. In: Chrónica Nova, 18, pp. 37-49. 226 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 105). 227 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 106). 140 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in Spanien vorherrschenden Latifundien,228 weshalb Arroyal für eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild plädiert.229 Ähnlich argumentiert Pedro Antonio Sánchez, wenn er anführt, in einer Republik gebe es bedeutend weniger Arme als in einer Monarchie.230 3.3. Die Handlungsebene Den reformökonomischen Kurs auf Handlungsebene konsequent und effektiv zu verfolgen, hätte also bedeutet, an die ungleiche Verteilung von Besitz, und damit an die Privilegien des Adels und des Klerus, zu rühren.231 Nicht umsonst spricht Gittermann in ihrer Studie über die Ökonomisierung des politischen Denkens unter Carlos III. von einer „ökonomische[n] Erneuerung ohne politische Reform“232. In Bezug auf die Latifundien der Kirche erfolgt eine Umverteilung mit der 1798 durch Godoy initiierten und bis 1808 andauernden Pfändung von Ländereien vergleichsweise spät. In Bezug auf den Adel bleibt eine grundlegende Beschneidung seiner Privilegien gänzlich aus.233 Erst 228 Vgl. Marti (1997: 191). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 5). 230 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 5) mit Bezug auf, Sánchez, Pedro Antonio (1973): „Memoria sobre la mendicidad”. In: Beiras, José M. (ed.). La economía gallega en los escritos de Pedro Antonio Sánchez. Vigo: Galaxia, pp. 58-113 hier p. 62. 231 Marcos Martín (2000: 711). 232 Gittermann (2008: 287). 233 Selbst als es im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu grundlegenden Reformen kommt, erweist sich der Adel im Gegensatz zur Kirche als Gewinner, führt die Gesetzesänderung zur Veräußerbarkeit der zuvor gebundenen kirchlichen Güter doch zu einer Vermehrung des adeligen Kapitals, da es Adelige sind, die den Großteil der kirchlichen Güter erwerben. Marcos Martín (2000: 713) spricht sogar von einer regelrechten „alianza entre la emergente burguesía y la vieja nobleza terrateniente“, die in Europa insofern einmalig ist, als es in Spanien nicht zum Bruch zwischen dem neuen (bürgerlichen) Gesellschaftssystem und dem alten (feudalen) kommt, sondern sich die feudalen Strukturen vielmehr in einer Gesellschaft fortschreiben, deren Politische Ökonomie auch im 19. Jahrhundert bürgerlichen und adeligen Landbesitzern verpflichtet ist und sich erneut protektionistisch ausrichtet. Die Fortschreibung dieser Strukturen wird Marcos Martín (2000: 714) zufolge durch ein insgesamt politisch schwaches Bürgertum erleichtert, das nicht Motor, sondern vielmehr Profiteur der Liberalisierungsund Modernisierungsprozesse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist. Auch Ocampo Suárez-Valdés (2015: 108) spricht in Bezug auf die Periode zwischen 1810 und 1813, jener Phase der Cortes de Cádiz also, in der die erste spanische Verfassung verabschiedet 229 3. Reformökonomische Diskurse 141 mit dem spanischen Unabhängigkeitskrieg (1808-1814), den Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien (1813-1814) und dem Ausbruch des ersten Karlistenkrieges (1833-1840) sieht sich die Krone zu tiefgreifenden Veränderungen des institutionellen und juristischen Rahmens veranlasst.234 Wirtschaftlich bedeutet dies, dass der Entwicklung kapitalistischer Produktionsformen und der Industrialisierung in Spanien erst ab den 1830er Jahren der Weg bereitet wird, und auch dann vollzieht sich dieser Prozess vergleichsweise langsam. Dass die Schaffung eines stabilen rechtlichen und institutionellen Rahmens, der privates Eigentum schützt und damit Investoren zur Erprobung neuer Technologien ermutigt, der spanischen Wirtschaft schon früher zu neuer Blüte hätte verhelfen können, zeigt Pérez Sarrión am Beispiel Englands, wo es zwischen 1641 und 1689 zu einer Einschränkung der Macht des Souveräns und zu einer dadurch begünstigten Stärkung von Individualrechten kommt, die in absolutistischen Staaten wie Spanien und Frankreich ausbleibt. Der in England geschaffene politische Rahmen führt dazu, dass das dortige Manufakturwesen früher als in anderen europäischen Staaten prosperiert und technische Innovationen begünstigt werden.235 Die spanische Reformpolitik dagegen beschränkt sich ab 1750 auf drei Handlungsfelder: Erstens eine merkantilistisch inspirierte und protektionistische Handelspolitik, die sich vor allem in Importverboten und der Erhöhung von Zöllen niederschlägt. Zweitens eine auf das Industrie- und das Handwerk ausgerichtete Politik, die die Vermittlung von handwerklichen Fertigkeiten in den Blick nimmt, konkretes institutionalisiertes Wissen einer größeren Menge von Menschen wird, von dem paradoxalen Effekt, dass eine theoretisch revolutionär eingestellte und pro-republikanische Bourgeoisie, die dem französischen Konstitutionalismus zugeneigt sei, am Ende zur Stärkung der Macht des Adels beitrage, und zwar zu Lasten einer zunehmend verarmenden Landbevölkerung. Den Grund dafür sieht Ocampo Suárez-Valdés darin, dass das spanische Bürgertum – der feudalen Tradition folgend – Wohlstand eher mit dem agrarischen als dem industriellen Kapitalismus in Verbindung bringe. Vgl. für alles ibid. 234 Vgl. Marcos Martín (2000: 711f.). So wird beispielsweise der Zehnt (diezmo) zugunsten einer direkten Besteuerung der Pächter durch die Krone abgeschafft. Von den im Feudalsystem gebräuchlichen Abgaben wie dem tercio (dt.: „Drittel“) oder dem excusado, der Abgabe des der Kirche geschuldeten Zehnts an die Krone, weshalb der Latifundist gegenüber der Kirche ‚entschuldigt‘ (span.: „excusado“) ist, hatten vor der Reform ausschließlich die Großgrundbesitzer profitiert. 235 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 111). 142 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zugänglich macht und das gesellschaftliche Ansehen der Werkarbeit insgesamt verbessern will. Zugleich geht es mit dem wachsenden Einfluss physiokratischer und liberalistischer Ideen immer mehr darum, die Privilegien der Zünfte aus Furcht vor Monopolstellungen zu beschneiden. Drittens betreiben die Krone und ihre Minister eine Agrarpolitik, die auf eine Aufrechterhaltung der bestehenden Besitzverhältnisse und der Ständegesellschaft ausgerichtet ist und sich daher auf Maßnahmen zur Regulierung des Getreidehandels beschränkt. Da eine Vielzahl von Maßnahmen zu den drei Aktionsfeldern bereits in den Kapiteln zur Lage des spanischen Primär-, Sekundär- und Tertiärsektors im 18. Jahrhundert zur Sprache gekommen ist, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen zum einen auf königliche Erlasse zur Erhöhung der Produktivität des Handwerks, zum anderen auf eine staatlich vorangetriebene Institutionalisierung theoretischen und praktischen ökonomischen Wissens, die durch die Gründung von ökonomischen Gesellschaften und Werksschulen erfolgt.236 3.3.1. Erlasse zur Steigerung der Produktivität des Handwerks Mit der Real Cédula von 1783 werden zuvor gering geschätzte und verachtete berufliche Tätigkeiten, die körperliche Arbeit involvieren – insbesondere die Handwerksberufe – als „honestos y honrados“ deklariert.237 Ziel des Erlasses ist es, eine ganze Reihe von Professionen „consideradas como deshonrosas [...] que se dedicaban [...] a la fabricación o al trabajo manual“238, darunter Schuster, Gerber 236 Eine solche Institutionalisierung fordert Graef bereits 1755 in seinen Discursos mercuriales. Vgl. Witthaus (2012: 292). Seine Forderung erfüllt sich 1765 mit der Gründung der ersten Ökonomischen Gesellschaft Spaniens, der Baskischen (span.: Bascongada oder Vascongada). 237 García Garrosa (1993: 675) zitiert die relevanten Passagen aus der Real Cédula und verweist auf vorausgehende Schriften von Antonio Pérez y López (Discurso sobre la honra y deshonra legal), Antonio Arteta de Monteseguro (Disertación sobre el aprecio de las artes prácticas) und Pedro A. Sánchez (Memoria sobre el modo de fomentar entre los labradores de Galicia las fábricas de curtidos) aus dem Jahre 1781. Vgl. zu diesem Erlass auch die Untersuchungen von Elorza, Antonio (1968b): „La polémica sobre los oficios viles en la España del siglo xviii “. In: Revista de Trabajo, 22 (1968), pp. 69-96 und Álvarez y Guillamón, Javier (1981): Honor y honra en la España del siglo xviii. Madrid: Departamento de Historia Moderna sowie Ocampo Suárez-Valdés (2021: 24ff.). 238 García Garrosa (1993: 674). 3. Reformökonomische Diskurse 143 und RepräsentantInnen des Textilgewerbes wie WollkämmerInnen, SchneiderInnen und Tuchfabrikanten, zu rehabilitieren und ihnen zu neuem gesellschaftlichem Ansehen zu verhelfen. Das historisch geringe Ansehen dieser Berufsstände führt García Garrosa auf die seit der Reconquista im kollektiven Bewusstsein verankerte Doktrin der limpieza de sangre zurück, der zufolge gesellschaftliche Wertschätzung allein dem Adelsstand vorbehalten und nicht mit körperlicher Arbeit vereinbar gewesen sei.239 Dies hatte nicht nur Folgen für HandwerkerInnen, sondern auch für Bauern, Bäuerinnen und in der Landwirtschaft tätige Tagelöhner, alle Arbeitsformen also, die körperlichen Einsatz erfordern. Dazu kommt, dass Handwerksberufe seit dem Mittelalter in Spanien traditionell von marginalisierten sozialen Gruppen wie Juden und moriscos ausgeübt wurden.240 Anders als mit dem Handwerk verhält es sich mit dem Stand der Kaufleute, der zwar ebenfalls, aber in bescheidenerem Maße, Geringschätzung erfährt.241 Die Real Cédula von 1783 geht auf die Initiative Campomanes‘ zurück. Schon in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular verweist der Minister auf die Notwendigkeit der öffentlichen Anerkennung der Handwerksberufe, und bezieht sich dabei auf das Vorbild Kataloniens sowie auf ein in Portugal erlassenes Gesetz, das für Spanien Modellcharakter haben könne: 239 Vgl. auch García Garrosa (1990: 168): „El descrédito de los trabajos manuales era ya patente desde principios del siglo. Para ser miembro de un concejo o tener un cargo público, además de probar la limpieza de sangre y de no haberla manchado por un matrimonio desigual, había de justificar que no se ejercía un ‚oficio mecánico’.“ García Garrosa verweist in diesem Zusammenhang auch auf Domínguez Ortiz, Antonio (1976): Sociedad y Estado en el siglo xviii. Barcelona: Ariel, p. 460, der eine Statute des Gemeinderats von Cádiz aus dem Jahr 1732 anführt. Dort werden handwerkliche Tätigkeiten als eines Amtsträgers unwürdig bezeichnet: „[...] ni de oficio ni artificio mecánico tuviese dignidad ni honra pública en Gobierno Pomposo y de gran autoridad [...].” 240 Vgl. García Garrosa (1993: 674). 241 Vgl. García Garrosa (1993: 688): „El ejercicio de la actividad mercantil no llevaba aparejado el mismo grado de deshonra que los trabajos viles. La prueba es que eran muchos los comerciantes, los burgueses por excelencia, que se enriquecían con sus negocios y llegaban a gozar de una envidiable posición económica [...]. Sin embargo, a esta posibilidad de un rápido y fácil ascenso social, se unía el hecho de que comerciantes y negociantes en general gozaban de mala reputación, heredera también, como sucedía con ciertos oficios viles, de los tiempos en que los judíos vivían en la península.“ Der (nicht erst) mit den Reyes Católicos begründete Antisemitismus setzt sich also auch noch im 18. Jahrhundert in der Geringschätzung des Kaufmannsstandes fort. 144 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Una de las causas principales del fomento de las artes en Cataluña consiste en que los oficios se miran en el pueblo con el mismo honor que la labranza y es muy del caso esta opinión razonable para sostener la industria popular, uniendo las ideas honradas a todo lo que favorece el trabajo de la gente. En las demás Provincias de España se miran los oficios con desprecio por la mayor parte, de modo que la idea y voz de artesano o menestral está en oposición con el aprecio común y aún obsta para entrar en ciertos cuerpos, que no son tan ventajosos a la riqueza nacional. Los Portugueses, para honrar al Pueblo y quitar odiosas distinciones contra los Cristianos nuevos, publicaron poco ha una Pragmática. En España convendría poner en aprecio los oficios y desterrar toda vulgaridad y preocupación en esta parte, de manera que la ociosidad y holgazanería o los verdaderos delitos sea lo que deshonre y jamás la honesta profesión de los oficios.242 Hatte die Ausübung eines Handwerks oder eines anderen mit körperlicher Arbeit in Verbindung stehenden Berufes zuvor die soziale Ächtung nach sich gezogen, dreht Campomanes den Spieß hier um, wenn er die Faulen und Untätigen als die wahren Delinquenten brandmarkt. Die Erhöhung des sozialen Prestiges der Handwerksberufe betrachtet der Minister als probates Mittel, um der Untätigkeit weiter Teile der Bevölkerung entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist er bemüht, möglichen Besorgnissen des Adels um seine Vormachtstellung zuvorzukommen, wenn er darauf hinweist, dass die Ehrbarmachung körperlicher Arbeit nicht notwendigerweise einer Schmälerung des Ansehens des Adelsstandes gleichkomme.243 Campomanes‘ bereits 1774 gemachter Vorschlag wird mit der Real Cédula von 1783, das heißt mit neunjähriger Verzögerung, zum Gesetz. Der Erlass steht im Kontext einer ganzen Reihe von Vorschriften, die darauf abzielen, den im Handwerk tätigen Personenkreis zu vergrößern und damit die Produktivität des Sekundarsektors zu steigern. Ab 1773 wird es auch dem niederen Adel gestattet, einen Handwerksberuf oder eine sonstige gewerbliche Tätigkeit auszuüben. 1777 werden die Zünfte mit der Real Cédula vom 24. März verpflichtet, auch Nicht-Ortsansässige und Ausländer in ihren Reihen zu dulden, sofern 242 Campomanes (1975: 75). Vgl. Campomanes (1975: 75): „Esto no deroga a la distinción que la nobleza y las dignidades, o la eminente sabiduría y servicios a la patria, traen consigo, guardada justa proporción.“ 243 3. Reformökonomische Diskurse 145 diese katholisch244 sind und nachweisen können, dass sie über die zur Berufsausübung nötigen handwerklichen Fähigkeiten verfügen. Die Real Resolución vom 21. Juli 1780 erlaubt es nun auch unehelichen männlichen Nachkommen eines Meisters, ein Handwerk auszuüben. Mit den Erlassen vom 12. Januar 1779 und 2. September 1784 können auch Frauen (textil-)gewerbliche Tätigkeiten ausüben, sofern diese mit ihrem Geschlecht – d.h. den Maßgaben der Sittsamkeit, denen Frauen historisch in besonderer Weise unterworfen sind – vereinbar sind.245 Den Regularien der Zünfte gemäß war dies zuvor allein Meisterswitwen vorbehalten.246 Das Handwerk für möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu öffnen, erscheint nicht nur angesichts einer zunehmenden Handwerksflucht notwendig, ist es doch das Bestreben aller Stände, auch der Kaufleute, in den Adel aufzusteigen, sondern auch deshalb, weil im Zuge des politischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs der europäischen Großmächte seit Ende des 17. Jahrhunderts ein regelrechter brain drain erfolgt: HandwerkerInnen aus Nordeuropa,247 die mit der Anwendung neuer Technologien vertraut sind, erweisen sich in Frankreich als ebenso gefragt wie in Spanien. Pérez Sarrión spricht diesbezüglich von regelrechten ‚Migrationsnetzwerken‘ („redes migratorias“248) und handwerklichen ‚Produktionsgemeinschaften‘ 244 Diese Anforderung versperrt Meistern aus dem protestantischen Ausland, beispielsweise aus England und Flandern, den Weg nach Spanien, wenn sie nicht konvertieren. Dagegen öffnet sie Personen aus dem französischen Textilhandwerk ebenso den Weg wie irischen Werktätigen. 245 Für alle vgl. Herr (1988: 106). 246 Vgl. Farr (2000: 108). Eine erhellende Studie zu Frauen, darunter auch Witwen, im deutschen Zunfthandwerk hat Christine Werkstätter vorgelegt. Vgl. Werkstätter, Christine (2001): Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert. Berlin: Akademie-Verlag. Zu Frauen im französischen Handwerk vgl. auch Musgrave, Elizabeth (1997): „Women and the Craft Guilds in Eighteenth-Century Nantes“. In: Crossick, Geoffrey (ed.). The Artisan and the European Town 1500-1900. New York: Routledge, pp. 151-171. Zu Madrider Arbeiterinnen im 18. Jahrhundert vgl. auch die Studie von Barahona (2015). 247 Vgl. auch Marcos Martín, vgl. (2000: 527f.), der auf der Basis von Kamen, Henry (1978): „The Decline of Spain. A Historical Myth“. In: Past and Present, 81, pp. 24-50 konkrete Namen u.a. flämischer Weber nennt, die ab den 1680er Jahren durch die Junta de Comercio angeworben werden, um spanische Produzenten in neue Fertigungstechniken einzuführen. Katalanische Fabrikanten wie Feliu de la Penya schicken schon im ausgehenden 17. Jahrhundert Gesellen ins europäische Ausland, damit diese dort die neuesten Herstellungsverfahren erlernen mögen. 248 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100). 146 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien („comunidades de producción“249), die in großen Verbünden von England nach Frankreich migrieren, um dort die neuesten Fertigungstechniken anzuwenden. Die dafür nötigen Maschinen und Verfahren hatte man zuvor mittels der seit dem 18. Jahrhundert florierenden Industriespionage250 ausfindig gemacht und im eigenen Land nachgeahmt.251 Hinsichtlich seines technologischen Knowhows ist Spanien gegenüber anderen Staaten deshalb deutlich im Nachteil, weil es mit der Vertreibung der Juden und Morisken zwei für die wirtschaftliche Entwicklung maßgebliche Minderheiten ausgewiesen hatte.252 Im 16., 17. und 18. Jahrhundert erweist sich vor allem die in der Gegenreformation wurzelnde Praxis, keine protestantischen HandwerkerInnen in Spanien zu dulden, als nachteilig, zumal die meisten maschinellen und produktbezogenen Innovationen aus protestantisch dominierten Gebieten wie England und den Niederlanden kommen.253 Ein entsprechend großes Anliegen ist die Anwerbung von in innovativen Web- und Färbetechniken sowie im Umgang mit den neuesten Maschinen erfahrenen HandwerkerInnen aus dem Ausland. In seinem Discurso von 1774 verweist Campomanes explizit auf die bereits von Carlos III. unternommenen Erlasse, die frühere Regelungen außer Kraft setzen, nach denen es Werktätigen aus dem Ausland nicht 249 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100). Dass Industriespionage im 18. Jahrhundert gang und gäbe ist, veranschaulicht Pérez Sarrión (2012: 97ff.) ebenfalls am Beispiel Frankreichs, wo diese Praxis seitens der Regierung systematisch betrieben und gefördert wird, nicht zuletzt deshalb, weil man gegenüber Holland und England technologisch ins Hintertreffen geraten war. Zu der u.a. durch den Conde de Aranda initiierten spanischen Industriespionage vgl. Pérez Sarrión (2012: 103). 251 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100). 252 Für Marcos Martín (2000: 537) ist die Vertreibung der Morisken beispielsweise für den Niedergang des valencianischen Handels ursächlich, der zwischen 1592 und 1598 sowie zwischen 1634 und 1638 um 38 % zurückgeht. Auch Campomanes macht in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular die Vertreibung der Morisken für den Verfall der Wollverarbeitung in Kastilien, der Extremadura und in Andalusien verantwortlich. Vgl. Campomanes (1975: 86f.): „Si se examina con cuidado el número de fábricas de lana que había en Castilla, Extremadura y Andalucía, de que no ha quedado casi vestigios causaría admiración la decadencia que se toca y la industria antigua que se ha perdido en nuestros días o en los de nuestros abuelos. La expulsión de los Moriscos trajo consigo en gran parte la ruina de esta especie de fábricas y de otras.“ 253 Vgl. Pérez Sarrión (2012: 103), der hierin eine Bestätigung von Webers These sieht. 250 3. Reformökonomische Diskurse 147 gestattet war, ihr Metier in Spanien auszuüben.254 Campomanes erweist sich ganz als Vertreter des Neomerkantilismus und spricht sich zum einen vehement gegen die Monopolstellung der Zünfte und Privilegien jeglicher Art aus,255 die verhindern, dass sich beispielsweise die Landbevölkerung durch die nebenerwerbliche Produktion von Textilien ein notwendiges Zubrot sichern kann. Zum anderen erkennt er in der Anwerbung kompetenter Meister aus dem Ausland ein geeignetes Instrument im Wirtschaftskrieg der Großmächte: La introducción de artífices extranjeros es uno de los fomentos más seguros de la industria. Con ellos se puede tener maestros idóneos en las Provincias para propagar la enseñanza, sujetando a ella a los individuos actuales de los mismos Gremios que necesiten de este auxilio, por faltarles a muchos dibujo, el aprendizaje necesario y un riguroso examen público que acredite su suficiencia.256 Insbesondere der letzte Satz des Discurso lässt keinen Zweifel daran, dass das grundlegende Movens der Schrift ist, Spaniens Stellung im nicht mehr nur militärischen, sondern nunmehr auch ökonomischen Wettstreit mit England, Frankreich, Deutschland, Holland und dem Baltikum eine bessere Ausgangslage zu verschaffen: „Una Nación vigilante y despierta, cuyo pueblo todo esté ocupado e instruido en las artes de la guerra y de la paz, mientras permanezca unida a tales máximas no tiene que recelar de sus enemigos.“257 Zugleich zeugt Campomanes‘ Werk von der für den Übergang zwischen dem frühen Merkantilismus und dem Neomerkantilismus charakteristischen Haltung, im Ausland nach wirtschaftlichen Vorbildern für das 254 Vgl. Campomanes (1975: 94): „Carlos III ha confirmado a favor de los artífices extranjeros todo lo que las leyes disponen en cuanto a ellos, sin exceptuar los que residen en las costas de mar, despachándose Real Cédula en el año de 1771, y les ha eximido y a sus hijos del sorteo y servicio militar en las Ordenanzas de reemplazos.“ 255 Vgl. Campomanes (1975: 90): „Nada es más contrario a la industria popular que la erección de gremios y fueros privilegiados, dividiendo en unas sociedades pequeñas al pueblo y eximiéndolas de la justicia ordinaria en muchos casos. Si este método se repite demasiado son de temer consecuencias desagradables contra la extensión y bondad de las manufacturas.“ 256 Campomanes (1975: 94). 257 Campomanes (1975: 124). 148 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eigene Land zu forschen.258 In diesem Sinne werden Pommern, Schlesien, England und Frankreich wiederholt als Beispiele herangezogen, von denen Spanien lernen kann.259 Der spanische Minister erweist sich als überaus pragmatisch, wenn er einräumt, dass es auch deshalb notwendig sei, Handwerkermeister aus dem Ausland anzuwerben, weil die Attraktivität von Stoffen wesentlich von der jeweiligen Mode abhänge: Varían los caprichos y las modas, de suerte que en esta parte es necesaria la mayor diligencia para acomodarse al gusto dominante. Es mucho que las Naciones industriosas no hayan traído a Europa de la Asia fabricantes que enseñasen los secretos que allí son tan antiguos y comunes y nosotros en parte aún los ignoramos.260 Auch der faktisch gegebenen höheren Qualität französischer Weberzeugnisse im Vergleich zu den spanischen Produkten verschließt Campomanes sich nicht, vielmehr hebt er sie anerkennend hervor: „Los Franceses, por la gran variedad y primor de su diseño aventajan a las demás Naciones en el gusto de sus manufacturas finas y aun ordinarias. Este gusto todavía nos es algo forastero y sin él harán cortos progresos las fábricas finas de España.“261 Erachtet Campomanes es also als legitim, auf das Knowhow des Auslands zurückzugreifen, plädiert er zugleich dafür, Auslandsreisen heimischer (männlicher) Handwerker von staatlicher Seite zu finanzieren, damit diese dort die neuesten Techniken erlernen mögen. Dabei setzt Campomanes auf das Prinzip der Verbreitung und Prämierung von Wissen, das darauf beruht, dass auslandserfahrene und in den Provinzhauptstädten angesiedelte Meister Lehrlinge unterrichten, die das so 258 Wie bereits dargelegt, hatte Martín Rodríguez (1999a: 362) diese Orientierung am Ausland als für diese „etapa de transición“ zwischen frühem und aufklärerischem Merkantilismus prägend ausgewiesen. 259 Zum Vorbildcharakter der Textilindustrien Englands, Frankreichs und Deutschlands vgl. Campomanes (1975: 56). Zu Frankreich und insbesondere dem Pariser Handwerk vgl. ibid., p. 99 sowie, zum Vorrang der französischen Stoffe vor den spanischen, p. 89. Zu England und Pommern, wo der Export von Rohware im Gegensatz zu Spanien mit der Todesstrafe geahndet wird, vgl. pp. 85f. 260 Campomanes (1975: 88). 261 Campomanes (1975: 89). 3. Reformökonomische Diskurse 149 Erlernte wiederum an die Landbevölkerung weitergeben sollen.262 So wird die für den bourbonischen Absolutismus charakteristische pyramidale Struktur in Form einer zunächst vertikalen Weitergabe von Wissen vom Meister zum Lehrling in die Ebene des Handwerks hineingetragen; in einem weiteren Schritt sollen diese Kenntnisse dann auf horizontaler Ebene von Lehrling zu Lehrling tradiert werden. Eine solche Verbreitung soll zum einen durch eine höhere Entlohnung dieser Meister angeregt werden, zum anderen durch die Auszeichnung der Lehrlinge in Form von Medaillen und öffentlichen Ehrungen gesichert sein, was den positiven Effekt mit sich bringt, dass die im Handwerk Unterwiesenen mittels der Prämierung ausgezeichneter Arbeiten lernen, gute Handwerkskunst von schlechter zu unterscheiden.263 Dass dies in der bisherigen Ausbildungspraxis nach Maßgabe der Zünfte nicht der Fall sei, bemängelt Campomanes, erlernten die Lehrlinge das Handwerk doch durch reine Nachahmung und ohne ein tiefgreifenderes Verständnis der Prozesse und Techniken zu entwickeln.264 Eben hier sollen die in Kooperation mit Joaquín Cester eingerichteten Werksschulen Abhilfe schaffen, die zusammen mit den Ökonomischen Gesellschaften im nächsten Abschnitt thematisiert werden. 3.3.2. Die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften und Werksschulen In ähnlicher Weise, wie sich in der Presse und in der tertulia eine neue aufklärerische Form der Soziabilität manifestiert, ist für Jesús Astigarraga auch die Gründung Ökonomischer Gesellschaften in Spanien, der Sociedades Económicas de Amigos del País, ein Ausdruck aufklärerischer Geselligkeit.265 Gleichzeitig kommt in der Gründung dieser Gesellschaften, die im 18. Jahrhundert in ganz Europa entstehen, 262 Vgl. Campomanes (1975: 97). Vgl. Campomanes (1975: 93). 264 Vgl. Campomanes (1975: 93): „La enseñanza y leyes del aprendizaje es lo que menos se cuida en los Gremios. Ni los Maestros saben dibujo, ni tienen premios los discípulos, ni pruebas públicas de sus maniobras, y todo va por un mecanismo de pura imitación de unos en otros, sin regla, gusto ni dirección.“ 265 Vgl. Astigarraga, Jesús (2015b): „Economic Societies and the politicization of the Spanish Enlightenment“. In: idem (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 63-81, hier p. 65. 263 150 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der absolutistische Wille zum Ausdruck, die Politische Ökonomie als Strategie der Gouvernementalität zu konsolidieren und zu institutionalisieren.266 Obgleich die Gründung der Sociedades Económicas de Amigos del País in Spanien auf keinen konkreten königlichen Erlass zurückgeht, können staatliche Instanzen wie der Consejo de Castilla als Impulsgeber identifiziert werden, die einzelne Personen gezielt ansprechen und zur Gründung solcher Gesellschaften ermuntern.267 In Regierungskreisen erkennt man in den Ökonomischen Gesellschaften schon früh ein adäquates Instrument, um die wirtschaftliche Entwicklung Spaniens zu fördern, die Reformökonomie auf nationaler und lokaler Ebene institutionell zu verankern und reformökonomisches Gedankengut zu vermitteln:268 Für Campomanes bilden die Sociedades Económicas ein geeignetes Gegengewicht zum Einfluss der Zünfte, die der Minister als ein Haupthemmnis für Innovationen im Bereich der Fertigungstechnik erachtet.269 Diesem Wissensrückstand sollen die Sociedades Económicas durch die Erarbeitung von Vorschlägen zur Entwicklung neuer Technologien beikommen. Wie das Beispiel der der Sociedad Bascongada zeigt, die 1765 unter Mitwirkung des Conde de Peñaflorida als Erste ins Leben gerufen wird und in der sich führende Politiker der Provinzverwaltung engagieren,270 sehen die Ökonomischen Gesellschaften ihren Auftrag nicht allein auf das Wirtschaftliche, also auf die Förderung von Ackerbau, Industrie, Handwerk und Handel, beschränkt. Vielmehr verstehen sie sich als Bildungseinrichtungen, die ein breit angelegtes 266 Die erste in Europa gegründete Ökonomische Gesellschaft ist die von Dublin (1731), gefolgt von der Bretonischen (1757) und der von Bern (1758). Vgl. Astigarraga (2005: 549) sowie idem (2015b: 68). 267 Anes (1981: 23f.). Astigarraga (2015b: 74) wiederum nennt drei mögliche Wege zur Gründung einer Ökonomischen Gesellschaft: 1) durch die Initiative von Privatleuten; 2) auf Anraten des Consejo de Castilla v.a. in den Regionen, in denen es an reformökonomischen Initiativen fehlt; 3) durch Umwandlung einer bereits bestehenden aufklärerischen Instanz wie einer tertulia oder einer Akademie in eine Ökonomische Gesellschaft. 268 Vgl. Anes (1981: 22f.). 269 Vgl. MacLachlan (1991: 79). 270 Campomanes verweist in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular auf den Vorbildcharakter der Bascongada für später gegründete Ökonomische Gesellschaften. Vgl. Campomanes (1975: 71). Die Mitglieder der Ökonomischen Gesellschaften weist Campomanes (ibid.) als „las personas dinstinguidas y celosas de cada provincia“ aus. 3. Reformökonomische Diskurse 151 wissenschaftliches und kulturelles Programm zur Schulung und Aufklärung der spanischen Gesellschaft ausarbeiten und das damit verbundene Wissen vermitteln. Zu dieser Wissensvermittlung zählt auch die Publikation von Handbüchern und ökonomischen Traktaten sowie einer jährlichen Ausgabe von Extractos (1772-1793), das sind Resümees zu wirtschaftlichen, ethischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen, die beispielsweise um die Tugend der Ehrbarkeit im Handel oder um das Wohl bzw. Übel von Luxusartikeln kreisen. Allein diese Themenauswahl zeigt, in welchem Maße die Ökonomischen Gesellschaften Moral und Ökonomie zu einer eigenen Moralökonomie verbinden, die sie dem geneigten Leser über ihre Publikationen zu vermitteln suchen. Da es den Veröffentlichungen der Baskischen Ökonomischen Gesellschaft in ganz besonderem Maße gelingt, der strengen kirchlichen Zensur zu entgehen, fördern ihre Schriften die Verbreitung auch unkonventioneller aufklärerischer Ideen.271 Nicht zuletzt zählen daher ihre Mitglieder, darunter Arriquíbar, Foronda und Félix María Samaniego (1745-1801), zu den führenden Köpfen der spanischen Aufklärung.272 Mónica Bolufer Peruga macht gerade in der Bascongada eine allmähliche Loslösung von der dirigistischen Politik des aufgeklärten Absolutismus und erste Schritte hin zum Liberalismus aus.273 Anes zufolge ist die Gründung Ökonomischer Gesellschaften wie der Baskischen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung der produzierenden Sektoren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückzuführen, weshalb die meisten Sociedades in urbanen Zentren angesiedelt sind,274 wo sich Handel und Industrie aufgrund der dort vorhandenen Absatzmärkte bevorzugt ansiedeln. Dies veranschaulichen die 271 Vgl. Astigarraga (2015b: 68f.). Die europäische Dimension der Gründung der Sociedad Bascongada de Amigos del País offenbart sich darin, dass diese nach dem Vorbild der irischen, bretonischen und Berner Ökonomischen Gesellschaft organisiert ist. 272 Vgl. Astigarraga (2015b: 70). 273 Vgl. Bolufer Peruga (2011: 489). „Alors qu’elles avaient été conçues par le ministre Pedro Rodríguez de Campomanes comme un relais des Lumières officielles, on vit cependant se développer dans quelques cas (et particulièrement au sein de la Société Basque) des manières de concevoir l’activité et la représentation politique qui s’éloignèrent petit à petit de la monarchie absolue pour jeter les bases du premier libéralisme espagnol.“ 274 Vgl. Anes (1981: 25). 152 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Beispiele Madrids, Barcelonas und Bilbaos.275 Die Ansiedlung der Ökonomischen Gesellschaften in urbanen Zentren ist aber auch darauf zurückzuführen, dass der Consejo de Castilla als das für die Lizenzierung der Gesellschaften zuständige Regierungsorgan dazu tendiert, Gründungsgesuche aus kleineren Städten und Ortschaften abzulehnen.276 Die antragsstellenden Personen kommen zumeist aus den Rängen des Adels und der Kirche.277 In Teilen sind die Antragssteller selbst im Handel oder in der Industrie aktiv, unter ihnen finden sich aber auch zahlreiche Amtsträger und Kronbedienstete, was neuerlich auf die Nähe der Ökonomischen Gesellschaften zu den administrativen Organen des bourbonischen Staates hindeutet, auch wenn diese nicht offiziell als Initiatoren auftreten.278 Bezeichnend ist, dass die Zahl der Gründungen ab 1775 und als Reaktion auf Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la historia de la industria popular (1774), seinen Discurso sobre la educación de los artesanos y su fomento (1775) und die dazu gehörenden vierbändigen Apéndices (1775-1777) sprunghaft ansteigt,279 was, wie Astigarraga betont, auch darauf zurückzuführen sei, dass öffentliche Stellen die Verbreitung dieser Schriften aktiv vorantrieben, indem sie insgesamt 30.000 Exemplare drucken ließen, eine für damalige Verhältnisse hohe Auflage. Begleitet werden die Schriften von einem Dekret, das zur konkreten Umsetzung der dargelegten Ideen aufruft und zusammen mit Campomanes‘ Schriften gezielt an Verwaltungsorgane und einzelne Beamte verteilt wird.280 Auch die von Campomanes vorangetriebene Gründung der Sociedad Matritense, die im Juni 1775 und damit volle zehn Jahre nach der Baskischen ins Leben gerufen wird, kann als Vorbild und Anstoß für weitere Gründungen angesehen werden.281 Das vorrangige Ziel der Sociedades Económicas ist die Erhöhung der Wirtschaftsleistung Spaniens durch den Erwerb und die Verbreitung eines praxisorientierten und bis dato kaum vorhandenen Wissens 275 Vgl. Anes (1981: 23f.). Vgl. Anes (1981: 23f.). 277 Vgl. Anes (1981: 23). 278 Vgl. Astigarraga (2015b: 73). 279 Vgl. Marti, Marc (1996): „Emblèmes et devises des Sociétés Économiques des Amis du Pays: analyse d’un discours d’intention“. In: Bulletin Hispanique, 98, 1, pp. 97-120, hier p. 99. 280 Vgl. Astigarraga (2015b: 72). 281 Vgl. Astigarraga (2015b: 72). 276 3. Reformökonomische Diskurse 153 über Innovationen in den Bereichen Landwirtschaft, Produktion und Handel, was dazu führt, dass viele Gesellschaften ihre eigenen Werksschulen gründen.282 Ihr Selbstverständnis ist das einer Institution im Dienste der utilidad pública. Schon rhetorisch wird in den Statuten und in Anlehnung an das Konzept der felicidad pública der öffentliche Nutzen in den Vordergrund gestellt.283 In den Gesellschaften selbst ist man bemüht, konkrete Lösungsvorschläge etwa zur qualitativen Verbesserung der heimischen Warenpalette zu erarbeiten,284 wobei ein starker Regionalbezug spürbar ist: Während sich etwa die baskische Gesellschaft auf die Förderung der für die Region typischen Eisenund Stahlindustrie konzentriert, richtet sich die Sociedad Matritense mehr auf den die kastilische Wirtschaft dominierenden Ackerbau und das in der Region heimische Manufakturwesen aus.285 Den dezidierten Regionalbezug der Ökonomischen Gesellschaften hebt auch Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular hervor. Im dreizehnten Abschnitt seines fünfundzwanzig Punkte umfassenden Programms zu den Aufgaben der Sociedades Económicas286 ist von der Notwendigkeit die Rede, die Präsenz der Gesellschaften nicht nur in den Provinzhauptstädten zu garantieren, sondern sie in der gesamten Provinz zu sichern: XIII. Los individuos de estas Sociedades no sólo deben existir en la capital; serán muy útiles los dispersos para mantener correspondencia con la misma Sociedad en todas las partes de la Provincia. Los párrocos, aunque no sean socios, pueden informar con mucho conocimiento y más facilidad lo que se desee saber.287 Überdies formuliert Campomanes als explizite Aufgabe der Ökonomischen Gesellschaften, das von ihnen jeweils erarbeitete reformökonomische Programm auf die individuellen Gegebenheiten ihrer 282 Vgl. Marti (1996: 108): „[...] la majorité des Sociétés, après avoir obtenu leur approbation, s’empressèrent d’établir des écoles spécialisées (surtout dans le travail du textile et le dessin).“ 283 Vgl. Anes (1981: 36). 284 Vgl. Anes/Castrillón (2000: 95) sowie, in Bezug auf Asturien, Ocampo SuárezValdés (2012: 199). 285 Vgl. Astigarraga (2015b: 69; 77). 286 Vgl. Campomanes (1975: 104-109). 287 Campomanes (1975: 108). 154 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien jeweiligen Provinz zuzuschneiden.288 In Astigarragas Deutung manifestiert sich in diesem Lokalbezug der Wille der Monarchie, das Land wirtschaftlich zu dezentralisieren. Im Gegensatz dazu kann die regionale Ausrichtung der Ökonomischen Gesellschaften aber auch als Versuch der Krone gesehen werden, die Präsenz einer stets gleich aufgebauten Institution im ganzen Land und daher auch in den Provinzen sicherzustellen, und damit die eigene pyramidal organisierte Herrschaft in dem eingangs skizzierten Sinne horizontal auszuweiten. Dass die Gesellschaften selbst sich als lokale Institutionen sehen, ist für die Krone nur von Vorteil, verschleiert es doch ihre Funktion als institutionelles Instrument der bourbonischen Politischen Ökonomie, deren grundlegendes Bestreben letztlich Ausübung und Sicherung von Macht ist. Wenn die Ökonomischen Gesellschaften überdies einen Beitrag zur ökonomischen Theoriebildung leisten, wie etwa die Sociedad Aragonesa, die 1784 einen Lehrstuhl für Ökonomie und Handel ins Leben ruft,289 offenbart sich darin die bereits skizzierte Kopplung von Politischer Ökonomie, aufklärerischem Bildungsideal und institutionalisiertem Wirtschaftswissen, eine Verzahnung, die für die Regentschaft Carlos III. kennzeichnend ist290 und die Campomanes bereits in seinem Discurso explizit angeregt hatte: En Nápoles y en Milán se establecieron cátedras para enseñar las verdaderas reglas del comercio general. Otra cátedra convendría instituir en cada una de nuestras Universidades para conocer los abusos y estorbos que impidieron la industria hasta estos últimos tiempos en que nuestros Soberanos, llenos de amor a sus vasallos, dan todo el auxilio posible a la felicidad y prosperidad general de la Nación a medida que sus celosos Magistrados disipan las tinieblas y abusos que la escasa noticia de las máximas económicas había introducido en España.291 288 Vgl. Campomanes (1975: 103). Vgl. Anes (1981: 35). 290 Vgl. hierzu Astigarraga (2015b: 74f.): „The emergence of economic societies in Spain was a central phenomenon during the last period of the reign of Charles III and seems to have weakened with the death of the king.” 291 Vgl. Campomanes (1975: 92). 289 3. Reformökonomische Diskurse 155 Sollen hier einerseits die nach dem Vorbild Mailands und Neapels292 in Spanien einzurichtenden Lehrstühle praktisches ökonomisches Wissen vermitteln, ist andererseits der Bezug auf die ihrem Volk in Liebe zugeneigten spanischen Könige und ihre Magistrate aussagekräftig, denen, wie hier rhetorisch bekräftigt wird, das Gedeihen und das Glück ihrer Nation am Herzen liegen. Dabei obliegt es den eifrigen Regierungsbeamten zu garantieren, dass das von der Krone gewünschte wirtschaftliche Wissen im Volk verbreitet und so die ökonomische Aufklärung erreicht wird. Wie Anes betont, gelingt es den Mitgliedern der Ökonomischen Gesellschaften allerdings nicht immer, bei ihren Zeitgenossen den gewünschten Sinneswandel herbeizuführen.293 Auch von inneren Spannungen sind die Sociedades Económicas nicht frei.294 Ab Mitte der 1780er Jahre machen sich erste lähmende Tendenzen bemerkbar: Zunächst nimmt das Interesse der Mitglieder an den Sitzungen deutlich ab, was zum einen mit den zähen Entscheidungsprozessen, zum anderen aber auch mit fehlenden finanziellen Mitteln zusammenhängt, sodass von vielen guten Ideen erstens nur wenige in einen Mehrheitsbeschluss münden und zweitens überhaupt umgesetzt werden. Auch wenn die Gründungen der Ökonomischen Gesellschaften selbst auf Impulse zurückgehen, die aus dem Geist der Politischen Ökonomie geboren sind, und sie demnach bereits eine Form der Umsetzung ökonomischer Theorie in die wirtschaftliche Praxis sind, ist die geringe Zahl der von den Gesellschaften realisierten Maßnahmen im Vergleich zu den vielen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Nation ersonnenen Vorschläge ein anschauliches Beispiel dafür, dass der von der spanischen Reformökonomie produzierte konzeptuelle und diskursive Apparat einen größeren Raum einnimmt als die von ihm tatsächlich realisierten Reformen. Dies veranlasst Astigarraga zu dem ernüchternden Fazit: „Without a doubt, in general terms, their practical results did not match their enormous financial outlay.“295 Auch José Antonio Azpiazu 292 Den Einfluss italienischer Ökonomen wie Genovesi auf Carlos III., der vor seiner Regentschaft in Spanien König von Neapel und Sizilien (1735-1759) war, sowie auf die Leitlinien der spanischen Reformökonomie, hat Gittermann (2008) ausführlich untersucht. Zur Regentschaft des Monarchen in Italien und den italienischen Einflüssen vgl. eadem (2008: 93-203). 293 Vgl. Anes (1981: 34). 294 Vgl. Anes (1981: 31). 295 Astigarraga (2015b: 76). 156 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien resümiert in Bezug auf die Bascongada, eine der ambitioniertesten Sociedades Económicas: „Si inicialmente la Real Sociedad Vascongada había pretendido cambiar la sociedad vasca ayudando a imponer distintas estructuras productivas, este intento fracasa [...].“296 Als für die Ökonomischen Gesellschaften verheerend erweist sich der Umstand, dass die Regierung ihnen und ihrer Funktion als Forum öffentlicher Meinungsbildung seit dem Ausbruch der französischen Revolution zunehmend skeptisch gegenübersteht.297 Mit dem Spanischen Unabhängigkeitskrieg verschwinden sie 1808 schließlich ganz von der Bildfläche. Die letzte in Spanien gegründete Gesellschaft ist die Sociedad Económica de Villafranca de los Barros, die 1807 ins Leben gerufen und kurz darauf wieder aufgelöst wird.298 In größerem Maße als die Institution der Sociedades Económicas, deren Beitrag zur Reformökonomie in erster Linie theoretisch-konzeptuell ist, leistet das 1774 von Campomanes und Joaquín Cester299 initiierte Modellprojekt der escuelas-fábrica bzw. casas-fábrica einen Beitrag zur Vermittlung konkreter Fertigungstechniken,300 ein reformökonomischer Impuls, der zugleich den Anstoß dafür gibt, dass die meisten Ökonomischen Gesellschaften solche Werksschulen einrichten. Das Besondere am Projekt der escuelas-fábrica ist, dass es den Versuch darstellt, eine wirtschaftliche Praxis zu etablieren, die im Privaten angesiedelt und damit in den familiären Alltag der zahlenmäßig recht großen Gruppe der Landarbeiter und Tagelöhner integrierbar ist. Dieses Projekt skizziert Campomanes in seinem Discurso sobre la industria popular (1774), einer Schrift, in der es darum geht, ein bis dato brachliegendes ökonomisches Potenzial zu aktivieren und die nationale Wirtschaft als Betätigungsfeld in die Wohnstätten der mittellosen Teile der Landbevölkerung hineinzutragen. Mit seinem im Folgejahr veröffentlichten Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775) stellt 296 Azpiazu, José Antonio (1984): „El comercio según Foronda“. In: Vasconia: Cuadernos de historia-geografía, 2, pp. 25-42, hier p. 32. 297 Vgl. Anes (1981: 39ff.). 298 Vgl. Anes (1981: 30). 299 Joaquín Cester ist ehemaliger Direktor der Keramikfabrik von Talavera und wird schließlich von Campomanes zum Leiter der in den Provinzen Asturien und Galizien eingerichteten Schulen für Leinenweberei („Escuelas de Lienzos“) ernannt. Vgl. Bas Ordóñez, Guillermo (2009-2010): „La arquitectura de la Real Fábrica de Sargadelos“. In: Espacio, Tiempo y Forma, serie VII: Historia del Arte, 22-23, pp. 275-301, hier p. 277. 300 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 129) und (2012: 99). 3. Reformökonomische Diskurse 157 Campomanes sodann das reformökonomische Pendant für die Stadtbevölkerung vor.301 Die von Campomanes ins Leben gerufenen Werksschulen sind ein weiteres Beispiel für die horizontale Ausweitung der Politischen Ökonomie, die sich hier ins Private und Familiäre hinein ausbreitet, wobei anzumerken ist, dass die Trennung von Arbeitsräumen und Privaträumen, wie wir sie heute kennen, dem 18. Jahrhundert noch fremd ist. Dies zeigt sich darin, dass in jener Zeit Werkstätten und Wohnräume der Handwerkerfamilien noch nicht räumlich getrennt sind und ineinander übergehen.302 Von der Warte der foucault‘schen Gouvernementalität aus betrachtet, ist das von einem Vertreter des absolutistischen Verwaltungsapparats vorangetriebene Projekt der Werksschulen insofern interessant, als es darauf abzielt, das Geschäft des Nebenerwerbs unter Berufung auf das utilitaristisch inspirierte Konzept der felicidad pública zu professionalisieren, indem die Produktionsprozesse selbst effizienter gestaltet und die Sachkunde der zuvor laienhaft agierenden ProduzentInnen erhöht wird. In den unter anderem in Oviedo, Ribadeo und Santiago gegründeten Schulen geht es weniger um die Einführung maschineller Innovationen. Vielmehr soll eine soziale Gruppe, die über ein eher geringes professionelles Wissen im Bereich der Textilproduktion verfügt, in textilen Fertigungstechniken wie der Bleiche und der Weberei unterwiesen werden. Auch sollen Beschäftigungslose für die Produktion akquiriert werden. Vorbild für die escuelas-fábrica sind die an die königlichen Fabriken angegliederten ‚Spinnschulen‘ (span.: „escuelas de hilar“), die Campomanes auch in den Regionen jenseits von Kastilien 301 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103): „El Discurso sobre la industria popular (1774) debe leerse como un programa que, a través de la industria rural dispersa, pretendía ‚arraigar’ la población rural y estimular la pluriactividad de la familia campesina. En el marco urbano, el Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775) se dirigía a estimular la industria doméstica y las escuelas-fábrica con vistas a explotar las externalidades de las manufacturas reales o concentradas.“ Fuente Merás, vgl. (2005: 9) konstatiert Ähnliches in Bezug auf Campomanes‘ vierbändigen Apéndice a la educación popular (1775-1777). 302 Vgl. García-Fernández, Máximo (2011): „Home and Outdoors: Personal Clothing and House Comfort: Evolution and Significance in Castile between 1650 and 1850“. In: Santos, Carlota (ed.). Família, espaço y patromónio. Porto: CITCEM, pp. 403418, hier p. 409. 158 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien verankern möchte und die vor allem Wissen über die Verarbeitung von Leinen vermitteln sollen: [...] la formación profesional a través de ‚escuelas-fábrica‘ y ‚casas de enseñanza‘ tenía un perfil más profiláctico y selectivo. Campomanes partía de la experiencia proporcionada por las más de 125 escuelas de hilar que, desde 1754, figuraban adscritas a las Reales Fábricas de Guadalajara, San Fernando y Brihuega. Explotar las economías externas de aquellas manufacturas concentradas permitiría a las escuelas satisfacer el doble objetivo de educar y emplear. Con esas intenciones promovía en 1774 las ‚casasfábrica‘ de Oviedo, Ribadeo y Santiago, destinadas a la elaboración de lienzos.303 Mittels der escuelas-fábrica soll überdies die Praxis der Heimarbeit im familiären Alltag verankert, der Output an Waren erhöht, die Qualität der entstandenen Stoffe verbessert, und nicht zuletzt die nationale Produktpalette erweitert werden.304 Das merkantilistisch inspirierte Movens dieser reformökonomischen Maßnahme ist es, spanische Webwaren mit Blick auf den heimischen Markt attraktiver zu gestalten. Die Fertigung von Textilien in Heimarbeit durch Pächter- und Landarbeiterfamilien stellt für Campomanes einen wichtigen Pfeiler seines Programms zur Steigerung der nationalen Produktivität insgesamt dar und verschafft dem von Armut bedrohten ländlichen Prekariat zudem ein notwendiges Zubrot. Deshalb plädiert der Minister entschieden dafür, dass sich die ganze Familie – insbesondere Frauen und Kinder, die ebenfalls ein brachliegendes ökonomisches Potenzial darstellen – an der Herstellung von Stoffen in Heimarbeit beteiligen sollen.305 303 Ocampo Suárez-Valdés (2004: 129). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 99). Den Gedanken, dass die Verbesserung und Verbilligung der eigenen Waren ein probates Mittel zur Verdrängung der ausländischen Waren ist, formuliert schon Diego Jorge Dormer in seinen Discursos históricos-políticos (1684), vgl. Perdices Blas (1997: 52), was die intensive Rezeption arbitristischer Schriften durch die Reformökonomen des 18. Jahrhunderts einmal mehr vor Augen führt. Auch Perdices Blas (1997: 55) merkt an: „Estas ideas industrialistas pasarán al siglo xviii. Uztáriz y sus discípulos Bernardo de Ulloa y el marqués de Santa Cruz de Marcenado, entre otros, expusieron viejas ideas del siglo xvii y del grupo de Toledo sobre el atraso de España. [...] Insistieron en la capacidad de la industria para sacar a España del atraso económico.“ 305 Vgl. Campomanes (1975: I; V). 304 3. Reformökonomische Diskurse 159 Inwiefern Campomanes‘ reformökonomische Bemühungen, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder als Arbeitskräfte zu rekrutieren, tatsächlich ‚Schule macht‘, illustriert die durch die Sociedad Économica von Córdoba initiierte Gründung einer Bildungseinrichtung für Mädchen, in der diese mit der Textilverarbeitung vertraut gemacht werden.306 Dass die Gesetzgebung solche Initiativen anzustoßen versucht, zeigt sich etwa anhand der Real Cédula vom 22. Mai 1786, die verfügt, dass in geeignet erscheinenden Dörfern Schulen einzurichten seien, in denen die Landbevölkerung im Spinnen unterrichtet werden solle. Die Real Cédula vom 27. Juni 1787 wiederum legt fest, dass auch Kinder und Insassen von Waisen- und Armenhäusern im Textilgewerbe zu unterweisen seien,307 um sie zum einen für die Nationalwirtschaft nutzbar zu machen und zum anderen zu vermeiden, dass die Kinder der in der Landwirtschaft tätigen Tagelöhner von der Tätigkeit des Ackerbaus ferngehalten würden. Beide Gesetze stehen mit Campomanes‘ Konzept der escuelas-fábrica in unmittelbarem Zusammenhang. Dass Bernardo Ward noch 1762 in seinem Proyecto Económico moniert „[...] el método que seguimos en España de tener edificios grandes aparte para una fábrica es contrario a la buena economía y al estilo de Inglaterra, donde los operarios tienen los telares en sus respectivas casas,“308 kann auch als Reaktion auf die zwischen 1700 und 1740 zu beobachtende Tendenz angesehen werden, dass Textilunternehmer ihre Produktion von den urbanen Zentren auf das Land verlagern, wo die Löhne niedriger sind und Produktionsstätten mit geringerem finanziellem Aufwand errichtet werden können. Dass das Modell der Landfabriken sich am Ende nicht durchsetzt,309 liegt auch an den infrastrukturellen Herausforderungen, die sich in Spanien insbesondere dann stellen, wenn Waren nicht auf dem Seeweg transportiert werden können.310 Insofern erweist sich Campomanes‘ Idee 306 Vgl. Marti (1996: 108). Dies regt Campomanes bereits in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) an und bezieht sich dabei insbesondere auf das Färben von Textilien. Vgl. Campomanes (1975: 82): „Esta enseñanza, a que por de contado debían aplicarse expósitos y niños abandonados, por no sacar hijos de labradores a los oficios (lo que se ha de evitar por regla general) [...].“ 308 Ward, Bernardo (1982: 130f.). 309 Vgl. Marcos Martín (2000: 518). 310 Demgegenüber betrachtet Marcos Martín (2000: 523) „el translado al campo de la producción manufacturera“ in Ländern wie England, Holland, Flandern und 307 160 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der kostengünstigen lokalen Fertigung im Kleinen nur dann als ein erfolgsversprechendes Modell, wenn es auf lokale Märkte ausgerichtet ist und die ProduzentInnen ihre Waren selbst vertreiben – ein System, das WirtschaftshistorikerInnen als „Kaufsystem“ bezeichnen.311 3.4. Paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie Betrachten wir nun drei hier schon zur Sprache gekommene paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie im Detail. Zwei von ihnen sind von Staatsmännern verfasst worden. Es handelt sich dabei um den Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) des Ministers Campomanes und den Informe sobre la Ley Agraria des ebenfalls als Minister tätigen Jovellanos. Schumpeter attestiert beiden, einen „großen Teil der kontinentalen Wirtschaftslehre des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts“312 zu enthalten und daher Smiths Wealth of Nations in keiner Weise nachzustehen.313 In gleichem Maße wie Campomanes‘ Discurso, der von einem Hand-in-Hand-Gehen von Monarchie und politischer Ökonomie gekennzeichnet ist, zeugt auch Jovellanos‘ Informe von aufklärerischem Optimismus und dem Glauben daran, dass die staatliche Gesetzgebung den bestehenden Missständen beizukommen vermag, und dies trotz der unter Carlos IV. vorherrschenden gegenaufklärerischen Tendenzen314, die auch Jovellanos Frankreich als erfolgreiche Strategie zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Er widerspricht damit der Diagnose Wards. 311 Zum Unterschied zwischen dem hier genannten „Kaufsystem“, bei dem die Produzenten weitestgehend unabhängig sind und sich das zu verarbeitende Material selbst beschaffen, sodass kaum Kapital im Spiel ist, und dem „Verlagssystem“ als einer eher für den urbanen Bereich geeigneten Produktions- und Vertriebsweise, bei der Händler ihr Kapital in die Produktion investieren und das Erzeugte dann weiterverkaufen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 125ff.) sowie García Sanz, Ángel (1996): „Verlagssystem y concentración productiva en la industria pañera de Segovia durante el siglo xviii“. In: Revista de Historia Industrial, 10, pp. 11-37. 312 Schumpeter (2007: 231). 313 Die physiokratischen Aspekte in Smiths The Wealth of Nations werden ihrerseits von José Alonso in seiner Übersetzung dieses Werks ins Spanische hervorgehoben. Alonso übernimmt diese Elemente von Smiths französischem Übersetzer Germain Garnier, der selbst ein überzeugter Physiokrat ist. Vgl. Lluch Martín/Argemí d‘Abadal (2000: 712). 314 Vgl. Gittermann (2008: 287-374). Zu Cabarrús vgl. 334ff. und 364ff. 3. Reformökonomische Diskurse 161 selbst durch seine Anklage seitens der Inquisition (1795 und 1800) und seine Gefangenschaft auf Mallorca (1801-1808) zu spüren bekommt.315 Der dritte hier betrachtete Text stammt aus der Feder Valentín de Forondas, der den progressiven Stimmen der spanischen Aufklärung zuzurechnen ist. Es handelt sich dabei um die Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778), in der Foronda den seit der Antike dem Verdacht des Wuchers und der Unehrenhaftigkeit ausgesetzten Handel mit dem Topos der Ehrbarkeit verknüpft. Während sich Jovellanos dem Primärsektor und Campomanes dem Sekundärsektor zuwendet, nimmt Forondas „Disertación“ den Tertiärsektor in den Blick. Jovellanos‘ Informe ist ganz von dem Glauben an die heilende Kraft der Gesetze beherrscht und fußt auf der Überzeugung, dass das Verhältnis zwischen Staat und (dem vorwiegend männlich imaginierten) Staatsbürger auf dem Reziprozitätsprinzip beruht, d.h. auf dem Einklang von Individual- und Staatsinteresse, wobei der Begriff des Staates bei Jovellanos nicht allein die politische Elite, sondern tatsächlich das Kollektiv aller Bürger meint. Jovellanos‘ grundlegende Hypothese lautet, dass der Staatsbürger seine Arbeitsleistung gerne in den Dienst der Regierung stellt, insofern das politische System den passenden gesetzlichen Rahmen dafür schafft, dass der Einzelne sein Selbstinteresse verfolgen kann.316 Hier macht sich der Einfluss der englischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts bemerkbar,317 wobei anzumerken ist, dass bei Jovellanos das öffentliche Interesse stets Vorrang vor dem Individualinteresse hat. Anders als oft vermutet, ist es allerdings nicht Adam Smith, von dem Jovellanos sein Verständnis des Selbstinteresses bezieht. Llombart & Ocampo Suárez-Valdés verweisen vielmehr darauf, dass Jovellanos und der schottische Ökonom das Selbstinteresse unterschiedlich auffassen: Gilt es für Jovellanos, diejenigen Gesetze zu beseitigen, die das Selbstinteresse behindern, triumphiert es bei Smith über die Gesetze, die es zu beschränken suchen. Smith vertraut in dieser Hinsicht also mehr auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes, während Jovellanos das Selbstinteresse eher in der Tradition die antiken Stoiker konzipiert. Damit folgt er der Haltung Shaftesburys, 315 Vgl. Carnero (1998: 29f.). Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 125). 317 Vgl. hierzu auch Lara Nieto, María del Carmen (2008): Ilustración española y pensamiento inglés: Jovellanos. Granada: Universidad de Granada. 316 162 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Hutchesons und Rousseaus.318 Den Glauben in die ‚heilende Kraft‘ der Gesetze bezieht der asturische Reformökonom in direkter Linie von seinem politischen Vorbild Campomanes, in dessen Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) es heißt: „La mala inteligencia de las leyes agrarias daña en una Nación tanto como las malas cosechas, y acaso más.“319 Jovellanos setzt mit seinem Informe sobre la Ley Agraria ein von Campomanes in seinem Discurso von 1774 wie folgt angedachtes Projekt um: „Resérvase a otro discurso proponer a la Nación las reflexiones tocantes a la agricultura y a la población, porque están en una íntima correspondencia con la industria bien organizada e injerta, por decirlo así, en la labranza.“320 Sowohl bei Campomanes als auch bei Jovellanos ist die Sorge um den Bevölkerungsschwund das Movens der vorgeschlagenen reformökonomischen Maßnahmen, und somit poblationistisch motiviert.321 Campomanes geht es in seinem Discurso um die maximale Ausschöpfung der Möglichkeiten der nebenerwerblichen textilen Produktion durch Kleinbauern in Verbindung mit einer optimierten Nutzung der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit. Damit überführt er den schon von Ward formulierten Gedanken, dass alle drei Wirtschaftssektoren notwendigerweise Hand in Hand gehen, in ein konkretes Projekt, das Landwirtschaft und industrielle Produktion idealtypisch 318 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 125): „[...] no existe ninguna evidencia de que Jovellanos la tomase de Adam Smith y menos de que fuese un nexo de unión que convirtiera a Jovellanos en ‚economista smithiano’, como a menudo se afirma.“ Auch der Umstand, dass das Konzept im europäischen 18. Jahrhundert weit verbreitet sei, lasse es zweifelhaft erscheinen, automatisch auf Smith als Quelle des Begriffes des Selbstinteresses zu schließen, wann immer dieser in den Schriften der spanischen Reformökonomen auftauche. Zu Rousseau als Quelle Jovellanos’ vgl. auch Force, Pierre (2003): Self-Interest before Adam Smith. A Genealogy of Economic Science: Cambridge: Cambridge University Press. Wie Ocampo-Suárez-Valdés unter Bezugnahme auf Force argumentiert, war es wiederum Rousseau, der Smith zu seiner Elaboration des Konzepts des Selbstinteresses inspiriert hatte. 319 Campomanes (1975: 81). 320 Campomanes (1975: 81). 321 Bei Campomanes (1975: 81) wird dies etwa in dem Satz deutlich: „Donde escasean las cosechas y la tierra se mantiene inculta, faltan los hombres, y sin éstos en gran número y bien mantenidos, desfallece la industria.“ Vgl. auch Campomanes (1975: 100): „La población numerosa y destinada es el mayor bien de un Estado y el fundamento de su verdadero poder.” 3. Reformökonomische Diskurse 163 aneinanderkoppelt.322 Dieses Projekt nimmt seinen Ausgang von den Kleinstparzellen und der prekären wirtschaftlichen Lage der zahlreichen Minifundisten. Der Minister formuliert als Ziel seines Projektes ausdrücklich die Maximierung der felicidad pública unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren zur Ermittlung der wirtschaftlichen Ausgangslage in den jeweiligen Provinzen: „El modo de venir al logro de establecer la felicidad pública de una Provincia es averiguar profundamente las causas físicas o políticas de su decadencia o del aumento de los ramos que se hallan en buen estado.323 Damit schreibt er sich nicht nur in die Politische Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts ein, als deren Charakteristikum Vogl eben jene Erhebung von Daten identifiziert hat,324 die auch Campomanes vorschwebt. Darüber hinaus folgt der Minister der durch die Arbitristen des 17. Jahrhunderts begründeten Dekadenzthese und führt diese mit seinem eigenen Text fort. Augenfällig ist in Campomanes‘ Programm zur ‚Heilung‘ der spanischen Dekadenz die Verbindung von Moral und Ökonomie, deren Leitsatz ist, dass nur wer arbeite ebenso glücklich wie wohlhabend sei.325 Das industrielle Programm Campomanes‘, das auf das Motto ‚aus Tagelöhnern werden Weber‘ („el jornalero se hace tejedor”326) heruntergebrochen werden kann, verschreibt sich ganz dem Gebot der aufklärerischen Vernunft: Wenn Campomanes in seinem Discurso programmatisch formuliert, es ginge um die prosperidad nacional, der zuliebe es gelte, politische Irrtümer zu vermeiden und die geplanten Reformen mit Besonnenheit voranzutreiben („reformar con prudencia),327 koppelt er die bereits bei Ambrosius von Mailand als christliche Kardinaltugend bezeichnete prudentia an das säkularisierte Konzept der prosperidad pública, und wendet sich mit dieser Rückbindung eines aufklärerischen an ein genuin kirchliches Konzept in rhetorisch geschickter Weise gleichermaßen an die konservativen und progressiven Kräfte seiner Nation. 322 Vgl. Campomanes (1975: 53): „[...] todo el sistema de este discurso se encamina a auxiliar al labrador y su familia por medio de la industria, uniéndola en todo cuanto sea posible con la labranza.” 323 Campomanes (1975: 115). 324 Vgl. Vogl (2002: 54). 325 So gibt Campomanes (1975: 53) an, es gehe darum, „de establecer una industria continua con la que las gentes vivirían ocupadas, contentas y pudientes”. 326 Campomanes (1975: 67). 327 Campomanes (1975: 95). 164 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Foronda seinerseits erkennt im Handel ein Instrument, das einerseits der Völkerverständigung und der Verbreitung von Wohlstand und Frieden dient, und andererseits ein Zeichen von Zivilisation und Kultiviertheit ist. Als primäre Inspirationsquelle erweist sich dabei David Humes (1711-1776) Traktat „Of Commerce“, der in seinen Political Discourses (1752) erschienen ist.328 Ocampo Suárez-Valdés zufolge führt Forondas Disertación einen Bruch mit vorausgehenden spanischen Schriften des 18. Jahrhunderts herbei, die den Nutzen des Handels thematisieren. Demnach geht es bei Foronda, anders als in Narros Ensayo (1766) oder Heros Discursos sobre el comercio (1775), nicht mehr um die Frage, ob der Blutsadel mit einer kaufmännischen Tätigkeit vereinbar sei. Während Narros und Heros Schriften, die auf französischen Quellen wie dem Traktat La noblesse commercante (1756) des Abbé de Coyer beruhen, die Ständegesellschaft nicht hinterfragen, führt die Lektüre Humes bei Foronda dazu, am ökonomischen und politischen Nutzen des Feudalsystems zu zweifeln.329 3.4.1. Über den Primärsektor: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1795) Jovellanos ist als Regierungsbeamter und späterer Minister der Real Junta de Comercio, Moneda y Minas sowie als Literat, etwa als Redakteur und Beiträger des Censor, als Verfasser von Satiren und als Autor der sentimentalen Komödie El delincuente honrado (1787), ein anschauliches Beispiel für die von López-Cordón Cortezo beschriebene Verbindung zwischen einer pyramidal angeordneten politischen Herrschaftsstruktur und ihrem horizontalen Fortwirken im Kulturbereich. Im Hinblick auf seinen ökonomischen Theoriehorizont ist Jovellanos 328 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31): „En ‚Of commerce‘ (Political Discourses, 1752), Hume mantenía que el orden institucional debía apoyarse en principios nuevos que proporcionasen reglas seguras para proteger el interés privado y asegurar una distribución equilibrada de la riqueza: ‚una gran desproporción de riquezas entre los ciudadanos debilita al Estado [...]. Se hace necesario gobernar a los hombres mediante otras pasiones e inspirarles un espíritu de avaricia y laboriosidad, de artes y lujo‘.” Ocampo Suárez-Valdés zitiert hier Hume, David (2011 [1752]): „Of Commerce”. In: idem. Ensayos morales, políticos y literarios, ed. Eugène F. Miller, trans. Carlos Martín Ramírez. Madrid: Trotta, pp. 249-251. 329 3. Reformökonomische Diskurse 165 ein pragmatisch orientierter Eklektizist, der keiner bestimmten Denkrichtung in Reinform anhängt, weder dem Merkantilismus noch der Physiokratie oder dem Liberalismus. Dies entspricht der allgemeinen Diagnose Grice-Hutchinsons bezüglich der theoretischen Ausrichtung der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts ab der Jahrhundertmitte: So far as economic literature is concerned, there is no well-defined boundary dividing mercantilism from physiocracy or economic liberalism. In the second half of the eighteenth century, many writers still held mercantilist views on certain aspects of the economy, while they repudiated them on others.330 Wie Campomanes geht es auch Jovellanos um eine ‚praktische Ökonomie‘ und nicht um eine Wirtschaftstheorie oder gar -ideologie,331 weshalb sich sein ökonomischer Diskurs aus Aspekten verschiedener Ansätze zusammensetzt. Lluch Martín attestiert Jovellanos zumindest mit Blick auf den Sekundärsektor eine starke ideologische Ausrichtung an der industria popular im Landesinnern bei gleichzeitiger Ignoranz der sehr unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten,332 und kontrastiert dies etwa mit dem Beispiel Lorenzo Normante y Carcavillas (1759-1813), der kleine Werkstätten und Textilfabriken (fábricas) sowie deren unterschiedlichen Bedarf an staatlicher Förderung unterscheidet,333 während Jovellanos in seinem Informe ausschließlich von familiär betriebenen Heimarbeitsstätten ausgeht.334 Nicht haltbar ist Lluch Martíns 330 Grice-Hutchinson (1978: 160). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 117). 332 Vgl. Lluch Martín, Ernest (2000): „El industrialismo en la Corona de Aragón y en la Corona de Castilla (siglo xviii)“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 577-581, hier p. 578. 333 Normante y Carcavilla, Lorenzo (1785): Proposiciones de economía civil y comercio. Zaragoza, pp. 55f. ‚Fabriken‘ definiert er als Arbeitsstätten, in denen eine größere Zahl von Arbeitern unterschiedlicher Qualifizierung mit mehrschrittigen Produktionsprozessen befasst ist. 334 Vgl. Lluch Martín (2000: 580). Damit lässt Jovellanos Lluch Martín zufolge die weit entwickelte, sich an der Schwelle zur großindustriellen Produktion befindliche katalanische Textilproduktion nahezu gänzlich außer Acht. Stattdessen propagiert Jovellanos Maßnahmen, die Anspruch auf Universalität haben, wohingegen andere 331 166 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Vorwurf, dass Jovellanos den regionalen Unterschieden nicht genügend Rechnung trage, in Bezug auf den Primärsektor. Dies offenbaren bereits die ersten Kapitel des Informe, wo Jovellanos angesichts des Problems der vielen Brachflächen (span: baldíos) zwischen unterschiedlichen strukturellen Bedingungen in Andalusien, Alt- und Neukastilien und den nördlichen Provinzen unterscheidet.335 Insbesondere die intensive Lektüre von Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular veranlasst Jovellanos, das galizische Heimmanufakturwesen ebenfalls als idealtypisches Wirtschaftsmodell heranzuziehen und es auf andere Regionen zu übertragen.336 Jovellanos‘ 1794 verfasster und 1795 publizierter Informe zeugt von dem Bewusstsein um den sozialen Sprengstoff, den eine Krise des Primärsektors für die spanische Nationalwirtschaft mit sich bringt, die ihren Ursprung in der nach wie vor einseitigen Aufteilung des Landbesitzes hat. Da ein großer Teil des Ackerlandes im Besitz der ‚toten Hand‘ von Adel und Kirche liegt und nicht veräußerbar ist, verteuern sich mit dem steigenden Grundnahrungsmittelbedarf einer wachsenden Bevölkerung ab 1750 die Anbauflächen immens. Das wiederum hat Folgen für die Getreide- und Brotpreise. Unter zusätzlicher Einwirkung der Privilegien der Mesta, d.h. der Weiderechte der Vereinigung der Schafzüchter, die dazu führen, dass weite Flächen nicht für den Reformökonomen, darunter Arriquíbar, Ibáñez de la Rentería und die Mitglieder der baskischen Sociedad de Amigos del País, für eine regionale Form des Industrialismus plädieren, und damit auf Anregungen europäischer Ökonomen wie Jacques Necker (17321804), Gaetano Filangieri (1752-1788) oder Antonio Genovesi (1712-1769) aufbauen, die ebenfalls für die Berücksichtigung regionaler Unterschiede plädieren. Zu Filangieris Einfluss auf die spanische Reformökonomie der 1780er Jahre vgl. Gittermann (2008: 346-364). 335 Einen detaillierten Nachweis des dezidierten Regionalbezuges der durch Jovellanos vorgeschlagenen Agrarreform liefert Möller (2019: 138ff.). Hier untersucht die Verfasserin die unterschiedlichen Vorschläge Jovellanos‘ zur Besitzreform in Anbetracht der jeweils verschiedenen Gegebenheiten in Andalusien, Kastilien und Extremadura sowie in den nördlichen Provinzen. Diesbezüglich kommt Möller (2019: 139) zu dem Schluss: „In Zusammenhang mit der Diskussion über die Agrarreform betont Jovellanos für den Agrarsektor die Notwendigkeit, dass die ökonomische Reform von den Provinzen ausgehen muss und die erforderlichen Maßnahmen an die jeweiligen Bedürfnisse jeder einzelnen Provinz angepasst werden müssen.“ 336 Vgl. Möller (2019: 139). Anders als Campomanes zieht Jovellanos in diesem Zusammenhang das Beispiel des Baskenlandes heran, das für ihn ebenfalls Vorbildcharakter hat. Vgl. Möller (2019: 142). 3. Reformökonomische Diskurse 167 Getreideanbau genutzt werden können, entsteht eine hochkonfliktive Situation, in der die beteiligten Akteure – Pächter und Landbesitzer, Landwirte und Viehtreiber, Bauern und Getreidehändler – einander als Gegner im Kampf um Pachten, Weiderechte und Preisgestaltung gegenüberstehen.337 Das dem Primärsektor innewohnende Potenzial, soziale Unruhen auszulösen, das man in Spanien in Anbetracht der revolutionären Ereignisse in Frankreich mit äußerster Sorge betrachtet, veranlasst Physiokraten und Agronomen in ganz Europa zur Abfassung ihrer Schriften.338 Schon Bernardo Ward hatte in seinem Proyecto económico dargelegt, dass Geld zwar ein Indikator von Reichtum sei, wahrer Reichtum aber im Fleiß, in den daraus entstehenden Erzeugnissen, in den Manufakturen und in den Früchten des Ackerbaus bestehe. Diesen Gedanken greift Campomanes auf,339 wenn er den Consejo de Castilla 1766 zum Expediente de Ley Agraria veranlasst, einer Untersuchung, deren Ziel es ist, die Ursachen für die angesichts des Bevölkerungswachstums zu geringen Produktivität der Landwirtschaft zu ermitteln und nach den Gründen für die zahlreichen Ernteausfälle zu forschen, um daran anschließend Gesetzesvorschläge zur Förderung der Landwirtschaft zu erarbeiten.340 Der noch unter Carlos III. veranlasste Expediente, den Ocampo Suárez-Valdés als „uno de los proyectos económicos más notables del gobierno”341 bezeichnet, bildet die Basis von Jovellanos‘ Informe. Zehn Jahre dauert es, bis der Expediente von Campomanes 1777 zur Begutachtung an die Sociedad Matritense weitergeleitet wird, erst 1787 gelangt er in die Hände von Jovellanos, dem die Aufgabe übertragen wird, das Werk zu redigieren. Nach weiteren sieben Jahren Bearbeitungszeit erfolgt schließlich die Drucklegung der Schrift durch 337 Vgl. für alle Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 124). 339 Vgl. Perdices Blas (1999: 464). 340 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 121). Er verweist darauf, dass es im Grunde zwei Expedientes sind, einer zur Ermittlung der Ursachen und Hindernisse, mit denen sich die Landwirtschaft konfrontiert sieht („Expediente sobre los daños y decadencia de la Agricultura”), und ein zweiter zur Erarbeitung konkreter Gesetze zur Beseitigung dieser Hindernisse („Expediente sobre el Establecimiento de una Ley Agraria“). Beide werden 1784 in Form eines Memorial Ajustado zusammengefasst. Ocampo Suárez-Valdés beruft sich hierbei auf Gonzalo Anes (1969): Economía e Ilustración. Barcelona: Ariel, pp. 102ff. und idem (1995): La Ley Agraria. Madrid: Alianza, pp. 29ff. 341 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 121). 338 168 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Antonio Sancha in Madrid. Das Werk ist zugleich Höhe- und Schlusspunkt der bourbonischen Reformökonomie.342 Bemerkenswert an Jovellanos‘ Informe ist nicht allein dessen analytische Leistung, sondern auch die Rückkopplung der ökonomischen Herausforderungen an in der Bevölkerung vorherrschende „gesellschaftliche Hindernisse“ („estorbos morales“ 343), etwa das Fehlen praktischer Kenntnisse. Dass der agrartechnische Wissensstand gering ist, liegt unter anderem daran, dass ungelernte Arbeitskräfte, vor allem Söldner, in die Landwirtschaft abwandern.344 Dem allgemein vorherrschenden Unwissen beikommen sollen Jovellanos zufolge die sogenannten cartillas rústicas345, Fibeln mit Basisinformationen zu geeigneten Agrartechniken, etwa zum Anbau von Feldfrüchten: La vía más eficaz para la divulgación serían las cartillas agrarias o rústicas, con lenguaje y estilo sencillos, y preparadas para la comprensión de los labradores. En estas cartillas se enseñarían los métodos de preparación de las tierras y las semillas, las labores de siembra, coger, escardar, trillar y aventar los granos, de guardar y conservar los frutos y reducirlos a caldos y harinas, la descripción somera de aperos y máquinas de cultivo, así como sus aplicaciones prácticas y, por fin, los modernos adelantos para mejorar la producción agrícola. La idea de las cartillas se convirtió en todo un leitmotiv sobre la enseñanza de la agricultura en España durante casi todo el siglo siguiente.346 Zeugen die cartillas einerseits vom pragmatischen Geist Jovellanos‘, der unter Berücksichtigung der bäuerlichen Zeitökonomie davon absieht, Schulen einzurichten, um das entsprechende Wissen zu vermitteln, gehen sie andererseits insofern an der Realität vorbei, als die meisten Bauern nicht lesen können, weshalb die cartillas erst im 19. Jahrhundert und mit der flächendeckenden Einführung von Schulen den ihnen zugedachten Zweck erfüllen. Wenn Jovellanos also 342 Vgl. für alle Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 119ff.). „Estorbos morales“ meint hier dem im 18. Jahrhundert gängigen Verständnis zufolge: ‚die Sitten, das Verhalten, die Handlungsweise betreffend‘. 344 Vgl. Möller (2019: 128ff.). 345 Zu den cartillas vgl. Jovellanos (1998: 403ff.). 346 Montagut Contreras, Eduardo (2014): „Jovellanos y la enseñanza de la agricultura“. In: Los Ojos de Hipatia. Quelle: https://www.reeditor.com/columna/10241/16/historia/ jovellanos/la/ensenanza/la/agricultura, Zugriff: 20.08.2022, ohne Paginierung. 343 3. Reformökonomische Diskurse 169 wirtschaftliche Hindernisse auf ‚gesellschaftliche‘ zurückführt, soll deren Beseitigung im Umkehrschluss nicht nur in wirtschaftlichem Wohlstand münden, sondern auch eine Verbesserung der Sitten herbeiführen, ein Gedanke, der ganz und gar vom aufklärerischen Fortschrittsglauben inspiriert ist. Entsprechend heißt es bei Jovellanos: una inmensa población rústica derramada sobre los campos, no sólo promete al Estado un pueblo laborioso y rico, sino también sencillo y virtuoso. [...] Entonces no sólo se podrá esperar de los labradores la aplicación, la frugalidad y la abundancia hija de entrambas, sino que reynarán en sus familias el amor conyugal, paterno, filial y fraternal; reynarán la concordia, la caridad y la hospitalidad, y nuestros colonos poseerán aquellas virtudes sociales y domésticas, que constituyen la felicidad de las familias, y la verdadera gloria de los Estados.347 An dieser Stelle wird deutlich, dass die felicidad pública bei Jovellanos nicht nur ein säkular-ökonomisches, sondern auch ein moralökonomisches Konzept ist, das die Abhängigkeit des moralischen Fortschritts einer Nation vom wirtschaftlichen postuliert. Vernünftig („sencillo“) und tugendhaft („virtuoso“) zu sein, bedeutet dabei, die eigene Arbeitsleistung in den Dienst des staatlichen Ganzen zu stellen. Die Grundbedingung für das Funktionieren des Reziprozitätsprinzips als einem Geben und Nehmen zwischen Staat und Individuum, auf dem das Konzept eines als funktionales Rädchen im Getriebe des Staates verstandenen Staatsbürgers fußt, ist der Zugang zu Eigentum. Der Erwerb von Eigentum wiederum schafft laut Jovellanos die Möglichkeit sozialer Gleichheit, für die metonymisch der vom Feudalherrn unabhängige Bauer steht, der seine Parzellen deshalb mit größerer Energie und Sorgfalt bewirtschaftet als der Großgrundbesitzer, weil es seinem Eigeninteresse und dem seiner Familie dient, trägt er doch selbst den Gewinn davon. Diesbezüglich resümieren Llombart und Ocampo Suárez-Valdés: En síntesis, los objetivos del Informe pretendían obtener „la extensión, la perfección, y la utilidad del cultivo” y, al mismo tiempo, una mayor equidad en el mundo rural así como el fomento de la figura del labrador 347 Vgl. Jovellanos (1998: 272) sowie, zu dieser Passage, Llombart/Ocampo SuárezValdés (2012: 129). 170 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien independiente. Jovellanos pensaba que el avance de la agricultura era perfectamente compatible con la mayor igualdad; es más, que crecimiento y equidad formaban parte del mismo proceso y se ayudaban mutuamente. A ello se dirigían el conjunto de medidas reformistas que hemos indicado.348 Die Verbesserung der Grundbedingungen der Landwirtschaft und ihrer körperlich schwer arbeitenden Akteure dient also letztlich dem Wohle aller. Der Regierung Carlos‘ IV. (1788-1808)349 und seines Ministers Manuel de Godoy (1792-1798) hingegen ist nicht an der Umsetzung einer Agrarreform gelegen, zumal diese den landbesitzenden Eliten zum Nachteil gereichen und das ländliche Prekariat stärken würde. Dafür ist nicht nur die als immense Bedrohung empfundene Französische Revolution ursächlich, es sind auch die Kriege mit Frankreich, die Spanien über zwei Jahrzehnte in Atem halten.350 Die im Informe gemachten Vorschläge zur Landwirtschaftsreform beurteilt die durch die Regierung instrumentalisierte kirchliche Zensur als so gewagt und den ‚heiligen‘ Privilegien von Adel und Kirche gegenüber derart häretisch,351 dass sie die siebenjährige Inhaftierung des aufgeklärten Reformökonomen zur Folge haben. Der Informe selbst wird 1825 verboten und steht dann für weitere 52 Jahre auf dem Index.352 In Anbetracht des gemäßigten und protektionistischen Reformgeistes der Schrift, der liberalistische Maßnahmen wie der Freihandel fremd sind,353 zeugt das 348 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134), ohne Angabe der genauen Seitenzahl bei Jovellanos. 349 Die an dieser Stelle gemachten Jahresangaben beziehen sich auf die jeweilige Regierungszeit. 350 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134). 351 Hier ist wörtlich de Rede von „falsas indistintamente e injuriosas a los dos Estados: Eclesiástico y Nobleza, y por lo mismo aversivas de la Monarquía e inductivas a la Anarquía”, zitiert in Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134). 352 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134) unter Bezugnahme auf García Sánchez, Justo (1802): Asturianos en el Índice. Tratado de la regalía de amortización. Oviedo: Real Instituto de Estudios Asturianos. 353 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 128), die darauf hinweisen, dass Jovellanos‘ Bemühungen um eine Liberalisierung des Handels allein den Binnenmarkt betreffen und aus einem dem merkantilistischen Denken verpflichteten protektionistischen Impetus heraus den Außenhandel aussparen: „Jovellanos fue proteccionista en términos económicos. No sólo en la reglamentación del importante comercio de 3. Reformökonomische Diskurse 171 rigide Vorgehen von Staat und Kirche gegen den ehemaligen Minister Jovellanos von der antireformistischen Haltung der Regierung Carlos‘ IV.354 Vor diesem Hintergrund leuchten auch das Bemühen des Autors des Informe um einen gemäßigten Ton sowie die Vorsicht ein, mit der er seine Reformvorschläge unterbreitet. Was die Auswirkungen des Informe auf die Handlungsebene betrifft, vermag es angesichts der konservativen Haltung der Krone kaum zu erstaunen, dass die von Jovellanos gemachten Vorschläge zur Agrarreform nie umgesetzt werden. Sie sind ein weiteres Beispiel für das Überwiegen der Diskurs- über die Handlungsebene in der spanischen Reformökonomie.355 Während Jovellanos‘ Informe in Spanien auf keinen fruchtbaren Boden fällt, ist das Echo im europäischen Ausland groß: Zwischen 1806 und 1816 erscheinen fünf Übersetzungen, deren Rezensenten sich in den in der Edinburgh Review erschienenen Besprechungen über das rigide Vorgehen der spanischen Regierung gegen ihren ehemaligen Minister empören.356 cereales – recomendaba prohibir la exportación y limitar la importación – sino que en el caso de los restantes productos agrícolas abogaba por la libertad de exportación, pero se abstenía de proponer la libertad de importación. El librecambio está ausente del Informe, tanto en las argumentaciones analíticas como en el programa de reformas.” 354 Auch Kamecke (2015: 497) betont, dass „die Diskurspolizei am Ende der Epoche – von den 1790er Jahren bis zum Beginn des Bürgerkriegs 1808 – immer deutlicher die Oberhand über das Spiel der literarischen Versuche der Selbstbehauptung“ erlangt habe. Möller (2019: 19; 43) spricht ihrerseits vom „System der doppelten Zensur“, einer staatlichen vor Drucklegung und einer kirchlichen danach, sowie die Verschärfung dieser Zensur unter Carlos IV. Auf das entsprechende Kapitel bei Gittermann (2008: 287ff.), die dort von einer „Auflösung des Konsenses zwischen Krone und Aufklärung“ spricht, wurde bereits verwiesen (s.o.). 355 Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 135): „La primera, de indiferencia u hostilidad hacia el conjunto del proyecto, pues no existían condiciones políticas ni voluntad para una reforma agraria de ese calado por parte de una Monarquía crecientemente endeudada desde 1793.” 356 Vgl. zu allen Übersetzungen Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 136f.). Die erste Übersetzung des Informe ist eine französische von M. Rouvier (1806), die in Sankt Petersburg erscheint, gefolgt von einer vermutlich von James Mill stammenden Rezension in der prestigeträchtigen Edinburgh Review (1809). Vgl. Mill, James (1809): „Jovellanos on Agriculture and Legislation”. In: The Edinburgh Review, or Critical Journal, 14, pp. 20-39. Eine zweite französische Fassung stammt von André Laborde (1808/09). Sie wird 1809 ins Englische übertragen, gibt aber, eben weil sie nicht auf dem spanischen Originaltext basiert, den Inhalt des Informe nur verzerrt wieder. Ein wesentlicher Bestandteil der Rezension dieser Übersetzung, die ebenfalls in der Edinburgh Review erscheint, ist 172 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 3.4.2. Über den Sekundärsektor: Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) Das reformökonomische Denken von Campomanes, ist, ähnlich wie die Überlegungen des durch ihn inspirierten Jovellanos, praxisorientiert, bezüglich seiner theoretischen Einflüsse eklektisch und ganz auf den Grad der Nützlichkeit der gemachten Vorschläge für das große Ganze des Staates und dessen Untertanen ausgerichtet, die auch Campomanes als vasallos útiles, und damit in gleicher Weise wie später Jovellanos, als funktionale Elemente im Getriebe des Staates konzipiert. Beide Schriften zeichnen sich durch einen dezidierten Regionalbezug aus, der für Campomanes Discurso von 1774 bereits am Beispiel der Sociedades Económicas verdeutlicht wurde. Den praktisch-pragmatischen, nicht akademischen Charakter seiner Schrift verdeutlicht Campomanes in autoreferenzieller Manier, wenn er betont, dass sein Reformprogramm auf Beobachtung und Erfahrung beruhe und sich damit von einem universitären Wissen alter Schule unterscheide, das mit der Berufspraxis unvereinbar sei: No se han usado en este discurso sistemas abstractos y pomposos; se ha procurado seguir el cálculo y la natural inclinación de las cosas para venir a la demostración de lo que conviene. Estas reglas las dicta la experiencia y la aplicación, no se aprenden en las escuelas públicas. Y ojalá que en ellas se enseñasen las observaciones practicables y convenientes a la industria. Tiempo ha que los varones sabios se dolían de las vanísimas cuestiones que los jóvenes agitan en las aulas, las cuales, en llegando a los empleos, en nada les eran acomodables a la utilidad y beneficio del público.357 In ähnlicher Weise wie Campomanes sich von einer alltagsfernen Academia distanziert, hebt er sich und seine Schrift von der die Empörung über die Inhaftierung und die Geringschätzung, die das beachtenswerte Werk des asturischen Ökonomen in Spanien erfährt, und die die Verfechter eines ökonomisch und philosophisch aufgeklärten Europas als skandalös empfinden. Die beiden letzten Übersetzungen erfolgen 1815 und 1816: Battista Nicolosi überträgt den Informe, dessen Vorschläge auf das in spanischem Besitz befindliche Sizilien angewandt werden sollen, ins Italienische. Ein Jahr später erscheint die deutsche Übersetzung von Heinrich von Béguelin mit dem Titel: Gutachten der Ökonomischen Gesellschaft zu Madrid über die ihr vorgelegten Entwürfe zu einer landwirtschaftlichen Gesetzgebung. 357 Vgl. Campomanes (1975: 90). 3. Reformökonomische Diskurse 173 Projektemacherei und ihren teils ‚monströsen‘ Auswüchsen ab. Damit verwahrt er sich zugleich gegen den Hohn, dem die proyectistas ausgesetzt sind.358 Der mögliche Spott über die Reformökonomie und die durch sie eingeführten Produktionstechniken stellt für Campomanes angesichts der konservativen Haltung weiter Teile der Bevölkerung und insbesondere der Zünfte eine ernsthafte Besorgnis dar. So betont der Minister, dass dort, wo man sich über die neuen Herstellungsverfahren lustig mache, nicht mit staatlicher Unterstützung zu rechnen sei: „Donde se burlen y desprecien los nuevos descubrimientos no es dable que se adelanten las manufacturas, a pesar de los mejores deseos de los que gobiernan.“359 Wo sich das Volk störrisch zeige, betont Campomanes, könne auch der gute Wille der Lokalbehörden nichts ausrichten. Die zitierte Passage offenbart den belehrenden Gestus des Discurso, in dem der Wortführer die patriarchalische Rolle eines Lehrers einnimmt, während dem Volk die Rolle eines – zuweilen störrischen – Kindes zugewiesen wird, das nicht einsehen möchte, dass die neuen Methoden zu seinem eigenen Besten sind. Im Folgenden geht Campomanes noch einen Schritt weiter, wenn er die Uneinsichtigen, die die Reformökonomie zu kritisieren und den aufklärerischen Elan zu bremsen wagen, kriminalisiert: „Es una especie de crimen contra el Estado desalentar la aplicación; censurando lo que no se entiende y desanimando la aplicación.“360 Gemäß den empirisch-mathematischen Leitlinien der Politischen Ökonomie, die sich aus den Elementen Datenerhebung, Beobachtung und Arithmetik zusammensetzen, verschreibt sich der Discurso ganz der Entwicklung konkreter politischer Leitlinien anhand detaillierter Analysen der wirtschaftlichen Gegebenheiten und scheut sich nicht, dabei auf das ein oder andere Rechenexempel zurückzugreifen, etwa, als Campomanes ausführt, wieviel mehr Gewinn die Landarbeiterfamilien für die Nation – und für sich selbst – erwirtschaften könnten, wenn sie das bislang ungenutzte ökonomische Potenzial der zahlreichen Frauen und Mädchen nutzen würden, die in Heimarbeit eine 358 Vgl. Campomanes (1975: 107): „Los monstruosos yerros de los proyectos han hecho odiosa esta especie de escritos, que se miran con el aspecto de unos sistemas mal digeridos de imposiciones nuevas.“ 359 Vgl. Campomanes (1975: 83). 360 Campomanes (1975: 83). 174 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien beträchtliche Menge an Leinengarn und -stoff produzieren könnten.361 Das von Campomanes vorgestellte Programm besteht wesentlich in der Ausweitung und Förderung der so genannten industria rural dispersa, ein Begriff, den Campomanes von den französischen Enzyklopädisten bezieht,362 und der eine von Städten und großen Manufakturen dezentrierte ländliche Produktion in Heimarbeit meint, wie sie in Kapitel 3.3.2. bereits skizziert wurde. 361 Konkret rechnet Campomanes (1975: 66ff.) minutiös vor, was vier Millionen arbeitsfähiger Frauen und Mädchen über sieben Jahren volkswirtschaftlich zu leisten imstande wären. Diese könnten am Tag und pro Kopf 11 Unzen (onzas) Garn spinnen, was sich auf anderthalb reales Verdienst am Tag beliefe. Die Summe des täglich auf nationaler Ebene produzierten Garns läge dann bei zwei Millionen Pfund (libras) am Tag. Da aus je fünf Unzen Garn eine Elle (vara) Leinenstoff gewebt werden könnte, bedeutet dies eine spanienweite tägliche Produktionsmenge von bis zu vier Millionen Ellen Leinenstoff. Hochgerechnet auf zweihundert Arbeitstage im Jahr addiert sich dies zu einem Warenwert von dreihundert reales de vellón, nicht eingerechnet den Verdienst, den die im Haushalt lebenden Dienstmägde zusätzlich beitragen könnten, wenn sie sich ebenfalls der Leinenspinnerei widmen würden. So könnten allein durch Einbeziehung der Frauen und Mädchen in die nebenerwerbliche heimische Textilproduktion achtzig Millionen Pesos im Jahr erwirtschaftet werden, das macht einen Nettoerlös von vierzig Millionen Pesos. Die Idee, Frauen und Mädchen als produktive Kräfte heranzuziehen, findet sich bereits im Discurso preliminar von Wards Proyecto económico. Auch dort werden konkrete Zahlen zur Veranschaulichung herangezogen. Vgl. Ward (1779: XVII): „Si hay en España, como no lo dudo, un millón de mugeres, entre grandes y chicas, que hilan con rueca, múdese solamente la rueca en torno, é hilarán quatro, ó cinco veces mas, y el aumento de su ganancia ascenderá á cerca de veinte millones de escudos al año, quasi tres veces tanto como saca el Rey de todas sus Indias, y mas de lo que le tributa de renta anual la Corona de Castilla.” Ähnlich argumentiert auch Olavide, der sich ebenfalls dafür ausspricht, dass die Frauen von Pächtern und Landarbeitern sich in der Rohstoffverarbeitung betätigen sollen, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Zu Olavide vgl. Perdices Blas (2000: 283) sowie ders. (1988): La agricultura de la segunda mitad del siglo xviii en la obra colonizadora de Pablo de Olavide. Madrid: Universidad Complutense, pp. 254ff. 362 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 124f.): „Que la industria rural era un tema de actualidad y debate lo prueba el artículo ‚Manufacture réunie, dispersée’, incluido en la Encyclopédie, en el que se reiteraban las tesis de Marcandier y de los agraristas del grupo de Gournay, defensores de la industria rural como elemento de cohesión para las economías campesinas. La temprana traducción de Duhamel y, desde 1755, la de las obras de Forbonnais y Plumard avalan las raíces agraristas francesas del Discurso sobre la industria popular.” Campomanes (1975: 49; 55f.; 70; 75) selbst nimmt in seinem Discurso wiederholt Bezug auf Marcandier. Perdices Blas (2000: 284) zufolge bezieht auch Olavide seine Idee, Frauen und Kinder in die Produktionsprozesse einzubinden, aus dem Encyclopédie-Artikel. Zu diesem Artikel vgl. auch Proust, Jacques (2013): Diderot et l‘Encyclopédie. Paris: Albin Michel, pp. 227ff. 3. Reformökonomische Diskurse 175 Die Vorteile einer solchen Herstellungsweise im Kleinen verknüpft Campomanes sowohl mit poblationistischen Argumenten als auch mit der Biopolitik im Sinne Foucaults, die auf die Kontrolle von Geburten- und Sterberaten abzielt.363 Poblationistisch argumentiert Campomanes, wenn er darauf hinweist, dass mit der Betätigung von Mädchen in der Textilproduktion die überzähligen (weiblichen) Nachkommen, die den Pächtern mit ihrem ohnehin geringen Verdienst von vier bis viereinhalb reales am Tag sonst nur zur Last fielen, nun zur Erhöhung des Familieneinkommens beitragen könnten.364 In diesem Zusammenhang kommt auch eine biopolitische Argumentation zum Tragen, die darin besteht, dass nur dann genügend Ehen geschlossen und Nachkommen gezeugt würden, wenn deren Ernährung und spätere Beschäftigung sichergestellt sei: „La población crece a medida que se aumentan los matrimonios y éstos se contraen prontamente siempre que es segura la fácil manutención, ocupación y alimento de los hijos.“365 An dieser Stelle wird die Verwobenheit des poblacionismo mit der Biopolitik deutlich, drehen sich beide doch um den Aspekt des Bevölkerungswachstums und die Möglichkeiten, dieses durch Maßnahmen der Politischen Ökonomie gezielt zu fördern. Der Discurso von 1774 präsentiert die industria rural dispersa als Programm, das die für steigende Geburten notwendigen Anreize schaffen kann. Überdies ist sie geeignet, die Zahl der Bettler und Faulen zu verringern, was in den Augen des Ministers eine notwendige Voraussetzung ist, um das große Projekt maximalen öffentlichen Wohlstands zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang flicht Campomanes das säkulare Konzept der prosperidad in seine Argumentationslinie ein: La prosperidad y la abundancia se seguirían como fruto de esta vigilante policía; no habría vagos, ni mendigos; el pueblo crecería y estaría bien alimentado; las rentas del Rey se aumentarían y la pujanza de la Nación 363 Vgl. Foucault, Michel (22006): Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Vorlesungen am Collège de France 1978/1979. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Foucaults Konzept der Biopolitik vertieft und auf das (Konzentrations-)Lager übertragen hat Agamben, Giorgio (2002): Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. 364 Vgl. Campomanes (1975: 67). 365 Vgl. Campomanes (1975: 67). Dass das der Reformökonomie zugrundeliegende Ziel stets der Bevölkerungszuwachs ist, unterstreicht Perdices Blas (2000: 283) auch in Bezug auf Olavides Vorschlag der Beschäftigung von Frauen und Mädchen. 176 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien daría confianza para resistir o combatir ventajosamente a los enemigos y, en fin, el contento general reuniría a todos, para afianzar el disfrute de una policía comparable a la que imaginaron en sus mejores meditaciones los hombres más respetables de todas las Naciones.366 In dieser Passage tritt sowohl das eigentlich im Vordergrund der Reformökonomie stehende Bestreben zutage, die Staatseinnahmen zu erhöhen („las rentas del Rey se aumentarían“), als auch das Ziel, im Wettstreit der Mächte verlorenen Boden aufzuholen („combatir ventajosamente a los enemigos“). Auch bei Campomanes wird Wirtschaftspolitik also im merkantilistischen Sinne als Mittel zur Kriegsführung verstanden. Die bei Campomanes formulierten Ziele der Erhöhung der Staatseinnahmen und der Einwohnerzahl sind es, die Foucault als die Säulen der Politischen Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts identifiziert. [...] car après tout, l’économie politique, elle se propose quels objectifs? Eh bien, elle se propose comme objectif l’enrichissement de l’État. Elle se propose pour objectif la croissance simultanée, corrélative et convenablement ajustée de la population d’une part et des subsistances de l’autre. L’économie politique, elle se propose quoi? Eh bien, d’assurer de façon convenable et ajustée et toujours gagnante la concurrence entre les États.367 Im Hinblick auf die Frage, wie sehr Campomanes‘ Discurso mit den Beobachtungen Foucaults zu Politischen Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts zur Deckung kommt, ist bemerkenswert, dass dort von einer „vigilante policía“ (s.o.) die Rede ist, die Foucaults „policey“ entspricht, ein Konzept, das im Kontext des Pastoratsprinzips (vgl. auch Kap. 6.3.3) steht.368 Die „policey“ bezeichnet eine politische Rationalität, die auf die Biopolitik ausgerichtet ist und die physischen Bedingungen der Untertanen im Sinne des ‚Sozialkörpers‘ zu verbessern 366 Vgl. Campomanes (1975: 72). Foucault, Michel (2004): Naissance de la biopolitique. Cours au Collège de France (1978-1979), eds. François Ewald & Alessandro Fontana. Paris: Gallimard, p. 22. 368 Zur „policey“ vgl. Foucault, Michel (1994): „Omnes et singulatim: vers une critique de la raison politique“. In: Dits et écrits, eds. Daniel Défert & François Ewald, vol. IV, pp. 134-161. 367 3. Reformökonomische Diskurse 177 sucht.369 Eben dies ist zumindest das rhetorische Ziel des Discurso, wird dort doch explizit auf die prekäre Lage der Tagelöhner und auf die signifikante Verbesserung verwiesen, die durch die flächendeckende Einführung der industria rural dispersa zu erreichen wäre.370 Der merkantilistische Impetus der Ausführungen Campomanes‘ bestätigt seinerseits die These Foucaults, dass der Merkantilismus dem Ziel der Politischen Ökonomie dient, „ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Staaten zu erreichen, damit genau dieser Wettstreit stattfinden kann“371. Der spanische Minister wiederum macht keinen Hehl daraus, dass ihm an der Wiederherstellung der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit Spaniens mit europäischen Großmächten wie England und Frankreich gelegen ist,372 deren (Wirtschafts-)Politik er als vorbildlich betrachtet.373 Seine offensichtlich merkantilistische Grundhaltung offenbart der Discurso dort, wo von protektionistischen Maßnahmen gegen Stoffimporte aus Asien374 oder einer „pérdida de la balanza nacional“375 die Rede ist. Sie offenbart sich aber auch, wenn Campomanes das erneute Inkrafttreten des unter Felipe V. erlassenen Verbots von Rohstoffexporten mit der Begründung befürwortet, dass 369 Vgl. Gehring, Petra (2014): „Vorlesungen zu Staat / Gouvernementalität“. In: Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich Johannes (eds.). Foucault Handbuch. Stuttgart: Metzler, pp. 149-158, hier p. 151. 370 Vgl. Campomanes (1975: 51): „El jornalero [...] vive una gran parte del año sin auxilio. [...] ¿Cómo podrá mantener su familia? [...] ¿Qué diferencia, en la mayor parte del año, se encuentra de estas familias a los mendigos?” Mit dem Begriff „auxilio“ ist sowohl die fehlende zusätzliche Arbeitskraft als auch die mangelnde finanzielle Unterstützung gemeint, an der es vor allem dann fehlt, wenn der Landarbeiter das zur Textilproduktion notwenige Rohmaterial erwerben möchte. Daher schlägt Campomanes (1975: 53) Rohstofflager nach dem Modell der Getreidespeicher der pósitos vor. 371 Foucault (2006: 31). 372 Dass es bei der Reformökonomie am Ende um die Wiederherstellung des im Zuge zahlreicher Kriege verloren gegangenen alten Glanzes des nun trotz bester klimatischer und geografischer Gegebenheiten ins ökonomische Hintertreffen geratenen Spaniens geht, offenbart diese Passage: „Es pues natural que aprovechando la actual constitución pacífica y la protección de tan gran Rey recobre la nación su industria y población anterior, disipada en los dos siglos inmediatos con las guerras y conquistas.“ Campomanes (1975: 118). 373 Vgl. u.a. Campomanes (1975: 56). 374 Vgl. Campomanes (1975: 88). 375 Campomanes (1975: 65). 178 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien dies den in der Textilverarbeitung tätigen Frauen und Mädchen das nötige Rohmaterial für ihre Spinn- und Webarbeiten sichere.376 Beachtlich ist, wie konkret Campomanes Smiths Überlegungen zur Arbeitsteilung vorausdenkt:377 So stellt er sein Konzept zur maximalen Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit und zum zusätzlichen Anreiz vor, den das Arbeiten auf eigene Rechnung schaffe. Dass Campomanes dem Kaufsystem den Vorzug vor dem Verlagssystem gibt und in diesem Sinne die ländliche Produktion grober Stoffe im familiären Rahmen (fábricas bastas) präferiert, während er die großbetriebliche Herstellung von feinen Seiden- und Wollstoffen (fábricas finas) ablehnt, ist damit zu erklären, dass die dezentrale ländliche Fertigung im Kleinen und auf der Basis einfacher lokal zur Verfügung stehender Materialien für einen infrastrukturarmen Agrarstaat wie Spanien die bessere Lösung darstellt.378 Was also bei Jovellanos die von ihm kritisierten 376 Vgl. Campomanes (1975 83): „Es un gran perjuicio de la industria popular permitir la extracción en rama de las primeras materias de las artes que sean necesarias para ocupar las mujeres y niñas Españolas, ahora ociosas. En el Reinado anterior se prohibió la saca del esparto en rama, por ser un fruto casi especial de la España y que fuera sólo se coge en Cerdeña y en algunos parajes de la África litoral.“ 377 So kommt auch Schumpeter (2007: 231) zu dem Schluss, dass Campomanes angesichts seiner elaborierten und differenzierten wirtschaftlichen Überlegungen „nur noch wenig, falls überhaupt etwas, aus dem Wealth of Nations hätte lernen können“. Auch Ocampo Suárez Valdés (2004: 117) betont, dass Campomanes Smith vorgreift, wenn er dem später auch durch Smith formulierten Leitsatz folgt, dass es darum gehe, den Monarchen und die Bevölkerung gleichermaßen zu bereichern. Ocampo SuárezValdés bezieht sich dabei insbesondere auf Campomanes, Pedro de (1976 [1763]): „Idea segura para extender los conocimientos de la agricultura“. In: Información Comercial Española, 512, ed. Vicent Llombart, pp. 68-74, hier p. 69. 378 Den Vorzug der fábricas bastas sieht Campomanes (1975: 59) unter anderem hierin: „[...] emplean a los aldeanos en el tiempo que les sobra”. Die fábricas finas beanspruchten dagegen größere Kapitalmengen, die sie damit der Nationalwirtschaft entzögen. Darüber hinaus raubten sie der Landwirtschaft dringend benötigte Arbeitskräfte, zumal die gutverdienenden Arbeiter der fábricas finas nur noch schwer zu überzeugen seien, in der Landwirtschaft härter zu arbeiten und weniger zu verdienen. Vgl. Campomanes (1975: 69). Dass es essenziell sei, Rohstoffe von lokalen Märkten zu beziehen, erläutert Campomanes (1975: 73f.) explizit: „Los gorros, medias, calcetas, guantes y otras manufacturas menores se pueden hacer en las aldeas de las referidas hilazas de lana, seda, lino, cáñamo y algodón, aprovechando en las Provincias tales productos cuando los tienen de propia cosecha o introduciéndose estas primeras materias de fuera en el caso de que falten o escaseen en algunas Provincias, eximiéndose los simples de todos los derechos en nuestras aduanas.“ 3. Reformökonomische Diskurse 179 Latifundien sind, sind bei Campomanes die großen Fabriken. Beide behindern eine effiziente Produktion, was dem Minister zufolge in den fábricas finas auch deshalb der Fall ist, weil in ihnen nicht in jeder verfügbaren Minute gearbeitet werde, sondern nach festen Arbeitszeiten, was letztlich zu einer verteuerten Produktion führe.379 Auch hier erweist sich der Aspekt der Zeitökonomie als zentraler Punkt des Discurso. Die Beobachtungen, die Campomanes am Beispiel des für ihn vorbildlichen Galizien380 macht, nehmen die Einschätzung Smiths 379 Vgl. Campomanes (1975: 55). Anders als bislang betont, ist Campomanes kein entschiedener Gegner städtischer Produktionsanlagen. Vielmehr distanziert er sich von jenen, die, wie die Junta de Comercio von Barcelona, dafür plädieren, große Fabriken und Manufakturen jenseits der wohlhabenden städtischen Zentren anzusiedeln. Vgl. dazu Ocampo Suárez-Valdés (2004: 132). Campomanes ist also weder ‚antiurban‘ noch ‚antikapitalistisch‘, wie es ihm wirtschaftshistorische Forschungen zuweilen unterstellt haben. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 114), der in überzeugender Art und Weise argumentiert, dass man auch Smith diesem Vorwurf nicht ausgesetzt habe, nur weil sein Werk – ebenso wie das Campomanes‘ – Anleihen an den Agrarismus aufweise. Wohl aber spricht sich Campomanes dezidiert gegen den Colbertismus und die unwirtschaftlichen königlichen Fabriken aus und plädiert dafür, ihre Anzahl radikal zu reduzieren und ihnen eine rigide Sparpolitik aufzuerlegen. Vgl. Ocampo SuárezValdés (2004: 133). Auch Campomanes (1975: 87; 89) selbst betont in seinem Discurso explizit, dass ihm nicht daran gelegen sei, die „fábricas finas“ zu schmähen, sondern dass die „fábricas bastas y groseras” eher in der Lage seien, die Hälfte der Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen. 380 Dass Campomanes Galizien und nicht Katalonien zum Vorbild für die spanische Textilproduktion erklärt, liegt daran, dass er über das immense Prosperieren der Textilproduktion in der Region um Barcelona nicht richtig informiert ist, sodass er zu dem Schluss kommt, Galizien stünde im Hinblick auf seine textile Fertigung besser da. Für Campomanes ist Katalonien immer noch eine bevölkerungsarme Region, in der es von Banditen nur so wimmelt. Dabei übersieht er den hohen Standard der industriellen Produktion, die dort in größeren Anlagen und im Stadtzentrum angesiedelt ist. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 134) spricht diesbezüglich vom „fragmentario de su información respecto a la industria catalana”. Ein Blick in den Discurso offenbart, dass Campomanes (1975: 76) sein Wissen über Katalonien aus einer mehr als zweihundert Jahre alten Quelle bezieht: „Andrés Navagero, Embajador de Venecia, refiere en su Viaje de España que en el año 1523, en que pasó por Cataluña, estaba casi despoblada y llena de delincuentes y bandidos, por el abuso de sus leyes municipales. Y en la misma constitución permaneció hasta el presente siglo, en que la nueva planta de gobierno que la dio Felipe V restableció la justicia, animó la industria y, con el acantonamiento de las tropas, se fomentaron insensiblemente las manufacturas.“ Dafür, dass Campomanes’ falsche Einschätzung Kataloniens weniger auf etwaigen Vorbehalten gegenüber der Region, als vielmehr auf veralteten Informationen beruhen, plädiert auch Ocampo Suárez-Valdés (2004: 134f.). 180 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vorweg, dass der Arbeiter, insofern er für jemand anderen tätig sei, geringeren Einsatz zeige, als wenn er dies auf eigene Rechnung tue: Si un número de comerciantes o una compañía redujese, por ejemplo, en Galicia las fábricas de lienzo a su discreción, de modo que los Gallegos trabajasen de cuenta de tales emprendedores, el género se malearía, se estancaría a arbitrio de ellos y los Gallegos sólo sacarían el jornal que les quisiesen dar. Y como éste menguaría cada día, al cabo la fábrica se arruinaría, porque los naturales habrían olvidado su industria antigua y la compañía no tendría quien trabajase de cuenta de ella, con la economía que es fácil lograr al presente en aquella Provincia frugal y laboriosa.381 Was die optimale Ausschöpfung der Arbeitszeit, also die Zeitökonomie, betrifft, schlägt Campomanes vor, dass Frauen und Kinder die Zeit, in der sie ihre Herden hüten, zum Spinnen nutzen sollten. Auch Nonnen empfiehlt er diese Tätigkeit und verweist mit Rücksicht auf die in den Konventen zur inneren Einkehr gebotene Stille auf spezielle, besonders lautlose Spindeln, die in der Ortschaft Marimon in der Region Haynault hergestellt werden.382 In ähnlicher Weise wie der durch ihn inspirierte Jovellanos verbindet auch Campomanes Wirtschaft und Moral. Dies geschieht über die dialektische Gegenüberstellung des bien público, des Gemeinwohls, und des ocio383, der freien, nicht zur Arbeit genutzten Zeit. Während Campomanes das Gemeinwohl mit der Ordnung gleichsetzt, führt die Untätigkeit aus seiner Sicht notwendigerweise zur Unordnung und damit zum moralischen Verfall, bedeutet untätig zu sein doch zugleich, den Leidenschaften nachzugeben: „Es imposible amar el bien público y adular las pasiones desordenadas del ocio.”384 In diesem Zusammenhang greift die Rhetorik des Discurso einmal mehr auf die Religion zurück, wenn sie die christliche caritas in den Dienst des Staates 381 Vgl. Campomanes (1975: 95). Vgl. Campomanes (1975: 56f.). 383 Zum Begriff des ocio bzw. ozio im 18. Jahrhundert in Spanien und Italien vgl. Fajen, Robert/Gelz, Andreas (eds.) (2017): Ocio y ociosidad en el siglo xviii español e italiano / Ozio e oziosità nel Settecento italiano e spagnolo. Frankfurt/Main: Klostermann sowie, für den Bereich des Theaters, Tschilschke, Christian von (2018): „Aspectos del ocio y de la ociosidad en el teatro y en el discurso sobre el teatro dieciochesco español“. In: Cuadernos dieciochistas, 19, pp. 245-260. 384 Campomanes (1975: 45). 382 3. Reformökonomische Diskurse 181 stellt wird, um den Fleiß der Bevölkerung ebenso wie die industrielle Kleinproduktion zu fördern:385 „La caridad con el prójimo, muy recomendada en la moral cristiana, tendrá un seguro método de ayudar al Estado.“386 Damit erfolgt eine Rückbindung des Progressiv-Ökonomischen an das Traditionell-Religiöse. Bemerkenswert ist auch, dass in Campomanes‘ Discurso von einer „Zivilgesellschaft“ („sociedad civil“) statt von einer feudalen die Rede ist, deren Gedeihen – und hier kommt das säkulare Konzept der felicidad pública zum Tragen – starke Arme in großer Zahl ebenso benötige wie eine Politik, die ihr Augenmerk auf die Interdependenz aller Wirtschaftszweige richte: „La felicidad pública se ha de conseguir por una atención universal a todos los ramos. Su fundamento está en la gran población, porque sin hombres faltan brazos a las diferentes operaciones que necesita la sociedad civil.”387 Wie Graef dies bereits in seinen Discursos mercuriales angeregt hatte,388 spricht auch Campomanes nicht mehr von den negativ konnotierten „artes mecánicas“, sondern nur noch von „las artes“, etwa wenn es heißt, dass die Landwirtschaft ohne die Unterstützung des Handwerks, d.h. der Textilproduktion in Heimarbeit, kraftlos sei.389 Als Wächter über die Politische Ökonomie und Schirmherr seiner eigenen Reformvorschläge präsentiert Campomanes schließlich den Reformen zugeneigten Souverän Carlos III., dem an der Förderung des 385 Wenn bei Campomanes (1975: 44) davon die Rede ist, die Nächstenliebe handle „en benificio de la industria común”, ist mit „industria“ ebenso der Fleiß wie die Industrie gemeint. Zu Etymologie und Bedeutungswandel des Begriffes „industria“ in Spanien vgl. auch Maravall, José Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento español (siglo xviii), Madrid: Mondadori, hier pp. 139ff. Das moderne Verständnis im Sinne der „industria“ als Bezeichnung für ‚Industrie‘ entsteht erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Vgl. Maravall (1991: 151). Zuvor bezeichnete „industria“ eine „actividad económica transformadora“, also den Arbeitsprozess selbst. Dieser leitet sich ab aus dem zuvor dominierenden Verständnis der „industria“ als Bezeichnung für eine ‚Befleißigung‘, ‚Betätigung‘ oder ‚Geschäftigkeit‘. Vgl. Maravall (1991: 149). 386 Campomanes (1975: 44). 387 Campomanes (1975: 123). 388 Vgl. Graef (1755, I: 36). Witthaus (2012: 298) zufolge treibt Graef damit die „Einschreibung der Mechanischen in den Katalog der Freien Künste“ voran. 389 Vgl. Campomanes (1975: 50): „La agricultura sin artes es lánguida [...].“ An anderer Stelle spricht Campomanes (1975: 63) von der Notwendigkeit der „propagación de las artes e industria común en España”. 182 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Fleißes seiner Untertanen gelegen sei.390 Damit fungiert Campomanes als Sprachrohr des Souveräns, wodurch das Stellvertreterprinzip zum Tragen kommt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der Minister dort, wo in seinem Discurso vom König als oberster staatlicher Autorität die Rede ist, von aufklärerischen Begriffen wie dem der ‚Zivilgesellschaft‘ oder des ‚Staatsbürgers‘ („ciudadano“) Abstand nimmt und stattdessen auf das feudale Konzept des Vasallen („vasallo“) zurückgreift, um keinerlei Zweifel an der im absolutistischen Staat herrschenden Hierarchie aufkommen zu lassen. 3.4.3. Über den Tertiärsektor: Valentín de Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778) Valentín de Foronda (1751-1821), von 1801-1809 spanischer Generalkonsul und abgesandter Minister in Philadelphia und mit Thomas Jefferson (1743-1826) befreundet,391 zählt als Diplomat und führender Intellektueller zu den liberalistischen Stimmen der spanischen Spätaufklärung. Aufgrund seines Studiums in Frankreich ist er mit den prominenten Schriften der französischen Aufklärung bestens vertraut, zeigt großes Interesse am deutschen Kameralismus und überträgt Bielfelds zweibändige Institutions politiques (1760) ins Spanische.392 Vor allem aber wird sein ökonomisches Denken durch anglophone Schriften geprägt. Foronda ist ein glühender Verfechter der Politischen Ökonomie, die er nicht nur als analytisches Instrument schätzt, sondern als Mittel der ökonomischen und politischen Aufklärung schlechthin, mit dessen Hilfe er gegen das weit verbreitete Unwissen seiner Zeitgenossen angehen möchte. Dieses Unwissen sieht Foronda vor allem seitens der konservativen Kräfte gegeben.393 390 Vgl. Campomanes (1975: 57): „Deseoso el Rey de fomentar la industria de sus vasallos [...].“ 391 Vgl. Azpiazu (1984: 27). 392 Vgl. Bielfeld, Jakob Friedrich von (1781): Instituciones políticas: Obra en que se trata de los reynos de Portugal, y España, de su situacion local, de sus posesiones, de sus vecinos, y limites, de su clima, y producciones, de sus manufacturas, y fabricas, de su Comercio, de los habitantes, y de su numero, de la nobleza, de la forma de su gobierno, trans. Valentín de Foronda. Bordeaux: Francisco Mor. 393 Vgl. Benavides, Manuel/Rollán, Cristina (eds.) (1984): Valentín de Foronda: Los suenõs de la razón. Madrid: Editora Nacional, p. 218 unter Bezugnahme auf Forondas Rede vor der Sociedad Química im Jahre 1802. 3. Reformökonomische Diskurse 183 In einer Rede vor der Baskischen Ökonomischen Gesellschaft im Jahre 1778 mit dem Titel Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio stellt Foronda sein Rezept gegen die ökonomischen Gebrechen der spanischen Nation vor: Die Bedeutung, die Jovellanos dem Ackerbau und Campomanes der textilen Kleinproduktion auf dem Land beimisst, hat für Foronda der Handel. Er allein ist in den Augen des navarresischen Ökonomen in der Lage, eine große Anzahl von Menschen zu beschäftigen und das im Adel wie im Volk verbreitete Laster der Faulheit zu bekämpfen. Foronda hatte dies bereits 1779 in seiner Ansprache vor der baskischen Ökonomischen Gesellschaft ausgeführt: El comercio nos trae lo necesario y lleva, en cambio, lo superfluo. Hace florecer fábricas y así da ocupación a muchas familias, que faltándoles este recurso se mantendrían en la inacción y no harían sino aumentar aquel tropel confuso de vagos que importa la Península.394 Wie vor ihm Campomanes greift auch Foronda die Dekadenzthese auf, und wie der Minister verwendet auch Foronda poblationistische und biopolitische Argumente. Auch für ihn ist die Vertreibung der Morisken unter Felipe III. ursächlich für den Bevölkerungsrückgang, aus dem der Niedergang des spanischen Handels und der Industrie resultiere395 Von dieser in ökonomischer ebenso wie in machtpolitischer Hinsicht unbedachten Politik hebt Foronda die der Monarchen Felipe V., Fernando VI. und Carlos III. positiv ab: „[...] en sus reynados 394 Foronda, Valentín de (1793b): „Paralelo de la Sociedad de San Sulpicio de Paris con la Casa de Misericordia, ó sociedad caritativa de la Ciudad de Victoria, destinado para leer en las Juntas generales que celebró en Bergara la Real Sociedad Bascongada en el año de 1779“. In: idem. Miscelanea, ó coleccion de varios discursos en que se trata de los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión del comercio. Madrid: Manuel González, pp. 24-30, hier p. 30. 395 Foronda, Valentín de (1793a): „Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio, leída en las Juntas generales que celebró la Sociedad Bascongada en Bilbao el año de 1778“. In: idem. Miscelanea, ó coleccion de varios discursos en que se trata de los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión del comercio. Madrid: Manuel González, pp. 1-23, hier p. 7. Auch zu hohe Steuern und Abgaben haben laut Foronda dazu geführt, dass viele HandwerkerInnen ihre Werkstätten schließen mussten. Über die negativen Auswirkungen der Vertreibung der Juden und Mauren äußert sich auch Graef in seinen Discursos Mercuriales. Vgl. Witthaus (2012: 301) mit Bezug auf Graef (1996: 28f.). 184 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien empezó á rayar la luz, y disiparse aquella confusa y melancólica obscuridad mercantil en que yacia la Península. Estos tres Monarcas, pero con especialidad el amable Carlos, se han esmerado en fomentar la agricultura, el comercio, y las artes [...].“396 Als Merkmal einer zur ökonomischen und gesellschaftlichen Verbesserung beitragenden Politischen Ökonomie wird, wie für die spanische Reformökonomie typisch, auch hier die Förderung aller drei Wirtschaftssektoren betrachtet. Wie Graef dies bereits angeregt hatte, ist auch bei Foronda nicht mehr von den artes mecánicas die Rede, die entsprechend auch nicht als ‚niedere Fertigkeiten‘ von den höherwertigen artes liberales abgegrenzt werden, sondern nur noch von „las artes“. Ähnlich poblationistisch wie Campomanes argumentiert Foronda dann, wenn er ausführt, die Bedeutung einer Nation bemesse sich nicht an ihrer räumlichen Ausdehnung, sondern an der Größe ihrer Bevölkerung,397 an ihrer Arbeit („trabajo“), das bedeutet: am Grad der Beschäftigung der StaatsbürgerInnen und an ihrem Fleiß („industria“),398 wobei Foronda keinen Zweifel daran lässt, dass es in erster Linie der Handel ist, der den EinwohnerInnen Spaniens die für das Gedeihen der Nation nötige Arbeit verschaffen könne. Das biopolitische Argument wird herangezogen, um die jahrhundertelang gering geschätzte Arbeit als neuen sozialen und ökonomischen Wert zu etablieren: In prosperierenden Ländern, in denen körperliche Arbeit an der Tagesordnung stehe, seien die Frauen gesünder und fruchtbarer und ihre Nachkommen widerstandsfähiger.399 Eine zahlenmäßig starke Bevölkerung wiederum sei nötig, um – hier argumentiert Foronda punktuell merkantilistisch – den Aktivhandel („comercio activo“400) voranzutreiben, der nur mit einer zahlenmäßig starken Bevölkerung möglich sei und der allein es vermöge, die Warenüberschüsse zu erwirtschaften, mit denen nicht nur der heimische Markt bedient, sondern auch der 396 Foronda (1793a: 9). Das poblationistische Argument vertieft Foronda (1793a: 4f.) unter Rückgriff auf das Beispiel eines Kriegsfalls. 398 Foronda (1793a: 2): „Una Nacion no es poderosa por el espacio que ocupa en el globo sino por su poblacion por su trabajo y por su industria.“ 399 Vgl. Foronda (1793: 3): „Faltando la indigencia con las labores industriales resulta que las mugeres de los artesanos mas sanas y fecundas, sus hijos mas robustos, y por consiguiente de mas larga vida. La tiene demostrado que en los Paises son las mugeres mas estériles, y los casamientos menos repetidos [...].“ 400 Foronda (1793a: 4). 397 3. Reformökonomische Diskurse 185 Auslandshandel vorangetrieben werden könne. Der Handel („tráfico“) seinerseits führe zum Bevölkerungswachstum und komme daher einer wundertätigen göttlichen Macht gleich, die nun – das ist die Folge – an die Stelle des vormals brotgebenden Königs als Stellvertreter Gottes auf Erden tritt: „Esta deidad hace milagros: donde hay gran comercio hay mucha opulencia, y donde hay muchas riquezas hay una gran población.“401 Handel und Bevölkerungswachstum stehen also in einer Reziprozitätsbeziehung, wie Foronda dies am Beispiel Hollands und der am Persischen Golf gelegenen Stadt Hormus illustriert. Diese sei, obwohl sie auf einer kargen Felseninsel liege, dank des Handels zu einer bevölkerungsstarken Metropole geworden.402 Mit diesem Beispiel schränkt Foronda zugleich die Bedeutung günstiger klimatischer Bedingungen für eine florierende Wirtschaft ein, um gleich darauf zu betonen, dass der Handel als einziger Sektor auch in den ariden Zonen Spaniens in der Lage sei, ‚blühende Landschaften‘ zu schaffen. Entsprechend sei der Handel die ‚Säule der Staaten‘ und das allein geeignete Instrument zur Erlangung der felicidad pública.403 Ocampo Suárez-Valdés führt Forondas Lob des Handels in erster Linie auf Humes Traktat Of Commerce zurück.404 Es finden sich jedoch auch Bezüge zu Montesquieu, den Foronda in seiner Disertación explizit im militärischen Kontext erwähnt und in einem Satz mit Bielfeld („Wielfeld“) nennt. Von Montesquieu bezieht Foronda das in L´Esprit des lois entwickelte Konzept des doux commerce405 und führt aus, dass Handel Frieden bedeute, werde durch eine ausgeglichene Handelsbilanz zugleich ein Ausgleich der Kräfte in Europa erreicht. Ein ähnliches Konzept vom Handel als Motor des Friedens findet sich in früheren französischen Traktaten, etwa in Jacques Savarys Le parfait négociant (1675).406 In diesem Sinne spricht Foronda von der „balanza mercantil, como la única y verdadera balanza del poder”.407 Er stellt 401 Foronda (1793a: 5). Foronda (1793a: 5). 403 Foronda (1793a: 19). 404 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31). 405 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30) mit Bezug auf Montesquieu (1951), Buch III, Kap. 7. 406 Vgl. Strosetzki, Christoph (2017): „Der Kaufmann von der Patristik zum honnête homme bei Savary“. In: idem/Lütge, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 5-20, hier pp. 12ff. 407 Foronda (1793a: 9). 402 186 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien den neuen Handelsadel gegen den alten, nun wertlos gewordenen Blutsadel408 und hebt die moralökonomische Bedeutung des Handels für ein tugendhaftes Dasein hervor. In diesem Sinne führt der Handel mit dem durch ihn erreichten Wohlstand zugleich eine ‚Besänftigung der Sitten‘ herbei: Las glorias, poder, lustre y felicidades del Monarca son el primer requisito que debe concurrir en cualquiera profesión para captarse la benevolencia, el respeto y la atención del público, que es en lo que se cifra la nobleza; y precisamente en el comercio es donde se verifican prodigiosamente todas estas qualidades, pues aumenta la población, destierra la ociosidad, suaviza las costumbres, mitiga los trabajos inseparables de la humanidad y derrama la opulencia ó por mejor decir, el manantial de las prosperidades.409 Foronda argumentiert also wie zuvor Campomanes und später Jovellanos moralökonomisch, wenn er den Handel als eine zivilisierende Kraft identifiziert, die imstande sei, zwischen den Nationen das zarte Band der Freundschaft zu knüpfen,410 das dem Kriegsdrang 408 In diesem Zusammenhang verweist Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30, Fußnote 5) darauf, dass das Konzept des ‚Handelsadels‘ bereits schon vor Coyer in England entwickelt wurde. Er führt dies auf Richard Steeles sentimentale Komödie The Conscious Lovers (1721) zurück, in der einer der dem Kaufmannsstand angehörigen Charaktere, Mr. Sealand, verlautbaren lässt „[...] that we merchants are a species of gentry that have grown into the world this last century“. Steele, Richard (1805 [1721]): The Conscious Lovers. Paris: Parsons & Galignani, p. 58. In Spanien findet diese Replik Ocampo Suárez-Valdés zufolge etwa in Antonio Vila y Camps‘ (1747-1809) Lehrfibel El noble bien educado (1776) ihr Echo. Dort heißt es im vierten Kapitel: „De la verdadera nobleza, y sus efectos“: „La nobleza verdadera debe, amado Discípulo, tener por fundamento la virtud [...]”, wobei der somit bezeichnete ‚Tugend-‘ bzw. ‚Seelenadel’ dezidiert vom Blutsadel unterschieden wird. Vila y Camps, Antonio de (1776): El noble bien educado: Instrucción político-moral den un Maestro a su Discípulo, en que en un compendio de la moral cristiana se dan solidísimos documentos para la perfecta educación de un caballero, con muchas máximas importantes y utilísimas reflexiones, Madrid: Miguél Escribano, p. 189. Alle zitiert in Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30). Zum Konzept des Seelenadels im spanischen Komödien des 18. Jahrhunderts vgl. Kap. 7.4.2. 409 Foronda (1793a: 3). 410 Foronda (1793a: 12f.): „El comercio nos obliga tanto á una comunicacion recíproca como á formar aquellos estrechos vínculos de amistad, que refrenan la violencia de nuestras pasiones, las que nos inducirian al odio y destruccion de nuestra especie, como se ve entre los Otentotes de Africa entre los Salvages de la Siveria, entre los Iroqueses del Canadá, y entre otros varios linagés de gentes feroces [...].“ Im weiteren 3. Reformökonomische Diskurse 187 wilder Stämme wie den afrikanischen Hottentotten, den kanadischen Irokesen oder den Bewohnern der sibirischen Steppe entgegenstünde, eine Passage, die einmal mehr den eurozentristischen Impetus so mancher Schrift der europäischen Aufklärung offenbart, auf den sich der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts gründen wird.411 Der Einfluss der englischen Wissenschaftler und Philosophen auf Foronda zeigt sich nicht nur anhand seiner Bezugnahme auf Hume (s.o.) und Newton412, sondern auch, wenn er gleich zu Beginn seiner Disertación Francis Bacon (1561-1626) zitiert und ihm diese Referenz dazu dient, die Meriten des Blutsadels – und damit das feudale System – in Frage zu stellen, eine Textstelle, in der die liberalistische Gesinnung des navarresischen Ökonomen offen zutage tritt: Señores: Si la nobleza de las profesiones se debe medir por las utilidades que de su exercicio resultan al Rey, a la Humanidad y a la Patria, ¿quién será tan alucinado que se niegue a tributar los primeros respetos al comercio, que, según el Chanciller Bacón, es la sangre que vivifica todos los miembros de un Estado? ¿Quién tan necio que no conceda los más altos honores a este resorte que comunica el mas vigoroso impulso a la felicidad de los Reinos? ¿Y quién tan orgulloso que lo califique de indecoroso e indigno de los primeros hombres? 413 Foronda betont also, dass denjenigen, die zum Wohlstand („felicidad“, s.o.) der Staaten beitragen, mehr Ehre gebühre als den untätigen Blaublütigen und scheut sich nicht, sodann unter intertextuellem Rückgriff auf Cervantes‘ ‚Ritter von der traurigen Gestalt‘ zu einer Adelsschelte anzusetzen im Zuge derer er diejenigen scharf rügt, die ihren Stolz auf einen ‚Haufen vergilbter Pergamente‘ gründeten und daher all jene mit Verachtung straften, die einer ehrbaren Arbeit nachgingen: Verlauf seiner Disertación spricht Foronda (1793a: 14) dann auch von Handelsgütern wie feinen Gewürzen und Kaffee als ‚Kulturgütern‘, aber auch von dem Umstand, dass über den Handel lebensrettende Medizinprodukte aus anderen Teilen der Welt bezogen werden könnten. Vgl. zum letzten Aspekt Foronda (1793a: 17). 411 Zu den Ausschlussmechanismen und Rassismen der ökonomiebezogenen Diskurse der französischen Enzyklopädisten vgl. die Studie von Struve (2020). 412 Vgl. Foronda (1793a: 5). 413 Foronda (1793a: 1f.). 188 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien A los ojos de la razón parece que ninguno, pero, por desgracia de España, se cuentan muchos Quixotes en su recinto que, contemplando el valor de la nobleza adherido a unos pergaminos viejos o a cuatro casas derruidas, desprecian todos los demás ejercicios por ilustres y fructuosos que sean.414 Aussagekräftig ist Forondas Vergleich des Staates mit einem Uhrwerk, dessen Antriebsrad der Handel sei, ein Verständnis, das an Romá i Rosells Konzept vom Staat als Maschine erinnert und das hier um den Aspekt des Wohlstands erweitert wird: [...] con que si éstas [profesiones] son nobilísimas por los beneficios que producen al reino, no debe ser menos honrosa, atendida y estimable la del comercio, influyendo tanto sobre el incremento de la prosperidad de un Estado como la rueda catalina de un reloj para que adquiera movimiento.415 Der etwaigen Sorge der Konservativen, dass der durch den Handel entstehende Reichtum zu einer ‚Verweiblichung‘ des spanischen Mannes führen könnte, greift Foronda vor und tut sie als Hirngespinst ab.416 Indem er diesen Aspekt erwähnt, sucht er den Einwürfen der konservativen Mehrheit der Bevölkerung zuvorzukommen, für die die männliche Ehre (honor) ein durch und durch feudales Ideal ist, nach dem sich Männlichkeit an den heroischen Kriegstaten des Ritters bemisst.417 Wie die hier angestellten Dramenanalysen zeigen werden (vgl. Kap. 5ff.), wird der effeminierte Mann im wirtschaftsbezogenen Komödien der spanischen Spätaufklärung ganz im Sinne des reformökonomischen Diskurses gerade nicht durch Berufstätige wie den wohlhabenden Kaufmann verkörpert, sondern durch nichtsnutzige Verschwender und petimetres, wohingegen Kaufleute und Fabrikanten als Patriarchen – und damit dezidiert männlich – ausgewiesen werden 414 Foronda (1793a: 1f.). Foronda (1793a: 1f.). 416 Vgl. Foronda (1793a: 11f.): „Ya se ve que el temor de que se enerven los ánimos que aparentan los contrarios del comercio, es un fantasma sin realidad, que solo puede asustar á quien no tenga las noticias que dexo expuestas, las quales demuestran que lejos de afeminar á los hombres las riquezas los llenan de corage y energía quando se trata de defender sus derechos.“ 417 Frauen können dieser Vorstellung gemäß keine Ehre haben. Ehrbar sind sie selbst nur mittels der Ehrbarkeit ihres Ehegatten oder, insofern sie unverheiratet sind, durch die des männlichen Familienoberhauptes. 415 3. Reformökonomische Diskurse 189 (vgl. Kap. 6.5). Auch bei Foronda ist der Kaufmann jemand, der sich durch Mut auszeichnet und seine Rechte zu verteidigen weiß. Diese Betonung der Männlichkeit des Händlers und die Negation seiner Effeminiertheit zeugen von einem gewissen Rechtfertigungsdrang gegenüber den Vertretern des casticismo, den Repräsentanten des Volkstümlich-Traditionellen.418 Die negative Sicht des Adels auf den Handel verdeutlicht Foronda wiederum mittels der Metapher eines grünstichigen Fernrohrs, das sozusagen das Gegenteil der heutzutage sprichwörtlichen ‚rosaroten Brille‘ ist: „[...] miran el comercio todos los demas nobles con un anteojo verde, y que por eso les parece de este color por todos sus aspectos.“419 Eben diese Haltung bewirke, dass die meisten Kaufleute nach einem Adelstitel strebten und ihren Beruf aufgäben, sobald sie einen Grad finanziellen Wohlstands erwürben, der ihnen den Kauf eines Adelstitels und der zugehörigen Ländereien ermögliche. Dass diese Diagnose der Realität des ausgehenden 18. und anbrechenden 19. Jahrhunderts entspricht, konnte in den einleitenden Kapiteln zur wirtschaftlichen Ausgangslage gezeigt werden. Die Vereinbarkeit von Adel und Handel ist für Foronda keine Fra420 ge. Wenn er den Handel im öffentlichen Bewusstsein als eine ehrbare Tätigkeit zu verankern sucht und dementsprechend von der „honrosa profesión del comercio“421 spricht, ist der Weg für den virilen Typus des ehrbaren Kaufmanns geebnet. Damit hält ein neuer ökonomischer Figurentypus Einzug in den spanischen Wirtschaftsdiskurs, dessen primäre Attribute, Ehrbarkeit und Männlichkeit, im Anschluss an Foronda auch auf andere Berufsfelder wie das Handwerk übertragen werden, etwa durch Arteta de Monteseguro (1745-1813) in 418 Wie man sich diese Vertreter des casticismo vorzustellen hat, konkretisiert Jehle (2010: 130): „Die Vertreter der Aufklärung sehen sich einer doppelten Front gegenüber: einem Volk, das nicht lesen und schreiben kann und gezwungen ist, die Lebensmittel für eine ungeheure Masse von adligen und klerikalen Müßiggängern zu produzieren, und einer Bildungsschicht, die von den klerikalen traditionellen Intellektuellen dominiert wird. Ihre Orte, die Universitäten und die zahlreichen über das ganze Land verstreuten Klöster, sind ebensolche Festungen aus Gewohnheiten und Routinen wie die Dörfer der ans Land gefesselten Männer und Frauen.“ 419 Vgl. Foronda (1793a: 22). 420 Vgl. Foronda (1793a: 12): „Díganme, ¿si una profesion de que resultan tantos bienes al Estado, será indecoroso exercicio, y derogatorio de la Nobleza? Yo creo que nadie imaginará tal chimera [...].” 421 Foronda (1793a: 12). 190 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Disertación sobre el aprecio y estimación que se debe hacer de las artes prácticas y de los que las ejercen con honradez, inteligencia y aplicación (1781) (vgl. Kap. 7.1). Mit der in der Folgezeit stattfindenden zusätzlichen Kodierung des ehrbaren Kaufmanns als Patriarch (vgl. Kap. 5) vollzieht sich eine Anthropologisierung des Ökonomischen, die in eine ganze Palette figuraler geschlechtlicher Verkörperungen einzelner Wirtschaftszweige mündet. Das Modell des ehrbaren Kaufmanns wird dabei in abgewandelter Form auf andere Sektoren wie die Industrie und den Ackerbau übertragen. Im literarischen Feld geschieht dies beispielsweise, wenn die sentimentale Komödie der spanischen Spätaufklärung analog zum ehrbaren Kaufmann die männlichen Figurentypen des ehrbaren Fabrikanten (vgl. Kap. 6), des ehrbaren Bauern sowie des ehrbaren Handwerkers und Kleingewerbetreibenden entwirft (vgl. Kap. 7). Bei Foronda löst der unternehmerisch tätige Händler und Patriarch nicht nur den brotgebenden Monarchen als Ernährer der Bevölkerung ab;422 der gesellschaftliche Nutzen („utilidad“) dieses vir oeconomicus (vgl. Kap. 4.3) leitet sich überdies aus seiner Bedeutung für andere Wirtschaftszweige ab und, wie Foronda nicht müde wird zu betonen, aus seinem Beitrag zur moralischen Verbesserung der Gesellschaft: Si no hay comercio, no puede haber una agricultura é industria pujante; y no habiendo agricultura, industria, ni comercio, los hombres vivirán en la ociosidad, en cuyo caso las pasiones adquieren fuerzas, se chocan entre sí con mas violencia, y turban la armonía general que debe reynar en un Estado.423 Wie vor ihm Campomanes scheut auch Foronda sich nicht, auf konkrete Zahlen zurückzugreifen, um zu zeigen, dass die Majoratsgüter und die, die ihre Einkünfte allein aus Landbesitz beziehen, vom Handel abhängen, ist es doch der Handel, der das nötige Kapital zur Gründung eines Gutshofes bereitstellt.424 Seine Ausführungen schließt er mit einem Appell an die Mitglieder der Baskischen Ökonomischen 422 Foronda (1793a: 20): „¿Será acaso mas glorioso tener un gran número de criados, que una fábrica en que se proporcione ganar el alimento á cien familias? No creo que haya alguno que lo diga.” 423 Foronda (1793a: 18). 424 Vgl. Foronda (1793a: 20f.). 3. Reformökonomische Diskurse 191 Gesellschaft, der zugleich ein Weckruf ist, gehe es doch darum „de despertar del letargo mercantil que nos cogió ha cerca de dos siglos, [...] adoptando, apreciando, y distinguiendo la honrosa profesion del comercio“.425 Noch vor Jovellanos‘ Informe, der ja mit der Rede über die spanische Dekadenz zu brechen sucht, vollzieht Foronda mit seiner Disertación eine Wende, wenn er die Rede vom Niedergang Spaniens in eine konkrete Anleitung zum Handel(n) überführt und nicht mehr nostalgisch auf die Vergangenheit blickt, sondern seinen Zuhörern die Gegenwart als Chance eröffnet, um eine bessere Zukunft zu schaffen.426 Dieses Denken ist gänzlich vom aufklärerischen Fortschrittglauben durchdrungen – ein Merkmal, das Foronda mit den französischen Enzyklopädisten teilt. 425 Foronda (1793a: 23). Campomanes‘ Diskurs kennzeichnet demgegenüber der Versuch, aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen. Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996b): Schönheit und Geschmack. Die Theorie der Künste in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 886. 2001 ist ebenfalls im Vervuert-Verlag die spanische Übersetzung von Jacobs‘ Studie mit dem Titel Belleza y buen gusto. Las teorías de las artes en la literatura española del siglo xviii erschienen, vgl. dort p. 66. 426 4. DIE ÖKONOMISIERUNG DES THEATRALEN IM 18. JAHRHUNDERT IN SPANIEN Die für diese Studie zentralen Fragen lauten: In welchen Punkten korrelieren die bourbonische Reformökonomie und die gleichzeitig von bourbonischen Regierungsbeamten wie Jovellanos angestrebte Theaterreform, die heute vor allem mit dem Namen des Conde de Aranda1 verbunden wird? Warum und in welcher medialen und materiellen Form halten die eingangs skizzierten Diskurselemente der ökonomischen Theoriegeschichte Eingang in das Theater im Allgemeinen und in Komödien der spanischen Spätaufklärung im Besonderen? Und wie sind die ökonomischen Bedingungen des Theaterbetriebs selbst? Während ZuschauerInnen die Aufführung heutzutage zumeist schweigend verfolgen – es sei denn, es handelt sich um ein bewusst interaktives Theater mit Performance-Charakter –, ist das Theaterspektakel von der frühen Neuzeit bis in das anbrechende 19. Jahrhundert hinein ein durch die ständige Intervention des Publikums gekennzeichnetes Spektakel, das Musik, Tanz und Unterhaltung verspricht, bei dem aber nicht nur das auf der Bühne Gezeigte im Fokus der Aufmerksamkeit des Publikums steht, sondern auch das Sehen und Gesehen-Werden, das aufgrund des einfallenden Tageslichts2 auch während der Aufführung möglich ist. Die Popularität des Theaters im 17. und 18. Jahrhundert vergleicht Jehle mit der des Kinos.3 Das Theater, 1 Auf Veranlassung des Conde de Aranda arbeitet Bernardo de Iriarte (1735-1814), ein Beamter in dem von Aranda geführten Staatssekretariat, 1767 eine Theaterreform aus. Vgl. Jehle (2010: 140). Zur ausführlichen Darstellung der theaterbezogenen und sonstigen durch den Conde de Aranda initiierten Reformen vgl. Onaindía (2002:134ff.). 2 Auf die Lichtverhältnisse geht dieses Kapitel im weiteren Verlauf näher ein. 3 Vgl. Jehle (2010: 137) mit Bezug auf Moir, Duncan W. (1985): „Das spanische Theater im 18. Jahrhundert“. In: Pörtl, Karl (ed.). Das spanische Theater. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, pp. 349-391, hier p. 356. 194 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien insbesondere die Tragödie, ist seit der Antike und der aristotelischen Poetik aber auch ein Ort der Belehrung der gehobenen Schichten, die dort mittels der Katharsis geläutert und erbaut werden sollen. Die bourbonischen Reformbemühungen des 18. Jahrhunderts in Spanien, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Kulturbereich im Visier haben, versuchen das Theater von dem Unterhaltungsmedium für alle Bevölkerungsschichten, das es im 17. Jahrhundert und insbesondere in den comedias4 Lope de Vegas vor allem war, zu einer moralischen Lehranstalt für den Adel und das gehobene Bürgertum zu machen; ein Unterfangen, aus dem das einfache Volk ausgeklammert bleibt.5 Anders als im Theater eines Lope de Vega greift im Reformtheater der spanischen Aufklärung keine „populäre Ökonomie“6. Die Sprache der Aufklärung wird schon allein deshalb nicht in die Sprache des vulgo übersetzt, weil dieser aus der Sicht der Regierenden aufgrund seiner begrenzten Bildung unbelehrbar und daher kein geeigneter Akteur im Aufklärungsprozess ist. Eine „Aufklärung, die in Gestalt des bourbonischen Königs auf dem spanischen Thron sitzt“7 und die sich für den Bereich des Theaters durch den Neoklassizismus8 und 4 Die neue Gattung der comedia als eine für alle Volksschichten geeignete Form der Unterhaltung skizziert Lope de Vega in seiner Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo (1609). Das Genre kennzeichnet unter anderem die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Komödie und Tragödie. Vgl. Lope, Vega de (2016 [1609]): Arte nuevo de hacer comedias, eds. Felipe B. Pedraza Jiménez und Pedro Conde Parrado. Cuenca: Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha. 5 So bemerkt Hoffmann (2017: 43) in Bezug auf die von Jovellanos vorangetriebene Theaterreform, dass dieser zufolge „ein adeliges Publikum als Multiplikator der aufklärerischen Ideen herangezogen werden [müsse], damit es [deren] Implementierung [...] vorantreibe“. 6 Vgl. Jehle (2010: 133). Ihm zufolge verweigert die neoklassische Theaterreform dem Volk jene Form der Erziehung, die im geschichtlichen Handeln selbst entsteht, also die Selbsterziehung durch Erfahrung. Den Begriff einer „kulturellen Ökonomie des Volkes“ bezieht Jehle (2010: 132) von Thompson, Edward P. (1980): „Die ‚moralische Ökonomie‘ der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert“. In: idem. Plebeische [sic] Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, ed. Dieter Groth, trans. Günther Lottes. Frankfurt/Main: Ullstein, pp. 67-130, hier p. 70. Thompson definiert den Begriff dort als nicht notwendig politische, aber auch nicht unpolitische Vorstellungen vom Gemeinwohl, die auf das politische Denken und die Herrschaftspraxis einwirken. 7 Jehle (2010: 128). 8 Begriffe wie „Neoklassik“ und „Neoklassizismus“ sind insofern missverständlich, weil es, wie Jehle (2010: 178) betont, nicht mehr um den legendären adeligen 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 195 seine an der Poetik des Aristoteles orientierte Ästhetik repräsentiert sieht, ist nicht primär deshalb von der volkstümlichen Tradition abgeschnitten, weil seine Ästhetik „antipopular“9 wäre, sondern weil ihr schlichtweg nicht daran gelegen ist, ihr aufklärerisches Verständnis vom Popular-Nationalen ‚an den Mann‘ (bzw. die Frau) des Volkes zu bringen.10 Die bei der Mehrzahl der SpanierInnen beliebten und von den Reformern verachteten Theatergenres, darunter die 1765 verbotenen Fronleichnamsspiele (autos sacramentales), das nicht immer durch ein gutes Ende gekennzeichnete ‚Zauberspiel‘11 (comedia de magia) oder das schlachtenreiche Heldendrama (drama heróico)12 sind mit dem neoklassischen Aufklärungstheater der Regierung nicht vereinbar. Daher sind sie für die reformorientierten Minister, Verwaltungsbeamten und Literaten allenfalls als Objekt der Schelte von Interesse, nicht aber als dramatische Formen, deren immer gleiche ästhetische und inhaltliche Versatzstücke in Teilen dafür nutzbar gemacht werden könnten, um zu den Massen durchzudringen. Was die aufklärerische Reformbewegung möchte, will und kann sie dem Volk nicht mit den bei ihm wirksamen theatralen Mitteln beibringen: Komik, action in Form von Kampfhandlungen und Kanonendonner, die in der comedia Lopes praktizierte Vermischung der Gattungen und Geschlechter und die Begegnung der sozialen Klassen. Dieses Unvermögen ist nicht zuletzt dadurch begründet, dass es sich um eine Reform ‚von oben‘ und ‚von außen‘ handelt, d.h. ohne Einbeziehung der das System Theater gestaltenden AkteurInnen: der VorsteherInnen der Schauspieltruppen Helden geht, sondern – wie in den bürgerlichen Dramen Diderots – um Menschen aus der Alltagsgegenwart. Diese sind nicht dem vulgo gleichzusetzen, der bis 1797 den Großteil der TheaterzuschauerInnen auf den billigen Stehplätzen stellt. Vielmehr handelt es sich um ProtagonistInnen aus der clase media, d.h. um Berufstätige aus dem gehobenen Bürgertum und niederen Adel. 9 Jehle (2010: 128). 10 Vgl. Jehle (2010: 128). 11 Die Übersetzung des Gattungsbegriffs comedia de magia als ‚Zauberspiel‘ entnehme ich der aktuell (2022) in Arbeit befindlichen Habilitationsschrift Echtes Hexenwerk und falscher Zauber: Die Inszenierung von Magie im spanischen und französischen Theater des 17. Jahrhunderts von Anna Wörsdörfer. 12 Diese Gattungen werden nach und nach von der Bühne verbannt. 1788 trifft es nach den comedias de magia auch die comedias de santo. Vgl. hierzu auch Hoffmann (2017: 44). 196 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien (der autores bzw. autoras de compañía)13, der Darstellenden und nicht zuletzt des Publikums.14 Auch die Theaterreform ist also durch die Crux der ökonomischen Reform gekennzeichnet: Da die verantwortlichen Regierungsbeamten nicht dem System entstammen, das sie zu erneuern suchen, scheitert der diskursiv errichtete Reformapparat an der Praxis.15 Entsprechend schwer tut sich das aufgeklärte neoklassische Reformtheater mit seiner Mittlerfunktion für die aufgeklärten Trägerschichten, das gehobene Berufsbürgertum und den berufstätigen Adel, was unter anderem daran liegt, dass es auf Komik nahezu gänzlich verzichtet. Statt der entgrenzenden und befreienden Kraft des schallenden Lachens („risa“) bevorzugt es das sanfte Lächeln („sonrisa“),16 statt der Vermischung der Gattungen, Geschlechter und sozialen Schichten betreibt es die Trennung, die Begrenzung und Normierung. Dies geschieht durch eine Reglementierung 13 Mit María Hidalgo und María Ladvenant hatten die beiden Madrider Theaterhäuser, das Teatro del Príncipe (Hidalgo) und das Teatro de la Cruz (Ladvenant), zwei weibliche Oberhäupter. Vgl. Hoffmann (2017: 73). 14 Entsprechend bezeichnet Hoffmann (2017: 60) das neoklassische Theater als „neues Subsystem“ im luhmannschen Sinne, das „erst langsam Kopplungen zu anderen Systemen“, d.h. dem etablierten spanischen Theaterapparat, aufbauen kann. 15 Vgl. hierzu Álvarez Barrientos, Joaquín (2003): „El arte escénico en el siglo xviii“. In: Huerta Calvo, Javier/Doménech Rico, Fernando/Peral Vega, Emilio (eds.). Historia del teatro español II. Del siglo xviii a la época actual. Madrid: Gredos, pp. 1473-1517, hier p. 1493, zitiert in Hoffmann (2017: 62): „Seguramente no tener en cuenta la opinión de los afectados fue una de las causas del fracaso de las reformas, a menudo propuestas por personas que sólo conocían el teatro desde fuera o que valoraban más al autor que al actor.“ 16 Zum Misstrauen der Neoklassiker gegenüber dem Lachen vgl. Sala Valldaura, Josep (2009): „La lengua y el gesto de la sonrisa: el ethos burgués de las comedias neoclásicas. In: Lorenzo Álvarez, Elena de (ed.). La época de Carlos IV, 1788-1808. Actas del IV Congreso Internacional de la Sociedad Española de Estudios del Siglo xviii. Oviedo: Trea, pp. 55-86, hier p. 56. Dass das sanfte Lächeln das laute Lachen ersetzt, ist auf das neoklassische Ideal der Mäßigung (span.: „moderación“) und den bürgerlichen Wert des ‚rechten Maßes‘ zurückzuführen. Dazu gesellen sich der Einfluss der englischen sentimental novel, des französischen drame bourgeois nach Diderot und der comédie larmoyante nach Nivelle de la Chaussée. Zum Einfluss Nivelle de la Chaussées auf Ignacio de Luzán als dem Begründer der neoklassischen Poetik vgl. Jehle (2010: 169). Zum Lachen im Theater des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. auch Álvarez Barrientos, Joaquín (1999): „Risa e ‚ilusión‘ escénica. Más sobre el actor en el siglo xviii “. In: Scriptura, 15, pp. 29-50. 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 197 a) des Zuschauerraums z.B. durch die räumliche Trennung der Geschlechter sowie mittels der Separierung und Lenkung der das Theater frequentierenden sozialen Schichten, etwa durch die von Jovellanos angeregte und zwischen 1798 und 1800 umgesetzte Erhöhung der Eintrittsgelder;17 b) der aufgeführten Gattungen, beispielsweise durch die mit der Poética (1737)18 Ignacio de Luzáns (1702-1754) eingeführten neoklassischen Regeln der drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung sowie der Trennung von Tragödie und Komödie; letztere möchte Jovellanos, da sie beim Volk beliebt ist, sogar gänzlich von den Bühnen verbannen;19 c) der Dramenproduktion durch Auszeichnungen für die im Sinne der Reform besten Stücke und deren Auswahl durch eine Akademie, damit nicht – wie es gängige Praxis ist – die Theatertruppen (compañías) gemäß der beim Volk beliebten Themen und Formen den Spielplan bestimmen, sondern rein neoklassische Werke.20 17 Vgl. Jehle (2010: 144). Vgl. auch Hoffmann (2017: 48), Fußnote 44. Vgl. Luzán, Ignacio de (2008): La poética o reglas de la poesía en general, y de sus principales especies, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra. Zu den italienischen Einflüssen auf Luzán vgl. Michel, Karin (1984): Ignacio de Luzán: La poética (1737). Untersuchungen zur Frage ihrer Einordnung im Hinblick auf antike u. italienische Vorbilder. Köln, Diss. 1983. 19 Auch das angedachte Komödienverbot steht im Dienste der sozialen Trennung, vgl. Hoffmann (2017: 52), die davon spricht, dass dies einem „Ausschluss der niederen Gesellschaftsschichten“ gleichkomme. Dabei bezieht sie sich auf MS 9327 der Biblioteca Nacional de España (BNE): Jovellanos, Gaspar Melchor de (o. J.): „Ynforme dado por Dn. Gaspar Melchor de Jovellanos à Peticion de la Academia encargada por el Consejo sobre La reforma y mejor arreglo de los teatros y Espectaculos a España“. In: Papeles tocantes al teatro español del siglo xviii, pp. 1-72, hier p. 59. 20 Vgl. Jovellanos (o.J.: 60f.), MS 9327 zitiert in Hoffmann (2017: 53): „[...] fuera del concurso escriva è imprima el que quisiere sus produciones; pero ningun drama, sea el que fuere, pueda presentarse a la scena en Madrid, ni en las Provincias, sin las aprovaciones de la misma Academias assi se cerrara de una vez la puerta a la licencia que ha reynado hasta aqui en materia tan enalasada con las ideas y costumbres publicas.“ Hoffmann (2017: 53f.) spricht diesbezüglich von einer dreifachen Vertauschung: 1. „des ‚Innen‘ gegen das ‚Außen‘“, weil nun nicht mehr aus dem Inneren des Systems Theater heraus bestimmt wird, was gespielt werden soll, sondern von einer neu gegründeten Akademie als einer Regierungsinstanz, die von außen auf das System einwirkt; 2. des „Oben“ der staatlichen Institution gegen das „Unten“ der Theatertruppen und des Publikums; 3. des Gehobenen der Neoklassik gegen das „Triviale“ der populären Dramen. Eine vierte Vertauschung identifiziert sie (2017: 57) in der Präferenz von Sitz- gegenüber Stehplätzen. 18 198 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Ohnehin soll das einfache Volk, so fordert es Jovellanos in seiner Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas21 (1790), im neuen Theater keine Rolle mehr spielen, vor allem nicht als jener laute, dazwischenrufende und das Schauspiel störende Mob, den der mosquetero22 verkörpert. Wie bereits angedeutet, verfolgen die ZuschauerInnen des 18. Jahrhunderts die Darbietung nicht in andachtsvoller Stille, vielmehr herrscht im Gegenteil ein beträchtlicher Lärm, der nicht zuletzt von der Bühnenmaschinerie, den tramoyas, herrührt.23 Auf den zahlreichen Stehplätzen im Innenraum, dem patio, wird zudem gestritten und gerempelt, während manch einer auf den Rängen ein Schläfchen hält; man verzehrt die durch Händler lautstark angepriesenen Orangen, trinkt und bedenkt die Rede der SchauspielerInnen mit Zwischenrufen.24 Nicht nur der ungebildete ‚Pöbel‘, auch Vertreter des Klerus versuchen, die Darsteller mit Witzen aus der Fassung zu bringen und treten damit in Konkurrenz zur Darbietung selbst.25 Neben den stimmlich entsprechend strapazierten SchauspielerInnen26 muss sich, wie Jovellanos anmerkt, auch der Souffleur (apuntador) gegen diese Geräuschkulisse lautstark durchsetzen, was, wie der Minister kritisiert, der theatralen Illusion kaum zuträglich sei.27 21 Einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Textfassungen, den Inhalt und die Argumentationslinien von Jovellanos‘ Memoria sowie ihren Bezügen zu bzw. Divergenzen von aufklärerischen Ideen zur Reformierung des Theaters in Deutschland (Schiller) und Frankreich (Rousseau) gibt Hoffmann (2017: 38-65). Auch eine Kritik der Reform nimmt Hoffmann (2017: 60ff.) vor, die eben in ihrer mangelnden Ausrichtung an der Theaterpraxis besteht. 22 Die auf den preislich günstigen Stehplätzen im Innenraum beheimateten mosqueteros sind Männer aus dem einfachen Volk, die die Darbietungen auf der Bühne durch Pöbeleien, laute Buh- und Zwischenrufe, aber auch durch Beifallsbekundungen zu unterbrechen pflegen. Reformpolitiker wie Jovellanos erachten sie deshalb als so störend, weil durch sie das didaktische Unterfangen des neoklassischen Reformtheaters zum Scheitern verurteilt ist, muss der „Lehrer-Schauspieler“ doch ständig mit den „Inszenierungen der Schüler“, also denen des Publikums, konkurrieren. Jehle (2010: 141). 23 Vgl. Hoffmann (2017: 166). 24 Vgl. Jehle (2010: 160). 25 Für alle vgl. Jehle (2010: 135ff.). In Bezug auf feixende Vertreter des Klerus nennt Jehle (2010: 137) unter Berufung auf Moratín den Jüngeren den Franziskanerpater Marco Ocaño. 26 Vgl. Hoffmann (2017: 167). 27 Jovellanos (o.J.: 63), MS 9327 zitiert in Hoffmann (2017: 55): „[E]l soplo y acento del apuntador tan cansados como contrarios a la ilusion teatral, el tono bajo e insignificante, los gritos y ahullidos descompuestos, las violentas contorsiones y desplantes, 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 199 Was die soziale und geschlechtliche Verteilung des Publikums auf den theatralen Raum anbelangt, verfolgen die anwesenden Frauen aus dem Volk das Geschehen von einem abgetrennten Bereich im hinteren Teil des Saals aus, der cazuela. Der Adel nimmt gemeinsam mit EhepartnerInnen und Verwandten in den teuren aposentos und lunetas im Oberrang Platz und betrachtet das turbulente Geschehen im Innenraum aus sicherer Distanz. Bis zum allmählichen Umbau und der Überdachung der Theater ab dem Jahre 1713,28 als aus den offenen corrales mit Innenhofcharakter nach und nach coliseos werden, findet das Geschehen weitgehend unter freiem Himmel und im Tageslicht der Nachmittagsstunden29 statt. Das Publikum jedenfalls interessiert sich mehr füreinander und für das parallel zur Vorstellung ablaufende gesellschaftliche Schauspiel als für das auf der Bühne Gezeigte. Nicht das Hauptstück, die comedia de teatro, ist die eigentliche Attraktion, sondern die unterhaltsamen Zwischenspiele mit ihren teils folkloristischen Elementen: die der Komödie vorgeschaltete loa (Lobrede), der kurzweilige und volkstümliche sainete30, der vor dem letzten Akt eingeschoben wird, die am Ende aufgeführte tonadilla31, die hauptsächlich aus Gesangselementen besteht, und die den Abend abschließenden Tänze (bailes).32 Nicht umsonst bezeichnet Jehle die Theaterabende des spanischen 18. Jahrhunderts daher als eine „Show“33 mit los gestos y ademanes descompasados que son alternativamente la risa y el tormento de los espectadores. finalmente aquella perenne destracion, aquel impudente descaro, aquellas miradas libres aquellos meneos indecentes, aquellos enfasis maliciosos, aquella falta de propiedad, y de aire noble, que se avierte en casi todos los comicos, que tanto excita el relincho de la gente desmandada, y procaz, y tanto tedio causa a las personas cuerdas, y bien criadas.“ 28 Vgl. Jehle (2010: 136). 29 Vgl. Jehle (2010: 135): „Die Vorstellungen beginnen im Winter nach wie vor um drei Uhr, im Sommer um vier Uhr nachmittags.“ 30 Der sainete löst im Verlauf des 18. Jahrhunderts das entremés („Zwischenspiel“) des 17. Jahrhunderts ab. Zum sainete ab 1750 vgl. Sala Valldaura, Josep María (1994): El sainete en la segunda mitad del siglo xviii. La Mueca de Talía. Lleida: Universitat de Lleida. 31 Zur Aufführungspraxis der tonadilla vgl. Le Guin, Elisabeth (2014): The Tonadilla in Performance: Lyric Comedy in Enlightenment Spain. Berkeley: University of California Press. 32 Vgl. Jehle (2010: 162). Die Beliebtheit dieser Zwischenspiele beim Publikum erklärt Hoffmann (2017: 73) mit ihren kabarettistischen Bezügen zum „Alltags- und Theatergeschehen“ sowie durch die „Unmittelbarkeit ihrer Thematiken“. 33 Jehle (2010: 164). 200 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien „Nummernstruktur“34, bei der – ähnlich wie beim Variété – ein ‚Act‘ den anderen ablöst.35 In diesem lauten, aktionsreichen und ausstattungsarmen36 Raum, in dem es vor der Entwicklung der quinqués, der ab 1800 zum Einsatz kommenden Petroleumlampen, noch keine Saal- oder Bühnenbeleuchtung gibt, die den Beginn der Aufführung einleiten und die Darbietung atmosphärisch unterstützen würde,37 versucht sich das neoklassische Theater als ein aktionsarmes Deklamationsschauspiel zu etablieren, das im Raum des Häuslichen38 angesiedelt und gemäß der von der neoklassischen Poetik geforderten drei Einheiten auf einen einzigen Ort und einen einzigen Handlungsstrang begrenzt ist (vgl. Kap. 5.3). Damit vollzieht sich eine dem französischen théâtre classique ähnliche „Literarisierung der Theaterverhältnisse“39, bei der der gesprochene Text in den Vordergrund und die dynamische, komische und aktionsbetonte Bühnenhandlung in den Hintergrund tritt. Das durch die Neoklassik beeinflusste, aber nicht strikt neoklassische Aufklärungstheater eines Luciano Francisco Comella (1751-1812) etwa bezeichnet María Angulo Egea als ein ‚Theater des Wortes‘40 und verweist darauf, dass es sich beim Großteil der neoklassischen Stücke 34 Jehle (2010: 165). Darauf, dass eine Theateraufführung seit dem Siglo de Oro „weit eher einem Jahrmarktsfest als einer gleichsam pseudosakralen Veranstaltung“ gleicht, verweist Tietz (2014: 37). So verhält es sich bis 1798, dem Zeitpunkt, als sich die materiellen Bedingungen der Aufführung durch die Regulierung des Zugangs über die Eintrittspreise und die Einführung der Bestuhlung ändern. 36 Hoffmann (2017: 55), Fußnote 53 verweist diesbezüglich auf Francisco Barbieris Papeles referentes a los teatros de Madrid (BNE: MS 14016/1-3 und MS 14076/1-5), in denen die ärmliche Ausstattung etwa der Madrider Spielstätten über „40 Jahre hinweg“ ein Dauerthema ist. Diesbezüglich merkt Hoffmann an, dass nach dem Theaterbrand von Zaragoza, das seit dem 16. Jahrhundert neben Madrid, Sevilla und Valencia zu den großen Spielstätten des spanischen Theatergeschehens zählt, der Verlust der (raren) Ausstattung mindestens ebenso sehr beklagt wird wie der von Menschenleben. 37 Vgl. Jehle (2010: 168) unter Bezugnahme auf Kany, Charles E. (1932): Life and Manners in Madrid (1750-1800). Berkeley: University of California Press, p. 174. 38 Zur Darstellung des Häuslichen in der Literatur der Frühen Neuzeit vgl. auch Schaefer, Christina/Zeisberg, Simon (eds.) (2018): Das Haus schreiben. Bewegungen ökonomischen Wissens in der Literatur der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz. 39 Jehle (2010: 9). 40 Vgl. Angulo Egea, María (2006): Luciano Francisco Comella (1751-1812). Otra cara del teatro de la Ilustración. San Vicente: Universidad de Alicante, p. 68. 35 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 201 eher um ein „teatro para ser leído“41 handele, während in Stücken barocker und populärer Tradition das beim Publikum weitaus beliebtere Spektakel dominiere.42 Wurden Stücke noch im 17. Jahrhundert nahezu ausschließlich gespielt und nicht im häuslichen Raum gelesen,43 und wenn überhaupt, dann nur nach zahlreichen erfolgreichen Aufführungen gedruckt, tritt im Verlauf des 18. Jahrhunderts das laute Vorlesen, seltener das individuelle Lesen, gedruckter Dramentexte in Cafés, tertulias oder Zuhause auf den gesellschaftlichen und literarischen Plan.44 Ab diesem Moment wird auch die zuvor kaum eine Rolle spielende Autorschaft45 relevant, auch wenn der Begriff des ‚geistigen Eigentums‘ zu diesem Zeitpunkt noch keine juristische oder praktische Relevanz hat. Obgleich dem lauten Vorlesen ein performatives Moment innewohnt, klaffen die unterschiedlichen Rezeptionssituationen einer erlebten Intermedialität des Theaters im Gegensatz zu einem (nur) gelesenen Dramentext weit auseinander. Während der Dramentext in Frankreich mit dem Aufkommen des klassischen Theaters schon im 17. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt, ist die in der spanischen Neoklassik des 18. Jahrhunderts zunehmende Relevanz des Textes zugleich Ausdruck einer diskursiven Vereinnahmung der Theaterkultur durch die intellektuellen Trägerschichten: Bühne und Literatur sind getrennte Kontinente, die Überordnung des Textes über die Aufführung mithin kein Ausgangspunkt, sondern Ausdruck von Kräfteverhältnissen, in denen die ‚Gebildeten‘ mit der ihnen eigentümlichen Aneignungsform der Lektüre auch über Wert und Unwert eines Theaterstücks bestimmen.46 41 Angulo Egea (2006: 68). Vgl. Angulo Egea (2006: 68): „Los populares entendían el teatro como espectáculo, mientras que los neoclásicos lo concebían más como una manifestación literaria centrada en el texto, en la palabra”, deren Zielpublikum mit der „clase media-alta”, also der „emergente burguesía de las nuevas ciudades“, eher gehoben und urban sei. 43 Vgl. Jehle (2010: 120). 44 Vgl. Gelz (2006: 35ff.). 45 Vgl. Jehle (2010: 121), der in Bezug auf das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts konstatiert: „Die Autoren bleiben auch dort, wo ihre Stücke gedruckt werden, meist anonym und treten unter dem generischen Namen ‚ingenio de esta corte‘ auf.“ Diese Praxis hat es der Literaturgeschichtsschreibung erschwert, Lope de Vega die zahlreichen von ihm verfassten Komödien eindeutig zuzuordnen. 46 Jehle (2010: 204). 42 202 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Während Álvarez Barrientos das neoklassische bourbonische Reformtheater analog zu dessen didaktischem Impetus als eine „escuela del pueblo“47 bezeichnet, d.h. als eine wortlastige ‚Schule des Volkes‘, zeigt ein Blick in Jovellanos‘ Memoria, dass es die höheren und insbesondere die vermögenden Schichten sind, die hier mittels einer ‚Professionalisierung‘ des heimischen Theaterbetriebs belehrt werden sollen. Der vulgo seinerseits ist nicht über das Theater, sondern nur mittels der Gesetze zu erziehen.48 Im Zuge dieser Reform werden nicht nur die ZuschauerInnen, sondern auch die SchauspielerInnen zu SchülerInnen,49 und auch hier muss man, wie schon im Falle des ökonomischen Knowhows, das nötige Wissen notfalls aus dem Ausland beziehen: No sería tampoco, a mi juicio, cuidado indigno del celo y la previsión del gobierno el buscar maestros extranjeros o enviar jóvenes a viajar e instruirse fuera del reino, y establecer después una escuela práctica para la educación de nuestros comediantes; porque al fin, si el teatro ha de ser lo que debe, esto es una escuela de educación para la gente rica y acomodada, ¿qué objeto merecería más su desvelo que el de perfeccionar los instrumentos y arcaduces que deben comunicarla y difundirla?50 Das Theater führt aber nicht nur auf der Bühne vor, wie eine im neoklassischen Sinne ‚gute Dramenpraxis‘ auszusehen hat, vielmehr ist das Theater eine moralische, politische und ökonomische Lehranstalt zur Lenkung des Alltagsverhaltens der ZuschauerInnen.51 Was im Gewand einer Theaterreform daherkommt, ist im Grunde eine 47 Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españoles, Madrid: Síntesis, p. 189. 48 Vgl. Jehle (2010: 183) mit Bezug auf Fernández de Moratín, Leandro (1944): Obras póstumas, 3 vols., hier vol. 2. In: Biblioteca de autores españoles (BAE), vol. II, Madrid: Atlas, p. 322. 49 Entsprechend vergleicht Jehle (2010: 141) das spanische neoklassische Theater mit einem „Klassenzimmer“. 50 Jovellanos, Gaspar Melchor de (21998): Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, pp. 206f. 51 Vgl. Urzainqui, Inmaculada (1992): „Crítica teatral y secularización: el Memorial literario (1784-1797)“. In: Tietz, Manfred/Briesemeister, Dietrich (eds.). La secularización de la cultural española en el Siglo de las Luces. Actas del congreso de Wolfenbüttel. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 247-286, hier p. 266. Urzainqui spricht hier vom Theater als einer „escuela de moral, política y economía” 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 203 Gesellschaftsreform, bei der es einer „gefährlichen Vermischung“52 von Bühnen- und Zuschauerraum sowie der anwesenden gesellschaftlichen Klassen53 und Geschlechter54 zugunsten einer normativ verordneten ‚Entmischung‘55 beizukommen gilt. Wie schon im Falle der ökonomischen greift auch bei der sozialen Reform, die die Neuerung des Theaterwesens darstellt, das bourbonische System der Stellvertretungen: Die Theaterreformer, die analog zu der Mehrheit der Reformökonomen als „kleine Gruppe fortschrittlicher Intellektueller und als Inhaber hoher Staatsämter im Bündnis mit dem Reformdespotismus“56 identifizierbar sind, bilden den verlängerten Arm der Monarchie. Beispielhaft kann Jovellanos angeführt werden, in dessen Person Wirtschafts- und Theaterreform zusammenlaufen. Was von den Ministern und Verwaltungsbeamten auf der Ebene der wirtschaftlichen Reformen erwartet wird – die Bereitschaft, mit lokalen Institutionen und wirtschaftlich erfolgreichen Individuen zu kooperieren und diese für ihre Zwecke einzuspannen –, gilt auch für die Reform des Kulturbetriebs. Auch in diesem Bereich kommt es zu einer Verzahnung der politischen Theorie mit der dramatischen Praxis, weshalb die für das Theater zuständigen Reformer gerne mit Mittelsmännern57 aus dem Literaturbetrieb arbeiten, um ihre ‚Omnipräsenz‘ 52 Jehle (2010: 139). Vgl. Jehle (2010: 150f.). Die Vermischung der sozialen Klassen im Theater erfolgt etwa dann, wenn sich Adelige als majos, also als Männer aus dem einfachen Volk, verkleiden, und sich unter das im Innenraum befindliche Publikum mischen. Diese Maskerade ermöglicht den zumeist jungen Männern eine Entgrenzung des Benehmens, wie sie sonst nur den Vertretern der Unterschichten, den mosqueteros, zugestanden wird. 54 Jehle (2010: 144f.) berichtet von den im 17. und 18. Jahrhundert gern genutzten Möglichkeiten, die Trennung der Geschlechter in den Spielstätten – den nach oben offenen corrales des 17. und den überdachten coliseos des 18. Jahrhunderts – zu umgehen. Diese reichen von als Frauen verkleideten Männern in der cazuela über heimliche Begegnungen in den Gängen und hinter Wänden bis hin zu der natürlichen Mischung der Geschlechter in den vom Adel abonnierten aposentos. Vgl. Jehle (2010: 145). 55 Vgl. Jehle (2010: 133). Gleichzeitig veranschaulicht Jehle (2010: 138), dass die Mehrzahl der Verordnungen zur geschlechtsbezogenen und sozialen ‚Entmischung‘ im theatralen Raum wirkungslos bleiben. 56 Jehle (2010: 131). 57 Diese Mittelsmänner identifiziert López-Cordón Cortezo (2015: 19) als „artists and writers, who diffused their actions“. In Bezug auf die Reformer selbst bemerkt sie (ibid.): „[...] they initiated a policy of collective representation of the crown, identified as a royal family, which adopted a relevant institutional role.“ 53 204 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – Wirtschaft, Kultur, Institutionen des Wissens – zu gewährleisten. Die Frage, ob das spanische kulturelle Feld des 18. Jahrhunderts aktiv von der bourbonischen Dynastie gesteuert wird, bejaht López-Cordón Cortezo: A directed culture? Certainly, if we take into account not only the prominent role of royalty, but also that of ministers, advisors and publicists who supported a policy that sought to transform the arts, humanities and sciences into efficient instruments for reforming the monarchy and glory of the sovereign.58 Auch das Theater steht also im Dienst der hier erwähnten ‚Erhöhung des Ruhms des Monarchen‘, was das in den nachfolgend analysierten spanischen Komödien der Spätaufklärung wiederholt anzutreffende Königslob erklärt. Überdies lässt die pragmatische Gesinnung der bourbonischen Regenten, die für den bereits konstatierten anwendungsbezogenen Charakter der spanischen Aufklärung insgesamt ursächlich ist, sie erkennen, dass die Wissenschaft, vor allem aber die Künste, prestigeträchtige Propagandainstrumente und daher geeignet sind, den Zusammenhalt der Nation zu fördern. Das bei allen sozialen Schichten beliebte Theater und die Komödie als die im 18. Jahrhundert beliebteste59 Gattung bieten sich aufgrund ihrer Breitenwirkung besonders dafür an. Zugleich ist mit Jehle anzumerken, dass die Aufklärung „indes auch in Spanien ein zugleich europäisches und nationales Programm, keineswegs nur ein Kulturprogramm von oben“60 ist. Auf der Ebene der Reformökonomie zeigen dies liberalistische und progressive Stimmen wie die eines Foronda oder eines Cabarrús. Für den Bereich des Theaters veranschaulichen es Dramatiker wie Comella, Antonio Valladares y Sotomayor (1737-1820) und Gaspar Zavala y Zamora (1762~1814), die das neoklassische Regelwerk mit Versatzstücken des populären Theaters, z.B. mit beim Volk beliebten Plot-Strukturen oder religiösen Elementen, verbinden und so Publikumserfolge feiern, die strikt neoklassischen Autoren der ersten Stunde wie Nicolás Fernández 58 López-Cordón Cortezo (2015: 37). Vgl. Luzán, Ignacio de (2008): La poética o reglas de la poesía en general, y de sus principales especies, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra, pp. 564f. 60 Jehle (2010: 118). 59 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 205 de Moratín (1737-1780) verwehrt bleiben.61 Beobachtet Hoffmann für das spanische Theater des 18. Jahrhunderts gerade eine Entkopplung programmatisch aufklärerischer Themen wie ‚Freundschaft‘, ‚Vernunft- vs. Neigungsehe‘, ‚Arbeitsleben und Berufsbürgertum‘ sowie ‚Staatsbürgerschaft‘ von der theatralen Neoklassik,62 deuten die nicht selten an den neoklassischen drei Einheiten orientierten Stücke der genannten Autoren insbesondere in Verbindung mit den darin aufscheinenden Diskurselementen der ökonomischen Reform darauf hin, dass die angedachten Neuerungen, motiviert durch staatliche Anreize und Zensur, auf anderen als den vorgesehenen Wegen auf die Bühnen gelangen und dort nicht zwangsläufig so umgesetzt werden, wie von Regierungsseite intendiert. Gerade das Theater Comellas wird sich in dieser Studie als Sprachrohr eines reformökonomischen Liberalismus erweisen, der nicht nur angesichts der im Vorfeld der Aufführung erfolgenden staatlichen und kirchlichen Zensur, sondern auch angesichts von auf der Bühne selbst platzierten Zensoren, nur in einzelnen Momenten und im Tarngewand der Allegorie aufscheinen kann (vgl. Kap. 7.7.4). 4.1. Merkmale eines ‚Theaters der Ökonomie‘63: Vermenschlichung und Strukturhomologie Christine Baron macht in Bezug auf das Verhältnis von Literatur und Ökonomie zwei Achsen der Auseinandersetzung aus: Erstens die Repräsentation des Ökonomischen durch das Literarische (das ‚Was?‘) und zweitens die Ökonomie der Darstellung (das ‚Wie?‘), also die strukturelle und poetische Ebene.64 Der Literatur weist sie die Kraft 61 Manches Bühnenwerk Nicolás Fernández de Moratíns wird nicht einmal zur Aufführung gebracht, wie u.a. das Beispiel der Komödie La petimetra (1762) zeigt. Sein ebenfalls zu den Neoklassikern zählender Sohn Leandro Fernández de Moratín (17601828) dagegen kreiert gegen Ende des 18. Jahrhunderts Stücke, die sich lange auf den Spielplänen halten und sich großen Zulaufs erfreuen. 62 Vgl. Hoffmann (2017: 69). 63 Den Chiasmus „Ökonomie des Theaters“ – „Theater der Ökonomie“ prägt Tschilschke (2014) in seinem Aufsatz über die femina oeconomica in María Rosa Gálvez‘ Komödie La familia a la moda. 64 Vgl. Baron, Christine (2013): „Introduction. Economie et littérature: contacts, conflits, perspectives“. In: Épistémocritique, vol. XXII: Economie et littérature vom 28. 206 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zu, ein Gegengewicht, eine Art „contre-pouvoir“65 zur rationalen Logik der Ökonomie zu bilden. Infolge der industriellen Revolutionen im Europa des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer literarischen Gegenbewegung: den ästhetischen Avantgarden, die die Kunst als Antithese zur Marktgesellschaft konzipieren. Je mehr die Gesellschaft der Logik des Wirtschaftlichen folge, konstatiert Baron, umso mehr ziehe sich die Literatur zurück, indem ihre Sprache opak, ihre Texturen sichtbar würden und sie sich der Musikalität der Sprache und der Sichtbarwerdung der Form hingebe. Ganz anders verhält es sich in der protoindustriellen Literatur: Diese bevorzugt das Alltägliche, das allerdings nicht so dargestellt wird, wie es ist, sondern wie es sein soll. Auch die vorindustrielle Literatur ist in dreifacher Hinsicht dem Ökonomischen verschrieben.66 Zum Ersten muss sie angesichts der im 18. Jahrhundert wachsenden Alphabetisierung und der damit verbundenen Entstehung eines literarischen Marktes selbst wirtschaftlich sein, was zuvorderst für das Theater als Unternehmen gilt, das durch seine Einnahmen nicht nur den die SchauspielerInnen und den als autor bezeichneten Leiter und Regisseur der Truppe ernähren muss; auch den Spielort gilt es zu unterhalten. Überdies entrichten die autores in Spanien Abgaben an die Städte und ihre Hospize.67 Zum Zweiten ist die Literatur des 18. Jahrhunderts erstmalig und für die kurze Phase bis zum Beginn der Industrialisierung durch das Lob wirtschaftlicher Akteure gekennzeichnet, was für England (Richardson, Steele) Frankreich (Beaumarchais, Mercier), Italien (Goldoni) und Spanien (u.a. Moratín, Iriarte) gleichermaßen gilt und sich insbesondere in der Gattung des Dramas und der Untergattung der sentimentalen Komödie Juni 2013. Quelle: https://epistemocritique.org/introduction-economie-et-litteraturecontacts-conflits-perspectives/, Zugriff: 09.08.2022, ohne Paginierung. 65 Baron (2013: o.P.). 66 Auch Hoffmann (2017: 304) konstatiert „das enorme Gewicht der ökonomischen Komponente, die als Fundament nahezu aller Entscheidungsprozesse kontinuierlich präsent war und wesentliche Auswirkung hatte auf den bestehenden Theaterbetrieb ebenso wie auf sämtliche Reformvorhaben“. 67 Vgl. Tietz, Manfred (2014): „Das spanische Theater des Siglo de Oro: Ein sich selbst organisierendes ökonomisches System“. In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 35-58. Darauf, dass sich die materiellen und ökonomischen Bedingungen des Theaters vom 17. zum 18. Jahrhundert kaum ändern, verweist Jehle (2010: 199ff.). 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 207 niederschlägt. Zum Dritten ist die beim Publikum beliebteste Dramengattung, die Komödie, ganz und gar vom Ökonomischen durchdrungen: Zum einen sind ihre ProtagonistInnen im Gegensatz zu den adeligen AkteurInnen der Tragödie aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft zum Broterwerb gezwungen, weshalb die Gattung „weit stärker auf die von materiellen Interessen geprägte Lebensrealität eingelassen”68 ist. Zum anderen bilden der Ehehandel und die Verhandlungen, die um den oder die ideale/n PartnerIn geführt werden, den Motor der Handlung. Der sich in deren Verlauf beschleunigende und zunehmend verwickelt gestaltende Liebesplot basiert auf „schnellen Glückswechseln“69, der „Umverteilung von Gütern“70 und dem „Ausgleich von Interessen“71. Dass die Komödie nicht nur thematisch, sondern auch strukturell durch das Ökonomische affiziert ist, hat Daniel Fulda mit dem Begriff der „Strukturhomologie“72 bezeichnet, der nicht nur eine „punktuelle Vergleichbarkeit“73 meint, sondern eine „Parallelität von Relationen“74 bezeichnet. Besonders deutlich sind die Parallelen der Komödienstrukturen zur Wirtschaft im direkten Vergleich mit dem Geldmarkt.75 Strukturhomologien von Komödie und Geldwesen ergeben sich aus der Spannung zwischen den Polen von Bewegung und Stabilisierung, die beide Systeme kennzeichnet.76 Wie die Komödienhandlung zeichnet sich auch die Wirtschaft durch „ein besonders hohes Tempo der [...] Transaktionen“77 aus, und wie die Komödie kommt auch das Geldwesen ohne ein „Stabilisierungsmoment“78 nicht aus. Was in der Ökonomie dem wertbildenden Sparen entspricht, ist in der Komödie die Heirat:79 Ist Geld nicht nur ein in steter Bewegung befindliches Tauschmittel, sondern auch ein Medium der Aufbewahrung 68 Fulda (2005: 21). Fulda (2005: 22). 70 Fulda (2005: 22). 71 Fulda (2005: 22). 72 Vgl. Fulda (2005: V). 73 Fulda (2005: 25). 74 Fulda (2005: 25). 75 Vgl. Fulda (2005: 56). 76 Vgl. Fulda (2005: 24). 77 Fulda (2005: 24). 78 Fulda (2005: 23). 79 Fulda (2005: 24). 69 208 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien von Werten, findet sich die Wertbewahrung in der Komödie des 18. Jahrhunderts in der am Ende durch männliche Autoritäten gestifteten Ehe, mit der eine zuvor aus den Fugen geratene Ordnung wiederhergestellt wird.80 Thematische Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Wirtschaft, und insbesondere zwischen Literatur und Ökonomik, konstatieren Claire Pignol und Çinla Akdere: „Il existe certes des objets communs à la littérature et à l’économie: théories économiques et textes littéraires partagent l’ambition de représenter les crises et la monnaie, le travail et les besoins, les désirs et le bonheur, l’individu et l’organisation sociale.“81 Beide Diskurssysteme unterscheiden sich jedoch deutlich in der Art und Weise, wie sie Wirtschaft repräsentieren. Während die Narrative der Wirtschaftswissenschaften zur Abstraktion neigen, was die Verallgemeinerung wirtschaftlicher Vorgänge zu Gesetzmäßigkeiten erlaubt,82 tendiert die Literatur zu einer Form der Konkretisierung und Veranschaulichung, die sich über die figurale Verkörperung des Wirtschaftlichen vollzieht. Die Literatur erzählt nicht von Wirtschaft im Allgemeinen, sie entrollt die Schicksale einzelner literarischer Figuren, ProtagonistInnen und AntagonistInnen, die zumeist Typen sind und Identifikation oder Abscheu, Mitleid oder Lachen hervorrufen und Wirtschaft damit emotional erfahrbar machen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die von Honoré de Balzac virtuos erdachte und an historische Persönlichkeiten angelehnte Verkörperung des Finanzsektors durch den Baron de Nucingen.83 Mit Figuren dieser Art vollzieht 80 Vgl. Fulda (2005: 25). Pignol, Claire/Akdere, Çinla (2016): „Économie et littérature“. In: Revue d’Histoire de la Pensée Économique, 2, 2, pp. 75-91, hier p. 76. 82 Vgl. Pignol/Akdere (2016: 77): „Les récits qu’offre la littérature ne proposent pas des concepts théoriques dont l’abstraction garantirait la généralité.“ 83 Vgl. Balzac, Honoré de (1989): La Maison Nucingen, précédé de Melmoth reconcilié, ed. Anne-Marie Meininger. Paris: Gallimard. Der Baron de Nucingen ist eine wiederkehrende Figur der Comédie Humaine. Meininger verweist in ihrem Vorwort zu der Novelle darauf, dass Balzac mit den Rothschilds befreundet war und den Finanzsektor aus der Innensicht kannte und versucht nachzuvollziehen, welche historischen Figuren Balzac mutmaßlich zu seiner Figur Nucingen inspiriert haben. Balzacs literarische Darstellungen des Finanzsektors haben wiederum Marx als Ausgangspunkt für seine Kritik des Kapitalismus gedient. Dies veranlasst Pignol und Akdere (2016: 76) zu der provokanten Frage, ob es die Wirtschaft sei, die der Literatur als Inspirationsquelle für ihre Fiktionen diene, oder ob nicht auch umgekehrt die Literatur imstande sei, uns ein ‚anderes‘, quer zu den Wirtschaftswissenschaften stehendes ökonomisches Wissen zu 81 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 209 sich zugleich eine Typisierung einzelner Wirtschaftssektoren, z.B. eines auf Bereicherung ausgelegten Bankensektors, der durch den Typus des raffgierigen Bankiers repräsentiert wird. Solche Typisierungen begegnen uns im Verlauf dieser Studie und im Kontext des aufklärerischen Theaters vor allem in Form von modelhaften Idealisierungen. Dabei wird mit der Typisierung zugleich eine Vergeschlechtlichung vorgenommen. Aber auch das schlechte Wirtschaften wird in den hier analysierten Komödien figural-geschlechtlich verkörpert. Die Rückbindung des Ökonomischen an menschliche Schicksale ist also ein genuines Merkmal des Umgangs von Literatur mit wirtschaftlichen Themen. Indem Wirtschaft ein Gesicht und überdies einen performativ agierenden und geschlechtlich markierten Körper erhält, materialisiert sie sich im intermedialen Medium des Theaters, das Licht, Raum, Klang, Musik und Tanz umfasst,84 und wird dadurch visuell, klanglich sowie emotional erleb- und erfahrbar. Zur Erfahrung und zum Erlebnis wird Wirtschaft in der Literatur im Allgemeinen und im bourbonischen Reformtheater im Besonderen vor allem durch Identifikationsangebote: Über diese werden das ‚gute‘, aber auch das ‚schlechte Wirtschaften‘ im Sinne der bourbonischen Reformökonomie anschaulich gemacht und didaktisch vermittelt. Ein Gesicht erhalten das abstrakte Wirtschaftssystem und seine Sektoren, indem sich beispielsweise der Handel in dem Figurentypus des ehrbaren Kaufmanns kondensiert, der Pars pro Toto seiner Berufsgruppe und seines Standes ist. In den auf der Bühne vorgeführten Geschichten erlebt dieser theatrale Typus Höhen und Tiefen, wie sie auch dem Publikum geläufig sein dürften. Beide Parteien, der auf der Bühne repräsentierte vermitteln, indem sie uns ‚alternative Repräsentationen des Ökonomischen‘ anbiete (ibid., meine Übersetzung): „Faut-il dire que Balzac plus que les économistes classiques ou même Marx nous instruirait des réalités du capitalisme, que Dos Passos et Steinbeck mieux que Veblen ou Keynes auraient fait le récit de la grande dépression, que Perec mieux que Galbraith aurait su décrire l‘émergence de la consommation de masse?“ Zur Bedeutung dieses Textes für Themen, die durch die Wirtschaftswissenschaften vernachlässigt werden, vgl. auch Piketty, Thomas (2014): Capital in the Twenty-First Century. Cambridge: Harvard University Press, 2014. 84 Zur Intermedialität des Theaters und dem Körper im Medium des Theaters vgl. Brandstetter, Gabriele (2005): Bild-Sprung: Tanz, Theater, Bewegung im Wechsel der Medien. Berlin: Theater der Zeit; eadem (ed.) (1998): Grenzgänge: das Theater und die anderen Künste. Tübingen: Narr sowie Fischer-Lichte, Erika (1995): Theater-Avantgarde: Wahrnehmung, Körper, Sprache. Tübingen: Francke. 210 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Figurentypus und das mit ihm fühlende Publikum, erleben Schicksalsschläge, familiäre Streitigkeiten, Affekte und Gefühle. Medium der Darstellung dieses identifikationsaffinen Wirtschaftstheaters, das wiederum an die Gefühle der ZuschauerInnen appelliert, ist die sentimentale Komödie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Allianz mit der neoklassischen eingeht. Die Verschränkung zwischen den im 18. Jahrhundert in ganz Europa beliebten sentimentalen Gattungen, dem spanischen Reformtheater und der Handlungsebene der bourbonischen Reformökonomie beleuchtet der nachfolgende Abschnitt. 4.2. Zur Verschränkung des europäischen Sentimentalen mit dem spanischen Reformtheater und der Reformökonomie Wie das Beispiel von Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778) zeigt, ist eine der frühesten figuralen Verkörperungen des Ökonomischen, die sich infolge der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts vollzieht, die des Handels durch die Figur des ehrbaren Kaufmanns. Diese verläuft nicht nur analog zu ähnlichen Entwicklungen in der französischen Traktatliteratur,85 sondern weist überdies Parallelen zum Verlauf der westeuropäischen Theatergeschichte auf. Dort ist die frühe Verkörperung des Handels durch den Kaufmann eng mit dem in Spanien als género sentimental86 bezeichneten sentimentalen Drama verbunden. 1730 verfasst George Lillo mit The London Merchant, or the History of George Barnwell87 eine „bourgeois tragedy“88, die mit mehreren Adaptationen in Frankreich und Spanien die Kaufmannsthematik auf den Bühnen des Kontinents verankert. Deirdre McCloskey und Joseph Vogl zufolge ist es Lillos Stück, das ein Vierteljahrhundert später sowohl dem deutschen bürgerlichen Trauerspiel als auch dem französischen drame bourgeois als 85 Vgl. hierzu die bereits erwähnten Schriften von Montesquieu und Coyer. Dieser Oberbegriff für verschiedene Subgattungen des sentimentalen Theaters fällt bei García Garrosa (1990: 45) und (1991): „El comerciante inglés y El fabricante de paños: de la traducción a la adaptación“. In: Anales de Literatura Española, 7, pp. 85-95. 87 Vgl. Lillo, George (1965): The London Merchant [1731], ed. William H. McBurney. London: Arnold. 88 McCloskey, Deirdre (2016): Bourgeois Equality. How Ideas, not Capital or Institutions, enriched the World. Chicago: The University of Chicago Press, p. 267. 86 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 211 Folie dient.89 Die Studien von María García Garrosa (1990) und Yvonne Fuentes (1999) haben die komplexen Rezeptionswege nachgezeichnet, die das Stück zwischen England, Frankreich, Deutschland und Spanien genommen hat. Die Bedeutung des London Merchant ist laut Vogl in engem Zusammenhang mit einer ökonomischen „Poetologie des Wissens“90 zu betrachten. Von besonderer Relevanz ist dieses Stück deshalb, weil es nicht nur den von Adam Smith in The Theory of Moral Sentiments (1759)91 entwickelten Begriff der „Sympathie“92 vorwegnimmt, sondern weil die im Zentrum stehende väterliche Kaufmannsfigur „eine mittlere und vermittelnde Instanz“93 zwischen ökonomischem und literarischem Diskurs ist. Als solche ist sie in der Lage, mit dem ‚neuen‘ ökonomischen Wissen der europäischen Aufklärung zugleich eine neue ‚Ökonomie der Affekte‘ zu transportieren, die ihrerseits mit der aufklärerischen Moralökonomie im Zusammenhang steht. Nicht nur vermittelt der Kaufmann zwischen vier affektiven Extremen, die Vogl durch die Figuren repräsentiert sieht und die er mit „Kälte, Hitze, Maske und Blöße“ 94 als das quadratische Gerüst des London Merchant umreißt. In deren diagonalem Schnittpunkt steht die Kaufmannsfigur als „regulierende und moderierende Instanz“ 95, die so die Rolle des „apathischen Beobachters“ aus der smithschen Sympathielehre einnimmt. Dieser Beobachter etabliert seinerseits „ein Kriterium der Rechtmäßigkeit“ 96, das moralische Urteile überhaupt erst ermöglicht. Überdies leistet Lillos Vorlage den Transfer des Wissens der Politischen Ökonomie in den Bereich des Theaters, das sich so von einem ‚Feudaltheater‘ in ein ‚Bürgertheater‘ wandelt. Lillos Kaufmann erscheint als „Apologet des Welthandels“97, an die Stelle der zuvor noch 89 Vgl. McCloskey (2016: 267). Vgl. auch Vogl (2002: 98): „Man mag innerhalb dieser Koordinaten die Entstehung einer neuen Gattung – des bürgerlichen Trauerspiels – erkennen.“ 90 Vogl (2002: 98). 91 Smith, Adam (2007 [1759]): The Theory of Moral Sentiments. New York: Cosimo. 92 Vogl (2002: 98). 93 Vogl (2002: 98). 94 Vogl (2002: 98). 95 Vogl (2002: 98). 96 Vogl (2002: 98). 97 Vogl (2002: 99). 212 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien erstrebenswerten „Freundschaft zum Monarchen“98 treten nun die freundschaftlichen Bande zwischen der genuesischen und der Londoner Kaufmannschaft. Das Personal und die Schauplätze des barocken Theaters werden durch die Sphäre des Bürgertums und seine emsig wirtschaftenden Stellvertreter ersetzt. Auch das noch im barocken Theater omnipräsente Motiv des Krieges muss also den Finanzgeschäften weichen, die Staatsaktion dem Handelsverkehr, das höfische Personal gleichberechtigten VertragspartnerInnen und die ‚Bühne‘ dem Kontor.99 Auf der Ebene des Affekts siegt Zweckmäßigkeit über Begehrlichkeit, Zügelung über Schwächen.100 Damit ist der Schritt zu einem Wirtschaftstheater getan, indem neben dem Wissen um die Ökonomie der Dinge auch das Wissen um die Ökonomie der Affekte in didaktischer Manier präsentiert wird. Beide, Smiths Sympathielehre und Lillos bürgerliches Drama, setzt Vogl zu den Regulierungsbestrebungen der Politischen Ökonomie in Bezug und identifiziert sie als „unterschiedliche Manifestationen eines Programms indirekter Regulationstypen“101. Die in Lillos bürgerlicher Tragödie vorgeführte Moralökonomie erweist sich damit ebenso wie das dort repräsentierte ökonomische Wissen als Ausdruck eines staatlichen Willens zur Normierung, der sich in der Gouvernementalität kondensiert. Die Handlung des London Merchant lässt sich folgendermaßen umreißen: Der unbescholtene Lehrling Barnwell, der bei dem philanthropen Kaufmann und titelgebenden Helden Thorowgood angestellt ist, wird durch seine Leidenschaft für die zwielichtige Lebedame Millwood manipulierbar. Das geht so weit, dass er im Liebeswahn nicht nur seinen Lehrherren bestiehlt, sondern sogar seinen Onkel ersticht, um Millwoods unstillbare Habgier zu befriedigen. Beide enden am Galgen, wobei der achtzehnjährige Barnwell im Gegensatz zu Millwood wahre Reue zeigt. Auch bevor und während er seine durch Leidenschaft motivierten Verbrechen begeht, äußert Barnwell wiederholt Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns. Dennoch überwiegt die Leidenschaft im entscheidenden Moment alle Zweifel. Die komplexen innereuropäischen Rezeptionswege des London Merchant verlaufen zunächst über Frankreich, wo die ersten 98 Vogl (2002: 99). Vgl. Vogl (2002: 99). 100 Vgl. Vogl (2002: 99). 101 Vogl (2002: 100). 99 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 213 Übersetzungen ab 1750 erscheinen.102 Hierzu zählen die Adaptationen Jenneval, ou le Barnevelt Français (1769) von Louis Sébastien Mercier, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais‘ Les deux amis, ou le négociant de Lyon (1770) und Charles-Georges Fenouillot de Falbaire de Quingeys Le Fabricant de Londres (1771).103 Yvonne Fuentes macht in ihrer Studie über die von ihr als triángulo sentimental bezeichneten Rezeptionsprozesse des sentimentalen Theaters zwischen England, Frankreich und Spanien weitere Stücke aus und identifiziert zusätzlich sowie als direkte Übersetzung des englischen Originals Pierre Clément de Genèves Le Marchand de Londres, ou l’Histoire de George Barnwell (1751), ein Stück, das von Genève um zwei Szenen am Galgen erweitert wird, während Verweise des englischen Originals auf die Königin des Inselreichs und die Religion in der französischen Fassung getilgt werden.104 Eine Auflistung weiterer Adaptationen des London Merchant findet sich in Robert Niklaus‘ Studie über den Kaufmann als Figur des französischen Theaters des 18. Jahrhunderts, darunter Louis Anseaumes L’école de la jeunesse ou le Barnevelt français (1765) und Jean François de La Harpes Barneveldt (1778). Die Grundlage dieser und aller auf sie folgenden Adaptationen bildet Cléments Übersetzung von 1748.105 Für den Anklang, den die französischen Fassungen des London Merchant in Spanien finden, macht auch Ivy McClelland die Real Cédula von 1783 verantwortlich, durch die soziale und wirtschaftsbezogene Themen vor allem im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts Einzug in die spanische Theaterlandschaft halten.106 Erhellend ist diesbezüglich García Garrosas Untersuchung zum Einfluss des Erlasses auf Autoren und Produktionen sentimentaler Komödien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. García Garrosa identifiziert eine ganze Reihe sentimentaler Komödien, die unmittelbar von dem königlichen Dekret beeinflusst sind. Mit den von García Garrosa ausgemachten Stücken setzt sich die literaturhistorisch bereits fundierte Vorherrschaft männlicher Protagonisten im spanischen Theater fort. Diese mündet in die 102 Vgl. McClelland, Ivy (2009): „The London Merchant y sus relaciones con la experimentación dramática en la España del siglo xviii“, ed. Fernando Huerta Viñas. In: Bulletin of Spanish Studies, 86, 7-8 (2009), pp. 170-179, hier p. 175. Der Aufsatz wurde posthum veröffentlicht. 103 Vgl. McClelland (2009: 175). 104 Vgl. Fuentes (1999: 225). 105 Vgl. Niklaus (1978: 150). 106 Vgl. McClelland (2009: 175). 214 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Inaugurierung des Kaufmanns als theatralem Typ, der zugleich eine Stellvertreterfigur erfolgreichen männlichen Wirtschaftens ist. Aber auch Textilfabrikanten und mit körperlicher Arbeit befasste Figuren, wie die zunächst von Antonio Valladares y Sotomayor und später von Cándido María Trigueros skizzierten Handwerker, figurieren als ökonomische Prototypen in metonymischer Funktion. Den von der Real Cédula unmittelbar beeinflussten Theaterproduktionen ist eine Plotstruktur gemein, der zufolge die Protagonisten unschuldig in Verruf geraten und/oder schuldlos Bankrott erleiden, am guten Ende aber zu ihrem wohlverdienten Recht kommen, wenn sie nicht nur finanziell gewinnen, sondern auch ihr ökonomisch und moralisch vorteilhaftes, da wohlhabendes und tugendhaftes weibliches Pendant ehelichen dürfen. Dieser der Moral der Stücke zufolge ‚gerechte Lohn‘ in Form eines moralischen und materiellen ehelichen Zugewinns wird den männlichen Figuren deshalb zuteil, weil sie – ebenso wie die ihnen am Ende zugewiesene Ehefrau – bürgerliche Tugenden verkörpern, die zugleich wirtschaftliche Tugenden sind. Den Zusammenhang zwischen dem Topos der ‚verfolgten Tugend‘, der sich vor allem in denjenigen sentimentalen Komödien als wiederkehrend erweist, die von der Real Cédula von 1783 beeinflusst sind, und den auf der Bühne inszenierten Figurentypen aus dem Wirtschaftsleben, fasst García Garrosa treffend zusammen, sodass ihren Ausführungen hier der gebotene Raum gegeben werden soll: Junto con el muy dieciochesco tópico filantrópico de la amistad (La amistad es de primero, Los dos amigos, Cómo ha de ser la amistad, el bueno y el mal amigo, El perfecto amigo, La fuerza de la amistad), el tema único de estas comedias sigue siendo la virtud perseguida y su triunfo final, pero con matices nuevos. En esencia, lo que todas estas comedias vienen a plantear es la lucha de la virtud del honrado burgués o el laborioso pechero frente a los privilegios irrenunciables y a veces muy poco virtuosas de la aristocracia. Las variantes son múltiples y con frecuencia combinadas en una misma obra: trabajador manual al que se desprecia por su oficio (El trapero de Madrid, El vinatero de Madrid, El carbonero de Londres), burgueses emprendedores que ven quebrar su negocio por intrigas o acusaciones falsas (El fabricante de paños, La industriosa madrileña o [sic] el fabricante de Olot, El triunfo del amor y la amistad), plebeyo/as desechados de virtudes que no pueden casarse con el ser amado por ser desiguales sus condiciones (El trapero de Madrid, El vinatero de Madrid, El inocente culpado, El preso por amor o el real encuentro, La Justina, Las víctimas del amor, Ana y Sindhám), humildes campesinos o 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 215 ciudadanos ejemplos de virtud y dignidad acosados por nobles depravados (La Cecilia, El amor perseguido y la virtud triunfante, La familia indigente). Y ahora sí aparece ya el maniqueísmo de los caracteres: el bueno, el virtuoso, el honrado plebeyo, y el tirano, ocioso, envanecido aristócrata, que a veces, en una vuelta de tuerca al maniqueísmo, tiene su contrapunto en el noble sensato, justo, ilustrado. 107 In den besagten Stücken wird also der arbeitsame Berufstätige teils mit seinem untätigen und arroganten adeligen Widersacher kontrastiert, teils erweisen sich – dies gilt vor allem für das populäre Theater und insbesondere für die Stücke Gaspar Zavala y Zamoras – die fleißigen Bürgersleute als gefallene Adelige, die am guten Ende im Ansehen rehabilitiert werden und ihre verlorenen Güter zurückerhalten. Eben jener Verlust dieser Güter als Einkommensquelle hatte ihre kaufmännische oder handwerkliche Tätigkeit überhaupt erst notwendig gemacht. Dass die im Kontext der Schürzung des dramatischen Knotens sich ereignende unglückliche Wende, die zumeist im finanziellen und/ oder sozialen Bankrott besteht und den vir oeconomicus unverschuldet, durch schieres Pech, eine Intrige sowie trotz seiner Aufrichtigkeit trifft, offenbart Parallelen zur Plotstruktur französischer sentimentaler Komödien, darunter Nivelle de la Chaussées L’Homme de fortune (1751), Dampierre de la Salles Le bienfait rendu ou le négociant (1763) oder Louis Sébastien Merciers La brouette du vinaigrier (1774). Diese Parallele bestätigt ein weiteres Mal den Einfluss französischer Autoren auf spanische Dramatiker, teilen die französischen Figuren doch mit ihren spanischen Pendants den Topos der kaufmännischen Ehrbarkeit und den schuldlosen Bankrott: All these négociants are taken from varying backgrounds, but they are all honest. If they are rich, they have acquainted their fortune legitimately. If they become ruined it is owing to unforeseen circumstances or to unscrupulous dealer whom le drame leaves in the wings so as not to tarnish the glorious image of le commerce.108 Der Einfluss der Real Cédula von 1783 auf die spanische Theaterproduktion des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist insgesamt nicht zu unterschätzen. Angesichts der bereits skizzierten Fülle an ökonomischen Traktaten über den Handel und die Industrie ist jedoch anzunehmen, 107 108 García Garrosa (1996: 433f.). Niklaus (1978: 149). 216 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien dass nicht allein der königliche Erlass, sondern eine ganze Reihe von Texten aus dem Kontext des ökonomischen Reformdiskurses des aufgeklärten Absolutismus einen Beitrag zu der bei spanischen DramatikerInnen wachsenden Popularität von ProtagonistInnen aus dem Wirtschaftsleben leisten. Zu denken ist bei diesen einflussgebenden Texten beispielsweise an die Beiträge spanischer Reformökonomen wie Campomanes, Foronda und Ramos, die den Beitrag des arbeitenden Menschen, und, wie das Beispiel von Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular zeigt, nicht nur den des arbeitenden Mannes, sondern auch den der arbeitenden Frau zum Gemeinwohl in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Ähnliche Gedanken formulieren anglophone Ökonomen wie Adam Smith und John Stuart Mill. Auf die sich aus dem spanischen Reformdiskurs ergebenden politischen Bemühungen zur Förderung insbesondere der Textilindustrie verweist auch García Garrosa in ihrer Analyse.109 Die Wege, über die das in diesen reformökonomischen Schriften verbreitete Bild des arbeitsamen Berufstätigen im Kontrast zum untätigen Adeligen Eingang in das Theater findet, kann als das Ergebnis einer Reihe diskursiver Verschränkungen betrachtet werden, die auf eine gezielte Einflussnahme der Krone auf das Theater zurückzuführen ist. Damit wird das Theater zu einem propagandistischen Mittel der Verbreitung des reformökonomischen Idealbildes vom aufgeklärt wirtschaftenden Menschen. Entsprechend zahlreich sind die spanischen Adaptationen französischer und englischer Stücke, die um die Gestalt des Kaufmanns kreisen. Als durch die französischen Adaptationen von Lillos London Merchant inspirierte Stücke betrachtet McClelland etwa Las ceguedades del vicio y peligros del rigor (1776)110 von Manuel de Ascagorta sowie Antonio Valladares de Sotomayors Komödien Los perfectos comerciantes (1782) und El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784)111. Das 109 Vgl. García Garrosa (1996: 683f.). Dieses Stück trägt den Untertitel El joven Carlos. Vgl. hierzu Fuentes (1999: 228). Bei McClelland hingegen wird El joven Carlos als eigenständiges Stück aufgeführt. Zuzustimmen ist in diesem Fall Fuentes, die anhand von diesbezüglichen Vermerken im Diario de Madrid nachweist, dass das Stück 1803 im Teatro de los Caños drei Mal in Folge uraufgeführt wurde. 111 Bei der Datierung des ohne Angabe von Ort, Jahr und Verlag erschienenen Stückes bezieht sich García Garrosa (1991: 86) auf die Madrider Aufführung von 1784. Fuentes (1999: 212) verweist in ihrer Studie zum género lacrimógeno auf eine Rezension 110 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 217 Letztgenannte basiert McClelland zufolge ebenso wie das anonym und undatiert erschienene Werk El comerciante de Burdeos auf Falbaire de Quingeys Version des London Merchant.112 Darüber hinaus macht McClelland José Conchas El buen criado (1775) und Gaspar Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793) als vom London Merchant und seinen französischen Fassungen inspirierte spanische Adaptationen aus.113 Als Vorlage für El triunfo del amor y la amistad, das das Stück sei, das von allen spanischen Adaptationen Lillos Originaltext am nächsten stehe, identifiziert McClelland Merciers Jenneval. Parallelen zwischen Lillos Merchant und dem spanischen Jenwal finden sich vor allem in der in beiden Dramen zentralen Rolle der Freundschaft zwischen den Lehrlingen George Barnwell und Trueman (Lillo) bzw. Jenwal und Smirn (Zavala y Zamora) sowie in der Konstruktion des Liebesplots um die Figurenkonstellation des wohlhabenden Kaufmanns, seines (mittellosen) Angestellten und der Kaufmannstochter. Die Gemeinsamkeiten der übrigen spanischen Adaptationen des London Merchant mit der englischen Vorlage beschränken sich darauf, dass ihnen allen der Kaufmann als Protagonist gemeinsam ist. Von den Untergattungen der Komödie weist die sentimentale eine besondere Affinität zur Darstellung des kaufmännischen Kosmos auf. Ein möglicher Grund für diese Affinität ist der gesellschaftliche Auftrag des Genres, als moralische Lehranstalt114 zu fungieren. Dieses geht im England der Restaurationszeit zunächst auf das Stück Love’s Last Shift (1696) von Colley Cibber zurück, der auch das Vorwort zu Lillos London Merchant verfasst hat.115 Im aufklärerischen Frankreich verbindet sich das sentimentale Theater mit Namen wie Diderot für das drame bourgeois sowie Phillippe Néricault Destouches und PierreClaude Nivelle de la Chaussée für die comédie larmoyante.116 In den des El fabricante de paños im Madrider Memorial Literario, welche auf das Jahr 1785 zurückgeht. 112 Diese Sichtweise teilt García Garrosa (1991: 86). 113 Vgl. McClelland (2009: 176f.). 114 Vgl. hierzu Álvarez Barrientos (2005: 189) sowie Llanos Mardones, Bernadita (1989): „Integración de la mujer al proyecto de la Ilustración en España“. In: Ideologies and Literature, 4, 1, pp. 199-223. 115 Vgl. Fuentes (1999: 29). 116 Vgl. Fuentes (1999: 58ff.) und García Garrosa (1990: 15ff.). André Lagarde und Michel Michard differenzieren das Genre weiter aus, wenn sie zwischen comédie de 218 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien moralischen Lektionen der weniger komödiantisch als tragisch anmutenden sentimentalen Komödien manifestieren sich das Wertesystem und Familienbild des Bürgertums als aufstrebender sozialer Schicht.117 Für die spanischen Verhältnisse konstatiert Antonio Maravall vor allem ab der zweiten Jahrhunderthälfte eine neue moralische Orientierung säkularen Typs,118 die sich von traditionellen religiösen und sozialen Wertvorstellungen unterscheidet und in der Skizzierung eines geschäftlichen Ethos sowie in der Person des hombre de negocios ihren Niederschlag findet.119 In Anbetracht dessen vermag die große Zahl der in spanischen Komödien der Spätaufklärung anzutreffenden Kaufmannsfiguren kaum zu erstaunen.120 Das Aufkommen der sentimentalen Komödie zunächst in England und Frankreich und dann in Spanien geht mit der Veränderung der jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen in diesen Ländern einher. Die Gattung trägt einem zunehmend bürgerlichen Theaterpublikum Rechnung, das sich selbst mit seinen beruflichen und familiären Nöten auf der Bühne repräsentiert sehen möchte.121 Wird dieser Wiederkennungseffekt im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts noch über Identifikationsangebote erreicht, die etwa den symbolischen Raum caractères und comédie attendrissante et moralisante unterscheiden. Vgl. Lagarde, André/ Michard, Michel (eds.) (2003): Les grands auteurs: xviiie siècle, vol. II. Paris: Bordas, pp. 32f. Die comédie attendrissante et moralisante findet sich bei Stackelberg, Jürgen von (1992): Das Theater der Aufklärung in Frankreich. Ein Abriss. München: Fink, pp. 43ff. auch unter der Bezeichnung der comédie sérieuse. 117 Vgl. hierzu in Bezug auf Spanien auch Antonio Maravall (1991: 113ff.; 245ff.) sowie – mit Bezug auf England – Rommel, Thomas (2006): Das Selbstinteresse von Mandeville bis Smith. Ökonomisches Denken in ausgewählten Schriften des 18. Jahrhunderts. Winter: Heidelberg, p. 8: „Der merchant als Kaufmann und Unternehmer grenzte sich gegenüber adeligen Kreisen ab und war gleichzeitig bemüht, mit dem Wertewandel auch einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.“ Mit dem Begriff des ‚Wertewandels‘ ist hier das Maß gemeint, in dem „sich die Vorstellungen vom Selbstinteresse als Synonym für Egoismus hin zum ökonomisch und moralisch problemlos legitimierten, natürlichen und damit gesellschaftsförderlichen positiven Streben entwickelten“. Rommel (2006: 14). Eben diesem Wertewandel widmet sich Rommel in seiner Studie ökonomischer, philosophischer, politischer und literarischer Texte aus England. 118 Vgl. Maravall (1979: 302) mit Verweis auf E.G. Barber (1975: 19ff.), s.o. 119 Vgl. Maravall (1979: 302). 120 Zu konkreten Stücken vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (1996): „El mundo del trabajo en la comedia sentimental de Gaspar Zavala Y Zamora”. In: Sala Valldaura, Josep (ed.). Teatro Español del siglo xviii, vol. I. Lleida: Universitat de Lleida, pp. 337-361. 121 Vgl. Angulo Egea (2006: 328). 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 219 des bürgerlichen oikos122 und das dort beherbergte Geschäft betreffen, führt eine holzschnittartige Figurengestaltung doch gleichzeitig dazu, dass die ausschließlich tugendhaften bzw. die ausschließlich verwerflichen Figuren dieses Wirtschaftstheaters wenig glaubwürdig sind.123 Eine differenzierte Figurenpsychologie der Akteure wirtschaftsbezogener Dramen entwickelt sich David T. Gies zufolge erst ab den 1850er Jahren. Die inneren Konflikte der Mittelklasse werden erst in der alta comedia auf glaubwürdige und alltagsnahe Weise auf die Bühne gebracht. 124 122 Wenn hier vom ‚oikos‘ die Rede ist, ist ein bürgerlicher Haushalt gemeint, der sich auf der Schwelle vom Konzept des ‚ganzen Haus‘ hin zum Modell der ‚bürgerlichen Kernfamilie‘ befindet. Zum Konzept des ‚ganzen Hauses‘ vgl. Stollberg-Rillinger, Barbara (2000): „Ein Jahrhundert der Weiblichkeit? Familienstrukturen, Geschlechterrollen, Erziehung“. In: eadem (ed.). Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart: Reclam, pp. 145-164, hier p. 146: „Diese Lebensumstände unterliegen seit dem 18. Jahrhundert einem signifikanten Wandel, der sich – sehr vereinfacht – als Wandel des ‚ganzen Hauses‘ zur ‚bürgerlichen Familie‘ beschreiben lässt. Der Begriff des ‚ganzen Hauses‘ (griech. oikos) ist von dem Historiker Otto Brunner geprägt worden, um die vormoderne Einheit von Leben und Wirtschaften idealtypisch zu fassen. Demnach kennzeichnet das ‚ganze Haus‘ im Gegensatz zur modernen Familie, dass es die primäre soziale, rechtliche, politische und wirtschaftliche Einheit zugleich darstellt. Das heißt: Die im Haus zusammenlebenden Menschen erwirtschaften gemeinsam ihren Lebensunterhalt.“ Der hier bezeichnete oikos ist also nicht identisch mit dem oikos nach Brunner, denn in den durch das spanische Theater ab 1750 skizzierten Haushalten erwirtschaften die Familienmitglieder die Einkünfte teils noch gemeinsam, teils zeichnet sich dort über die betonte ‚Häuslichkeit‘ der vorbildlichen weiblichen Haushaltsmitglieder eine Wende zur Kernfamilie ab, die aber noch nicht vollzogen ist. 123 Diese These vertritt auch García Garrosa (1991: 93f.). Hoffmann (2017: 50) bemerkt analog dazu, dass die „Dichotomie Protagonist – Antagonist [...] in hohem Maße die Taxonomie des 18. Jahrhunderts“ repräsentiere und „lediglich bipolare semantische Oppositionen, aber keine Zwischenstufen“ zulasse. 124 Vgl. Gies (1994: 232f.), hier p. 233: „With the alta comedia we begin to see what has been called the modern comedy in Spain. Audiences which previously were asked to identify with the symbolic space of the characters are now asked to witness their own lives on stage, and to contemplate the actions and reactions of characters which mirrored their more immediate concerns.“ Die Gattung der alta comedia selbst definiert Gies als moralisierendes Genre, das sich psychologischen ebenso wie ökonomischen Besorgnissen annimmt und diese über die Figurenpsychologie und Polyloge transportiert, die sich einem gewissen sprachlichem ‚Realismus‘ verpflichten. Vgl. ebenda. Vertreter der Gattung sind Gies zufolge Tomás Rodríguez Rubí, Manuel Tamayo y Baús, Adelardo López de Ayala, Luis de Eguílaz, Narciso Serra und Enrique Zumel. Insgesamt ist die alta comedia durch starke ökonomische Bezüge gekennzeichnet, die allerdings – und dies erwähnt Gies hier (1994: 249) nicht explizit – bereits im Theater 220 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Was die sprachliche Gestaltung der sentimentalen Komödie anbelangt, vollzieht sich in England ab dem 17. und in Spanien ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine stilistische Verschiebung vom Verszum Prosastil.125 Diese Verschiebung beobachtet Joan Pataky-Kosove126 auch in Moratíns El viejo y la niña (1786), ein Stück, das in dieser Studie einer näheren Betrachtung unterzogen wird und das von der Sekundärliteratur mit Gattungsbezeichnungen wie der „comedia lacrimosa“127 oder der „comedia de costumbres“128 belegt wird. Obwohl die Autoren Moratín und Comella zeitlebens eine offene Feindschaft129 des spanischen 18. Jahrhunderts gegeben sind: „In fact, where previously dramatic tension hinged on problems of honor and the appearance of honor (as the plays of the golden age, for example) or on issues of power and love (as in romantic plays), by the second half of the nineteenth century it came to pivot around money and financial gain.” Wie die Beiträge von Eberhard Geisler, Christian Grünnagel, Kurt Hahn und Saskia Wiedner in Schuchardt/Urban (2014) sowie Geislers Studie über Geld bei Quevedo (1984) jedoch zeigen, sind ökonomische Sachverhalte schon im Theater der Siglos de Oro ein wesentlicher Bezugspunkt. Vgl. Geisler, Eberhard (2014): „Reziprozität und Gabe im spanischen Theater des Siglo de Oro“. In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 59-93; Grünnagel, Christian: „Dineros son calidad. Eine comedia des 17. Jahrhunderts: Antizipation der ökonomischen Moderne oder konzeptistisches Verwirrspiel?“. In: Schuchardt/ Urban (eds.), pp. 137-154; Hahn, Kurt (2014): „Soziales Kalkül, symbolisches Kapital und theatrale An-Ökonomie“. In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 155-174; Wiedner, Saskia (2014): „Ansätze ökonomischen Handelns in Lope de Vegas La dama boba (1613)”. In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 113-135. 125 Vgl. Fuentes (1999: 37): „El uso de la prosa será una constante en los dramas sentimentales ingleses, pues entienden que si para llegar al público es menester representar las penas de personajes de su misma clase social, éstos han de hablar el mismo lenguaje y en la misma forma. Comprendieron los dramaturgos sentimentales [ingleses] que no se puede conmover a un comerciante mostrando las penas de un rey lejano [...].“ 126 Vgl. Pataky-Kosove, Joan L. (1979): „The Influence of Lachrymose Comedy on Moratíns El viejo y la niña“. In: Hispanic Review, 47, 3, pp. 379-391, hier p. 379. 127 Vgl. Dowling, John: „El comerciante gaditano: El Don Roque de Moratín“. In: Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 16, 1-2, pp. 67-76, hier p. 67. 128 Vgl. Dowling (1993: 67). 129 Dies liegt nicht zuletzt an Comellas unter Pseudonym veröffentlichter vernichtender Kritik an Moratíns Stück El viejo y la niña, infolge derer sich Moratín und Comella eine regelrechte Querelle liefern. Vgl. Angulo Egea (2006: 67). Mario di Pinto mutmaßt ihn diesem Zusammenhang, dass der Grund für die über Jahre andauernde „enemistad“ zwischen Moratín und Comella der Erfolg gewesen sein könnte, den Comellas Stück La Jacoba (1789) bei den staatlichen Autoritäten und bei den SchauspielerInnen gleichermaßen genoss. Moratíns eigene Komödie El viejo y la niña (1786) weist zwar einen ähnlichen Handlungsstrang auf, war aber weitaus weniger erfolgreich. Zu der 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 221 hegen und von der Forschung entsprechend als antagonistische Dramatiker gezeichnet werden, von denen der eine das unter Einfluss des Hofes stehende neoklassische, der andere hingegen eine volksnahe Variante des Theaters vertritt,130 eint sie doch die Tatsache, dass beide in ihren Stücken aufklärerisches Gedankengut reflektieren.131 Der Unterschied zwischen ihnen besteht Angulo Egea zufolge darin, dass Moratín ein kaufmännisch-bürgerliches, Comella hingegen mit der ‚arbeitenden Volksmasse‘ ein breiteres Publikum im Blick habe.132 Auch Rosalía Fernández Cabezón charakterisiert Comella als einen „dramaturgo de gran popularidad”133, der unter anderem deshalb zu großer Bekanntheit gelangt sei, weil es ihm gelungen sei, die beim Publikum beliebtesten Tendenzen des Theaters des 18. Jahrhunderts zu bündeln.134 Auch Comellas heroische Dramen erhalten daher in einem dem neoklassischen Theater verbundenen Presseorgan wie dem Memorial literario zuweilen positive Kritiken.135 Interessant ist der in den Querelle zwischen Moratín und Comella und ihrer ‚Feindschaft‘ vgl. Pinto, Mario di (1988): „En defensa de Comella“. In: Ínsula, 504, pp. 16-17, hier p. 16. Moratíns La comedia nueva o El café (1792) parodiert wiederum Comellas comedias heróicas. Comella verfasst daraufhin den sainete El violeto universal o Café (1793) als eine Persiflage auf La comedia nueva. Überdies liefern sich beide Dramatiker in der Presse, beispielsweise im Diario de las Musas (1790), schriftliche Gefechte. 130 Angulo Egea (2006: 68) spricht in diesem Zusammenhang von der „reiterada separación dramática del siglo xviii entre ‚populares‘ y ‚neoclásicos‘”. Den Unterschied zwischen beiden sieht sie darin gegeben, „[que] [l]os populares entendían el teatro como espectáculo, mientras que los neoclásicos lo concebían más como una manifestación literaria centrada en el texto, la palabra.“ 131 Vgl. Angulo Egea (2006: 67). Ähnliches konstatiert Jehle (2010: 117). Eine ausführlichere Darstellung des Theaters Moratíns und Comellas als zwei Facetten der spanischen Aufklärung liefert Kap. 6.5. 132 Vgl. Angulo Egea (2006: 64), meine Übersetzung. Im spanischen Originaltext ist von Comellas Zielpublikum als der „masa laboriosa“ die Rede. 133 Fernández Cabezón, Rosalía (2002): „El teatro de Luciano Comella a la luz de la prensa periódica”. In: Dieciocho 25, 1, pp. 105-120, hier p. 105. 134 Vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (2002: 106). 135 Vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (2002: 106ff.). Zu den im Memorial literario im Sinne der neoklassischen Doktrin positiv rezensierten Stücken Comellas zählen etwa Luis XIV. El Grande (1789), Siquis y Cupido (1793), La moscovita sensible (1794) und Federico II, Rey de Prusia (1789b), während die Kritik der letztgenannten heroischen Komödie im Diario de Madrid und durch Cándido María Trigueros recht scharf ist. Andere Stücke Comellas fallen hingegen im Memorial literario durch. Begründet wird dies mit der Nichtberücksichtigung neoklassischer Elemente wie der Wahrscheinlichkeit, der drei Einheiten, der Moral und der Angemessenheit der Sprache. Der harschen Kritik 222 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Stücken beider Dramatiker zentrale Stellenwert des Gefühls. Diese Sentimentalität betrachtet Maravall als kennzeichnend für die ‚bürgerliche Mentalität‘136 der spanischen Aufklärung.137 Sie prägt entsprechend auch Stücke, die mit dem Unternehmer eine weitere zentrale Figur aus dem Wirtschaftsleben inszenieren, so etwa in Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788) oder Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789). Beide Stücke werden nachfolgend ebenfalls Gegenstand der Analyse sein (vgl. Kap. 6.1ff.). Wirtschaftsbezogene Komödien, in denen Kaufleute und Unternehmer, aber auch HandwerkerInnen und Bauern bzw. Bäuerinnen als ProtagonistInnen sowie verschwenderische petimetres und geldgierige BetrügerInnen als AntagonistInnen fungieren, rücken die berufliche Sphäre des Bürgertums in den Fokus des Interesses, während ihr sentimentaler Horizont auf das Private gerichtet ist. Interessant ist in Bezug auf die durch die Neoklassiker ursprünglich angestrebten „Entmischungen“138, dass die sentimentale Komödie, der sich neoklassische wie populäre Autoren gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt zuwenden, die strikte Trennung der Gattungen dadurch aufhebt, dass sie auf der Schwelle von Komödie und Tragödie steht, und somit einen generischen Raum des Dazwischen eröffnet. des Memorial an seiner Komödie Cristóbal Colón (1790) begegnet Comella in El hombre agradecido (179, Akt II, pp. 16f.) mittels einer Replik der Figur Blasa: Diese schlägt vor, die Herren Kritiker mögen doch selbst Stücke schreiben, in denen sie ihre eigenen, teils absurden Forderungen umsetzen sollten. Vgl. Fernández Cabezón (2002: 110f.). 136 Vgl. Maravall (1979: 299). Maravall fasst das Bürgertum weniger als eine gesellschaftliche ‚Klasse‘ mit einem eigenen ‚Klassenbewusstsein‘ auf, sondern vielmehr als eine ‚Gruppe von Bürgern‘, die sich durch eine ihnen gemeinsame Mentalität auszeichnet. Meine Übersetzungen. Maravalls These vom „espíritu burgués“ der spanischen Aufklärung betrachtet Witthaus (2012: 26) seinerseits mit Zurückhaltung und vermutet als ‚Strippenzieher‘ dieser nur simulierten bürgerlichen Mentalität eher den bourbonischen Staatsapparat. Dem ist angesichts der hier vielfach konstatierten Analogien zwischen dem wirtschaftlichen Reformdiskurs der Bourbonen und dem theatralen Diskurs zuzustimmen. 137 Maravall (1979: 269ff.). 138 Jehle (2010: 133). 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 223 4.3. Die Vergeschlechtlichung des Ökonomischen oder: Warum der Begriff homo oeconomicus den vir oeconomicus meint Die in der Literatur und Literaturwissenschaft, aber auch in der Ökonomik meistbehandelte Verkörperung des Ökonomischen ist der homo oeconomicus. Wie Esther Schomacher zu Recht anmerkt, bilden die in diesem Begriff „zusammengefassten ökonomisch-anthropologischen Vorstellungen heute zweifellos das prominenteste der ökonomischen Menschenbilder“.139 Das Konzept steht mit der Politischen Ökonomie und der Gouvernementalität in enger Verbindung, denn die in der Gouvernementalität zu Tage tretende Allianz von Wissen und staatlicher Macht, die sich stets auch auf Diskursebene manifestiert, begründet die machtdiskursiven Implikationen, die auch dem Konzept des homo oeconomicus zu eigen sind. Gemeinhin verstanden als „dogmengeschichtliche Denkfigur“140 der „Nationalökonomie und der Staatswissenschaften“141 und durchaus umstrittenes „Modell allgemeiner Handlungstheorie, Philosophie und Soziologie“142, das spätestens seit Bernd Blaschkes grundlegender Studie (2004) zum Schlüsselkonzept einer interdisziplinären Literatur- und Kulturwissenschaft avanciert ist, bildet dieses Modell ein Spektrum vom wirtschaftenden Menschen ab, das vom „Idealtypus eines Entscheidungsträgers“143 bis zum „eigennützig und prinzipiell ungesättigt nach Nutzenmaximierung strebenden Prototyp“144 reicht und damit die Handlungsspielräume des wirtschaftenden Menschen zwischen gesellschaftlichem Nutzen und Eigeninteresse veranschaulicht. Der homo oeconomicus als „polarer Idealtypus“145 erweist sich Blaschke zufolge deshalb als ein „produktives heuristisches Mittel“146 literaturwissenschaftlicher Analysen, weil er selbst eine Fiktion darstellt. Im gleichen Maße wie dieses Konzept allerdings die „theoretische Gelenkstelle zwischen den abstrakten Wertbegriffen, [...] ökonomischen Gesetzen und ihrer Übersetzung (oder 139 Schomacher, Esther (2021): Schrift und Geld um 1900. Italo Svevos Medien. Paderborn: Brill Fink, p. 248. 140 Wunderlich (2007: 11). 141 Wunderlich (2007: 11). 142 Blaschke (2004: 17). 143 Wunderlich (1989: 9). 144 Wunderlich (1989: 9). 145 Blaschke (2004: 20). 146 Blaschke (2004: 20). 224 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien auch ihrem Ausdruck) in ökonomischen Handlungen“147 bildet, zeugt es Schomacher zufolge von den „Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten“148 der darin zum Ausdruck kommenden Wertebegriffe. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Narrativs vom homo oeconomicus und seiner ‚Erfindung‘ durch Ökonomen wie Adam Smith, Jeremy Bentham und John Stuart Mill149 verleiht diese Fiktion einer Gouvernementalität Ausdruck, die die Verhaltensmuster einer patriarchalischmännlichen und weißen europäischen Identität, inkarniert in der Figur des bürgerlichen Familienvaters, als Norm setzt und alle Subjekte dieser Norm unterwirft.150 Eben diese ebenso andro- wie eurozentrische Codierung des homo oeconomicus hat Friederike Habermann in ihrer Dissertation einer kritischen Betrachtung unterzogen.151 Ihre Diagnose lautet, dass von den ‚klassischen Ökonomen‘ einzig der durch das Denken Benthams stark beeinflusste Mill Frauen in sein Konzept des arbeitenden Menschen einschließt und damit die Ausweitung „des universalistischen Diskurses auf Frauen“152 vorwegnimmt. 147 Schomacher (2021: 250). Schomacher (2021: 250). 149 Vgl. Habermann (2008: 132). Sie bezeichnet Smith als „geistige[n] Vater der liberalen Ökonomie“, der die „entscheidende Grundlage für die Entstehung des homo oeconomicus“ gelegt habe. Bentham betrachtet sie als von Smith beeinflusst. „Zumeist jedoch“, betont Habermann, „wird John Stuart Mill die Urheberschaft des homo oeconomicus zugesprochen, entweder direkt [...] oder mit Verweis auf Smith und den Utilitarismus Benthams“. 150 Vgl. Habermann (2008: Klappentext). 151 Zur wirtschaftsheoretischen Kritik an dem Konzept des homo oeconomicus vgl. Schomacher (2021: 250), Fußnote 151, wo sie u.a. auf Veblen, Thorstein (1918): The Theory of the Leisure Class. An Economic Study of Institutions. New York: B.W. Huebsch sowie Anderson, Benjamin M. (1917): The Value of Money. New York u. a.: Macmillan verweist. Als von der nachfolgenden Wirtschaftstheorie kritisierte Crux der klassischen Modelle des homo oeconomicus beschreibt Schomacher (2021: 252) die Annahme, dass „alle Handelnden in der gleichen Situation in gleicher Weise nutzenmaximierend agieren und deshalb in der gleichen Situation auch identische Wünsche und Bedürfnisse haben“, was zur (falschen) Vorstellung eines für alle Menschen gleichen Warenwerts führe. Ökonomische Akteure würden damit als „physikalische Größen“ statt als Individuen betrachtet. Schomacher (2021: 253). Für eine ausführliche Darstellung von Veblens Position vgl. Schomacher (2021: 272-278). 152 Vgl. Habermann (2008: 159). Mill selbst spricht noch nicht vom homo oeconomicus, leistet aber ebenso wie Smith einen Beitrag zur Fundierung des auf seinen Vorteil bedachten Typus des wirtschaftenden Menschen. 148 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 225 Bis weit in das 21. Jahrhundert hinein handelt es sich bei der Mehrzahl der homines oeconomici, wie sie nicht nur die Ökonomie als wissenschaftliche Disziplin, sondern seit den 1990er Jahren auch eine kulturwissenschaftlich fundierte Literaturwissenschaft in fiktionalen Texten seit der Frühen Neuzeit ausgemacht hat, nahezu ausschließlich um Männer,153 die in Gestalt von Kaufleuten, Händlern, Unternehmern und Handwerkern, aber auch als Schelme, Räuber, Banditen154 und Taugenichtse155 auftreten.156 Weibliche Figuren übernehmen in literarischen Texten, so scheint es, vor allem die Funktion, als Unterpfand im Rahmen eines von Männern verhandelten Tauschgeschäfts zu fungieren.157 Sie erscheinen in der Literatur, aber auch in den meisten 153 So zum Beispiel in: Schuhen, Gregor (2017): Vir inversus. Männlichkeiten im spanischen Schelmenroman. Bielefeld: transcript; Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.) (2017). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer; Cavillac, Michel (1983): Gueux et marchands dans le Guzmán de Alfarache (1599-1604). Roman picaresque et mentalité bourgeoise dans l’Espagne du Siècle d’Or. Bordeaux: Institut d’Études ibériques et ibéro-américaines de l’Université de Bordeaux. Die spanische Übersetzung ist 1994 unter dem Titel Pícaros y mercaderes en el Guzmán de Alfarache. Reformismo burgués y mentalidad aristocrática en la España del Siglo de Oro erschienen. In dem von Urs Urban und der Verfasserin herausgegebenen Band zu Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien widmet sich allein Christian von Tschilschke mit seiner Untersuchung über die Figur der Doña Guiomar aus María Rosa Gálvez La familia a la moda der femina oeconomica als wirtschaftlicher Protagonistin. 154 Wie Jehle (2010: 158) bemerkt, kann literarisch betrachtet die Stunde der Verbrecher, Räuber, Geächteten und Narren erst dann wieder schlagen, wenn die bürgerliche Ordnung etabliert und damit selbstverständlich geworden ist. 155 Die Figur des Taugenichts untersucht Bauer (2016: 263ff.) für die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. 156 Zum pícaro als homo oeconomicus vgl. Cavillac (1994); Urban, Urs (2014): „Tausch und Täuschung. Performative Kompetenz als Grundlage ökonomisch erfolgreichen Handelns im spanischen Picaro-Roman“. In: idem/Schuchardt, Beatrice (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 195-216; idem: (2018): Die Ökonomie der Literatur. Berlin: Aisthesis, pp. 37-49 sowie Urbans 2022 abgeschlossene Habilitationsschrift Konflikt und Vermittlung. Die Ökonomie des Romans in der Frühen Neuzeit (Spanien und Frankreich). Vgl. außerdem Schuhen (2017) sowie Zeisberg, Simon (2019): Das Handeln des Anderen. Pikarischer Roman und Ökonomie im 17. Jahrhundert. Berlin et al.: De Gruyter. 157 Diese ökonomische Funktion von Frauenfiguren als Ware und Objekt eines Geschäfts konstatiert Susanne Schlünder für die sainetes Ramón de la Cruz‘. Vgl. Schlünder, Susanne (2018b): „Figuren spanischer Affektökonomien im 18. Jahrhundert: Petrarkistische Galanterie und sentimentalismo ilustrado“. In: eadem/Stahl, Andrea (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: 226 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien literaturwissenschaftlichen Studien über Literatur und Ökonomie, als Randgestalten und nur selten in der Rolle eines autark und kompetent handelnden Subjekts, wie es der homo oeconomicus repräsentiert. Umso häufiger sind sie Objekte männlicher Begierden. Dies gilt insbesondere für die traditionsreiche Gattung der Komödie und das ihre Handlung motivierende Geschäft des ‚Ehehandels‘.158 Ökonomische Akteurinnen, die den aktiven Status eines seine eigenen Interessen verfolgenden homo oeconomicus einnehmen, scheinen eher die Ausnahme als die Regel zu sein159 und finden sich, wie Franziska Schößler in ihrer Auseinandersetzung mit literarischen Darstellungen wirtschaftender Frauen in der französischen, englischen und deutschen Literatur von der Aufklärung bis in die Gegenwart hinein gezeigt hat, beispielsweise in Deutschland erst im anbrechenden 21. Jahrhundert.160 Die Kritik an der ausschließlich männlichen Kodierung des homo oeconomicus ist kein Novum.161 Donald McCloskey ist der erste, der Fink, pp. 321- 343, hier p. 335. Schlünder zufolge affirmiert gerade der sainete „bestehende Eigentumsverhältnisse – zeitgenössisch wird die Gattin als Besitz betrachtet, dessen Nießbrauch beim Ehemann liegt [...].“ Zur Frau als Tauschobjekt männlicher Transaktionen vgl. auch Heße (2008: 73). Heße argumentiert mit Bourdieu, Männlichkeit zeichne sich im 18. Jahrhundert in Spanien durch das „Streben nach der Akkumulation symbolischen Kapitals“ aus; Frauen fungierten „in dieser Ökonomie des symbolischen Kapitals lediglich als Tauschobjekte, um zur Reproduktion des symbolischen Kapitals der Männer beizutragen“. 158 Vgl. Fulda (2005: 25). 159 Ein frühes Beispiel aus dem italienischen Theater des 18. Jahrhunderts hat Schomacher untersucht. Vgl. Schomacher, Esther (2022): „Work It, Baby! Economics and Emotions on the Marriage Market in Goldoni’s La Locandiera and Trilogia della villeggiatura“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 207-225. 160 Vgl. Schößler, Franziska (2017): Femina oeconomica. Arbeit, Konsum und Geschlecht in der Literatur von Goethe bis Händler. Frankfurt/Main: Lang, pp. 263ff. Schößler (2017: 285) betont, dass die wenigen deutschsprachigen Romane, die die Unternehmerin in Szene setzten und herkömmliche Geschlechterrollen, nämlich „die Kopplung von Weiblichkeit und Empathie bzw. Sozialem, dadurch in Frage“ stellten, erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu finden seien. 161 Vgl. Habermann (2008: 15), die unter anderem McCloskey, Donald (1993): „Some Consequences of a Conjective Economics”. In: Ferber, Marianne A./Nelson, Julie (eds.). Beyond Economic Man. Feminist Theory and Economics. Chicago: The University of Chicago Press, pp. 67-93 als einen der vehementesten Kritiker auf Seiten der WirtschaftswissenschaftlerInnen anführt. Des weiteren nennt Habermann (2008: 131) die Untersuchungen von Bergmann, Barbara: The Economic Emergence of Women. 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 227 schon 1993 darauf hinweist, das der seit der klassischen Ökonomie gemeinhin als Mann imaginierte homo oeconomicus den ‚ökonomischen Menschen‘ meint: „homo oeconomicus literally means ‚economic human’, not ‚economic man’.”162 Ein über die reine Kritik hinausgehender, produktiver konzeptueller Wandel eines Diskurses, der vom ‚wirtschaftenden Menschen‘ spricht, aber den ‚wirtschaftenden Mann‘ meint, vollzieht sich erst in jüngerer Zeit.163 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang zum einen die Konjunktur, die das Konzept der femina oeconomica in den USA seit den 1990er Jahren und in Deutschland mit Beginn des neuen Millenniums erlebt.164 Die Forschungen zur Thematik im deutschsprachigen Raum verdanken sich in erster Linie Friederike Habermann und Franziska Schößler.165 Für den anglo-amerikanischen Bereich haben Deirdre (bzw. Donald) McCloskey, Marianne New York: Basic Book (1986); Folbre, Nancy/Hartmann, Heidi (1988): „The Rhetoric of Self-Interest: Ideology of Gender in Economic Theory“. In: Klamer, Arjo/McCloskey, Donald/Solow, Robert M. (eds.). The Consequences of Economic Rhetoric. Cambridge: Cambridge University Press; Ferber, Marianne A./Nelson, Julie A. (eds.) (1994): Beyond Economic Man. Feminist Theory and Economics. Chicago: The University of Chicago Press und eaedem (eds.) (2003): Feminist Economics Today: Beyond Economic Man. Chicago: The University of Chicago Press. 162 Vgl. McCloskey (1993: 79, Fußnote 4). Auf diesen Umstand verweist McCloskey im Kontext seines Konzepts der „konjektiven Ökonomik“ („conjective economics“), der es nicht darum gehe, die Unterschiede männlichen und weiblichen ökonomischen Wissens zu betonen, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Vgl. McCloskey (1993: 76): „It is neither the circle nor the square, neither objective nor subjective. It is what we know together, by virtue of a common life and language. It is what economists know about the definition of the money supply or the prevalence of marginal cost pricing. It is what men and women know together in their conversations, together or apart.“ 163 Dennoch werden die geschlechts- und rassenspezifischen Ausschlussmechanismen des Begriffs des homo oeconomicus auch in einem der jüngeren Handbücher für Literatur und Ökonomie unter dem entsprechenden Eintrag nicht thematisiert. Die femina oeconomica kommt gar nicht erst vor. Vgl. Maschewski, Felix (2019): „Homo oeconomicus“. In: Vogl, Joseph/Wolf, Burkhardt (eds.). Handbuch Literatur & Ökonomie. Berlin: De Gruyter, pp. 160-163. Das mag dadurch begründet sein, dass die ökonomische Theorie den Typus des ‚wirtschaftenden Menschen‘ eher als heuristische Kategorie denn als verkörpertes Geschlecht konzipiert. Paradoxerweise dominiert dennoch – wie eben auch McCloskey (1993: 79, Fußnote 4) gezeigt hat (s.o.) – die Wahrnehmung dieser Gestalt als männlich. 164 Vgl. Schößler (2017). 165 Erhellende Einsichten liefert auch der Sammelband von Lemke, Meike/Ruhe, Cornelia/Woelki, Marion/Ziegler, Béatrice (eds.) (2006): Genus Oeconomicum. Ökonomie – Macht – Geschlechterverhältnisse. Konstanz: UVK. 228 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien A. Ferber und Julie Nelson die notwendigen Impulse gegeben.166 Bezeichnend ist zum anderen aber auch, dass das Konzept der ökonomischen Frau (femina oeconomica) als weibliches Pendant zum homo oeconomicus gehandelt worden ist, ohne dass das Konzept des „ökonomischen Menschen“ dahingehend hinterfragt worden wäre, ob es sich im Falle dieses Menschen nicht eher um einen „ökonomischen Mann“ handelt. Dabei impliziert allein schon das Begriffspaar ‚homo oeconomicus – femina oeconomica‘, dass das Konzept des ‚wirtschaftenden Menschen‘ (verstanden als Mann) Frauen die Fähigkeit zu ökonomisch rationalem Handeln abspricht.167 Der Terminus ist also seit seiner noch „ungetauften“ Einführung im Kontext des Begriffs des Selbstinteresses 166 So steht dem weiten Feld der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen zum Begriff des homo oeconomicus eine einzige, organisationsökonomisch ausgerichtete Studie zur femina oeconomica gegenüber. Vgl. Fabel, Oliver (ed.) (2002): Femina oeconomica. München: Hampp. In Form von Monographien, die den Begriff des homo oeconomicus kritisch hinterfragen und etwa um Begriffe wie den der femina oeconomica oder den des Queeren erweitern, liegen neben der Kritik von McCloskey die schon genannten Studien von Habermann (2008) und Schößler (2017) vor. Entsprechend bemerkt Habermann (2008: 130f.): „[...] die [neoklassische] Wirtschaftstheorie blendet Geschlecht, Ethnie etc. als strukturelle Tatsachen nicht nur aus und setzt implizit den Idealtypus des weißen Mannes mit dem [...] homo oeconomicus gleich, sondern nimmt diesen als Ausgangspunkt und Grundlage aller Überlegungen.“ Dem weiten Feld weiblichen Konsums hingegen widmen sich zahlreiche Studien aus den Bereichen der Wirtschafts- und Sozial-, aber auch der Literatur- und Kulturwissenschaften. Um nur einige ausgewählte zu nennen, vgl. etwa Walker, Susannah (2007): Style & Status: Selling Beauty to African American Women, 1920-1975. Lexington: University Press of Kentucky; Brown, Mary/Orsborn, Carol (2006): Boom: Marketing to the Ultimate Power Consumer - The Baby Boomer Woman. New York: AMACOM; Heilmann, Ann (ed.) (2004): New Woman Hybridities: Femininity, Feminism, and International Consumer Culture, 1880-1930. London: Routledge; Bartos, Rena (1991): Die Rolle der Frau als Konsumentin: spezielle Marketingtrends. Wien: Ueberreuter; Maccall, Suzanne Hefner (1974): An Investigation of the Differential in Consumer Behavior of the Working Woman as Opposed to the Non-Working Woman and the Resulting Impact on the Performance of Marketing Functions and Institutions. Dissertation North Texas State University. Mikrofiche. Auch für das spanische 18. Jahrhundert liegen – insbesondere in Verbindung mit dem Konzept der petimetra – zunehmend Studien zum weiblichen Konsumverhalten vor. Vgl. dazu die Kapitel zum Haus als Raum bürgerlicher Innerlichkeit (Kap. 5.3) und zur petimetra (Kap 8.f.). 167 Der Grund für diesen Zweifel an der ökonomischen Kompetenz des weiblichen Geschlechts hat Habermann (2008: 15) zufolge ebenfalls Smith gelegt, wenn er „implizit davon ausging, dass [...] Frauen nicht zu rationalen Entscheidungen fähig seien“. 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 229 nach Adam Smith168 und seiner nachträglichen „Taufe“ durch Vilfredo Pareto169 und Maffeo Pantaleoni170 ein exklusiver Begriff, dessen „wissenschaftshistorische Verortung“ einerseits „nahezu unbekannt“171 ist, der andererseits aber geschlechtliche Ausgrenzungen beinhaltet, die sich über ein Jahrhundert lang hartnäckig hielten und nicht hinterfragt wurden.172 Bezeichnend ist auch, dass zum Begriff der femina 168 Wunderlich (2007: 13). Er (2007: 12) bezeichnet Adam Smith „[vor] allem wegen der Kapitel über die zentrale ökonomische Rolle des Eigeninteresses“ in The Wealth of Nations (1776) als „publizistische Hebamme des Homo oeconomicus“. 169 Habermann (2008: 133) mit Verweis auf Vilfredo Paretos Manuale di economia politica (1903). Diese Arbeit bezieht sich im Folgenden auf die von Schomacher (2021: 248) zitierte Ausgabe von 1919 (s.u.). Wunderlich (2007: 12f.) zufolge war es Eduard Spranger, „der diesem Wirtschaftsakteur seinen Namen gab“. Der Sozialphilosoph „gebrauchte die Bezeichnung in seinem Buch Lebensformen (1914) für den Grundtypus des nach rein wirtschaftlichen Kriterien handelnden Menschen – und trug damit entscheidend zur Popularisierung des Begriffs gerade in Verbindung mit dem smithschen Konzept [des Selbstinteresses] bei.“ Da Paretos Publikation einige Jahre vor Sprangers erschien, darf vermutet werden, dass Spranger diesen Begriff seinerseits von Pareto übernommen hat. Neben Pareto führt Habermann (2008: 163) auch Joseph Schumpeters Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie (1908) als „einen der ersten“ Bände an, der „den Begriff des homo oeconomicus“ enthält. Im ersten Band seiner Geschichte der ökonomischen Analyse identifiziert Schumpeter (2007: 213) Bartolomeo Frigerios (1585-1636) Ratgeber zur Haushaltsführung, L’Economo prudente (1629), und seinen Begriff des economo als „ein[en] allgemeinverständlich ausgedrückte[n] Vorläufer des Begriffes des homo oeconomicus“. Aus Gendergesichtspunkten interessant ist, dass Frigeros Werk ein Kapitel zur Haushaltsführung durch die Ehefrau (governo) enthält, ein Aspekt, den Smith ausspart. Vgl. Folbre (2009: 59): „Smith marveled at the efficiency of specialization in the factory but never in the household. Despite his great attention to the variety of occupations which men pursued in agriculture as well as in manufacturing, he seldom mentioned women’s work either in the market or in the home.“ 170 Vgl. Schomacher (2021: 248) mit Verweis auf Pantaleoni, Maffeo (1889): Principii di Economia Pura. Firenze: G. Barbèra, pp. 30f. und Pareto, Vilfredo (1919): Manuale di economia politica con una introduzione alla scienza sociale. Milano: Società editrice Libraria, pp. 14ff. Zur Begriffsgeschichte verweist Schomacher auf Persky, Joseph (1995): „Retrospectives. The Ethology of Homo Economicus“. In: The Journal of Economic Perspectives, 9, 2, pp. 221-231 und O’Boyle, Edward (2009): „The Origins of Homo Economicus. A Note“. In: Storia del Pensiero Economico, 6, 1, pp. 195-204. Wie Schomacher (2021: 248f.) anmerkt, führt O’Boyle den Begriff auf die deutsche nationalökonomische Tradition zurück. 171 Schomacher (2021: 248). 172 Vgl. auch Folbre (2009: 59). So habe bereits Smith vergessen zu erwähnen, dass von den durch ihn erwähnten ökonomischen Akteuren, deren Handeln durch ihr 230 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien oeconomica sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Literatur- und Kulturwissenschaften noch vergleichsweise wenige Untersuchungen vorliegen, während zum Themenfeld der ‚Konsumentin‘ zahlreiche, auch genderkritische Studien existieren. Dies deckt sich mit der von Schößler in literarischen Texten seit dem 19. Jahrhundert beobachteten „Verknüpfung von Weiblichkeit und Konsum“.173 Aus traditioneller Warte betrachtet, erscheint die wirtschaftende Frau weniger als eine wirtschaftliche ‚Macherin‘ und aktive Akteurin, denn als eine passiv Rezipierende, die überdies zur Verschwendung neigt. Dieses Bild fußt auf einer über Jahrhunderte tradierten Darstellung des weiblichen Geschlechts, die Irene Bandhauer-Schöffmann bestätigt174 und darauf zurückführt, dass das „Bild der verführbaren Eva in einer säkularisierten Form in die Ökonomie“175 hineinspielt. Blaschkes wegweisende komparatistische Untersuchung über den „literarischen Kredit“ des homo oeconomicus leistet eine begriffshistorische Aufarbeitung des Konzepts des ökonomischen Menschen, dessen unterschiedliche Verwendung in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen kritisch reflektiert wird. Bisherige Analysen und theoretische Modelle zum komplexen Themenfeld von Literatur und Ökonomie werden dort prägnant zusammengefasst. Damit stellt Blaschke das Konzept des homo oeconomicus nicht nur für nachfolgende literaturund kulturwissenschaftliche Studien bereit, sondern begründet in den Philologien des deutschsprachigen Raums zugleich einen economic turn, im Zuge dessen sich eine kontinuierlich steigende Anzahl literatur- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen mit dem Zusammenhang von Literatur und Ökonomie auseinandergesetzt hat.176 Blaschke gibt in den einführenden Kapiteln seiner Analyse an, Selbstinteresse bestimmt sei – dem Metzger, dem Brauer und dem Bäcker – „none [...] actually puts dinner on the table, ignoring cooks, maids, wives, and mothers in one fell swoop“. 173 Vgl. Schößler (2017: 283). 174 Bandhauer-Schöffmann, Irene (2006): „Unternehmerisches Handeln als Projektionsfeld moderner Männlichkeit. Eine Analyse des Schrifttums zum Unternehmer seit dem 18. Jahrhundert“. In: Lemke, Meike/Ruhe, Cornelia/Woelki, Marion/Ziegler, Béatrice (eds.) (2006): Genus Oeconomicum. Ökonomie – Macht – Geschlechterverhältnisse. Konstanz: UVK, pp. 63-76, hier p. 66. 175 Bandhauer-Schöffmann (2006: 66). 176 Dirk Hempel und Christine Künzel beobachten ein deutliches Ungleichgewicht zwischen einer „Beschäftigung mit dem Verhältnis von Literatur und Wirtschaft“, die 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 231 neben der Inszenierung der homines oeconomici gelte auch „den feminae oeconomicae“ seine Aufmerksamkeit.177 Auch hier bleibt die Frage nach den machtdiskursiven Implikationen dieses Begriffs, der sich auf männliche Akteure beschränkt, allerdings unbehandelt. In diesem Sinne spricht auch Christian von Tschilschke von der nur „vordergründig geschlechtsneutrale[n] Definition“ des homo oeconomicus bei Blaschke.178 Was in Blaschkes Untersuchung fehlt, der ansonsten stets an der präzisen Definition theoretischer Konzepte gelegen ist, ist eine Klärung des Begriffs der femina oeconomica. Stattdessen wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass es sich bei ihr lediglich um das weibliche Analogon des homo oeconomicus handelt.179 Die Frage, wie die femina oeconomica begrifflich zu spezifizieren sei, ob es einen Grundtypus weiblichen Wirtschaftens überhaupt geben kann, inwiefern dieser epochen- und gattungsspezifisch ist, und welche diskursiven Vorannahmen der Begriff seinerseits mit sich bringt, bleibt offen. Dass Frauenfiguren, etwa die von Blaschke untersuchte Molly aus James Joyces Ulysses oder die der Clarisse aus Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften,180 in geringerer Anzahl in literaturwissenschaftlichen Analysen über den wirtschaftenden Menschen auftauchen als Männer, ist in erster Linie ihrer geringeren Frequenz im in den deutschsprachigen Philologien erst seit „wenigen Jahren“ erfolge, und den Forschungen in angelsächsischen Ländern, wo seit „Ende der 1960er Jahre“ ein „sich noch immer weiter ausdifferenzierendes Forschungsgebiet“ existiere, das „neben übergreifenden Fragestellungen zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Autoren, Epochen, Ländern, Gattungen, Genres, Motiven“ biete. Hempel, Dirk/Künzel, Christine (2009): „Einleitung“. In: iidem (eds.). „Denn wovon lebt der Mensch?“ Literatur und Wirtschaft. Frankfurt/Main: Lang, pp. 9-18, hier p. 9. 177 Blaschke (2004: 24). 178 Tschilschke (2014: 286). 179 Vgl. Fabel (2002); Rommel (2006); von Tschilschke (2014), Volkmann (2017; 2003). Auch Franziska Schößler definiert den Begriff der femina oeconomica nicht explizit, was allerdings daran liegt, dass es ihr darum geht, den Facettenreichtum dieses literarischen Typus in seinen Erscheinungsformen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert aufzuschlüsseln. Dabei unterscheidet sie die (sexuell, sozial, emotional, ästhetisch, schöpferisch, zuhause) arbeitende, die konsumierende und die unternehmerisch tätige Frau als historisch wandelbare Varianten der femina oeconomica. 180 Zu den genannten weiblichen wirtschaftlichen Akteuren sowie zum Topos der Prostitution vgl. Blaschke (2004: 196ff.; 328ff.; 366). 232 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien literaturgeschichtlichen Kanon geschuldet,181 wie auch diese Studie zeigen wird. Betrachtet man die europäische Literaturgeschichte vom Mittelalter bis heute, ist die vergleichsweise kleine Anzahl bisher durch die Literaturgeschichtsschreibung entdeckter Autorinnen, denen eine Masse männlicher Autoren gegenübersteht, ein Umstand, der die Wahrnehmung der literarischen Repräsentation wirtschaftender Frauen erschwert. Auch David T. Gies konstatiert in Bezug auf die wenigen spanischen Dramatikerinnen, deren Stücke überhaupt literaturhistorisch erfasst worden sind: „The history of women in Spanish theatre is as much a history of absence as it is of presence, and the absence can speak very eloquently.”182 In Vorläuferstudien zu Blaschkes Analyse des literarischen homo oeconomicus, etwa bei Werner Wunderlich, ist von einer „Feminia [sic] oeconomica“ zwar die Rede, diese beschränkt sich aber auf die rhetorische Figur der Allegorie und ihr Genus, während ihre Weiblichkeit keine vertiefende Betrachtung erfährt.183 Die in diesem Zusammenhang von Wunderlich erwähnte Matrone, als die die Economia in der Iconologia (1603) von Cesare Ripa bildlich dargestellt wird, betrachtet Wunderlich als erfahrene Lenkerin des Haushaltes.184 Eine theoretische Reflektion des Konzepts der femina oeconomica oder der männlichen Kodierung des homo oeconomicus erfolgt nicht. Das Fehlen von wissenschaftlichen Studien nicht nur über die literarische Darstellung der femina oeconomica, sondern auch von solchen, die zur Klärung des Begriffs selbst beitragen könnten, kann als ein langjähriger blinder Fleck angesehen werden, der sich ebenso in den Literaturund Kulturwissenschaften wie in den Wirtschaftswissenschaften hartnäckig hält, inzwischen aber zunehmend sichtbar gemacht wird. Auch 181 Holger Rust (2013) bestätigt in dem von ihm präsentierten Panorama von den Unternehmer fokussierenden Beispielen aus der Weltliteratur Und die Moral von der Geschicht... Fabrikanten, Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung. München: Redline, p. 243: „Bislang war es eine Geschichte der Männer.“ 182 Gies, David T. (1994): The Theatre in Nineteenth Century Spain. Cambridge: Cambridge University Press, p. 230. 183 Vgl. Wunderlich (1989: 10f.). In seiner nachfolgend veröffentlichten Monographie über den homo oeconomicus widmet sich Wunderlich ebenfalls dem ‚ökonomischen Mann‘. Vom Konzept einer femina oeconomica ist nicht die Rede, wohl aber vom Milchmädchen und deren bekanntlich ‚falscher‘ Rechnung. Vgl. Wunderlich (2007: 55ff.). 184 Zur wirtschaftenden Frau im 15. Jahrhundert vgl. auch Alberti, Leon Battista (1906): Della famiglia, ed. Carlo Capasso. Milano: Società Ed. Sonzogno. 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 233 die vorliegende Studie möchte dazu beitragen. Aus der spektralen und selten auftretenden Gestalt einer dem homo oeconomicus wie selbstverständlich als weibliche Entsprechung an die Seite gestellten femina oeconomica ist ein Forschungsgegenstand geworden, dem immer größere Aufmerksamkeit zuteilwird.185 Entsprechend ist auch das Interesse der Literaturwissenschaften gewachsen, in den Archiven Texte von AutorInnen auszumachen, die wirtschaftende Frauen und etwaige Spezifika einer ‚weiblichen Ökonomie‘ thematisieren.186 Dass neben Frauen auch andere Subjekte, etwa Farbige und/oder Queere, vom historischen Verständnis des homo oeconomicus ausgeschlossen sind, leitet Habermann in ihrer Dissertation aus dem patriarchalen Selbstverständnis (übrigens nicht nur) der anglophonen Aufklärungsbewegung und ihren Vertretern Adam Smith, John Stuart Mill und Jeremy Bentham ab. Deren patriarchale Vorannahmen bezüglich der Unterlegenheit des Weiblichen werden zunächst kritisch hinterfragt, bevor Habermann den exklusiven Begriff des wirtschaftenden Mannes um sein Anderes erweitert. Dass das Konzept des ‚Anderen‘ selbst nicht unproblematisch ist und seinerseits Essenzialismen und Hierarchien produziert, nämlich genau dann, wenn man dieses Andere in Umkehr der bestehenden Hierarchien auf einen Sockel stellt, erkennt auch Habermann. Daher plädiert sie für ein poststrukturalistisches Verständnis des Anderen „als ‚Supplement‘“, als eine Identität, die eben keine essenzialistische ist, sondern eine durch die hegemonialen Bedingungen geformte. Damit ist das Andere nicht automatisch gut. Es ist entnannt, es wird systematisch nicht gesehen und nicht gehört, es ist marginalisiert, tendenziell subaltern, und wird von Personalchefs bis heute nicht gerne eingestellt.187 185 Vgl. etwa die von Schößler (2017: 14ff.) angeführten Studien von Michalitsch, Gabriele (2000): „Jenseits des homo oeconomicus? Geschlechtergrenzen der neoklassischen Ökonomik“. In: Krondorfer, Birge/Mostböck, Carina (eds.). Frauen und Ökonomie, oder: Geld essen Kritik auf. Kritische Versuche feministischer Zumutungen. Wien: Promedia, pp. 91-104; Perkins Gilman, Charlotte (2005): Frauen und Arbeit, trans. Petra AltschuhRiederer. Aachen: Ein-Fach-Verlag; Süssenbach, Christina (1999): Frauen in der Ökonomie. Kiel: Institut für Weltwirtschaft. 186 Vgl. beispielsweise für die Hispanistik neben der bereits erwähnten Studie von Gies (1994) den Aufsatz von Fuentes (2014), in dem sie weibliche Figuren aus der Feder von Dramatikerinnen wie María Cabañas untersucht. 187 Habermann (2008: 18). 234 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Schomacher hingegen relativiert die Bedeutung des Konzepts des homo oeconomicus für neo-klassische Ökonomen wie Mill im Zuge ihrer Betrachtung des theoriegeschichtlichen Kontextes und betont, dass der Begriff zum einen gar nicht für sich in Anspruch nehme, das gesamte Wirtschaftsverhalten des Menschen umfassend zu beschreiben. Zum anderen verweist sie darauf, dass insbesondere die „englische [....] Formel ‚economic man‘ in der zeitgenössischen Debatte nahezu ausschließlich ironisch und pejorativ“188 verwendet werde. Was das spanische Theater des 18. Jahrhunderts anbelangt, bestätigt sich für die femina oeconomica teils, aber nicht gänzlich das, was Habermann in Bezug auf die Genealogie des homo oeconomicus seit Smith, Bentham und Mill beobachtet: Dort treten exklusiv weiße bürgerliche Subjekte auf, von denen nur die Minderzahl der autark und kompetent wirtschaftenden Figuren weiblich ist. Dass feminae oeconomicae im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle spielen, zeigt sich auch daran, dass sie mehrheitlich in Nebenrollen auftreten. Es bleibt im Zuge der nachfolgenden Analysen zu klären, ob ihre wirtschaftliche Vorbildlichkeit in den seltenen Momenten, in denen sie in tragender Rolle agieren, im Kern rhetorisch bleibt und dazu dient, ein bestimmtes menschliches Fehlverhalten zu skandalisieren,189 oder ob diese Figuren im Gegenteil eine spezifische Form weiblichen Wirtschaftens an den Tag legen, das sich durch den gekonnten Umgang mit Finanzen und Ressourcen auszeichnet. Steht also der Einsatz der Geschlechterrollen innerhalb eines unverändert androzentrischen Rahmens letztlich im Dienste der rhetorischen Dramatisierung eines geschlechtlich unmarkierten moralischen Fehlverhaltens? Oder figurieren weibliche Charaktere vereinzelt tatsächlich als Repräsentantinnen einer geschlechtlich kodierten, genuin weiblichen Form des Wirtschaftens? Treten sie in erster Linie als auf den oikos beschränkte Haushälterinnen auf? Oder agieren sie auch außerhalb des Hauses als wirtschaftende und/oder körperlich arbeitende Akteurinnen? Betrachtet man die Vielzahl der Theaterproduktionen des spanischen 18. Jahrhunderts, bleibt jedenfalls die geringe Anzahl wirtschaftender, handwerklich oder im Ackerbau tätiger Frauenfiguren zu verzeichnen. Diese Minderheit steht einer großen Mehrheit von 188 189 Schomacher (2021: 249). Vgl. hierzu die Analyse von Tschilschke (2014: 286). 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 235 Frauenfiguren gegenüber, die nicht umsichtig haushalten, fleißig arbeiten oder erfolgreich Geschäfte betreiben, sondern im Gegenteil durch exzessive Verschwendung auffallen. Dies verdeutlicht, inwiefern die theatrale Inszenierung wirtschaftender Frauen und Männer Geschlechterbilder produziert, die ihrerseits Projektionen von Idealvorstellungen sind, aber auch Ängsten, Heimsuchungen und Unterlegenheitsgefühlen Ausdruck verleihen. Den männlichen Stellvertreterfiguren eines guten Wirtschaftens, die sich durch ein Personal von im Gegensatz dazu nicht immer idealtypisch konzipierten Vertretern des Handwerks ergänzt sehen, werden in diesem ‚Wirtschaftstheater‘ allerdings nicht nur vorbildlich agierende PartnerInnen an die Seite gestellt. Auch die männlichen und weiblichen Negativfolien, die RepräsentantInnen schlechten Wirtschaftens haben einen Platz in den Wirtschaftskomödien der spanischen Spätaufklärung. Dabei handelt es sich um männliche und weibliche VerschwenderInnen, deren prominenteste Vertreter der petimetre und die petimetra sind. Insbesondere die Mehrzahl der petimetras gegenüber der Minderzahl an petimetres im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts ist ein Anzeichen für den Argwohn, der der Frau als ökonomischer Akteurin entgegengebracht wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Konsumentin auftritt (vgl. Kap. 9.2f.). Angesichts der von Habermann nachgewiesenen Verengung des Konzeptes des homo oeconomicus auf den Mann, die durch britische Ökonomen des 18. Jahrhunderts begründet wurde und die sich in jüngeren Forschungen190 fortsetzt, vermag auch die Dominanz männlicher Wirtschaftsakteure in den ökonomischen Traktaten und literarischen Erzeugnissen der französischen und spanischen Aufklärung nicht zu erstaunen. Gleiches gilt für das spanische Theater des 18. Jahrhunderts. Bei der Mehrzahl der dort in tragenden Rollen agierenden wirtschaftenden Figuren handelt es sich um Männer im heiratsfähigen, zum Teil fortgeschrittenen Alter aus dem Adel und gehobenem Bürgertum, die als modellhafte Figuren das ‚gute Wirtschaften‘ personifizieren. Wenn in den Analysen dieser Studie vom vir oeconomicus die Rede ist, ist damit ein für das spanische Wirtschaftstheater der Spätaufklärung 190 Gregor Schuhen (2017: 247ff.) spricht in seiner Studie über vormoderne Männlichkeiten im spanischen Schelmenroman zwar vom vir inversus, behält den Terminus des homo oeconomicus jedoch unhinterfragt bei. 236 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien charakteristischer Figurentypus gemeint, der ein kompetenter Ökonom im Sinne des reformökonomischen Diskurses des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Spanien ist und dessen wirtschaftliches Verhalten sich am Konzept der felicidad pública als moralischer und ökonomischer Größe orientiert. Der vir oeconomicus als ein in spanischen Komödien wiederkehrender Figurentypus ist also gerade nicht durch die von Adam Smith konstatierte „Disposition des Selbstnutzes, des Egoismus“191 gekennzeichnet, wie sie dem homo oeconomicus zugeschrieben wird, sondern durch seine dezidierte Ausrichtung auf den bien común. In Analogie zu Blaschkes Definition des homo oeconomicus ist dieser epochen- und gattungsspezifische vir oeconomicus als versierter Ökonom zwar ein „Individuum, das seine knappen Mittel in gegebenen Umständen“ durchaus „zum Erreichen seiner Interessen kalkuliert einzusetzen vermag“.192 Gleichzeitig kennzeichnet aber unseren ‚ökonomischen Mann‘ im Gegensatz zum ‚ökonomischen Menschen‘, dass sein Eigeninteresse stets mit dem bien común zur Deckung kommt. Das von Habermann als Hauptmerkmal des homo oeconomicus bezeichnete „rationale Handeln“193 steht beim vir oeconomicus im Dienste der spanischen Nation. Als deren Pars pro Toto fungieren im spanischen Theater der Spätaufklärung zumeist der Mikrokosmos der Familie und der oikos als Schnittstelle von Arbeits- und Sozialleben, über die der pater familias entweder sorgsam wacht oder die er – im Gegenteil – sträflich vernachlässigt.194 Im zweiten Fall ist das Einschreiten eines von außen zu Hilfe eilenden Ordnungsstifters vonnöten (vgl. Kap. 5.2). Das geschlechtsspezifische ökonomische Agieren des vir oeconomicus ist vor dem Hintergrund des im spanischen 18. Jahrhundert vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftssystems zu betrachten, 191 Volkmann (2017: 62). Blaschke (2004: 20). Hierzu merkt Habermann (2008: 14) allerdings an, dass der homo oeconomicus „nicht per se mit Egoismus gleichgesetzt werden“ sollte, sei er doch „theoretisch durchaus fähig, Altruismus als individuelle Präferenz einzubeziehen“. 193 Habermann (2008: 14). 194 Auch Witthaus (2012: 293f.) verweist für die Zeit um 1750 und im Kontext seiner Analyse der Discursos mercuriales (1755) Graefs darauf, dass das Haus ein „traditioneller Holismus ökonomischen Denkens“ ist, der sich allerdings ebenso wie der Topos patriarchalischer Kontrolle im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts und im Zuge der Ausdifferenzierung der Ökonomie als Wissenschaft auflöst. Paradigmatisch für diesen Bruch ist Witthaus zufolge Rousseaus im fünften Band der Encyclopédie veröffentlichter Artikel „Économie“ (1755). 192 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 237 das allerdings, wie Kristina Heße betont, durch eine „Verunsicherung unter den Angehörigen der gesellschaftlichen Oberschicht“195 gekennzeichnet ist. Dies hat „Strategien und Hegemonien“196 zur Aufrechterhaltung der vorherrschenden patriarchalen Strukturen zur Folge. Auch der idealisierte theatrale Figurentypus des vir oeconomicus ist Teil einer solchen Strategie, die eine figurale Verkörperung des Ökonomischen, konkret gesprochen: des Sekundär- und Tertiärsektors im literarischen Feld und auf den spanischen Bühnen des ausgehenden 18. Jahrhunderts vornimmt. Das genderspezifische ökonomische Handeln dieses fiktionalen theatralen Typus ist durch vier Merkmale gekennzeichnet: Durch 1. die Fähigkeit zur Durchsetzung der eigenen männlichen Autorität in dem aus den Fugen geratenen sozialen Mikrokosmos des oikos. Diese Art autoritärer Männlichkeit bezeichnet Heße in Anlehnung an Raewyn Connell als „hegemoniale Männlichkeit“197; 2. seine Fähigkeit zur Erwirtschaftung von monetären und moralischen Gewinnen im Angesicht einer existenziell bedrohlichen Situation; diese Gewinne bestehen, so die Hypothese a) in der Belehrung der schlechten ÖkonomInnen und/oder b) in dem Eingehen einer Ehe mit einer Partnerin, die eine moralische und ökonomische (d.h. eine finanzielle, produktive, haushälterische) Bereicherung darstellt; 3. einen guten Ruf im Öffentlichen wie im Privaten als ‚soziales Kapital‘; 4. eine berufliche Tätigkeit als Kaufmann oder Fabrikant, die sich nicht durch körperliche, sondern durch Kopfarbeit auszeichnet. 195 Heße (2008: 12f.). Heße (2008: 12f.). 197 Vgl. Heße (2008: 63ff.) mit Bezug auf Connell, Raewyn (1995): Masculinities. Cambridge: Cambridge University Press. Der Band wurde 1999 von Ursula Müller & Christian Stahl unter dem Titel: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Wiesbaden: Springer ins Deutsche übersetzt. Unter „hegemonialer Männlichkeit“ versteht Connell unter Bezugnahme auf Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie „jene Form von Männlichkeit, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als kulturelles Ideal hervorgehoben wird und dominierend gegenüber anderen Männlichkeiten ist“, etwa der „untergeordneten“, da effeminierten, der komplizenhaften oder der marginalisierten Männlichkeit. Vgl. Heße (2008: 65f.). 196 238 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dass analog zum Kaufmann auch der Unternehmer in der Wirtschaftstheorie des 18. und 19. Jahrhunderts als dezidiert männlich und als Patriarch konzipiert ist, beobachtet Bandhauer-Schöffmann.198 Während die Traktate dieser Zeit Frauen als Unternehmerinnen schlichtweg nicht vorsehen, werden sie von Schriften späterer Ökonomen, beispielsweise von Werner Sombart (1863-1942) oder Joseph Schumpeter (1883-1950), explizit von den Unternehmerpersönlichkeiten ausgenommen, etwa, wenn bei Sombart davon die Rede ist, dass „Unternehmernaturen“199 keinesfalls über Eigenschaften verfügen dürften, die als weiblich gälten, etwa „leidenschaftliche Affekte; übermäßige Sinnlichkeit; [...] Gutmütigkeit oder Sentimentalität“200. An späterer Stelle heißt es bei Sombart sogar explizit: „Will man mit ein paar Strichen den Gesamthabitus der idealen Unternehmernatur zeichnen, so wird man sagen müssen: Es sind Männer (keine Weiber!).“201 Für die sich im nächsten Abschnitt (vgl. Kap. 5ff.) anschließenden Untersuchungen der theatralen Inszenierung des vir oeconomicus besonders interessant sind nicht nur seine Erscheinungsformen, d.h. die Art und Weise, wie über diesen Figurentypus eine finanziell potente sowie handlungsfähige Verkörperung und Vergeschlechtlichung bestimmter Wirtschaftszweige erreicht wird. Von besonderer Relevanz ist auch die spezifische Funktion des vir oeconomicus, im Kontext des bourbonischen aufgeklärten Absolutismus als Stellvertreterfigur patriarchaler königlicher Autorität zu fungieren. Diese Rolle rekurriert auf das reformökonomische Desiderat der Funktionalität des Einzelnen für das wirtschaftliche Prosperieren der Nation, antwortet aber auch auf die ‚Krise der Monarchie‘ infolge der eingangs skizzierten ökonomischen Säkularisierungsprozesse, indem sie gerade die Handlungskompetenz dieser den König symbolisch repräsentierenden Männerfiguren betont. Die hier erfolgenden Analysen werden zeigen, 198 Vgl. Bandhauer-Schöffmann (2006: 66). Sie bezieht sich dabei auf Jacques Savarys Handbuch Le parfait négociant (1675) und Jean Gustave Courcelle-Seneuils Manuel des Affaires, ou traité théorique et pratique des Entreprises industrielles, commerciales et agricoles (1855). 199 Sombart, Werner (1909): „Der kapitalistische Unternehmer“. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, vol. 29, pp. 689-758, hier p. 740, zitiert in BandhauerSchöffmann (2006: 68). 200 Sombart (1909: 743), zitiert in Bandhauer-Schöffmann (2006: 68). 201 Sombart (1909: 747), zitiert in Bandhauer Schöffmann (2006: 68). 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 239 in welchen spezifischen Momenten der vir oeconomicus als das Produkt eines gouvernementalen Diskurses über Wirtschaft erkennbar wird, dessen propagandistisches Wirken zunehmend auf ein beruflich aktives bürgerliches und adeliges Publikum ausgerichtet ist und damit ein neues Menschen- und Männerbild modelliert, in dem das Moralische und das Ökonomische zur Deckung kommen. Die Deckungsgleichheit von Wirtschaft und Moral in den protoindustriellen Entwürfen des wirtschaftenden Menschen ist insofern bemerkenswert, als mit der Industrialisierung nur noch moralisch korrumpierte oder gar amoralische Entwürfe des homo oeconomicus denkbar scheinen, die – wie Balzacs Baron de Nucingen – moralisch umso verwerflicher agieren, je (finanziell) erfolgreicher sie sind (vgl. Kap. 6). In unseren Analysen wird es auch darum gehen, die Verschränkungen zwischen ökonomischem Reformdiskurs und theatralem Diskurs zu beleuchten und damit die Momente zu markieren, in denen theoretische Konzepte der aufgeklärten Reformökonomie sich in Figurenrede oder in Bühnenaktionen kristallisieren. Die vorliegende Studie untersucht zudem, inwieweit dem vir oeconomicus als einem ‚Kopfarbeiter‘ ähnlich modellhafte Figurentypen an die Seite gestellt werden, die die Palette wirtschaftender Menschen um das Feld der körperlichen Arbeit erweitern. Desgleichen sondiert sie, welche singulären weiblichen Figuren oder Typen im ökonomischen Feld dieses Theater entwirft und welche politischen oder gesellschaftlichen Zwecke diese Entwürfe erfüllen. Die Unterscheidung von Kopfarbeit und körperlicher Arbeit führt uns zu Jehles Begriff des „zivilen Helden“ als einer das neoklassische Theater prägenden Figur. Wie der vir oeconomicus übt der zivile Held einen mit Kopfarbeit verbundenen Beruf aus, der, so unsere Hypothese, mit der Entwicklung der sentimentalen Komödie der Spätaufklärung nach und nach durch neue Figurentypen abgelöst wird, die Berufsfelder repräsentieren, die mit körperlicher Arbeit in Zusammenhang stehen. Diesen Figurentypen widmet sich der nachfolgende Abschnitt. 240 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 4.4. Von ‚zivilen Helden‘ zu ProtagonistInnen der Produktion Inmaculada Urzainqui beobachtet für das spanische 18. Jahrhundert eine ‚Durchdringung’ der Theaterkritik durch die politische Ideologie der Regierung,202 die sich in einer leidenschaftlichen Apologie des Fleißes, des Handels und der Kaufmannschaft niederschlägt und ganz im Sinne der Real Cédula von 1783 für eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung dieser Berufsgruppen wirbt.203 Dies gilt vor allem für das neoklassische Theater als ‚offizielles‘ Regierungstheater.204 Demgegenüber spielen Díez Borque zufolge berufstätige Bürger wie der Kaufmann im Theater des 17. Jahrhunderts noch keine Rolle. Vielmehr konstatiert er in Bezug auf die comedia der Siglos de Oro deren ganz und gar adeligen Wertehorizont, eine Einschätzung, die die zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Studie noch nicht verfügbare Habilitationsschrift von Agnieszka Komorowska205 zu revidieren verspricht: La comedia está regida por un espíritu aristocrático, y no por un espíritu burgués y, por ello, todas las actividades basadas en actuaciones monetarias quedarán fuera de las preocupaciones de la comedia, donde no cuentan virtudes burguesas como ahorro, prudencia, trabajo. La no adaptación de la nobleza tradicional a los valores modernos del negocio del dinero, que fue una de las causas de la decadencia española, nunca se cuestiona ni aparece como problemática de la comedia [...].206 Der im 17. Jahrhundert dominierende ‚Aristokratismus’, auf den sich auch das Wertesystem der comedia gründet207 und deren vorrangiger Heldentypus der Eroberer, der Conquistador und Kriegsheld ist,208 wird mit den neoklassischen Dramen eines Leandro Fernández de Moratín oder eines Tomás de Iriarte allmählich durch einen bürgerlichen Heldentypus abgelöst, den Jehle als „zivilen Helden“209 202 Vgl. Urzainqui (1992: 271). Vgl. Urzainqui (1992: 270). 204 Vgl. Urzainqui (1992: 271). 205 Vgl. Komorowska (im Druck). 206 Díez Borque (1976: 228). 207 Vgl. Díez Borque (1976: 229). 208 Vgl. Jehle (2010: 175). 209 Jehle (2010: 176). 203 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 241 bezeichnet. Mit ihm wird das Theater zu einer „Schule der Zivilität“210. Als theatrales Produkt des Neoklassizismus verkörpert der zivile Held das staatsbürgerliche Subjekt der Zivilgesellschaft,211 was insofern paradoxal ist, als das neoklassische Theater (etwa eines Trigueros) das feudale System affirmiert statt es in Frage zu stellen, wie diese Studie anhand von detaillierten Analysen nachweisen wird. Der zivile Held ist ein Individuum, das sich „von den überkommenen Gestalten des ‚vasallo‘ und des ‚súbdito‘ zu emanzipieren beginnt, um als Glied der clase media [sic] brauchbar zu werden“212. Dies geschieht innerhalb eines im Aufbau begriffenen Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung.213 Jehle beschreibt den zivilen Helden außerdem als eine Figur, die, – wie hier angemerkt werden muss – zumeist männlich ist und sich durch ihre Berufstätigkeit von Adel und Klerus unterscheidet. Als ein weiteres Merkmal des zivilen Helden macht Jehle dessen soziale Mobilität aus.214 Typische Repräsentanten zivilen Heldentums sind der Kaufmann und der Unternehmer, diejenigen Figurentypen also, die diese Studie als viri oeconomici im Sinne von idealtypischen männlichen ‚Kopfarbeitern‘ und Patriarchen im Dienste der bourbonischen Reformökonomie ausweist. Jehles fruchtbaren Begriff des ‚zivilen Helden‘ differenziert diese Studie weiter aus, indem sie ihn um den Begriff der sogenannten ‚ProtagonistInnen der Produktion‘215 erweitert. Unter diesen produzierenden ProtagonistInnen finden sich also nicht ausschließlich männliche ökonomische Akteure, sondern auch Akteurinnen, wenngleich diese in dem bereits skizzierten Sinne in beträchtlich geringerer Anzahl vertreten sind. Was die ProtagonistInnen der Produktion anbelangt, lassen sich diese, erstens, als wirtschaftende Männer und Frauen definieren, die der ökonomischen Traktatliteratur, der Presse oder der Literatur entspringen und insofern der Politischen Ökonomie unterworfen 210 Jehle (2010: 202). Vgl. Jehle (2010: 176). 212 Jehle (2010: 183). 213 Jehle (2010: 183). 214 Vgl. Jehle (2010: 184). 215 Zu den Facetten dieses Typus in der europäischen Ökonomie, Literatur und Presse vgl. Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.) (2022): Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, mit einem Nachwort von Deirdre McCloskey. 211 242 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien sind, als sie sich im reformökonomischen und biopolitischen Sinne als ‚produktiv‘ erweisen müssen: Aus biopolitischer Perspektive sollen sie sich im bürgerlichen Rahmen der Ehe vermehren und gute Staatsbürger ‚produzieren‘, die ihrem guten Beispiel folgen, weshalb die Ehe in der Mehrzahl der hier untersuchten Stücke und ganz in der Tradition der Gattung Komödie den glücklichen Schlusspunkt bildet. Von reformökonomischer Warte aus sollen die ProtagonistInnen der Produktion erfolgreich einer beruflichen Tätigkeit in Handel, Industrie, Landwirtschaft oder Handwerk nachgehen. Während der zivile Held dem gehobenen Bürgertum angehört und zuallererst Kopfarbeit leistet, sich also nicht ‚die Hände schmutzig macht‘, schließen die ProtagonistInnen der Produktion, zweitens, wohlhabende Berufstätige wie Kaufleute und Unternehmer ebenso ein wie mit körperlicher und/oder schmutziger Arbeit befasste Werktätige: den bzw. die HandwerkerIn, den Bauern bzw. die Bäuerin und Kleingewerbetreibende wie den/die LumpensammlerIn. Drittens repräsentieren die ProtagonistInnen der Produktion einen protoindustrielle Literaturen kennzeichnenden geschlechtlich kodierten Typus des wirtschaftenden Menschen mit wiederkehrenden Eigenschaften, bei dem verschiedene Subtypen zu unterscheiden sind. Diese Studie untergliedert sie für das Theater in: a) die RepräsentantInnen guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie, das sind der vir faber, der vir rusticus sowie die femina oeconomica und die femina fabra; b) die RepräsentantInnen der Misswirtschaft, wie die Reformökonomie sie versteht, das sind der vir profusus und die femina profusa. Eine detaillierte Entwicklung der Begriffe aus dem wirtschaftshistorischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext heraus sowie die konkrete Nennung ihrer Eigenschaften erfolgt zu Beginn der jeweiligen Abschnitte zu den einzelnen Figurentypen. Viertens bezeichnet der Terminus der ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ geschlechtlich verkörperte Anthropologisierungen verschiedener Wirtschaftssektoren, die in der Mehrzahl männlich sind: Der vir oeconomicus verkörpert Handel und Industrie, der vir faber das Handwerk und der vir rusticus die Landwirtschaft. Während sich in diesen männlichen Idealtypen ein patriarchalisches aufgeklärtes Männlichkeitsideal niederschlägt, das in seiner ökonomischen Kompetenz und 4. Die Ökonomisierung des Theatralen 243 betonten Virilität die Bedrohungen kompensiert, denen Spanien im politischen und wirtschaftlichen Wettstreit mit seinen europäischen Konkurrenzmächten ausgesetzt ist, kondensieren sich in den weiblichen Idealtypen, d.h. in der femina oeconomica und femina fabra, von den Aufklärern gewünschte weibliche Tugenden und Kompetenzen in den Bereichen Häuslichkeit und haushälterische Fähigkeiten, sexuelle Normativität, aber – wie das Beispiel der femina fabra zeigt – auch handwerkliches Geschick und Fleiß. Trotz der biopolitischen Implikationen dieses Figurentypus finden sich unter seinen Repräsentantinnen – mit einer Ausnahme216 – so gut wie keine Mütter. Während Kinderfiguren nahezu keine Rolle spielen, treten Heranwachsende, wie etwa der Lehrling Blas aus Francisco Duráns La industriosa madrileña (1789), durchaus auf. Beide Gruppen, die männlichen wie die weiblichen ProtagonistInnen der Produktion, stehen, wie fünftens und abschließend festgehalten werden kann, im Dienste der Erhöhung der nationalen Produktivität, weshalb sie weniger als Indikatoren einer faktischen Aufwertung des Zivilen relevant sind, denn als funktionale didaktische Instrumente, die die zentralen Ideen der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus der Bourbonen im Medium des Theaters vermitteln. 216 Diese Ausnahme ist die Figur der Madama Sambrig aus Valladares de Sotomayors sentimentaler Komödie El fabricante de paños (1784). 5. VIR OECONOMICUS I: DIE MÄNNLICHE TYPISIERUNG DES HANDELS Der Kaufmann ist eine seit dem Mittelalter prominente und in der Literatur vergleichsweise häufig anzutreffende Variante des wirtschaftenden Mannes, der den Handel als einen Wirtschaftssektor repräsentiert, der ebenso wie Ackerbau und Industrie männlich kodiert ist. Auch in spanischen Komödien der Spätaufklärung fungiert der Kaufmann als virile und wirtschaftlich kompetente Personifikation des Handels. Diese zeichnet sich ebenso durch Philanthropie wie durch ein ökonomisch umsichtiges und kluges Verhalten aus. Eine solch positive Zeichnung des Kaufmanns ist in Anbetracht des Verlaufs der europäischen Literaturgeschichte seit dem Mittelalter ein vergleichsweise kurzlebiges Phänomen und auf das 18. Jahrhundert beschränkt. Dient die Kaufmannsfigur seit dem Mittelalter als abschreckendes Beispiel christlicher Morallehren und wird sie zumeist als raffgieriger Betrüger dargestellt, gelangt sie in der europäischen Aufklärung vorübergehend zu Ruhm, bevor sie infolge der Industrialisierung und der sich daraus ergebenden ‚Heimsuchungen‘ durch das „Gespenst des Kapitals“1 neuerlich Spott und Kritik ausgesetzt ist. Ab dem 19. Jahrhundert wird der Kaufmann dann entweder als satirischer Typus2 oder als selbstsüchtiger und sich auf Kosten der Schwachen bereichernder Bösewicht3 gezeichnet. Allerdings sind die aufklärerischen Skizzen des Kaufmanns als ehrbare und moralisch wie ökonomisch 1 Vgl. Vogl, Joseph (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes. Vgl. Hohl, Peter (1988): Der Kaufmann als satirischer Typus. Untersuchung zu Prosawerken von Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht. Wittlich: Gressnich. 3 Vgl. Rust (2013), der auf den widersprüchlichen Umstand hinweist, dass in den meisten literarischen Werken seit dem 18. Jahrhundert dem erarbeiteten Reichtum weit größeres Misstrauen, ja Unmut entgegengebracht wird, als dem beim Glücksspiel – etwa beim Lotto – gewonnenen Reichtum. 2 246 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vorbildliche Person, wie sie englische, französische und spanische Dramen der Aufklärung ihrem Publikum präsentieren, kaum weniger holzschnittartig und stereotyp als ihre modernen und postmodernen Gegenbilder, wie unsere Analysen zeigen werden. Betrachtet man den Kaufmann als wirtschaftlichen Akteur und seine literarische Repräsentation in verschiedenen Gattungen, gilt es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei diesem Berufsstand um keine homogene Gruppe handelt. Vielmehr umfasst der recht weit gefasste Begriff des ‚Kaufmanns‘ den Großfinancier ebenso wie den einfachen Krämer.4 Stücke wie Antonio Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid (1784)5 und Luciano Comellas El hombre agradecido (1796)6 veranschaulichen, dass die soziale Bandbreite der Kaufmannsfiguren auch im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts vom einfachen Weinhändler bis zum international tätigen Großkaufmann reicht.7 Schon Aristoteles hatte den Kaufmann als jemanden 4 Vgl. Niklaus, Robert (1978): „The Merchant on the French Stage in the 18th Century, or the Rise and Fall of an 18th Century Myth”. In: Mossop, Deryk/Rodmell, Graham/ Wilson, Dudley (eds.). Studies in the French Eighteenth Century. Durham: University of Durham 1978, p. 141-156, hier p. 142 mit Bezug auf Perry, Norma: „French and English Merchants in the Eighteenth Century: Voltaire revisited”. In: Studies in Eighteenth Century French Literature (1975), pp. 193-213, ohne Seitenangabe. 5 Valladares de Sotomayor, Antonio (1784): El vinatero de Madrid: en dos actos. Comedia nueva original. Madrid: Hilario Santos Alonso. Quelle: http://www.cervantesvirtual. com/obra-visor/el-vinatero-de-madrid-en-dos-actos-comedia-nueva-original–0/html, Zugriff: 01.08.2022. 6 Comella, Luciano Francisco (1796 [1790]): El hombre agradecido, ed. Ministerio de Cultura, 2009. de los Hermanos de Orga. Quelle: https://bvpb.mcu.es/es/catalogo_ imagenes/grupo.do?path=150708, Zugriff: 12.08.2022. 7 Für eine Übersicht der Repräsentation des Kaufmanns im spanischen Theater der Spätaufklärung vgl. García Garrosa (2022: 131ff.). Sie untersucht dort unter anderem die Stücke Los franceses generosos (o.J.) und das anonym erschienene El comerciante de Burdeos (o.J.) von Antonio Valladares de Sotomayor sowie El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina von Gaspar Zavala y Zamora. Desweiteren erwähnt García Garrosa eine Adaptation von Jean-Michel Sedaines (1719-1797) Le Philosophe sans le savoir (1765) mit dem Titel El filósofo sin saberlo (o.J.) sowie eine Übersetzung von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ (1732–1799) Les deux amis ou Le négociant de Lyon (1770), die spanisch wortgetreu mit Los dos amigos ó sea El negociante de León (1795) übersetzt ist und von Domingo Botti stammt. Da es sich bei den Übertragungen der französischen Stücke ins Spanische mehr um Adaptationen als um detailgetreue Übersetzungen handelt, was auch die nachfolgenden Analysen zeigen werden, figurieren die (für unsere Beispiele ausschließlich männlichen) Übersetzer in unserer Bibliographie als Autoren, so auch Botti. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 247 definiert, der entweder im Groß- oder im Kleingewerbe kauft und verkauft,8 und schon dort dominiert, wie Strosetzki betont, die negative Sichtweise des Kaufmanns.9 In der spanischen Bühnenlandschaft manifestiert sich im Zusammenhang mit der Kaufmannsthematik eine „Anglomanie“10, die mit der durch George Lillos Drama The London Merchant fundierten Beliebtheit der Kaufmannsthematik in Verbindung steht und insbesondere bei Autoren des populären Theaters wie Valladares und Gaspar Zavala y Zamora hervortritt.11 Die Vorliebe für englische Settings geht mit der Gepflogenheit spanischer DramatikerInnen einher, auf englische und französische Vorlagen zurückzugreifen. Diese Praxis ist der auch aus ökonomischen Zwängen gegebenen Notwendigkeit geschuldet, in kurzer Zeit möglichst viele neue Stücke zu produzieren. Für den Umstand, dass sich die Kaufmannsthematik von England ausgehend auch auf französischen Bühnen und zumindest bei den gebildeten Schichten des Publikums einer wachsenden Beliebtheit erfreut, erweist sich der Einfluss Voltaires als maßgeblich. Mit seinen Lettres philosophiques (1734)12 fundiert er den Mythos des ehrbaren englischen Kaufmanns, der nicht nur ein aufrichtiger und verlässlicher Geschäftspartner, sondern auch ein aufgeklärter philosophe ist.13 Das von Voltaire 8 Vgl. Strosetzki, Christoph (2018b): „Sobre el mercader en Aristóteles, Tomás de Mercado y Martín de Azpilcueta“. In: idem (ed.). El poder de la economía. La imagen de los mercaderes y el comercio en el mundo hispánico de la Edad Moderna. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert, pp. 169-179, hier p. 172. 9 Vgl. Strosetzki (20018b: 172): „En resumidas cuentas, cabe considerar que si bien el mercader es un elemento necesario en la teoría aristotélica de la sociedad, en muchas ocasiones aparece retratado de un modo negativo.“. 10 Zu den Auswirkungen dieser Anglomanie auf das spanische Theater vgl. Guinard, Paul Jacques (1984): „Sobre el mito de Inglaterra en el teatro español de fines del siglo xviii: Una adaptación de Valladares de Sotomayor“. In: Anales de Literatura Española, 3, pp. 282-304. 11 Diese Autoren bezeichnet Palacios (1998: 192) auch als der so genannten „Escuela de Comella“ zugehörig und identifiziert sie, ebenso wie ihr Vorbild Comella, als „principales cultivadores“ der populären Variante der sentimentalen Komödie. 12 Voltaire (2010 [1734]): Lettres philosophiques, ed. Olivier Ferret. Paris: Garnier. 13 Vgl. Niklaus (1978: 142ff.). Vgl. auch Régaldo, Marc (1988): „Le drame et la réhabilitation du commerce au xviiie siècle“. In: Thomasseau, Jean-Marie (ed.). Commerce et commerçants dans la littérature. Actes du colloque organisé par le Département Techniques [sic] de Commercialisation de l’I.U.T., 25-26 septembre 1986. Bordeaux: Presses Universitaires, pp. 69-80, hier p. 69f. Dort zitiert Régaldo Voltaires Lettres (1734) wie folgt: „Je ne sais pourtant lequel est plus utile à l’État, ou un seigneur bien poudré qui sait 248 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien gezeichnete Ideal des Kaufmanns – das mitnichten den Realitäten der Epoche entspricht, sondern vielmehr deren imaginäres Gegenbild entwirft14 – hat Auswirkungen auf literarische Repräsentationen des Kaufmanns auf den Bühnen Frankreichs, Englands und nicht zuletzt Spaniens. Wie Niklaus subsumiert, erwächst aus Voltaires Idealbild des Handeltreibenden zugleich ein Ideal des Bürgerlichen: Liberal at heart, God-fearing (but no Roman Catholic), upright in all his transactions, he was a moral man full of compassion for the unfortunate in the world. He held a lofty view of marriage and the idea grew that to be happily married one needed to be a bourgeois. This idealistic picture of the bourgeois fitted in perfectly with the prevailing Anglomania and also with the conception of the drame bourgeois.15 Der entscheidende Unterschied zwischen den spanischen Entwürfen des idealen Kaufmanns und den französischen und englischen besteht darin, dass die iberische Variante dezidiert christlich-katholisch konturiert wird. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, tritt der Katholizismus in Bezug auf den theatralen Typus des vir oeconomicus précisément à quelle heure le roi se lève, à quelle heure il se couche et qui se donne des airs de grandeur en jouant le rôle d’esclave dans l’antichambre d’un ministre, ou un négociant qui enrichit son pays, donne de son cabinet des ordres à Surate et au Caire et contribue au bonheur du monde.“ Voltaire (1877): „Lettre sur le commerce [1734]“. In: Molland, Louis (ed.). Œuvres complètes de Voltaire, vol 22. Paris: Garnier, pp. 109-111, hier p. 111. Auch hier findet sich die für die Aufklärung charakteristische Verbindung von Adelskritik und Kaufmannslob. Erstere ist in jener Zeit, wie Krauss betont, „an der Tagesordnung“. Krauss, Werner (1973): Die Aufklärung in Spanien, Portugal und Lateinamerika. München: Fink, pp. 87f. Als prominente Beispiele für eine weit verbreitete Adelskritik führt Krauss (ibid.) u.a. die Briefe des Conde de Cabarrús und Cañuelos Beiträge in der Zeitschrift El Censor an, die Müßiggang und Nutzlosigkeit des Adels beklagen. 14 Vgl. Van Cleve, John W. (1986): The Merchant in German Literature of the Enlightenment. Chapel Hill u.a.: University of North Carolina Press, pp. 21ff. Wie Van Cleve am Beispiel der deutschen Kaufmannschaft des 18. Jahrhunderts zeigt, war deren Bildungsstand eher gering und beschränkte sich bezüglich ihrer Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben auf das für das Geschäft Nötigste, sodass viele, wie Van Cleve (1986: 6) mit Rolf Engelsing resümiert, „darauf angewiesen war[en], sich vorlesen zu lassen.“ Engelsing, Rolf (1978): Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, pp. 26ff. und 112ff. Van Cleve (1986: 23) zeichnet das Bild eines Kaufmanns, „whose education was humble at best“. 15 Niklaus (1978: 145). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 249 in der Figur des Fabrikanten am deutlichsten zutage, dessen Idealisierung wiederum auf modellhaften Skizzen des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ fußt, wie sie in Spanien ab Mitte, verstärkt jedoch gegen Ende des 18. Jahrhunderts auftreten. 5.1. Der Kaufmann in der spanischen Literatur (1500-1700): Eine persona non grata? In seiner Studie über das literarische und theologische Bild des Kaufmanns in Spanien vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wirft Manfred Tietz die Frage auf, „ob und in welchem Maße [vor] dem Hintergrund der neuen rationalistischen Konzeption von Wirtschaft und Handel im spanischen 18. Jahrhundert“ nicht auch ein „neues, eventuell ein säkularisiertes Bild des Kaufmanns“16 entstanden sei. Eben dieser Frage spüren die folgenden Kapitel nicht nur vor dem Hintergrund der über den Kaufmann im spanischen 18. Jahrhundert kursierenden und eingangs bereits skizzierten ökonomischen Diskurse nach, sondern auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bild des unter dem stetigen Verdacht des Wuchers – und damit der Sünde – stehenden Kaufmanns in der spanischen Literatur seit dem Mittelalter ein negatives war. Wie Michel Cavillac in seiner Monographie zu Guzmán de Alfarache (1599-1604)17 und Eberhard Geisler in seiner Habilitationsschrift Geld bei Quevedo (1981)18 gleichermaßen nachgewiesen haben, überwiegt im 16. und 17. Jahrhundert in den Gattungen des Romans und des Theaters das Bild des unehrenhaften, betrügerischen und auf den eigenen Vorteil bedachten Kaufmanns, auch wenn sich, wie Tietz anmerkt, „das ein oder andere positive Bild Tietz, Manfred: „Der lange Weg vom ‚Täuscher und Betrüger‘ zum ‚ehrbaren Kaufmann‘. Das Bild des Kaufmanns in der spanischen Literatur und ihren Kontexten vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 99-124, hier p. 114. 17 Vgl. Cavillac (1994). 18 Vgl. Geisler, Eberhardt (1981): Geld bei Quevedo. Zur Identitätskrise der spanischen Feudalgesellschaft im frühen 17. Jahrhundert. Frankfurt/Main u.a.: Lang, übersetzt ins Spanische von Elvira Gómez Hernández und 2013 erschienen unter dem Titel: El dinero en la obra de Quevedo. La crisis de identidad en la sociedad feudal española a principios del siglo xvii. Kassel: Reichenberger. 16 250 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eines Kaufmanns in spanischen literarischen Texten findet“19. Für das Theater attestiert auch Díez Borque insbesondere dem „pequeño comerciante“ eine „consideración negativa“ und eine „descalificación social (tratándolo incluso de judaizante) nacidas de prejuicios éticos, reforzados prejuicios hidalguistas en contra de la actividad económica”20. Scheint es also, dass vor allem die kleinen Kaufleute in den Momenten, in denen sie im 17. Jahrhundert auf der Bühne präsent sind, als entweder in ihrem Streben nach Reichtum lächerliche oder grundsätzlich betrügerische Figuren gezeichnet werden,21 nuanciert Agnieszka Komorowska dieses tradierte Bild sowohl in Einzelstudien22 als auch in ihrer Habilitationsschrift anhand von Darstellungen kaufmännischer Figuren im Theater des Siglo de Oro.23 Dass deren diskursive Aufwertung sich schon vor dem 18. Jahrhundert vollzieht, steht nicht zuletzt mit dem ökonomischen Diskurs im Zusammenhang: Während der Einfluss des Scholastikers Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert 19 Tietz (2017: 101). Für beide Zitate: Díez Borque, José María (1976): Sociología de la comedia española del siglo xvii. Madrid: Cátedra, p. 228. 21 Vgl. Díez Borque (1976: 229f.). Für eine aktuellere und differenziertere Sichtweise auf die Figur des Kaufmanns, ihren Status und ihre literarische Repräsentation im 16., 17. und 18. Jahrhundert in Spanien vgl. Strosetzki, Christoph (ed.) (2018a): El poder de la economía. La imagen de los mercaderes y el comercio en el mundo hispánico de la Edad Moderna. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert. 22 Vgl. Komorowska, Agnieszka (2018a): „‚Saber usar de los amigos‘. Von der Ökonomie der Freundschaft und ihrem Scheitern im Siglo de Oro“. In: eadem/Nickenig, Annika (eds.). Poetiken des Scheiterns. Formen und Funktionen unökonomischen Erzählens. Paderborn: Fink, pp. 95-108 sowie eadem (2018b): „El arte de negociar el iustum pretium. Mercaderes, amigos y amantes en El amigo hasta la muerte de Lope de Vega“. In: Strosetzki, Christoph (ed.). El poder de la economía, pp. 247-268. 23 Vgl. Komorowska, Agnieszka (im Druck): Arte nuevo de hacer amigos en este tiempo. Transformationen des Freundschaftsdiskurses in der spanischen Literatur des 17.Jahrhunderts. Habilitationsschrift, eingereicht 2021. Hier untersucht Komorowska das Phänomen der Freundschaft in ihrem Bezug zum Feld der Ökonomien, ihren AkteurInnen sowie ökonomischen Theorien der Epoche. Zum Zeitpunkt des Verfassens unserer Studie war diese Arbeit noch nicht verfügbar, sie verspricht jedoch neue und differenzierte Einsichten in die Darstellung von Kaufleuten und Kaufmannsfamilien im Theater des Siglo de Oro. Zu Freundschaftsdiskursen und Geschlecht im 17. und 18. Jahrhundert in Spanien vgl. auch Gronemann, Claudia/Komorowska, Agnieszka (im Druck): Fe/Male Friends. Staging Gender and Friendship in 17th- and 18th-Century Spanish Literature. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert. 20 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 251 für die „gesellschaftliche Abwertung“24 des Kaufmannstandes in Spanien seit dem Mittelalter mitverantwortlich ist, erfährt das durch ihn begründete negative Bild des Kaufmanns im 16. Jahrhundert mit Tomás de Mercado und der Schule von Salamanca eine auf „antikheidnischen Autoritäten“25 wie Solon, Hesiod und Plutarch fußende Apologie. Die von Thomas von Aquin als sündig gerügte Zinsnahme und das Gewinnstreben des Kaufmanns werden nun mit seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit gerechtfertigt.26 Komorowska zeigt den Einfluss von Mercados Suma de tratos y contratos beispielsweise auf Lope de Vegas El amigo hasta la muerte (1618) und die dortige Inszenierung einer Suche nach der aristotelischen ‚goldenen Mitte‘ in Gefühls- und Geschäftsdingen, die Lope im kaufmännischen Ambiente der Handelsmetropole Sevilla ansiedelt.27 Das Stück ist einerseits von dem Bemühen um eine Aufwertung des Kaufmannsstandes gekennzeichnet, zeigt andererseits aber auch die „desregulación de las posiciones sociales“28 in Form einer Gefährdung der Position des Adels durch die aufstrebenden Kaufleute. Tietz weist seinerseits darauf hin, dass bei Mercado die Überlegungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens dieses Berufsstandes trotz aller antiken Referenzen noch stark im theologischen Denken des Katholizismus verwurzelt sind, sodass der Kaufmann zum Ausgleich seines sündhaften Tuns stets zu Frömmigkeit und karitativem Handeln im Sinne der Abgabe von Almosen an die Armen verpflichtet29 und damit „nicht wirklich ‚ehrbar‘“30 sei. 24 Vgl. Tietz (2017: 104). Vgl. Tietz (2017: 106f.), hier p. 107. Mercados Anliegen sei es, so argumentiert Tietz (2017: 106) mit Geisler (1981: 46), „‚den Handel‘ [...] als das dem Gemeinwesen im höchsten Maß nützliche Tätigkeitsfeld des Phänotyps ‚ehrbarer Kaufmann‘“ darzustellen. Vgl. zur Haltung Mercados dem Kaufmannsstand gegenüber auch SánchezAlbornoz y Aboín, Nicolás (1999): „Entre la tradición escolástica y la práctica mercantil: Tomás de Mercado“. In: Fuentes Quintana, Enrique. Economía y Economistas Españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 243-248. 26 Zum gesellschaftlichen Nutzen des Kaufmanns bei Mercado vgl. auch Strosetzki (2018b: 174) mit Bezug auf Mercado, Tomás de (1977): Suma de tratos y contratos. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 72. Schon dort findet sich der Gedanke, dass der Kaufmann sein Selbstinteresse hinter das Gemeinwohl zurückstellen müsse. 27 Vgl. Komorowska (2018b: 266). 28 Komorowska (2018b: 253). 29 Vgl. Tietz (2017: 108f.). 30 Tietz (2017: 111). 25 252 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Eine deutliche Wende scheint sich in diesem Punkt mit den eingangs skizzierten Betrachtungen spanischer Reformökonomen abzuzeichnen, darunter die Valentín de Forondas.31 Ausgehend vom ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus kommt es zur ‚Säkularisierung‘ des Bildes des Kaufmannsstandes, die auch Maravall für Spanien gegeben sieht, wenn er die Beobachtungen Elinor G. Barbers zum französischen 18. Jahrhundert auf Spanien überträgt: [...] el burgués del siglo xviii se había modelado, más o menos, una esfera de actividades en la que una moralidad de tipo secular resultaba operante y en la que los valores que dictaban su actuación eran distintos de los valores religiosos y sociales tradicionales. Especialmente, el hombre de negocios [...] se las había arreglado para ordenar su sistema de valores en compartimentos, restringiendo los nuevos, de tipo secular, a la esfera de sus actividades profesionales y manteniendo su vida privada y familiar en el marco de la antigua definición religiosa del significado de la vida y la muerte. 32 Angesichts des in den Kapiteln zur wirtschaftlichen Ausgangslage geschilderten hohen Prozentsatzes der nichtarbeitenden männlichen Bevölkerung, darunter weite Teile eines untätigen Adels, versuchen die Krone und ihre Minister eine zu Macanaz‘ Konzept des Monarchen als comerciante principal seiner Nation analoge Schicht zu etablieren, die an Coyers Konzept der noblesse commerçante angelehnte nobleza comerciante,33 der handeltreibende Adel also, der das herkömmliche Bild von der Aristokratie als einer militärischen, in Friedenszeiten funktionslosen Elite, ablösen soll.34 Grundlagen für dieses Konzept legt Foronda mit seiner Disertación (vgl. Kap. 3.4.3). Mit der Würdigung eines berufstätigen Adels durch die Rhetorik der Reformökonomie wächst auch das Ansehen des Handel treibenden Bürgers. Schon 31 Vgl. dazu Foronda (1793a), vgl. Kap. 3.4.3. Maravall (1979: 302) mit Bezug auf Barber, Elinor G. (1975): La burguesía en la Francia del siglo xviii. Madrid: Biblioteca de la Revista de Occidente, pp. 17ff. Vgl. zum Wandel des Bildes des Kaufmanns im spanischen 18. Jahrhundert außerdem Tietz (2017: 115ff.), der die besagte Säkularisierung vor allem auf Forondas Disertación (1778) zurückführt. Vgl. Foronda (1793a). 33 Vgl. MacLachlan (1991: 71f.). 34 Vgl. hierzu auch Callahan, William J. (1972): Honor, Commerce and Industry in Eighteenth-Century Spain. Boston: Baker Library, p. 12, zitiert in MacLachlan (1991: 71). 32 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 253 Macanaz hatte Felipe V. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geraten, erfolgreiche Großkaufleute zumindest formell zu adeln.35 Ähnliche Gedanken hatten Uztáriz und später Foronda formuliert. Die Krone allerdings scheut solche Maßnahmen aus Angst, die geadelten Bürgersleute könnten ihre Berufstätigkeit nach ihrer Erhebung in den Adelsstand aufgeben und es den vielen Untätigen gleichtun.36 Da die meisten Kaufleute auch noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach einem Adelstitel streben und ihr Kapital größtenteils in den Erwerb von Ländereien investieren, weil dieser zum einen sozial immer noch das meiste Prestige genießt und ausgedehnter Landbesitz zum anderen eine Berufstätigkeit überflüssig macht (vgl. Kap. 2.3), erscheint diese Sorge nicht unbegründet. Statt den Kaufmannsstand also faktisch zu adeln, beschränkt sich die Krone auf die politisch sichere Variante einer rhetorischen Adelung.37 Diese Rhetorik schlägt sich auch im Theater nieder. Im Kontext der Darstellung von Berufsgruppen, die einen besonders niedrigen sozialen Status innehaben, weil sie körperliche Arbeit verrichten, wird der ‚Handelsadel‘ zum ‚Seelenadel‘ degradiert (vgl. Kap. 7.4). Die im Folgenden angestellten Analysen zur Inszenierung der Figur des Kaufmanns durch das neoklassische und populäre spanische sentimentale Theater, das Parallelen zu sentimentalen Komödien englischer und französischer Provenienz aufweist,38 verfolgen zweierlei Ziele: Neben der zentralen Frage nach dem Wie? und dem Was? der im Medium des Theaters skizzierten Kaufmannsbilder soll auch die von Maravall hinsichtlich der Darstellung des Kaufmannsstandes aufgestellte und ebenfalls auf das Theater bezogene These überprüft werden, dass das geschäftliche Gebaren des Kaufmanns eher der neuen, säkularen und ‚verbürgerlichten‘ Sphäre verpflichtet sei, während das private Agieren sich nach wie vor vom Religiösen durchdrungen zeige. Die hier vertetene Hypothese ist, dass sich im neoklassischen sentimentalen Theater der Spätaufklärung Privates und Geschäftliches in einem im Hause kondensierten Raum ‚bürgerlicher Innerlichkeit‘ immer wieder kreuzen. In den untersuchten Stücken schlägt sich dies auf der Diskursebene in Form einer Kopplung des Moralischen an das 35 Vgl. MacLachlan (1991: 72). Vgl. MacLachlan (1991: 72). 37 Vgl. MacLachlan (1991: 72) mit Bezug zu Callahan (1972: 35). 38 Dies belegen die Studien von Fuentes (1999) und García Garrosa (1990). 36 254 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Ökonomische nieder, für die das säkulare Feld bürgerlicher Tugenden in Kombination mit christlichen Werten eine wesentliche Rolle spielt.39 Zudem ist gerade für das konservative Medium des Theaters fraglich, ob sich die von Maravall für das spanische 18. Jahrhundert beobachteten Säkularisierungsprozesse in einer Entkoppelung des Ökonomischen vom Religiösen niederschlagen. Dies tangiert auch die Frage nach den durch die Figuren jeweils verkörperten säkularen oder christlichen Tugenden. 5.2. Luciano Comellas El hombre agradecido (1790): Kaufmann, Zeitschere und Handelskette40 Wie Daniel Fulda anhand von Shakespeares Merchant of Venice (1600) ausführt, ist an die zunehmende Bedeutung der so genannten „Zeitschere“ für den Handel im Europa des 17. Jahrhunderts zugleich das Aufkommen eines neuen Kaufmannstypus‘ gekoppelt.41 Der Merchant Adventurer, der seine Waren auf ihrem Weg noch selbst begleitete, wird abgelöst durch den im Kontor auf das Eintreffen seiner Waren 39 Zu den christlichen und bürgerlichen Tugenden vgl. McCloskey, Deirdre (2007): The Bourgeois Virtues. Ethics for an Age of Commerce. Chicago: The University of Chicago Press, pp. 91-252. McCloskey unterscheidet die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung, die sie zugleich als weiblich ausweist, von den vier bürgerlichen Tugenden Mut (virtus), Mäßigung (temperantia), Besonnenheit (prudentia) und Gerechtigkeit (iustitia). Mut erscheint in diesem Zusammenhang als dezidiert männliche Tugend. 40 Die hier erfolgenden Analysen zu Comellas El hombre agradecido finden sich in Grundzügen auch in dem Artikel: Schuchardt, Beatrice (2017a): „Ehrbarkeit und ökonomisches Handeln im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts: Der Kaufmann und der Unternehmer“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 125-150. 41 Vgl. Fulda (2005: 82). Jacques Le Goff hatte demgegenüber zwischen „temps du marchand“ und „temps de l’église“ unterschieden. Während die kirchliche Zeit, angezeigt durch das Läuten der Glocken, Gott allein gehört, indiziert die kaufmännische Zeit eine sich seit dem Spätmittelalter abzeichnende Verweltlichung der öffentlichen Sphäre. Merkmal der „temps du marchand“ ist die zeitbezogene Kalkulation, speist sich doch der kaufmännische Gewinn wesentlich aus dem Kauf, der Hortung und der Veräußerung von Waren zum richtigen Zeitpunkt. Vgl. Le Goff, Jacques (1960): „Au Moyen Âge: temps de l’Église et temps du marchand“. In: Annales. Economies, sociétés, civilisations. 15, 3, pp. 417-433, hier p. 418. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 255 wartenden Kaufmann.42 Diese Zeitschere, deren Bedeutung für den Handel des 18. Jahrhunderts auch Gervais hervorhebt,43 führt dazu, dass der Kaufmann „unerwartet auftretenden Gefahren nicht mehr [...] begegnen“44 kann. Die Bedeutung der Zeitschere für den kaufmännischen Alltag wird auch gleich zu Beginn von Comellas sentimentaler Komödie El hombre agradecido45 verdeutlicht, wenn im Nebentext Anweisungen zur Gestaltung des Bühnenraums gegeben werden und dabei auf dem Schreibtisch als dem Arbeitsplatz des Kaufmanns eine Uhr steht, die im Folgenden die Handlung eröffnen wird:46 La escena es en Madrid en la sala de una casa perfectamente puesta. El Teatro representa una pieza de una alhajada con sus espejos de vestir naturales, y sus mesas, cornucopias, arañas de cristal en medio, taburetes decentes, mesa á un lado con su recado de escribir y una papelera. En el fondo de la pieza habrá una puerta, que introduce á un quarto decente. Encima de la mesa habrá un relox. Sale afanada Doña Antonia, y mira que hora es.47 Die zentrale Positionierung der Uhr im Raum zeigt nicht nur, dass wir es bei dem für das Stück zentralen Kaufmann, der den Namen 42 North, Michael (2008): Kleine Geschichte des Geldes. München: Beck, p. 28 zufolge vollzieht sich dieser Wandel in den italienischen Kaufmannschaften bereits im 13. Jahrhundert: „Der Fernhandelskaufmann musste seine Waren nicht mehr per Handelskarawane oder Schiff selbst zu den Messen begleiten, sondern er dirigierte von seinem Kontor in Genua, Florenz oder Pisa die Geschäfte seiner Firma.“ 43 Bei Gervais (2008: 467) ist wörtlich von einem „time lag“ die Rede. 44 Fulda (2005: 82). 45 Der Titel von Comellas sentimentaler Komödie verweist intertextuell auf Lope de Vegas El amante agradecido (1618). 46 Die Uhr als kaufmännisches Utensil findet sich auch in französischen Wirtschaftskomödien der Aufklärung. Beispielsweise in Sedaines Le Philosophe sans le savoir ist eine ganze Szene diesem Gegenstand gewidmet. Victorine, die Tochter eines der Angestellten des Kaufmanns Vanderk, schenkt dessen Sohn in Szene XI des ersten Aktes eine Uhr, um Vanderk Fils die kaufmännische Tugend der Pünktlichkeit zu lehren. Vgl. Sedaine, Michel (1996 [1765]): Le Philosophe sans le savoir, ed. Robert Garapon. Paris: Société des Textes Français Modernes, pp. 26ff. 47 Comella (1796: 1). Hier und in allen weiteren Zitaten wird die Originalschreibweise des 18. Jahrhunderts beibehalten, sofern Druckversionen aus der betreffenden Zeit zitiert werden. Entsprechend wird bei Abweichungen zur aktuellen Orthographie auf den Hinweis „sic“ verzichtet. 256 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Don48 Lorenzo trägt, mit einem Kaufmann neuen Typs zu tun haben. Vielmehr illustriert die pompöse Gestaltung des häuslichen Raums mit seinen Lüstern, beleuchteten Spiegeln und Schminktischen gegenüber dem ‚nur‘ seitlich positionierten Schreibtisch und dem ebenfalls randständigen Aktenschrank bereits das die Handlung vorantreibende Dilemma: Die Einnahmen des hier wohnhaften Kaufmanns stehen in keinem Verhältnis zu seinen Ausgaben, der private wie geschäftliche Haushalt ist unausgeglichen, das Soll regiert über das Haben. Diese Unverhältnismäßigkeit zeigt sich auch in der ersten Bühnenhandlung, bei der Doña Antonia, Lorenzos Schwester, einen Blick auf die Uhr wirft. In der folgenden Replik kommentiert sie das zu späte Eintreffen der Dame des Hauses angesichts einer Situation, die den kaufmännischen Haushalt so existenziell bedroht, dass sofortige Maßnahmen – und damit die Anwesenheit der Hausherrin – geboten wären. Wie man nämlich im folgenden Dialog erfährt, befindet sich der Hausherr Lorenzo aufgrund eines Bankrotts und der damit verbundenen Schulden im Gefängnis, während sich die Hausherrin – die auf den sprechenden Namen Doña Blasa49 hört – auf einem Ball amüsiert und die Heimkehr trotz Kenntnis der Sachlage50 hinauszögert. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil eben sie es war, die, selbst mittellos und aus verarmtem Adel stammend, die prekäre Situation durch horrende Ausgaben beim Schuster, der französischen Stoffhändlerin, dem Juwelier und beim Glücksspiel herbeigeführt hat.51 Im Haushalt selbst leistet Blasa hingegen keinerlei Beitrag. Der Umstand, dass ausgerechnet die Kaufmannsgattin als wesentliche Stütze des kaufmännischen Haushaltes und für die Dienerschaft verantwortlicher Part – eine Person also, die aus der Perspektive des Kaufmannspatriarchen selbst ein kostbares ‚Gut‘ darstellt52 – verspätet eintrifft, und 48 Im Folgenden wird nach der Einführung der zentralen Figuren der Stücke weitgehend von der Nennung der Titel „Don“ bzw. „Doña“ abgesehen. 49 Der vom spanischen Begriff „blasón“ (dt.: ‚Wappenbild‘, aber auch ‚Ruhm‘ oder ‚Ehre‘) abgeleitete Name „Blasa“ bedeutet ‚die Aufgeblasene‘ bzw. die ‚Prahlerische‘ und bringt diese Eigenschaften zugleich mit Blasas sozialer Stellung als Adelige in Zusammenhang. 50 Antonia hatte ihr, wie man aus dem ersten Polylog erfährt, mehrere diesbezügliche Nachrichten zukommen lassen. 51 Vgl. Comella (1796: 3ff.). 52 So wird in Comellas Stück auf die Rolle der Kaufmannsgattin als eine dem kaufmännischen Haushalt zum Nutzen gereichende Person verwiesen. Vgl. die Replik 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 257 durch diese Verspätung Schaden droht, fungiert hier als symbolischer Platzhalter für die Zeitschere. Nicht allein Blasas späte Heimkehr, sondern auch die Tatsache, dass sie sich außerhäuslichen Vergnügungen hingibt, bedeutet einen Bruch mit dem Konzept der „mujer doméstica“53 der spanischen Aufklärung. Formulieren noch Moralisten des 16. Jahrhunderts wie Vives oder auch Fray Luis de León die häusliche Zurückgezogenheit der Frau als Imperativ, artikulieren spanische AufklärerInnen – beispielsweise aus dem Zirkel der Junta de Damas de Honor y Mérito de la Sociedad Matritense54 – dieses Gebot in Form einer „descripción afirmativa“55: Que las mujeres renunciasen a otras actividades sociales para limitarse al ámbito doméstico y ejercieran en él las funciones económicas, morales y sentimentales que se le encomendaban no parecía implicar ninguna tensión. En la imaginación de los ilustrados, ese estilo de vida respondía a las exigencias de una sociedad ordenada: contribuía a conseguir una población abundante y vigorosa, una economía pujante y unas élites dignas.56 Brunos, in der er über das ungenutzte Potenzial Blasas als gewinnbringender Ehefrau spricht: „[...] Tu muger, / que será esta segun creo, / si como tiene donayre, / tiene discurso y talento, / te puede ser para todo / de utilidad y provecho, / [...].“ Comella (1796: 10). 53 Bolufer Peruga (1998: 272). 54 Zur Junta de Damas vgl. Bolufer Peruga (2011: 499ff.). Mit der am 27. August 1787 durch Carlos III. per Dekret verfügten Gründung der Junta als einer der Matritense zuzurechnende Untersektion, der zunächst vierzehn Frauen angehören, setzt Carlos III. der Debatte um die Zulassung von Frauen zu den Akademien und gelehrten Zirkeln der spanischen Aufklärung ein Ende. Im Verlauf dieser Debatte legen ausgerechnet progressive, liberale und antiklerikal eingestellte Reformer wie der Conde de Cabarrús ihr Veto gegen eine aktive weibliche Beteiligung ein. Unter den männlichen Befürwortern einer weiblichen Mitsprache in den Sociedades Económicas und Akademien findet sich hingegen León de Arroyal. In die öffentliche Debatte interveniert auch die Schriftstellerin Josefa de Amar (1749-1833), was ihr die einstimmige Aufnahme in die neu gegründete Junta einbringt. Bis 1800 steigt die Zahl der Mitglieder auf dreiundachtzig. Ihre Aufgaben beschränken sich auf die Förderung weiblicher Beschäftigung insbesondere bei den Mittellosen, die Gründung und Beaufsichtigung der Escuelas Patrióticas, die Waisenfürsorge und die Betreuung von weiblichen Gefangenen. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts folgen weitere Sociedades Económicas dem Beispiel Madrids und gründen ihrerseits weibliche Sektionen: 1820 in Murcia, Granada und Jaén, 1827 in Cádiz, 1840-1845 in León und 1871 in Las Palmas. Zumeist beschränken sich ihre Aufgaben auch dort auf Bereiche wie Wohlfahrt und Fürsorge. 55 Vgl. Bolufer Peruga (1998: 273). 56 Bolufer Peruga (1998: 272). 258 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Eben diesem aufklärerischen Ordnungsprinzip, das den bzw. die Einzelne/n als funktionales Element und die Familie als kleinste ökonomische Einheit auffasst, die ihrerseits als Rad im Getriebe der nationalen Ökonomie fungiert, widersetzt sich Blasa in ihrer prototypischen Rolle als petimetra57. Damit verhält sie sich analog zu anderen Figuren dieses Typus‘, etwa zu Jerónima als petimetra aus Nicolás Fernando de Moratíns gleichnamiger Komödie (vgl. Kap. 9.2). Dass die späte Heimkehr, die oft erst bei Sonnenaufgang erfolgt, ein wiederkehrendes und die geschlechtliche Norm verletzendes Merkmal der petimetra ist, illustriert Jehle anhand einer von Jovellanos‘ in der Epístola a Arnesto erzählten Episode.58 Die bis in die frühen Morgenstunden andauernde ‚Herumtreiberei‘ der petimetra auf Bällen und in Theatern, die Aufklärer wie Clavijo y Fajardo als ihre hervorstechendste Eigenschaft ausmachen, ist letzten Endes auch eine Verweigerung der Mutterrolle.59 Daher gilt die petimetra insbesondere den poblationistisch argumentierenden Reformökonomen als Schreckgespenst renitenter Weiblichkeit, was der Grund dafür ist, dass das neoklassische Reformtheater sie als Typus affirmiert, um sie sodann der Lächerlichkeit und moralischen Schelte preiszugeben (vgl. Kap. 9.2.1). Insgesamt sind die in Comellas Stück vorliegende Figurenkonstellation und die Plotstruktur beispielhaft für ein in ökonomiebezogenen Theaterstücken des spanischen 18. Jahrhunderts wiederkehrendes 57 Die Eigenschaften dieses Typs als femina profusa im Sinne einer Repräsentantin der Misswirtschaft untersuchen die Kap. 9.2ff. 58 Vgl. Jehle (2010: 193) mit Bezug auf Jovellanos, Gaspar Melchor de (1951): Obras, vol. 1, ed. Cándido Nocedal. In: Biblioteca de autores españoles, vol. XLVI. Madrid: Atlas, p. 34a. 59 Vgl. Jehle (2010: 200) mit Bezug auf Clavijo y Fajardo, José (1762-1767): El Pensador, VI vols., hier vol. I, Kap. 12, pp. 25f. So beklagt Fajardo (1726-1806), dass die sich herumtreibende petimetra ihre Kinder aufgrund der körperlichen Schwächung, die ihre Eskapaden herbeiführen, nicht selbst versorgen und stillen könne. Die adelige Praxis, dafür Ammen heranzuziehen, ist Clavijo y Fajardo ein Graus und gefährdet ihm zufolge das Kindeswohl. Vgl. Clavijo y Fajardo I/12, 21f., zitiert in Jehle (2010: 199f.). Eine detaillierte Analyse der in spanischen Moralischen Wochenschriften wie u.a. dem Pensador (1762-1767), dem Censor (1781-1787) und der Pensadora Gaditana (1763-1764) entwickelten Geschlechterbilder liefert Völkl, Yvonne (2022): Spectatoriale Geschlechterkonstruktionen. Geschlechtsspezifische Wissens- und Welterzeugung in den französisch- und spanischsprachigen Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts. Bielefeld: transcript, pp. 227-279. Auch deutsch- und englischsprachigen sowie französischen Moralischen Wochenschriften wendet sich Völkls Studie zu. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 259 Handlungsmuster: Ein bürgerlicher Haushalt und mit ihm das kaufmännische Geschäft befinden sich in einem Zustand der Unordnung. Die Krise wurde durch das ökonomisch unvernünftige, da verschwenderische, egozentrische und verantwortungslose Verhalten eines im Theater der Epoche prominenten Figurentypus‘, der petimetra, herbeigeführt, die hier durch die Figur Blasa verkörpert wird (vgl. Kap. 9.7).60 Diesem Typus steht ein Hausherr gegenüber, der angesichts der Situation entweder ohnmächtig oder gänzlich abwesend, da verstorben oder verreist ist; ein Hausherr also, der durch die Nicht-Wahrnehmung seiner Pflichten als häusliche Autorität eine ‚Leerstelle der Ordnung‘ bildet. Rettung naht jedoch in der Person eines Ordnungsstifters, der in der Lage ist, die Vakanz zu füllen und zumeist selbst eine Autoritätsperson darstellt. Dies kann ein Onkel oder ein an Erfahrung reicher Freund der Familie sein, der nicht nur eine Verkörperung der herrschenden Normen und Gesetze ist und in diesem Sinne die Tugend der Gerechtigkeit personifiziert,61 sondern in seiner Funktion als Repräsentant dessen, was gut und richtig ist, nicht selten auch als Ehestifter fungiert. In dieser Funktion verbindet er die Guten mit den Guten und die Schlechten mit den Schlechten und befriedet so die durch 60 Blasa weist prototypische Merkmale der petimetría auf, wie wir sie auch in Jéronima aus Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra und Mariano aus Tomás de Iriartes El señorito mimado o la mala educación (1787) verkörpert sehen. Vgl. Schuchardt (2014). Sie ist egozentrisch, eitel, d.h. sie stellt Schein über Sein, was dazu führt, dass sie nicht nur andere täuscht, sondern auch ihren eigenen Wert überschätzt. Vgl. Comella (1796: 13), wo Blasa nachträglich einen ‚Ausgleich‘ (span.: „recompensa“) dafür verlangt, Lorenzo geheiratet zu haben. Sie ist überdies exzessiv in ihren Ausgaben für französische Luxusgüter und schätzt nicht nur den Wert der von ihr konsumierten Waren, sondern auch ihren eigenen falsch ein, wenn sie sich selbst als „ecónoma perfecta“ bezeichnet. Comella (1796: 16). Für den Haushalt ist sie eine Bürde, ihre Neigungen sind lasterhaft, da sie dem Glücksspiel frönt. In dieser Eigenschaft entspricht sie der Figur des Mariano aus Iriartes El señorito mimado (vgl. Kap. 9.3). 61 Vgl. hierzu Bollnow (2009: 269ff.). Schon bei Platon ist die Gerechtigkeit die oberste der vier Kardinaltugenden. Die Tugend der Gerechtigkeit ist – wie auch das Beispiel des Figurentypus des Ordnungsstifters zeigt – immer an eine Richterinstanz gebunden, die den Streit zwischen zwei rivalisierenden Parteien beilegt, indem sie der einen oder der anderen Recht gibt. In diesem Sinne agiert auch der Ordnungsstifter, wenn er die für die Komödie typische Dreiecksbeziehung auflöst, indem er einen der potenziellen EhepartnerInnen aus der Konstellation herausstreicht. Zu den Dreiecksverhältnissen in Tomás de Iriartes El señorito mimado (1787) und Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra vgl. Schuchardt (2016). Zur Gerechtigkeit in Verbindung mit Mäßigung als bürgerliche Tugenden vgl. auch McCloskey (2007: 279ff.). 260 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die anfängliche(n) Dreieckskonstellation(en) ausgelösten Turbulenzen. Überdies gemahnt er den Hausherren an seine Pflichten und/ oder tritt an dessen Stelle, indem er den petimetre entweder bekehrt oder aus dem Haushalt entfernt.62 Den ökonomisch und vernünftig handelnden und aus diesem Grunde tugendhaften63 Mitgliedern des Haushaltes – dabei handelt es sich meist um fleißige JunggesellInnen, die dem petimetre oder der petimetra diametral entgegenstehen – verhilft der Ordnungsstifter zu einem aufgrund der finanziellen Schieflage der Familie zuvor nicht in Aussicht stehenden Ehepartner bzw. zu einer Ehepartnerin. Diese/r ist deshalb eine ‚gute Partie‘, weil er bzw. sie den Haushalt nicht nur finanziell, sondern auch moralisch bereichert. Wie der Fall von Comellas Stück zeigt, kann diese vorteilhafte Partie auch im Ordnungsstifter selbst gegeben sein. Die Funktion des Ordnungsstifters nimmt in El hombre agradecido Don Bruno ein. Er ist ein ehrbarer und im Überseehandel äußerst erfolgreicher Kaufmann, der sich zudem sozial verantwortlich verhält.64 Hierin besteht eine entscheidende Parallele zum Kaufmann Thorowgood aus George Lillos London Merchant,65 wo „auf der Bühne das Bild eines Kaufmanns entworfen [wird], der über alle Zweifel erhaben ist“66. Ähnlich wie die ebenfalls aus der Feder Comellas stammende Figur des Kapitän Lievens aus El hombre singular o Isabel Primera de Rusia (1795) repräsentiert auch Bruno den Typus eines in finanziellen 62 Dies kann entweder durch rechtliche Konsequenzen – wie die Inhaftierung oder Verbannung – geschehen oder dadurch, dass der petimetre gezwungen wird, eine für ihn nachteilige Ehe einzugehen. Vgl. Schuchardt (2014: 280). 63 Tugendhaftes Handeln definieren Wegmann/Zeibig/Zilkens auf der Basis der Mesotes-Lehre des Aristoteles zugleich als maßvolles Handeln im Sinne der „ausgewogene[n] Mitte zwischen zwei Untugenden, einem Zuviel und einem Zuwenig, die vermieden werden sollen. [...] Die Mitte muss jedes Mal neu ermittelt werden. Somit passt sich die Mitte immer der Person und der jeweils aktuellen Situation an“. Wegmann, Jürgen/Zeibig, Dieter/Zilkens, Hubertus (2009): „Die Renaissance des ehrbaren Kaufmanns“. In: iidem. (eds.). Der ehrbare Kaufmann. Leistungsfaktor Vertrauen – Kostenfaktor Misstrauen. Köln: Bank-Verlag, pp. 7-16, hier pp. 13f. 64 Entsprechend positiv fällt die Reaktion des Memorial literario (1790: 138) auf diese Figur aus. Vgl. hierzu Fernández Cabezón (2002: 114). 65 Vgl. Rommel (2006: 184): „George Lillo’s The London Merchant, or The History of George Barnwell von 1731 rückt den gesellschaftlich verantwortungsvoll handelnden Unternehmer in der Figur des Kaufmanns Thorowgood in den Vordergrund des Geschehens.“ 66 Rommel (2006: 22). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 261 Belangen klug handelnden Wohltäters und aufgeklärten Menschenfreundes.67 In Jamaika zu beträchtlichem Reichtum gelangt68 und aufgrund seines Aufenthalts in dieser Kolonie bestens mit den englischen Geschäftspraktiken vertraut,69 ist der im Außenhandel erfahrene Bruno zum Ordnungsstifter prädestiniert. So ist er nicht nur in der Lage, Lorenzos bankrottes Geschäft zu sanieren, es gelingt ihm durch wiederholte Geldgaben an das verschuldete Kaufmannsehepaar schließlich auch, die uneinsichtige petimetra Blasa zu bekehren. Eine solche über die englische Kolonie Jamaika erfolgende Bezugnahme des Stückes auf England ist nicht nur bei Comella zu finden, sondern auch in wirtschaftsbezogenen sentimentalen Komödien populärer Autoren wie Luis Antonio Moncín, Gaspar Zavala y Zamora und Antonio Valladares de Sotomayor,70 beispielsweise in El carbonero de Londres.71 Mit der am Ende der Handlung von El hombre agradecido notwendig erfolgenden Eheschließung vermag Don Bruno zudem, die im kaufmännischen und bürgerlichen Sinne klug denkende und handelnde Antonia zu gewinnen, die mit ihrer rationalen und umsichtigen Haltung die Tugend prudentia verkörpert, die hier als genuin kaufmännische 67 Vgl. Huerta Viñas, Fernando (1991): „El comediógrafo mal tratado. Luciano Comella y la Ilustración“. In: Bulletin of Hispanic Studies, 68, 1, pp. 183-189, hier p. 187. Die Don Lievens durch Fernando Huerta Viñas zugeschriebenen Rollen lauten im spanischen Originaltext „bienhechor, [...] enemigo del lujo“ und „verdadero modelo de humanitarismo ilustrado“. 68 Im Stück gibt Bruno an, „que en quince años poco ménos / he adquirido saneados / quatro milliones de pesos“. Comella (1796: 6). 69 Vgl. Comella (1796: 6). Mit dem Verweis auf Jamaika und die englische Kaufmannschaft nimmt Comella auf die intensiven spanisch-englischen Handelsbeziehungen Bezug. Wie Pietschmann (1993 224) herausstellt, war „England der bedeutendste Abnehmer spanischer Waren“, weshalb „die spanische Kaufmannschaft [...] energisch gegen einen Krieg gegen England opponierte“, der sich 1762 ankündigte. Zu Rolle von Kaufleuten, Unternehmern und dem Raum der Amerikas als Raum der Möglichkeiten vgl. Schuchardt, Beatrice (2017b): „Las Indias como espacio de oportunidades económicas en el teatro español del siglo xviii: de comerciantes y empresarios“. In: Heras, Natalia/Lorenzo Álvarez, Elena de (eds.). España y el continente americano en el siglo xviii. Madrid: Trea, pp. 197-214. 70 Vgl. Guinard (1984: 286). Anspielungen auf Jamaika finden sich auch in Valladares‘ El fabricante de paños, o el comerciante inglés und Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina. 71 Guinard (1984: 286) spricht diesbezüglich von einer „irrupción de los ingleses en los escenarios españoles“. 262 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien und damit bürgerliche Eigenschaft erscheint. Wie Christina Schaefer zusammenfasst, ist prudentia [...] jene, auf die aristotelische phronēsis rückführbare praktische Lebensoder Handlungsklugheit, die den Menschen – und speziell den Haushälter – dazu befähigt, ein gutes und glückliches Leben zu führen. Aristoteles definiert phronēsis als eine praktische Form der Klugheit, ein ‚mit richtiger Vernunft verbundenes handelndes Verhalten [...] im Bezug auf das, was für den Menschen gut oder schlecht ist.‘ Wer auf eine solche praktische Weise klug ist, weiß nicht nur in der Theorie, welche Dinge vernünftig und nützlich sind, sondern vermag sie auch in die Praxis umzusetzen.72 Klugheit im Sinne umsichtigen Handelns nach reiflicher Überlegung nimmt in Verbindung mit der Tugend der temperantia (span.: moderación), d.h. der Mäßigung, auch bei Jovellanos eine zentrale Rolle ein. Beide Tugenden werden in seinem Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de Asturias (1781) unter der Überschrift De la prudencia y la moderación in den Dienst des bien común gestellt und als einanderbedingende Tugenden gefeiert, die den ‚patriotischen Geist‘ kennzeichnen: Estas virtudes morales son las que deben refrenar los ímpetus del indiscreto celo por el bien común. El patriotismo, guiado por ellas, examinará con reposo todos los objetos a que puede aplicarse. Se dirigirá primero a los más útiles, y de ellos elegirá los más asequibles. No empezará empresa alguna que no acabe y nunca pasará a la segunda sin haber perfeccionado la primera. Sabio dispensador de los medios que el público deposite en sus 72 Schaefer, Christina (2018): „Weibliche prudentia auf der Bühne. Zur Inszenierung ökonomischer Konzepte in Paolo Caggios Flamminia prudente (1551)“. In: eadem/Zeisberg, Simon (eds.). Das Haus schreiben. Bewegungen ökonomischen Wissens in der Literatur der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 125-150, hier p. 134 mit Bezug auf Aristoteles (2007): Die Nikomachische Ethik: griechisch-deutsch, trans. Olof Gigon, ed. Rainer Nickel. Düsseldorf: Artemis & Winkler, p. 247. Auch McCloskey (2007: 253) verweist darauf, dass prudentia ‚Urteilsvermögen‘ („good judgement“) ebenso einschließe wie ‚praktische Weisheit‘ („practical wisdom“). Sie betont außerdem, dass die germanischen Sprachen den englischen Begriff ‚prudence‘ nicht durch einen einzigen Begriff wiedergeben könnten, umfasse dieser doch neben Weisheit, Vorsicht, Besonnenheit und Berechnung im Sinne der Fähigkeit zur Abwägung von Kosten und Nutzen, aber auch umsichtige Fürsorge. Sie veranschaulicht dies anhand der niederländischen Begriffe voorzichtigkeit, omzichtigheid, beleid, verstandigheid und berekendheit. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 263 manos, nunca sobrará sino cuando esté seguro de recoger el fruto. Nunca desperdiciará sus desvelos, nunca malogrará sus trabajos, y la gloria de haber hecho algún beneficio a la patria será siempre una cierta y segura recompensa de sus fatigas.73 Dass Bruno und Antonia sich ideal ergänzen, gemeinsam ihr moralisches und finanzielles Kapital zu mehren imstande sind und damit ganz im Sinne Jovellanos‘ den gerechten Lohn für ihre Mühen erhalten, wird im Stück dadurch in Aussicht gestellt, dass die kluge Antonia Brunos Geschäftssinn, den sie selbst als eine „sabia economía“74 bezeichnet, zu würdigen weiß. Antonias Wertschätzung der ökonomischen Kompetenz des welterfahrenen und weitgereisten Kaufmanns Bruno weist Parallelen zu dem in Graefs Discursos mercuriales (1755) skizzierten Ideal des Händlers auf: Dieser soll ein „sabio Ecónomo“ sein, „[que] está obligado de buscar en Países remotos algunas cosas, que no hay, ni produce el propio [...],“75 und als solcher weltgewandt auftreten: „Debe tambien el Comerciante ser Estrangero; esto es, debe conocer la vida, y costumbres de los Estrangeros.“76 Bruno weist dank seiner Erfahrung im Amerikahandel und seiner Kontakte zu englischen Kaufleuten in Jamaika genau diese Eigenschaften auf. Der Fokus des Stückes auf dem guten bzw. schlechten Haushalt(en), das durch die kompetenten ÖkonomInnen Bruno und Antonia bzw. durch die inkompetenten WirtschafterInnen Lorenzo und Blasa repräsentiert wird, veranlasst Angulo Egea dazu, diese und andere Komödien aus der Feder Comellas als comedias sentimentales urbanas auszuweisen.77 Der in diesem Stück bemühte Topos zweier künftiger Ehepartner, die sich ebenso perfekt ergänzen, wie es die Tugenden der prudentia und der temperantia laut Jovellanos tun, und sich als Ehepaar am Ende der Komödie gegenseitig ebenso ökonomisch wie moralisch bereichern, erweist sich als für ökonomiebezogene Komödien der spanischen Spätaufklärung charakteristisch. Brunos kaufmännisches 73 Jovellanos (2008a: 275f.). Vgl. Comella (1796: 24). 75 Graef (1996 [1755], III: 5), zitiert in Witthaus (2012: 290). 76 Graef (1996 [1756, IX: 197), zitiert in Witthaus (2012: 315). 77 Vgl. Agulo Egea (2006: 78). Weitere Stücke, auf die die Gattungsbezeichnung der comedia sentimental urbana zutrifft, sind neben El hombre agradecido (1790) auch La niña desdeñosa (1794), El ayo de su hijo (1798)), Natalia y Carolina (1799), El aburrido (1801), La dama colérica, o la novia impaciente (1806) und El hijo reconocido (o.J.). 74 264 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Ethos zeichnet sich durch Vorsicht und Mäßigung78, Vernunft und nicht zuletzt Ehrbarkeit aus. So zählt es zu seinen Geschäftsprinzipien, Schulden zügig zurückzuzahlen, bei geschäftlichen Transaktionen Aufrichtigkeit zu wahren und selbst keinem Täuschungsversuch anheimzufallen79 sowie nur solche Investitionen zu tätigen, von denen auch ein Gewinn zu erwarten ist.80 Nachdem Blasa in ihrer für die petimetra typischen Verschwendungssucht den Inhalt einer von Bruno zur Sanierung des Haushalts geschenkten Geldbörse verprasst hatte und Antonia nun Bruno auf das Flehen ihres Bruders hin um nochmalige Hilfe bitten muss, verweist dieser auf das bereits erlittene, moralische ‚Verlustgeschäft‘, war doch die Börse zur Wiederherstellung der Ordnung des aus den Fugen geratenen Kaufmannshaushaltes gedacht: Bruno Yo lo [el dinero] dí baxo el supuesto, de que el dinero que daba había de ser el móvil de la dicha de esta casa; y así, puesto que otra ruina mi dinero le prepara, no quiero darlo.81 In seiner Funktion als Ratgeber und Ordnungsstifter empfiehlt Bruno Lorenzo sodann, seine Geschäftsstrategie vom Passiv- hin zum Aktivgeschäft zu verändern. Damit greift Comella nicht nur das 78 So ruft Bruno Lorenzo in Bezug auf seine Gattin zur Vorsicht („precaución“) und Mäßigung ihrer Prunksucht auf. Vgl. Comella (1796: 11). Dieser Appell wurde zuvor schon von Antonia formuliert, denn auch diese hatte Blasa aufgefordert: „[...] modera el porte y el fausto, / vive conforme al empleo / o destino de mi hermano“. Comella (1796: 5). 79 Vgl. Comella (1796: 18): „El bribon del Mayoral / me engañaba en dos pesetas; / pero le cogí, y le eché una valiente pendencia [...].“ 80 Entsprechend definieren auch Wegmann/Zeibig/Zilkens (2009: 13) den ehrbaren Kaufmann dergestalt, dass er „[b]ei all seinen Handlungen [...] das rechte Maß [beachtet], wobei „Aufrichtigkeit, Vertrauen, Fleiß, Wahrhaftigkeit, Rücksichtnahme und Glaubwürdigkeit [...] einem Gewinnstreben [nicht entgegenstehen]“. Dies bedeutet, dass der Kaufmann bei aller Aufrichtigkeit stets seinen Gewinn im Blick haben muss, wozu – wie das Beispiel Brunos zeigt – auch das rechte Maß an Vorsicht und Misstrauen gehört. 81 Vgl. auch die folgende Replik Brunos aus Comella (1796: 24). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 265 Hauptbesorgnis des spanischen Merkantilismus auf, nämlich den bereits erwähnten Umstand, dass Rohwaren wie kastilische Wolle zu günstigen Preisen ausgeführt, in Frankreich zu Garn und Stoffen verarbeitet und dann teuer wieder nach Spanien eingeführt werden (vgl. Kap. 2.3). Überdies bindet der katalanische Dramatiker mit der Unterscheidung zwischen „comercio activo“ und „comercio pasivo“ zwei bei den Ökonomen des spanischen 18. Jahrhunderts verbreitete Konzepte in sein Stück ein, die sich bereits im Testamento político (1745) des unter Felipe V. tätigen Ministers José de Carvajal y Lancaster finden82 und die auch Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de industria popular indirekt thematisiert.83 Was Bruno hier vorschlägt, ist in der Terminologie Carvajals eine Form des Handels, die ‚passiv in der Substanz‘ ist, da sie sich auf Rohstoffe wie Wolle, Eisen und Seide gründet, aber ‚aktiv in der Form‘, indem der Transport der Waren aus eigenen Mitteln erfolgt.84 Mit dem aktuell betriebenen Passivhandel, argumentiert Bruno weiter, schade Lorenzo der spanischen Wirtschaft: Bruno [...] Vosotros, por falta de inteligencia, con el comercio pasivo os contentais, cuya senda os conduce al monopolio, á la ruindad y baxeza, por no daros las ganancias 82 Vgl. Artola, Miguel (1969):” América en el pensamiento español del siglo xviii”. In: Revista de Indias, 29, pp. 51-77, hier p. 68. 83 Vgl. Campomanes (1975: 49). Auch er vertritt hier die Ansicht, dass es besser für die nationale Wirtschaft sei, mit verarbeiteten Waren zu handeln statt mit Rohware: „Tampoco es perfecta su constitución [del pueblo] cuando no reduce a manufacturas sus primeras materias y les da todas las maniobras necesarias hasta su completa perfección, con la cual no reste otro aprovechamiento salvo la venta al natural o al extranjero.“ 84 Artola (1969: 68), meine Übersetzungen. Artola zufolge zeigt sich in der Unterscheidung von Aktiv- und Passivhandel das Interesse Carvajals an der Förderung des spanischen Seehandels, sollen doch Waren, die nicht nur aus den spanischen überseeischen Kolonien, sondern auch aus anderen Ländern, beispielsweise aus dem asiatischen Raum, stammen, vornehmlich durch spanische Schiffe transportiert werden und so die passive Handelsbilanz Spaniens ausgleichen. Vgl. Artola (1969: 69). 266 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien suficientes; y quisiera que tú y otros adopterais el activo, y refundierais en favor de la nacion [sic] lo que gana la Francesa. Las gasas, plumas, reloxes, cintas y medias de seda, que nos trueca por dinero, si el comercio activo hicierais, las trocariais por lana, por lino, por hierro y seda, y se quedara en España el dinero que se llevan los Franceses [...].85 Der versierte Kaufmann Bruno, der hier als kritischer Ratgeber auftritt, handelt ganz im Geiste der merkantilistisch inspirierten Discursos mercuriales Graefs, in denen, wie Witthaus zeigt, Kritik ebenfalls zum Medium politisch-wirtschaftlicher Beratung avanciert und von der Überzeugung geleitet ist, dass es gute Ratschläge sind, die, wenn sie auch in das raue Gewand des Tadels gekleidet sind, überhaupt erst zum Handeln ermächtigen. 86 Auch dass Bruno sich hier als ein sachkundiger Ökonom erweist, der über das für seinen Kompetenzbereich notwendige Fachvokabular verfügt, entspricht ganz den von Graef an den Händler herangetragenen Erfordernissen: „El Comerciante debe poseer un theorico conocimiento del Comercio; esto es, saber las verdades geometricas que encierran los theoremas mercantiles.“87 Die zitierte Passage aus Comellas Stück veranschaulicht überdies, dass der durch die petimetra und ihr Verlangen nach ausländischen Luxusgütern in finanzielle Turbulenzen geratene Haushalt – hier ebenso wie in vergleichbaren Stücken über diesen Figurentypus – als Pars pro Toto der nationalen Wirtschaftslage Spaniens fungiert. Mit dem Diskurs über die petimetra verbindet sich also der patriotische Geist der spanischen Reformökonomie, die nationale Wirtschaft durch eine protektionistische und merkantilistisch inspirierte Wirtschaftspolitik 85 Comella (1796: 12). Vgl. Witthaus (2012: 276). 87 Graef (1996 [1956], IX: 194), zitiert in Witthaus (2012: 315). 86 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 267 voranzutreiben.88 Insbesondere der letzte Vers der Replik „y se quedara en España / el dinero que se llevan / los Franceses” (s.o.) erinnert an die von Vertretern der Gruppe von Toledo wie González de Cellorigo formulierte These, die „extranjeros” – vor allem Flandern, Holland und Italien – nähmen alles spanische ‚Gold und Silber‘ an sich („llevan el oro y la plata y el dinero que labran“89), ein Gedanke, den Reformökonomen des 18. Jahrhunderts wie Campomanes aufgreifen. Auch die als Bedrohung für die nationale Wirtschaft empfundene ausgeprägte Präsenz französischer Handelshäuser in Spanien, die bereits am Beispiel der Compagnie Roux-Frères veranschaulicht wurde (vgl. Kap. 2.3), greift Comellas Stück auf, wenn es in derselben Replik heißt: „[...] es mengua / de la nación, que en España / haya mas casas francesas / de comercio, que Españolas.“90 Brunos Rede über Aktiv- und Passivhandel verdeutlicht auch, dass das Vorhandensein einer Geschäftsstrategie Voraussetzung erfolgreichen kaufmännischen Handelns ist. In Bezug auf die Handelsnetzwerke des 18. Jahrhunderts verweist Pierre Gervais in seiner Studie über die transatlantischen Handelsbeziehungen jener Epoche auf die Bedeutung solcher Strategien für den geschäftlichen Erfolg: „[...] these networks were highly dependent on professional strategies, and narrowly constrained by the necessities entailed by the maintenance of those strategies“91.. Die Funktionalität jener Netzwerke, deren Relevanz Pérez García für den spanischen Handelsraum ebenfalls anhand der Compagnie Roux Frères nachweist,92 basiert jedoch nicht nur auf Strategien, sondern auch und vor allem auf der Verlässlichkeit und Aufrichtigkeit ihrer Mitglieder. Analog dazu proklamiert Bruno die Bedeutung der Ehrbarkeit, die den Einzelnen mehr adele als jener erkaufte Titel, den Lorenzo auf Betreiben seiner adeligen Gemahlin anstrebt: „La verdadera / nobleza es la honradez.“93 Diese Replik steht 88 Vgl. zur Bedeutung des durch die petimetra gefährdeten Privathaushalts als Pars pro Toto der spanischen Nation auch Haidt (2003: 151ff.) sowie Hontanilla (2008: 52ff.). 89 Vgl. González de Cellorigo (1991: 70). 90 Comella (1796: 12). 91 Gervais, Pierre (2008): „Neither Imperial, nor Atlantic. A Merchant Perspective on International Trade in the Eighteenth Century”. In: History of European Ideas, 34, 4, pp. 465-473, hier p. 471. 92 Vgl. Pérez-García (2013: 85ff.). 93 Comella (1796: 11). Hier ist deutlich die Ablösung des noch im Barocktheater zentralen Begriffs des honor, wie ihn etwa die Gattung der Ehrendramen inszeniert, 268 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ganz im Geiste von Forondas 1778 erschienener Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio, in der der Autor den neuen Handelsadel mit dem wertlos gewordenen Blutsadel kontrastiert und die moralökonomische Bedeutung des Handels für ein tugendhaftes Dasein betont (vgl. Kap. 3.4.3). Der tugendhafte Lebenswandel der nobleza comerciante wird also hier im Konzept der kaufmännischen Ehrbarkeit verdichtet. Die Ehrbarkeit, der sich Bruno im Privaten wie im Geschäftlichen verpflichtet sieht,94 ist auch für die Struktur der Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert prägend. Diese Beziehungen beschreibt Pierre Gervais als eine „trusted chain of correspondents“95, deren einzelne Glieder vertrauenswürdige und sich aufeinander verlassende Kaufleute bilden. Jene auf Vertrauen und Erfahrung basierende Kette von Handelspartnern, die als Spezialisten ihres Warensegments gelten, ermöglicht den einzelnen Händlern angesichts einer unübersichtlichen Vielfalt an Handelsgütern das ‚Outsourcing‘ von Expertise.96 Sie ermöglicht es dem einzelnen Kaufmann aber auch, das Zeitintervall zwischen Bestellung, Lieferung und Zahlungseingang zu überbrücken, denn die meisten Handelsgeschäfte werden nicht etwa über die Barzahlung, sondern durch Wechsel abgewickelt, die für die involvierten durch den für das Theater der Aufklärung an Bedeutung gewinnenden bürgerlichen Wert der honradez spürbar. Diese ist wiederum an die bürgerliche Vorstellung von Tugendhaftigkeit (virtud) gekoppelt. Im Begriffspaar von honor und virtud zeigt sich Angulo Egea zufolge der Gegensatz zweier Gesellschaftsmodelle: der ‚neuen‘, bürgerlichen und der ‚alten‘, feudalen Ordnung, wobei die sich im Zuge des Liberalismus des anbrechenden 19. Jahrhunderts zuspitzende Thematik der ‚Zwei Spanien’ bereits anklingt: „Dos palabras claves enfrentan dos formas diferentes de entender el mundo: honor y virtud. Los modernos principios ilustrados, tratando de dignificar la posición y los trabajos de las nuevas clases acomodadas, de la clase media adinerada, dedicada a los negocios, la industria y el comercio, difundieron ideas que establecían la calidad y la posición de los hombres acuerdo a su conducta, no a los títulos heredados de sus antepasados. La virtud de los individuos era determinante, y no el honor hereditario.“ Angulo Egea (2006: 118) verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine Replik aus Comellas Stück El pueblo feliz (1789a: 3). 94 Vgl. die folgende Replik Brunos im dritten Akt der Komödie, wo er einwilligt, Lorenzos Geschäfte auf Bitten der zu guter Letzt dann doch einsichtigen Ehefrau zu übernehmen: „[...] de gobernar se encarga / mi honradez vuestro comercio“. Comella (1796: 31) 95 Gervais (2008: 265). 96 Gervais (2008: 264). Auch in Bezug auf den Mittelmeerraum spricht Pérez-García (2013: 93) von einer „interconnected community based on trust“. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 269 Kaufleute mit geringeren Risiken behaftet sind als Barzahlungen.97 Aus diesen im europäischen, mediterranen und transatlantischen Handel des 18. Jahrhunderts üblichen Geschäftspraktiken resultiert ein Netzwerk98 von Personen, die durch bereits geleistete Dienste und noch zu erbringende Gegenleistungen miteinander verbunden sind. Mit dem Begriffspaar von Leistung und Gegenleistung kommen wir im Folgenden zur Bedeutung von Gabe und Gegengabe in Comellas Stück. 5.2.1. Philanthropie und Kalkül: Grenzgänge zwischen Gabe und Investition Dass in der von Gervais skizzierten trusted chain of correspondents Leistung und Gegenleistung nicht nur für einen funktionierenden Handel, sondern auch für eine moralisch intakte Gesellschaft unerlässlich sind, veranschaulicht bereits der Titel von Comellas sentimentaler Komödie El hombre agradecido. Die dort angekündigte Thematik des ‚dankbaren Mannes‘ lässt Gabe und Gegengabe als Topoi des Stückes bereits anklingen,99 wobei anzumerken ist, dass in Comellas sentimentaler Komödie die Trennlinien von Gabe und Gegengabe zu Investition und Tausch verschwimmen. Wenn der Dankbare schon im Titel des Stückes an prominenter Stelle genannt wird, muss es auf der anderen Seite eine Person geben, der dieser Dank gilt. Widmen wir uns also 97 Am Beispiel des Bostoner Kaufmanns Green und seines Londoner Handelspartners Lane veranschaulicht Gervais, „[that] little cash changed hands“: „Green, for instance, almost never sent any cash to Lane, but ‚remitted’ his debts by sending ‚bills’.“ Gervais (2008: 468). Ähnliches zeigt Pérez-García (2013: 85) für den Handel zwischen Frankreich und Spanien. 98 Gervais (2008: 466) spricht in seiner Studie zwar auch von Netzwerken, plädiert aber für die Kette als das der kaufmännischen Realität gerechter werdende Modell. Er verweist diesbezüglich ebenso auf die Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen, z.B. das Vertrauen in bereits dem Vater bekannte Handelspartner, wie auf die Bedeutung des guten Rufes: „[...] reputation was a decisive element, and it included non-economic ties.“ Gervais (2008: 468). Auch bei Pérez-García (2013: 93) ist in Bezug auf Spanien und die dort ansässigen ausländischen Kaufleute aus Frankreich, Italien, Malta und England von einem „integrated trans-national network of Meditarrenean traders“ die Rede, deren Vernetzung wesentlich auf einer taktisch motivierten Heiratspolitik basiert, die die Kaufmannsfamilien nach den Maßgaben a) gleicher Berufe der Väter und b) Stabilisierung von nationalen und internationalen Verbindungen betreiben. 99 Zur Bedeutung von Gabe, Gegengabe und Ökonomie im spanischen Theater des Siglo de Oro vgl. Geisler (2014: 59ff.). 270 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zunächst der Frage, wer in diesem Falle der Retter bzw. Wohltäter ist. Aus zwei unterschiedlichen Lesarten des Stückes ergeben sich zwei Personen, die hierfür in Betracht kommen: Lesart 1 Geht man von der letzten, im Chor gesprochenen Replik aus,100 ist der Wohltäter eindeutig Bruno. Seine dreifachen101 Geldgaben an Lorenzo erfolgen, dies wird mehrfach betont,102 ohne Erwartung einer Gegenleistung und entsprechen damit auf den ersten Blick dem Prinzip der Gabe. Wie Fulda auf der Basis von Derridas Theorie der Gabe resümiert,103 kennzeichnet diese die „Entkoppelung von Investition und Ertrag“104: Spezifikum der Gabe ist die Auflösung jener Wechselseitigkeit im hier und jetzt, die den Tausch auszeichnet. Anders als dem Tausch eignet ihr ein Moment jener Absichtslosigkeit, nach welcher der vom modernen Kalkül – nicht allein von der Wirtschaft – erfaßte Mensch sich zurücksehnen will.105 Doch auch wenn Bruno im Moment der Schenkung selbst explizit auf eine Rückzahlung verzichtet, verschwimmt bei genauerem 100 Comella (1796: 32): „Viendo al hombre agradecido / como el beneficio paga.“ Jorge Alberto Topete zufolge manifestiert sich in dieser letzten, die Moral des Stückes zusammenfassenden Replik eine deutliche Anleihe des Theaters Comellas an den diaktischen Impetus des Neoklassizismus. Vgl. Topete, Jorge Alberto (1981): El neoclasicismo del teatro de Comella. Ann Arbor: University Microfilms International, p. 60f. 101 Diese Gaben bestehen erstens in der Summe zur Auslösung Lorenzos aus dem Gefängnis, vgl. Comella (1796: 8f.), zweitens in der Überreichung einer Geldbörse, deren Inhalt Blasa sogleich ausgibt, vgl. Comella (1796: 11f.), und drittens in der Zahlung von 4.000 Pesos für den geschäftlichen Neuanfang Lorenzos, vgl. Comella (1796: 28). 102 Dabei wird nicht nur in mehreren Repliken Brunos der Verzicht auf eine Gegenleistung erwähnt, sondern in der Formulierung des Verzichtes selbst das Stilmittel der Geminatio verwendet, die diesen zusätzlich hervorhebt. Vgl. hierzu Comella (1796: 9): „[...] Vuelvo á decir, / que de esta casa no quiero / nada, nada“ (meine Hervorhebung). Vgl auch Comella (1796: 20): „[...] haciendo lo que yo hago, / sin ninguna recompensa“ und Comella (1796: 19): „[...] aquí estoy yo, que ahora mismo / sin exigir recompensa, / daré el dinero que baste / para que á comerciar vuelva [su hermano].“ 103 Vgl. Derrida (1993). 104 Fulda (2005: 89). 105 Fulda (2005: 89). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 271 Hinsehen die Grenze der Gabe zu Handel und Tausch genau in dem Moment, in dem deutlich wird, dass Brunos Gabe einem Zweck folgt – und damit streng genommen keine Gabe mehr ist. Dieser Zweck wiederum besteht in der moralischen Läuterung der fehlgeleiteten Eheleute.106 Brunos Gabe wird damit zur Investition, deren erwarteter Gewinn die Wiederherstellung der sozialen und geschäftlichen Funktionalität des Kaufmannshaushaltes ist. Dies wird am Ende durch die geschenkten Geldsummen, die sich für Bruno als rentable Investition erweisen, auch erreicht. Rentabel ist Brunos Investition deshalb, weil der erzielte Gewinn die anfängliche Erwartung übersteigt: Über die Wiederinstandsetzung der gesellschaftlichen Funktionalität von Lorenzos Haushalt gewinnt Bruno unverhofft die Hand der gemäß der kaufmännischen ratio denkenden und handelnden Antonia. Mit ihr kann er sein moralisches und finanzielles Kapital mehren, wird im Stück doch die Nützlichkeit der ihren Mann im Wortsinne ‚bereichernden‘ Ehefrau explizit gemacht (s.o.). Die Sanierung des Kaufmannshaushaltes durch Finanzspritzen, die jene Bekehrung der Fehltretenden bewirken sollen, die am Ende des Stückes – ganz in der Tradition der sentimentalen Komödie – so tränen- und gestenreich107 erfolgt, ist also eine vernunftgeleitete Handlung. Als solche folgt sie nicht nur den kalkulatorischen Prinzipien des Handels, sondern steht zugleich im Dienste des aufklärerischen Utilitarismusprinzips. 106 Ich beziehe mich auf die o.g. Replik aus Comella (1796: 23). Im Zuge seiner reuigen Bekehrung wirft sich Lorenzo Bruno zu Füßen, vgl. Comella (1796: 29). Auch an Seufzern fehlt es am Ende des Stückes nicht. Vgl. Comella (1796: 30). Dennoch sind, wie Fuentes (1999: 229) anmerkt, spanische und englische sentimentale Komödien an Szenenanweisungen zu gefühlsbetonten Gesten ärmer als französische. Wie eingangs erwähnt, sind tragische Gesten und Ausrufe als Zeichen höchster Emotionalität typisch für die sentimentale Komödie und finden sich bereits als tragende Elemente in Denis Diderots Konzeption des drame bourgeois, das er in seinen Stücken Le fils naturel (1757) und Le père de famille (1758) anwendet und in den Nachworten zu den betreffenden Dramentexten theoretisch reflektiert. Vgl. hierzu die Abhandlungen „Entretiens sur le fils naturel“ (1757) und „Des genres dramatiques“ (1758). Zu Diderots theoretischer Konzeption des drame bourgeois, vgl. u.a. auch Diderot, Denis (2005 [1758]): „Des genres dramatiques“. In: idem: Le père de famille, ed. Gerhardt Stenger. Paris: Espaces, pp. 139-150 sowie Hale, Jane (1988): „Le drame bourgeois et ses espaces“. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 256, pp. 185-193 und Pappas, John (1981): „Diderot et le drame bourgeois“. In: Diderot Studies, 20, pp. 225244. Vgl. außerdem García Garrosa (1990: 41ff.) sowie Palacios (1998: 191). 107 272 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Lesart 2 Betrachtet man Brunos Gabe jedoch im Gesamtkontext des Stückes, der verrät, dass Bruno nur deshalb zu Reichtum kommen konnte, weil er als Waisenkind von Lorenzos Vater Anselmo aufgenommen, ausgebildet und mit einem Grundkapital ausgestattet worden war, wird deutlich, dass Brunos Geldleistungen im Grunde Gegengaben sind, die sich auf eine einst erhaltene Gabe beziehen.108 Wie Fulda betont, kommt das Prinzip der Gabe nicht ohne eine Gegengabe aus.109 Gabe und Gegengabe sind überdies durch einen zeitlichen Abstand gekennzeichnet,110 der auch in Comellas Stück gegeben ist. In diesem Sinne wäre als zweite mögliche Antwort auf die Frage, wer derjenige ist, dem der Dank des titelgebenden Dankbaren gilt, Anselmo als der frühere Gönner des nun reich gewordenen Bruno zu nennen. Über das Prinzip von Gabe und Gegengabe verbindet Comella ideales (d.h. moralisch richtiges) und ökonomisches (d.h. kaufmännisch gewinnbringendes) Handeln. Die zugrundeliegende Botschaft lautet: Moralisch richtiges Handeln ist gesellschaftlich gewinnbringend, also nützlich, da gesellschaftsverbessernd, und zahlt sich daher aus. Diese aus der Komödie zu ziehende ‚Lehre‘ wird in einer Replik Brunos gegen Ende der Komödie expliziert, als der spanische König als unmittelbarer Gönner der Tugendhaften und Nützlichen ins Spiel gebracht wird: Bruno [...] pero para uno que trata en hacerse útil al Reyno no le es esto [el Árbol Genealógico] de importancia. Del mérito y la virtud es la nobleza la paga; 108 Dies wird auch deutlich, als Bruno auf eine seinerseits noch zu begleichende ‚Schuld’ verweist. Vgl. Comella (1796: 11): „[...] aunque estoy rico, y tú [Lorenzo] pobre, / me hallo en la precisa deuda de servirte [...].“ Vgl. auch Comella (1796: 28): „[...] que tengo / en mas estima la fama / del hijo [Lorenzo] de un bienhechor [Anselmo], / que todo el oro y la plata, que la codicia desea, / y consume la arrogancia“. 109 Vgl. Fulda (2005: 89): „Ohne einen rechtlich externalisierten Anspruch darauf zu haben, impliziert die Gabe die Erwartung einer Gegengabe.“ 110 Vgl. Fulda (2005: 90) mit Verweis auf Bourdieu (1998: 163). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 273 sé útil, sé virtuoso, y te premiara el Monarca con un premio que valdrá mas que las pompas pintadas, supuestas la mayor parte para engañar la ignorancia.111 In dieser ‚Moral‘ des Stückes spiegelt sich der für die spanische Aufklärung charakteristische erzieherische Auftrag des Theaters,112 der wiederum eine Verbindung mit den ebenfalls für die Epoche prägenden Prinzipien von utilidad und felicidad113 eingeht.114 Maravall verdeutlicht, inwiefern der Begriff der ‚Nützlichkeit‘ (utilidad) im 18. Jahrhundert an den Begriff des ‚Gutes‘ (bien) geknüpft, ja mit ihm gleichzusetzen ist.115 Dabei löst sich das Konzept des ‚Gutes‘ aus seinem wirtschaftlichen Bedeutungszusammenhang und tritt in einen moralischen Kontext ein, oder, wie es Maravall mit Gusdorf116 ausdrückt: „El orden de la moral invididual se disuelve en el orden de la utilidad social.“117 So kommt es zu einer Ineinssetzung von „fin individual“ und „fin común“,118 die dazu führt, dass die Bemühungen des Einzelnen für die „Harmonie des Ganzen“ – gemeint ist hier die Nation – Individuum und Gesellschaft gleichermaßen zum Glück 111 Comella (1996: 32). Vgl. Maravall (1991: 382ff.). 113 Vgl. Maravall (1991: 161ff.). 114 Diesen von Schiller in seiner Rede Die Schaubühne als moralische Anstalt auch für das deutsche Theater postulierten moralisch-didaktischen Auftrag hat Weinstock (2019) untersucht. Hoffmann (2017: 38f.) hält als wesentlichen Unterschied zwischen den von Schiller entwickelten Reformideen im Vergleich zu denen von Jovellanos fest, dass es Letzterem um die „Unterwerfung des Individuums unter das Wohl der Gesellschaft“ gehe, während bei Schiller „die Freiheit des Menschen, die menschlichen Tugenden und besonders die Tugend der Menschlichkeit“ im Vordergrund stünden. Wie unsere Analysen zeigen werden, ist ein bürgerlich-christlicher Tugendkanon, zu dem auch die caritas wesentlich gehört, in den spanischen Komödien der Spätaufklärung ganz zentral, die von den Leitlinien der absolutistischen Theater- und Wirtschaftsreform beeinflusst sind (vgl. Kap. 6.5). 115 Vgl. Maravall (1991: 251): „Las nociones de utilidad y bien se encuentran equiparadas.“ 116 Vgl. Gusdorf (1972: 453). 117 Vgl. Maravall (1991: 251). 118 Maravall (1991: 261). 112 274 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien gereichen.119 Brunos Gabe an Lorenzo ist also auch eine patriotische Investition in das spanische Gemeinwohl, und kann ihm der Moral des Stückes gemäß nur deshalb auch zum persönlichen Profit gereichen. Dass das reformökonomische Konzept der felicidad pública ausgerechnet in der Gattung der sentimentalen Komödie an prominenter Stelle figuriert, deutet auf eine Korrelation zwischen dem reformökonomischen Konzept und dem género sentimental hin. Marti etwa weist zu Recht darauf hin, dass die felicidad pública erst in zweiter Linie ein wirtschaftstheoretisches Konzept sei, während es in erster Linie dazu diene, an Gefühle zu appellieren, um in euphemistischer Manier die in der spanischen Spätaufklärung bestehenden sozialen Missstände zu kaschieren.120 Auch die sentimentale Komödie appelliert an die Gefühle der ZuschauerInnen, und auch sie hat neben einer didaktischkathartischen auch eine kaschierende Funktion: Der im theatralen Typus des vir oeconomicus verdichtete versierte Ökonom, der zugleich ein aufgeklärter hombre de bien ist, statuiert nicht nur ein Exempel guten Wirtschaftens, sondern dient auch dazu, einen eklatanten Mangel an aufgeklärt-kompetenten und sich vom Ausland emanzipierenden Kaufleuten aus Fleisch und Blut auszugleichen. Mit dem bereits zur Sprache gekommenen Aspekt des Patriotismus kommen wir zur Bedeutung des freundschaftlichen Gefühls für die Handlung des Stückes. Das Ideal der Freundschaft und seine Korrelation mit der Geselligkeit im Kontext aufklärerischer moralisierender Diskurse findet sich neben El hombre agradecido in zahlreichen Stücken der spanischen Aufklärung und an prominentester Stelle wohl im Titel von Juan Pablo Forners (1756-1799) La escuela de la amistad o El filósofo enamorado (1796),121 aber auch in Jovellanos‘ El delincuente honrado (1774)122 und dem bereits genannten El triunfo del amor y la amistad o 119 Maravall (1991: 261) in Bezug auf Cabarrús, meine Übersetzung. Im spanischen Originaltext ist von einer „armonía del todo“ die Rede. 120 Vgl. Marti (2012: 269). 121 Vgl. hierzu die Analyse von Gies, David T. (1998): „Forner, la amistad y la patria: La escuela de la amistad o El filósofo enamorado (1769)“. In: Cañas Murillo, Jesús/Lama, Miguel Ángel (eds.): Juan Pablo Forner. Mérida: Editora Regional de Extremadura, pp. 449ff. 122 Zur Freundschaft in El delincuente honrado und El señorito mimado, vgl. Pérez Magallón (2001: 185ff.). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 275 Jenwal y Faustina von Zavala y Zamora.123 Auf die zentrale Bedeutung der Freundschaft für das spanische 18. Jahrhundert verweist auch María Angulo Egea: Ihr zufolge ist diese im 18. Jahrhundert mit Tugend gleichzusetzen.124 Dies erklärt zum einen die Einbettung der ökonomiebezogenen Thematik des Stückes in die Gattung der sentimentalen Komödie, wird hier doch anhand der Figur des freundschaftlich handelnden Kaufmanns ökonomisch vorbildliches Handeln vorgeführt. Es macht aber auch plausibel, warum Gabe und Gegengabe, Tausch und Handel im konkreten Stück ineinanderfließen: Wenn freundschaftliches Handeln zum Wohle der Gesellschaft eine notwendige Tugend des idealen Kaufmanns ist, ist dieser bei seinen Transaktionen an dieses ‚soziale Mandat‘ gebunden. Handel – im Sinne des aufklärerischen Nützlichkeitsdenkens – soll daher von den Werten sensibilidad und amistad geleitet sein. Dies entspricht im Wesentlichen Graefs in seinen Discursos mercuriales (1752-1756) entworfenen Bild des ‚ehrbaren Kaufmanns‘, demzufolge es „für den Kaufmann eine Schwelle [gibt], an welcher das Eigeninteresse zurückbleibt und dem Gemeinwohl des Landes, in dem er wohnt, hintenan gestellt wird“125. Demzufolge ist „[i]n der Praxis jedes wirtschaftende Individuum dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns und damit – analog zum König – dem Gemeinwohl des Sozialverbundes verpflichtet“126. Die hier von Witthaus erwähnte Analogie zwischen dem vir oeconomicus und dem König ist insofern bedeutsam, als auch der in der hier untersuchten Komödie wirtschaftende Protagonist Bruno als Stellvertreterfigur eines durch die Krone propagierten idealen Haushaltens fungiert. Zudem lässt uns der Gedanke einer Rückbindung des Kaufmanns an das Kollektiv seiner Nation auf Gervais‘ Modell der trusted chain of correspondents als das eines sozialen Netzwerks zurückkommen: Die Figuren Anselmo, Bruno und Lorenzo aus Comellas Komödie zeigen 123 Eine systematische Analyse der Freundschaft im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts nimmt Komorowska in ihrer Habilitationsschrift vor (im Druck). Zur Thematik der Freundschaft in Dramen des Siglo de Oro vgl. außerdem Komorowska (2018a) sowie eadem (2018b: 247ff.). 124 Vgl. Angulo Egea (2006: 132) mit Verweis auf Gies (1998: 449ff.). 125 Witthaus (2017: 162). An späterer Stelle weist Witthaus (2017: 171) darauf hin, dass die „Kaufmannsehre“ bei Graef als eine „soziale Verpflichtung zu betrachten“ sei, die „als frei zirkulierendes Vertrauen den sozialen Kitt“ bilde und daher bedeutsamer sei als der Handel selbst. 126 Witthaus (2017: 163). 276 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien anschaulich die Funktionalität einer solchen Kette, und zwar auf ökonomischer und moralischer Ebene. Dies ist der Fall, wenn das von Anselmo einst an seinen ehemaligen Lehrling Bruno gegebene Gut, das in einer fundierten Erziehung und Ausbildung sowie einem Startkapital als konkretem materiellen Wert bestand, letztlich wieder seinem Sohn Lorenzo zugutekommt, und zwar wiederum in Form materieller Werte – der Tilgung von Schulden, eines Grundstocks zur Wieder-Ingangsetzung des bankrotten Geschäfts – und einer moralischen Lektion. Die Gabe fließt also mittelbar wieder an den Schenkenden zurück. Damit offenbart Gervais‘ ursprünglich ausschließlich auf den Handel bezogenes Modell einer auf Vertrauen fußenden Handelskette in Comellas Stück seine Anwendbarkeit nicht nur auf die ökonomischen, sondern auch auf die moralischen Diskurse der spanischen Aufklärung. Beide sind in Comellas Stück untrennbar miteinander verwoben. 5.2.2. Vom Untertan zum Staatsbürger Zentral für Comellas Lehrstück über den ehrbaren Kaufmann, der hier in der Gestalt der dramatischen Figur Don Brunos seine theatrale Verkörperung findet, ist neben diesem Typus das Konzept des ciudadano honesto, des ehrbaren Staatsbürgers, das mit dem Figurentypus des ehrbaren Kaufmanns Hand in Hand geht. Dieses Konzept, das zugleich den Übergang vom feudalen Begriff des Untertans (span.: „súbdito“) bzw., im Falle des Adels, des zur Lehnstreue verpflichteten Vasallen (span.: „vasallo“) markiert, findet sich in kurzer zeitlicher Abfolge in zwei nahezu wortgleich eingeleiteten Repliken des gefallenen Kaufmanns Lorenzo, in denen er moralische und ökonomische Besserung gelobt und sich damit dem physiokratisch inspirierten Konzept eines Staatsbürgers verschreibt, der sein eigenes Interesse in patriotischer Manier in den Dienst der felicidad pública stellt und so zum funktionalen Rädchen im ökonomischen Getriebe des Staates wird. Die erste der beiden Repliken zu den Pflichten des Staatsbürgers findet sich am Ende des ersten Aktes. Hier appelliert Lorenzo folgendermaßen an seine verschwendungssüchtige Gattin: Lorenzo Moderémos nuestro luxo, nuestro porte moderémos, 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 277 vivamos conforme viven los Ciudadanos honestos, que consiguen con la industria ser útiles à sí mesmos, y á la patria. [...]127 Wenn Lorenzo hier sich und die petimetra Blasa selbstbezichtigend als Subjekte jenseits der Norm charakterisiert, die einsehen müssen, dass es besser wäre, sich konform zur Ideologie der aufgeklärten Reformökonomie zu verhalten und der reformökonomische Diskurs damit zur gesellschaftlichen Norm erhoben wird, werden zugleich die Vorteile des normkonformen Verhaltens präsentiert, nämlich, dass der in den Dienst der patria gestellte Fleiß nicht nur dem Staat, sondern auch dem Einzelnen selbst zugutekommt („ser útiles á sí mesmos“). In dieser Replik findet sich die bereits umrissene Konsolidierung der Politischen Ökonomie mit dem Konzept eines Staatsbürgers wieder (vgl. Kap. 3.2), der sich deshalb freiwillig in den Dienst des Gemeinwohls stellt, weil er seinem Selbstinteresse und mithin seinem freien Willen folgt. Dies entspricht der These des Reformökonomen Foronda über den sozialen und ökonomischen Wert des Selbstinteresses als Motor des bien común.128 Die von Lorenzo beschriebene Verhaltensnorm wiederum, der er sich nun reuig anschließen möchte, ist ganz von der Tugend der Mäßigung (temperantia) geprägt, von jener goldenen Mitte also, die in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles Basiselement des Verhaltenskodex des ehrbaren Kaufmanns ist.129 Die zweite, spiegelbildlich eingeleitete Replik, findet sich zu Beginn des zweiten Aktes in einem Dialog zwischen Bruno und Lorenzo. Hier bekräftigt Lorenzo Bruno gegenüber nochmals seinen Willen zur Läuterung, scheitert jedoch kurz darauf an den emotionalen 127 Comella (1796: 10). Vgl. Witthaus, Jan Henrik (2018): „El hombre económico: La España ilustrada entre el mercader honrado y el liberalismo“. In: Strosetzki, Christoph (ed.). El poder de la economía, pp. 327-352, hier p. 345 mit Bezug auf Forondas Cartas, publiziert in Cladera, Cristóbal (1788): Espiritú de los mejores diarios literarios que se publican en Europa, No. 47, 48, Madrid: Espinosa, p. 593: „[...] Foronda defiende el interés particular y reivindica su valor social y económico, contraponiéndolo al dogma del bien común, puesto que, según el autor, este surge de aquel.“ 129 Vgl. dazu Strosetzki (2018b: 169-172). 128 278 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Manipulationen, denen er sich seitens Blasas und ihrer Dienerin Mariquita ausgesetzt sieht, was hier schon vorausgedeutet wird: Lorenzo [...] yo he de moderar mi luxo yo he de olvidar las quimeras de ser noble, y vivir como Ciudadano honesto. En esta resolución firme: – Firme? Sufrirá que permenezca en ella mi Blasa? no: será una continua guerra: [...].130 Der von Lorenzo hier schon befürchtete ‚Rosenkrieg‘ bricht im Folgenden auch prompt aus, als Blasa droht, den gemeinsamen Haushalt zu verlassen und zurück zu ihren Eltern zu ziehen.131 Was das Konzept des Staatsbürgers anbelangt, wird dieses hier um einen wichtigen Kritikpunkt des reformökonomischen Diskurses erweitert: das bürgerliche Streben nach dem Adelstitel, das nicht nur in Spanien, sondern auch im Frankreich des 17. Jahrhunderts ein (wirtschaftliches) Problem darstellt und zu einer regelrechten Gewerbeflucht männlicher Kaufmannssprösslinge führt, die schon Marc Lescarbot in seiner Histoire de la Nouvelle France (1606) wie folgt beklagt hatte: „Dès qu’un marchand a de quoi, il faut qu’il fasse son fils avocat et conseiller.“132 Eben diesen Aspekt der Berufsflucht thematisiert auch das hier an späterer Stelle analysierte Stück Los menestrales (1784) von Cándido María Trigueros. 5.2.3. Der oikos als kaufmännischer Handlungsraum Zwei Aspekte führen im 18. Jahrhundert nicht nur in Teilen der spanischen Theaterlandschaft, sondern auch in Deutschland zu einer Veränderung in den Inszenierungspraktiken und im räumlichen Fokus 130 Comella (1796: 12). Vgl. Comella (1796: 13). „Mariq. Que si usted no la modera / se irá á casa de sus padres / sin remedio.” 132 Zitiert in Maravall (1984: 385). 131 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 279 des Theaters: Dabei ist zum einen die von Maravall konstatierte zunehmende ‚Verbürgerlichung‘ der Mentalität der Mittelschichten im Zuge der Aufklärung zu nennen. Zum anderen vollzieht sich in dem von den Oberschichten frequentierten Reformtheater in Deutschland und Spanien ein Abrücken vom ‚großen historischen Geschehen‘ und eine Verschiebung hin zum Mikrokosmos des bürgerlichen Haushaltes. Jürgen Habermas (1969)133 und John Lukacs (1972)134 konstatieren für das europäische 18. Jahrhundert gleichermaßen eine Tendenz zur ‚Innerlichkeit‘, die sich für das Theater ebenso an den Theatertexten – und hier insbesondere an den Nebentexten – wie an einer Veränderung der Inszenierungspraktiken ablesen lässt. Im Folgenden wenden wir uns nun der theatralen Inszenierung des bürgerlichen oikos als einem ‚Raum der Innerlichkeit‘ zu, der sich insofern auf das Außen hin öffnet, als sich in ihm Privates und Geschäftliches, Liebeshändel und auf künftige wie vorhandene Eheschließungen bezogene Verhandlungen kreuzen. Der oikos lässt sich mit Irmintraut Richarz auf der Basis des antiken Verständnisses wie folgt definieren: Mit dem Begriff ‚Oikos’ wird die konkrete Behausung sowie das gesamte Hauswesen mit den dazugehörigen Personen und Gütern bezeichnet, das in einer Zeit, in der die Polis in Griechenland noch nicht die beherrschende staatliche Einheit war, als Knotenpunkt des Geflechtes sozialer, auf Freundschaft beruhender Beziehungen zentrale Bedeutung hatte.135 Auffällig ist dabei die im neoklassischen wie im populären Theater des spanischen 18. Jahrhunderts rekurrente Figur des ‚auf den Kopf gestellten Hauses‘, das sich Tschilschke zufolge mit dem Konzept der domus perversa nach Augustinus fassen lässt und sich auf eine Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern bezieht.136 Dieser Begriff wird hier herangezogen, um jene Ausgangslage 133 Vgl. Habermas, Jürgen (1969): Strukturwandel und Öffentlichkeit. Frankfurt/Main: Luchterhand. 134 Vgl. Lukacs, John A. (1972): The Passing of the Modern Age. New York et al.: Harper & Row. 135 Richarz, Irmintraut (1991): Oikos, Haus und Haushalt. Ursprung und Geschichte der Haushaltsökonomik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 15. 136 Vgl. Tschilschke (2014: 291). In Gumbrechts Studie über den Kostumbrismus findet für ein vergleichbares Phänomen das Konzept des mundo al revés Anwendung. Vgl. 280 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien näher zu bestimmen, in der ein sich in Unordnung befindlicher kaufmännischer Haushalt schließlich durch die Intervention des Figurentypus des Ordnungsstifters ‚zurechtgerückt‘ wird. Interessant ist, dass der zuvor bereits beschriebene Zustand der Unordnung sich auf die Herrschaft einer in ökonomischen und Liebesdingen irrational und triebhaft agierenden weiblichen Figur gründet, die durch die petimetra und ihrer GespielInnen personifiziert wird. Diese Grundkonstellation trifft auf Komödien wie Comellas El hombre agradecido ebenso zu wie auf La petimetra von Nicolás Fernández de Moratín, La señorita malcriada (1788) von Tomás de Iriarte, La familia a la moda (1805) von María Rosa de Gálvez und auf die ebenfalls um die Figur der petimetra kreisenden sainetes von Ramón de la Cruz. 5.3. Bürgerliche Innerlichkeit im Kontext veränderter Inszenierungspraktiken im spanischen und deutschen Reformtheater137 Der bürgerliche Haushalt dient im europäischen Theater des 18. Jahrhunderts nicht allein als Schauplatz einer zunehmend im gewerbetreibenden Bürgertum angesiedelten Handlung und damit zugleich als Aktionsraum der bürgerlichen ProtagonistInnen. Überdies ermöglicht es ein auf wenige Zimmer ein und desselben Hauses beschränkter Handlungsraum, die Regeln der Einheiten von Ort und Handlung zu beachten, wie sie von Ignacio de Luzáns Poética (1737) im Kontext der neoklassischen Doktrin vorgegeben werden. Diese Einheiten finden neben gängigen Themen des neoklassischen Theaters wie Erziehung, matriminio desigual, kaufmännischer Kosmos und finanzielle Gumbrecht, Hans-Ulrich (1984): „Der Misanthrop, die Tänzerin und der Ohrensessel: Über die Gattung ‚Costumbrismo’ und die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Wissen und Diskurs im Spanien des xix. Jahrhunderts“. In: Link, Jürgen (ed.). Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen: Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart: Klett-Cotta, pp. 15-62. Aufgrund seiner geschlechtsspezifischen Ausrichtung wird hier dem Begriff der domus perversa nach Augustinus der Vorzug gegeben. 137 Teile dieses Abschnitts finden sich auch in dem Aufsatz Schuchardt, Beatrice (2018b): „Escenificaciones del hogar burgués en el teatro dieciochesco: espacio familiar/espacio comercial”. In: Strosetzki, Christoph (ed.). Aspectos actuales del hispanismo mundial. Literatura — Cultura — Lengua. Berlin: De Gruyter, pp. 332-343. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 281 wie modische Exzesse gegen Ende des Säkulums zunehmend auch bei Dramatikern Berücksichtigung, die dem populären sentimentalen Theater zugerechnet werden, wie u.a. Valladares und Zavala y Zamora,138 denen sentimentale Komödien französischer und englischer Provenienz als Vorlagen dienen und die von ihnen für den spanischen Kontext adaptiert werden.139 Zu dieser Art von Stücken zählt das hier bereits untersuchte El hombre agradecido ebenso wie das im Folgenden betrachtete El triunfo del amor y la amistad. Was die Beschränkung der Handlung auf das bürgerliche Haus anbelangt, bietet diese für die Inszenierungspraxis noch einen weiteren Vorteil, der sich auf die Ebene der Rezeption durch das Publikum und seine Identifikation mit den auf der Bühne agierenden bürgerlichen ProtagonistInnen bezieht: Fulda zufolge vollzieht sich mit der Verdichtung der Handlung im bürgerlichen Haus, wie sie analog zum spanischen neoklassischen Theater auch das norddeutsche Reformtheater kennzeichnet, eine Verengung auf den (erwünschten) Handlungshorizont des Publikums. Denn die Bühnenhandlung wird zunehmend als handlungspraktisches Modell des bürgerlichen Lebens begriffen. Die Figuren verlieren ihre normativen Freiräume, sie handeln psychologisch nachvollziehbar und gehen bürgerlichen Berufen nach.140 Wenn Angulo Egea in ihrer Studie über das populäre Theater Comellas von einer „incipiente burguesía que quería verse representada Vgl. Palacios, Emilio (1998): El teatro popular del siglo xviii. Lleida: Milenio, p. 186: „Será necesario esperar las últimas décadas del siglo [xviii] para que estas ideas [de la Poética de Ignacio de Luzán] se abran con mayor generosidad a la realidad de la dramaturgia popular, adoptando los reformadores posturas menos intransigentes.“ 139 Zum Einfluss französischer und englischer sentimentaler Stoffe auf VertreterInnen des populären spanischen Theaters, die nicht nur dem Theater, sondern auch der Gattung Roman entnommen werden, vgl. Angulo Egea (2006: 326): „Dramaturgos populares como Comella, Valladares, Zavala, Rodríguez de Arellano, entre otros, adaptaban novelas sentimentales para crear sus propias piezas teatrales.“ 140 Fulda, Daniel (2009):„‚Breter [sic], die die Welt bedeuten‘. Bespielter und gespielter Raum, dessen Verhältnis zur sozialen Um-Welt sowie Gestaltungsräume des populären Theaters im 17. und 18. Jahrhundert“. In: Dünne, Jörg/Friedrich, Sabine/ Kramer, Kirsten (eds). Theatralität und Räumlichkeit. Raumordnungen und Raumpraktiken im theatralen Mediendispositiv. Würzburg: Königshausen und Neumann, pp. 71-86, hier p. 82. 138 282 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien en las tablas“141 spricht, betont auch sie damit die Orientierung der AutorInnen des sentimentalen Theaters am bürgerlichen, vom wirtschaftlichen Reformdiskurs der Krone avisierten Zielpublikum. Dieses soll sich nicht nur in seiner privaten, sondern auch in seiner geschäftlichen Existenz auf der Bühne wiederfinden, weshalb das bürgerliche Haus als Kreuzungs- und Knotenpunkt amouröser und geschäftlicher Verwicklungen dient, die oftmals untrennbar miteinander verbunden sind. Die im Theater inszenierte Kopplung von Privatem und Geschäftlichem entspricht den Geschäftspraktiken einer Epoche, in der es innerhalb des Hauses noch keine strikte Trennung zwischen geschäftlicher und privater Sphäre gibt (vgl. Kap. 3.3.2). Wenn sich das Haus also in der sentimentalen Komödie des europäischen 18. Jahrhunderts als Ort erweist, von dem aus der Familienvater als Oberhaupt des oikos und Führer des kaufmännischen Geschäftes die privaten und wirtschaftlichen Geschicke der Familie lenkt, erleichtert der angestrebte Wiedererkennungseffekt des Publikums und seine Identifikation mit den im Hause agierenden Figuren zugleich den politischen Auftrag des Theaters, als ‚Schule des Volkes‘ (s.o.) und Trägermedium der ökonomischen und gesellschaftlichen Reformen des aufgeklärten Absolutismus zu dienen. Wie Emilio Palacios betont, ist es die sentimentale Komödie populärer Prägung, die zum privilegierten Medium der Vermittlung aufklärerischer Werte wird.142 Auch Jehle weist seinerseits darauf hin, dass das Theater eines Leandro Fernández de Moratín, dem ja Comellas Comedia nueva als abschreckendes Beispiel für ein von den Bühnen zu vertreibendes ‚Theater des Spektakels‘ dient, im gleichen Maße ‚Aufklärungstheater‘ ist wie das seiner missliebigen Konkurrenten aus dem populären Spektrum.143 Völlig zu Recht bezeichnet daher Angulo Egea in ihrer 141 Angulo Egea (2006: 328), s.o. Vgl. Palacios (1998:192): „[...] algunas de las manifestaciones del teatro popular de finales de siglo, en particular la comedia sentimental y la popular, se convirtieron en ocasiones en portavoces del ideario ilustrado, aunque no defendieran con el mismo empeño la normativa neoclásica.” Palacios nimmt hier (ohne Angabe der genauen Seite) auf eine ähnliche Aussage Campos’ (1969) Bezug. Vgl. auch Angulo Egea (2006: 62): „Muchas de las obras de los dramaturgos populares encerraron también aspectos ilustrados [...].“ 143 Vgl. Jehle (2010: 117) mit Verweis auf die Studien Campos‘ und Ivy McClellands, die das populäre Theater der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstmals als ‚Aufklärungstheater‘ erkannt und damit ernst genommen haben. 142 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 283 Studie über Comella dessen Theater als ‚andere Seite der Aufklärung‘144 und meint damit, dass die Stücke Moratíns und Comellas zwei gleichrangige Seiten ein und derselben Medaille repräsentieren, liefern doch auch Comella, Valladares und Zavala ihrem Publikum nicht nur die opulenten Schlachten und spektakulären Szenarien, denen sie ihre Popularität verdanken, sondern auch von den Themen des Reformtheaters inspirierte Stücke, die „eine an der Moral nützlicher Arbeit ausgerichtete Lebensweise [propagieren], in deren Licht das Regime mit seinen müßiggängerischen ‚hijosdalgos‘ nicht nur als altes, sondern als veraltetes“145 erscheint. Was Comella anbelangt, hatte schon Jorge Alberto Topete in seiner Dissertation von 1981 die zahlreichen neoklassischen Elemente im Theater des katalanischen Dramatikers nachgewiesen.146 Auch ein Blick auf die Kritik von El hombre agradecido in der Ausgabe des Memorial literario von Mai 1790 bestätigt, dass das Theater Comellas schon von seinen Zeitgenossen als ein an den Neoklassizismus Angelehntes erkannt wurde, wenn dort davon die Rede ist, „[que] el plan, o trama de esta comedia, si se mira su disposición, tiene bastante regularidad“ und „[que] no hay quiebra notable de acción, tiempo y lugar“.147 Auch wenn der Rezensent des Memorial dies für die Charaktere, die Ebene der Sitten und der Figurenrede nicht gegeben sieht, hält er dennoch fest, dass die Berücksichtigung der neoklassischen Doktrin in El hombre agradecido auf der Ebene der Komödienarchitektur ausreichend sei „para cualquier drama de los de ahora, atendida la neglegencia que hasta aquí ha habido en este punto“. Mit dem auf das Haus konzentrierten und daher limitierten Aktionsraum des deutschen Reform- sowie des spanischen neoklassischen Theaters ist eine Akzentverlagerung weg von der Handlung hin zum Text verbunden. War noch das barocke Theater mit seiner opulenten Bühnenmaschinerie und seinen vielen Schauplätzen ganz auf eine ebenso abwechslungsreiche wie im wahrsten Sinne des Wortes ‚spektakuläre‘ Handlung fokussiert, ist das neoklassische Theater 144 Vgl. den Titel von Angulo Egeas Monographie (2006): Luciano Francisco Comella (1751-1812). Otra cara del teatro de la Ilustración. 145 Jehle (2010: 117). 146 Vgl. Topete, Jorge Alberto (1981): El neoclasicismo del teatro de Comella. Ann Arbor: University Microfilms International. 147 Memorial literario, instructivo y curioso de la Corte de Madrid. Ed. de Mayo 1790. Madrid: Imprenta Real, pp. 134-146. 284 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ein ‚Deklamationstheater‘ im eingangs skizzierten Sinne (vgl. Kap. 4). Ähnlich gestaltet sich Fulda zufolge das deutsche Reformtheater, „das vor allem über die Figurenrede zu wirken strebte und überdies eng an gedruckt vorliegende Texte gebunden wurde“148. Mit dem Fokus des reformierten Theaters auf dem gesprochenen Text geht eine Entwicklung auf der Ebene der Inszenierungspraktiken einher, die wesentlich auf Diderots Konzept der ‚vierten Wand‘ basiert.149 Nicht nur in Frankreich, sondern von Spanien bis ins geografisch weit entfernte Norddeutschland vollzieht sich eine zunehmende Trennung von Zuschauer- und Bühnenraum. Im norddeutschen Reformtheater, an dessen Entstehung Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)150 maßgeblich beteiligt ist, wird diese Trennung durch eine Veränderung in der Beleuchtungspraxis herbeigeführt: Können sich die Menschen im Theaterpublikum des 17. Jahrhunderts aufgrund des auch während der Aufführung beleuchteten Saales noch gegenseitig betrachten, wird eben dieser Zuschauerraum nun im 18. Jahrhundert abgedunkelt und allein die Bühne beleuchtet, was die Aufmerksamkeit der Betrachter fort vom Saalgeschehen und hin zum Bühnengeschehen lenken soll.151 Auch hinter dieser Maßnahme verbirgt sich die Absicht, die pädagogische Wirkung des an moralischen Lehren reichen Reformtheaters zu verstärken. Auf spanischen Bühnen geht es vor allem ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts darum, die Kontinuität zwischen 148 Fulda (2009: 83). Vgl. Diderot, Denis (1821 [1758]): „Discours sur la poésie dramatique: XI. De l’intérêt“. In: idem. Œuvres de Denis Diderot. Théâtre. Paris: J.L.B. Brière, pp. 492-501, hier p. 500: „Imaginez sur le bord du théâtre un grand mur qui vous sépare du parterre; jouez comme si la toile ne se levait pas.“ 150 Lessing hat Diderots drame bourgeois Le Fils naturel ins Deutsche übertragen und ist von Diderots Theaterkonzept angetan. Er entwickelt daraus das ‚bürgerliche Trauerspiel‘, dessen Merkmale er in seinem zweibändigen theoretischen Werk Hamburgische Dramaturgie (1767-1769) erläutert. Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim (1767-1769): Hamburgische Dramaturgie, vols. I & II. Hamburg u.a.: Cramer. Mit seinem Fokus auf dem Sentimentalen, den Lessing mit Diderot teilt, widerspricht Lessing der rein rational ausgerichteten Theaterreform Johann Christoph Gottscheds (1700-1766), die Gottsched zwischen 1733 und 1734 in Erste Gründe der gesammten Weltweisheit darinn alle philosophische Wissenschaften in ihrer natürlichen Verknüpfung abgehandelt werden. Zum Gebrauch Academischer Lectionen entworfen, vol. I von II. Leipzig: Breitkopf ausführt. 151 Vgl. Fulda (2009: 83). 149 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 285 Zuschauer- und Bühnenraum zu durchbrechen.152 Dies geschieht unter anderem mittels der aus Italien importierten Technik der veduta ad angolo.153 Im Gegensatz zu der zuvor auf der Bühne vorherrschenden Zentralperspektive, die die Blicke der Zuschauenden zur Bühnenmitte hin bündelt, bewirkt die so genannte ‚Angularperspektive‘ eine ‚Vervielfachung des optischen Zentrums‘154, das sich nun in mehrere Fluchtpunkte aufsplittert. Zunächst beim höfischen Theater eingeführt und dort insbesondere bei Opernaufführungen angewandt, wird diese Technik später von kommerziell orientierten Theatern imitiert. Die Angularperspektive konzipiert die Bühne als einen vom Bereich des Publikums ‚unabhängigen Raum‘155. Beide Techniken, die Verdunklung des Zuschauerraumes und die Streuung des optischen Zentrums führen dazu, ‚dass sich die Illusion einstellt, es gäbe weder bespielten noch gespielten Raum, sondern nichts als einen Realitätsraum‘156. Das Publikum wird durch seine Identifikation mit dem Geschehen auf der Bühne – zumindest in seiner Vorstellung – in den Aktionsraum der Figuren ‚hineingesogen‘. Im gleichen Maße, wie das spanische und deutsche Reformtheater der zweiten Jahrhunderthälfte die heterotopen Räume und übernatürlichen Welten des Barocktheaters von ihren Bühnen verbannen, wird auch die eigentliche ‚Theatralität‘ im Sinne des Inszenierungscharakters aus der Aufführungspraxis getilgt. Paradoxerweise erinnert diese im protestantischen Norddeutschland ebenso wie im katholischen Spanien angewandte Praxis an die Argumente evangelischer Reformatoren: Auch diese wollen die prunkvolle Ausstattung der Gotteshäuser aus Gründen einer besseren Fokussierung der Gottesdienstbesucher auf die auf der Kanzel verbreitete Lehre zugunsten einer schlichten Innenausstattung abschaffen. Wenn also die vielgestaltigen und fantastischen Welten des Barocktheaters – zumindest nach den Vorstellungen der Theaterreformer – neuen Inszenierungspraktiken weichen sollen, rückt damit nicht nur die über die Figurenrede transportierte 152 Vgl. Arreguí, Juan P. (2000): „Algunas consideraciones acerca de la conformación técnica de la pintura teatral española en el siglo xix“. In: Espéculo, 14, pp. 1-29. Quelle: https://webs.ucm.es/info/especulo/numero14/escenog.html, Zugriff: 17.02.2022. Ohne Paginierung in der hier verwendeten digitalen Fassung. 153 Vgl. Arreguí (2000: 7). 154 Arreguí (2000: 7), meine Übersetzung. 155 Arreguí (2000: 7), meine Übersetzung. 156 Fulda (2009: 83). 286 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien moralische Lehre, sondern auch die Inszenierung des beruflichen und privaten Alltags des gewerbetreibenden Bürgertums auf der Handlungsebene in den Mittelpunkt. Was den Wirkungsgrad der neuen Inszenierungspraktiken des spanischen Reformtheaters anbelangt, muss darauf hingewiesen werden, dass der Großteil der Bühnen der Epoche aus den barocken Theaterbauten der corrales besteht, aus an den Seiten überdachten Innenhöfen also, in denen eine durch Beleuchtung erfolgende optische Trennung zwischen aposentos, tertulia, cazuela, dem unter freien Himmel befindlichen patio und dem Bühnenraum schon allein aus technischen Gründen nicht möglich ist.157 Der Umstand, dass die Handlung sich im neoklassischen und sentimentalen Theater auf den Innenraum des bürgerlichen Hauses hin zentriert, veranschaulicht das von Habermas und Lukacs dem Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts zugeschriebene Bedürfnis nach Innerlichkeit. Von einem „énfasis en acotar y reglementar un espacio de ‚privacidad‘ en torno a la familia, que se entendía cada vez más como el pequeño círculo formado por la pareja y los hijos“ im 18. Jahrhundert in Spanien spricht auch Bolufer Peruga.158 Die von ihr beschriebene ‚Absteckung‘ eines familiären Raum des Privaten, der das Konzept der Familie zunehmend auf die ‚Kernfamilie‘ von Eltern und Kindern einengt, entspricht Riehls Beobachtung, das „Haus als Inbegriff einer sozialen Gesamtpersönlichkeit, das ‚ganze Haus‘“, habe in der Epoche der Aufklärung und danach „der Vereinzelung der Familie weichen müssen“.159 In der Alltagswirklichkeit der Epoche manifestiert sich das von Habermas und Lukacs konstatierte bürgerliche Bedürfnis darin, dass den einzelnen Räumen des Hauses noch vor dem 17. Jahrhundert keine spezifischen Funktionen im Sinne von Schlaf-, Arbeits- und Aufenthaltsräumen zugewiesen werden. Im anbrechenden 18. Jahrhundert hingegen durchlaufen bestimmte Zimmer eine zuvor nicht gekannte ‚Privatisierung‘. Lukacs veranschaulicht dies für Frankreich anhand 157 Vgl. Arreguí (2000: 7f.). Bolufer Peruga (1998: 272ff.), die anhand ehelicher Ratgeberliteratur des spanischen 18. Jahrhunderts konstatiert, dass die Familie zunehmend als „sinónimo de privacidad, refugio frente al mundo exterior“ konzipiert werde. 159 Riehl, Wilhelm Heinrich von (1851): Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, vol. III: Die Familie. Stuttgart: J.G. Cotta’scher Verlag, p. 156. 158 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 287 der Nomenklatur der Räume, die dort bereits im 17. Jahrhundert eine entscheidende Veränderung erfahren: Das Schlafzimmer ist damals der einzige Raum, der statt als „salle“ als „chambre“ bezeichnet wird.160 Was die Terminologie im spanischen 18. Jahrhundert anbelangt, gelangt Máximo García Fernández zu vergleichbaren Erkenntnissen, wenn er anmerkt, dass bezüglich des Empfangsraums des bürgerlichen Hauses der Begriff „sala“ seinerzeit den zuvor gebräuchlicheren Terminus „aposento“ abzulösen beginnt. Während die Bezeichnung „aposento“ dem aus heutiger Sicht dem Wohnzimmer entsprechenden Raum eine repräsentative und offizielle Funktion zuweist, legt der Begriff „sala“ eine Privatisierung nahe.161 García-Fernández zufolge ist dieser Wandel der Begrifflichkeiten auf eine graduelle und wachsende Trennung von privatem und öffentlichem Raum zurückzuführen, die vor allem am Beispiel des bürgerlichen Hauses ersichtlich wird.162 Auch bei Habermas ist für den deutschsprachigen Raum von einem „Prozess der Privatisierung“163 die Rede, der das Haus für die einzelnen wohnlicher, für die Familie aber enger und ärmer werden lässt. Die großfamiliale „Öffentlichkeit“ der Wohnhalle, in der die Frau des Hauses an der Seite des Hausherrn vor Gesinde und Nachbarschaft repräsentiert, weicht der kleinfamilialen des Wohnzimmers, wo die Ehegatten mit ihren unmündigen Kindern sich vom Personal absondern.164 In der spanischen sentimentalen Komödie des ausgehenden 18. Jahrhunderts manifestiert sich die wachsende Bedeutung des privaten Raums – der in den hier analysierten Komödien stets die Schnittstelle zum Bereich des Geschäftlichen und zur Außenwelt bildet – vor allem in den in den Nebentexten gegebenen Anweisungen zur Bühnenausstattung. Diese dienen dazu, den persönlichen Neigungen und den Geschmäckern der Bewohner und den daraus abzuleitenden Charaktereigenschaften Ausdruck zu verleihen. Wie sich im Folgenden 160 Vgl. Lukacs (1972: 200). Vgl. García-Fernández (2011: 408). 162 García-Fernández (2011: 408). 163 Habermas (1969: 57) mit Bezug auf Riehl (1851: 185). 164 Habermas (1969: 57) mit Bezug auf Riehl (1851: 185). 161 288 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zeigen wird, erweisen sich die Bühnenanweisungen so als Mittel der impliziten Figurencharakterisierung. 5.3.1. Das bürgerliche Haus als Schnittstelle von Privatem und Geschäftlichem in El hombre agradecido Deutlich wurde die Funktion der Bühnenanweisungen zur impliziten Charakterisierung der auf der Bühne agierenden Figuren in dem bereits betrachteten Textauszug aus El hombre agradecido, den wir uns nun vor dem Hintergrund der im 18. Jahrhundert gestiegenen Bedeutung des Innenraums des Hauses als Ausdruck bürgerlicher ‚Innerlichkeit‘ noch einmal vergegenwärtigen wollen: El Teatro representa una pieza de una alhajada con sus espejos de vestir naturales, y sus mesas, cornucopias, arañas de cristal en medio, taburetes decentes, mesa á un lado con su recado de escribir y una papelera. En el fondo de la pieza habrá una puerta, que introduce á un quarto decente. Encima de la mesa habrá un relox. 165 Inwieweit die Anweisungen zur Gestaltung des Bühnenraums das die Handlung motivierende Dilemma veranschaulichen und dem verschwenderischen Charakter der petimetra Blasa Ausdruck verleihen, wurde bereits ausgeführt. Die Uhr dient in diesem Zusammenhang nicht nur als Indikator und Platzhalter für die über Wohl und Wehe des Haushaltes entscheidende Zeitschere als ‚Unbekannte‘ in der kaufmännischen Kostenkalkulation. Sie fungiert darüber hinaus als Schnittstelle, die den privaten Innenraum des Hauses mit den Unwägbarkeiten des Außen verzahnt.166 Wie Chris Roulston in seiner Studie über eheliche Ratgeberliteratur des englischen 18. Jahrhunderts ausführt, ist die Ehe seit der Renaissance vorrangig nach räumlichen Gesichtspunkten konzipiert, was dem Haus als dem die eheliche Gemeinschaft definierenden 165 Comella (1796: 1). Das Konzept der Dialektik von Innen und Außen gründet sich auf Bachelards Essay über das Haus der Kindheit als Erinnerungsraum. Vgl. Bachelard, Gaston (1957): Poétique de l’espace. Paris: Presses universitaires de France. 166 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 289 Raum geschuldet ist.167 Auch er konstatiert einen sich im 18. Jahrhundert vollziehenden Wandel, den er darin gegeben sieht, dass die Frau nun durch die Wahl von Ausstattungsgegenständen wie Mobiliar, Lampen, Spiegel und Heimtextilien beginnt, den ehelichen Raum nach ihrem persönlichen Geschmack zu gestalten.168 Daher resümiert Roulston: „[...] spatial rather than temporal matters became central to the conception of the ideal bourgeois marriage, often cast in terms of boundaries of inside and outside“169. Damit definiert er die Ehe – und das Hausinnere als ihren Schauplatz – als die eingangs benannte Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum. Eben diese Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Privatem, Innen und Außen identifiziert Angulo Egea als Charakteristikum der „nueva sociedad burguesa“ der spanischen Aufklärung, die bestrebt gewesen sei, Kontrolle über beide Sphären zu gewinnen.170 In diesem Sinne ist Blasas opulente Ausgestaltung des häuslichen Raumes zugleich Ausdruck ihrer Kontrolle über die eheliche Gemeinschaft in Form einer ‚weiblichen Tyrannei‘. Dass sie darüber hinaus auch über die Zeit als bestimmenden Faktor des kaufmännischen Geschäftslebens frei verfügt, wie dies das Requisit der Uhr zusammen mit ihrem Zuspätkommen vor Augen führt, dient als Indiz der in Comellas (und vielen neoklassischen) Komödien dominierenden Grundkonstellation der domus perversa (s.o.). Die Unfähigkeit des ‚gefallenen‘ Kaufmanns Lorenzo, den exzessiven Konsum seiner Gattin zu kontrollieren, illustriert zum einen das Versagen der männlichen Herrschaft und indiziert damit eine ‚Krise der Männlichkeit‘.171 Zum anderen bedingt die durch Lorenzos Handlungsunfähigkeit repräsentierte 167 Vgl. Roulston, Chris (2008): „Space and Representation of Marriage in Eighteenth-Century Advice Literature“. In: The Eighteenth Century, 49, 1, pp. 25-41, hier pp. 26f. 168 Vgl. Roulston (2008: 26f.). Auch Bolufer Peruga (1998: 180) spricht in Bezug auf das ausgehende 18. Jahrhundert in Spanien von einer Entwicklung hin zu einer „mayor comodidad y una ‚estetización‘ de la vida cotidiana“. 169 Vgl. Roulston (2008: 28). 170 Angulo Egea (2006: 333). 171 Eine solche ‚Krise der Männlichkeit’ konstatiert Christian von Tschilschke auch in Bezug auf Gálvez Komödie La familia a la moda. Vgl. Tschilschke (2014: 283ff.) und Tschilschke, Christian von (2012b): „Quer zu Queer. Transgressionen der Geschlechter im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts“. In: Fenske, Uta/Schuhen, Gregor (eds.). Ambivalente Männlichkeit(en). Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive. Opladen: Budrich, pp. 181-198. 290 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Leerstelle männlicher Autorität, die später durch Bruno gefüllt wird, die Bedrohung des oikos durch den ökonomischen und gesellschaftlichen Ruin, der neben der Übeltäterin und ihrem Gatten auch Lorenzos unbescholtene Schwester Antonia sowie die Dienerschaft einschließt. Inwieweit von einem solchen Ruin nicht nur dieser Haushalt und dieses Geschäft, sondern durch einen Dominoeffekt auch dessen Geschäftspartner bedroht sind, wird in Comellas Komödie nicht thematisiert, wohl aber in anderen um den Kaufmann kreisenden Komödien der Epoche wie El fabricante de paños, o el comerciante inglés, ein Stück, das hier im Folgenden ebenfalls einer näheren Betrachtung unterzogen wird. Blasas ‚Individualisierung‘ und Verinnerlichung des privaten Raums über luxuriöse Ausstattungsgegenstände erscheint also in Comellas Stück ausschließlich als Moment der Gefährdung von Ordnung und oikos, wobei die Herrschaft des männlichen Familienoberhauptes als natürliche, durch die petimetra nur vorübergehend außer Kraft gesetzte Ordnung der Dinge erscheint. Da dieser oikos al revés in der Lage ist, in einer Kettenreaktion Unschuldige mit ins ökonomische und soziale Verderben zu ziehen, erscheint er umso mehr als gesamtgesellschaftliches Risiko, was für die moralische Lehre des Stückes entscheidend ist. Wie die meisten Dramatiker der zweiten Hälfte des spanischen 18. Jahrhunderts schlägt sich der populäre Autor Comella damit in der Debatte um Für und Wider des Luxus auf die (konservative) Seite der Kritiker,172 was aufgrund der Nähe des populären Theaters und insbesondere des teatro breve zum casticismo, einer im Volk verbreiteten konservativen Werthaltung, nicht weiter verwunderlich ist. Bemerkenswert ist in Bezug auf Comellas El hombre agradecido, dass die ‚rechte Ordnung der Dinge‘ im Sinne der Wiederherstellung der patriarchalen Autorität durch das entschiedene Einschreiten des Ordnungsstifters Bruno zwar für das Innen reetabliert werden kann, während das Außen ein ambivalenter Raum voller Unwägbarkeiten bleibt, in dem ebenso Vergnügungen locken (vgl. den Ball, auf dem Blasa verweilt) wie der Kerker droht (vgl. die Inhaftierung Lorenzos). Damit bleibt die patriarchale Autorität als Gendermerkmal des vir oeconomicus zwar im Innenraum des oikos funktional, im Außen hingegen erweist sie sich als begrenzt. Die von Lukacs und Habermas als 172 Dies ist Huerta Viñas (1991: 187) zufolge auch in Comellas El hombre singular der Fall, wo es Kapitän Lievens ist, der eine luxuskritische Haltung einnimmt. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 291 epochentypisch konstatierte Tendenz des Bürgertums zur Innerlichkeit offenbart sich also auch in spanischen sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung. In Bezug auf eine damit in Verbindung stehende Raumökonomie erweist sich paradoxerweise das Innen als wirtschaftlicher Handlungsspielraum, in dem sich sich die ‚Finanzspritzen‘ und Ratschläge für ‚gutes Wirtschaften‘ des Ordnungsstifters Bruno als wirksam erweisen. Die Risiken des Außenraums bleiben hingegen in El hombre agradecido ebenso unkalkulierbar wie die Unwägbarkeiten der Zeitschere. 5.3.2. Das szenische Mittel des Briefes in Gaspar Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793) In Gaspar Zavala y Zamoras 1784 uraufgeführter173 sentimentaler Komödie El triunfo del amor y de la amistad, Jenwal y Faustina (1793) manifestiert sich die – in diesem Falle vorteilhafte – ökonomische Situation des für das Stück zentralen Kaufmanns und Protagonisten Darmont ebenfalls über die im Nebentext gegebenen Bühnenanweisungen: „La acción pasa en Bristol. La escena es en un departamento de la casa de Darmont, en que habrá dos bufetes con escribanías, libros de caxa, algunos legajos de correspondencia, una pequeña mesa de juego, y buena sillería.“174 Die Handlung ist nicht in Spanien angesiedelt, sondern mit der Küstenstadt Bristol im fernen England, was zum einen eine offensichtliche Referenz auf den Intertext des London Merchant darstellt; zum anderen tritt darin die bereits erwähnte ‚Anglomanie‘ als Modeerscheinung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und Charakteristikum des Theaters Zavala y Zamoras hervor, das durch englische Prosatexte175 wesentlich beeinflusst wurde, darunter Richardsons 173 Vgl. García Garrosa (1991: 1). Zavala y Zamora, Gaspar (1813): El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina: comedia original en prosa en tres actos. Valencia: Ildefonso Monpié de Montaguado. Quelle: Fondos digitales de la Universidad de Sevilla. https://archive.org/details/A25023514, Zugriff: 13.08.2022, p. 1. 175 Vgl. zu den englischen Erzähltexten, die Zavala y Zamora als Vorlage für seine Dramen dienten, García Garrosa, María Jesús (2011): „Gaspar Zavala y Zamora y la sociedad inglesa: El amante honrado: adaptación dramática de la novela Memoirs of Miss Sidney Bidulph”. In: Dieciocho 34, 1, p. 7-28, hier pp. 7f. Weitere in England angesiedelte Dramen Zavala y Zamoras sind neben El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina 174 292 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Clarissa: or the History of a Young Lady (1748), ein Roman, der sich auch für Valladares de Sotomayors El fabricante de paños als einflussgebend erweist.176 Wenn McClelland El triunfo del amor y la amistad ebenfalls als eine der zahlreichen Adaptationen des London Merchant identifiziert und auf Mercier zurückführt (s.o.), stellt sie damit zugleich die Thematik des Kaufmanns als das für das Stück charakteristische Element in den Vordergrund. Unter den dramatis personae wird Darmont als „cambista“, also als „Geldwechsler“ bezeichnet. Er kann insofern dem Kaufmannsstand zugerechnet werden, als der Handel im 18. Jahrhundert, wie Gervais betont, weniger durch monetäre Zahlungen als über Wechsel abgewickelt wurde.177 Darmont ist in diesem Sinne ein Kaufmann, der mit Wechseln handelt. Das Stück enthält wesentliche Elemente des populären Theaters,178 zeigt aber auch die Entwicklung Zavalas und Zamoras, der sich seit den 1780er Jahren zunehmend der Inszenierung des Ökonomischen und der Arbeit in der sentimentalen Komödie widmet179 und sich damit ebenso von moralideologischen Folien des barocken Theaters wie vom feudalen Ehrbegriff löst, der etwa in El vinatero de Madrid (1784) noch deutlich präsent ist. Auch in dieser nach englischem Vorbild gestalteten populären sentimentalen Komödie leisten die Vorgaben des Nebentextes zur Gestaltung des häuslichen Innenraums eine implizite Charakterisierung der für die Handlung zentralen Figur des Kaufmanns Darmont. Die auf (1793) die Komödien Las víctimas del amor, Ana y Sindhám (1789), La hidalguía de una inglesa (1790) und Eduardo y Federica (1811). Vgl. García Garrosa (2011: 11). 176 Vgl. Fuentes (1999: 5; 297ff.). 177 Vgl. Gervais (2008: 468), s.o. 178 Diese Elemente aus dem populären Theater sind vor allem im Humor des Stückes auszumachen, aber auch in den teils respektlosen Äußerungen, die die Dienerin Enriqueta und Smirn, ein Freund Jenwals, über Hausgäste und Herrschaft tätigen. 179 Vgl. Fernández Cabezón (1996: 338). Als Beispiele für ein solches sentimentales Theater der Ökonomie bei Zavala y Zamora führt Fernández Cabezón neben El triunfo del amor auch folgende Stücke an: Eduardo y Federica (1811) als Lob der Industrie; El amor perseguido y la virtud triunfante (1792) als Lob der ihrer Scholle verpflichteten Landarbeiter; El premio de la humanidad (1790); El perfecto amigo (1790d); die von einer französischen Erzählung inspirierte Komödie El caldero de San Germán o El mutuo agradecimiento (1790b); Las víctimas del amor. Ana y Sindhám (1788) sowie El amor constante o La holandesa (1787) als Lob der Arbeit; El naufragio feliz (o.J.), El amor dichoso (1790a) und El rey Eduardo (1804), die sich der Thematik des (Übersee-)Handels annehmen sowie Sélico y Berisa (1799), ein Stück, in dem es um den Sklavenhandel geht. Alle zitiert in Fernández Cabezón (1996: 343ff.). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 293 der Bühne vorrangig präsenten Utensilien des Geschäftslebens wie „escribanías“, „libros de caxa“ und „legajos de correspondencia“ informieren das Publikum über den Umstand, dass der Hausherr ein umtriebiger Geschäftsmann ist.180 Allein der – zudem kleindimensionierte – Spieltisch verweist auf den sich in Maßen haltenden Sinn Darmonts für das Vergnügen und ist zugleich ein Ausdruck seiner Geselligkeit, die den Kaufmann zudem als hombre de bien181 ausweist. Eingebettet in den Schauplatz des durch das Geschäftliche dominierten Innenraums des Kaufmannshaushaltes ist der für die Komödie charakteristische Liebesplot. Dieser rankt sich um die zunächst aussichtslose Liebe des mittellosen Kassierers Jenwal zu Darmonts Tochter Faustina. Letztere ist dem betrügerischen Vangrey versprochen, einem nach dem Vorbild von José Cadalsos Satire Los eruditos a la violeta (1772) konzipierten falschen Gelehrten,182 der Darmont den betrügerischen Bankrott als probates Mittel gegen die finanzielle Misere nahelegt.183 Dieser Vorschlag wird von Darmont als ehrbarem Repräsentanten des Kaufmannsstandes entschieden zurückgewiesen. Bevor nun, wie im Titel angekündigt, ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ über die ökonomisch begründeten Zweifel des Vaters an Jenwals Eignung zum künftigen Gatten184 seiner geliebten Tochter ‚triumphieren‘, ist es das szenische Mittel des Briefes, das dazu dient, die Handlung zu beschleunigen und die für die Komödie charakteristischen 180 Vgl. zu diesem Stück auch die Analyse von Fernández Cabezón (1996:355ff.), die mit Verweis auf Pataky-Kosove (1978: 87) zeigt, inwiefern diese Komödie „interesantes detalles en relación con el comercio y las finanzas“ enthält. 181 Fuentes (1999: 71) definiert das aufklärerische Gesellschaftsideal des hombre de bien anhand des es auszeichenden Gleichgewichts von Vernunft und Gefühl: „Junto a la razón y lógica, que ordena desde lo simple hasta lo complejo, existe la fuerza del sentimiento, y la simbiosis y perfecto equilibrio entre razón y emoción, caracterizaría al hombre de bien.“ 182 Die Figurenrede Vangreys gestaltet sich als eine wirre Aneinanderreihung von Namen und lateinischen Zitaten. So zitiert er im Gespräch mit Darmont und Faustina Pythagoras, den heiligen Elian und die Oden des Horaz, ohne dass dies für seinen Gesprächspartner einen Sinn ergäbe: „Justum, ac tenacem, propositi virum, etc., dixo Horacio.“ Zavala y Zamora (1813: 3). 183 Vgl. hierzu auch Fernández Cabezón (1996: 356) und García Garrosa (1990: 161). 184 Vgl. zur Haltung Darmonts gegenüber Jenwal die Äußerung Smirns: „[...] Darmont hace lo que debe, en no casar à su hija con un pobre trompeta.“ Zavala y Zamora (1813: 8). 294 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Glückswechsel herbeizuführen.185 Zugleich erfüllt der Brief in Zavala y Zamoras Komödie die Funktion, das private Liebesglück Jenwals und Faustinas mit der auch hier als bedrohlich und unberechenbar dargestellten Außenwelt zu verbinden. Im Laufe der im Stück mehrfach erfolgenden Briefwechsel erweist sich das private Wohl und Wehe Jenwals und Faustinas als von den Ereignissen der geschäftlichen Außenwelt wesentlich abhängig. Auch in diesem Stück kommt der Aspekt der Zeitschere zwischen kalkuliertem und tatsächlichem Wareneingang ins Spiel und führt insofern eine dramatische Wende herbei, als die Schere sich hier eben nicht schließt, da das Schiff mit Darmonts Vermögen Schiffbruch erleidet.186 Im Zusammenhang mit den zahlreichen Glückswechseln in Zavala y Zamoras Komödie erweist sich das Medium des Briefes als zentral: So erfährt Darmont durch einen Brief von dem für das Stück entscheidenden Schicksalsschlag seines Bankrotts;187 ein Brief ist es auch, der Kunde über einen zugunsten des Hauses Darmont ausgestellten Wechsel über 2.000 Pfund Sterling bringt, der die Tilgung einer geschuldeten Summe ermöglicht, aufgrund derer Darmont im Gefängnis ausharrt.188 Angesichts der Funktion des Briefes als Medium, das die der Komödie zugrundeliegenden Glückswechsel wesentlich motiviert, erscheint es nicht verwunderlich, dass auch das glückliche Ende durch einen Brief herbeigeführt wird. 189 185 Der Brief ist ein im Theater Zavala y Zamoras häufig anzutreffenden Element, das dazu dient, Handlungsumschwünge zu rechtfertigen. 186 Vgl. hierzu auch García Garrosa (1993: 689): „Darmont [...] ha quabrado por el naufragio del buque que llevaba su fortuna a su cuenta de Jamaica.“ 187 Vgl. Zavala y Zamora (1813: 13). 188 Vgl. Zavala y Zamora (1813: 18). 189 Auch in den ökonomiebezogenen Komödien Valladares de Sotomayors spielen Briefe eine Rolle, z.B. in El fabricante de paños, wo die schriftliche Nachricht ebenfalls als dramatisches Mittel dient, über das Wendungen der Handlung vermittelt werden, etwa der intendierte Selbstmord des bankrotten Textilfabrikanten Wilson, in dem er zunächst seinen Konkurrenten, Milord Orcey, ersucht, sich nach Wilsons Tod dessen Witwe und seiner Kinder anzunehmen und dann, in einem weiteren Brief, seine Gattin über seinen Entschluss in Kenntnis setzt, sich das Leben zu nehmen. Vgl. Valladares (o.J.: 22, vv. 482-490): „Adios mi querida Fania. / [...] / El nudo que esta mañana nos unió [...] / y que fue por mi desgracia / tan fatal para tu dicha, / estará deshecho cuando / llegues a ver estas líneas, / pues ya habré muerto.” Eine regelrechte Häufung von Briefen und Dokumenten, die gegen Ende der Komödie einen Überschuss an Wendungen herbeiführen, findet sich in El vinatero de Madrid. Vgl. hierzu auch Guinard, 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 295 Angulo Egea betrachtet den Brief und seine Inszenierung im sentimentalen Theater des spanischen 18. Jahrhunderts als zentrale Ausdrucksform der für das aufstrebende Bürgertum der Epoche charakteristischen Kopplung von Öffentlichem und Privatem.190 Zugleich befriedigt der Brief ihr zufolge das Bedürfnis des bürgerlichen Publikums nach Intimität als Ausdruck von Gefühl191, was mit Habermas‘ These vom bürgerlichen Bedürfnis nach Innerlichkeit im Einklang steht. Diesem Bedürfnis nach Intimität wird Genüge getan, wenn Liebesbriefe von den Figuren auf der Bühne laut vorgelesen werden und so die Gefühlswelten der Protagonisten enthüllen. In El triunfo del amor fällt demgegenüber auf, dass der Brief zwar die Liebeshändel der zentralen Figuren mit der Welt des Handels verbindet, nicht aber zur Übermittlung von Liebesbotschaften dient. Die einzige Liebesbotschaft in Zavala y Zamoras Komödie ist eine mündliche Nachricht, die Jenwals Freund Smirn der Angebeteten übermitteln soll. Dummerweise entfällt dem Liebesboten der Inhalt aber just in dem Moment, in dem er Faustina gegenübersteht, was für ein komisches Moment sorgt.192 Gerade der letzte, so bedeutsame Brief des Stückes, durch den Jenwal schließlich Faustinas Hand gewinnt, offenbart die Funktion des Dokumentes als Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem, individuellem Liebesglück und besonnenem geschäftlichem Taktieren. Das von Darmont verlesene Schriftstück lautet wie folgt: [...] Un hombre sensible á vuestras desgracias, no puede aliviarlas sino en la parte de daros libertad a costa de la suya. No os sea doloroso su sacrificio, pues á él se le hacen agradables mil circunstancias, ni discurrais cómo agradecerle; pues lo único que pudiera recompensarle, era la mano de la virtuosa Faustina.193 Wie wir schon erahnen, verbirgt sich hinter diesem geheimnisvollen Schreiben des anonymen Retters, der um Faustinas Hand Paul Jacques (1981): „La mésalliance éludée dans El vinatero de Madrid de Valladares de Sotomayor (1784)“. In: Ibérica: collection, III, pp. 151-166, hier p. 161: „[...] un coup de théâtre chasse l’autre.” García Garrosa (2022: 134) nennt mit Los franceses generosos ein Stück von Valladares, in dem der Wechselbrief eine Rolle spielt. 190 Vgl. Angulo Egea (2006: 328). 191 Vgl. Angulo Egea (2006: 333). 192 Vgl. Zavala y Zamora (1813: 20). 193 Zavala y Zamora (1813: 23). 296 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien bittet, Jenwal, der Darmonts Platz im Gefängnis eingenommen und sich damit eine günstige Verhandlungsposition im zuvor für ihn aussichtslosen Geschäft des Ehehandels verschafft hat. Was Jenwal hier seinem Dienstherrn unterbreitet, ist ein wohlkalkulierter Tauschhandel: Die Hand Faustinas wird dabei zur Ware, die Jenwal nur deshalb einfordern kann, weil er sich einerseits seiner durch den Brief als mittelbare Form der Kommunikation gewährleisteten Anonymität sicher sein kann, und weil andererseits sein auf den ersten Blick zwar altruistisches, auf den zweiten Blick aber berechnendes Handeln, im Gefängnis für Darmont zu bürgen, eine der vermeintlichen Aufopferung ebenbürtige Gegengabe seitens des Kaufmanns notwendig macht. Auf der Handlungsebene des Stückes wird eine Tugend gegen eine andere getauscht: Jenwals (nur vermeintlich) tugendhafte Handlung repräsentiert dort den angemessenen Gegenwert zur tugendhaften Faustina. Die Liebe richtet sich nach den Prinzipien der Geschäftswelt, stellt sich die Ehe doch als ein Handel dar, den es klug und zuweilen auch unter Anwendung von Listen abzuschließen gilt. Dass Faustina – als Stellvertreterfigur weiblicher Bürgerlichkeit – in diesem Tauschgeschäft unter Männern immer noch unter Wert ‚verkauft‘ wird, zeigt der Umstand, dass eine einzige, zudem noch aus Berechnung erfolgende Tat Jenwals in der Lage ist, Faustinas tugendhaften Charakter aufzuwiegen. Jenwals berechnendes Verhalten wird im Stück nicht weiter hinterfragt, was in der Tradition der seit der Antike geltenden Konzeption der Ehe als Geschäft steht. 5.4. Soziales Kapital: Von der guten und schlechten Ökonomie der Affekte Nach dem Modell der durch die Politische Ökonomie der Bourbonen angestoßenen wirtschaftlichen Reformdiskurse sind in den im Folgenden untersuchten Stücken auch die Affekte modelliert. Wie Susanne Schlünder anmerkt, markiert das 18. Jahrhundert „ein historisches Schwellenmoment“ 194, in dem nicht nur „jene Wissensbestände Konturen gewinnen, die John Stuart Mill später unter dem 194 Schlünder, Susanne (2018a): „Einleitung“. In: eadem/Stahl, Andrea (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp. 7-17, hier p. 8. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 297 Schlüsselbegriff der politischen Ökonomie bündelt“ 195, sondern in dem auch ein „Wandel zeitgenössischer Affektkonzeptionen und herrschender Affektregime“196 zu verzeichnen ist. Suggeriert die „Zusammenführung von Affekt und Ökonomie zum Begriff der Affektökonomie“ Andrea Stahl zufolge „eine mögliche Übertragung ökonomischer Kategorien auf den Bereich des Affektiven“197, erscheint auch ihr vor diesem Hintergrund die Frage virulent, „wie das Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik für affektökonomische Konzeptionen zu denken ist“198. Im Hinblick auf eine der sentimentalen Komödie zugrundeliegende Ökonomie der Affekte, die mit den in dieser Gattung verhandelten wirtschaftlichen Diskursen und Handlungen im Zusammenhang steht, ist zu vermuten, dass gerade dort emotionale Überschüsse in Form überbordender Gefühle erwirtschaftet werden. Schomacher kritisiert ihrerseits am herkömmlichen Verständnis des Begriffs der ‚Affektökonomie‘199, dass es sich allein auf das Haushalten mit Affekten selbst beziehe – auf die „Gestaltungskompetenz affektiver Großwetterlagen“ oder auf das Verhältnis eines „physischemotionalen Istzustands mit verschiedenen Sollzuständen“, statt um ein „Handeln mit Geld oder Gütern seitens der Akteure“,200 das dazu führen könne, dass zuweilen heikle Transaktionen zu Auslösern 195 Schlünder (2018a: 8). Schlünder (2018a: 8). 197 Stahl, Andrea (2018): „Affekt und Ökonomie: Kontexte, Voraussetzungen, Folgerungen“. In: eadem/Schlünder, Susanne (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp. 19-30, hier p. 19. 198 Stahl (2018: 21). 199 Vgl. Schomacher (2021: 309f.). So kritisiert sie etwa die Konzeption einer dergestaltigen Affektökonomie bei Balke, Friedrich (2001): „Mediumvorgänge sind unwichtig.‘ Zur Affektökonomie des Medialen bei Fritz Heider“. In: Keck, Annette/Pethes, Nicolas (eds.). Mediale Anatomien. Menschenbilder als Medienprojekionen. Bielefeld: transcript, pp. 401-412; Küpper, Joachim/Rautzenberg, Markus/Schaub, Mirjam (2013): The Beauty of Theory: Zur Ästhetik der Affektökonomie von Theorien. Paderborn: Fink; Wachendorff, Elke (2016): „Affektökonomien. Großer Stil und niedere Heilkunst. Nietzsche contra Wagner“. In: Georg-Lauer, Jutta/Reschke, Renate (eds.). Nietzsche und Wagner. Perspektiven ihrer Auseinandersetzung. Berlin: De Gruyter, pp. 82-93; Zill, Rüdiger (2010): „Kaltes Herz und kühler Kopf. Coolness und andere Formen der Affektökonomie“. In: Gronau, Barbara/Lagaay, Alice (eds.). Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion. Bielefeld: transcript, pp. 95-113 sowie Schlünder/Stahl (2018). 200 Schomacher (2021: 309). 196 298 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien bestimmter Affektlagen würden.201 In den hier untersuchten Beispielen sentimentaler Komödien der spanischen Spätaufklärung sind ökonomische Vorgänge nicht nur affektauslösend, vielmehr sind Wirtschafts- und Affektverhalten untrennbar miteinander verwoben: Wer nicht (gewinnbringend) mit Gütern zu wirtschaften vermag, dem gelingt dies auch in Bezug auf Affekte nicht, was sich auf die Erfolgsaussichten der betreffenden Figur auf dem Heiratsmarkt negativ auswirkt. Ein Überschuss an Gefühl ist in diesem Zusammenhang nicht mit einem Übermaß an Affekt gleichzusetzen, womit zunächst eine Unterscheidung beider Begriffe vorgenommen werden soll: Wird ‚Gefühl‘ hier vor dem Hintergrund der moralisierenden Funktion der sentimentalen Komödie als Regung verstanden, die sich durch Geselligkeit und – in wirtschaftlicher Hinsicht – durch ‚sozialen Ertrag‘ auszeichnet (z.B. das Mitgefühl und die Freundschaft, die in der Lage sind, gesellschaftsverbessernd zu wirken), soll der ‚Affekt‘ im Gegensatz dazu als ein durch Egozentrik geleiteter Impuls aufgefasst werden, dessen Effekte überwiegend zerstörerischer Natur sind und der aufklärerischen Definition des bien común entgegenstehen.202 Im Zuge ihres moralisierenden Gestus appelliert die sentimentale Komödie an die Mäßigung der Affekte, während es an Gefühlsbekundungen in Form von Reue, Mitleid und Zuneigung ebenso wie an Appellen an das Mitgefühl der ZuschauerInnen mit den Figuren nicht mangelt.203 Das Plädoyer der Gattung für eine Ökonomisierung des Affekts durch seine Kanalisierung in eine Form der Soziabilität, die mit der bürgerlichen Tugend 201 Schomacher (2021: 309) plädiert stattdessen für „eine Untersuchung des Verhältnisses von nun ganz wörtlich verstandenem ökonomischen Handeln (Kauf, Verkauf, Bezahlung, Investition) und den Körpern der Handelnden“. Dies geschieht, wohlgemerkt, vor dem Hintergrund des Mehrwerts dieses Vorgehens für ihre Analyse der Texte Italo Svevos. 202 Die Unterscheidung von Gefühl und Affekt findet sich auch in der modernen Psychologie, wobei beide Begriffe auch innerhalb dieser Disziplin verschieden konzipiert und definiert werden. So wird der Affekt u.a. als eine unwillkürliche Regung angesehen, während das Gefühl das bewusste Erleben, die Wahrnehmung des Selbst und seiner Umgebung meint. Vgl. u.a. Rudolf, Gerd/Henningsen, Peter (eds.) (2013): Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. Stuttgart: Thieme, p. 66. 203 Llanos Mardones, Bernadita (1989): „Integración de la mujer al proyecto de la Ilustración en España“. In: Ideologies and Literature, 4, 1, pp. 199-223, hier p. 209: „[...] el objetivo ilustrado de reformar los usos y creencias mediante el teatro, se da fundamentalmente, a través de la apelación y manipulación de las emociones.“ 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 299 der temperantia einhergeht, wird in nicht wenigen Stücken der Epoche durch ein Figurenpersonal getragen, das seinerseits dem Wirtschaftsleben entstammt: Kaufleute und Unternehmer repräsentieren dort das gewerbetreibende Bürgertum als eine aufstrebende gesellschaftliche Schicht mit sozialer Vorbildfunktion. Beide Gruppen fungieren als versierte Ökonomen der Finanzen und Affekte gleichermaßen. Durch ihre Situierung im bürgerlichen Haushalt, der bereits als Ort der Begegnung von innerem, privaten und äußerem, unternehmerischen Wirtschaften skizziert wurde, verzahnen die hier in den Fokus gerückten Stücke individuelle Moral und Gemeinwohl: Der Einzelne gereicht der spanischen Gesellschaft und ihren Individuen genau dann zum Nutzen, wenn er sich mit Blick auf das Wohl aller moralisch ‚richtig‘ verhält, d.h. arbeitsam, maßvoll und verantwortungsbewusst agiert. Handelt er hingegen moralisch verwerflich, ist er also verschwenderisch, faul oder betrügerisch, schadet sein Fehlverhalten ebenso der Gemeinschaft wie ihm selbst. Dies wurde in Bezug auf die Kaufmannsgattin und petimetra Blasa bereits deutlich, die dem ihr unterstehenden oikos ebenso wie Lorenzos kaufmännischem Geschäft durch ihre ungezügelten Ausgaben beträchtlichen Schaden zufügt. Im Zuge der am Ende der hier untersuchten Stücke stehenden Moral werden – so die Hypothese – beide Effekte vorgeführt: die Prosperität der moralisch verantwortlich handelnden ‚ÖkonomInnen‘ einerseits und der durch das verantwortungslose Handeln der ‚VerschwenderInnen‘ herbeigeführte Bankrott andererseits.204 Vorgeführt wird mit dem Triumph der Guten über die Schlechten auch der Sieg des auf die Gemeinschaft bezogenen (Mit-)Gefühls über den ichbezogenen Affekt. Den Triumph der Tugendhaften über die Lasterhaften führt auch Lillos London Merchant als Vorlage vieler französischer und spanischer Kaufmannsdramen des 18. Jahrhunderts vor. Laut Rommel schafft gerade in diesem Stück die dramatische Kontrastierung von nüchternem und korrektem Finanzgebaren im Gegensatz zu leidenschaftlicher Hingabe ein Spannungsfeld von Emotionen und Verhaltensweisen, das in der Negation dazu führt, 204 Ähnliches konstatiert Völkl (2022: 282) für die Konturierung von Tugenden und Lastern in spanischen und französischen Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts, nämlich dass „Tugendhaftigkeit [zumeist] vor dem Hintergrund ihres Gegenteils, der Lasterhaftigkeit, dargestellt“ wird. 300 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Welt des Geldes und der Wirtschaft den Status emotionsenthobener Sachlichkeit, korrekter Zuverlässigkeit und überparteilicher Integrität zu verleihen.205 In neoklassischen spanischen Komödien stellt sich dies insofern anders dar, als Kaufleute zwar auch dort zumeist integre und zuverlässige Personen sind, ihre Handlungen jedoch als solche präsentiert werden, die durch ein freundschaftliches und patriotisches Verhältnis zur spanischen Nation motiviert sind. Besteht die „Notwendigkeit, unternehmerisches Handeln als sozialverträglich zu rechtfertigen, [...] für Lillo nicht“206, ist sie für spanische sentimentale Komödien im Gegenteil charakteristisch. In letzteren erfolgt die Apologie des Kaufmannsstandes durch einen moralisierenden Gestus‘207, der den ebenfalls gattungstypischen aufklärerisch-bürgerlichen Wert der amistad208 mit dem Konzept der adeligen honra kontrastiert. Diese war noch im spanischen Barocktheater und insbesondere in der Gattung der ‚Ehrendramen‘209 ein fundamentaler Topos. Steht also die Freundschaft für das neue patriotische und utilitaristische Denken einer in den absolutismo ilustrado eines Carlos III. eingebetteten spanischen Aufklärung,210 205 Rommel (2006: 192). Rommel (2006: 192). 207 Vgl. Fuentes (1999:37f.), der zufolge bereits die englischen sentimental comedies, die ja Vorläufer der spanischen comedias sentimentales sind, ein „objetivo moralizante“ kennzeichnet. 208 Vgl. Fuentes (1999:37f.). Als „temas constantes“ sentimentaler Komödien identifiziert Fuentes in Analogie hierzu: „1. las relaciones familiares“, „2. la autoridad paterna“, „3. las amistades“, „4. „el honor“, „5. el matrimonio por amor frente al de conveniencia“, „6. los prejuicios sociales“, „7. el orden social“. 209 Zum spanischen Ehrendrama und seinen italienischen Vorläufern vgl. die Studie von Toro, Alfonso de (1993): Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien und Spanien. Frankfurt/Main: Vervuert. 210 Vgl. Krauss (1973: 8). Krauss zufolge besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Aufklärungsbewegungen in Frankreich und Spanien darin, dass sich die französische als geistiger Gegendiskurs zu Monarchie und Kirche verstand und „nie regierungsfähig“ war, während die spanische durch den Einfluss des katholischen Glaubens in Spaniens wesentlich geprägt war, infolge des Dynastiewechsels von den Habsburgern zu den Bourbonen erst entstehen konnte und sich mit der Monarchie verband. Zwar ist Krauss’ Ausführungen im Großen und Ganzen zuzustimmen, Maravalls nuancierte Darstellung des Reformdenkens des Conde de Cabarrús zeigt jedoch, dass Krauss’ These von der Komplizenschaft zwischen Monarchie und Aufklärung nicht auf alle VertreterInnen der spanischen Ilustración gleichermaßen zutrifft, sondern vor 206 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 301 deren Trägerfiguren ökonomisch erfolgreiche Bürger sind,211 repräsentiert die honra als Ideal des Barocktheaters das nunmehr überkommene System untätiger Feudalherren, die vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Gegenstand aufklärerischer Kritik werden. 5.4.1. Von der feudalen honra zur bürgerlichen amistad Ist das barocke Ehrendrama noch dem Ideal der honra als Inbegriff adeligen Ehrempfindens verpflichtet, so inszeniert es damit auch den nun im neoklassischen Theater zunehmend im Verruf stehenden privilegierten Status der adeligen ProtagonistInnen in einer feudalen Gesellschaftsordnung. Alfonso de Toro zufolge ist der mit der honra verbundene barocke Ehrbegriff „[...] das Ergebnis einer in Ständen organisierten Gesellschaft, an deren Spitze der Blut- bzw. Namensadel stand.“212 Friederike Hassauer verweist ihrerseits auf die tendenziell sexuelle Ausdifferenzierung, die das Konzept der honra gegenüber dem feudalen Begriff des honor vornimmt.213 Wie im Titel von Zavala y Zamoras Komödie El triunfo del amor y la amistad bereits anallem auf diejenigen, die zugleich Regierungsämter bekleideten. Vgl. Maravall, José Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento español (siglo xviii). Madrid: Mondadori, pp. 82ff. 211 Vgl. Sebold, Russell P. (2010): „Introducción“. In: Tomás de Iriarte – Teatro original completo, ed. idem, Madrid: Cátedra, pp. 9-126, hier p. 59. Wie Sebold etwa in Bezug auf das Theater Iriartes und Cadalsos anmerkt, entstammen die dortigen Figuren der Schicht des gehobenen Bürgertums. 212 De Toro (1993: 92). De Toro bezieht sich dabei auf diejenigen Ehrendramen, in denen honor bzw. honra gleichbedeutend ist mit „‚linaje/nobleza‘ ≈ virtud‘“ und bezieht sich dabei unter anderem auf Autoren wie Arce de Otarola und Moreno de Vargas. In Bezug auf die Gebräuchlichkeit der Begriffe honor vs. honra in spanischen Ehrendramen wird im Siglo de Oro laut de Toro (vgl. 1993: 87) „der spanische Begriff ‚honor‘ eher als archaisch empfunden und nicht so häufig gebraucht“. Díez Borque (1976: 304) verweist mit Bezug auf das Theater Lope de Vegas auf die Rückbindung des honor nicht nur an Adel und Ritterschaft, sondern auch an das nationale Selbstverständnis eines im Christentum und in der Doktrin der limpieza de sangre verorteten ‚Spanisch- Seins‘: „La honra y la hidalguía iban aunadas con la ortodoxia y con la misma conciencia de ser español, pero, como decía más arriba, el honor está unido al nacimiento, al linaje.“ 213 Vgl. Hassauer, Friederike (1997): „Die Seele ist nicht Mann, nicht Weib. Stationen der Querelle des Femmes in Spanien und Lateinamerika vom 16. zum 18. Jahrhundert“. In: Bock, Gisela/Zimmermann, Margarete (eds.). Querelles [sic]. Jahrbuch für Geschlechterforschung, vol. II. Stuttgart: Metzler, pp. 203-238, hier p. 208 mit Bezug auf 302 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien klingt, verschreibt sich hingegen das sentimentale spanische Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts zunehmend der Inszenierung der Freundschaft als einer ‚Verbindung unter Gleichen‘214, wobei kritisch anzumerken ist, dass es sich dabei um ‚Gleiche‘ einer höhergestellten gesellschaftlichen Schicht mit sozialer Vorbildfunktion handelt.215 Überdies sind die im neoklassischen ebenso wie im populären sentimentalen Theater216 inszenierten Freundschaftsbeziehungen nahezu ausschließlich Männerfreundschaften. Komorowska sieht in der Häufigkeit, mit der die Thematik der Freundschaft im Theater des 17. und 18. Jahrhunderts auch in titelgebender Funktion auftritt, ein Indiz für einen grundlegenden sozialen Wandel, der sich bereits im 17. Jahrhundert abzeichnet: Die Gleichrangigkeit, die die Freundschaft als soziale Beziehung notwendigerweise voraussetzt, verleiht dem Wunsch eines langsam aufsteigenden Bürgertums in Gestalt von Händlern und Kaufleuten nach sozialer Ebenbürtigkeit mit dem Adel Ausdruck.217 Dem gegenüber ist die sich im populären Theater Beysterveldt, Antonie van (1966): Répercussions du souci de la pureté de sang sur la conception de l’Honneur dans la comedia nueva. Leiden: Brill, ohne Angabe der Seite. 214 Bei Sánchez-Blanco (1992: 172) ist wörtlich von einer „relación entre iguales“ die Rede. 215 Vgl. zu dieser Kritik Llanos Mardones (1989: 203). 216 Die hier unternommene Unterscheidung von neoklassischem und populärem sentimentalen Theater fußt auf Palacios (1998: 49): „Con todo, conviene aclarar que nos encontramos ante dos maneras de presentar comedias sentimentales. Una remite al teatro neoclásico, llámese siguiendo a las poéticas ‚comedia seria‘ o ‚tragedia urbana‘, en la que los autores cuidan con rigor las unidades, la moralidad y el estilo (escritas en prosa), como confirman los textos de Jovellanos o de Trigueros. La otra fórmula, comedia sentimental (‚lacrimosa‘) o drama sentimental, concuerda con los gustos y la estética del teatro popular: no guarda las unidades dramáticas, es más novelesca, mantiene los rasgos del estilo vulgar, y está escrita en verso.” Palacios führt diese Unterscheidung auf den Italiener Napoli-Signorelli und seine Differenzierung von „Tragedia cittadina“ (d’Arnaud, Delharpe, Voltaire) und „Commedia lagrimante“ (Sedaine, Falbaire, Mercier) zurück. Vgl. Palacios (1998: 49). 217 Vgl. den Gastvortrag von Agnieszka Komorowska „Parabienes de acreedores“ vom 05.06.2018 an der Universität Siegen. Vgl. auch Komorowska (2018a: 96f.): Für das Siglo de Oro konstatiert sie, erstens, „Veränderungen in den Interaktionsformen, wie dies besonders die engen politischen Allianz- und Nahbeziehungen illustrieren, deren Kristallisationspunkt die präferierte Zweierbeziehung zwischen dem König und seinem engsten Berater, dem valido, bildet“, und zweitens das „Ungleichgewicht zwischen dinero und calidad”: Im Zuge der wachsenden finanziellen Potenz von im Überseehandel reich gewordenen Händlern kommt es zu einem Aufeinanderprall von 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 303 hartnäckig haltende Praxis zu beobachten, der andauernden Vorliebe des Publikums für die Ehrthematik auch noch im 18. Jahrhundert Genüge zu tun.218 Diese Tendenz zeigt sich in populären Stücken wie El amor honrado (1793) von Zavala y Zamora, das die Adaptation eines englischen sentimentalen Romans von Frances Sheridan ist,219 den Ehrenhändel in den Vordergrund stellt und so von den nuancierten Gefühlswelten der englischen Vorlage abweicht.220 Auch in Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid (1784) greift der vermeintliche Weinhändler Juan Pérez, der ebenfalls im Geheimen ein Adeliger ist, zum Schwert, um die Ehre seiner Tochter zu verteidigen, obwohl er sich zuvor für die Tugend der prudentia ausgesprochen hatte.221 Dies zeigt, inwiefern gerade die Dramatiker, die sich am Geschmack des Publikums orientieren, versuchen, dem aufklärerischen Zeitgeist Rechnung zu tragen, indem sie moralideologische Versatzstücke des neoklassischen Theaters übernehmen,222 zugleich aber althergebrachte Motive „neuem Geld“ und „altem, häufig verarmten Adel“, der im Barocktheater anhand der Thematik der Freundschaftsprobe im Sinne eines „Echtheitstest[s]“ verhandelt wird. 218 Vgl. García Garrosa (2011: 21): „[...] interesa ahora confirmar que, pese a los esfuerzos de la reforma neoclásica y de la política reformista, los espectadores españoles de fines del siglo xviii seguían gustando de obras en las que el honor y los maridos que se creían ultrajados se limpiaba de forma cruenta.” 219 Sheridan, Frances (1761): Memoirs of Miss Sidney Bidulph, extracted from her own journal, and now first published. Dublin: H. Saunders, zitiert in García Garrosa (2011: 27). 220 Vgl. zu diesen Abweichungen García Garrosa (2011: 14ff.). Ihren Forschungen zufolge benutzt Zavala y Zamora, von dem sie mutmaßt, dass er des Englischen nicht mächtig war, in seinen Adaptationen englischer Vorlagen nicht den Originaltext, sondern stützt sich stattdessen auf spanische Übersetzungen französischer Fassungen der betreffenden Werke, im Falle von El amante honrado ist dies die spanische Version Jacobo de Villarutias (Memorias para la historia de la virtud, 1792) einer französischen Übersetzung des Abbé de Provost (Mémoires pour servir à l’histoire de la vertu, extraits du journal d’une dame, 1792). 221 Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 24, ll. 645f.): „En estos casos, importa / ser prudente, y no sangriento“ im Vergleich zu Valladares de Sotomayor (1784: 27, ll.740ff.): „(Toma la espada). / Ven conmigo, defensora / de mi honor. Ya hace algún tiempo / que no te uso; pero siempre / delante de mí tengo / porque me acuerdes que soy, / por honrado, Vinatero. / Vamos a ver al Marqués; / y, por Dios, que si le encuentro / reducido a deshonrarme, / me dejará satisfecho / su sangre.” 222 Ähnliches sieht McClelland bei Comella in Bezug auf seine Rezeption aufklärerischen Gedankenguts aus dem Ausland gegeben. Vgl. McClelland, Ivy (1993): „The Comellan Conception of Stage-Realism”. In: Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 1-2, 16, pp. 111-117, hier p. 113: „Comella, as a popular dramatist, found it natural to scatter over his themes certain ideas and comments typical of Europe’s literary or philosophi- 304 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des Barocktheaters wie die Ehrverletzung beibehalten.223 Das populäre Theater erweist sich damit als ein generisches Hybrid224, dem das gelingt, woran die Neoklassiker Jehle zufolge gescheitert waren: Indem sie traditionell und aufklärerisch zugleich sind und das Volkstümliche mit den neuen Ideen kombinieren, können sie die „populäre Ökonomie“ in „Aufklärung übersetzen“.225 Ein Stück wie El vinatero de Madrid veranschaulicht dies: Wartet es einerseits mit einer barocken Häufung unwahrscheinlicher Schicksalswenden auf, bietet es gleichzeitig in den Bühnenanweisungen einen für seine Zeit hohen Grad an realitätsorientierter Detailliebe auf,226 der das Gezeigte für das Berufsbürgertum glaubwürdig macht. Die sich mit dem im neoklassischen Theater manifestierende und zugleich politisch gewünschte Verschiebung vom Ideal der privilegienträchtigen honra hin zu der auf dem Gedanken der Ebenbürtigkeit der Aktanten fußenden amistad, geht gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit einem Wertewandel vom Feudalen zum Bürgerlichen einher, wobei einmal mehr betont werden muss, dass das Adjektiv ‚bürgerlich‘ in diesem Zusammenhang – wie schon von Maravall konstatiert – nicht soziologisch (im Sinne eines von anderen gesellschaftlichen Schichten sich distanzierenden Klassenbewusstseins), sondern vielmehr anthropologisch (im Sinne einer sich durch bestimmte Tugenden wie industria, prudentia und temperantia auszeichnenden Geisteshaltung) cal playwrights who could translate new social ideas into full, dramatic comprehensiveness. [...] like other popular dramatists in Spain and elsewhere, he subscribed to the latest thoughts from abroad referentially.“ Hierzu ist anzumerken, dass Comellas Wirtschaftskomödien moralideologisch fortschrittlicher sind als vergleichbare Stücke aus der Feder eines Valladares‘ oder Zavalas. Dies weist auch Angulo Egea (2006) in ihrer Studie nach. 223 Valladares sucht diesen Widerspruch dadurch aufzuheben, dass er seine Komödie im Jahr 1648 ansiedelt. Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 21, l. 558). 224 Vgl. auch Palacios (1998: 23ff.). Er spricht in Bezug auf das populäre Theater von einem „complejo sistema teatral“ (23) mit einer „entidad propia, aun siguiendo los viejos modelos, acomodada a la nueva realidad social” (25f.). 225 Vgl. Jehle (2010: 133), vgl. Kap. 4. 226 Vgl. Guinard (1981: 163ff.). So spricht Guinard in Bezug auf dieses Stück einerseits von „complications et rebondissements fort dans le goût du théâtre baroque“ (163), andererseits aber auch von einem „réalisme de la mise en scène encore peu fréquent, sinon sans exemple“ (165). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 305 aufzufassen ist.227 Wie Andreas Gelz in seiner Studie Tertulia gezeigt hat, manifestiert sich die zunehmend bürgerliche Wertehaltung der spanischen Aufklärung in einer neuen Form der Geselligkeit, die im 18. Jahrhundert zur Neugründung zahlreicher literarischer und philosophischer Zirkel führt, aber erst im 19. Jahrhundert ihr volles Potenzial entfaltet und zum „bürgerlichen Initiationsraum par excellence“ wird.228 In diesem Zusammenhang ist allerdings mit Jan-Henrik Witthaus und seiner Studie Sozialisation der Kritik (2008) zu betonen, dass insbesondere in der Presse, die ebenfalls ein Medium aufklärerischer Geselligkeit ist, eine bürgerliche Öffentlichkeit zwar simuliert wird, von einer ‚öffentlichen Meinung‘ und einer ‚freien Partizipation‘ des Bürgertums allerdings „nur mit äußerster Vorsicht“ 229 die Rede sein kann. Auf die Untrennbarkeit der aufklärerischen Ideale von Freundschaft und Geselligkeit weist analog zu Gelz auch Jesús Pérez Magallón hin, wenn er ausführt, dass die Freundschaft zwar bereits im Renaissance-Humanismus eine große Rolle gespielt habe, nun aber im Zuge der Herausbildung eines genuin aufklärerischen, gleichermaßen geselligen wie empfindsamen Menschenmodells umgedeutet werde: A pesar de que la amistad ha ocupado desde siempre un lugar señalado en la reflexión de filósofos humanistas, la nueva posición que se le da en las relaciones privadas durante la Ilustración es el resultado de una serie de factores confluyentes: la cada vez mayor importancia que la sensibilidad tiene en la construcción de una personalidad modélica; las nuevas formas de sociabilidad, donde la conversabilidad es elemento crucial y, para ella, el compartir información, preocupaciones y actitudes ante el mundo [...].230 Im Zusammenhang mit diesem Modell des aufgeklärten Menschen sind auch die Überlegungen des Conde de Cabarrús zu wirtschaftlichen und politischen Reformen anzusiedeln, die er in seinen 227 Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo, 1675-1945. Madrid: Siglo XXI, p. 29 sowie den bereits angeführten Verweis auf Maravall (1979: 299). 228 Vgl. Gelz (2006: 366). Ein solcher Zirkel ist etwa die Tertulia de la Fonda de San Sebastián, zu deren Mitgliedern neben José Cadalso und dem Theaterautor Nicolás Fernández de Moratín auch Tomás de Iriarte zählt. Vgl. Sánchez-Blanco (1992: 173). 229 Vgl. Witthaus (2012: 22f.). 230 Vgl. Pérez Magallón, Jesús (2001): El teatro neoclásico. Madrid: Ediciones del Laberinto, p. 184f. 306 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien an Jovellanos gerichteten Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública (1795) formuliert und in denen politisches Engagement und Ökonomie eine freundschaftliche Verbindung eingehen.231 Cabarrús‘ Cartas richten sich, wie Marti in seiner Studie betont, nicht ausschließlich an seinen Korrespondenzpartner Jovellanos, sondern auch und vor allem an die spanische Nation.232 Die emotive Komponente in Cabarrús’ Darlegungen kann sich, wie Marti ebenfalls zeigt, vor allem durch die Form des freundschaftlichen Briefes an den Gleichgesinnten Jovellanos manifestieren, der wiederholt als „amigo“ adressiert wird.233 Die Briefform bringt Marti zufolge ein persönliches und subjektives Moment in Cabarrús’ ökonomischen Diskurs ein, „[qui] donne à voir, à travers le prisme sentimental, la réalité ou les solutions à apporter“.234 Gefühle dienen in den ökonomischen Überlegungen Cabarrús‘ also als „composantes sociales dont il faut tenir compte“.235 Die Rolle des Gefühls in politisch-ökonomischen Überlegungen erklärt sich auch aus dem Patriotismus als Motor aufklärerischen Reformwillens,236 denn Cabarrús‘ Cartas zufolge sind es Gefühle – das Mitgefühl mit den Armen beispielsweise –, die Reformen motivieren. Eine ähnliche Verknüpfung von Patriotismus und affektiver Zuneigung findet sich bereits in Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de industria popular, wenn es dort heißt, das Movens für die Abfassung der reformökonomischen Schrift sei nicht „el amor propio de parecer autor, sino el afecto a nuestos Compatriotas el que guía mi pluma“.237 Dreh- und Angelpunkt von Cabarrús Überlegungen ist der an Rousseaus Konzept des contrat social angelehnte und zu Schutz und Sicherheit des Privateigentums geschlossene „pacto social“238 zwischen 231 Vgl. die hier bereits genannte Ausgabe von 1813. Vgl. Marti, Marc (2010): „Affectivité et sentiment en économie politique: Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública (1795) du comte de Cabarrús“. In: Littératures et sciences, 18, pp. 1-11. Quelle: http:// narratologie.revues.org/6124, Zugriff: 13.08.2022. 233 Vgl. Marti (2010: 6). 234 Marti (2010: 6). 235 Marti (2010: 6). 236 Vgl. Marti (2010: 7). 237 Campomanes (1975: 48). 238 Vgl. Cabarrús, Francisco Conde de (1786): Elogio del excelentísimo señor Conde de Gausa, Madrid: ohne Verlagsangabe, pp. 5f.: „[...] tal es aun y tal fué y será siempre el 232 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 307 den Individuen einer Gesellschaft, der letztendlich der Wahrung der felicidad pública239 dient. Im Kontext des öffentlichen Glücks steht auch das aufklärerische Ideal der Freundschaft: Im gleichen Maße, wie die von spanischen Aufklärern wie Cabarrús vorgeschlagenen ökonomischen Reformen in Politik und Wirtschaft zum öffentlichen Wohlstand beitragen, indem sie das Eigentum des wohlhabenden Einzelnen schützen und mehren, leistet die Freundschaft als intime Beziehung auf individueller Ebene einen Beitrag zur Bindung der einzelnen gesellschaftlichen Glieder aneinander. In diesem Zusammenhang unterstreicht Sánchez-Blanco die Zentralität des Konzepts des privaten Glücks im Kontext des Gesamtprojekts ökonomischer Reformbestrebungen; ein wesentliches Teilelement dieses Glücks ist das im Zuge der Freundschaft geteilte Bestreben, die Gesellschaft zu verbessern: Si alguna utopía mueve a los ilustrados no es la de un Estado totalitario basado en una perfecta organización. Más bien se identifica con la Arcadia clásica en la que el trabajo en el marco de un entorno privado permite unas relaciones íntimas interpersonales que son la verdadera fuente de felicidad. Las reformas económicas acaban por justificarse y subordinarse en orden a la felicidad privada. 240 Die nun in den Blick genommenen Komödien neoklassischer Autoren wie Leandro Fernández de Moratín und Tomás de Iriarte inszenieren und veranschaulichen in ihrem moralisierenden Gestus die für das aufklärerische Denken charakteristische Interdependenz von Individuum und Gemeinschaft, Freundschaft und Prosperität, emotionalem Glück und wirtschaftlichem Ertrag.241 Der Inszenierung jener Interdependenz durch die Figurenrede und das Bühnengeschehen geht die Analyse nun zunächst anhand der Figur des geizigen Kaufmanns nach, die hier in Leandro Fernández de Moratíns neoklassischer pacto social: se dirige á proteger la seguridad y la propiedad individual, y por consiguiente la sociedad nada puede contra estos derechos que la son anteriores“. Cabarrús setzt dabei Gesetz und Allgemeininteresse ineins, vgl. Cabarrús (1786: 6): „[...] y no ser otra cosa las leyes que la expresión de aquel interés común.“ 239 Zur Idee der felicidad im Kontext der spanischen Aufklärung vgl. Maravall (1991: 162ff.). 240 Sánchez-Blanco (1992: 185). 241 Zur Kopplung von emotionalem, persönlichem Glück, Gemeinwohl und wirtschaftlichem Ertrag vgl. auch Maravalls (1991: 269ff.) Artikel zur sensibilidad. 308 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Komödie El viejo y la niña (1786) im Vergleich zu den zuvor skizzierten vorbildlichen Kaufmannsfiguren, erstaunlich negativ erscheint, wenn es ihm an Gemeinsinn und Empfindsamkeit als Teilelementen des sozialen Kapitals des aufgeklärten hombre de bien mangelt. 5.4.2. Der geizige Kaufmann und die Folie Molières in Leandro Fernández de Moratíns El viejo y la niña (1786) Wurde der Kaufmann in den bis hierher untersuchten Komödien als ein durch und durch vorbildlicher Figurentypus gezeichnet, haben wir es bei dem titelgebenden „Alten“ aus Moratíns Stück namens Don Roque mit einem negativ angelegten Repräsentanten des Kaufmannsstandes zu tun. Im Hinblick auf eine ‚Ökonomie der Affekte‘ zeichnet er sich durch eine dem kaufmännischen Ideal der Mäßigung entgegenstehende Maßlosigkeit aus. Diese manifestiert sich in den Handlungen Roques, die zwischen zwei Extremen schwanken: dem Mangel an Gefühl und einem Überschuss an Affekt. Indem er sich seiner jungen Gattin Isabel gegenüber durchweg misstrauisch, unsensibel und unnachgiebig verhält, versäumt er, ihr Verständnis, Geduld und die nötige Zuneigung zukommen zu lassen. Der gemeinsamen Ehe fehlt damit die freundschaftliche Basis, die dem aufklärerischen Ideal der Ehe entspricht. Roques Tendenz zum emotionalen Defizit kennzeichnet nicht nur sein privates, sondern auch sein geschäftliches Gebaren, das durch einen Mangel an Soziabilität gekennzeichnet ist. Statt etwa der Bitte seiner im Hafen von Cádiz wartenden englischen Geschäftspartner nachzugeben und diese persönlich aufzusuchen, zieht Roque es vor, ihnen eine kurze Notiz zu senden.242 Wenn Roque hier als eine mit Soziabilität und Empathie geizende Figur gekennzeichnet wird, offenbart eine solche Charakterisierung Parallelen zu Harpagon aus Molières L’Avare (1682).243 Roques 242 Vgl. Moratín, Leandro Fernández de (2009 [1786]): El viejo y la niña (1786). In: idem. Comedias originales, ed. Paloma Fanconi & María del Pilar Palomo. Madrid: Fundación José Antonio de Castro, pp. 34-123, hier p. 52: „¡Que por una patarata / le han de incomodar a un hombre / y hacerle salir de casa / cuando quieren [...] / [...] se ofrece / escribir en una llana / cuatro reglones [...].“ 243 Vgl. Sebold, der wiederum Meléndez Pelayo, zitiert, dem zufolge in Iriartes La señorita malcriada und in El señorito mimado Echos des Theaters Molières vernehmbar sind, das nun in bürgerliche Hände mit besseren Intentionen gefallen sei. Damit spielt 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 309 Zeichnung als negative Figur wird durch weitere Eigenschaften wie seine Eifersucht, seine Ungeduld, sein Misstrauen und eine durch dieses Misstrauen bedingte Neigung zur Täuschung noch gesteigert. Mithilfe seines nur widerwillig kooperierenden Dieners Muñoz betreibt Roque ein Spiel des engaño, weil er seitens seiner Gemahlin Isabel und des gleichaltrigen Kaufmanns Juan einen Betrug in Form des Ehebruchs wittert, allerdings durch sein dezidiertes Misstrauen selbst vor unehrenhaften Mitteln nicht zurückschreckt. So soll Muñoz sich unter dem Sofa verborgen halten, um Isabel und ihre Vertraute Beatriz, die zugleich Roques Schwester ist, zu belauschen.244 Da Roque dem Irrglauben unterliegt, trotz seines fortgeschrittenen Alters die richtige Partie für Isabel zu sein – und daher selbst engañado ist –, will er die sich aus dem Altersunterschied zwischen ihm und seiner Gattin ergebenden Unstimmigkeiten nicht wahrhaben.245 Ein weiteres, von seinem Mangel an Geselligkeit zeugendes Täuschungsmanöver betreibt der geizige Kaufmann, als er Juan über den angeblich schlechten Zustand seines Hauses informiert, um den Hausgast nicht länger beherbergen zu müssen: [...] Esta [casa] que tengo, ya veis qué estrecha, qué antigua, llena toda de agujeros, sin comodidad ninguna, me cuesta un horror [...] [...] ya lo veis: para poneros, por una noche no más, esa cama, se ha revuelto la casa y, cierto, me pesa en el alma no poderos dar posada.246 Meléndez Pelayo auf die moralisierende Absicht neoklassischer Komödien an, während das Theater Molières für ihn ein reines Unterhaltungstheater ist. Sebold (2010: 57) mit Verweis auf Meléndez Pelayo, Marcelino (1884): Martínez de la Rosa. Estudio biográfico. Personajes Ilustres, vol. xviii. Madrid: La España Moderna, p. 33. 244 Vgl. Moratín (2009: 68). 245 Vgl. Moratín (2009: 82). 246 Moratín (2009: 72f.). 310 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Roque betont hier wiederholt und auf wenig gastfreundliche Art die Unmengen an Unkosten und Mühen, die die Unterbringung Juans ihn bereits gekostet habe, obwohl er dem jungen Widersacher für nur eine Nacht Obdach gewährt hatte. Entsprechend heuchlerisch mutet Roques Beteuerung an: „Yo he celebrado en extremo / haberle tenido [a Juan] en casa.“247 Im Gegensatz zu Bruno und Lorenzo aus Comellas El hombre agradecido repräsentiert Roque nicht den Typus des ehrbaren, geselligen und großzügigen Kaufmanns, sondern den misstrauischen, pedantischen und selbstzentrierten Händler. Analog konstatiert auch John Dowling, dass es sich bei Roque zwar um einen wohlhabenden Kaufmann handele, wenn er ihn als „próspero y al mismo tiempo frugal“ bezeichnet, sodann aber hinzufügt: „aunque egoista y algo concupiscente“.248 Eben in diesem seinem Egoismus und in seiner Begehrlichkeit ähnelt Roque Harpagon, Molières titelgebendem Geizigen. Auch hinsichtlich des Altersgefälles beider Figuren zu ihren Partnerinnen bestehen Parallelen: Wie schon bei Molière klafft auch in Moratíns Stück ein beträchtlicher Altersunterschied zwischen der achtzehnjährigen Protagonistin Isabel und dem sich bereits den Achtzigern nähernden Roque.249 Susanne Schlünder zufolge geht es bei der „modellbildenden“ Inszenierung von Eheverhältnissen im Theater Leandro Fernández de Moratíns, so auch in El sí de las niñas (1806), „weniger um ein Plädoyer für Liebesheiraten“, sondern vielmehr darum, „Regierungstechniken – hier mit Bezug auf das Bevölkerungswachstum – in einem als Erziehungsinstrument konzipierten Theater zu applizieren“250. Der Grund dafür ist schlichtweg, dass Ehen zwischen jungen PartnerInnen eher geeignet sind, Nachkommen hervorzubringen. 247 Moratín (2009: 87). Dowling, John (1993): „El comerciante gaditano: El don Roque de Moratín“. In: Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 16, 1-2, pp. 67-76, hier p. 71. 249 Zum Alter Harpagons vgl. Molière (1971): Amphitryon. George Dandin. L’Avare, hg. von Georges Couton. Paris: Gallimard, pp. 189-308, p. 219: „Froisine: Comment? Vous n’avez de votre vie été si jeune que vous êtes; et je vois des gens de vingt-cinq ans qui sont plus vieux que vous – Harpagon: Cependant, Froisine, j’en ai soixante bien comptés.“ Mit dem großen Altersunterschied wird – wie auch in Moratíns El sí de las niñas – die Inkompabilität der beiden Ehepartner begründet. So lässt Isabel in Bezug auf ihren Gatten verlauten „[...] Su edad, su genio ... / No es posible que convengan / para vivir en quietud / circunstancias tan opuestas.“ Moratín (2009: 120). 250 Schlünder (2018b: 336). 248 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 311 Dieser Aspekt ist im Lichte der eingangs skizzierten poblationistischen Argumentationslinie der spanischen Reformökonomie zu betrachten, die sich von den Merkantilisten des 17. Jahrhunderts bis hin zu den Cortes de Cádiz zieht, und in deren Vorstellung sich der Reichtum einer Nation stets an einer zahlenmäßig starken Bevölkerung bemisst, ein Argument, das auch die französischen Enzyklopädisten im Artikel „Homme“ bemühen.251 Bei Moratín ebenso wie in den sainetes von Ramón de la Cruz identifiziert Schlünder daher ein biopolitisches Denken, das die Ehe als zum „idealen institutionellen Rahmen“252 erklärt, der den „größtmöglichen Bevölkerungszuwachs garantiert“253. Dass sich die junge Isabel aus Moratíns Stück ins Kloster zurückzieht und sich damit ihrer reproduktiven Funktion verweigert, unterstreicht auch Jehle zufolge lediglich die Bedeutung, die der „Reproduktionsfunktion der neuen [bürgerlich-modernen] Familie zukommt“254. Dass Moratín der Jüngere nicht nur dieses Stück, sondern „seine gesamte Theaterproduktion dem Problem der Ehe gewidmet“255 hat und für das plädiert, was der Volksmund als ‚Liebesheirat‘ bezeichnet (Foucault hat es eben wegen seiner Instrumentalisierung durch die Biopolitik ‚Sexualdispositiv‘256 genannt, vgl. Kap. 7.8.1), ist auch auf die statistisch nachweisbare Abnahme der Heiraten ab 1750 zurückzuführen.257 Vor diesem Hintergrund kann die Liebesheirat als „bürgerliche ‚Modernisierung‘“258 der Anbahnung von Partnerschaften betrachtet werden, die dazu dient, die zur Heirat traditionell 251 Vgl. hierzu Marti (2012: 257f.). Schlünder (2018b: 336). 253 Schlünder (2018b: 336). 254 Jehle (2010: 199). 255 Jehle (2010: 197). 256 Vgl. Foucault, Michel (1976): Histoire de la sexualité 1: La volonté de savoir. Paris: Gallimard, p. 140. 257 Jehle (2010: 196) zeigt anhand von Sempere y Guarinos‘ Correo de los ciegos de Madrid vom 28. November 1786, zitiert in Kany (1932: 204), dass nur rund 50 % der „heiratsfähigen Individuen über 16 Jahren (Kleriker und Militärs ausgenommen) verheiratet sind. Überdies fällt die Zahl der Heiraten zwischen 1776 und 1825 deutlich ab, von 1.825 auf 1.548. Dass das poblationistische Argument in allen der eingangs dargestellten paradigmatischen Texte der Reformökonomie präsent ist, zeigt, dass dies den Reformern großen Anlass zur Sorge gegeben hat. 258 Jehle (2010: 197). 252 312 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien notwendige und oft hinderliche Mitgift259 zu umgehen und damit die Anzahl der geschlossenen Ehen zu erhöhen. Bemerkenswert ist in Bezug auf El viejo y la niña, dass – anders als in den anderen im Folgenden untersuchten Komödien des ausgehenden spanischen 18. Jahrhunderts, wie etwa Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra (1762) oder Iriartes El señorito mimado260 –, der moralische Ruin des ungeselligen Misanthropen Roque nicht mit einem finanziellen Bankrott einhergeht. Dieser Ruin ist ebenso emotionaler wie gesellschaftlicher Natur und besteht darin, dass er Isabel am Ende verliert, als diese sich in das besagte Kloster zurückzieht. Angulo Egea zufolge ist die Verbannung weiblicher Charaktere in das Kloster – bzw. zumindest deren Androhung – im spanischen sentimentalen Theater des 18. Jahrhunderts ein Gemeinplatz.261 Anders als bei Comella, in dessen Stücken El indolente (1792a), El matrimonio por razón de estado (1792b), und El matrimonio secreto (1797) das Kloster als Druckmittel der männlichen gegenüber den weiblichen Figuren dient, das aber aufgrund des Widerstands der weiblichen Charaktere nicht zur Anwendung kommen kann, stellt sich der Konvent in Moratíns El viejo y la niña für Isabel als eine „opción liberadora“ dar,262 und damit als befreiendes Moment. Die mit Isabels Rückzug ins Kloster verbundene Flucht aus der ehelichen Gemeinschaft bedeutet ein empfindliches Minus für Roque. Dieses Minus gründet auf einem Ungleichgewicht von Gefühl und Affekt. Hierbei steht das (zarte) Gefühl auf Seiten Isabels, eine Auffassung, die auch Maravall in seiner Studie zur sensibilidad in der spanischen Aufklärung stützt, wenn er die Figur Isabels als Verkörperung aufklärerischer Empfindsamkeit ausweist und sich diesem Zusammenhang auf einen Brief Moratíns an den Herausgeber des Correo 259 Vgl. Jehle (2010: 196): „Ähnlich wie bestimmte Ländereien in Form der mayorazgos der produktiven Nutzung durch die Allgemeinheit entzogen waren, verhinderte die Mitgift, dass die Frauen die ihnen bestimmte Rolle im Produktionsprozess der Nachkommenschaft einnehmen konnten.“ 260 Vgl. hierzu auch Schuchardt (2014). 261 Angulo Egea, María (2002): „Fingir y aparentar. La imagen de las mujeres en el teatro sentimental de Luciano Francisco Comella“. In: Dieciocho 25, 2, pp. 281-302, hier p. 289. 262 Vgl. Angulo Egea (2002: 289). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 313 de Madrid bezieht.263 Personifiziert also Isabel die umsichtige Empfindsamkeit als Tugend des aufgeklärten Menschen, repräsentiert Roque den blinden Affekt, der dem Publikum durch seine Kenntnis des im 18. Jahrhundert immer noch auf den Bühnen präsenten Barocktheaters hinlänglich bekannt ist. Über die Figur Roques wird implizit auf die Gattung der Ehrendramen Bezug genommen. Der geizige Kaufmann hatte seine Gemahlin nicht nur mit Eifersuchtsbekundungen und Misstrauen überhäuft, sondern von ihr zudem das eingefordert, was er selbst nicht zu geben bereit war: die Wahrheit im Sinne einer Aufrichtigkeit in Gefühlsdingen.264 Um das, was Roque selbst in seinem affektgetriebenen Wahn für die Wahrheit hält, nachzuweisen – Isabels angeblichen Ehebruch mit Juan –, begeht er die erwähnten Täuschungsmanöver. Zwar war Juan einst die große Liebe Isabels, sie hatte sich jedoch in das widrige Schicksal ihrer unglücklichen Ehe gefügt und ihre Leidenschaft im Gegensatz zu Roque wenn auch nicht gänzlich zu besiegen, so doch zu beherrschen gewusst.265 Während der am Ende noch nicht einmal gehörnte Gatte seiner (selbst-)zerstörerischen Wut frönt („y nada resta / sino morirme de rabia“266), handelt Isabel rational und nach reiflicher Überlegung ihre Konsequenzen und verleiht so ihren Worten Nachdruck, dass Roques Mangel an Vertrauen, Verständnis und Freundschaft in logischer Konsequenz nur ihre Flucht nach sich ziehen könne.267 Agiert Roque also affektgesteuert und in Manier der betrogenen Ehemänner barocker Ehrendramen, handelt Isabel besonnen und nach umsichtiger Aufrechnung der Mängel ihres Gatten. Damit vertritt sie ebenso das Gefühl wie die aufklärerische Tugend der ratio. Beide sehen sich im aufklärerischen Denken gekoppelt268 und finden auch in Moratíns strikt neoklassischer Komödie 263 Vgl. Maravall (1991: 275) mit Bezug auf Fernández de Moratín, Leandro (1973): Epistolario, ed. André Andioc. Madrid: Castalia, p. 112. 264 Vgl. Moratín (2009: 85): „[...] Yo veo / que lloras. Di la verdad, / ¿qué tienes? [...].“ 265 Vgl. Moratín (2009: 120): „[...] el cielo ve mi inocencia. Él sabe que en tal peligro / logré, con débiles fuerzas, / si no vencer mi pasión, evitar efecto de ella.“ 266 Moratín (2009: 121). 267 Folglich sind ihre Worte „Es preciso separarnos“ das Ergebnis eine Folge von Argumenten, im Zuge derer sie unter anderem Roques „desconfianzas“, „celos“ und „quejas“, aber eben auch Roques Alter und seinen Charakter (s.o.) anführt. Vgl. Moratín (2009: 120). 268 Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 103): „La Ilustración, por tanto, es razón más sentimiento o sensibilidad.“ 314 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ihren Widerhall, wobei es hier nicht der vir oeconomicus, sondern die Kaufmannsgattin ist, die das Ideal des aufgeklärten Menschen im weiblichen Körper der bis zur drohenden Selbstaufgabe treuen Gattin modelliert. In seiner Maßlosigkeit ist Roque – im Gegenteil – eine der wenigen Kaufmannsfiguren des spanischen Theaters der Spätaufklärung, die nicht als vir oeconomicus konturiert ist. Isabel hingegen ist, ganz dem Weiblichkeitsideal der Epoche folgend, eine ebenso empfindsame wie rational agierende Ehefrau und entsprechend in das moralische Gewand der Sittsamkeit, außerehelichen Keuschheit und der Zurückhaltung gekleidet. Den ehelichen Haushalt verlässt sie nur ein einziges Mal und erst am Ende, um sich in ein Leben abseits weltlicher Verlockungen zurückzuziehen. Auch diese Beschränkung der Frau auf das Innen folgt der weiblichen Geschlechternorm des 18. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist in Bezug auf El viejo y la niña, dass sich hier gegenüber populären Komödien wie etwa Comellas El hombre agradecido eine Umkehr der Geschlechterrollen vollzieht: Wird der ehrbare Kaufmann bei Comella durch die männliche Figur des Ordnungsstifters Bruno verkörpert, während die Kaufmannsgattin Blasa das ordnungsgefährdende Element personifiziert, verhält es sich bei Moratín genau umgekehrt: Vernunft, Gefühl und die Fähigkeit zur umsichtigen Erkenntnis menschlicher Mängel liegen hier auf Seiten der weiblichen Figur. Roque als der männliche Part repräsentiert das sentimentale Defizit. Im Gegensatz zu Isabel ist der Kaufmann unfähig, dieses Defizit zu erkennen, geschweige denn Abhilfe zu schaffen. Während es Bruno aus El hombre agradecido am guten Ende gelingt, den Soll-Zustand (im Sinne der wirtschaftlichen Funktionalität) des aus den Fugen geratenen Kaufmannshaushaltes wiederherzustellen, hat die Ehe zwischen Roque und Isabel in Moratíns Stück irreparablen Schaden genommen. Das für die Komödie charakteristische gute Ende bleibt aus, um mit der biopolitischen Dysfunktionalität der Ehe zwischen Alt und Jung auch gleich ihre emotionales und soziales Scheitern zu veranschaulichen. Denn während der aus Isabels Rückzug sich eventuell ergebende finanzielle Schaden bei Moratín keinerlei Erwähnung findet, wird der durch das Scheitern der ehelichen Gemeinschaft erlittene Verlust an sozialem Kapital sehr wohl thematisiert. Diesen Aspekt beleuchtet das folgende Kapitel. 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 315 5.4.3. Intertextuelle Referenzen zu Shakespeares The Merchant of Venice (1600) Wenn Roques Anspruch auf seine Gattin am Ende aufgrund seiner Unnachgiebigkeit erlischt, offenbaren sich diesbezüglich Parallelen zu William Shakespeares Merchant of Venice (1600): Auch Shylocks Anspruch, dem Kaufmann Antonio bei Nichtzahlung seiner finanziellen Schuld das Herz herauszuschneiden, wird am Ende nichtig. Der Grund für die Annullierung des zwischen Antonio und Shylock geschlossenen Vertrages ist Shylocks Unnachgiebigkeit.269 Ähnlich wie Shylock macht auch Roque sein Anrecht auf Isabel geltend. Dieses sieht er im ehelichen Bund begründet. Ein solches Recht, wie es Shylock – und auch Roque – für sich in Anspruch nehmen, bedarf aber, wie Fulda in seiner Analyse von Shakespeares Stück ausführt, „stets der Gnade.“270 Diese Gnade in Form der Bereitschaft zur Vergebung, die Roque ein Anrecht auf Isabel gäbe, lässt jedoch auf sich warten: Der geizige Kaufmann ist erst dann bereit, den Preis für seinen Mangel an Empfindsamkeit zu zahlen, als er Isabel bereits verloren hat. Den biopolitischen Vorgaben der Reformökonomie entsprechend, besteht Roques primäres Vergehen nicht in seinem Mangel an Soziabilität, sondern in der seinem Alter unangemessenen Eheschließung mit der deutlich jüngeren Isabel: [...] que me perdone, que yo perdono a ella. [...] pues yo, por mi ligereza he sido causa de todo. Ya la pago, y aunque sea tarde, reconozco ahora que no son edades estas para pensar en casorios.271 Mit der zitierten Replik eröffnet das Stück auf metaphorischer Ebene – und dies ist für unsere Analyse zentral – die Thematik des 269 Vgl. Fulda (2005: 96). Fulda (2005: 96). 271 Moratín (2009: 123). 270 316 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ‚gerechten Preises‘ (iustum pretium), der den Ehrenkodex der Kaufmannschaften seit dem Mittelalter prägt.272 Bereits in der Escuela de Salamanca finden sich Überlegungen zum Konzept des precio justo: „Los doctores escolásticos definen el precio justo como aquel que respeta o cumple la equivalencia de la transacción; es decir, lo definen como expresión de la igualdad de valor entre lo que se entrega (oferta) y lo que se recibe (demanda).”273 In genau dieser Frage nach der Gleichwertigkeit des verhandelten Gutes aber kommen die Ehepartner nicht überein. Im konkreten Falle geht es dabei um eine moralische Schuld und deren Ummünzung in Sühne. Roque geht von der hohen moralischen Schuld Isabels aus, wenn er ihr den Ehebruch mit Juan unterstellt, der beide teuer zu stehen kommen müsse: „[...] / pondré en claro mis sospechas, / y entonces me han de pagar, / juro a tal, la desvergüenza.“274 Groß ist daher auch die Sühneleistung, die Roque von den vermeintlichen Ehebrechern verlangt: Worin diese genau bestehen soll, wird allerdings nicht gesagt. Die drohenden Worte des geizigen Kaufmanns lassen vermuten, dass die Zahlung der Schuld Leib und Leben der ‚Schuldigen‘ fordert, ein Aspekt, der wiederum das Ehrendrama 272 Vgl. hierzu für den deutschen Raum Isenmann, Mechthild (2017): „Das Bild des Kaufmann-Bankiers in oberdeutschen Familiengesellschaften der Frühmoderne“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 79-96, hier p. 83: „Grundsätzlich befanden die mittelalterlichen Juristen, dass der gerechte Preis sowohl durch den Marktpreis bestimmt als auch durch die ‚Obrigkeit festgesetzt‘ werden sollte.“ Isenmann mit Bezug auf Trusen (1983: 90, ohne bibliographische Angabe). Nach Summenhard war für den Kaufmann dabei wesentlich, dass ‚Mühe, Arbeit, Sorgfalt, Kosten und Risiko‘ stets als vergütungsfähig galten. Schon bei seinem Zeitgenossen Geiler von Kaysersberg spiegelte der gerechte Preis auch den gerechten Gewinn wider, wenn ‚der gerechte Warenpreis auch dem tatsächlichen Wert des Kaufguts entsprach [...]‘.“ Isenmann mit Bezug auf Voltmer, Rita (2001): „Kramer, Kaufleute, Kartelle. Standeskritischer Diskurs, mittelalterliche Handelspraxis und Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510)“. In: Ebeling, Dietrich/Henn, Volker/Holbach, Rudolf/ Reichert, Friedrich/Schmid, Wolfgang (eds.). Landesgeschichte als multidisziplinäre Wissenschaft. Festgabe für Franz Irsigler zum 60. Geburtstag. Trier: Porta Alba, pp. 401-446, hier p. 428f., aus Doctor Keiserspergs Postill, Teil 3, fol. 92r. Zum gerechten Preis in der Scholastik vgl. auch Grice-Hutchinson (1978: 84ff.; 98ff.). 273 Gómez Camacho, Francisco (1999): „El pensamiento económico en la Escuela de Salamanca“. In: Fuentes Quintana (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 177-207. 274 Moratín (2009: 103). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 317 als Intertext aufruft. Zu dem von Roque unterstellten Ehebruch ist es aber nie gekommen, sodass seine Aufforderung zur Tilgung der moralischen Schuld Isabels nichtig ist. Im Gegenteil wäre es nun an Roque, Isabel für die ungerechtfertigte Unterstellung der Untreue zu entschädigen und damit nun seinerseits ihrer Erwartung Genüge zu tun. Seine Einsicht kommt jedoch zu spät, weshalb es am Ende an dem geizigen Alten ist, den moralisch gerechtfertigten Preis für seinen Mangel an Freundschaft,275 Verständnis und ehelicher Zuneigung zu zahlen: die Einsamkeit. Die im dritten und letzten Akt gesprochenen selbstmitleidigen Worte Roques – „¡Pobre Don Roque!“276 – offenbaren damit ihren Doppelsinn: Der an Vermögen reiche Kaufmann erweist sich in einer Epoche, in der sich der gesellschaftliche Wert eines Menschen an seiner Soziabilität und Fähigkeit zur Einfühlung bemisst, als armer Mann. 5.5. Gaspar Zavala y Zamoras La Justina (1790): Kaufmännischer Haushalt und matrimonio desigual Die in Paris angesiedelte Komödie La Justina von Zavala y Zamora reiht sich in die zahlreichen Produktionen des populär-sentimentalen Theaters ein, die im Kontext der Real Cédula von 1783 entstanden sind und sich mit ihren gewerbetreibenden ProtagonistInnen wie Kaufleuten und HandwerkerInnen zwar des zeitgenössischen Wirtschaftslebens als Setting bedienen, dieses aber lediglich als Kulisse für einen nicht nur im spanischen, sondern auch im französischen Theater des 18. Jahrhunderts rekurrenten Liebesplot verwenden. Diesen Plot subsumiert García Garrosa unter dem Begriff des „matrimonio desigual“277, das insbesondere Komödien Valladares de Sotomayors – beispielsweise El vinatero de Madrid (1784), El trapero de Madrid (1782), und Las vivanderas ilustres (1792) – bestimmt.278 In der Mehrzahl der genannten Stücke sind die titelgebenden Figuren Berufstätige mit verborgenen 275 Inwiefern umgekehrt „sich ständig perpetuierende Freundschaftseinsätze [...] im Exzess enden“, zeigt Komorowska für das Barocktheater und Lope de Vegas El amigo hasta la muerte (1610/1612). Vgl. Komorowska (2018a: 98) und (2018b: 250ff.). 276 Moratín (2009: 102). 277 Vgl. García Garrosa (1993: 681): „[...] en estas comedias el tema de los oficios viles aparece casí siempre ligado al del matrimonio desigual.” 278 Vgl. García Garrosa (1993: 679f.). 318 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien adeligen Wurzeln, die durch einen Schicksalsschlag zum Broterwerb gezwungen wurden und ihre edle Herkunft verheimlichen müssen, etwa, um der ungerechtfertigten Verfolgung durch die Justiz zu entgehen. Dies trifft auch auf den mercader Milton aus Zavala y Zamoras La Justina zu, der eigentlich Lord Wantain ist und dessen Sohn Ailson sich deshalb mit Liebespein geschlagen durch den ersten Akt klagt, weil ihm die Eheschließung mit seiner Herzensdame – der ihrem adeligen Neffen versprochenen Grafentochter Justina – aufgrund des vermeintlichen Standesunterschiedes versagt bleibt.279 Dass sich in den Stücken Zavala y Zamoras die zunächst als Bürger eingeführten Kaufleute, Händler und Marketenderinnen am guten Ende als Adelige erweisen, mag zum einen den Konzessionen des Autors an die Erwartungshaltung eines Publikums geschuldet sein, das es aus der barocken Tradition heraus gewohnt ist, adelige ProtagonistInnen auf der Bühne zu sehen, und das den Adelsstand als soziales Prädikat empfindet.280 Ähnliches konstatiert Niklaus für das französische Theater des 18. Jahrhunderts und die Untergattung des drame commercial, das wiederum Valladares als Folie für seine Stücke dient. Die Affinität des Autors zu ökonomischen Fragestellungen tritt nicht nur in seinem dramatischen Werk, sondern auch in seiner Tätigkeit als Herausgeber des Semanario erudito (1781) hervor, einer Zeitschrift, die eine unterhaltsame Kritik zeitgenössischer politischer und wirtschaftlicher Affären in Verwaltung, Handel und Industrie leistet, aber auch moralische Fragen diskutiert.281 Auch in Sedaines Stück Le philosophe sans le savoir (1765), das Michael Fodor neben Beaumarchais‘ Les deux amis ou Le négociant de Lyon (1770) und Merciers La brouette du vinaigrier (1775) zu Gattung des drame commercial zählt, erweist sich der Protagonist am Ende als Adeliger.282 279 Vgl. hierzu auch die Analyse von Fernández Cabazón (1996: 359f.). Vgl. hierzu Guinard (1981: 151): „[...] même dans la seconde moitié du xviii siècle [...] le respect de la hiérarchie nobiliaire reste entier, le désir d’anoblissement est toujours un trait typique de la roture.“ Einen Wandel in dieser Haltung hin zur Adelskritik konstatiert Guinard (1981: 152) in einer kleinen Gruppe reformaffiner staatlicher Funktionäre und Kirchenmänner aus den Zirkeln der Sociedades Económicas, deren Kritik in Zeitschriften wie dem Censor, dem Pensador, dem Diario und dem Correo de Madrid zum Ausdruck kommt. 281 Vgl. MacLachlan (1991: 81). 282 Vgl. Niklaus (1978: 146f.). Niklaus bezieht sich dabei auf den von Perry (1975: ohne Seitenangabe) aufgezeigten widersprüchlichen Umstand, dass einerseits in 280 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 319 Zum anderen trägt auch die staatliche Zensur dazu bei, dass sich Söhne und Töchter einfacher Gewerbetreibender am Ende als Adelige erweisen müssen, um blaublütige PartnerInnen ehelichen zu können. Erhellend ist diesbezüglich eine von Guinard berichtete Episode um die Zensur von El vinatero de Madrid. Das zunächst mit El lavandero de Madrid283 betitelte Stück sah in der ursprünglichen Fassung die von dem Zensor Ignacio López de Ayala als unsittlich beanstandete Schwangerschaft der Wäscherstochter Angelita vor. Zudem bemängelte der Zensor die niedere soziale Herkunft Angelitas und ihre unangemessene Heirat mit dem höherstehenden Marqués.284 Die von englischen sentimentalen Komödien, die vergleichbaren französischen Stücken als Vorlage dienen – etwa in Richard Steeles The Conscious Lovers (1722) – der Kaufmannsstand als eine dem Adel vergleichbare soziale Schicht beschworen wird (vgl. eine entsprechende Replik Vanderks, die auch Niklaus zitiert: „We merchants are a species of gentry.“), sich aber andererseits bei französischen Nachahmern wie beispielsweise Sedaine die ProtagonistInnen am Ende dann doch wieder als Adelige erweisen müssen: „This inconsistency [...] is commonly ascribed to timidity or to the need to placate an essentially aristocratic audience which could never exceed 2.000 on any night. Another reason may well have been Sedaines desire to associate what was best in the old aristocratic ideal with his own idealized picture of the upright merchant.” Eine vergleichbare „confusion between bourgeois and aristocratic values” macht Niklaus (1978: 147) in Rousseaus La Nouvelle Héloïse aus, ein Briefroman, in dem nach dem Vorbild Richardsons das bürgerliche Ideal einer Familie entworfen wird, Monsieur de Wolmar aber als Adeliger konzipiert ist. Ein weiteres Beispiel ist Niklaus (1978: 147) zufolge Beaumarchais’ Kaufmannsdrama Les Deux Amis, ou Le Négociant de Lyon (1770). 283 Der ursprüngliche Titel erklärt auch die erste Szene des Vinatero, in der Angelita, die Tochter des späteren Weinhändlers, der ja in der Urfassung ein Wäscher war, die Kleidung des Marqués zusammenlegt, um sie ihm dann zu bringen, sowie die zu Beginn im Nebentext als Dekor geforderte „ropa blanca colgada para secarse“. Vgl. auch Guinard (1981: 159), der auf den „caractère franchement misérabiliste“ der in den Bühnenanweisungen genannten Utensilien und Möbelstücke verweist. In ähnlicher Weise, wie die Bühnenausstattung in den bisher analysierten Wirtschaftskomödien in implizit auktorialer Manier über Besitzverhältnisse und Charakter der Kaufmannsfiguren Auskunft gibt, verweist die Ausstattung von El vinatero de Madrid auf die soziale Misere des Protagonisten. 284 Vgl. Guinard (1981: 157). Guinard bezieht sich hierbei auf die Miszelle Nr. 16337 aus der Biblioteca Nacional in Madrid. Er unterscheidet diesbezüglich die vom Consejo de Castilla erlassene Druckerlaubnis von dem für die Aufführung notwendigen „visa“ des corregidor. Wie Hoffmann (2017: 72) ausführt, zählt „[z]u den Aufgaben des corregidor [...] die Beaufsichtigung der Stücke und Spielpläne sowie die Aufsicht über die Formation der beiden Madrider Truppen vor Ostern“. Die seit einer Theaterreform von 1638 den Städten (ayuntamientos) unterstellten Theater werden vom corregidor 320 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Valladares später eingefügte Wendung, dass der Wäscher zum Weinhändler aufsteigt und sich am Ende zudem als illustrer285 Aristokrat erweist, ist ein Zugeständnis an die Zensur, durch das eine Aufführung überhaupt erst möglich wird. Es ist wahrscheinlich, dass Valladares aus diesem Grunde auch später verfasste Komödien wie El trapero de Madrid mit dieser Art von Peripetie versehen hat. Das auf Diderots genre sérieux basierende drame commercial bezeichnet Fodor als „a major theatrical experiment of the French Enlightenment”286, als dessen drei Hauptmerkmale er folgende identifiziert: First, the main character of the play is a merchant. Second, the intrigue features revolve around payment crises. [...] Third, these payment crises provide a dramatic component which enables the merchant to display sentimental virtues, moral rectitude (probité) and empathy (sensibilité). Because of his altruism, the merchant comes across as a good merchant.287 Diese für das französische Theater des 18. Jahrhunderts entwickelte Gattungsbezeichnung lässt sich auf spanische Komödien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Wirtschaftsthematik übertragen, was aufgrund der bereits anhand des London Merchant aufgezeigten Rezeptionswege der Kaufmannsthematik von England über Frankreich nach Spanien naheliegt. So folgen auch Comellas El hombre agradecido und Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad den Plotstrukturen des drame commercial. In einer hispanophonen Adaptation der von Fodor eingeführten Gattungsterminologie können sie als dramas comerciales bezeichnet werden. überprüft, der ab 1747 „in Personalunion“ auch juez protector ist, somit den Vorsitz der junta de corrales hat und außerdem superintendente de sisas ist. Vgl. Hoffmann (ibid.) mit Bezug auf Coulon, Mireille/Andioc, René/Chaves Montoya, María Teresa/Álvarez Barrientos, Joaquín/Rodríguez de la Flor Adánez, Fernando (1995): „El teatro del siglo xviii (I)“. In: García de la Concha, Víctor/Carnero Arbat, Guillermo (eds.). Historia de la literatura española, vol. VI: Siglo xviii (I). Madrid: Espasa Calpe, pp. 293-411, hier p. 296. 285 Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 72, l. 787.): „[...] soy Ilustre.” Guinard (1981: 161) betont diesbezüglich den mit dem hier groß geschriebenen Adjektiv „ilustre“ verbundenen, hohen adeligen Rang: „[...] il prouve au juge qu’il est non pas ‚hidalgo‘, non pas ‚noble’, mais ‚ilustre’.“ 286 Fodor (2002: 469). 287 Fodor (2002: 469). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 321 Wie schon in Valladares‘ El vinatero de Madrid ist die Notwendigkeit der Zugehörigkeit des/der ProtagonistInnen zum Adelsstand auch für La Justina zu konstatieren, was zugleich ein Zugeständnis des Autors an das herkömmliche Verständnis von einer notwendigen Trennung der sozialen Schichten ist, die es auch bei der am Ende erfolgenden Eheschließung zu berücksichtigen gilt.288 Ausnahmen von dieser Regel bilden im Kontext des populären sentimentalen Dramas einzig Valladares‘ sentimentale Komödien El fabricante de paños (1784) und El carbonero de Londres (1784).289 Im Unterschied zu neoklassischen Komödien und ihrer Konturierung des Bürgertums als vorbildlicher und tugendhafter sozialer Schicht, die sich übrigens auch in Stücken aus der Feder Comellas wie El hombre agradecido oder El hombre singular als tonangebend erweist, repräsentieren die mercaderes in Zavala y Zamoras La Justina einen missachteten und gering geschätzten Berufsstand. Diese Thematik setzt sich in nuancierterer Form in Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid (1784) fort. In La Justina, einer populären sentimentalen Komödie, die zwar im Paris des 16. Jahrhunderts angesiedelt ist, aber über die Figur des aus England geflohenen und bei König Jakob I. aufgrund einer Intrige in Ungnade gefallenen Lord Wantain Brücken auf die grüne Insel schlägt,290 erscheint der Händler nicht als ‚ehrbarer Kaufmann‘, sondern als „humilde y grosero mercader“291. Auch Angelita, die Tochter 288 Vgl. hierzu auch García Garrosa (1990: 115): „En La Justina, Zavala y Zamora vuelve al conservadurismo y ennoblece en el último momento al pretendiente humilde.“ 289 Zu El carbonero de Londres als Ausnahme von der Konvention des heimlichen oder geheim gehaltenen Adels vgl. Guinard (1981: 152). 290 Vgl. hierzu Zavala y Zamora, Gaspar (1753 [1790c]): La Justina: comedia nueva en tres actos. Edición digital basada en la edición de Madrid: Antonio Sanz, p. 13: „MILTON: [...] / me dio honores, me dio puestos, / el Rey Jacobo en la guerra, / y en la paz su valimiento / gocé [...]“. Weiter heißt es: „Gocé, como ya he dicho, de mi Rey por largo tiempo / la privanza: pero astutos / envidiosos y protervos / mis enemigos perderla / en un instante me hicieron.” Zavala y Zamora 1753: 14, vv. 262-266. Die Datierung des Stückes auf 1753 im Catálogo Cervantes Virtual ist offensichtlich ein Fehler, wurde die Komödie doch erst 1790 uraufgeführt. Vgl. hierzu die in der Universitätsbibliothek von Sevilla erhaltene Druckversion: Zavala y Zamora, Gaspar (1790c): La Justina: comedia nueva en tres actos, representada por la compañía de Ribera en este presente año de 1790. Quelle: https://archive.org/details/A25023510, Zugriff: 17.08.2022. Vgl. auch García Garrosa (1990: 115; 258). In Anbetracht des Fehlers in der Datierung bei Cervantes Virtual wird das Stück La Justina im Folgenden mit der Jahreszahl (1790c) angegeben. 291 Vgl. die dramatis personae. 322 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des Weinhändlers von Madrid, äußert angesichts des geringen Ansehens des Berufsstandes ihres Vaters: „[...] estais [padre] a tan grosero ejercicio reducido.”292 In gleicher Weise bezeichnen sich die Figuren Milton und sein Sohn Ailson sich in La Justina als „grosero“293. Der Baron aus La Justina bringt im weiteren Verlauf des Stückes seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass Ailsons nobles Verhalten nicht recht zu seinem bescheidenen Stand passen will, was Ailsons adelige Herkunft episch vorausdeutet. Zugleich lässt er keinen Zweifel an Ailsons niedrigem sozialen Status, als dieser es wagt, das Schwert gegen den adeligen Konkurrenten zu erheben: „Yo nunca riño con hombres /de tan baja esfera.“294 Dass dem Sohn eines Händlers nur wenig gesellschaftliches Ansehen beschieden ist, bestätigt auch die Moral des Stückes, kann Ailson Justina doch am guten Ende nur deshalb heiraten, weil seine aristokratischen Wurzeln ans Licht kommen. Von entsprechend geringer Aussagekraft sind demnach die klagenden Worte Justinas, die vor allem der Ausgestaltung des Liebesplots dienen: [...] siendo hijo de mercader, crees que podrá amarte menos siéndolo un hombre ilustre, a quien tiene hoy encubierto y abatido la fortuna? yo amaba con extremo, no las riquezas de Ailson, 292 Valladares de Sotomayor (1784: 21, ll. 570f.). Diese Geringschätzung prägt in den explizit personalen Figurencharakterisierungen sowohl die Selbst- als auch die Fremdbezeichnungen des Weinhändlers Juan und seiner Tochter Angelita. Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 7, ll. 99ff.): „ANGELITA: Su corazón generoso / era digno de otro empleo, / de otro ejercicio, que fuera / mejor que el de Vinatero.” Vgl. auch Valladares de Sotomayor (1784: 13, ll. 302ff.): „MARQUÉS: [...] Tu padre / es un pobre vinatero, constituido por su cuna / y oficio, en abatimiento.“ 293 Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 315-317.) Vgl. auch Zavala y Zamora (1790c: 13, vv. 206f.), in denen sich Ailson als „hijo de un grosero mercader“ bezeichnet. 294 Zavala y Zamora (1790c: 19, vv. 643f.). Auch diese Szene sieht sich in Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid spiegelbildlich wiederholt, wenn der betagte Juan den Marqués zum Duell fordert, der Marqués dieses aufgrund des niederen Standes des Weinhändlers zunächst verweigert und Juan ihm dann im Laufe des Kampfes in nobler Geste gestattet, das verlorene Schwert aufzuheben. Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 46, ll.1336-1365). 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 323 no su claro nacimiento, sino su virtud [...].295 Die hier von Justina so wortgewaltig hervorgehobene virtud Ailsons zeigt sich allerdings einzig in der Szene des Duells zwischen Ailson und dem Barón de Lain – eine im Sinne der neoklassischen Doktrin und der Gesetzgebung unangemessene Szene296 –, in der Ailson dem Baron das eigene Schwert darreicht, nachdem dessen eigene Klinge zerbrochen war. Zweifellos handelt es sich dabei um eine noble Geste, die der Baron auch als solche anerkennt. Eine einzige generöse Handlung macht allerdings noch keinen tugendhaften Charakter. Was die bürgerliche Arbeitsmoral und die Tugend des Fleißes, die industria betrifft, fehlt es Ailson an beiden: In einer Szene zu Beginn des Stückes, in der sich Milton alias Lord Wantain aus Verzweiflung über die anhaltende Melancholie seines Sohnes dessen Vertrauen dadurch erkaufen will, dass er ihm sein kaufmännisches Geschäft anträgt, weist Ailson dies zurück. Er hat weder Interesse am Beruf des Gewerbetreibenden, noch teilt er dessen Streben nach Reichtum, da beides mit Arbeit verbunden ist. Stattdessen zieht er es vor, den status quo beizubehalten und – wie in der im Folgenden formulierten Bitte um „aquesa continuación de vuestro amor“ mittelbar zum Ausdruck kommt – weiterhin von seinem Vater finanziert zu werden. Damit tut Ailson ganz dem Zeitgeist Genüge und handelt gemäß der Wunschvorstellungen der meisten jungen Bürgerssöhne der Epoche: 295 Valladares de Sotomayor (1784: 18, vv. 571-580). Vgl. García Garrosa (2011: 20), die im Kontext ihrer Analyse von Zavala y Zamoras El amante honrado (1793) darauf verweist, dass Duelle seit 1757 verboten waren: „No hará falta recordar que el duelo estaba prohibido en España por la pragmática de Fernando VI de 9 de mayo 1757, y que la ley castigaba con la pena capital y la confiscación de los bienes a ambos duelistas, retado y retador [...].” García Garrosa betont an derselben Stelle, dass auch der Rezensent des Amante honrado im Memorial literario diesen Umstand bemängelt und darauf verweist, dass derartig unmoralische Handlungen nur aufgrund der Verlagerung der Handlung nach England möglich seien. Selbiges gilt auch für Valladares y Sotomayors El fabricante de paños und Comellas La Jacoba (1789). Ein scharfer Kritiker des Duells und Befürworter einer Bestrafung der Kontrahenten mit der vollen Härte des Gesetzes ist Jovellanos, der sich in El delincuente honrado (1773) dagegen ausspricht. Vgl. hierzu Jovellanos‘ Antwortbrief an den Abt von Valchrétien vom 3. September 1777, zitiert in Johnson, Jerry L. (ed.). (1972): Teatro español del siglo xviii. Barcelona: Bruguera, p. 746 und Guinard (1981: 164). 296 324 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien MILTON [...] Habla, sí, todos mis bienes son tuyos: con regocijo te cederé mi comercio si tú quieres, hijo mío, reservando para mí el placer de ser tu amigo y bienhechor. AILSON ¡Ah, buen padre! (Mirándole con ternura.) ninguno muere oprimido del deseo de adquirir riquezas. Yo no codicio a lo menos otros bienes, ni otras fortunas os pido, que aquesa continuación de vuestro amor. [...]297 Dass Ailson ein untätiger „holgazán“298 ist, während der Vater sich müht, im Büro das zusammenzuhalten, was sein Sohn sogleich wieder verprasst, verdeutlicht auch die offene Kritik der Dienerin Cecilia.299 Für die am Ende der Komödie stattfindende ‚Entlohnung‘ Ailsons durch Justinas Hand hat dies aber interessanterweise keine moralischen oder finanziellen Konsequenzen. Dies ist ein weiteres Moment, durch das sich Zavalas y Zamoras Stück von den übrigen hier analysierten Beispielen eines spätaufklärerischen spanischen Wirtschaftstheaters unterscheidet, herrscht in diesen doch das Prinzip vor, dass nur die fleißigen und ehrenhaften bürgerlichen Gewerbetreibenden am Ende ihren amourösen und ökonomischen Profit einstreichen dürfen. Dies gilt für El hombre agradecido ebenso wie für neoklassische Stücke wie Tomás de Iriartes El señorito mimado oder Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789) (vgl. Kap. 6.3). Im 297 Zavala y Zamora (1790c: 5, vv. 256; 269). Zavala y Zamora (1790c: 3, v. 157). 299 Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 3, vv. 156-160): „CECILIA: [...] ¿Usted no es un continuo / holgazán, mientras el viejo, /en su despacho metido, / hace por juntar talegas / para que malgaste el niño?” 298 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 325 Gegensatz zu den Kaufmannsfiguren der übrigen hier untersuchten Stücke hat der Händler Milton zwar einen Teil seiner Güter durch Arbeit und ein gewisses geschäftliches Geschick erworben; ein Großteil seines Vermögens fußt allerdings auf dem, was er noch vor seiner Flucht aus England an beweglichen Gütern wie Geld und Schmuck mitzunehmen vermochte.300 Damit orientiert sich Zavalas y Zamoras Komödie deutlich am Publikumsgeschmack und ist noch weit entfernt von der Inszenierung eines durch kaufmännisches Geschick und ehrbare Arbeit erworbenen Reichtums und sozialen Prestiges, die den ehrbaren Kaufmann und vir oeconomicus Bruno aus Comellas El hombre agradecido ebenso auszeichnet wie die in den folgenden Kapiteln untersuchten Unternehmerfiguren. Zwar ist La Justina durch französische larmoyante Komödien inspiriert, was die hier inszenierten Extreme des Gefühls, das Flehen gen Himmel, den mehrfach von den verzweifelten Liebenden beschworenen Wunsch, sterben zu wollen und die zahlreichen, oftmals wenig plausiblen Schicksalswenden erklärt. Wie schon in dem gleichfalls aus der Feder Zavala y Zamoras stammenden Stück El triunfo del amor werden diese Wendungen auch hier durch zahlreiche eintreffende Briefe bewirkt, von denen einer auch die entscheidende Wende zum Guten herbeiführt: Lord Wantain wird durch den betreffenden Brief nicht nur rehabilitiert, sondern erhält zudem seine Besitzungen zurück. Wie sehr Zavalas und Zamoras Stück im Hinblick auf die soziale Situierung dem barocken Geist verpflichtet ist, zeigt sich auch in dem Umstand, dass Justina in ihrer Verzweiflung einen Pistolenschuss abfeuert, um den auf der Bühne ausgetragenen Fechtkampf zwischen dem Barón de Lain und Ailson zu unterbrechen. Solch exzessive Handlungen, die dem Laster der ira entspringen und der Tugend der aufklärerischen temperantia entgegenlaufen, sind für das neoklassische Theater undenkbar. Gleiches gilt für die verworrenen Handlungsstränge des Stückes, die an wechselnden Schauplätzen – dem Inneren des Hauses und dem Außen des Parks – stattfinden und 300 Zavala y Zamora (1790c: 15, v. 346f.): „MILTON: [...] / en Francia nos mantendremos / con el caudal que yo traje, / y el que adquirí en el comercio.” Das mitgebrachte Vermögen besteht aus Geld und Juwelen: „[...] / recojí todo el dinero / y las alhajas que pude; salí de Inglaterra huyendo, / y dejé al pronto burlados / les enemigos deseos.” Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 289-294). 326 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien den im neoklassischen Theater obligatorischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung entgegenstehen. Der Geist barocker Ästhetik, dem Zavala y Zamoras Komödie verpflichtet ist, tritt auch anhand der Dienerfiguren Estruk und Cecilia zutage. Beide sorgen für die nötige Portion Komik, die ihrerseits das Liebesleid der Hauptfiguren ausbalanciert, etwa, wenn die Dienerin Cecilia ihre Herrschaft durch wiederholte Impertinenz belästigt301 und deren Verhalten auf ebenso brüske wie amüsante Weise kommentiert; oder wenn der Diener Estruk als moralisch zweifelhafter pícaro auftritt, der seinen unbeständigen Herrn auf ebenso scharfzüngige wie unterhaltsame Art charakterisiert und ihm zugleich mit schelmischer Gerissenheit zur Seite steht.302 In ihrem Verhalten ähneln Estruk und Cecilia der Figur Enriquetas aus El triunfo del amor. Deren Rolle fällt allerdings in diesem späteren Stück Zavalas y Zamoras bedeutend kleiner aus, während den impertinenten Dienerfiguren in La Justina ausgiebige Repliken zugestanden werden. In diesem Umstand offenbart sich ein möglicher Einfluss der Konventionen des Neoklassizismus auf das populäre Theater. Ebenso ubiquitär wie die Scharfzüngigkeit einer Dienerschaft, die mit ihrer Herrschaft hemmungslos ins Gericht geht, ist in Zavala y Zamoras Stück der Topos der Bestechlichkeit: Der Diener Estruk erhält mehrfach Geld, und zwar sowohl von Justinas Mutter, der „Madama“, als auch von Justina selbst. Von diesen Zahlungen erhoffen sich die weiblichen Figuren Informationen über den Baron. Auch dieser ist geneigt, sich Estruks Dienste zu erkaufen, damit der Lakai den Kopf des Barons – der bereits mit einer anderen Kandidatin als Justina verlobt ist – aus der Schlinge zieht.303 Ähnlicher Mittel bedienen sich, wie wir 301 Vgl. den Beginn des zweiten Aktes, in dem Cecilia den schreibenden Milton wiederholt stört, was Milton zu dem Ausruf: „¡Qué impertinencia!“ veranlasst. Zavala y Zamora (1790c: 11, v. 37). 302 Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 21, vv. 93-98), in der Estruk seinem Herrn, dem Barón de Lain, den Spiegel vorhält: „[...] vamos claros, / si ve que sois un tronera, / un jugador perdulario, / un malgastador eterno / y un perpetuo enamorado / de cuantas veis?“ 303 Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 1, v. 84; 16, vv. 451-454; 22, v. 152). Ähnlich äußert sich Justina über Cecilia, als diese sie wiederholt durch unangemessene Bemerkungen verärgert: „[...] qué mal parece / ese gesto avinagrado / en una novia“; „os estoy mirando / estos días insufrible”. Die Sprödheit und Zurückhaltung von Mutter und Tochter vergleicht Cecilia mit der einer „casta de Potentados Holandeses“, worauf Justina 5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels 327 aus einer Replik Miltons erfahren, auch seine Widersacher, die ihre falschen Behauptungen mit erkauften Zeugenaussagen untermauern: MILTON: [...] y con firmas y testigos que el dinero les ganó, la acusación de modo fortalecieron, que el Rey la creyó [...].304 Mit Ausnahme der zitierten Replik, in der Milton seinem Sohn Ailson von Widrigkeiten der Vergangenheit berichtet, wird der Umstand, dass Informationen käuflich zu erwerben sind, in Zavala y Zamoras Stück nicht weiter kritisiert, sondern erscheint vielmehr als Selbstverständlichkeit. Die Auffassung, dass Täuschungen und Finten notwendige Strategien im Liebeswerben sind, findet sich in ähnlicher Weise im Theater Marivaux‘, beispielsweise in La Double Inconstance (1723),305 was abermals den Einfluss des französischen Theaters auf Zavala y Zamora zeigt. ihren Unmut bekundet: „Ya estás impertinente, y me enfado.“ Zavala y Zamora (1790c: 23, vv. 208-217). 304 Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 271-275). 305 Vgl. Schuchardt (2016). 6. VIR OECONOMICUS II: DIE MÄNNLICHE TYPISIERUNG DER INDUSTRIE Während zur literarischen Ausgestaltung des Kaufmanns zahlreiche Studien vorliegen,1 darunter zuletzt Bauers Monographie Ökonomische Menschen (2016),2 deren Autor sich in Form einer literarischen Wirtschaftsanthropologie dem Kaufmann, dem Spekulanten und dem Taugenichts als zentralen ökonomischen Akteuren der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts zuwendet, ist der Fabrikant innerhalb der existierenden literaturwissenschaftlichen Forschungen zum weiten Feld des hier als vir oeconomicus identifizierten ‚ökonomischen Menschen‘ eine literatur- und kulturwissenschaftlich vergleichsweise wenig erforschte Gestalt. Insbesondere für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert als Epoche der beginnenden Industrialisierung wurde die literarische Repräsentation des Fabrikanten nur wenig – und vor allem: 1 Vgl. u.a. den Band von Lütge/Strosetzki (eds.) zum ehrbaren Kaufmann (2017). Im Bereich der Philologien ist der Kaufmann insbesondere in der Anglistik, Amerikanistik und Germanistik gut beforscht. Vgl. u.a.: Mahalik, Christa (ed.) (2010): Merchants, Barons, Sellers and Suits: The Changing Images of the Businessman through Literature. Cambridge: Cambridge UP; Rommel (2006); Leinwand, Theodore B. (1999): Theatre, Finance and Society in Early Modern England. Cambridge: Cambridge UP; McTague, Michael J. (1979): The Businessman in Literature: Dante to Melville. New York: Philosophical Library; Hohl (1988); Van Cleve, John (1986): The Merchant in German Literature of the Enlightenment. Chapel Hill: The U of Carolina P. Für den Kaufmann im französischen Theater des 18. Jahrhunderts vgl. insbesondere: Fodor (2002); Thomasseau, Jean Marie (ed.) (1988): Commerce et commerçants dans la littérature. Bordeaux: Presses Universitaires de Bordeaux, darin: Régaldo, Marc: „Le drame et la réhabilitation du commerce au xviii siècle”, pp. 69-80; Niklaus, Robert (1978): „The Merchant on the French Stage in the 18th Century, or the Rise and Fall of an 18th-Century Myth”. In: Mossop, Deryk/Rodmell, Graham/Wilson, Dudley (eds.). Studies in the French Eighteenth Century. Durham: University of Durham 1978, pp. 141-156. 2 Bauer, Manuel (2016): Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts. Göttingen: V&R. 330 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien wenig systematisch – untersucht. Dieser Umstand gilt mit Ausnahme weniger Einzelstudien auch für die spanische Literatur. Für das hier untersuchte spanische Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind etwa Gies‘ Studien zu Francisco Duráns sentimentaler Wirtschaftskomödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789) zu nennen,3 ein Stück, das hier ebenfalls einer detaillierten Analyse unterzogen wird. In Gies‘ Monographie zum spanischen Theater des 19. Jahrhunderts dominieren Kaufleute, Financiers und ‚Geschäftsleute‘,4 während die Figur des Fabrikanten in den von ihm untersuchten Primärtexten so gut wie keine Rolle mehr spielt. Dass der Textilfabrikant schon im ausgehenden 18. Jahrhundert auf den literarischen Plan tritt, zeigen die Analysen der sich anschließenden Kapitel. Für die spanische Prosa des 19. Jahrhunderts sind es ebenfalls Einzelstudien, die sich der Industrie und ihrer literarischen Darstellung insbesondere bei Galdós, Clarín, Pereda und Pérez Valdés sowie in geringerem Maße der Darstellung des Industriellen selbst widmen.5 Literaturwissenschaftliche Analysen der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts konzentrieren sich vor allem auf die Frage der Darstellung von Industrielandschaften.6 Angesichts der in England im Vergleich zu Spanien und Frankreich schon im anbrechenden 18. Jahrhundert stark entwickelten Industrie, die insbesondere auf dem Textilsektor Exporte nach ganz Europa – so auch nach Spanien – aufweist, sind Fabrikanten und mit dem Handel verbundene Figuren, wie schon das Beispiel des London Merchant 3 Vgl. Gies (1996; 2015). In einem jüngeren Artikel hat sich Gies (2022: 183ff.) erneut dem Textilfabrikanten und der Figur der Weberin zugewandt. 4 Vgl. Gies, David T. (1994): The Theatre in Nineteenth-Century Spain. Cambridge: Cambridge University Press. 5 Vgl. etwa Belda Planas, Francisco (1976): Industrialización y sociedad en la novela española (Pereda, Galdós, Clarín y Palacio Valdés). Diss. Univ. Central de Venezuela: Caracas; Bly, Peter A. (1992): „In the Factory: Description in Galdós”. In: Nelson, Bryan (ed.). Naturalism in the European Novel: New Critical Perspectives. New York: Berg, pp. 210-225; Rodríguez, Rodney T. (1985): „El trasfondo económico y moral de La de Bringas”. In: Letras de Deusto, 15 (33), pp. 165-173. 6 Vgl. O’Connor, Carrie (2012): „Industrial Visions: Seeing and Perception in Balzac and Zola”. In: Peters, Rosemary A. (ed.). Criminal Papers: Reading Crime in the French Nineteenth Century. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars, pp. 137-150; Souny, Claudine (2000): „Romanesque et stratégies argumentatives dans les romans industriels de George Sand“. In: Philippe, Gilles (ed.). Récits de la pensée: Etudes sur le roman et l’essai. Paris: SEDES, pp. 213-224. 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 331 gezeigt hat, entsprechend früh auch von literarischer Bedeutung. Dies schlägt sich auch in anglistischen und amerikanistischen Studien nieder: John McVeagh (1981) beispielsweise untersucht das Bild des Kapitalisten in der anglophonen Literatur ab 1500. Dabei wird der Fabrikant gemeinsam mit dem Kaufmann unter dem Begriff des Kapitalisten subsumiert, der laut McVeaghs Untersuchung erst ab 1790 auf den Plan tritt.7 Hildegunde Nuth hat sich der Figur des Unternehmers in der Phase der Frühindustrialisierung in englischen und deutschen Romanen angenommen.8 Für die amerikanische, russische und deutsche Literatur um 1900 widmet sich Vintilă Horia dem „mundo empresarial“9. Dies geschieht anhand der sogenannten Lost Generation, die Autoren wie John Dos Passos, Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald umfasst, sowie anhand von Maxim Gorkis Foma Gordejew (1899) und Thomas Manns Die Buddenbrooks (1901). Auch hier geht es vor allem um den Kaufmann und eher am Rande um den Fabrikanten. In seiner Monographie Und die Moral von der Geschicht... Fabrikanten, Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung (22013), einem unterhaltsamen, medien- und sprachenübergreifenden tour de force durch Repräsentationen der Reichen, resümiert der Soziologe Holger Rust, dass die Wohlhabenden „von der Bibel bis zu John Grisham [...] hartherzig, geizig und verbrecherisch“10 dargestellt seien, „es sei denn, sie [hätten] ihren Reichtum einer Fee oder dem Lottoglück zu verdanken“11. Entsprechend inszenierten die „Volksweisheiten, die ernsthaften Theaterstücke und die anspruchsvolle Literatur, das Fernsehen und der Film [...] Schauergeschichten von der Verworfenheit der Bosse, der Unternehmer und der Fabrikanten“, folgert Rust im Klappentext 7 Vgl. McVeagh, John (1981): Tradeful Merchants. The Portrayal of the Capitalist in Literature. London: Routledge & Kegan Paul. Desweiteren existieren auch für den Bereich der Anglistik Einzelstudien über die Industrie und den Industriellen in der Literatur des 19. Jahrhunderts, etwa bei Thomas Carlyle. Vgl. Nixon, Jude V. (2009): „‚Workers, Master Workers, Unworkers’: Carlyle and Southey-the Saint-Simoniens and Industrial Feudalism”. In: Revue LISA, 7, 3, pp. 452-463. 8 Nuth, Hildegunde (1991): Figur des Unternehmers in der Phase der Frühindustrialisierung in englischen und deutschen Romanen. Frankfurt/Main u.a.: Lang. 9 Horia, Vintilă (1981): „El mundo empresarial en la novela contemporánea”. In: Annali dell’Istituto Universitario Orientale di Napoli. Sezione Romanza, 23, 1, pp. 125-150. 10 Vgl. den Klappentext von Rust, Holger (22013): Und die Moral von der Geschicht... Fabrikanten, Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung. München: Redline. 11 Vgl. den Klappentext von Rust (2013). 332 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seiner Monographie. Interessanterweise sind aber die Fabrikanten als diejenigen, die im eigentlichen Sinne Waren herstellen, auch in den von Rust vorgestellten literarischen Beispielen kaum vertreten. Stattdessen dominieren neuerlich Kaufleute, Financiers, Spekulanten, Börsenhändler und Ölmagnaten, während sich das Themenfeld der industriellen Produktion und ihrer zentralen Akteure abermals als marginal erweist. Aus den von Rust zitierten Beispielen der deutschsprachigen, französischen, italienischen, englischen und amerikanischen Literatur sowie den Film- und Fernseherzeugnissen dieser Länder wird Spanien ebenso ausgeklammert wie das literarische 18. Jahrhundert. In den literarischen Erzeugnissen der Aufklärungsbewegung und insbesondere im Theater treten Fabrikanten erstmalig auf den Plan und werden dort eben gerade nicht als die Ausbeuter gezeichnet, als die sie – wie Rusts Untersuchung belegt – die europäischen und amerikanischen Literaturen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts und später auch Filme und TV-Serien mehrheitlich darstellen. Vielmehr treten sie in protoindustriellen europäischen Literaturen als hoch geachtete Patriarchen und nationale Wohltäter auf, deren Beitrag zum Gemeinwohl das Bühnengeschehen wortreich inszeniert. Gerade in der Literatur des 18. Jahrhunderts vermutet Rust eine im Vergleich zu heutigen Darstellungen des Fabrikanten größere Komplexität der Figuren und ihrer intrinsischen Motivation: „Die klassische Literatur (zum Beispiel jene in der Zeit der Aufklärung) geht im Grunde weit differenzierter vor [als die heutige], indem sie nach verzweigten, sich widersprechenden Motiven forscht. Die Charaktere sind vielschichtig.“12 Auch wenn ökonomische Akteure wie der Fabrikant im Gegensatz zu nachfolgenden Epochen in der Aufklärung positiv, ja geradezu ideologisch verklärt gezeichnet werden, geht damit nicht notwendigerweise auch eine höhere Komplexität der Figuren einher. Für die theatralen Repräsentationen des Fabrikanten im England, Frankreich und Spanien des 18. Jahrhunderts, so die hier vertretene These, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Allerdings ist anzumerken, dass systematische Untersuchungen zum Fabrikanten als literarische Figur, die unterschiedliche Gattungen betrachten und eine diachrone Perspektive einnehmen, noch ausstehen.13 Von den hier 12 Rust (2013: 67). Den Versuch, Darstellungen von „ProtagonistInnen der Produktion“ im langen 18. Jahrhundert und in Gattungen wie dem ökonomischen Traktat, dem religiösen 13 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 333 ausgewählten Beispielen für theatrale Repräsentationen des Fabrikanten im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts entstammen zwei, Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788) und Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789), dem neoklassischen und eines, Valladares de Sotomayors El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784), dem populären Theater. Gerade mit Blick auf diese drei Beispiele erweist sich Rusts Annahme einer differenzierteren Darstellung ökonomischer Akteure im 18. Jahrhundert zumindest für das aufklärerische Theater in Spanien als falsch, ist die Darstellung der dort skizzierten Fabrikantenfiguren doch kaum weniger holzschnittartig und stereotyp als dies in den bereits untersuchten theatralen Repräsentationen des Kaufmanns der Fall ist. Was die Inhaltsebene anbelangt, so lässt die positive Kodierung der Figurentypen vor dem Hintergrund von Rusts Untersuchung wohlhabende wirtschaftliche Akteure (zumindest in der europäischen und anglo-amerikanischen Literatur) im 18. Jahrhundert zu kurzem Ruhm gelangen, bevor sie im anbrechenden 19. Jahrhundert erneut scharfer und bis in die Gegenwart anhaltender Kritik ausgesetzt sind. Dass gerade die Epoche der Aufklärung (ausschließlich männliche) Unternehmerfiguren wie den Fabrikanten und den Kaufmann zu gesellschaftlichen Vorbildfiguren erklärt, steht mit den Überlegungen der europäischen Aufklärungsbewegung zur politischen Ökonomie und deren teleologischem, auf den Fortschritt ausgerichteten Diskurs im Zusammenhang. Anders als in der Literatur des 19. Jahrhunderts wird dieses Denken im 18. Jahrhundert noch nicht mit seinen Schattenseiten konfrontiert, wie sie beispielsweise die literarische Strömung des Naturalismus in den Vordergrund stellt. Schrifttum, der Presse sowie in Theater und Roman zu betrachten, unternimmt der Sammelband von Schuchardt/Tschilschke (2022). 334 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 6.1. Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788): Der Textilfabrikant als moralischer und wirtschaftlicher Ratgeber14 In Eugenio, dem im Doppelsinn ‚gut betuchten‘ katalanischen Textilfabrikanten und Protagonisten aus Iriartes dreiaktiger comedia moral15, findet sich in Analogie zu den hier untersuchten sentimentalen Komödien, die den Kaufmann inszenieren, ebenfalls eine nahezu mustergültige Verkörperung des aufklärerischen Konzeptes der amistad: Er ist kultiviert und tritt für die Bildung von Frauen und Männern ein,16 ist ein „caballero en forma / y hombre de bien“17. Er besitzt Urteilsvermögen („juicio“18), zeichnet sich durch Ehrbarkeit („honradez consumada“19) aus und leistet in der Komödie so manchen, für die Begünstigten kostenlosen und zugleich ertragreichen Freundschaftsdienst. Eugenios Textilfabrik bildet den Gegenentwurf zu der im ausgehenden 18. Jahrhundert in der Krise befindlichen spanischen Textilindustrie: In Iriartes Stück wird mit der Handlung um den Tuchfabrikanten im Medium des Theaters zugleich ein Erfolgsnarrativ spanischen Unternehmertums entworfen,20 das nicht zufällig in Katalonien als dem damals leistungsstärksten Industriestandort Spaniens angesiedelt ist (vgl. Kap. 2.2).21 Dies verdeutlicht einmal mehr Anliegen und Tendenz 14 Die hier angestellten Analysen zu Iriartes La señorita malcriada finden sich in Teilen in dem Artikel: Schuchardt, Beatrice (2018a): „Freundschaft und die Ökonomie der Affekte in sentimentalen Komödien der spanischen Aufklärung“. In: Schlünder, Susanne/Stahl, Andrea (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp. 259-280. 15 Vgl. hierzu den Paratext des Stückes auf der Titelseite. 16 Vgl. Iriarte, Tomás de (2010): La señorita malcriada (1788). In: idem. Teatro original completo, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra, pp. 365-502, hier p. 436. 17 Iriarte (2010: 385). 18 Iriarte (2010: 417). 19 Iriarte (2010: 417). 20 Zur desolaten Lage des spanischen Textilsektors in jener Epoche vgl. u.a. Letayf (1968: 31): „Desgraciadamente, el panorama global de la industria pañera clásica [en España] a fines del siglo xviii era de escasa producción y poca calidad.“ Vgl. hierzu auch Gil, Tomás (2009): „Industria, interés público, felicidad. Configuración y dinámica del gusto ilustrado“. In: Res publica 22, pp. 225-230. 21 Vgl. auch Angulo Egea (2006: 113): „La naciente industrialización, principalmente en Cataluña, se entendió como un símbolo de progreso. De ahí también la insistente valoración del trabajador. En el teatro surgen, por ejemplo, figuras que representan al 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 335 des neoklassischen Theaters, ganz im Sinne der Poetik Ignacio de Luzáns idealisierend zu wirken, „presentando [las cosas] a tal fin sobre la escena, no como son, sino como debieran ser“.22 Darüber hinaus zeigt sich anhand der Figur Eugenios die für spanische Komödien der Spätaufklärung typische Kopplung von finanziellem Erfolg und moralischer Vorbildlichkeit: Eugenio ist, ebenso wie der Kaufmann Bruno aus Comellas El hombre agradecido, selbst so begütert und unternehmerisch erfolgreich, dass er nicht nur als Finanzberater fungieren kann, sondern darüber hinaus als Ratgeber in moralischen Fragen herangezogen wird. Eugenios guten Rat haben die übrigen Figuren des Stückes bitter nötig: Der lebenslustige, nahezu fahrlässig sorglose Gonzalo lässt die Erziehung seiner Tochter Pepita – der titelgebenden señorita malcriada – derart schleifen, dass diese in die Fänge der intriganten Nachbarin Ambrosia und unter den Einfluss des zwielichtigen Marqués de Fontecalda gerät. Russell P. Sebold zufolge trägt Pepita ebenso die verschwenderischen und koketten Züge einer petimetra wie die Leichtfertigkeit und Keckheit einer maja zur Schau,23 ein Detail, mit dem Iriarte auf die gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Mode verweist, dass sich adelige und besitzende Schichten in der volkstümlichen Tracht der majos und majas unters Volk mischen.24 Die Eheschließung Pepitas mit dem ebenfalls negativ gezeichneten und an die Figur eines petimetre angelehnten Marqués de Fontecalda steht unmittelbar bevor, wurde doch der mit dem Marqués um Pepitas Hand konkurrierende Eugenio durch das intrigante Duo Ambrosia / Fontecalda beim Brautvater in Verruf gebracht. Wo Pepitas Leichtfertigkeit herrührt, verdeutlicht der im Stück getätigte Verweis auf die finanzielle Leichtfertigkeit ihres Vaters Gonzalo: Dieser läuft laut eigener Aussage Gefahr, sein nicht unbeträchtliches Vermögen in nur zwei Tagen durchzubringen, weshalb er es dem umsichtigen Don Eugenio anvertraut. buen empresario de actitud paternalista respecto a sus contratados, como se observa en piezas populares como La industriosa madrileña, El fabricante de Olot, o [sic] Los efectos de la aplicación“. 22 Maravall (1991: 386). Hier wird Aristoteles nahezu wörtlich zitiert. 23 Vgl. Sebold (2010: 63). Diese der majeza eigene Zwanglosigkeit bezeichnet Sebold (2010: 66) als „marcialidad“. 24 Vgl. Pietschmann (2005: 229). 336 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Gonzalo: [...] y parte liberalmente [Don Eugenio] conmigo cuantas ventajas le produce en Cataluña la fábrica celebrada de que es dueño. Cobro limpia mi renta de polvo y paja, y tengo mi capital asegurado. Mira, yo soy un perdido que en dos días malgastara mi caudal [...].25 In der zitierten Replik ist vom unternehmerischen Erfolg Eugenios die Rede, der hier mit Gonzalos Fahrlässigkeit in finanziellen Dingen kontrastiert wird, was vor dem Hintergrund der realwirtschaftlichen Situation der spanischen Textilindustrie der Epoche unsere These untermauert, dass es hier mehr um den Soll- als um den Istzustand geht, eine Idealisierung, die mit der neoklassischen Doktrin im Einklang steht. Wie schon der Kaufmann Thorowgood aus Lillos London Merchant fungiert auch der Textilunternehmer Eugenio als vermittelnde und ausgleichende Figur, die als ruhender Pol die Exzesse der über die Stränge schlagenden Figuren Gonzalo und Pepita befriedet. Eugenios kompetenten Rat benötigt Gonzalo nicht allein in finanziellen Dingen, sondern auch wegen der auf dem Spiel stehenden Beziehung zu seiner Schwester Clara. Das zuvor freundschaftliche Verhältnis der Geschwister war durch den schlechten Einfluss Ambrosias in Schieflage geraten, konnte erst durch Eugenios Tätigkeit als Vermittler wiederhergestellt werden und gerät neuerlich in Gefahr, als Ambrosia und der Marqués Clara und Eugenio ein Verhältnis andichten wollen. Eugenios Bemühungen um die Geschwisterbeziehung resümiert Claras Gatte, Don Basilio, mit den Worten: „Estos se llaman oficios /de buen amigo“26, was Eugenios Funktion als freundschaftlicher Berater belegt. Sein Agieren als moralischer und finanzieller Ratgeber weist Parallelen zur eingangs skizzierten Rolle des Monarchen als Verwalter 25 26 Vgl. Iriarte (2010: 391). Iriarte (2010: 388). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 337 der felicidad pública auf (vgl. Kap. 3.1), was darauf hindeutet, dass der philanthrope Aufklärer und versierte Ökonom Eugenio hier als Stellvertreterfigur des Monarchen fungiert. Eugenios Bemühungen, Gonzalo mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, bleiben am Ende fruchtlos: So weist Gonzalo Eugenios Warnungen vor dem unbotmäßigen Verhalten der in ihren Anlagen zwar gutherzigen, aber durch falsche Vorbilder vom rechten Weg abgekommenen Pepita entschieden zurück.27 Zwar ist Eugenio letztlich als Vermittler28 erfolgreich, wenn es darum geht, Gonzalo und Clara wieder zu versöhnen. Pepitas und Gonzalos Beratungsresistenz dagegen wird sie beide am Ende ebenso teuer zu stehen kommen wie ihre Neigung zum Exzess: Durch ihr verschwenderisches,29 launenhaftes und willfähriges30 Verhalten büßt Pepita am Ende die Möglichkeit einer Eheschließung mit der ‚guten Partie‘ Eugenio ein. Dieser bekundet, das Ausmaß des durch die falsche Erziehung Pepitas entstandenen Schadens unterschätzt zu haben, weshalb er von seiner Brautwerbung zurücktritt. Die maßlose junge Dame soll am Ende zur Besserung ihres Benehmens in eine Klosterschule eintreten. Anders als im Theater Comellas fungiert der Konvent hier also nicht als bloße Drohung, sondern dient vielmehr als letztes erzieherisches Mittel. Was Gonzalo anbelangt, so wird dieser am Ende vom Marqués um 10.000 Pesos geprellt.31 Weit schwerer als der finanzielle Verlust wiegt jedoch der durch Gonzalo erlittene Verlust an Ansehen, ist doch der gute Ruf der Tochter ruiniert.32 Dies veranlasst Gonzalos Schwester Clara zur Äußerung der finalen Moral des Stückes: „Ya ves que la mala /conducta 27 Vgl. Iriarte (2010: 389). Eugenio kommt dort auf Pepitas „corazón muy benigno“ zu sprechen. Wie auch im Falle der Figur Mariano aus Iriartes El señorito mimado (1788) sind also nicht Pepitas Anlagen schlecht, sondern die auf sie einwirkenden erzieherischen Einflüsse. Vgl. hierzu Sebold (2010: 65). Zur Figur des Mariano vgl. Kap. 9.1.3. 28 Vgl. Iriarte (2010: 386). Hier ist von Eugenio als einem „medianero“ die Rede. 29 Vgl. Iriarte (2010: 398). So zerschneidet Pepita die Saiten einer Gitarre, weil sie derer überdrüssig ist; sie schickt sich zudem an, ihre Kastagnetten in den Brunnen zu werfen, weil sie sie nicht mehr benötigt. Hier offenbart sich Pepitas Eigenschaft als Verschwenderin und schlechte Ökonomin. 30 Zur Launen- und Sprunghaftigkeit Pepitas vgl. Iriarte (2010: 376; 396). Selbst der Marqués de Fontecalda, der sich am Ende als Betrüger herausstellt, lässt sich über Pepitas schlechte Erziehung aus. Vgl. Iriarte (2010: 411). 31 Vgl. Iriarte (2010: 465). 32 Vgl. Iriarte (2010: 500). 338 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien al fin da mal pago.“33 Gonzalo büßt neben einer beträchtlichen Geldsumme also genau das ein, was das eigentliche Kapital des geselligen hombre de bien Eugenio ist: Ehrbarkeit („honradez“, s.o.) als Grundlage für einen guten Ruf in gesellschaftlichen und geschäftlichen Belangen. Eben auf das soziale Kapital Eugenios zielt die Intrige der Antagonisten Ambrosia und Fontecalda ab, wenn sie gefälschte Briefe über einen vermeintlichen Bankrott Eugenios verbreiten und dessen Freundschaft zu Gonzalo – der ja sein Geld durch Eugenio hatte anlegen lassen – damit willentlich gefährden. Als besonders prekär erweist sich die damit einhergehende Schädigung der geschäftlichen Reputation Eugenios als zahlungs- und lieferfähigem Fabrikanten, denn, wie Eugenio bemerkt: „[...] esa voz, difundida, puede causarme un quebranto /verdadero.“34 Eine ähnliche Szene findet sich in Antonio Valladares de Sotomayors Stück El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784). Auch hier scheut sich der Kassierer des titelgebenden englischen Textilfabrikanten Wilson, den Bankrott seines Dienstherrn bekanntwerden zu lassen „por no dar [...] más quebrantos“.35 Die Sorge vor einem möglichen Bekanntwerden des Bankrotts gilt in El fabricante de paños nicht nur für den äußeren Ruf, sondern auch das Ansehen innerhalb der Familie: So sucht Wilson seinen Bankrott auch vor Ehefrau und Schwiegermutter zu verbergen, um seinen familiären ‚Kredit‘, der hier bezeichnenderweise unter dem Begriff des „crédito“ subsumiert wird, nicht zu gefährden, eine Besorgnis, die er in seinen Repliken wiederholt zum Ausdruck bringt.36 Finanzieller Erfolg und soziales Ansehen bedingen also einander; Ehrbarkeit im Sinne eines guten Rufes erweist sich als entscheidender Faktor für unternehmerischen Erfolg. Das seit dem Mittelalter in den Kaufmannschaften verbreitete Ideal des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ wird also hier auf den Unternehmer übertragen, der 33 Vgl. Iriarte (2010: 501). Iriarte (2010: 474). 35 Valladares de Sotomayor, Antonio (o.J.): El fabricante de paños, o el comerciante inglés. Madrid: Isidro López. Edición digital basada en la de Madrid, Isidro López, [o.J.]. Quelle: https://www.cervantesvirtual.com/obra/el-fabricante-de-panos-o-el-comerciante-ingles-comedia-nueva-puesta-en-verso-en-cuatro-actos--0/, Zugriff: 19.08.2022, p. 11, vv. 49-51. 36 Vgl. Valladares (o.J.: 10, vv. 709-712 und 723-725): „Sí, ocultemos de mi esposa / y de su madre a lo menos / esta funesta noticia / sobre mi crédito, puedo / esa suma reemplazar. / Ocultemos, / esta amargura, esta pena, / mal, quebranto y desconsuelo.” 34 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 339 in Iriartes Komödie eine ähnliche Vorbildfunktion einnimmt wie der ehrbare Kaufmann Bruno in Comellas El hombre agradecido. 6.2. Die Ehe: Metapher für das Verhältnis aufgeklärter Reformökonomen zu Spanien Ganz im Sinne aufklärerischen Denkens erweist sich Eugenio als Utilitarist, wenn er seine Freunde, so auch Gonzalo, von seinen finanziellen Gewinnen ebenso profitieren lässt wie von seinem moralischen Kapital. So bringt er seine Einwände gegen Pepitas Zügellosigkeit sowohl dem Vater als auch der Tochter gegenüber zur Sprache, tritt dabei jedoch nicht als moralisierender Tyrann, sondern als einfühlsamer Berater auf. Ganz dem erzieherischen Geiste der Aufklärung gemäß leitet er die Irrigen an und appelliert an ihre Einsicht, statt sie anzuklagen oder gar zu verdammen: Eugenio. [...] Mis armas no son la reconvención, el precepto, la amenaza; sí, la advertencia oportuna y la persuasión más blanda. Debemos ser indulgentes con las flaquezas humanas, compadecer y guía, al que sigue senda errata.37 Wie in geschäftlichen Belangen handelt Eugenio auch in moralischen Dingen umsichtig und mit Blick auf das rechte Maß, wodurch sich abermals die Anlehnung der in Iriartes Komödie entworfenen unternehmerischen Ehrbarkeit an das Ideal des ehrbaren Kaufmanns zeigt, gründet sich doch auch letztere wesentlich auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles mit ihrem Prinzip des rechten Maßes.38 Wie der Kaufmann Bruno steht auch der Fabrikant Eugenio damit den rachedürstenden Helden der barocken Ehrendramen diametral 37 38 Iriarte (2010: 390). Vgl. Wegmann/Zeibig/Zilkens (2009: 12f.). 340 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien gegenüber. Dort bestraft „der Rächer [...] den unsittlichen Täter nach der ‚poetischen Gerechtigkeit‘. Da ist nichts zu bedauern, und die Rache erscheint als Befreiungssakt.“39 In diesem Mangel an Bedauern spiegelt sich Lucía Díaz Marroquín zufolge das barocke Verständnis des Verhältnisses von Mann und Frau: „[...] corresponde al marido la vigilancia de la conducta femenina y la venganza por la ofensa recibida en caso de infracción“.40 So richtet sich die Rache für den erlittenen männlichen Ehrverlust im Ehrendrama in erster Linie gegen die Frau als Ehebrecherin. Eugenios Haltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber entspricht hingegen dem aufklärerischen Verständnis und manifestiert sich in den von ihm geäußerten Vorstellungen über die Ehe: Diese basiert ihm zufolge auf der „felicidad completa“41 der Ehefrau, was die ‚Bringschuld‘ im Sinne der moralischen Verantwortung für das Gelingen der Ehe gegenüber dem barocken Verständnis vom weiblichen zum männlichen Part verschiebt. Mit dem der felicidad42 bringt Eugenio einen Leitbegriff der spanischen Aufklärung ins Spiel, was nunmehr den letzten Zweifel hinsichtlich der Funktion dieser Figur in Iriartes Stück ausräumt: Über den in finanziellen und moralischen Belangen vorbildlich handelnden Unternehmer wird das neue, durch die spanische Aufklärung entworfene Bild des idealen Menschen transportiert. Dieses Idealbild fasst Álvarez Barrientos wie folgt zusammen: [...] este nuevo individuo había de saber controlarse, debía haber aprendido a hacerlo mediante la educación y el debido conocimiento del ‚corazón del hombre’. [...] Así mismo, este hombre ideal había de ser comedido, frugal, trabajador, sensible, ambicioso en la medida en que pudiera ser capaz de controlar ese deseo y en la medida en que su acaparación de riqueza tuviera una proyección social. Debía trabajar por su nación y alejarse del vicio, del exceso, del lujo, pues era una forma de exceso [...].43 39 40 De Toro (1993: 377). Díaz Marroquín, Lucía (2008): La retórica de los afectos. Kassel: Reichenberger, p. 109. 41 Iriarte (2010: 431). Vgl. hierzu Maravall: „La idea de la felicidad en el programa de la ilustración“. In: idem. (1991: 162ff.). 43 Álvarez Barrientos (2005: 113). 42 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 341 Auch hier erscheinen Fleiß, Sensibilität und Ehrgeiz, gepaart mit der Fähigkeit zur Mäßigung, als aufklärerische und zugleich bürgerliche Tugenden; Eigenschaften, die die nach diesem Modell konzipierten Kaufleute und Fabrikanten in den hier analysierten Stücken bis auf die Ausnahme des Kaufmanns Roque aus Leandro Fernández de Moratíns El viejo y la niña aufweisen. Bar aller menschlicher Laster und Schwächen sind sie damit ebenso wenig glaubwürdig wie sympathisch, was neben der Wortlastigkeit der Stücke und ihrem moralisierenden Impetus den geringen Erfolg des aufklärerischen Theaters beim Publikum begründet. Die als Identifikationsfiguren gedachten Protagonisten, deren idealem Beispiel das Publikum folgen soll, scheitern schon aufgrund der geringen Schnittmengen, die die auf der Bühne Agierenden zum einfachen Volk aufweisen, aber auch durch das geringe Maß an befreiender Komik, das sie für die ZuschauerInnen bereithalten. Aus rezeptionsästhetischer Perspektive missachtet das neoklassische Theater die von ihm propagierte Tugend der Mäßigung, überwiegen doch die über holzschnittartige Charaktere vermittelten moralischen Lektionen die unterhaltsamen Momente.44 Wenn über die Figur Eugenios das aufklärerische Konzept der idealen Ehe entworfen wird, hat dies seinen Preis, verlangt es der Ehefrau doch die Fähigkeit ab, die freundschaftliche Kritik ihres Gatten hin- und anzunehmen. Das eheliche Verhältnis von Mann und Frau soll also nicht durch (maßlose) Leidenschaft, die es allenthalben zu beherrschen gilt, sondern durch die maßvollen Tugenden der Vernunft (ratio) und der freundschaftlichen Verbundenheit (amicitia) bestimmt sein. In Eugenios Vorstellung der Ehe wird also genau jene freundschaftliche Basis als Bedingung einer gelungenen Ehe formuliert, die der Verbindung des geizigen Kaufmanns Roque aus Moratíns El viejo 44 Zu den schwarz-weiß gezeichneten Figuren der sentimentalen Komödie vgl. García Garrosa (1991: 93f.): „El teatro sentimental es esencialmente maniqueo en la caracterización de sus personajes. Pretende transmitir el mensaje de que el hombre debe ser virtuoso (en el amplio mensaje que esta palabra tenía en el siglo xviii), porque sólo así logrará su felicidad, la de sus semejantes y la del conjunto de la sociedad. Por ello, es esquema básico al que recurre es la presentación de la virtud perseguida y finalmente siempre triunfante. El maniqueísmo de los caracteres se presenta entonces como una necesidad intrínseca. [...] Y para que la línea que los separa sea neta y la lección moral que transmite el drama no ofrezca lugar a equívocos, los autores no dudan en cargar las tintas para poner de relieve la excesiva bondad de unos y la extrema maldad de otros.“ 342 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien y la niña zu der deutlich jüngeren Isabel fehlt, weshalb diese Ehe am Ende scheitert. Ein weiteres, für das aufklärerische Denken zentrales Konzept, das Eugenio als Voraussetzung für eine gelungene Ehe ins Spiel bringt, ist die Bildung der Ehefrau, weil diese den gedanklichen Austausch der Ehepartner ermöglicht. Als Säulen des aufklärerischen Bildungsideals listet Eugenio folgende Elemente auf: [...] la natural viveza el útil conocimiento de la historia, de la recta moral, de la geografía y de las más cultas lenguas, como desfrute los buenos libros escritos en ellas. La afición a poesía, dibujo, música...45 Dass sich hier trotz der für die Epoche fortschrittlichen Ansichten des Fabrikanten Eugenio immer noch ein Machtgefälle zwischen Mann und Frau offenbart, zeigt sich in dem Umstand, dass dem Mann die Rolle des Kritikers obliegt, während die Frau als Objekt der Kritik herhalten muss. Nichtsdestotrotz ist in Anbetracht des historischen Kontextes Russel P. Sebold zuzustimmen, der Eugenio – ebenso wie seinen Schöpfer Iriarte – als Feministen avant la lettre ausweist.46 Das von Eugenio formulierte Konzept der idealen, auf eine freundschaftliche Basis gestellten Ehe, in der die Frau bereit ist, die freundschaftliche Kritik ihres Mannes anzunehmen, ist insofern bedeutsam, als es als Metapher für das Verhältnis der aufgeklärten Reformer zum spanischen Staat gelesen werden kann: Dieser soll durch den Freundschaftsdienst der im Geiste des Patriotismus wurzelnden Kritik der ilustradores zu seiner Vollendung, d.h. zur felicidad completa seiner Individuen ebenso wie der Gemeinschaft gelangen.47 Dieser Status 45 Iriarte (2010: 436f.). Vgl. Sebold (2010: 436) in einer Fußnote zum Haupttext. Sebold verweist in diesem Zusammenhang auf den Einfluss von Benito Jerónimo Feijoos (1676-1764) Defensa de las mujeres (1726) auf Iriarte. 47 Entsprechend bemerkt Maravall (1991: 168) etwa im Hinblick auf Cabarrús’ Elogio al excenlentísimo Conde de Gausa (1785): „Cabarrús sostendrá que ‚la felicidad de los súbditos es el grande objeto de toda soberanía.‘“ Ähnliches konstatiert Maravall (1991: 46 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 343 gesamtgesellschaftlichen Glücks kann aber nur erreicht werden, wenn die freundschaftliche Verbundenheit der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft konstruktive Kritik nicht nur zulässt, sondern wenn diese Kritik auch in konkrete Reformen mündet. Dass Pepita und ihr Vater nicht in der Lage sind, die wohlgemeinte Kritik eines Freundes anzunehmen und gute Ratschläge in Taten umzusetzen, verweist metonymisch auf die Gefahren, die die Nichtbeachtung der Reformideen der spanischen Aufklärer mit sich bringt. Dies veranschaulicht der Haushalt Gonzalos als Pars pro Toto der spanischen Nation, leiden doch Ruf und Wohlstand des Hausherrn durch dessen Unbelehrbarkeit. Dass diese in einer metaphorischen Beziehung zu der in Polemiken französischer Aufklärer skizzierten Unbelehrbarkeit Spaniens steht, 48 ist naheliegend. 6.3. Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789): Arbeit als bürgerlicher Wert49 Wie in Iriartes La señorita malcriada ist es auch in Francisco Duráns sentimentaler Komödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789) ein Textilfabrikant, genauer gesagt, ein „fabricante de medias de todas clases, muselinas, paños, estameñas“50 aus Katalonien, der unternehmerische, moralische und, wie sich im Folgenden zeigen wird, christliche Tugenden in sich vereint und sich damit in die Reihe philanthroper WirtschaftsheldInnen und ProtagonistInnen der Produktion fügt, die das neoklassische und populäre 168) auch in Bezug auf Jovellanos‘ Discurso sobre los medios de promover la felicidad de Asturias (1781). 48 Vgl. hierzu Tschilschke (2009: 78ff.). 49 Fragmente der hier angestellten Analysen zu Duráns Komödie finden sich in Schuchardt (2017a) und eadem (2015): „Fe y prosperidad: Sobre la conexión entre lo religioso y lo económico en la comedia La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789) de Francisco Durán“. In: Ebeling, Markus/Österbaur, Veronika (eds.). La religión, las letras y las luces: El factor religioso en la Ilustración española e hispanoamericana. Frankfurt/Main: Lang, pp. 109-122. 50 Vgl. die dramatis personae von Durán, Francisco (ohne Jahresangabe): La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación. Ohne Orts- und Verlagsangabe. Quelle: https://archive.org/details/A25007603, Zugriff: 19.08.2022, p. 1. 344 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts einem in diesem Fall wenig enthusiastischen51 Publikum präsentiert. Esteban, der titelgebende Produzent aus Duráns Komödie, ist, ebenso wie Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada, das unternehmerische Analogon zur Figur des ehrbaren Kaufmanns. Über die Figur des Textilfabrikanten Esteban – der zwar adelig52 ist, aber durch und durch bürgerliche Werte vertritt – werden dem Publikum bei Durán in erzieherischer Absicht dieselben aufklärerischen Ideale vermittelt wie in Iriartes Komödie: die Nützlichkeit des Einzelnen für die Gemeinschaft (utilidad) sowie für deren Wohlstand (felicidad) und das Gemeinwohl (bien común).53 Beide, Eugenio und Esteban, fungieren als Repräsentanten der spanischen Industrie, ein brachliegender Wirtschaftssektor, den es in den Augen der ökonomischen Reformer des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Spanien zum Wohle der Nation auszubauen und zu fördern gilt. So wird die wirtschaftliche Blüte der Staaten auch von Campomanes und von Lorenzo Normante y Carcavilla mit ihren Fortschritten in Handel und Industrie verbunden.54 Im selben Maße wie in Iriartes La señorita malcriada in Analogie zu der in Comellas El hombre agradecido gezeichneten Figur des ehrbaren Kaufmanns Mäßigung (temperantia) und Bescheidenheit (modestia) als 51 Wie Campos (1969: 39) bemerkt, wird das Stück im Februar 1790 im Teatro del Príncipe uraufgeführt und erlebt am 25. Januar 1791 einen weiteren Versuch, es dem Publikum nahezubringen. Beide Versuche scheitern, es kommt zu nur zwei Aufführungen in Folge. 52 Vgl. García Garrosa (1993: 684): „D. Esteban de Villabella [...] [e]s noble, pero, convencido que la ociosidad es la madre de los vicios – tiene el ejemplo de su hermano Silvestre –, ha establecido su pequeña industria en Olot [...].” 53 Diese Schlüsselbegriffe finden sich nicht nur bereits in der englischen und französischen Aufklärung, insbesondere bei Shaftesbury und Diderot. Vgl. Maravall (1991: 261f.). Auch der anonyme Autor des Traktats Le commerce honorable ou considerations [sic] politiques (1646) rechtfertigt den Kaufmannsberuf bereits mit dem Beitrag der Kaufleute zum „bien commun“ sowie mit der „utilité publique“ und greift damit dem aufklärerischen Utilitarismus-Gedanken vor. Vgl. Strosetzki (2017: 12f.). Diesen Gedanken führt Jacques Savary seinerseits in Le parfait négociant fort. Vgl. Strosetzki (2017: 14) mit Bezug auf Savary, Jacques (2011 [1675]): Le parfait négociant, vol. I, ed. Édouard Richard. Genève: Droz, ohne Seitenangabe: „In seiner Vorrede betont Savary, bei seinem Buch wie beim Handel gehe es ihm weniger um das Privatinteresse als um das Allgemeinwohl.“ 54 Vgl. Normante y Carcavilla (1784: 15), zitiert in Maravall (1991: 255). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 345 kaufmännische Tugenden55 propagiert werden, ziert Bescheidenheit auch den Haushalt des katalanischen Textilfabrikanten Esteban. Wie schon in den hier bereits untersuchten Stücken über den Kaufmann werden auch in Duráns sentimentaler Komödie die Charaktereigenschaften des Protagonisten Esteban durch die auf der Bühne präsente Ausstattung des Innenraums visualisiert: In den Anweisungen zur Bühnengestaltung ist von „sillas y un vestido decente“56 die Rede. Außer einer „mesa de caxon con recado de escribir“57 als kaufmännisches Utensil findet sich nur wenig Mobiliar auf der Bühne. Inwiefern der Fabrikant mit seiner hoch zu schätzenden Arbeitsmoral auch den Arbeitseifer der ganzen Region um Olot zu fördern weiß – eine Stadt, die nicht zufällig Ort der Handlung ist, sondern im späten 18. Jahrhundert zu den Zentren der katalanischen Woll- und Seidenproduktion gehört58 –, wird in Duráns Stück immer wieder betont. So erfahren wir bereits vor Estebans erstem Auftritt von dessen Lehrling Blas, dass wir es mit einem im lokalen Umfeld wirkenden Wohltäter zu tun haben, der nicht nur die Armen an seinem Wohlstand teilhaben lässt, indem er ihnen Arbeit verschafft, sondern zudem die Faulen der Stadt verweist und als aufgeklärter Menschenfreund ein nicht minder vorbildliches Unternehmen leitet, das in der Lage ist, dem von den Reformökonomen beobachteten Bevölkerungsschwund effektiv entgegenzuwirken,59 und daher nicht nur von regionaler und nationalwirtschaftlicher, sondern ganz in dem von Campomanes in seinem Discurso sobre la industria popular skizzierten Sinne auch von biopolitischer Relevanz ist: Blas. [...] mientras la industria en Olot los campos puebla, dexa el ocio en otras partes las poblaciones desiertas. 55 McCloskey (2007: 290ff.) identifiziert die bürgerlichen Tugenden Mut, Mäßigung, Gerechtigkeit und Besonnenheit, die auch das Amsterdamer Rathaus als Repräsentation der Handelsmetropole zieren, zugleich als kaufmännische Tugenden. 56 Durán (ohne Jahresangabe: 1). 57 Durán (o.J.: 1). 58 Vgl. Herr (1988: 115), s.o. 59 Dass Duráns Stück sich der Thematik der Entvölkerung annimmt, beobachtet auch Campos (1969: 45). 346 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien [...] el Fabricante procura que todo el mundo se adquierta el sustento con sus manos. [...] Esta es fábrica perfecta, el género es superior y se da con conveniencia. [...] desde que viene á esta Villa no hay casi pobres en ella, y es porque persigue y trata los ociosos a baqueta.60 Wenn die Replik des Lehrlings Blas hier den Primärsektor („los campos“) und den Sekundärsektor in einem Atemzug nennt, schlägt dies Brücken zu Überlegungen von Reformökonomen von Uztáriz über Campomanes, Arteta de Monteseguro und Dámaso Generés bis hin zu durch Smith beeinflussten Ökonomen der Spätaufklärung wie Alcalá Galiano und Foronda, die trotz zuweilen unterschiedlicher Positionen darin übereinstimmen, dass die Industrie nicht ohne eine solide Landwirtschaft gedeihen kann, die die ArbeiterInnen zu ernähren im Stande ist.61 Wie Ocampo Suárez-Valdés betont, ist die Abhängigkeit des Konsums landwirtschaftlicher Produkte – und somit auch die der Bauern und Landarbeiter – vom Gedeihen der Industrie ein reformökonomisches Leitmotiv der Epoche, das sich bei den oben 60 Durán (o.J.: 2). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 105f.) mit Bezug auf Uztáriz, Gerónimo de (1968 [1724]): Theórica y práctica de comercio y de marina, ed. G. Franco. Madrid: Aguilar, p. 48; Campomanes (1975: 50ff.); Arteta de Monteseguro, Antonio (1985 [1783]): Discurso instructivo sobre las ventajas que puede conseguir la industria de Aragón, ed. Guillermo Pérez-Sarrión. Zaragoza: Diputación General de Aragón, pp. 20f. sowie Dámaso Generés, Miguel (1996 [1793]): Reflexiones políticas y económicas sobre la población, agricultura, artes fábricas y comercio del Reyno de Aragón, eds. Ernest Lluch & Alfonso Sánchez Hormigo. Aragón: Gobierno de Aragón, pp. 81f. Vgl. auch Alcalá Galiano, Antonio (1788): „Sobre la necesidad y justicia de los tributos”. In: Actas y memorias de la Sociedad Económica de Segovia, vol. IV, 48, p. 38 sowie Foronda, Valentín de (1994 ([1788-1791]): Carta sobre los asuntos más exquisitos de la economía política y sobre las leyes criminales, ed. José María Barrenechea. Gobierno Vasco: Departamento de Economía y Hacienda, pp. 68 und 400ff. 61 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 347 Genannten ebenso findet wie bei Arriquíbar, Normante und Romá i Rosell.62 Auch in diesem Stück steht die in Analogie zum Typus des ehrbaren Kaufmanns gestaltete Vorbildfunktion des Unternehmers, die in Blas‘ Replik anhand der Schilderung von Estebans „fábrica perfecta“ (s.o.) und deren positiven Auswirkungen auf die sie umgebende Stadt Olot veranschaulicht wird, im Dienste des erzieherischen Anspruchs des neoklassischen Theaters. Und auch hier soll sich das Publikum an Esteban als Verkörperung des Ideals des aufgeklärten Bürgers und als idealem männlichen wirtschaftlichen Akteur ein Beispiel nehmen. Entsprechend lobend fällt im Februar 1790 die Kritik des Memorial literario63 über Duráns Komödie aus, einer Zeitschrift, die sich als Sprachrohr des aufklärerischen Reformdiskurses unter Carlos III. auf literarischer Ebene versteht und dem neoklassischen Theater verbunden ist.64 Die Typen des Fabrikanten und des ehrbaren Kaufmanns ähneln sich nicht nur in ihrer Vorbildfunktion als Menschenfreunde und erfolgreiche Geschäftsleute, vielmehr findet die Rede des Kaufmanns Bruno aus Comellas El hombre agradecido in den Worten des Fabrikanten Esteban eine inhaltliche Entsprechung, was nicht nur die wechselseitige Beeinflussung der Autoren zeigt, sondern auch, inwiefern 62 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 109) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de (1988 [1762]): Reflexiones sobre el comercio españo a Indias, ed. Vincent Llombart. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 413; Arteta (1985: 13); Arriquíbar, Nicolás de (1987 [1779]): Recreación política. Reflexiones sobre el amigo de los hombres en su tratado de población considerado respecto a nuestros intereses, carta III, ed. Jesús Astigarraga und José María Barrenechea. Bilbao: Instituto Vasco de Estadística, p. 105; Romá y Rosell, Francisco (1989 [1768]): Las señales de la felicidad de España y medios de hacerlas eficaces, ed. Ernest Lluch. Barcelona: Diputación de Barcelona, pp. 107ff. 63 Vgl. Memorial literario 1790, 222, zitiert in Urzainqui (1992: 270) sowie in Gies (1996) – hier ist das im folgenden zitierte Fragment aus der Kritik titelgebend für den Aufsatz – sowie idem (2022: 184): „Las sentencias y buenas máximas de industria y comercio están sembradas oportunamente por toda la acción. El asunto elegido por el autor no podía ser más a propósito en un tiempo en que se protegen tanto las artes y se combaten tanto las preocupaciones que alimentaban la ociosidad y desterraban la aplicación.” Auch Tschilschke widmet sich diesem Zitat. Vgl. Tschilschke, Christian von (2018): „Aspectos del ocio y de la ociosidad en el teatro y en el discurso sobre el teatro dieciochesco español“. In: Cuadernos dieciochistas, 19, pp. 245-260, hier 248ff. 64 Vgl. Urzainqui (1992: 273), der zufolge „una estrecha vinculación [...] con el gobierno de Carlos III“ bestand, die sie unter anderem mit der Einflussnahme Floridablancas, von 1777-1792 Staatssekretär unter Carlos III., auf die Redaktion der Zeitschrift begründet. 348 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien wiederkehrende Leitlinien der Reformökonomie durch das spanische Theater der Spätaufklärung repräsentiert werden. Ersichtlich wird dies zum Beispiel in einem Dialog Estebans mit seinem Gegenspieler und Halbbruder Silvestre. Silvestre schätzt hier die „industria“, die sowohl die Fabrik Estebans als auch die Geschäftigkeit seiner Arbeiter meint,65 gering und vertritt damit die im ausgehenden 18. Jahrhundert als überholt angesehene Auffassung des frühen Merkantilismus, dass sich der Reichtum eines Staates vor allem an dessen Edelmetallen bemesse. Wenn Silvestre darauf hinweist, dass es gerade die Edelmetalle seien, die es den Damen und Herren der begüterten Schichten erlaubten, sich mit Schmuckstücken ausländischer Provenienz auszustatten,66 entgegnet Esteban: Y que en un capricho de esos disipen todas las rentas, que les rinden los afanes de una poblacion entera, para que el jugo español vaya a manos extrangeras.67 Der Unternehmer nimmt hier die Haltung des patriotischen Reformökonomen ein, wenn er ausführt, dass das Vermögen einer ganzen Nation aufgrund einer falschen, den Schein über das Sein stellenden Wertigkeit verspielt werde, um das heimische Kapital zum Schaden Spaniens dem Ausland („manos extranjeras“) zuzuspielen. Über die Rede des wohltätigen und fleißigen Fabrikanten verurteilt das Stück das durch Silvestre vertretene ‚falsche‘ ökonomische Wertsystem: Silvestre setzt auf importierte Luxusgüter und scheitert gemäß der im ökonomischen Reformdiskurs wurzelnden Moral von Duráns Komödie. Dass die Apologie des Konsums ausländischer Luxuswaren hier durch einen durch und durch antagonistisch gezeichneten, verschwenderischen, betrügerischen, faulen und an den Typus des Zu den Bedeutungen des Begriffs der ‚industria’ vgl. Maravall (1991: 139ff.). Auch Jovellanos fasst diese im Sinne einer Tätigkeit auf: „Toda operación dirigida a mejorar las producciones de la tierra se puede llamar industria, aunque comúnmente se toma esta voz en un sentido menos vago y general...“. Jovellanos (2008a: 291). Vgl. hierzu auch Maravall (1991: 156). Zum Begriff der „industria“ vgl. überdies Gil (2009: 225ff.). 66 Vgl. Durán (o.J.: 7). 67 Durán (o.J.: 7). 65 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 349 petimetre angelehnten Charakter vertreten wird, entspricht dem bereits skizzierten Handlungsschema wirtschaftsbezogener Komödien der Spätaufklärung, dem zufolge die wesensguten und versierten viri oeconomici und ihre Herzensdamen am Ende sowohl ihr finanzielles als auch ihr moralisches Kapital mehren, während die VerschwenderInnen in Finanz- und Liebesdingen scheitern.68 Der genannte Dialog zwischen Esteban und Silvestre steht in Analogie zu Brunos Appell an Lorenzo, seine Geschäftsstrategie des „comercio pasivo“ zu überdenken, da diese der heimischen Wirtschaft zum Nachteil gereiche. Was Duráns Komödie hier – personifiziert durch den Fabrikanten Esteban – als ‚neue‘ gesellschaftliche Tugend instauriert, ist der Wert der Arbeit und ihr Beitrag zum Gemeinwohl, ein Aspekt, der sich sowohl in den Schriften Campomanes‘ als auch bei Jovellanos und Ramos findet. So heißt es etwa in dem von Ramos unter dem Pseudonym Antonio Muñoz veröffentlichten Discurso sobre economía política (1769): Las cosas y sus signos forman la esencia de la opulencia, pero los Estados no pueden conseguir la opulencia, sino por medio de las cosas; esto es, de hombres empleados en trabajos útiles, que aumenten la suma de los productos y les den todo el valor, que puede añadirles la industria.69 Arbeit erscheint hier als entscheidender Faktor für die Mehrung des Wohlstandes eines Staates. In Duráns Komödie erweist sich die Arbeit zudem als ein Wert des berufstätigen Adels und des Berufsbürgertums, mit dem sich diese aufstrebenden sozialen Schichten vom nichtstuerischen Adelsstand abheben. Den Gegensatz zwischen einem arbeitsamen und einem untätigen, sich auf seinen Ländereien ausruhenden Adel, konturiert Duráns Komödie anschaulich anhand der gegensätzlichen Haltung von Esteban und seinem Vater Pablo, der ebenso wie Silvestre das traditionelle Feudalsystem repräsentiert, das die Reformökonomen wenn nicht abzuschaffen, so doch zu reformieren trachten, indem sie Adelige zum Ergreifen eines Berufes aufrufen: D. Pab. [...] que vivas como viven 68 Vgl. auch Schuchardt (2014). Ramos, Enrique (1769): Discurso sobre economía política. Madrid: Joaquín Ibarra y Marín, p. 79. 69 350 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien las personas de tu esfera, dexándote de labores propias de gente plebeya. D. Est. Hasta ahora, padre mio, las debo mi subsistencia, y tengo por imposible dexarlas hasta que muera, que es muy pícaro y muy necio, el hombre que vive á expensas del trabajo de los otros.70 In Verbindung mit der für den aufklärerischen Reformdiskurs typischen Adelskritik lehnt Esteban hier das Prinzip des adeligen Großgrundbesitzers ab, andere für sich arbeiten zu lassen. Zugleich tritt er als Inkarnation unternehmerischen Verantwortungsbewusstseins auf, wenn er sich weigert, seine Arbeiter sich selbst zu überlassen und in das untätige Leben eines Adelssprosses zurückzukehren. Wenn Maravall71 als zentrales Motto der von ihm skizzierten neuen bürgerlichen Mentalität der spanischen Aufklärung – die im untersuchten Stück bezeichnenderweise durch den adeligen Esteban repräsentiert wird – die Ineinssetzung von individuellem Glück und Gemeinwohl betont, ist damit zugleich die zentrale Achse bezeichnet, um die sich auch Duráns Stück dreht, wird hier doch das aufklärerische Gesellschaftsmodell propagiert: Dieses schließt neben der Ehrbarkeit, der Befolgung der Gesetze und der familiären wie gesellschaftlichen Pflichten auch die Arbeit als neuen Wert ein.72 Angesichts der großen Mehrzahl an Theaterstücken der Epoche, in denen, wie Gies betont, niemand einer Beschäftigung nachgeht, erscheint ihm Estebans Verteidigung der Arbeit umso radikaler.73 Hatten wir in Bezug 70 Durán (o.J.: 5). Vgl. Maravall, José Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración española“. In: Hispanic Review, 47, 3, pp. 291-325, hier p. 318: „[...] fin individual y fin común se identifican“. 72 Vgl. Urzainqui (1992: 376), die von einer „una sociedad asentada en los valores del trabajo, de la honradez, del acatamiento a las leyes, del decoro, y del cumplimiento de los propios deberes familiares y sociales“ spricht. 73 Vgl. Gies (1996: 454). 71 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 351 auf das Ideal des ehrbaren Kaufmanns bereits konstatiert, dass dessen wirtschaftliches Handeln immer auch von sensibilidad und amistad geleitet sein und damit der Nation zum Nutzen gereichen soll, nimmt die Arbeit für aufklärerische Denker wie Cabarrús und Foronda eine ähnliche Funktion ein. Deren Haltung zur Arbeit als einer gemeinnützigen Tätigkeit resümiert Maravall wie folgt: „[...] si se trabaja, si se hacen esfuerzos que benefician a los demás, son también beneficios necesariamente para si; y a la inversa es no menos cierto también: quien trabaja en su propio interés trabaja para los demás.“74 Die Arbeit als bürgerlicher Wert ist also eine Form gemeinnützigen Handelns zum Wohle einer Gemeinschaft, der sich der aufgeklärte, seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusste gewerbetreibende Patriot freundschaftlich verpflichtet fühlt. Da die Arbeit jedoch nicht nur der Gemeinschaft, sondern durch das mit ihr erwirtschaftete Vermögen auch dem arbeitsamen Individuum selbst zugutekommt, stellt sie eine lohnende Investition dar. Genau diese Win-Win-Situation führt Duráns Komödie anhand von Esteban als Verkörperung des vorbildlichen Unternehmer-Paternalisten75 anschaulich vor, der überdies illustriert, dass Adel und Arbeit sich nicht ausschließen. 6.3.1. Zeitökonomie In seiner Analyse von La industriosa madrileña identifiziert Gies ideologische Parallelen zwischen Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774), in dem der spanische Staatsmann und Ökonom vorschlägt „[de] crear y apoyar industrias de tejidos basadas en la labor casera [...] de mujeres y niños“76, und der durch Duráns Stück entworfenen idealtypischen Darstellung des Textilsektors. Das Konzept der Heimarbeit, das neben Campomanes auch Arteta und Generés angeregt hatten,77 findet auch in der theatralen Fiktion von Estebans Textilfabrik Anwendung. Der vorbildliche Fabrikant zeigt nicht nur seine Rücksichtnahme auf den Erschöpfungsgrad seiner 74 Maravall (1991: 257). Auch Campos (1969: 44) konstatiert Estebans „actitud paternalista respecto a sus operarios”. 76 Vgl. Gies (1996: 451), meine Übersetzung. 77 Vgl. hierzu Ocampo (2003: 106) und Usoz Utal (1997). 75 352 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien (männlichen) Arbeiter und ermöglicht ihnen zudem ein höheres Auskommen, wenn er ihnen gestattet, ihre Arbeitszeit über ihre Anwesenheit in der Fabrik hinaus zu verlängern. Esteban offenbart überdies seinen unternehmerischen Sinn für Zeitökonomie und argumentiert, dass die Ökonomisierung der Arbeitszeit und ihre Ausdehnung in den Heimbereich zu besseren Produkten führe, seien übermüdete Werktätige doch eine der Hauptursachen für die mangelhafte Qualität der produzierten Waren: Soy de parecer que aquellos cuyos manos son ya diestras, y que para texer bien no han menester mi presencia, se les permita llevar el suyo á sus casas mesmas, que así aprovechando parte de las dos horas que emplean en las idas y venidas, de la comida y merienda, podrán grangear los pobres algo mas.78 Der Dramentext greift an dieser Stelle die bereits von Bernardo Ward in seinem Proyecto Económico (1779) vertretene Präferenz für die Heimarbeit auf, die dort allerdings noch mit der Zurückweisung von Fabriken verbunden ist,79 und aktualisiert diese unter Berücksichtigung der ökonomischen Diskurse der spanischen Spätaufklärung, in der die Errichtung königlicher Textilfabriken ebenso Teil des nationalen Reformprogramms ist wie der in Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular gemachte Vorschlag, den Winter, wenn die Feldarbeit ruht, für die Herstellung von Textilien in Heimarbeit zu nutzen.80 Estebans Textilfabrik ist unter anderem auch deshalb so 78 Durán (o.J.: 10). Vgl. Ward (1982: 131), bereits zitiert in Kap. 3.3.2. 80 In seinem Discurso verweist Campomanes (1975: 71) selbst explizit auf Ward, und zwar im Zusammenhang mit den Informationen, die notwendig seien, um Zustand und Beschaffenheit der Industrie in den Provinzen und die Herausforderungen, mit denen diese zu kämpfen habe, zu ermitteln, um darauf aufbauend reformökonomische Maßnahmen zu erarbeiten. Schon Ward hatte auf die Notwendigkeit der Erhebung 79 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 353 fortschrittlich, weil sie im Sinne einer effizienten Steigerung der Textilproduktion beide Modelle – die Heim- und Fabrikarbeit – kombiniert, wird dort doch ebenso im Privaten wie am industriellen Standort gefertigt, wie die Bemühungen des Lehrlings Blas am Webstuhl zeigen. Die zitierte Passage veranschaulicht, dass es dem aufklärerischen Verständnis von Unternehmertum zufolge möglich ist, Menschenliebe und unternehmerisches Gespür zu vereinbaren. Beide sind notwendig miteinander verzahnt, was offenbart, wie weit das spanische Reformtheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch von den Skizzen eines ausgebeuteten Proletariats entfernt ist, das dem Profitstreben eines auf Gewinn ausgerichteten Unternehmer-Kapitalisten ausgeliefert ist. Solche Skizzen finden sich in der Literatur des 19. Jahrhunderts im Kontext der Strömungen des Sozialismus, des Naturalismus und der damit verbundenen Kritik am Großbürgertum zahlreich. Zu denken ist hierbei für den Bereich des Theaters etwa an Autoren wie Sixto Sáenz de la Cámara mit Jaime el Barbudo (1853). Dort denunziert der Autor soziale Ungleichheit und schlägt sich auf die Seite des ‚noblen Banditen‘ Jaime, der seinerseits als Repräsentant der mittellosen Fleißigen fungiert und den ‚Adel der Arbeiterklasse‘81 propagiert. ‚Helden der Arbeiterklasse‘82 rücken auch Francisco Botella y Andrés (1832-1903) mit El rico y el pobre (1855), Benito Pérez Galdós (1843-1920) mit La de San Quintín (1893), José Francos Rodríguez‘ (1862-1931) und Félix González Llanas mit ihrem durch Gerhart Hauptmanns (1862-1946) Die Weber (1892) inspirierten El pan del pobre (1894) in den Fokus ihrer Stücke. Dies gilt auch für Leopoldo Alas‘ (alias Clarín, 1852-1901) Teresa (1895).83 Das Ergebnis von Estebans unternehmerischem Sinn für eine optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft wird am Ende des Stückes gebührend gewürdigt: Wie Don Prudencio de solcher Daten verwiesen und vorgeschlagen, zu diesem Zwecke Inspektoren in die einzelnen Provinzen zu entsenden. Vgl. ibid. 81 Gies (1994: 311ff.), meine Übersetzung. 82 Gies (1994: 325), meine Übersetzung. 83 Vgl. für die hier genannten Stücke Gies (1994: 318ff.). 354 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Verga, seines Zeichens Ministro84 de la Real Audiencia de Barcelona85 und Juez Conservador de la fábrica de D. Estevan, betont, produziert die Fabrik von Olot ‚gute Strümpfe‘ („buenas medias“)86 und ist vor allem deshalb als „deseada empresa“ zu bezeichnen, de que se texan aquí las muchas y varias telas que para ropa interior nos introducen de fuera.87 Auch hier klingt das Konkurrenzverhältnis Spaniens insbesondere zu Frankreich auf dem Textilsektor an, das ja in Presse, Theater und Karikaturen in die stereotype Figur des petimetre und der petimetra mündet, die für ihren exzessiven Konsum französischer Luxuswaren bekannt sind. Die Bemühungen Spaniens zur Reformierung der brachliegenden Tuchindustrie finden neuerlich Eingang in das Stück, wenn die Figur Prudencios als Mitglied der Real Audiencia ausgewiesen wird und in diesem Zusammenhang „del fomento que dispensa / aquel recto Tribunal“ sowie von der Estebans Fabrik zugehörigen „escuela de dibujo“ 88 die Rede ist, Ausbildungsstätten, die Teil des ökonomischen Reformprogramms der Krone sind. Über die Figur des im Sinne des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses idealen Unternehmers Esteban und seine „fábrica perfecta“ wird also für den Bereich der Heimtextilien („ropa interior“, s.o.) die Utopie der Konkurrenzfähigkeit Spaniens mit anderen europäischen Industriestandorten entworfen. Diese ist zwar das erklärte Ziel der regional ansässigen 84 Der Begriff „Ministro“ bezeichnet dem Diccionario de Autoridades von 1734 zufolge „[e]l Juez que se emplea en la administración de la justicia, decidiendo y sentenciando los pleitos o causas, o en el gobierno, para la resolución de otros negocios políticos y económicos, ya sea por sí solo, o incluido en algún Tribunal, donde vota con los demás. Latín. Justitiae minister.“ Real Academia Española (1976): Diccionario de Autoridades, ed. facsímil, vol. IV, D-Ñ, p. 572. Eine Onlineversion des Diccionario ist verfügbar unter Real Academia Española (ed.) (1726-1739): Diccionario de Autoridades. Madrid. Quelle: http://web.frl.es/DA.html, Zugriff: 30.08.2022. 85 Mit seiner Funktion als Richter der Real Audiencia, dem höchsten Organ der spanischen Rechtssprechung mit Vertretungen in den jeweiligen Provinzen, wird Prudencio als Autoritätsperson höchsten Ranges ausgewiesen. 86 Durán (o.J.: 10). 87 Durán (o.J.: 10). 88 Durán (o.J.: 2). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 355 Sociedades Económicas de Amigos del País, allerdings wird dieses auch auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert noch nicht erreicht.89 Was die bereits angesprochene Thematik der Zeitökonomie anbelangt, begegnet uns diese in Duráns Komödie auch an anderer Stelle: In einem Dialog zwischen dem Lehrling Blas und Prudencio erwähnt der Jüngere das Fest des lokalen Schutzpatrons mit seinen Vergnügungen für das einfache Volk. Bereits hier deutet sich ungeachtet aller Säkularisierungstendenzen die auch im Spanien des 18. Jahrhunderts noch große Bedeutung religiöser Feste für die kulturelle Alltagspraxis an, Veranstaltungen, die Freizeitaktivitäten mit Erholungswert darstellen.90 In diesem Zusammenhang führt Blas den contrapás als katalanischen Volkstanz an, wodurch Durán das Lokalkolorit als ein Element in sein Stück einbindet, das im 19. Jahrhundert in der Textgattung des costumbrismo zentrale Bedeutung erhalten wird.91 Don Prudencio als Sprachrohr des absolutismo ilustrado hingegen lässt keinen Zweifel an 89 Vgl. Pietschmann (1992: 156). Vgl. hierzu auch Pietschmann (2005: 197f.): „Die zahlreichen religiösen Feste, Prozessionen, Wallfahrten und Zeremonien prägten nach wie vor nachhaltig das öffentliche Leben, die Volkskultur und den Lebenszyklus der Menschen und verschafften der arbeitenden Bevölkerung auch die nötigen Erholungspausen.“ Vgl. außerdem Herr (1988: 127), der vom Glauben an Gott und Kirche als einer die „clases modestas“ prägenden Eigenschaft spricht, ist es doch vor allem die arbeitende Bevölkerung, die von sakralen Ereignissen wie religiösen Prozessionen in Scharen angezogen wird. Herr führt diebezüglich den Bericht des Spanienreisenden Townsend an, der anlässlich der Osterprozessionen in Barcelona von 100.000 ZuschauerInnen spricht. Vgl. Townsend (1792: 107). 91 Vgl. hierzu Álvarez Barrientos, Joaquín (1998): „Presentación: En torno a las nociones de andalucismo y costumbrismo“. In: idem./Romero Ferrer, Alberto. Costumbrismo andaluz. Sevilla: Univ. de Sevilla, Secretariado de Publicación. pp. 11-18; vgl. ebenso idem (1996): „Costumbrismo y ambiente literario en Los españoles pintados por sí mismos“. In: Centro internacional de estudios sobre el romanticismo hispánico (ed.). El costumbrismo romántico. Romanticismo 6. Actas del VI congreso, Napolés, 27-30 marzo de 1996. Rom: Bulzoni, pp. 21-27. Vgl. auch Fontanella, Lee (1982): „The Fashions and Styles of Spanish Costumbrismo“. In: Revista Canadiense de Estudios Hispánicos, 6, 2, pp. 175-189 sowie Gumbrecht, Hans-Ulrich/Sánchez, Juan José (1986): „Fortschrittsresistenz als Nationalbewusstsein: Strukturen von ‚Zeit’ in der spanischen Gesellschaft des xviii. und xix. Jahrhunderts“. In: Drost, Wolfgang (ed.). Fortschrittsglaube und Dekadenzbewusstsein im Europa des 19. Jahrhunderts: Literatur, Kunst, Kulturgeschichte. Heidelberg: Winter, pp. 191-203 sowie idem (1984); Llorens, Vicente (1989): El romanticismo español. Madrid: Castalia; Varela, José Luis (1969). El costumbrismo romántico. Madrid: Magisterio Español. 90 356 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seiner Ablehnung nicht nur dieser Art von Veranstaltungen, die zu unmoralischen Handlungen verleiteten, sondern auch des Umstands, dass diese an einem Werktag stattfinden: Blas. Como hoy celebran la fiesta del Santo Patrón del barrio estaban con sus Marietas luciendo en contrapas los brincos y zapatetas. D. Prud. Yo haré que tales funciones al Domingo se transfieran, sin bayles ni comilonas, causa de otras indecencias. Blas. Pero tampoco ha de estarse siempre el hombre como rueda de molino, ha de tener algunos dias de holgueta. D. Prud. Y que perdiendo jornales malgaste lo que no tenga. Hoy mismo sobre este punto dispondré lo que convenga, causando un gran beneficio á los pobres de la Iglesia.92 In der Rollenverteilung von Lehrer und Schüler bzw. in der Dichotomie ‚weises Alter‘ versus ‚unerfahrene Jugend‘ wird in diesem Dialog zugleich das Verhältnis von wissenden Reformökonomen und unwissendem Volk metaphorisiert. Blas als Vertreter der zu belehrenden Jugend hat die Rolle eines Kindes inne, während der Meister als Repräsentant der Reformökonomie die paternalistische Rolle – und 92 Durán (o.J.: 12). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 357 stellvertretend die des Monarchen als ‚Vater der Nation‘ – einnimmt.93 Auch in Jovellanos‘ Elogio de Carlos III heißt es über den Souverän: „Considerándole como padre de sus vasallos...“94 Die von Blas eingenommene kindliche Rolle ist nicht nur seiner Jugend geschuldet, sondern deckt sich mit James R. Farrs Feststellung, dass Lehrlinge seit dem Mittelalter und bis in das 19. Jahrhundert hinein den Status von Kindern innehatten.95 In Duráns Komödie ist es nun ein Abgesandter des Monarchen und staatlicher Würdenträger, der den auf sein Recht auf Freizeit pochenden und damit kindlich-beharrlichen Blas – der hier stellvertretend für den zu belehrenden vulgus steht – über die neue Zeitökonomie des absolutistischen Reformdiskurses unterrichtet, die auch in Campomanes‘ Discurso (1774) eine große Rolle spielt, betont der Minister und Reformökonom dort doch wiederholt, dass sein Modell, das Campomanes‘ Vorstellung von einer industria rural dispersa entspricht, eine maximale Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und ihrer Zeit gewährleiste: „[...] las fábricas de lienzo, en tanto se mantienen y aumentan en cuanto ocupan la gente aldeana o las ociosas y vagas de las villas y ciudades y se aprovechan de las horas libres del día y de las que pueden emplear en las noches, especialmente las de invierno, a costa de una mayor aplicación.“ 96 Die Nichtausschöpfung dieser Ressource hingegen verteuere die Produktion dergestalt, dass dies die gesamte lokale Textilbranche in Gefahr bringe, wie Campomanes angesichts des Niedergangs der 93 Von der ‚Vaterrolle’ des absolutistischen Monarchen spricht auch Llanos Mardones (1989: 206), wenn sie die Nation als eine „gran familia cuyo padre es el monarca“ definiert, deren ‘kleinste Einheit’ („célula básica“) die bürgerliche Familie als eine „propiedad caracterizadora de los grupos burgueses“ sei. Diese Familie besteht im Falle von Duráns Stück zunächst in dem Unternehmer Esteban und seinem Lehrling Blas, für den der Unternehmer eine Vaterrolle einnimmt. Dass der ‚Mikrokosmos der Familie‘ für die ‚Gesellschaft als Ganzes‘ (meine Übersetzung,) steht, affirmiert auch Gies (2022: 189) in seiner Analyse von La industriosa madrileña, und zwar nicht nur für dieses Stück, sondern für das Theater der spanischen Spätaufklärung insgesamt: „Playwrights frequently used the family as a microcosm of the larger society as a whole. When these ‚literary‘ ideas are inserted into the complex network of prohibitions, decrees, embargos, tax systems, and mercantilist control that ruled the textile industries, certain patterns tend to emerge. The family is an analogue of society.“ 94 Jovellanos (2008b: 672). 95 Vgl. Farr, James R. (2000): Artisans in Europe, 1300-1914. Cambridge: Cambridge University Press, p. 33. 96 Campomanes (1975: 55). 358 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Textilindustrie von León mutmaßt: „De donde se colige que una magnífica fábrica, con gran número de telares y a costa de jornales, sale muy cara, acostumbrándose los empleados en ella a no tener otra ocupación y a trabajar sólo las horas del día establecidas dentro de las casas de fábrica.”97 Zeit ist also Geld – und daher gut zu nutzen. Bemerkenswert sind in Duráns Stück aber nicht nur Don Prudencios Überlegungen zu einer besseren Ausschöpfung der in der Arbeitswoche zur Verfügung stehenden Zeit und der Verlegung jeglicher Festivitäten auf den ohnehin arbeitsfreien Sonntag, sondern auch die für Duráns Stück charakteristische Verquickung von ökonomischem und religiösem Diskurs. So begründet der Vertreter der Justiz die Beschneidung der Freizeit zugunsten der Arbeit letztlich mit der christlichen caritas: Wer mehr erwirtschafte, könne auch mehr für die Armen geben. Dieser Aspekt einer Kopplung von optimaler Ausutzung der Arbeitszeit, caritas und bien común findet sich auch im Kontext der von Esteban vertretenen unternehmerischen Zeitökonomie, sind es doch auch hier die Armen – im konkreten Falle: die armen Arbeiter –, die sich durch Heimarbeit ein dringend benötigtes Zubrot erwirtschaften können, insofern sie Zeiten der Beschäftigungslosigkeit, zu denen auch die Freizeit zählt, nutzen. Damit plädiert Duráns Komödie ebenso für die gesellschaftliche Verantwortung der wirtschaftlichen Eliten wie für den Eigenanteil der Armen an ihrer wirtschaftlichen Misere. 6.3.2. Der Lohn der Fleißigen Wird in Moratíns El viejo y la niña die Thematik des gerechten Preises verhandelt, nimmt in Duráns Stück das Motiv des Lohns eine zentrale Rolle ein und wird dort in den Kontext des für das Stück zentralen Gegenstands der Arbeit gestellt. Passend zu Estebans Funktion als Produzent von Textilien ist es ein Kleidungsstück – und zwar nicht irgendeines, sondern Estebans bestes –, das der Unternehmer seinem Lehrling als Lohn für dessen Ehrgeiz, bessere Kleider weben zu wollen, überreicht.98 97 98 Campomanes (1975: 55). Durán (o.J.: 7). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 359 Quítase [Blas] la casaca y la chupa, y las arroja en el rincon en que está la estameña. D. Est. ¿Por qué haces esa locura? Blas. Porque quiero ropa nueva mas honrada ya que tengo con el doblón para ella; y porque voy a aplicarme día y noche quanto pueda, para que antes que se rompa sepan texer mis muñecas todo quanto necesito. D. Est. Mereces, Blas, que te ofrezca mi mejor vestido: toma.99 Blas‘ Bestreben, den Webstuhl nicht eher verlassen zu wollen, als ‚seine Handgelenke das Weben beherrschen‘ (meine Übersetzung) – ein Verweis auf die körperliche Verinnerlichung der Arbeitsprozesse –, wird hier durch seinen Lehrherrn großzügig entlohnt. Esteban hatte Blas bereits zuvor eine Münze dafür überreicht, dass dieser als Einziger noch am Webstuhl ausharrt, während alle anderen bereits aufgebrochen sind, um das Fest des Schutzheiligen des Viertels zu begehen. [...] y toma le da una moneda un doblon en recompensa del honrado proceder y la aplicacion que muestras, pues del telar no te apartas hoy que están todos de huelga.100 99 Durán (o.J.: 7). Durán (o.J.: 6). 100 360 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Arbeit wird nicht nur als ehrenhafte, sondern zudem als lohnende Tätigkeit inszeniert, die sich umso wertvoller darstellt, wenn der Arbeitende ihr zuliebe auf das Vergnügen verzichtet. Was hier so großzügig entlohnt wird, ist die Tugend der industria. Auf die aus dem Fleiß resultierenden ‚Profite‘ für die industrielle Produktion verweist auch Jovellanos in seinem Informe a la Junta General de Comercio y Moneda sobre la libertad de las artes (1785), auch bekannt als Informe sobre el libre ejercicio de las artes: Donde florece la industria, cada una de estas artes se ejerce separadamente. De aquí resulta, primero, la perfección de las artes, que siempre es hija del hábito y de la aplicación; y, después, la baratura de las obras, que es un efecto necesario de la mayor brevedad y facilidad con que se ejercitan por partes.101 Jovellanos stellt die ‚Perfektionierung der Handwerkskunst‘ hier metaphorisch in eine Genealogie positiver Eigenschaften, wenn er die handwerkliche Perfektion als ‚Tochter‘ der ‚Gewohnheit‘ („hábito“) und des ‚Fleißes‘ („aplicación“) beschreibt. Alle drei gemeinsam führen schließlich zu einer Verbilligung der hergestellten Waren, weil der Arbeitsprozess je schneller und leichter von der Hand geht, desto eifriger und öfter man ihn einübt. Genau auf dieses leichte und quasi automatische ‚Von-Der-Hand-Gehen‘ des Arbeitsprozesses nimmt auch die oben zitierte Replik Blas‘ Bezug, als dieser sich wünscht, dass seine Handgelenke das Weben lernen mögen. Interessant ist, dass analog zu Jovellanos‘ Ausführungen auch Duráns Stück Katalonien – und stellvertretend die Region Olot – als leuchtendes Beispiel für eine florierende (Textil-)Industrie präsentiert, ein Umstand, der auch auf der historischen Vorreiterrolle dieser Region auf dem Textilsektor fußt (vgl. Kap. 2.2).102 Bei Jovellanos bezeugt die 101 Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008c): Informe a la Junta General de Comercio y Moneda sobre la libertad de las artes. In: idem. Obras completas, eds. Vicent Llombart i Rosa & Joaquín Ocampo Suárez-Valdés. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii, pp. 509-539, hier p. 519. 102 Wie Gies (2022: 184, Fußnote 12) mit Verweis auf La Force bemerkt, steigt die Zahl der Webstühle in ganz Spanien ebenso wie in Olot: „Olot had 100 looms in 1785, and more than 500 a mere nine years later. Durán inserts his play into the middle of this heated issue.“ Vgl. auch La Force, James Clayburn Jr. (1965): The Development of the Spanish Textile Industry, 1750-1800. Berkeley: University of California Press, p. 17, zitiert in 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 361 Bezugnahme auf Olot auch eine Unkenntnis der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten.103 Von Interesse ist die bei Durán verwendete Gewandmetaphorik nicht nur im Kontext des hier durch den Fabrikanten von Olot patriarchalisch verkörperten Textilsektors, sondern auch mit Blick auf die Schriften Graefs. So ist etwa in der neunten Ausgabe seiner Discursos mercuriales (1756) im Kontext einer Schilderung des idealen Kaufmanns von einer „prenda“ die Rede: „Debe ser virtuoso [el Comerciante], y adornado con las prendas, que hacen à uno hombre de bien, y de honra.“104 Wie Witthaus in seiner Analyse dieser Passage anmerkt, bezeichnet die „prenda“ hier doppelsinnig ebenso das „Gewand“ wie die „Gabe“, zielt also auf den durch Bildung erreichten Sachverstand des Kaufmanns ebenso ab wie auf sein äußeres Erscheinungsbild. Der bei Graef skizzierte ‚Kodex‘ des ehrbaren Kaufmanns wird hier auf den Fabrikanten übertragen. Durán scheint dieses Element zu übernehmen und etabliert in Analogie zu dem durch die reformökonomische Literatur des spanischen 18. Jahrhunderts konstruierten Idealtypus des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ seinerseits den Idealtypus des ‚ehrbaren Fabrikanten‘. Im Einklang mit dem im reformökonomischen Diskurs erfolgenden ‚Lob des Fleißes‘ inszeniert auch das Bühnengeschehen wiederholt, um nicht zu sagen: unerlässlich, den unmittelbar auf die industria folgenden Lohn. Die Szene, in der der Fabrikant den Weber-Lehrling mit einem Kleidungsstück als dem Endprodukt seiner Bemühungen entlohnt, wiederholt sich spiegelbildlich und auf höherer gesellschaftlicher Ebene, als am Ende Prudencio als Stellvertreterfigur des Monarchen105 Esteban Gies (2022, ibid.): „The number of looms [in Spain] expanded from 353 in 1760 to 4000 in 1804 [...] Between 1775 and 1784 output trebled; employment mushroomed from a handful in 1737, to 10,000 in 1760, to 50,000 in 1775, to 100,000 in 1804.“ 103 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 113): „Cabe, por último, recordar que las múltiples y elogiosas referencias a la ‚industriosa Cataluña‘, fueron compatibles con un flagrante desconocimiento de la realidad fabril del Principado, especialmente en lo relativo al desarrollo de las indianas. Así se deja ver en los informes que redactó sobre muselinas y gorros tunecinos.“ Dies offenbaren auch Jovellanos‘ ökonomische Schriften, vgl. idem (2008d-f: 497-552). 104 Graef (1996 [1956], IX: 196), zitiert in Witthaus (2012: 314f.). 105 An Prudencios Stellvertreterfunktion für den ihn entsendenden Monarchen lässt das Stück keinen Zweifel. Vgl. Durán (o.J.: 11): „ [...] el mundo sepa / como nuestro rey distingue / los vasallos que fomentan / la industria ...“. 362 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seinerseits ein vestido de gala sowie – obendrein – das Verdienstkreuz des spanischen Staates überreicht. Was sich also zunächst im Kleinen und in der Konstellation Lehrherr – Lehrling ereignet, wiederholt sich auf der hochoffiziellen Ebene zwischen Monarch (bzw. einem Abgesandten der Justiz als seinem Stellverteter) und Untertan. Dabei wird die Rollenverteilung von Lehrer und Schüler wieder aufgegriffen, auf die das Stück bereits im Dialog zwischen Prudencio und Blas sowie im Zwiegespräch Estebans mit Blas zurückgegriffen hatte. Abermals wird hier ein Aufsteigernarrativ – und mit ihm das Motiv vom gerechten Lohn der Fleißigen – inszeniert, avanciert Esteban doch mit der Verleihung des Ordens zum staatlichen Würdenträger und sieht so sein soziales Prestige erhöht. 6.3.3. Metonymische Performanzen: Das Pastoratsprinzip Die in Duráns Komödie also zunächst auf der Ebene Lehrherr/Lehrling vorgenommene Entlohnung des Fleißigen, die sodann auf der Ebene Monarch/Vasall wiederholt wird, inszeniert in performativer Art und Weise auf der Bühne, was Vogl in Anlehnung an Michel Foucault als „Pastoratsprinzip“ bezeichnet. Von Foucault 1978 im Zuge seiner Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität (1977-1978) entwickelt,106 bezeichnet dieses Prinzip eine „politische Anatomie elementarer und komplexer Relationen“, die sich, also [...] mit einer Pastoraltechnologie [verbindet], die, wie Foucault gezeigt hat, das jüdisch-christliche Thema der Sorgepflicht eines ‚Hirten‘ gegenüber seiner ‚Herde‘ in den neuen Typus politischer Rationalität überführt und sich im Arbeitsgebiet einer ‚guten Policey‘ konkretisiert.107 Diese „Sorgepflicht“ des Monarchen als „Hirten“ gegenüber der „Herde“ des Volkes, im Zuge derer die Unwissenden aufgeklärt und über das rechte Handeln belehrt, aber auch für ihr ‚rechtes Tun‘ entlohnt werden, inszeniert Duráns Komödie in den genannten Passagen in Form eines performativen Aktes metonymischer Stellvertretungen. Die Objekte Kleidungsstück und Ehrenkreuz fungieren dabei ebenso 106 107 Vgl. Foucault (1994: 134ff.). Vogl (2002: 73). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 363 als Symbole eines höheren gesellschaftlichen Status, wie sie wirtschaftlichen Reichtum versprechen: Ein Festgewand kann sich nur leisten, wer auch über das entsprechende Budget verfügt. Mit der Überreichung dieser Symbole durch eine sozial höherrangige Person steigt aber auch der gesellschaftliche Status des Beschenkten. Die eigendynamische Fortsetzung dieses Prinzips wird in La industriosa madrileña deutlich, als der symbolisch mit Estebans bestem Gewand prämierte Blas sich in Zukunft selbst als Textilunternehmer betätigen möchte: Er bekundet, in Asturien seine eigene Textilfabrik eröffnen zu wollen – und erhält das dafür nötige Startkapital sogleich von seinem Lehrherrn.108 Wiederum folgt hier die Entlohnung des Fleißigen unmittelbar und schon auf dessen bloße Absichtserklärung hin, unternehmerisch tätig sein zu wollen. Ebenso ist auch Blas‘ Entschluss, seine Webtechnik verbessern zu wollen, zunächst nur ein Vorhaben, das durch den Lehrherrn unmittelbar belohnt wird. Aus der Reihe performativer Ehrungen ergibt sich ein regelrechtes Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel der Stellvertreterfiguren, das in Analogie zu der in Comellas El hombre agradecido inszenierten Struktur der trusted chain of correspondents steht. Anders als diese, bei der die teilhabenden Kaufleute auf derselben hierarchischen Ebene rangieren, ist die bei Durán inszenierte Reihe performativer Ehrungen jedoch stufenförmig angeordnet. Demnach steigen nicht nur die Ausgezeichneten durch die Ehrung in der sozialen Hierarchie jeweils eine Ebene höher, es erhöht sich jeweils auch der symbolische Tauschwert der dargereichten Gegenstände, von der schnöden Münze über das Gewand des Unternehmers und das Festgewand bis hin zum königlichen Orden. In der Szene, in der Esteban Blas erst mit einem doblón und dann mit seinem eigenen Gewand für seinen Fleiß belohnt, fungiert der Fabrikant als Stellvertreter des Pastorats eines die Industrie fördernden, wohlmeinenden Monarchen. Die metonymische Funktion des Unternehmers als Initiator einer ganzen Reihe nach dem Pastoratsprinzip stattfindender Ehrungen wird erst offenbar, als Esteban selbst vom Hirten zum Schäflein wird. In der betreffenden Szene ist es Don Prudencio, der in seiner Funktion als Stellvertreter des Monarchen in die Rolle des ‚Hirten des Volkes‘ schlüpft. Der Monarch tritt selbst im Stück nicht in Erscheinung, sondern bildet vielmehr eine Leerstelle, was auf seinen der Handlung enthobenen, exklusiven Status hindeutet. Bestätigt 108 Durán (o.J.: 33). 364 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien dies einerseits Vogls These, dass „das Staatswissen sich im Theater der Rollen und Stellvertreter errichtet“109, ist es hier andererseits nicht der Regent, der in dieser Reihe der Stellvertreterfiguren die oberste Stufe einnimmt; wie der folgende Abschnitt zeigen wird, ist es der kulturellen Spezifik Spaniens entsprechend vielmehr Gott als allerhöchste Instanz. In diesem Umstand offenbart sich zugleich eine Verbindung von Ökonomie und Religion, wie sie für die spanische Aufklärung im Allgemeinen und spanische ‚sentimentale Wirtschaftskomödien‘ der Spätaufklärung im Besonderen charakteristisch ist. Dies veranschaulicht auch das Beispiel des Fabricante de paños von Valladares de Sotomayor. Das bei Durán auf der Bühne inszenierte Pastoratsprinzip ist eine Demonstration der Machtallianz zwischen der Gouvernementalität des aufgeklärten Absolutismus und der katholischen Kirche. Wie Jehle gezeigt hat, ist die Zurschaustellung dieser Allianz insbesondere für das Reformtheater von besonderer Bedeutung.110 Darüber hinaus symbolisiert die Kette männlicher Stellvertreterfiguren, die ihrerseits Platzhalter einer ebenso patriarchal wie paternalistisch kodierten staatlichen Autorität ist,111 die gesellschaftliche Hierarchie 109 Vogl (2002: 41). Vgl. Jehle (2010: 174f.), der das nicht von Widersprüchen freie Verhältnis des neoklassischen Reformtheaters zur Kirche wie folgt charakterisiert: Versuchen die mehrheitlich im Staatsdienst stehenden Theaterreformer die von ihnen initiierten Neuerungen einerseits unter Rückgriff auf die kirchliche Zensur und religiöse Argumente zu legitimieren, benutzen sie andererseits die von ihnen selbst betriebene staatliche Theaterzensur als Instrument, um sich vor ‚Übergriffen‘ durch die Kirche zu schützen. Dadurch kommt es gewissermaßen zu einem Wettstreit um die Zensurhoheit, in der sich die Parteien zuweilen aus Notwendigkeit gegen den gemeinsamen Feind – das barocke und volkstümliche Theater – verbünden. 111 Zum Paternalismus als Regierungsprinzip des aufgeklärten Absolutismus vgl. auch Castellano Castellano (2000: 189), der konstatiert, dass schon Bernardo Ward in seinem Proyecto económico für eine starke Regierung mit einem ebenso starken wie autoritären, ja von Ward sogar als ‚despotisch‘ bezeichneten Monarchen plädiert: „[...] los obstáculos que se oponen [al desarollo económico de España] son de índole política, en el sentido amplio que tiene el término en el siglo xviii. Y, por tanto, politicamente deben eliminarse. Para ello, es necesario un ‚buen‘ gobierno, o mejor, un gobierno fuerte. [...] Todos gustan atemperarlo [...] por algunas leyes (fundamentales) y, sobre todo, por un cierto paternalismo que gustaba bastante a los gobernantes y a muchos de los gobernados. El rey quiere y debe comportarse como un padre, que ‚no abandona sus hijos por mal inclinados, sino que procura por enmendar sus defectos’”. Castellano Castellano (2000: 189) mit Bezug auf Ward (1982: 137f.). 110 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 365 als Fundament einer aufklärerischen Form hegemonialer Männlichkeit. Außer durch den Unternehmer-Paternalisten Esteban wird diese in Duráns Stück auch durch den Minister Prudencio verkörpert. Ist hegemoniale Männlichkeit „immer an den Zugang zu institutioneller Macht und folglich an die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen und Machtverhältnisse gebunden“112, tritt sie hier durch die Stellvertreterfiguren der staatlichen Macht in Erscheinung. Die Autorität dieser Figuren offenbart sich anhand des Umstands, dass es ihnen obliegt, untergeordnete Männlichkeiten zu tadeln oder auszuzeichnen, wie es das zwischen den beiden Polen von Maßregelung und Belohnung angesiedelte Verhältnis zwischen dem Lehrherrn Esteban und seinem Lehrling Blas veranschaulicht. 6.3.4. Zur Kopplung von unternehmerischem Erfolg und Religiosität Angesichts der im Jahre 1789 sich ereignenden Umbrüche in Frankreich, wo die französische Aufklärung und ihre radikale Kritik an Krone und Kirche in die (nicht nur) in Spanien mit großer Sorge beobachteten Ereignisse der Revolution mündet, manifestiert sich im neoklassischen und populären Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit, die ökonomische Vorbildlichkeit des modellhaft gestalteten vir oeconomicus an eine sich in Tat und Wort manifestierende Religiosität zu binden, die zugleich die Bereitschaft des Protagonisten signalisiert, sich einer höheren Instanz – dem König, der Kirche, Gott – unterzuordnen. Umgekehrt erscheinen die schlechten ÖkonomInnen nicht nur als Scharlatane, sondern auch als nur vorgeblich Gläubige, zuweilen sogar als HäretikerInnen (vgl. auch Kap. 9.1.4 und 9.2ff.). Dies gilt insbesondere für Duráns Lehrstück über die Tugend der industria und ist vor allem dann der Fall, wenn die (männlichen) Antagonisten das Religiöse missbrauchen, um ihre Täuschungen glaubwürdig erscheinen zu lassen. Diesen Aspekt werden die Kapitel zum vir profusus als Gegenentwurf zum hier skizzierten Typus des vir oeconomicus vertiefen (vgl. Kap. 9.1). Wenn vorbildliche ökonomische Akteure wie der Textilfabrikant Esteban im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts aufklärerische Werte vertreten und diese Werte wiederum mit einer 112 Heße (2008: 74). 366 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien im Katholizismus verorteten Religiosität gekoppelt werden, ist dieser Umstand nicht allein im Kontext der unmittelbaren Bedrohung durch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in Frankreich zu betrachten. Vielmehr erklärt er sich aus der Besonderheit der spanischen Aufklärungsbewegung: Diese versteht sich – wie schon Krauss betont – nicht als Gegenbewegung zu Krone und Kirche, sondern geht mit ihnen Hand in Hand.113 In La industriosa madrileña zeigt sich das in der Szene besonders deutlich, in der Esteban den ihm von Prudencio verliehenen Orden in der Kirche als öffentlichem Versammlungsort erhält.114 In dieser Szene verschmelzen Kirche und Staat nicht nur räumlich – der staatliche Akt findet in der Kirche statt –, sondern auch symbolisch, wenn ein genuin christliches Symbol einer staatlichen Auszeichnung seine Form verleiht. Auch Antonio Mestre bezeichnet die spanische Aufklärung als eine „Ilustración católica“115. Mestre zufolge resultiert die religiöse Komponente der spanischen Aufklärung aus der Notwendigkeit der katholischen Aufklärer, sich gegenüber zeitgenössischen philosophischen und politischen Strömungen wie dem u.a. von John Locke und JeanJacques Rousseau propagierten Naturrecht und den daraus resultierenden Säkularisierungstendenzen zu positionieren.116 Insbesondere an zentralen Figuren der spanischen Aufklärung wie dem Benediktinermönch Feijoo, seiner Stellungnahme gegen die Scholastik und seinem Kampf gegen den weit verbreiteten Aberglauben117 wird die 113 Krauss (1973: 7f.): „Die spanische Aufklärung ist durch die unzerreißbare Macht des katholischen Glaubens geformt und an Grenzen gesetzt, die in den anderen Aufklärungen, zu denen die deutsche, englische, italienische, polnische, russische, rumänische Aufklärung gehören, mitunter überschritten wurden.“ 114 Durán (o.J.: 11): „Para cumplir esta tarde / con lo que el Monarca ordena / con otros dos caballeros / pasaremos a la Iglesia: recibirá usted la Cruz [...].“ 115 Mestre, Antonio: „La Ilustración católica en España“. In: Dufour, Georges/Rubat du Mérac, Marie-Anne/Virlogeux, Georges (eds.). Libéralisme chrétien et catholicisme libéral en Espagne, France et Italie dans la première moitié du xixe siècle. Aix-en-Provence: Université de Provence 1989, p. 3. Mestre übernimmt den Begriff der „katholischen Aufklärung“ seinerseits von Sebastian Merkle (1910) und dessen Studie über die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland des 18. Jahrhunderts. Vgl. Merkle, Sebastian (1910): Kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland: eine Abwehr und zugleich ein Beitrag zur Charakteristik ‚kirchlicher‘ und ‚unkirchlicher‘ Geschichtsschreibung. Berlin: Reichl & Co. 116 Vgl. Mestre (1989: 3). 117 Vgl. Mestre (1989: 3f.) und von Tschilschke (2009: 115ff.). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 367 Verbindung zwischen Aufklärungsphilosophie und Kirche besonders deutlich. Aber auch prominente Denker wie Melchor Rafael de Macanaz mit seiner ‚aufgeklärten‘ Sicht auf das Almosen118 oder der vom gallikanistischen Jansenismus ebenso wie vom spanischen Humanismus beeinflusste Gregorio Mayans y Siscar119 sind Repräsentanten einer Aufklärungsbewegung, die das Religiöse im Form des Katholizismus einschließt. Insbesondere das Beispiel Macanaz zeigt, dass die katholische Aufklärung nicht nur durch einen Prozess politischer und sozialer Säkularisierung beeinflusst wird, sondern wesentlich an ökonomische Fragestellungen wie die des Geldes und seiner Verteilung gekoppelt ist. Trotz der auch von Mestre beobachteten zunehmenden Säkularisierung konstatiert Teófanes Egido López für das spanische 18. Jahrhundert eine Durchdringung nahezu aller Bereiche des literarischen Feldes durch das Religiöse.120 Auf der Ebene des Theaters spiegelt sich dieser Umstand u.a. in einer Reihe von Dramen mit biblischen Themen wider, etwa in einer 1795 aufgeführten und anonym erschienenen Neubearbeitung des barocken Dramas El triunfo de Judith (1688) von Juan de Vera Tassis y Villaroel sowie in zahlreichen Stücken, die sich der Auseinandersetzung zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen widmen.121 Hinzu kommen comedias de magia, die – des Verbots der Gattung unter Felipe V. unbenommen – Magie, Heilige und Wundertaten zu einer beim damaligen Publikum beliebten Mischung verschmelzen. Diese Art von Stücken stößt bei aufklärerischen Autoren wie Clavijo y Fajardo und Nicolás Fernández de Moratín auf scharfe Kritik, wird aber auch von Organen der aufgeklärten Presse 118 Vgl. Mestre (1989: 4). Vgl. Mestre (1989: 10). 120 Vgl. Egido López, Teófanes (1996): „Religión“. In: Aguilar Piñal, Francisco (ed.). Historia literaria de Espana en el siglo xviii. Madrid: Trotta 1996, pp. 739-814, hier p. 739. 121 Vgl. Urzainqui, Inmaculada (1992): „Crítica teatral y secularización: el Memorial literario (1784-1797)“. In: Tietz, Manfred/Briesemeister, Dietrich (eds.). La secularización de la cultura española en el Siglo de las Luces. Actas del congreso de Wolfenbüttel. Wolfenbüttel u.a.: Harrassowitz, pp. 247-286, hier p. 275 und insbesondere p. 277. Urzainqui (1992: 275) nennt hier u.a. Luis Moncíns (1750-1814) Lograr el mayor imperio por un feliz desengaño (1784) als eine Komödie über die Konversion des Heiligen Konstantin sowie das ebenfalls aus der Feder Moncíns stammende Hechos heroicos y nobles del valor godo español (1785) über den Beginn der Reconquista. Zum religiösen Theater des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. auch Palacios (1998: 109ff.). Zur comedia de magia vgl. auch die Habilitationsschrift Echtes Hexenwerk und falscher Zauber von Wörsdörfer (in Arbeit). 119 368 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien wie dem Memorial literario verurteilt. Gerade in Zeitschriften wie dieser zeigt sich Inmaculada Urzainqui zufolge die andere, moderate Seite der Säkularisierung, die eine ‚Sakralisierung des Profanen‘122 ebenso ablehnt wie eine ‚Profanierung des Sakralen‘.123 6.3.5. Die caritas als Tugend des philanthropen Unternehmer-Paternalisten Die die spanische Aufklärung kennzeichnende Kopplung der Religion mit einer sich in öffentlichen Debatten und philosophischen Schriften gleichermaßen manifestierenden Wissenskultur konstatiert Susanne Schlünder auch für die „enge Verzahnung des Religiösen mit dem Politisch-Ökonomischen“.124 Eine solche Verzahnung manifestiert sich ebenfalls anhand der Figur des vir oeconomicus Esteban, seines Zeichens Protagonist und titelgebende Figur von La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, denn dieser tut sich nicht allein als Personifikation aufgeklärten Unternehmertums und bürgerlichen Fleißes hervor, sondern auch als guter Katholik. Entsprechend ist er der christlichen Tugend der caritas verpflichtet. Auf der Ebene der theatralen Performanz tritt dies in der bereits erwähnten Szene besonders deutlich hervor, in der Esteban seinem Lehrling Blas sein bestes Gewand als Lohn für dessen Fleiß überreicht. Auch wenn hier von einer ‚reinen Gabe‘ im Sinne Derridas125 aufgrund des der Handlung zugrundeliegenden Tauschgeschäftes (Gewand gegen Arbeitsleistung) nicht die Rede sein kann, rekurriert die Szene des sich aus Scham über seine schlechte handwerkliche Arbeit entkleidenden und dann von dem sozial höherrangigen Unternehmer Esteban mit dessen eigenem Gewand wieder bekleideten Lehrlings auf die religiöse Ikonographie der Szene von Sankt Martin und dem Bettler,126 die selbstverständlich auch dem damaligen Publikum durch seine häufigen Kirchenbesuche geläufig gewesen sein dürfte. Estebans christliche Haltung offenbart sich aber nicht nur in auf der Bühne inszenierten und auf eine religiöse Ikonographie 122 Vgl. Urzainqui (1992: 283), meine Übersetzung. Vgl. Urzainqui (1992: 283), meine Übersetzung. 124 Schlünder (2018b: 323). 125 Vgl. Derrida, Jacques (1991): La fausse monnaie. Donner le temps I. Paris: Gallimard. 126 Vgl. Schuchardt (2015). 123 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 369 rekurrierenden tableaux vivants, sondern auch auf der Ebene der Figurenrede. Nachdem Esteban die als Mann, nämlich als Don Juan de Illescas, verkleidete127 Cecilia als Frau enttarnt, ihrer Leidensgeschichte gelauscht und dabei erfahren hatte, dass sie mit zwölf Jahren verwaist war, daraufhin ein tristes, aber arbeitsames Dasein auf dem Dachboden einer Tante von zweifelhaftem Lebenswandel fristen musste und dort ihre Webtechnik so weit perfektionieren konnte, dass sie dazu in der Lage war, eigene Einnahmen zu erwirtschaften und sich den Beinamen „Industriosa Madrileña“128 erwarb, stellt Esteban bezüglich der Tante die entscheidende Frage: „¿Y era esa mujer cristiana? No he oído acción mas perversa.“129 Auch die Bescheidenheit (modestia), die hier ebenso als christliche wie als bürgerliche Tugend konturiert ist, wird in Duráns Stück durch Esteban verkörpert. In einer Entgegnung auf den von Silvestre vermeintlich gefassten Entschluss, Mönch zu werden, bringt der Unternehmer seine Hoffnung zum Ausdruck, dass sein Halbruder sich zur Bescheidenheit bekehren möge: „¡Vaya que del Religioso / edifica la modestia!“130 Weitere Momente, in denen das Religiöse in Duráns Komödie aufscheint, sind die zahlreichen himmlischen Fügungen, die 127 Zum „transvestism“ bei Durán vgl. auch Gies (im Druck), der auf das überraschende Moment des Stücks verweist, das entsteht, als die dem faulen Silvestre durch ihren Fleiß diametral entgegenstehende Figur des Don Juan de Illescas sich nicht etwa als Teil einer anderen Klasse oder Bildungsschicht entpuppt, sondern als Repräsentantin des anderen Geschlechts: „Durán’s coup de théâtre – and most subversive moment – comes midway through the first act. The audience is set up to believe that in this play the fault lines of the weaving industry are split by class or education. But when Esteban posits the lazy Silvestre against the skilled and industrious D. Juan de Illescas, (“Cada día extraño más / la notable diferencia / que hay de mi hermano a Don Juan” [Durán 1790, 7] [...]), a shocking reveal takes place: it turns out that Don Juan is not a hard-working gentleman from the capital city, but rather... a woman. Suddenly, the equation shifts.” Gies veweist mit Bravo-Villasante darauf, dass als Frauen verkleidete Männer ebenso wie als Männer verkleidete Frauen im Theater des Siglo de Oro zwar gang und gäbe waren, der entscheidende Unterschied jedoch darin bestehe, dass das ‚crossdressing‘ hier nicht durch Liebe, (nationale) Identität oder Rache motiviert sei, sondern rein ökonomische Gründe habe. Vgl. Gies (ibid.) mit Bezug auf Bravo-Villasante, Carmen (31988): La mujer vestida de hombre en el teatro español (siglos xvi-xvii). Madrid: Mayo de Oro, 1988, pp. 10-21. 128 Durán (o.J.: 8). 129 Durán (o.J.: 8). 130 Durán (o.J.: 7). 370 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Fulda als gattungsspezifisches Element der Komödie ausweist.131 In La industriosa madrileña offenbart sich darin ein wohlmeinender Schöpfergott, der der fleißigen Madriderin und dem Fabrikanten von Olot deshalb gewogen ist, weil er sie damit für ihre Bemühungen um das spanische Textilgewerbe belohnt. Es ist also nicht allein der Monarch, der Cecilia und Esteban durch seinen Stellvertreter Don Prudencio Anerkennung für ihre Leistung zukommen lässt, auch der Allmächtige selbst interveniert zugunsten der tugendhaften Fleißigen. Damit wird die Kette der Auszeichnenden in einer bis in die höchsten Sphären aufsteigenden Stufung fortgeführt. Das wird dann deutlich, wenn die Hand der Weberin Cecilia von Esteban explizit als ‚himmlischer Lohn‘ für sein unternehmerisches Bestreben bezeichnet wird, der ihn zu weiteren Leistungen ansporne: „[...] que si hoy por mi aplicacion / el Cielo me recompensa / con tan industriosa esposa / me aplicaré hasta que muera.“132 Der Umstand, dass Esteban sein Vorhaben bekundet, zu prüfen, „[...] si conseguir puedo / que aquí en Olot se establezca / un número prodigioso / de personas extrangeras,“133 stellt explizite Bezüge zu den Reformbemühungen der Krone her, hatte die Real Cédula vom 24. März 1777 doch das Textilwesen verpflichtet, kundige Ausländer in seinen Reihen zu dulden.134 Möglicherweise sind die wiederholten Bezüge auf die Imitation ausländischer Stoffe und Fertigungstechniken, die über die Figuren Esteban und Cecilia in das Stück eingeflochten werden, zeitgenössische Anspielungen auf den valencianischen Seidenfabrikanten Joaquín Manuel Fos, ein Mitglied der lokalen Sociedad Económica de Amigos del País, das in den 1750er Jahren seinen eigenen Tod vortäuschte, um Produktionsstätten in England und Frankreich auszukundschaften und die so erlangten Kenntnisse über die Fertigungstechniken der Konkurrenz in einem Buch zu veröffentlichen.135 Der katalanische Textilfabrikant Esteban ist also nicht nur als Wohltäter, sondern auch als ein ökonomisch aufgeklärter Modellmensch gezeichnet, der bestrebt ist, die gesetzlichen Impulse zur Erhöhung 131 Vgl. Fulda (2005: 22). Durán (o.J.: 13). 133 Durán (o.J.: 4). 134 Vgl. Herr (1988: 104), vgl. auch Kap. 2. 135 Vgl. Herr (1988: 114) mit Bezug auf Bourgoing (1789: 79). Vgl. auch Sarrailh, Jean (1964): L’Espagne éclairée de la seconde moitié du xviiie siècle. Paris: Klingsieck, pp. 347f. 132 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 371 der nationalen Produktivität in seinem eigenen Betrieb umzusetzen. In Duráns Stück werden ökonomisches Reformdenken und handwerklich-unternehmerische Ehrbarkeit – es ist dort explizit vom „honrado menestral“136 die Rede – auf religiöser Ebene gekoppelt, wenn Gott sich auf die Seite der Fleißigen stellt, in kritischen Momenten zu ihren Gunsten einschreitet und sie am guten Ende belohnt. Dies geschieht, indem er die sie auszeichnenden christlich-bürgerlichen Tugenden der industria, temperantia und modestia am Ende dadurch mehrt, dass er ihnen einen mit ähnlichen Tugenden gesegneten Ehepartner bzw. eine dergestalte Ehepartnerin beschert, durch den sie in der Lage sind, das Maß ihrer Tugendhaftigkeit noch zu steigern. Zu den Tugenden von Fleiß, Mäßigung und Bescheidenheit gesellt sich im Falle des katalanischen Textilfabrikanten die Geduld. Diese zeigt sich, als Esteban seinen Lehrling anweist, die Webstühle der Fabrik von Olot abzubauen, um sie zu veräußern und mit dem erzielten Gewinn für die (nur vorgetäuschten) Schulden des betrügerischen Silvestre bei dessen Spießgesellen Simón aufzukommen, worauf Blas entgegnet: „¿Con esto va ya de veras? / Don Estevan, yo no sé / como usted tiene paciencia.“137 6.4. Antonio Valladares y Sotomayors El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784): Religion und bürgerliche Tugend in englischem Setting Auch in Antonio Valladares y Sotomayors Komödie El fabricante de paños (1784) findet sich eine Kopplung von Unternehmertum und Religion. 1784 im Madrider Teatro de la Cruz uraufgeführt, handelt es sich bei dieser Adaptation von Fenouillot de Falbaire de Quingeys Le fabricant de Londres (1771) um eine sentimentale Komödie, die ebenfalls die Figur des Textilfabrikanten inszeniert; mit dem Unterschied allerdings, dass es sich bei dem Protagonisten dieser Komödie in Anlehnung an die Vorlage nicht um einen spanischen, sondern um einen in London ansässigen Unternehmer handelt. Den thematischen Schwerpunkt des französischen Originals und seiner spanischen Adaptationen, von denen es mehrere gibt, resümiert García Garrosa wie folgt: 136 137 Durán (o.J.: 32). Durán (o.J.: 7). 372 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien El tema de la obra de Fenouillot de Falbaire y de sus versiones españolas es la descripción de la vida de un comerciante, los riesgos a los que está sometido su oficio y la recompensa final por sus desvelos, en una época en la que la política económica tanto de Francia como de España tendió a potenciar la actividad mercantil. Valladares mantiene inalterado ese tema central, pero dándole un matiz nuevo.138 Im Gegensatz zu der anonym erschienenen spanischen Fassung von Le fabricant de Londres, bei der es sich um eine originalgetreue Übersetzung handelt, ist Valladares de Sotomayors Adaptation eine Konzession an die Erwartungen des spanischen Publikums und dessen Bedürfnis nach Unterhaltung.139 Gerade deshalb entfernt sich Valladares‘ Version Paul Guinard zufolge vom nuancierten bürgerlichen Setting des französischen Originals, in dem unter anderem die beiden Kinder des titelgebenden Textilunternehmers Vilson – Henri und Juliette – für eine „tonalidad burguesa“ und „detalles graciosos“ sorgen, die hier fehlen, nehmen die Kinderfiguren doch gegenüber dem Original eine stark reduzierte Rolle ein.140 Guinard vermutet als Grund dafür die traditionelle Abwesenheit von (minderjährigen) Kindern im spanischen Theater.141 Das spezifisch ‚Spanische‘ in Valladares‘ Adaptation macht García Garrosa in deren ‚Katholisierung‘142 aus, ein Element, das der Erleichterung der Identifikation des Publikums mit den Figuren gedient haben mag, womit das populäre Theater einmal mehr seine traditionalistischen Tendenzen offenbart. Die wiederholten Bezüge auf die Religion sind insofern bemerkenswert, als das Religiöse in der französischen Vorlage keinerlei Rolle spielt. Diese zeichnet sich im Gegenteil durch García Garrosa, María Jesús (1991): „El comerciante inglés y El fabricante de paños: de la traducción a la adaptación“. In: Anales de Literatura Española, 7, pp. 85-95, hier p. 91. 139 Vgl. García Garrosa (1991: 97): „Valladares de Sotomayor, refundidor de Lope, autor de comedias heroicas y de magia, es un hombre de teatro; conoce los gustos de los espectadores, y en función de ellos escribe. El octosílabo asonante, la polimetría, las escenas de canto y baile, las acciones dobles, los seudo-graciosos, la complicación novelesca de la trama, la irregularidad de la estructura dramática, la escenografía y los decorados sorprendentes de su teatro sentimental son una concesión a ese público.“ 140 Guinard (1984: 300). 141 Vgl. Guinard (1984: 300). 142 Vgl. García Garrosa (1991: 97). 138 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 373 einen dezidierten Laizismus aus.143 Bei Fenouillot de Falbaire ist die Figur des William zudem als einziger offensichtlich protestantischer Charakter des Stückes mit negativen Eigenschaften wie einem kaum verhohlenen Geiz und einer Neigung zur Hypokrisie geschlagen.144 Die darin hervortretende laizistische und religionskritische Haltung des französischen Textes mag erklären, warum in Valladares‘ Adaptation – wie Guinard bemerkt – jeglicher Verweis auf die Vorlage fehlt.145 Die durch den spanischen Autor gegenüber dem französischen Originaltext vorgenommenen Änderungen sind ebenso tiefgreifend wie zahlreich.146 Neben Eingriffen in Form, Handlung und Figuren ist auch die Änderung des Titels augenfällig, wobei Guinard den Titelzusatz „o el comerciante inglés“ mit der doppelten Bedeutung des Substantivs „fabricante“ im Spanischen erklärt, das nicht nur den ‚Fabrikanten‘, sondern auch den ‚Handwerker‘ meint.147 Ist also William, der den Jungen Henri für sein Auswendiglernen eines Kapitels aus der Bibel lobt,148 in Fenouillot de Falbaires Stück ein Protestant und scheinheiliger Geizhals, offenbart sich Villianz als Valladares‘ katholische Variante dieses Charakters als nicht minder scheinheilig und geizig, ist aber weniger religiös. Im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts weist die mangelnde Religiosität Villianz‘149 als Bösewicht aus, während es in der französischen Fassung im Gegenteil der zur Schau 143 Vgl. García Garrosa (1991: 91). Vgl. Guinard (1984: 299). 145 Vgl. Guinard (1984: 293). 146 Zu diesen Änderungen zählt unter anderem die Verabschiedung des für die sentimentale Komödie typischen Prosastils zugunsten des achtsilbigen assonanten romance als einer dem spanischen Publikum geläufigeren Form. Vgl. Guinard (1984: 293f.). Aus den fünf Akten bei Fenouillot de Falbaire werden bei Valladares ungewöhnliche vier, ein Umstand, der die Verteilung der Geschehnisse auf die einzelnen Akte unausgewogen erscheinen lässt. Darüber hinaus ‚hispanisiert‘ Valladares neben dem Namen Villianz auch die der übrigen Figuren (aus „Fanni“ wird „Fania“, aus „Juliette“ „Isabella“ usw.), streicht lange Passagen der französischen Vorlage und fügt nicht minder lange Passagen hinzu. Vgl. García Garrosa (1991: 89f.) und Guinard (1984: 298f.). 147 Vgl. Guinard (1984: 294). Dem Titel ‚Der Tuchfabrikant‘ („El fabricante de paños“) wird auch deshalb der Untertitel ‚oder der englische Geschäftsmann‘ („o el comerciante inglés“) hinzugefügt, um hervorzuheben, dass dieser Typus repräsentativ für England ist. 148 Vgl. Guinard (1984: 299). 149 Schon diese Hispanisierung des englischen Namens ‚Williams‘ ruft das spanische Adjektiv ‚vil‘ auf, das ‚gemein‘, ‚schlecht‘ oder ‚niederträchtig‘ bedeutet. 144 374 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien gestellte Glaube ist, der die Figur des William in schlechtem Lichte erscheinen lässt. In Valladares‘ Stück wird Villianz von Wilson nicht nur als „hipócrita“ und „embustero“ bezeichnet,150 er erfährt darüber hinaus eine ‚himmlische Strafe‘ für sein unehrenhaftes Verhalten, denn er hatte nicht nur während eines Aufenthaltes in Schottland die Armen um ihr Hab und Gut erleichtert, sondern auch seinen Freund Wilson in höchster Not – nämlich nach Bekanntwerden dessen Bankrotts – im Stich gelassen. Zeuge dieser Niedertracht war der sich gegen Ende der Komödie als Retter in der Not erweisende Lord Baltton geworden, der in der letzten Szene nach Bekanntwerden von Villianz‘ Vergehen proklamiert: BALTTON: [...] Felices todos seremos mientras vivamos, que así sabe dar el justo cielo a las maldades castigo y a las virtudes el premio.151 Wie schon in Duráns La industriosa madrileña erhalten auch in El fabricante de paños die Rechtschaffenden am Ende ihren gerechten Lohn. Der noch bei Fenouillot de Falbaire kritisch betrachtete Protestantismus wird aus Valladares‘ Fassung in Teilen, wenn auch nicht gänzlich getilgt. Daraus folgt, dass die Wahl des englischen Settings weniger dem Bestreben nach einer glaubwürdigen Darstellung des dortigen kaufmännischen Lebens verpflichtet ist, vielmehr dient sie der Projektion englischer Tugenden auf Spanien. Diesbezüglich führt Guinard etwa Valladares‘ Abänderung des Begriffs „temple“ in „iglesia“ an: El cambio de más transcendencia es el de „temple“(específicamente protestante en francés) en „iglesia“, pero también „templo“, sinónimo de „iglesia“ en español, con lo cual se oculta la pertenencia de los personajes a la religión protestante, inaceptable entonces en un escenario español.152 150 Valladares (o.J.: IV, v. 432). Valladares (o.J.: IV; vv. 468-472). 152 Guinard (1984: 298). Vgl. Valladares (o.J.: IV; v. 528): „ROBERTO Perdonad, señor Milord, / porque a desposarse [Wilson] al Templo / ha ido.“ 151 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 375 Dieser Aspekt ist ein weiteres Element, durch das Valladares die englische Vorlage sowohl an die auf der Bühne präsenten kirchlichen Zensoren als auch an die katholisch geprägte Alltagskultur seines Heimatlandes anpasst. Änderungen wie diese weisen die spanischen Varianten französischer und englischer Stoffe, seien es Theaterstücke oder Romane, mehr als Adaptationen denn als originalgetreue Übersetzungen aus. 6.4.1. Der unternehmerische Kosmos des Textilgewerbes Wie bereits eingangs angeklungen, führt García Garrosa die ökonomischen Bezüge in El fabricante de paños auf den unmittelbaren Einfluss der Real Cédula von 1783 zurück. Auch wenn der thematische Hauptakzent des Stückes ihr zufolge auf der amourösen Intrige liegt, finden sich dort doch „algunos detalles de la actividad cotidiana de un honrado fabricante de tejidos, y una amplia e interesante lista de términos para designar a los trabajadores textiles, el producto y el lugar de fabricación, aspecto éste que [...] es de suma importancia [...]”153. Die Sorgfalt, die Valladares auf das textilgewerbliche Dekor seiner Komödie verwendet, ist insbesondere in Bezug auf das damalige Publikum aussagekräftig. Entweder bestand dieses in Teilen aus fachkundigen Bürgern aus dem kaufmännischen Bereich, denen derlei Details zuzumuten waren, ohne Langeweile zu riskieren, oder Valladares konnte es im Kontext der Real Cédula und zugunsten der Glaubwürdigkeit des unternehmerischen Ambientes wagen, sein Publikum mit Fachbegriffen und Feinheiten der Zahlungsmodalitäten zu konfrontieren. Dass mit der detailgetreuen Schilderung geschäftlicher Vorgänge im Theater zweifellos ein Risiko verbunden war und deren erfolgreiche Vermittlung wesentlich vom Geschick des jeweiligen Dramatikers abhing, konstatiert Niklaus für das französische Theater des 18. Jahrhunderts. Diesbezüglich konstrastiert er Beaumarchais‘ Les Deux Amis und Sedaines Le Philosophe sans le savoir: [...] as seen in Le Philosophe sans le savoir [...] [w]e know that public had some difficulty in adjusting itself to the presentation of high finance on the stage, witness its poor response to the figures and financial transactions 153 García Garrosa (1993: 686f.). 376 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien presented in Les Deux Amis. Sedaine’s own skill may be gauged from his success in placing commercial terms such as usances, remises, escompte and rescription in the mouths of his characters without even raising a murmer [sic] from his audience.154 Der beträchtliche Raum, der den Nebentexten in Valladares‘ Stück zugewiesen wird, ist jedenfalls augenfällig, dienen die acotaciones doch nicht nur zur Akzentuierung der zahlreichen, teils in Extreme reichenden Gefühlslagen155 dieser sentimentalen Komödie. Vielmehr geben sie detailgetreu auch über Einrichtungsgegenstände und die wechselnde Kleidung der Figuren in den einzelnen Szenen Auskunft. Hierbei fungiert Kleidung als Marker des sozialen Status. So erscheint Wilson in der ersten Szene zur Kenntlichmachung seines unternehmerischen Erfolgs „en bata rica“156 und im Folgenden „con vestido rico“157. In Analogie zum einleitenden Nebentext von Comellas El hombre agradecido finden sich auch in Valladares‘ Stück „papeles y escribanía“158 als kaufmännische Utensilien auf der Bühne wieder. Die Türen des unternehmerischen Haushaltes, der – wie in allen hier skizzierten Komödien mit Ökonomiebezug – zugleich das Geschäft beherbergt, sind großzügig gestaltet und zudem mit Fenstern versehen, ein Umstand, der ebenfalls auf Wilsons Wohlstand hindeutet.159 Was das unternehmerisch-kaufmännische Dekor anbelangt, werden in mehreren Szenen Papiere sortiert und Federn gespitzt160 und nach Bekanntwerden von Wilsons Bankrott durchqueren Gesellen mit Schürzen und hängenden Köpfen die Szenerie.161 Anlässlich der in der Komödie raumgreifend inszenierten Pfändung der Habseligkeiten des Unternehmers werden Möbel und Tuchballen von ihrem ursprünglichen Platz entfernt und mitgenommen: 154 Vgl. Niklaus (1978: 148f.). So ist im Nebentext mehrfach von „un extremo de sentimiento“ (Valladares o.J.: 10) oder Anweisungen wie „lleno de mayor sentimiento“ (Valladares o.J.: 14) die Rede. 156 Valladares (o.J.: 1). 157 Valladares (o.J.: 6). 158 Valladares (o.J.: 1). 159 Valladares (o.J.: 1). 160 Valladares (o.J.: 3). 161 Valladares (o.J.: 15). 155 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 377 ROBERTO estará retirado en el fondo del teatro con sumo sentimiento y en el mismo habla. Después se oirá un gran movimiento de arrojar fardos de paños de los anaqueles al suelo de la tienda; en los cuartos interiores, ruido de descolgar trastos, y a poco tiempo cruzarán la escena varios mozos cargados con fardos, espejos y otros muebles.162 Diese eindeutig auf die Rührung des Publikums abzielende Szene unterstreicht die von Schomacher konturierte affektökonomische Funktion wirtschaftlicher Ereignisse, als Auslöser von Gefühlslagen zu fungieren.163 Entsprechend ist es in diesem Stück nicht primär der Liebesplot, der die Handlung dieser sentimentalen Komödie motiviert, sondern vielmehr der drohende Untergang des Bürgerhaushaltes und der von ihm Abhängigen. Ebenfalls analog zu El hombre agradecido findet sich auch in El fabricante de paños eine Uhr als kaufmännisches Utensil und Indiz bürgerlichen Wohlstandes auf der Bühne platziert, die für das Publikum durch Worte und Gesten gut sichtbar in Szene gesetzt wird.164 Im Kontext der Anbahnung des Bankrotts Wilsons durch den Konkurs und die Flucht seines befreundeten Geschäftspartners Sudmer, von dem Wilson die Einlösung zweier Wechsel über insgesamt 3.000 Pfund Sterling erwartet, um einen kurzzeitigen Geldmangel des Fabrikanten auszugleichen, wird die Abwicklung der Geschäfte durch bei der Bank hinterlegte Wechsel deutlich:165 Diese finden in der Figurenrede wiederholt und 162 Valladares (o.J.: 14). Vgl. Schomacher (2021: 309). 164 Valladares (o.J.: 15ff.). So ist die Uhr nicht nur auf der Bühne sichtbar, es wird auch in einer Replik explizit auf sie hingewiesen: „(Quedan consternados de dolor viendo a WILSON y, por la puerta de la tienda, salen dos mozos cargados de muebles y se dirigen a salir por la derecha. A pocos pasos que dan, sale el ESCRIBANO con un reloj de sobremesa). ESCRIBANO Esperad mozos. Conduce tú este reloj de la mano. (Se lo da uno.)” Nichtzutreffend ist daher Guinards Vermutung, dass Valladares neben dem Kamin auch auf die in der französischen Vorlage vorhandene Uhr verzichtet habe, ein Requisit, das im spanischen Theater der Epoche „poco frecuente“ sei. Vgl. Guinard (1984: 297). In einer Fußnote auf derselben Seite merkt Guinard an: „Eran propias [la chimenea y el reloj] de gente acomodada y cosmopolita; se menciona uno en las Cartas marruecas (carta LVI), y Jovellanos les da gran importancia al describir su casa o las de conocidos suyos en los Diarios.” 165 Vgl. Valladares (o.J.: 1f., vv. 11-34): „WILSON [...] / ¿Es mucho lo que tenemos / que pagar esta semana? / ROBERTO Es tanto señor, que creo / os cause pena. Tres letras / bien crecidas se cumplieron / ayer, vendrán a cobrarlas / hay, y nos falta el dinero. / 163 378 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ausführlich Erwähnung, als die darin involvierten Personen und deren wechselseitige Abhängigkeiten aufgezählt werden.166 Während García Garrosa Valladares‘ Adaptation als „una lección sobre la virtud cristiana de la resignación” ausweist und in diesem Zusammenhang die im Folgenden zitierte Passage anführt,167 tritt in dieser Replik Fanias in intertextueller Referenz auf Góngoras bekanntes Barock-Sonett „Mientras por competir con tu cabello“ auch das ursprünglich barocke Motiv von engaño und desengaño deutlich hervor, das nun im Kontext der Aufklärung eine ökonomische Umdeutung erfährt: FANIA [...] Los bienes, las riquezas de esta vida, sienten perderlas aquellas almas débiles que vician su noble ser con tener por su ídolo a la codicia. Pero quien sabe que todo lo de este mundo es ceniza tierra, polvo, humo y nada, al ver su hacienda perdida, se consuela con decir: Dios la dio, y Dios me la quita. haz [sic] tú lo mismo, y verás como tu pena se alivia.168 Wie sich in der zitierten Replik anschaulich zeigt, treten engaño (Täuschung) und desengaño (Ent-Täuschung) in einen neuen Bedeutungszusammenhang, wenn sie sich zwar mittelbar noch auf die Vergänglichkeit, aber nicht mehr auf die Vergänglichkeit des Körpers, sondern vielmehr auf die im Diesseits erworbenen Güter beziehen. WILSON Eso no importa. Es preciso / despaches a Jaime luego / en casa de Sudmer, donde / hay mismo percibir debo / tres mil libras esterlinas; / cuya cantidad, la tengo / sobre mí cargada en dos // letras que puse al banquero / de Norvic, Enrique Fling, / que es de Sudmer compañero, / a favor de Jorge Astur; / y hoy también noticia espero / que habrán sido pagadas.” 166 Vgl. Valladares (o.J.: 1; 10; 11; 12; 13). 167 Vgl. García Garrosa (1991: 91). 168 Valladares (o.J.: 18f., vv. 109-132). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 379 Der Rekurs des Dramas auf den bekannten Bibelvers169 zeigt, dass diese vom Schöpfer ebenso schnell genommen werden können, wie sie gegeben wurden. In ähnlicher Weise findet sich das Gegensatzpaar engaño vs. desengaño in anderen ökonomiebezogenen Komödien der Aufklärung wieder, beispielsweise in Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra oder in Tomás de Iriartes El señorito mimado (1787) (vgl. Kap. 9.3.1 und 9.2). Auch dort wird das barocke Vanitas-Motiv in einen neuen Kontext gestellt, wenn es dazu dient, die von den petimetre-Figuren ausgehenden ökonomischen Finten und Betrügereien zu charakterisieren, die zunächst erfolgreich ihr Geschäft des engaño betreiben, um sodann im Zuge eines desengaño enttarnt zu werden.170 Bei Valladares verbindet sich die Täuschung mit der notwendig auf sie folgenden Ent-Täuschung jedoch nicht allein mit dem ökonomischen Konzept des Besitztums, es wird darüber hinaus mit dem Gottvertrauen der im katholischen Glauben Gefestigten verknüpft. Nicht zufällig verbindet Valladares die barocken Motive mit dem Bibelzitat und unterstreicht dadurch die Religiosität der Fabrikantengattin Fania. Zugleich wird ihr Glaube an das bürgerliche Arbeitsethos gekoppelt. Der Glaube an Gott und die Tugend der industria lassen Fania trotz aller Widrigkeiten darauf vertrauen, mittels ehrlicher Arbeit ihre Familie ernähren zu können: FANIA Nosotros hacer podemos que rinda un trabajo honesto para mantener nuestra familia. Aún somos jóvenes.171 Hierbei tritt Fania nicht nur in der weiblichen Rolle einer ‚Hüterin des Glaubens‘ und Nukleus der bürgerlichen Kernfamilie auf – eine Rolle, in der sie ihren Gatten gemahnt, angesichts einer existenziell bedrohlichen Situation Festigkeit im Glauben zu wahren. Sie vertritt 169 Job 1,21: „[...] Jehová dio y Jehová quitó. ¡Bendito sea el nombre de Jehová!” Zitiert nach Reina, Casiodoro de (2009): Santa Biblia. Antiguo y Nuevo Testamento [1569], ed. rev. Cipriano de Valera [1602]. Salt Lake City: La Iglesia de Jesucristo, p. 830. 170 Vgl. hierzu Schuchardt (2014: 268; 275ff.). 171 Valladares (o.J.: 19, vv. 134-136). 380 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zudem die Maxime, man könne sich mittels der bürgerlichen Tugend des Fleißes am eigenen Schopfe aus der Misere ziehen. Bemerkenswert ist, dass die von García Garrosa als christliche Tugend der resignatio identifizierte Fähigkeit Fanias, das sich bietende Unbill durch Stärke im Glauben zu ertragen und ihr gleichzeitiges Plädoyer für den Unterhalt der Familie durch ‚ehrbare Arbeit‘ – das ganz im Geiste der Real Cédula steht – sich nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen. Auch in diesem Stück steht Gott an der Seite der gläubigen Fleißigen. In ähnlicher Weise wie der ökonomische Reformdiskurs des bourbonischen aufgeklärten Absolutismus sich nicht in Abgrenzung von der Autorität der katholischen Kirche definiert, sondern mit ihr Hand in Hand geht, wird die Arbeit als ein im Medium des Theaters propagierter und über die Figur des Unternehmers und seine Familie wesentlich vermittelter Wert auch in diesem Stück auf die Basis des katholischen Glaubens gestellt. Hinsichtlich der sich daraus ergebenden Kopplung von Ökonomie und Religion, die sich einmal mehr über die Arbeit als Tugend vollzieht, verfährt Valladares ähnlich wie Durán in seinem Lehrstück über den ‚Fabrikanten von Olot‘. Dass es sich bei den arbeitsamen Protagonisten in beiden Fällen um einen Textilfabrikanten handelt, ist kein Zufall, sondern wie auch im Falle von Iriartes Komödie La señorita malcriada dem Umstand geschuldet, dass der Textilsektor in jener Epoche als besonders förderbedürftiger Industriezweig gilt. Nicht nur ist die Notwendigkeit gegeben, diesen Sektor zu fördern, zugleich muss das politisch gewünschte bürgerliche Erfolgsstreben durch den Rahmen, den Krone und Kirche ihm stecken, begrenzt werden. Angesichts der Französischen Revolution zeigt sich darin neuerlich die Angst vor einem allzu selbstbewussten Bürgertum. Während bei Durán Monarchie und Religion gleichermaßen stark konturiert werden, stellt Valladares die Religion in den Vordergrund. Die Verortung der Handlung in England führt dazu, dass die Monarchie keine Erwähnung findet, ermöglicht es dem Autor jedoch, dem Publikum im populären Theater den vir oeconomicus als einen von der Real Cédula propagierten ökonomischen Akteur nahe zu bringen, dessen Inszenierung eigentlich neoklassischen Autoren vorbehalten war. Wie auch Guinard betont, beschreitet Valladares einen Mittelweg zwischen einem Theater, das noch in der Nachfolge Calderóns steht, 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 381 und den Themen des Neoklassizismus.172 Dabei geht es angesichts der anhaltenden Konflikte mit England allerdings weniger um den von Guinard skizzierten „elogio de la laboriosidad y la actividad comercial ingleses“173, als darum, dem spanischen Publikum die mit dem englischen Bürgertum verbundenen Werte der „laboriosidad“ und des „núcleo familiar“174 dadurch zu vermitteln, dass sich die ZuschauerInnen maximal mit den auf der Bühne agierenden Figuren identifizieren. Dementsprechend wird auch der im französischen Original von Wilson geplante Selbstmord, der im katholischen Spanien eine Ungeheuerlichkeit darstellt, ganz im Sinne der religiösen Doktrin verdammt, wenn sich die Figur in Valladares‘ Fassung einer Moralpredigt Lord Balttons unterziehen muss.175 Wie dies bereits in unserer Analyse der Komödie Zavala y Zamoras ersichtlich wurde, fügt sich die Ansiedlung der Handlung in England aber auch in den seit den 1790er Jahren bestehenden „gusto por lo inglés“, der García Garrosa zufolge die spanische Prosa und das Theater der Epoche gleichermaßen prägt.176 Wie Andioc in seiner Studie gezeigt hat, ist die Anglomanie im populären Theater kein singuläres Phänomen, sondern vielmehr Teil einer „afición de los dramaturgos ‚populares‘“ für irische, russische, skandinavische oder preußische Settings, wie dies unter anderem Comellas sentimentale Komödien La moscovita sensible (1794) und Federico II, Rey de Prusia (1789b) veranschaulichen.177 Weitere Analogien zu der über die Figur des vorbildlichen Unternehmers vermittelten Kopplung von Ökonomie und Religion bestehen in göttlichen Fügungen zugunsten der ProtagonistInnen, Schicksalswenden, die umso stärker ausgeprägt sind, je deutlicher der Unternehmer der christlichen Tugend der caritas verpflichtet ist. Was den ersten Aspekt anbelangt, werden Fania und ihre Mutter, Madama Sambrig, durch eine plötzlich auftretende Krankheit der Tochter vor einem Schiffbruch bewahrt, eine göttliche Vorsehung, die wiederum dazu führt, dass der Textilfabrikant Wilson und Fania als künftige Eheleute zusammengeführt werden, worin Wilson den ‚himmlischen 172 Vgl. Guinard (1984: 304). Guinard (1984: 304). 174 Guinard (1984: 304). 175 Vgl. García Garrosa (1991: 92) mit Bezug auf Valladares (o.J.: 25, vv. 144-188). 176 Vgl. García Garrosa (2011: 9). 177 Vgl. Andioc (1987: 222). 173 382 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Willen‘ erkennt: „el Cielo [...] quiso [...]“. 178 In Analogie hierzu mahnt auch der Kassierer Roberto Wilson angesichts seines Bankrotts, der göttlichen Vorsehung zu vertrauen: „Confiad en la Providencia / que a todo dará remedio, / señor [...].“179 Was den zweiten Aspekt betrifft, zeigt sich dieser in der Bitte der minderjährigen Kaufmannstochter Isabela an den Kassierer Roberto, einem vor der Tür um ein Almosen bittenden Alten einen Real zukommen zu lassen, obwohl beide zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis über den drohenden Bankrott ihres Vaters Wilson haben. Die hier in der Absicht Isabelas hervortretende caritas wird dabei explizit als eine Tugend ausgewiesen, die dem Kind durch den Vater vorgelebt wurde: „[...] A los menos, / Señor Roberto, un realito. El Cielo, / dice mi papá, que da / ciento por uno [...].”180 Wie schon im Falle Fanias wird die Religiosität einer mit dem vir oeconomicus in enger verwandtschaftlicher Beziehung stehenden weiblichen Figur auch hier durch die Verwendung eines biblischen Vokabulars181 hervorgehoben. Als deutlich wird, dass der Tochter ihr Glaube durch den Vater vermittelt wurde, erweist sich der Textilfabrikant – wie schon Esteban aus Duráns Stück – auch hier als Vorbild im Glauben und im guten Wirtschaften. 6.4.2. Bürgerliche Tugend versus adelige Finanzmacht In ähnlicher Weise wie der Fleiß in Duráns La industriosa madrileña als unternehmerische Tugend inszeniert wird, geschieht dies auch 178 Vgl. Valladares (o.J.: 5, vv. 546-548): „MADAMA SAMBRIG [...] una enfermedad, que a mi hija / acometió, y por lo mismo /dejé partir el navío / en que estaba ya dispuesto / nuestro viaje, el cual, después / por unos avisos ciertos, / super naufragó en las costas / de Irlanda. WILSON Ah, señora, el Cielo / os quiso salvar! Sabía que mi bien estaba en esto.” Dass die Ehe Wilsons mit Fania eine Gottesgabe darstellt, spiegelt sich auch in ihren Worten: „FANIA Y yo a un tiempo soy tu esclava / y tu esposa; ya no tengo / que apetecer nada mientras / me tenga a tu lado el cielo.“ Valladares (o.J.: 9, vv. 662-666). Dass Fania sich hier bereitweillig zur „esclava“ ihres Gatten erklärt, unterstreicht die patriarchale Autorität des Unternehmer-Paternalisten Wilson. 179 Valladares (o.J.: 10, vv. 718-720). 180 Valladares (o.J.: 9, vv. 624-628). 181 Isabelas Worte nehmen auf das von Jesus zitierte „Gleichnis vom Sämann“ Bezug. Vgl. Markus 4: 29, 8: „Y otra parte cayó en buena tierra, y dio fruto que broto y creció; y dio a treinta, y a sesenta y a ciento por uno.“ La Santa Biblia, zitiert nach Reina (2009: 1573). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 383 in Valladares‘ El fabricante de paños. Die industria erscheint hierbei als eine unternehmerische Tugend, die vom Fabrikanten ausgehend auf dessen Angestellte ‚abfärbt‘. So wird das Publikum zunächst Zeuge einer komischen Szene, in der sich Roberto, der im Begriff ist, Einträge ins Kassenbuch vorzunehmen, von Lord Balttons Lakai bei der Arbeit gestört fühlt und entsprechend unwirsch reagiert.182 Sodann lässt er ganz im Sinne der aufklärerischen Adelskritik, die hier der Lakai in Stellvertretung seines Herrn über sich ergehen lassen muss, abfällig verlauten: ROBERTO ¡Qué hombres tan necios! Se puso sobre el bufete viendo que iba escribiendo. Estas faltas de crianza, y en un Inglés, son defectos insoportables. [...]183 Auch Guinard geht in seiner Analyse des Stückes auf dieses soliloquio ein und weist es als Lob der englischen Tugenden aus, die dem spanischen Publikum als lehrreiches Beispiel dienen sollen.184 Im weiteren Verlauf des Stückes wird deutlich, dass der von Roberto an den Tag gelegte Fleiß eine Tugend ist, auf die sein Dienstherr größten Wert legt. Auf Robertos Nachricht hin, die Gesellen wünschten Wilson zu dessen bevorstehender Eheschließung mit Fania zu gratulieren, gemahnt der Fabrikant seinen Kassierer, die Gratulanten anzuhalten, zunächst die von ihnen begonnenen Stoffe zu Ende zu weben: WILSON Mi dicha aumenta su gozo; mas ya ves lo que intereso en que los paños acaben que están labrando. Iré a verlos a sus telares después. Diles no se aparten de ellos y que les doblo la paga 182 Valladares (o.J.: 6, vv. 363-378). Valladares (o.J.: 6, vv. 379-383). 184 Vgl. Guinard (1984: 304). 183 384 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien del trabajo que hayan hecho esta semana.185 Eine mittelbare Adelskritik scheint auch angesichts eines Briefes auf, den Lord Orcey186, der mit Wilson um Fanias Hand konkurriert, Madama Sambrig geschickt hatte und den diese nun Wilson überreicht. Obgleich Orcey Fania „mis títulos, mi calidad y mi fortuna“187 zu Füßen legt und von seinem Diener im zweiten Akt als „muy amable, por compasivo y humano“ charakterisiert wird,188 sticht der Bürger Wilson schließlich seinen adeligen Mitbewerber aus. In den Augen der ebenfalls bürgerlichen Sambrig überwiegen die moralischen und unternehmerischen Fähigkeiten Wilsons die Summe des Kapitals des Aristokraten, weshalb sie Fanias Hand stante pede Wilson zuspricht und dies mit ihrer Enttäuschung über das unehrenhafte Verhalten des Adeligen Lord Baltton erklärt, Fanias Vater. Zwar wird Baltton im weiteren Verlauf des Stückes ‚rehabilitiert‘, wenn wiederholt dessen guter Ruf betont wird und er es ist, der Wilson vor dem Selbstmord bewahrt. Nichtsdestotrotz muss der Adel in diesem Stück hinter das Bürgertum zurücktreten. Während es in erster Linie finanzielle Besorgnisse sind, die die bürgerlichen ProtagonistInnen in für das Publikum nachvollziehbarer Weise umtreiben, steht die Macht des Geldes – oder vielmehr: des Goldes – auf Seiten des Adels, allerdings haftet ihr der Makel moralischer Zweifelhaftigkeit an. Sambrig berichtet Wilson im Zusammenhang ihrer emotionalen Verletzung durch Lord Baltton, der sie als Schwangere im Stich gelassen hatte (auch dies ist ein im spanischen Ambiente undenkbarer Plot, der sich mit Blick auf die Zensur nur in England ereignen kann), wie Baltton die Diener ihres Onkels bestach, um ihr ungestört seine Liebe zu erklären, ohne dass ihr Onkel davon erführe: MADAMA SAMBRIG [...] Milord Baltton, uno de aquellos primeros grandes señores de Escocia, 185 Valladares (o.J.: 7, vv. 459-467). Orcey wird im Stück zwar mehrfach erwähnt, tritt aber nicht in Erscheinung. 187 Valladares (o.J.: 3). 188 Valladares (o.J.: 15, v. 395f.). 186 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 385 logró verme en un paseo, [...] para poder declararme su amor, y buscó y halló medios, que la eficacia del oro rinde a los criados luego.189 Dass die Hand Fanias, die in Ermangelung der Übernahme von Verantwortung seitens ihres adeligen Vaters bürgerlich geblieben war, mehr wert ist als alle Güter, verdeutlicht Valladares in einem Dialog zwischen Wilson und Sambrig, in dem der Fabrikant betont, Fania benötige angesichts ihrer ‚Verdienste‘ keine Mitgift: „La mano de Fania tiene / tan grandes merecimientos, / que no necesita bienes / que la acompañen. [...]“190. Hier überwiegt die tugendhafte Fama einer Bürgersfrau den Status und die Finanzkraft eines Adeligen, wodurch ein weibliches Analogon zum Seelenadel des vir oeconomicus geschaffen wird. Eine Rehabilitation erfährt der Adelsstand am Ende des dritten Aktes, als nicht nur Lord Baltton sich zu Madama Sambrig und deren unehelicher Tochter bekennt, sondern auch Lord Orcey zu Wilsons Gunsten interveniert und dessen Kassierer Roberto ein Papier im Wert von 6.000 Pfund Sterling überreicht, wie der Angestellte in einem Botenbericht verlauten lässt. Die ehrbare Fania jedoch weist dieses Geschenk aus moralischen Gründen zurück, ist sie doch auf ihren Ruf bedacht und zieht daher die finanzielle Misere dem Ehrverlust vor: FANIA [...] Si esto se supiera en Londres, de mi honor, di, ¿que dirían? Vuelve ese dinero, y dile que quiere estar constituida 189 Valladares (o.J.: 4, vv. 183-191). Fanias Verdienste – ihre Tugenden – stehen ihr geradezu ins Gesicht geschrieben, „[...] en su rostro / pintada me parecieron / la honradez, la honestidad / y demás virtudes; y esto / me hizo creer que de las mismas / su corazón era el centro”, was den Grad der Täuschung (engaño) und späteren Ent-Täuschung (desengaño) Sambrigs durch den an ihr von Baltton begangenen Verrat anzeigt. Valladares (o.J.: 4, vv. 196-201). 190 Valladares (o.J.: 4, vv. 226-229). 386 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien antes Fania en la miseria que ver su virtud perdida.191 Valladares‘ im Vergleich zum neoklassischen Theater milde Adelskritik, die auch in Lord Balttons ausführlicher Selbstanklage angesichts seiner moralischen Schuld gegenüber Madama Sambrig zum Ausdruck kommt,192 kann ebenfalls als Konzession an das populäre Theater und ein Publikum verstanden werden, das es aus der barocken Tradition heraus gewohnt ist, Adelige in der Rolle von ProtagonistInnen zu sehen. Wie schon in anderen hier analysierten Stücken spielt auch in El fabricante de paños neben der bürgerlichen Tugend der industria und der christlichen caritas die prudentia eine Rolle, wenn Wilson Roberto ermuntert, frei zu sprechen, als Roberto seinen Dienstherrn wegen des drohenden Bankrotts zur Seite nehmen möchte: „Haz, Roberto, todo aquello / que de dicte tu prudencia.“193 Die von Wilson angesprochene „prudencia“ erscheint hier als bürgerliche Bedachtsamkeit im Sinne eines Blicks für das rechte Maß und dient dazu, Wilsons Vertrauen auf Robertos Gespür für die Situation zum Ausdruck zu bringen. Damit bezeichnet sie die Fähigkeit zu umsichtigem Handeln, eine Eigenschaft, die im Kontext unserer Analysen vor allem im Zusammenhang mit weiblichen Charakteren wie Antonia, der Schwester des Kaufmanns Lorenzo, und Isabel, der Gattin des geizigen Kaufmanns Don Roque, zutage getreten war. Der in den hier analysierten Stücken über den Kaufmann und den Unternehmer betonte Aspekt der Ehrbarkeit hat in Wilson einen weiteren bürgerlichen Vertreter. So bringt dieser sein Mitleid mit seinen Gesellen zum Ausdruck, deren Gehalt er ihnen aufgrund seines Bankrotts schuldig bleiben musste, weshalb er nun sein letztes verbleibendes Geld auf die Lohnzahlungen verwenden möchte. Das Verantwortungsgefühl, das der Unternehmer hier für seine Angestellten zeigt, steht in Analogie zu der paternalistischen Haltung des Textilfabrikanten Esteban aus La industriosa madrileña gegenüber seinen ArbeiterInnen. 191 Valladares (o.J.: 21, vv. 349-354). Vgl. Valladares (o.J.: 24, vv. 21-33.). 193 Valladares (o.J.: 9, vv. 671f.). 192 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 387 6.5. Zwischenbilanz: Der vir oeconomicus, Protagonist der comedia económico-sentimental Die bisher unternommenen Analysen haben gezeigt, dass sich das Wohl und Wehe des sich als Kaufmann und Fabrikant betätigenden vir oeconomicus im sentimentalen Theater neoklassischer und populärer Prägung zwischen den Polen von Gewinn und Verlust entscheidet. Hierbei wendet sich das Schicksal als Ausdruck göttlichen Willens (und der Konvention der Gattung Komödie gemäß) stets zugunsten der nach den reformökonomischen Vorgaben des aufgeklärten Absolutismus vorbildlich wirtschaftenden männlichen Hauptfiguren. Den gerechte Lohn, den die im bürgerlichen wie christlichen Sinne tugendhaften und um das Wohl ihrer Nation besorgten ökonomischen Akteure am Ende für ihre Bemühungen erhalten, ist stets ebenso finanzieller wie moralischer Natur und besteht zumeist in einer den vir oeconomicus bereichernden Ehefrau. Durch diese umsichtige Haushälterin können die hier skizzierten Kaufleute und Unternehmer ihr finanzielles Kapital ebenso mehren wie ihr moralisches. Zuvor drohen ihnen jedoch Verluste durch finanzielle Bankrotte, die ein Hindernis für die geplanten Eheschließungen darstellen und damit zum Motor der Komödienhandlung werden. Den bevorstehenden Konkurs haben die Kaufleute und Unternehmer selbst nicht zu verantworten, wurden sie doch entweder durch widrige Ereignisse, Intrigen oder unehrenhafte Geschäftspartner herbeigeführt. Der finanzielle und amouröse Ruin schwebt wie ein Damoklesschwert über dem kaufmännischen oder unternehmerischen oikos, um am notwendigerweise guten Ende im letzten Moment abgewendet zu werden. Dies geschieht durch das wohlmeinende Einschreiten staatlicher Autoritäten, d.h. der Monarchie und ihren Stellvertreterfiguren, oder, wie bei Durán, sogar durch göttliche Intervention. Ermöglicht wird die Wende zum Guten aber erst durch das moralisch vorbildliche Handeln der Protagonisten selbst. Damit erscheint der Glückswechsel nicht als Zufall, vielmehr ist er Teil des den Tugendhaften für ihre Anstrengungen zugestandenen ‚gerechten Lohns‘. Hierdurch wird ökonomisch und moralisch vorbildliches Handeln als profitables Geschäft inszeniert, was Habermanns Beobachtung entspricht, dass „die monetären Kategorien 388 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Gewinn und Verlust“ die „positiven und negativen Anreize“194 des homo oeconomicus bilden, der sich hier als vir oeconomicus erwiesen hat. Wie der ‚ökonomische Mensch‘ nach Adam Smith sind auch die hier skizzierten männlichen Protagonisten „durchaus fähig, [...] Altruismus als [...] Präferenz mit einzubeziehen“195. Das von Habermann genannte Handlungsmotiv des monetären Anreizes wird in den hier analysierten Wirtschaftskomödien über den Figurentypus des vir oeconomicus um die Aspekte von Liebe und Moral erweitert, wobei sich der Liebesplot, der das zentrale Gattungsmerkmal der sentimentalen Komödie ist, als Vehikel der moralischen und ökonomischen Didaktik erweist. Wie Fodor anhand des Begriffs des drame commercial gezeigt hat, ist es gerade der drohende Bankrott als Nukleus der Handlung französischer Wirtschaftskomödien aus der Feder Beaumarchais‘, Merciers und Sedaines, der den gewerbetreibenden Hauptfiguren Gelegenheit gibt, ihre moralischen Prinzipien unter Beweis und ihre aufklärerische Empfindsamkeit zur Schau zu stellen.196 Gleiches gilt für den vir oeconomicus in spanischen sentimentalen Komödien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die einen deutlichen Wirtschaftsbezug aufweisen. Der ‚wirtschaftende Mann‘ erweist sich darin als Typus mit wiederkehrenden Eigenschaften, mehr noch: als Idealtypus eines ebenso propagandistisch wie ökonomisch motivierten Theaters, das auf der Bühne das gute, von aufklärerischen Werten geleitete Wirtschaften vorführt. Über sein versiertes Wirtschaften mit Gütern und Finanzen hinaus führt der durch dieses Theater inszenierte vir oeconomicus eine Ökonomie der Affekte vor, deren Leitbild die bürgerliche Tugend der temperantia ist. Metonymisch dafür steht die Freundschaft als ‚gemäßigtes Empfinden‘. Die in den sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung inszenierten ökonomischen und affektiven Ideale decken sich mit den Leitlinien des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses, als da sind: a) die Bedeutung von Handel und Industrie für das Prosperieren der Nation; 194 Habermann (2008: 12). Habermann (2008: 13f.). 196 Vgl. Fodor (2002: 469), s.o. 195 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 389 b) die Kongruenz von Selbstinteresse und Gemeinwohl197 und die daraus resultierende Notwendigkeit individuellen Fleißes; c) der Patriotismus als freundschaftliche Verbundenheit der spanischen Untertanen miteinander und mit dem Staat. Diese Ideale erscheinen ebenso im Reformdiskurs der Aufklärer wie in ihrer theatralen Inszenierung als funktionale Elemente im Dienst der felicidad pública. So weist Forondas eingangs skizziertes Lob des Handels deutliche Bezüge zu sentimentalen Komödien der Spätaufklärung und dem durch sie vermittelten Tugendkanon auf, dessen Säulen die Mäßigung und die Empfindsamkeit sind. Diesbezüglich resümiert Azpiazu: Foronda se exalta ante la perspectiva de este negocio que no tiene pérdida, y pasa a cantar [...] las excelencias del Comercio, a la que llama „encantadora deidad”, y su plan llega a sugerirle un mundo nada menos que de „comerciantes-filósofos”, preocupados de la salud pública, que en este caso llevarán a labrar la felicidad de España y de Asia... y así los españoles serán ejemplos vivos de moderación y sensibilidad ante toda Europa...198 Was den die Komödien neben dem wirtschaftlichen Wohl und Wehe motivierenden Liebesplot anbelangt, bestätigen auch die hier vorgenommenen Untersuchungen Schlünders Befund zum neoklassischen Theaters Moratíns und Jovellanos‘, in dem „anders als in England, Zuneigung und wirtschaftliche Interessen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern vielmehr miteinander versöhnt“ werden.199 Dieser Umstand erklärt Schlünder zufolge auch das „Fehlen einer weiblich kodierten[n] Sentimentalität“200, eine Absenz, die auch die hier unter197 Vgl. hierzu auch Schlünder (2018b: 324): „Die von Mandeville propagierte ökonomische Freiheit und positive Bewertung des Eigennutzes wird dementsprechend im Rückgriff auf die jansenistische Idee des durch Sündenfall bedingten Eigeninteresses dem spanischen Ökonomiediskurs anverwandelt: Ausgangspunkte eines ökonomischen Denkens, das in der Orientierung an Francisco de Vitoria den Einzelnen – und damit sein Glücksstreben – im Gesellschaftskörper aufgehen lässt, können nicht per se Selbstinteresse oder individuelle Glückseligkeit sein, vielmehr müssen diese auf ein Gemeinwohl hin verpflichtet sein, als dessen Garant sich die christliche Ideologie vollzieht.“ 198 Azpiazu (1984: 35) mit Bezug auf Foronda (1793a: 22f.). 199 Schlünder (2018b: 326). 200 Vgl. Schlünder (2018b: 340). 390 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien suchten Wirtschaftskomödien kennzeichnet, die den vir oeconomicus inszenieren. Wie die theatrale Darstellung der Freundschaftsthematik zeigt, bestehen soziale Beziehungen jenseits des Liebesplots in den untersuchten Stücken nahezu ausschließlich zwischen Männern. Eine Ausnahme bildet die Freundschaft des Textilfabrikanten Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada zu Doña Clara. Als für die Abwesenheit weiblicher Sentimentalität kausal erachtet Schlünder die „christlichreligiöse Färbung des ökonomischen Denkens in Spanien“ mit seiner „Unterordnung des Einzelnen unter das Wohl der Gemeinschaft.“201 Die Analysen dieser Studie bestätigen diese Einschätzung. Auf der Ebene der Funktion des aufgeklärten Theaters als propagandistisches Instrument nimmt der dort skizzierte ökonomische und moralökonomische Idealtypus, als der sich der vir oeconomicus infolge der hier angestellten Analysen erwiesen hat, die Rolle eines nach dem Pastoratsprinzip agierenden ‚Hirten des Staates‘ ein. Dieses didaktische Prinzip führt Duráns Komödie mittels einer Stufung performativer Stellvertretungen am deutlichsten vor Augen. Damit erweist sich der vir oeconomicus als durch das Theater imaginiertes Subjekt, das dem Publikum die glückliche Unterwerfung des Einzelnen unter die Gouvernementalität des absolutistischen aufgeklärten Staates sowie die damit verbundene Profitabilität performativ vor Augen führt. So bleibt festzuhalten, dass das Theater die politische Vision eines gänzlich in seiner wirtschaftlichen und sozialen Funktionalität aufgehenden Individuums transportiert. Diese Vision ist mit der des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses deckungsgleich. Die mit den inszenierten idealen Haushalten verbundene Moralökonomie ist ebenfalls eine aufklärerische, die ihrerseits der Politischen Ökonomie verpflichtet ist. Tritt dabei im Theater zunehmend ein – nicht selten durch Adelige wie den Fabrikanten von Olot repräsentierter – bürgerlicher Geist zutage, fällt der effektive politische Einfluss dieser Schicht in Spanien gering aus: [...] es ist der durch Vernunft und Gefühl, Natürlichkeit und gesunden Menschenverstand zusammengeschlossene Dritte Stand, der in Frankreich die Kraft hatte, sich politisch zur ‚Nation‘ zu konstituieren, der in 201 Schlünder (2018b: 340). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 391 Spanien 1806 [als dem Zeitpunkt der Aufführung von Moratíns El sí de las niñas] einstweilen nur im Theater den Ton angibt.202 Auch der auf der Bühne agierende vir oeconomicus ist aber nicht allein ein der Gouvernementalität unterworfenes Subjekt, vielmehr fungieren die in einer Kette von Stellvertreterfiguren angeordneten männlichen Protagonisten des Ökonomischen, die in Duráns La industriosa madrileña, in El hombre agradecido oder in La señorita malcriada zugleich als Ordnungsstifter fungieren, selbst als Platzhalter einer durch den Monarchen repräsentierten patriarchalen Gouvernementalität. Insbesondere das im Theater Duráns zum Tragen kommende Stellvertreterprinzip veranschaulicht einen bedeutsamen Mechanismus der Politischen Ökonomie: Wird laut Vogl im Staat des 18. Jahrhunderts die „aristotelische Trennung von oikonomia und chrematistike“ schon allein deshalb unterlaufen, weil der „Staatsführer“ im Unterschied zu dem seinen Haushalt überblickenden Hausvater „nur durch die Augen anderer etwas sehen“ kann,203 nimmt der als Kaufmann oder Fabrikant tätige Hausvater in den hier untersuchten spanischen Komödien der Spätaufklärung die Rolle eines stellvertretend für den Monarchen ‚sehenden Auges‘ ein. Damit wird er zum funktionalen Glied eines Panoptikums, das über das gute und schlechte Wirtschaften der Mitglieder des Haushaltes wacht, zu denen auch die im Unternehmen des Hausvaters tätigen Angestellten und Lehrlinge zählen. Diese sind ebenso Objekte der Überwachung wie sie selbst zu Wächtern werden. Wenn die besagten Protagonisten darüber hinaus als Personifikationen bürgerlicher Tugenden fungieren, die zwecks Wahrung der in Spanien traditionellen Einheit von Katholizismus und Krone entweder mit den christlichen Kardinaltugenden zur Deckung kommen oder durch diese ergänzt werden, verkörpern sie damit zugleich den vom Staatsapparat gewünschten idealen Menschentyp. Dieser zeichnet sich aus durch industria, modestia und temperantia sowie durch prudentia als bürgerliche Variante der aufklärerischen ratio, ergänzt durch christliche caritas. Während beispielsweise Marti dem spanischen 18. Jahrhundert eine zunehmende Entkopplung von säkularer 202 Jehle (2010: 187). Vogl (2002: 55) mit Bezug auf Rousseau, Jean-Jacques (1977): „Abhandlung über die Politische Ökonomie“. In: idem. Politische Schriften, vol. I, trans. Ludwig Schmidt. Paderborn: Schöningh, pp. 9ff. 203 392 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ökonomischer und christlicher Moral attestiert, die ihm zufolge einen Bruch zwischen religiös-individuellen und kollektiv-säkularen Wertvorstellungen herbeiführt,204 verbinden die hier untersuchten Stücke christliche Moral und säkulare Ökonomie zu einer im Religiösen verorteten Moralökonomie. Gerade die Tugend prudentia wird, wie Strosetzki gezeigt hat, im Kontext des Colbertismus in Frankreich bereits im 17. Jahrhundert als dezidiert kaufmännische Tugend markiert, etwa in Jacques Savarys Traktat Le parfait négociant (1675).205 Der bürgerliche Tugendkanon der sentimentalen Komödie in Spanien wird in den hier analysierten Beispielen durch die amicitia ergänzt, die hier ebenfalls als bürgerliche Tugend erscheint, die insbesondere bei Comella und Zavala y Zamora den Fokus der Handlung bildet. In gleicher Weise wie die übrigen Tugenden verleiht sie dem gouvernementalen Wunsch Ausdruck, der Staatsbürger möge sich zum Patriotismus bekennen und aus patriotischer Gesinnung einen produktiven Beitrag zur Nationalwirtschaft leisten. Gelingt es der französischen Gattung des drame commercial letzten Endes, das Smith’sche Dilemma206 zwischen Mitleid und Selbstliebe insofern aufzulösen, als das noch bei Mandeville ungezügelte Selbstinteresse des vir oeconomicus nunmehr in den Dienst des Allgemeininteresses gestellt und damit gezähmt wird, 207 wird Mandevilles Motto ‚private vices, publick [sic] benefits‘ zugleich in den Leitspruch ‚private virtues, publick benefits‘ verkehrt.208 Ähnliches gilt für das spanische drama comercial ebenso wie für die sentimentale Komödie seit Lillo, und damit für eine Gattung, die sich im ‚sentimentalen Dreieck‘209 zwischen England, Frankreich und Spanien verbreitet und durch 204 Vgl. Marti (2012: 259). Vgl. Strosetzki (2017: 14ff.). 206 Habermann (2008: 135) bezeichnet dieses Dilemma auch als „Doppelethik“, die sich „durch Smith‘ gesamtes Werk“ ziehe und die sich in der „Annahme von vollkommenem Egoismus im Markt und vollkommenen [sic] Altruismus zu Hause“ zeige. 207 Vgl. zu diesem Dilemma Fodor (2002: 475). 208 Vgl. Fodor (2008: 475). Vogl (2002: 43f.) zufolge kann „Mandevilles berühmter Untertitel als Formel dafür gelten, wie sich nun Leidenschaften wechselseitig neutralisieren, wie sie in Interesse rationalisiert werden oder wie sich in dem aus der Staatsräson stammenden Begriff des ‚Interesses‘ selbst die Wendung eines produktiven und berechnenden Eigennutzes freisetzt.“ Vogl nimmt hierbei Bezug auf Hirshman, Albert O. (1980): Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, trans. Sabine Offe. Frankfurt/Main: Suhrkamp, pp. 23-57. 209 Vgl. den Titel der gleichnamigen Studie von Fuentes (1999). 205 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 393 wechselseitige Einflüsse geprägt ist. Ebenso wie das drama comercial verschränkt auch die sentimentale Komödie die Empfindsamkeit des vir oeconomicus und sein wirtschaftliches Handeln, was zu einer Mäßigung sowohl der Ausgaben als auch der Leidenschaften führt. Ausgaben werden somit in Investitionen, Affekte in zarte soziale Bande umgeleitet, wodurch der finanzielle und emotionale Exzess in sozialökonomisches Kapital umgemünzt wird, das letztlich dazu dient, den bien común und die felicidad pública zu mehren. Der vir oeconomicus des spanischen drama comercial ist daher nicht jenseits seiner gesellschaftlichen Funktionalität und seiner sozialen Beziehungen denkbar. Für eine Übertragung des Begriffs des drame commercial auf das spanische Theater der Spätaufklärung wurde bereits im Kontext der Analyse von Zavala y Zamoras La Justina plädiert. Sie wurde für die spanischen Wirtschaftskomödien angeregt, in denen Kaufleute als Protagonisten auftreten. Dass die zentrale Handlungsachse des Bankrotts dabei nicht notwendigerweise in einem finanziellen Ruin bestehen muss, sondern auch einen Verlust an Ansehen bedeutet, hat unsere Analyse von Moratíns El viejo y la niña gezeigt. Obgleich der Begriff des drama comercial auf die spanischen Komödien, die sich in der Tradition des London Merchant der Kaufmannsthematik verschreiben, anwendbar ist, vernachlässigt er sowohl die Bedeutung des Gefühls in diesen Stücken als auch die affektökonomische Kopplung von Wirtschaft, Gefühl und Moral. Vor diesem Hintergrund plädiert diese Studie für eine neue Genrebezeichnung, die der comedia económico-sentimental, der sentimentalen Wirtschaftskomödie. Diese ermöglicht es, die hier vorgestellten und nach dem Pastoratsprinzip modellierten Stücke nicht nur unter Berücksichtigung der verschiedenen Betätigungsfelder der in ihnen agierenden viri oeconomici zu fassen, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Dimension. Die in den comedias económico-sentimentales entwickelte Moralökonomie wird damit als eine Form des guten Wirtschaftens zum Wohle der Nation erkennbar, das durch tugendhaftes Handeln gemäß einem bürgerlich-christlichen Tugendkanon gekennzeichnet ist. Zu den in der Gattung operierenden viri oeconomici zählt neben dem ehrbaren Kaufmann auch der philanthrope Unternehmer-Paternalist, wie ihn Iriartes La señorita malcriada, Duráns La industriosa madrileña und Valladares de Sotomayors El fabricante de paños inszenieren. Dies sind bei weitem nicht alle, jedoch für die Gattung der comedia económico-sentimental repräsentative Figuren, die es in künftigen Forschungen weiter auszudifferenzieren und zu 394 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien untersuchen gilt.210 Unter Berücksichtigung der von Fulda konstatierten Neigung der Gattung Komödie zum Ökonomischen sowie in Anbetracht des Umstands, dass es sich bei dem hier untersuchten Korpus ausschließlich um sentimentale Komödien handelt, in deren Zentren wirtschaftende ProtagonistInnen stehen, leistet der neue Gattungsbegriff der comedia económico-sentimental eine Aktualisierung der Bezeichnung drama comercial. Die Akteure der sentimentalen Wirtschaftskomödie sind im Unterschied zu denen des drame commercial nicht ausschließlich Kaufleute, sondern auch Unternehmer. Überdies inszeniert diese Gattung des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Spanien den Prototyp des vir oeconomicus als eine männlich-patriarchalische Verkörperung des Ökonomischen sowie als Subjekt einer Gouvernementalität, die das aus reformökonomischer Warte ‚richtige Wirtschaften‘ ebenso vorführt wie eine bürgerlich-katholische Moral- und Affektökonomie. Das mit der Einführung des neuen Gattungsbegriffs verbundene Anliegen ist nicht etwa, eine bestimmte Untergattung der sentimentalen Komödie auszuweisen. Vielmehr geht es darum, die sentimentale Komödie in ihrer über das Affektive hinausgehenden Dimension zu erkennen: In Spanien ist sie einer neuen Moral verpflichtet, die traditionell christliche und bürgerliche Werte mit den Leitlinien der Politischen Ökonomie ebenso kombiniert wie mit aufklärerischen Werten (Bildung, Erziehung, die Ehe als Beziehung zwischen Gleichgesinnten). Neben Gefühlen werden in ihr also immer auch Finanzen, Güter, Berufsbilder, bürgerlich-religiöse Werte, aber auch Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit verhandelt. In diesem Sinne repräsentiert der in den vorausgehenden Abschnitten untersuchte Figurentypus des vir oeconomicus zum einen eine hegemoniale, d.h. eine ökonomisch versiert handelnde und finanziell potente Männlichkeit, die ihrerseits stellvertretend für einen monarchischen Souverän steht. Diesem wird seinerseits über den neuen männlichen Typus sowie durch das in den Stücken erfolgende Königslob wirtschaftspolitische Kompetenz zugesprochen. Dem vir oeconomicus wird am Ende der Komödien jeweils eine im Haushalten ähnlich versierte Partnerin an die Seite gestellt, die mit den Tugenden der Zurückhaltung, des Fleißes und der Keuschheit 210 Dies hat García Garrosa (2022) in Bezug auf die Figur des als Kaufmann tätigen Unternehmers im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts getan. 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 395 dem bürgerlich-katholischen Weiblichkeitsideal entspricht (vgl. auch Kap. 8.2.2f.). Was die durch den vir oeconomicus verkörperte hegemoniale Männlichkeit anbelangt, weist diese Schnittstellen mit dem aufklärerischen Männlichkeitsideal des hombre de bien auf, den Álvarez Barrientos in Comellas sentimentalen Komödien Los falsos hombres de bien (1790) und El hombre de bien (1796) verkörpert sieht und den er wie folgt charakterisiert: [...] este hombre de bien, que era razonable y había de trabajar para los conciudadanos, tenía también una importante caracterización sentimental. En contra del viejo tópico, según el cual el siglo xviii y la Ilustración son sólo razón, al acercarnos de la época vemos una y otra vez que, realmente, lo sensible está presente en la realidad y en la manera de entender a los individuos. De este modo, el lector se va a encontrar con consejos y personajes que representan a un hombre sociable y sensible [...].211 Der hombre de bien, der vor allem durch die sentimentale Komödie repräsentiert wird, ist also ebenso empfindsam wie vernünftig, ein guter Ratgeber und überdies gesellig. Als Repräsentant eines neuen Ideals im Dienste der felicidad pública kennzeichnet ihn außerdem die Tugend der Mäßigung (temperantia), er ist arbeitsam und weiß seine Gefühle und seinen beruflichen Ehrgeiz im Zaum zu halten und sie mit Bedacht in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.212 Diese Eigenschaften eines neuen männlichen Typus, den Jehle mit dem Begriff des ‚zivilen Helden‘ bezeichnet hat (vgl. Kap. 4.4), sind in ihrer geschlechtlichen Dimension und in ihren Bezügen zur aufklärerischen Reformökonomie in unseren Analysen zutage getreten. Ein weiteres wesentliches Zwischenergebnis dieser Studie besteht in der Erkenntnis, dass es gerade die von der Literaturwissenschaft mehrheitlich dem populären Theater zugerechneten Autoren wie Comella, Valladares und Zavala y Zamora sind, die den vir oeconomicus, seinen geschäftlichen Erfolg, schuldlosen Bankrott sowie den ihn umgebenden oikos zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Stücke machen. Angesichts des offensichtlichen Wirtschaftsbezuges und der bereits erwähnten Mühe, die einzelne Autoren auf die kaufmännische Detailtreue ihrer Stücke verwenden, erscheint die geringe Aufmerksamkeit, 211 212 Álvarez Barrientos (2005: 115). Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 113). 396 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die ihnen bis Ende der 1980er Jahre seitens der literaturwissenschaftlichen Forschung zuteil wurde, um so erstaunlicher. Von einem langsam wachsenden Interesse an dem populären Theater zugerechneten Dramatikern wie Valladares und Comella zeugen ab den 1980er Jahren die Studien Guinards und di Pintos,213 sowie seit den 1990ern die Forschungen García Garrosas, Fernández Cabezóns und Angulo Egeas.214 Zuvor wurden populäre Dramatiker als Vertreter eines allein auf Unterhaltung ausgerichteten und daher wenig anspruchsvollen Theaters abgetan. Bei den zu den „Neoklassikern“ gezählten Autoren wie Moratín und Iriarte scheinen moralökonomische Themen wie die Eheschließung zwischen PartnerInnen mit großem Altersunterschied215 oder eine missglückte Erziehung das thematische Zentrum der Stücke zu bilden, während die kaufmännische und unternehmerische Tätigkeit der zentralen Figuren eher ein Nebenschauplatz ist. Gerade der Fall Comellas zeigt jedoch, dass die herkömmliche Trennung zwischen „populären“ und „neoklassischen“ Autoren einer Detailsicht auf die aufklärerische und reformökonomische Dimension seiner Stücke nicht standhält. Den Eindruck vom ‚Neoklassizismus‘ Comellas, der sicherlich nicht auf allen Ebenen gegeben ist und mitnichten alle seine Stücke, wohl aber seine comedias económico-sentimentales kennzeichnet, erhärten nicht zuletzt auch die in unseren Analysen zutage getretenen Parallelen von El hombre agradecido zu wiederkehrenden Plotstrukturen des neoklassischen Theaters. Es scheint in diesem Zusammenhang vor allem die literarische Querelle mit Moratín zu sein, 213 Vgl. u.a. Guinard (1981); di Pinto (1988a) und idem (1988b): „Comella vs Moratín: Historia de una controversia“. In: Coloquio internacional sobre el teatro español de siglo xviii. Abano Terme: Piovan, pp. 141-166 sowie Palacios (1998) und Angulo Egea (2006). Guinard (1981: 166) ist einer der ersten, der das geringe Ansehen von Dramatikern des populären Theaters bemängelt: „On ne peut que regretter que le succès, mérité, d’œuvres de premier plan comme celles d’Iriarte et de Moratín, ainsi, il faut le reconnaître, que le discrédit qu’un Valladares de Sotomayor, un Comella, un Moncín, et d’autres encore, [...] aient détourné jusqu’à présent les ‚estudiosos‘ de se pencher sur ce théâtre de compromis [entre illustration et les goûts du public].“ 214 Vgl. insbesondere García Garrosa (2022; 2011; 1996; 1990), Fernández Cabezón (2002; 1996) und Angulo Egea (2006). 215 Dieses Thema verarbeitet Leandro Fernández de Moratín nicht nur in El viejo y la niña (1786), sondern auch in El sí de las niñas (1801). 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 397 die die in der Forschung bis heute dominierende Sicht auf Comella als einen „populären“ Autor bedingt.216 Insgesamt kann in Bezug auf den vir oeconomicus festgehalten werden, dass es gerade dramaturgos populares wie Comella, Zavala y Zamora und Valladares sind, die die Real Cédula und die Thematik der als ehrbare Tätigkeiten deklarierten oficios viles in direkter Weise umsetzen und damit deutliche Bezüge zum reformökonomischen Diskurs erkennen lassen.217 Ein Grund für die Orientierung des Theaters an den Leitlinien der Reformökonomie mag in der insbesondere für das populäre Theater gegebenen Notwendigkeit bestanden haben, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele publikumswirksame Stücke zu produzieren, die zudem den staatlichen und kirchlichen Zensoren zupass kommen müssen. Die französischen drames commerciaux mit ihrem Fokus auf dem berufsbürgerlichen oikos stellen willkommene Vorlagen bereit, um thematisch an die Real Cédula anschließen und Stücke produzieren zu können, die dem vorherrschenden politischen Interesse dienen. Damit erhöhen die Autoren ihre Chance, vor der staatlichen Zensur zu bestehen, während die Einstreuung religiöser Elemente ein Zugeständnis ebenso an die kirchlichen Zensoren wie an die breite Volksmasse ist. Maravalls zu Beginn des Abschnitts über den vir oeconomicus erwähnte These, dass das geschäftliche Gebaren des Kaufmanns der neuen, säkularen und ‚verbürgerlichten‘ Sphäre zuzurechnen sei, während das private Agieren nach wie vor vom Religiösen durchdrungen sei, wird insbesondere durch Duráns Stück über den wohltätigen Fabrikanten herausgefordert: Die christliche Tugend der caritas erweist sich dort als Leitfaden unternehmerischen Handelns und ist gerade nicht mehr auf die Sphäre des Privaten beschränkt. Auch in Valladares de Sotomayors El fabricante de paños entspricht das von der titelgebenden Figur vorgelebte Prinzip, trotz eigener finanzieller Bedrängnisse Almosen an Bedürftige zu vergeben und zunächst die notleidenden Angestellten zu entlohnen, ehe man an sich selbst denkt, einer ebenso geschäftlichen wie privaten Handlungsmaxime. Die Kopplung des (moral)ökonomischen Handlungsraums an das Religiöse fügt sich in das, was Witthaus als „Anthropologisierung des ‚ökonomischen 216 Entsprechend bezeichnet auch Angulo Egea (2006: 79) ihn als „uno de los principales dramaturgos populares de la época“. 217 Eine Ausnahme bildet hierbei Duráns Stück über den Fabrikanten von Olot. 398 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Denkens‘“ bezeichnet hat, ein Phänomen, das er im Zusammenhang mit dem bourbonischen Reformdiskurs gegeben sieht: Wenn nachfolgend insbesondere das 18. Jahrhundert in den Fokus rückt, wäre zu fragen, inwiefern in den ökonomischen Traktaten jener Zeit, unter der Ägide eines ‚Willens zur Reform‘, nicht nur der Handel als ethische Lebensform rehabilitiert wird, sondern darüber hinaus sich eine, von Vogl für das 18. Jahrhundert konstatierte, aber vielleicht von der diskursiven Montage differente Anthropologisierung des ‚ökonomischen Denkens‘ [...] beobachten lässt. Kultur, Religion und Ökonomie erscheinen somit nicht länger als einander ausschließende Lebensbereiche.218 In den hier betrachteten Stücken manifestiert sich die besagte Anthropologisierung des Wirtschaftlichen nicht in erster Linie – wie von Witthaus für die ökonomischen Traktate der spanischen Aufklärung vermutet – im Sektor des Handels, sondern vor allem in der Industrie. Wie auch Witthaus kritisch hinterfragt, scheint es sich zwar „durchgesetzt zu haben, ökonomisches Denken“ in der Nachfolge Max Webers „immer mit dem Protestantismus in Verbindung zu bringen“,219 offensichtlich ist aber gerade für spanische comedias económico-sentimentales auch eine bisher nicht vermutete Verknüpfung von Katholizismus und Ökonomie zu konstatieren.220 Wenn von den Bühnen des französischen Nachbarn mit der Revolution auch der Typus der ehrbaren Kaufleute und verantwortungsvollen Unternehmer verschwindet, um zweifelhafteren, auf die eigene Bereicherung ausgerichteten Akteuren Platz zu machen,221 die ihrerseits die ausbeuterischen Kapitalisten eines durch sozialistische Theorien beeinflussten literarischen Naturalismus vorwegnehmen, verhält sich dies mit Blick auf die spanische Theaterlandschaft anders: 218 Witthaus (2017: 154). Witthaus (2017: 154). 220 Nach einer solchen ‚Ökonomie des Katholizismus‘ fahndet auch das Forschungsprojekt Seelen und Yerba ernten: Franziskaner und Jesuiten als Wirtschaftsexperten im transatlantischen Verflechtungsraum (1535–1750) (2019-2022) unter der Leitung von Philip Knäble. 221 Vgl. Niklaus (1978: 155). Als Beispiele für die im Folgende dominierende, kritische Betrachtung insbesondere des Kaufmanns führt Niklaus (1978: 154) La Question d’Argent (1857) von Alexandre Dumas fils an sowie Henri Becques Les Corbeaux (1882) und Octave Mirbeaus Les Affaires sont les affaires (1903). 219 6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie 399 Nach der napoleonischen Invasion verschwinden die Kaufmannsund Unternehmerfiguren zunächst nahezu gänzlich von den Bühnen der Halbinsel. Ausnahmen von dieser Regel bilden die noch bis in die 1840er Jahre hinein aufgeführten Komödien Moratíns als fortlebendes ‚Erbe‘ der spanischen Aufklärung.222 Der vorbildliche vir oeconomicus des vorausgehenden Säkulums wird im Spanien des 19. Jahrhunderts teils von den rebellischen Figurentypen der Romantik der 1830er und 1840er Jahre abgelöst, teils findet er keinen Raum in einer Theaterlandschaft, dessen publikumswirksame ‚Bestseller’ neben Parodien romantischer Stücke und historischen Komödien nach wie vor die schon im 18. Jahrhundert äußerst populären comedias de magia sind.223 Erst mit der alta comedia als einer Gattung, die sich den Besorgnissen des gehobenen Bürgertums, seinen Sitten und seiner Arbeitswelt zuwendet,224 erscheinen Kaufleute – nun erweitert um wirtschaftliche Akteure wie Spekulanten und Bankiers – erneut auf spanischen Bühnen. Systematische Untersuchungen zur Entwicklung, die die literarische Figur des Fabrikanten im Laufe des 19. Jahrhunderts nimmt, stehen noch aus. Festzuhalten ist für die Literatur dieser Epoche, dass das Bild eines ehrbaren vir oeconomicus nun einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Dies geschieht im Bereich des Theaters vor allem in der Gattung der alta comedia, wenn diese ‚Laster, Gier, Ehrgeiz und Untreue auf individueller Ebene‘ dergestalt inszeniert, dass nun die ‚Figurenpsychologie‘ und die ‚Beweggründe des Einzelnen‘ in den Vordergrund rücken.225 Entsprechend werden Themen wie die Korruption – etwa in Tomás Rodríguez y Díaz Rubís (1817-1890) El arte de hacer fortuna (1845) – genauso thematisiert wie Geldgier und Erpressung, wie Manuel Tamayo y Baus (1829-1898) sie in La bola de nieve (1865) verhandelt.226 Es scheint, dass sich der wirtschaftende Mann erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts und im Zuge einer wachsenden Kritik an den Figuren des aufklärerischen Theaters vom Idealtypus des vir oeconomicus zum Individuum wandeln kann, das von Schwächen 222 Vgl. Gies (1994: 51ff.). Wenn von einem Fortleben der Kaufmannsfigur in dieser Zeit überhaupt die Rede sein kann, dann vor allem durch die anhaltende Aufführung der Stücke Moratíns. 223 Vgl. Gies (1994). 224 Vgl. Gies (1994: 231ff.; 291). 225 Gies (1994: 232), meine Übersetzung. 226 Vgl. Gies (1994: 237f.). Die Korruption ist Gies zufolge ein die öffentliche Debatte der 1860er Jahre prägendes Thema. 400 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ebenso gekennzeichnet ist wie von Stärken und Emotionen. Das affektive Moment kommt dabei deutlich verhaltener zum Ausdruck, als dies noch in der comedia económico-sentimental oder in der Komödie der Romantik der Fall war. Züge einer solchen ‚Individualisierung‘ zeigt etwa die Figur des Geschäftsmanns Mariano aus El tejado de vidrio (1863) von Adelardo López de Ayala (1828-1879).227 Abschließend kann festgehalten werden, dass im Verlauf des spanischen 19. Jahrhunderts ausgerechnet der Zeitpunkt, an dem die Macht der Monarchie schwindet und die zum wohlhabenden Großbürgertum avancierten Mittelschichten zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss erlangen, das literaturhistorische Moment markiert, an dem sich der aufklärerische vir oeconomicus, verstanden als männlicher „Idealtypus eines Entscheidungsträgers“, ins Negativ des „eigennützig und prinzipiell ungesättigt nach Nutzenmaximierung strebenden Prototyp[us‘]“228 verkehrt. Es ist die nunmehr faktisch erreichte Finanzmacht des in den comedias económico-sentimentales noch so mühsam beworbenen unternehmerisch tätigen Adeligen und Bürgers, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts Besorgnisse hervorruft, die nicht nur im Roman, sondern auch im Theater ab 1850 mit zunehmender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen.229 227 Vgl. Gies (1994: 249f.). Wunderlich (1989: 9), s.o. 229 Vgl. hierzu die schon genannten Stücke von de la Cámara, Galdós, Botella y Andrés, Francos Rodríguez und Clarín, deren männliche Protagonisten Arbeiter und Banditen sind, die Missstände anprangern und damit zu ‚Helden des Volkes‘ und Anwälten ihrer Klasse werden. 228 7. VIR FABER UND VIR RUSTICUS: MÄNNLICHE TYPISIERUNGEN DES HANDWERKS UND DER LANDWIRTSCHAFT Wie in den vorherigen Analysen zu den Figuren zum Kaufmann und zum Fabrikanten als ökonomischen Typen bereits deutlich wurde, sind die in der comedia económico-sentimental agierenden ProtagonistInnen nicht als Individuen zu betrachten. Stattdessen sind sie prototypische Vertreter ihres bürgerlichen Standes und ihrer Berufsgruppe,1 „representantes de una condición“2 also, die sich durch wiederkehrende Eigenschaften auszeichnen. Sie und das Geflecht ihrer auf der Bühne entworfenen sozialen Beziehungen stehen für Lebensbedingungen innerhalb bestimmter Kräfteverhältnisse und wechselseitiger Abhängigkeiten, die für die Gesellschaftsschichten, die sie als Pars pro Toto repräsentieren, bestimmend sind. Ihre inneren Konflikte sind daher auch nur dort von Interesse, wo sie geschriebene oder ungeschriebene Normen dieser Gemeinschaft tangieren.3 Die auf der Bühne gezeichneten Sittengemälde arbeitender Menschen dienen dazu, dem Publikum Konzepte von Bürgerlichkeit zu vermitteln,4 sei es seitens des aufgeklärten Absolutismus, der insbesondere das neoklassische Theater als Medium staatlicher Propaganda nutzt, sei es seitens des populären Theaters, das Unterhaltung und aufklärerischen Diskurs verbindet. Die genaue Beschaffenheit dieser Konzepte des Bürgerlichen nehmen unsere Analysen in ihrem Bezug zum reformökonomischen Diskurs in den Blick. Dabei soll der Umstand Berücksichtigung finden, dass das spanische Bürgertum des ausgehenden 18. Jahrhunderts 1 Vgl. auch García Garrosa (1990: 155). García Garrosa (1990: 155). 3 Als Dreh- und Angelpunkt der sentimentalen Komödie identifiziert García Garrosa (1990: 156) daher „la pintura de las condiciones [...] de los hombres que trabajan“. 4 García Garrosa (1990: 156). 2 402 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eben gerade keine sich über ein dezidiertes Klassenbewusstsein oder eine Ideologie definierende soziale Schicht ist,5 sondern die besagte mentalitätsgeschichtlich definierte anthropologische Gruppe. García Garrosas These vom sentimentalen Theater als Vehikel einer ‚Ideologie des Bürgerlichen‘ ist also vor dem Hintergrund der hier analysierten Stücke zu prüfen. Dies soll zum einen im Hinblick auf die Art und Weise geschehen, wie diese Stücke vorwiegend männliche Figuren, die in Handwerk, Landwirtschaft und im Kleingewerbe tätig sind, als Repräsentanten körperlicher Arbeit zeichnen, wobei in diesem Kapitel auch eine weibliche Figur als Repräsentantin der werktätigen Landbevölkerung Gegenstand der Untersuchung sein wird. Zum anderen gehen wir der Frage nach, wie diese Figuren zu anderen in Beziehung stehen: Dies betrifft den strukturellen Aspekt der Figurenkonstellation, -komposition und -gewichtung, die ihrerseits ebenso über den gesellschaftlichen Status der in Spanien im 18. Jahrhundert zahlenmäßig größten Gruppe der körperlich Arbeitenden Auskunft gibt, wie sie die Moral der analysierten Werke in der theatralen Fiktion entwirft. Nicht nur die Sektoren von Handel und Industrie, sondern auch die Bereiche des Handwerks und der Landwirtschaft erweisen sich also als ein thematischer Schwerpunkt der comedia económico-sentimental, wobei jeder der vier Sektoren durch einen bestimmten Figurentypus repräsentiert wird. War dies für Handel und Industrie der durch den Kaufmann und den Fabrikanten repräsentierte Typus des vir oeconomicus, metonymisieren Handwerker den Bereich der Zünfte, während die Figur des Bauern für die Landwirtschaft steht. Beiden, dem Handwerker und dem Bauern, ist gemein, dass sie eine körperlich anstrengende Tätigkeit ausüben. In Analogie zum bereits untersuchten kaufmännisch und unternehmerisch tätigen Typus des vir oeconomicus werden Handwerker und Bauer hier unter dem Figurentypus des vir faber6 subsumiert, ein Begriff, dessen geistesgeschichtliche und 5 Vgl. Anes (1981: 18); Díez Rodríguez (2014: 29); Maravall (1979: 299). Vgl. zur Geschichte des arbeitenden Menschen Díez Rodriguez‘ historische Studie zum homo faber, die sich mit ökonomischen Diskursen des 18. und 19. Jahrhunderts über Arbeit und arbeitende Menschen in Spanien, Italien, England und Frankreich sowie mit den wechselseitigen Diskursbeeinflussungen der Schulen vom frühen Merkantilismus bis hin zum Marxismus auseinandersetzt. In Analogie zum Bürgertum definiert auch Díez Rodríguez den homo faber als eine anthropologische Größe. Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo, 1675-1945. Madrid: Siglo XXI. 6 7. Vir faber und vir rusticus 403 ideologische Dimension das Kapitel 7.1. über „trabajo manual und homo faber im (vor-)aufklärerischen Diskurs“ herleitet. Schon Farr verweist in seiner Monographie Artisans in Europe (2000) darauf, dass die zunächst simpel anmutende Frage, wie ein/e HandwerkerIn zu definieren sei, umso komplexer erscheint, wenn man das breite Spektrum des Status einzelner Gewerbe und beruflicher Funktionen innerhalb der Zünfte berücksichtigt. Diese bilden ein rigides soziales System, das sich durch einen hohen Grad an Hierarchisierung, eine eigene Rechtsprechung und strikte Regularien auszeichnet und seinen Mitgliedern eine entsprechend große Bereitschaft abverlangt, sich diesem System unterzuordnen.7 Das Spektrum der männlichen Handwerker reicht vom einfachen Lohnarbeiter, der auf der untersten Stufe steht, über Lehrlinge und Gesellen bis hin zum Meister. Im Bereich der Meister sind die, die sich gemeinsam mit Gesellen und Lehrlingen physisch betätigen, von jenen zu unterscheiden, deren Tätigkeitsbereich sich auf das Unternehmerische verlagert und neben Planung und Investition auch den Vertrieb von Produkten umfasst.8 Letztere sind von Kaufleuten kaum zu unterscheiden.9 Auch das Selbstverständnis der Handwerkerschaft fußt, wie Farr betont, seit dem Mittelalter weniger auf dem Konzept der ‚(physischen) Arbeit‘ oder gar auf einem Selbstverständnis als ‚Produzent‘ einer Ware, sondern vielmehr auf dem hierarchischen System der Zünfte selbst, das ihnen einen bestimmten sozialen Rang zuweist. Vor diesem Hintergrund gilt es, den Begriff der ‚Arbeit‘, den die hier untersuchten Figurentypen des Handwerkers, des Bauern und des Kleingewerbetreibenden in metonymischer Funktion auf der Bühne verkörpern, nicht etwa – wie dies neben Marx auch die klassische Ökonomie getan hat10 – als eine natürliche menschliche Grundbedingung, und damit statisch, zu verstehen. Vielmehr ist Arbeit ein symbolisches Gut innerhalb eines Tauschprozesses, durch das Individuen nicht nur ihren eigenen Platz in der Gesellschaft, ihren „sozialen Status“ verhandeln,11 sondern auch die Grundannahmen, 7 Vgl. Farr (2000: 26). Vgl. Farr (2000: 3). 9 Vgl. Farr (2000: 3). 10 Vgl. Farr (2000: 3): „Marx, for all his historicism, nonetheless ‚naturalized’ labor no less than classical economists like Adam Smith or David Ricardo had before him, making it the foundation of the edifice of culture.“ 11 Vgl. Farr (2000: 5). Farr schlägt vor, den gesellschaftlichen Platz des Handwerkers als „a product of symbolic exchanges“ zu begreifen, „where labor was a sign of social 8 404 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien auf denen diese Hierarchien fußen.12 Der soziale Status des arbeitenden Menschen und die durch ihn begründeten Verhältnisse sind demnach nicht nur Indikatoren gesellschaftlicher Hierarchien, sie bilden auch das Moment, an dem Veränderungen am ehesten sichtbar werden. Gleiches gilt für die Art und Weise, wie Arbeit in den Künsten – so auch auf der Bühne – repräsentiert wird. In Analogie zum Handwerker wird in dieser Studie auch der theatrale Typus des Bauern unter dem Begriff des vir rusticus subsumiert. Für die Stücke, die von Bauernfiguren handeln, ist der Begriff geeignet, den charakteristischen Gegensatz zwischen einem als intrigenreich dargestellten Stadtleben und einem pittoresk-idyllischen Landleben zu markieren.13 Wie zuvor der Terminus vir oeconomicus unterscheiden auch die Begrifflichkeiten vir faber und vir rusticus zwischen einer Mehrzahl auf der Bühne repräsentierter Männer aus dem Bereichen Werkarbeit und Landwirtschaft und einer Minderzahl weiblicher Figuren. Wie Haidt in ihrer Studie gezeigt hat,14 tauchen arbeitende Frauenfiguren zwar im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts – und vor allem im sainete – auf, fungieren aber nur selten als idealisierte Repräsentantinnen industrieller Produktion im Kontext der Reformökonomie. Während der vir faber in den untersuchten Komödien im Bereich der Produktion von Gegenständen des täglichen Gebrauchs bzw. in der Förderung von Rohstoffen anzusiedeln ist und seine historisch begründete Geringschätzung seitens der Gesellschaft in den untersuchten Komödien immer wieder zur Debatte steht, ist der vir rusticus von dieser Missachtung ausgenommen. Seiner den Nahrungsmittelbedarf deckenden Tätigkeit wird auch im Theater größere Achtung zuteil als dem vir faber, was vor allem dann der Fall ist, wenn es sich um einen wohlhabenden Bauern handelt. In den populären Varianten der place as well as a means of survival or material accumulation”. Arbeit ist demnach in erster Linie ‚soziales Kapital’ von (je nach Tätigkeit) hoher oder geringer Kaufkraft. Erst in zweiter Linie dient sie dem Bestreiten des Lebensunterhalts. 12 Vgl. Farr (2000: 4) mit Bezug auf Rosser, Gervase (1997): „Crafts, Guilds and the Negotiation of Work in the Medieval Town“. In: Past and Present, 154, pp. 3-31, hier p. 3. 13 Differenzierte Einsichten in (ländliche) Idylle verspricht das zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Monographie noch nicht verfügbare Handbuch Idylle. Vgl. Gerstner, Jan/Heller, Jakob C./Schmitt, Christian (eds.) (2022): Handbuch Idylle. Verfahren – Traditionen – Theorien. Stuttgart. Metzler. 14 Vgl. Haidt (2011). 7. Vir faber und vir rusticus 405 comedias económico-sentimentales entstehen kostumbristisch-pittoreske,15 selten progressiv liberalistisch anmutende Darstellungen arbeitender Menschen, die mit ihrem Fleiß und der Bereitschaft, sich körperlich anzustrengen, die Gegenfolie zu einem durch Müßiggang und Hinterlist16 gekennzeichneten niederen Adel bilden, während der gehobene Adel meist durch vorbildliche gesellschaftliche Leistungsträger wie Minister, Richter und andere Staatsvertreter repräsentiert wird. Trotz aller Adelskritik bleibt der höhere soziale Status des Adels gegenüber der Gruppe der Werktätigen in der Mehrzahl der Theaterstücke unbestritten.17 Was das Figurenarsenal der comedias económico-sentimentales betrifft, die körperlich arbeitende Menschen inszenieren, sind dies Schneider, Bergleute, Tischler18 und Lumpensammler. Dass diese Figuren nach Jahrhunderten der sozialen Ächtung nun plötzlich theatrale Relevanz gewinnen, ist, ebenso wie die Repräsentation des Kaufmanns und des Fabrikanten, auf die Real Cédula von 1783 zurückzuführen, die die Ehrbarkeit des trabajo manual proklamiert. Dass die ‚Ehre‘ bzw. ‚Ehrbarkeit‘ eines Handwerkers nicht nur „the key badge of artisanal status“ ist, sondern je nach Rang innerhalb der Zunft verschiedene Bedeutungen hat, verdeutlicht Farr: Honorable, however, could mean a variety of things. For the master craftsman it could mean economic solvency and heading one’s own reputable business and respectable household, while for a journeyman it surely meant being subject to no one’s discipline, with no restriction on one’s freedom of movement.19 15 Ein Beispiel für einen solchen locus amoenus der Arbeit findet sich etwa in Fermín del Reys La modesta labradora (1791), wo der Nebentext noch vor Beginn des eigentlichen Dramas das Bild einer fröhlichen, singenden und tanzenden Arbeiterschar zeichnet. Vgl. Rey, Fermín del (1791): La modesta labradora. Madrid: Antonio Espinosa, p. 1. Vgl. auch die nachfolgende Analyse dieses Stücks in Kap. 7.6. 16 Ränke schmieden kann der Adelige deshalb, weil er in Ermangelung eines Berufes Zeit dazu hat. In diesem Sinne ist die Intrige eine Betätigung, die dem adeligen Müßiggang entspringt. 17 García Garrosa (1990: 156) spricht diesbezüglich von der „ociosidad de la aristocracia“. Nicht immer jedoch besteht der größte Makel der (mehrheitlich männlichen) adeligen Protagonisten in den von García Garrosa untersuchten Komödien in ihrer Untätigkeit. Vielmehr zeichnen sie sich durch einen negativ skizzierten Standesdünkel aus. 18 Vgl. auch García Garrosa (1990: 156), die in diesem Zusammenhang „costureras, carboneros, carpinteros“ aufzählt. 19 Farr (2000: 6). 406 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dass die Real Cédula mehr rhetorischer Natur ist, als sie bestehende Hierarchien in Frage stellt und so zu einer tatsächlichen Verbesserung der sozialen Anerkennung von HandwerkerInnen und Werktätigen beiträgt, tritt unter den im Folgenden untersuchten Beispielen in Cándido María Trigueros‘ neoklassischer Handwerkskomödie Los menestrales (1784) am deutlichsten hervor. Hierbei handelt es sich um ein Stück, das die rhetorische Natur der königlichen Verfügung nahezu spiegelbildlich reproduziert. Die folgenden Analysen eruieren, inwiefern Beispiele des reformierten Theater, aber auch am Volksgeschmack orientierte Schöpfungen, dazu beitragen, über ihre Darstellung von Handwerkern und Bauern bestehende Hierarchien zu untermauern – und wo diese Hierarchien in einzelnen Momenten untergraben werden. Es ist anzunehmen, dass eine Infragestellung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung angesichts einer omnipräsenten staatlichen und kirchlichen Zensur nur punktuell und indirekt erfolgen kann. Ein wesentlicher Grund für die affirmative Haltung des neoklassischen ebenso wie des populären Theaters gegenüber etablierten sozialen Hierarchien ist sicher das Ineinandergreifen von Zensur und Gesetzgebung.20 Beide bewirken, dass im Theater der gesetzlich verankerten Konvention stattgegeben wird, dass Ehen nur zwischen Beteiligten gleichen gesellschaftlichen Ranges geschlossen werden dürfen. Wie auch das Beispiel von Valladares de Sotomayors‘ El carbonero de Londres (1790) zeigt, greifen die Dramatiker zum Ausgleich von Standesunterschieden nötigenfalls auf plötzliche Handlungsumschwünge zurück. Wie schon die Söhne und Töchter der Kaufleute müssen sich auch die Nachkommen der in der comedia económico-sentimental repräsentierten Handwerker und Werktätigen den bestehenden Konventionen 20 Dem hier bereits zur Sprache gekommenen Aspekt des matrimonio desigual widmet García Garrosa (1990: 102ff.) ein ausführliches Kapitel. Sie (1990: 122) verweist – ebenso wie Aguilar Piñal – auf die entsprechende Gesetzgebung, u.a. auf die „Pragmática de 1766 (Nov. Recop., X, 2, 9)“, die ihr zufolge 1790 um den Zusatz erweitert wurde, dass die Betreffenden bei Missachtung von der Erbfolge auszuschließen seien. Aguilar Piñal datiert die Real Pragmática seinerseits auf den 23. März 1776. In beiden Verordnungen werden Eheversprechen von Partnern unter 25 Jahren für illegal erklärt, um die väterliche Autorität zu stärken und sozial ungleiche Ehen zu verhindern. Vgl. Aguilar Piñal, Francisco (1997): „Introducción“. In: Idem (ed.). Los menestrales. Comedia premiada el 1784 por el Ayuntamiento de la Villa de Madrid. Sevilla: Universidad de Sevilla, pp. 9-56, hier p. 31. 7. Vir faber und vir rusticus 407 gemäß am Ende als Adelige erweisen, wenn sie in höhergestellte Schichten einheiraten möchten. Dies trifft etwa auf die Figur der Inés aus Fermín del Reys La modesta labradora (1791) zu, die glaubt, die Tochter eines Bauern zu sein, in Wahrheit aber die Nichte eines Grafen ist; oder auf die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña, die am Ende ebenfalls eine Gräfin sein muss, um dem adeligen Fabrikanten Esteban eine im Sinne des Gesetzes und der moralischen Konvention angemessene Ehefrau sein zu können. Eine zweite in den Stücken anzutreffende Variante besteht darin, dass sich umgekehrt herausstellt, dass die betreffenden Nachkommen aus einfacheren Verhältnissen stammen, als zunächst gedacht. Dies ist in Bezug auf die vermeintliche Gräfin Enriqueta aus Valladares‘ El carbonero de Londres der Fall, die am Ende erfährt, dass ihr Vater ein einfacher Diener und nur ihre Mutter adelig war, was es ihr ermöglicht, den einfachen Bergmannssohn Genaro zu ehelichen. In einer dritten Variante steigen die Söhne und Töchter werktätiger Eltern in der sozialen Hierarchie auf, um die Standeskluft zu überbrücken. Dies ist ebenfalls in El carbonero de Londres der Fall, wenn Genaro zum Hauptmann des königlichen Regiments ernannt wird. Damit ist El carbonero de Londres eines der wenigen Beispiele, das einen Ausgleich der Standesunterschiede dadurch erreicht, dass es die Partner auf der Ebene der sozialen Hierarchie einander annähert. Der adelige weibliche Part steigt um eine Stufe ab, der bürgerliche männliche hingegen um eine Stufe auf. Comellas El buen labrador (1791) nimmt demgegenüber eine Umkehr der zu Beginn exponierten sozialen Verhältnisse vor: Der prätentiöse Adelige Don Gil de Monteligero erweist sich am Ende als nicht-adelig, während der Bauer Benito de Castro einen bis dato geheim gehaltenen Adelstitel offenbart. Am Ende kann Benito Gils Tochter Torquata ehelichen, obwohl sich herausstellt, dass diese anders als zuvor angenommen nicht blaublütig ist. Damit gehören El buen labrador neben El carbonero de Londres zu den wenigen Stücken, in denen es zu einer Ehe zwischen Adeligen und Bürgerlichen kommt. Wie schon im Falle der spätaufklärerischen theatralen Repräsentation des vir oeconomicus sind die populären Varianten der comedia económico-sentimental auch für unsere Analyse des vir rusticus und des vir faber besonders aufschlussreich. In Analogie zu den Komödien um den Kaufmann und den Fabrikanten verweisen auch sie bereits im Titel auf den sozialen Status ihrer Protagonisten und deren berufliche Tätigkeit. Allerdings trägt der auf der Bühne dargestellte Haushalt 408 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien weniger dem einfachen Milieu in realistischer Weise Rechnung, als er nach dem Vorbild adeliger und großbürgerlicher Verhältnisse gestaltet ist. Zumindest auf der Ebene der Bühnenausstattung wird so dem Volksgeschmack und seiner Vorliebe für gehobene Settings Rechnung getragen. Die im Theater dargestellten viri fabri sind jedenfalls so begütert, dass sie eine Dienerschaft zu unterhalten imstande sind. Während Aguilar Piñal in Bezug auf das neoklassische Stück Los menestrales dessen ‚Realismus‘ betont, der sich in den sprachlichen Regionalismen und darin zeige, dass die Handlung in dem vor den Toren Madrids gelegenen Städtchen Chamartín angesiedelt ist,21 zeichnet sich die Mehrzahl der hier untersuchten Beispiele populärer Handwerkskomödien dadurch aus, dass sie die Lebensumstände ihrer Figuren verklären, indem sie sie mit kostumbristischen Elementen anreichern.22 Von der Vorausdeutung eines sozialen oder gar literarischen Realismus‘, wie er sich in den Literaturen des 19. Jahrhunderts findet, kann nicht die Rede sein. Dass die Figur eines einfachen Bergmanns von Valladares de Sotomayor nicht nur mit einem Diener, sondern mit einer ganzen Dienerschar ausgestattet ist, mag mit den Konzessionen des Autors an die Sehgewohnheiten eines Publikums zusammenhängen, das durch den Konsum der beliebten comedias heróicas und militares adelige Protagonisten bevorzugt, weshalb die inszenierten Bürgersleute Attribute aufweisen, die gemeinhin aristokratischen Figuren zu eigen sind.23 Das populäre Theater ist für die Zielsetzung dieser Studie nicht nur deshalb aufschlussreich, weil es im Hinblick auf die Inszenierung des vir faber ein größeres Textkorpus offeriert als das neoklassische Drama – und damit eine gewisse Bandbreite ökonomischer Themen und Figuren bietet –, sondern auch, weil es im Gegensatz zu ersterem keinem einheitlichen ideologischen, didaktischen und ästhetischen 21 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 43). Kostumbristische Elemente finden sich Aguilar Piñal (1997: 46) zufolge in Los menestrales, etwa der Fandango. Vgl. Trigueros (1997: 179). Zum Fandango vgl. auch Jacobs, Helmut C. (2015): „Die Faszination spanischer Musik: Der Fandango und Bolero der Epoche Goyas“. In: Hispanorama 149, pp. 43-48. Auch die Tänze und Gesänge in del Reys La modesta labradora weisen Versatzstücke des literarischen Kostumbrismus auf. 23 Vgl. Valladares de Sotomayor, Antonio (1776-1800 [1790]): El carbonero de Londres. Madrid: Casimiro Razola. Quelle: https://archive.org/details/A25023401, Zugriff: 26.08.2022, p. 5 und p. 18: „Salen, cantando, bailando, y tocando panderetas, y castañuelas, [...] hombres y mujeres, que se suponen criados de Ricardo.” Bei Ricardo handelt es sich um den Vater des titelgebenden Bergmanns. 22 7. Vir faber und vir rusticus 409 Programm folgt. Dies führt zu einem höheren Grad an generischer und struktureller Offenheit. Komödien wie El trapero de Madrid, die von französischen oder englischen Vorlagen inspiriert sind,24 eignen sich einzelne Elemente des ökonomischen Reformdiskurses des aufgeklärten Absolutismus, Bruchstücke europäischer Aufklärungsdiskurse sowie Versatzstücke der neoklassischen Ästhetik an, um diese mit publikumswirksamen Relikten des barocken Theaters zu kombinieren. Eben diese Verfahrensweise führt zum generischen mestizaje des populären Theaters des ausgehenden 18. Jahrhunderts.25 Die dafür charakteristischen gattungsspezifischen Überblendungen führen stellenweise zu einer überraschenden literarischen Modernität, die insbesondere del Reys La modesta labradora auszeichnet. Valladares‘ El carbonero de Londres wiederum inszeniert das auch bei Durán zur Anwendung kommende Pastoratsprinzip. Desgleichen kommt in diesem Stück die Thematik von Schuld(en), Tilgung und wechselseitiger Überbietung zur Sprache, mit der die Thematik des Ehehandels verbunden wird. Comella greift seinerseits in seiner Inszenierung des ‚guten Bauern‘ (span.: El buen labrador) in ähnlicher Weise auf eine religiöse Symbolik zurück, wie Durán dies in seinem Lehrstück über den vorbildlichen Fabrikanten tut. Im Gegensatz zu del Rey verzichtet Comella allerdings auf eine Idealisierung des Landlebens, das bei dem katalanischen Dramatiker im Gegenteil als Ort prekärer Lebensbedingungen erscheint. Im Folgenden geht es darum, den sozialen, vor allem aber den metonymischen Status des vir faber als Stellvertreter der arbeitenden Schichten zu beleuchten. Dabei soll auch dessen Verhältnis zu Krone und Adel in den Blick genommen werden. 24 Vgl. hierzu García Garrosa (1990: 159ff.). Die französische Vorlage von El trapero de Madrid ist Merciers La brouette du vinaigrier (1774). Vgl. hierzu auch García Garrosa (2012) sowie Schuchardt, Beatrice (im Druck): „L’argent comme moyen d’équilibre social et sa mise en scène dans le genre sentimental: La brouette du vinaigrier de Mercier et son adaptation espagnole“. In: Babeau, Patrice/Poirson, Martial/Thoma, Yann (eds.). Art et argent. L’économie à l’œuvre. Actes du colloque de Cerisy, 11-17 mai 2021. Paris: Presses Universitaires de France. 25 Vgl. Palacios (1998: 39). 410 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.1. Von der Ächtung zur Achtung? Trabajo manual und homo faber im (vor-)aufklärerischen Diskurs Der arbeitende Mensch bietet schon der mittelalterlichen Scholastik und insbesondere Thomas von Aquin Anlass, über moralische Fragen nachzudenken. So weist Farr darauf hin, dass mittelalterliche Theologen Arbeit nicht in erster Linie als eine „productive capacity“ verstehen, sondern vielmehr als eine „moral force.“26 Im Zuge der Augustinus-Rezeption der Scholastik wird Arbeit gar zu einer „spirituellen Übung“.27 Die Wurzeln der gesellschaftlichen Missachtung der Werkarbeit (span.: trabajo manual) und ihrer Vertreter, eben jene Geringschätzung, gegen die sich die Real Cédula von 1783 richtet, macht Maravall im Mittelalter aus. Joaquín Ocampo Suárez-Valdés und Patricia Suárez Cano hingegen argumentieren inhaltlich differenzierter und zeitlich extensiver, wenn sie die Ächtung der Werkarbeit seit der Antike auf einen dreiteiligen Diskursapparat zurückführen, der von jeher dem Machterhalt der herrschenden Eliten diente: From the sacred texts to patristic literature, from Greek philosophy to medieval scholasticism, such a worldview would be displayed in different but complementary discourses: in a social theory of the three ‚orders’ or ‚states’, in a moral or normative economy of the market, in an ethics of economic conduct (honor, virtue, interest, work, leisure, luxury) and, last but not least, in a philosophy or political theory of power.28 Was die mitteralterliche Missachtung körperlicher Arbeit anbelangt, fußt diese Maravall zufolge auf einer Dreiteilung der Gesellschaft in oratores, bellatores und das imbelle vulgus, d.h. in Gelehrte bzw. Kirchenmänner, Krieger und das (kriegsuntaugliche) Volk.29 26 Farr (2000: 12). Farr (2000: 12). 28 Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022: 34). 29 Vgl. Maravall, José Antonio: (1984): „Trabajo y exclusión. El trabajador manual en el sistema social de la primera modernidad“. In: Idem. El siglo del Barroco, vol. III. Madrid: Ed. de Cultura Hispánica, pp. 363-392, hier p. 370. Diese Trias geht Maravall zufolge auf die Miracles de St. Bertin (ohne Jahresangabe) zurück. Erwähnung finden diese unter anderem im dritten Band des Dictionnaire historique et archéologique du Pasde-Calais von 1883, Arras: Sueur- Charruey, p. 76 unter dem Eintrag zum Ortsnamen „Helfaut“ und sind auch dort nicht datiert. Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022: 27 7. Vir faber und vir rusticus 411 Diese Trias wird im weiteren Verlauf auf die drei Gruppen oratores – bellatores – laboratores verkürzt, wobei die arbeitende Bevölkerung den niedrigsten sozialen Status innehat.30 In Spanien ist diese Dreiteilung seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gebräuchlich. Sie findet beispielsweise in Las siete partidas (1252-1284) von Alfonso X.31 sowie bei López de Ayala Erwähnung, und schlägt sich im 15. Jahrhundert auch in den Chroniken der Epoche nieder, etwa bei Enrique de Villena (1384-1434), Gómez Manrique (1412-1490) und Rodrigo Sánchez de Arévalo (1404-1470).32 Ist der Begriff des „trabajo“ zunächst noch nicht auf die so genannten oficios mecánicos, sondern auf das Kriegshandwerk bezogen, lässt sich ein Bedeutungswandel erstmals in Nebrijas Gramática castellana (1492) konstatieren, wo der Tagelöhner („jornalero“) als „trabajador mecánico“ erscheint.33 Die Konnotation der Bezeichnung „trabajador“ mit dem Adjektiv „pobre“ führt Maravall auf das 15. und 16. Jahrhundert zurück, als Schriften wie das anonym verfasste Libro de la miseria de omne (um 1350)34, das ebenfalls 35) identifizieren sie bereits in antiken Texten wie Ciceros De Republica: „In The Republic, there is an explicit hierarchy consisting of ‚three orders’: rulers, guardians or warriors, and craftsmen or producers, associated, in turn, with the virtues of intelligence, courage, and laboriousness. Based on this hierarchy, the city of Rome was stratified into two states: the nobility and the plebs [...].“ 30 Vgl. Maravall (1984: 370), der diesen Umstand unspezifisch auf „un texto anglosajón“ zurückführt. Vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés (2021: 22) sowie idem/Suárez Cano (2022: 35). 31 Vgl. hierzu Fuentes (2014: 212), die auf die in Las siete partidas unternommene Unterscheidung von „Arbeit“ (trabajo) und „Werkarbeit“ (trabajo manual) verweist: „[...] the term ‚labor‘ is applied to what men do while strongly exerting themselves, while ‚handicrafts‘ includes the occupations of men ‚stationed in houses, in sheltered places’, as for instance, such as are employed in manufactures of gold or silver, and who coin money, and make arms and armor [...], and although they exert themselves by the use of their bodies, the weather does not have such power to injure them as it does to others who toil out of doors, for which reason the latter are called laborers and the former craftsmen’ (Partida II, Tit. XX, law v).“ Zitiert aus Alfonso X., Rey de España (2001): Las Siete Partidas, trans. Samuel Parson Scott, ed. Robert I. Burns, S.J., 5 vols. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. 32 Vgl. Maravall (1984: 372). 33 Vgl. Maravall (1984: 373). 34 Anonymus (2012): Libro de la miseria de omne, ed. Jaime Cuesta Serrano. Madrid: Cátedra. 412 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien anonyme Libro de los pensamientos variables (1506)35 sowie La Celestina (1499), La Lozana Andaluza (1528) und das Theater von Bartolomé Torres Naharro (~1485~1530) Kritik am schweren Los der Werktätigen üben.36 Es ist der Kurzschluss zwischen Arbeit und Delinquenz bzw. Arbeit und Bettlertum, der zur Zementierung eines negativen Bildes des arbeitenden Menschen beiträgt. Dieses Zerrbild wird im weiteren Verlauf durch zahlreiche Statuten, Gesetze und Dekrete bestätigt und verstärkt,37 eine gesellschaftliche Ächtung, die Maravall als „deshonra legal“, d.h. als gesetzlich verankerte Unehrenhaftigkeit bezeichnet: Ahora se hace más patente la conciencia del régimen de exclusión y de la situación de marginación que el trabajador, ocupado en trabajos manuales – con una ampliación cada vez mayor de este concepto de trabajo manual – soportaba. [...] Sobre estas estimaciones, se comprende que se buscara elevar las barreras de separación y acentuar su régimen de exclusión legal. Y en efecto, si desde los inicios de la sociedad estamental, el pobre trabajador había quedado excluido de las distinciones, dignidades, riquezas que conferían el honor, en los primeros siglos modernos, es fácil probar que se hallaba sometido a una forma de marginación, que empeoraba su ya triste situación: se llegaba a más, se llegaba a imputarle un explícito, reglamentado, formalizado deshonor, una deshonra legal que no solo afectaba a los 35 Dessen Inhalt fasst Óscar Perea Rodríguez wie folgt zusammen: „Un rey apesadumbrado por la carga que supone la gobernación, un aldeano o rústico que, a modo de conciencia colectiva popular, se lamenta no menos amargamente de los males que afectan a la mayor parte de súbditos, y las noticias de un mensajero notificando la preocupación por las acciones de aquellos consejeros, nobles y grandes de Castilla, que tienen maniatado al reino y no dejan que la buena gobernación se imponga, son los tres elementos que el anónimo compositor de este pequeño opúsculo utilizó como fuste de sus líneas.“ Perea Rodríguez, Óscar (2002): „La utopía política en la literatura castellana del siglo xv: el Libro de los Pensamientos Variables (BNM, MS 6642)“. In: eHumanista, 2, pp. 23-62, hier p. 24. Quelle: https://www.ehumanista.ucsb.edu/volumes/2, Zugriff: 09.03.2022. 36 Vgl. Maravall (1984: 374). 37 Exemplarisch für die Legalisierung der Nichtachtung des Handwerks kann ein von Fuentes (2014: 213) genanntes Gesetz von 1604 angeführt werden, das im Königreich Valencia Anwendung fand und das sie der Legislación Histórica de España entnimmt: „‚Que ninguna persona que haya tenido oficio mecánico pueda oficiar de procurador judicial bajo pena de azotes, pues tales personas para no volver a trabajar en sus oficios usaban de tales arbitrios en perjuicio del reino y los negocios por no saber desempeñar el oficio de procurador, exceptuándose los que sean reconocidos como notarios reales.’“ 7. Vir faber und vir rusticus 413 oficios infamantes, sino en alguna medida a todos, porque se le confundía al trabajador con el pobre vicioso, con el miserable del que hay que apartarse, se le tenía como posible y aun presunto delincuente.38 Auch Domínguez Ortiz beobachtet für das 16. Jahrhundert einen fortschreitenden „envilecimiento del trabajo manual“, der sich unter anderem darin zeigt, dass die Statuten der militärischen Orden, aber auch die Satzungen administrativer Gremien und Räte Handwerker und Händler kategorisch von der Teilhabe ausschließen, ein Reglement, das ab 1624 auch auf die kirchlichen Orden ausgeweitet wird.39 Bereits zu dieser Zeit wird jedoch auch deutliche Kritik am schlechten Ansehen der Handwerksberufe und ihrer Repräsentanten laut. Forderungen nach einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung dieser Berufe äußern eine ganze Reihe von Gelehrten, beispielsweise Juan de Robles (1492-1572) mit seinem Plädoyer für die Würde der Armen, Luis Ortiz40 mit seinem Vorschlag eines staatlichen Systems zur Auszeichnung der Handwerksberufe, Miguel Álvarez Osorio de Redín mit seinem Protest gegen den Ausschluss der arbeitenden Bevölkerung von öffentlichen Ämtern und Würden,41 Mateo López Bravo mit seinem Plädoyer für die Wertschätzung aller arbeitenden Berufe vom Bauern bis zum Kaufmann, Pedro de Valencia (1555-1622) mit seinem Vorschlag einer auch für den Adel gültigen allgemeinen Arbeitspflicht, Pedro de Guzmán, Conde de Olivares (1503-1569), mit seinem Hinweis auf die Abhängigkeit des Einzelnen von den durch das Handwerk hergestellten Produkten und schließlich Gaspar Gutiérrez de los Ríos (~1566-1606) mit seiner These, die Missachtung des Handwerks begünstige die verbreitete Neigung zur Faulheit.42 Auf die 38 Maravall (1984: 375f.). Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675). 40 Insofern hier keine Lebensdaten angegeben sind, sind diese nicht bekannt. 41 Dieser Ausschluss geht auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik und die dort formulierte Empfehlung zurück, dass Berufstätige wie der Kaufmann keine staatlichen Ämter bekleiden dürfen. Vgl Strosetzki (2018b: 172) mit Bezug auf Aristoteles (1995): Nikomachische Ethik, ed. Eugen Rolfes & Günther Bien. Hamburg: Meiner, pp. 93; 272: „Explica que antes los mercaderes eran esclavos o forasteros, motivo por el que no debían convertirse en ciudadanos con cargos estatales, pues les faltaba la independencia y el ocio necesarios.“ Vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022: 39f.). 42 Vgl. Maravall (1984: 387f.) sowie idem (1972): Estado moderno y mentalidad social: siglos xv a xvii. Madrid: Ed. de la Revista de Occidente, pp. 353ff. und idem (1982): Utopía y reformismo en la España de los Austrias. Madrid: Siglo XXI. Einen Überblick 39 414 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Gleichsetzung von Arbeit mit Armut reagieren auch Dramatiker des 17. Jahrhunderts, darunter Lope de Vega mit der Komödie Pobreza no es vileza (1625)43, deren Titel geradezu programmatisch anmutet.44 Die Missachtung der Handwerksberufe und der arbeitenden Bevölkerung ist ebenso wie die daraus resultierende Handwerksflucht45 kein spanisches, sondern ein europäisches Phänomen.46 Die Gründe für die europaweit zu findende Missachtung des Handwerks verfolgt Domínguez Ortiz bis in die Antike zurück: „[...] en la sociedad romana ni el comercio ni la industria eran profesiones respetables”.47 Dieser Umstand fußt wesentlich auf der Unterscheidung zwischen den artes liberales, die auf eine intellektuelle Leistung zurückzuführen sind, und den artes mechanicae, die durch den Einsatz des Körpers und vor allem der Hände ausgeübt werden.48 Fuentes nennt in diesem Zusammenhang exemplarisch Aristoteles als Beispiel für eine in der Antike über die im Spanien und Frankreich der Frühen Neuzeit unternommenen Versuche, die Armen entweder zu kriminalisieren oder sie ins rechte Licht zu rücken, gibt Tietz (2022: 57ff.). 43 Vgl. Vega Carpio, Lope Félix de (1625): Pobreza no es vileza: comedia famosa. Reproducción digital a partir de Parte veinte de las Comedias de Lope de Vega Carpio. Madrid: Viuda de Alonso Martin, a costa de Alonso Perez. Biblioteca Nacional de Madrid, 2002. Quelle: http://www.cervantesvirtual.com/nd/ark:/59851/bmct43q7, Zugriff: 08.08.2022. 44 Vgl. Maravall (1984: 389). 45 Diese identifiziert auch Jacobs als beachtliches Hemmnis für die spanische Wirtschaft. Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996b): Schönheit und Geschmack. Die Theorie der Künste in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 84 und idem (2001): Belleza y buen gusto. Las teorías de las artes en la literatura española del siglo xviii, trans. Beatriz Galán Echevarría. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert, p. 63. Bei der letztgenannten Publikation handelt es sich um die spanische Übersetzung von Jacobs (1996b). 46 Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 417): „[...] las prevenciones contra el comercio y los ‚oficios viles’ [...] no eran exclusivos de España, pero quizás aquí tuvieron especial intensidad.“ Vgl. auch Maravall (1984: 385), der dies am Beispiel Frankreichs veranschaulicht. 47 Domínguez Ortiz, Antonio (1945): „Notas sobre la consideración social del trabajo manual en el Antiguo Régimen”. In: Revista de trabajo, pp. 673-681, hier p. 674. Einen auf neuesten Erkenntnissen der Forschung basierenden Überblick darüber, wie sich die Ächtung der Handwerksberufe und des Berufsbürgertums im 18. Jahrhundert in Spanien und Europa herleitet geben Ocampo Suárez-Valdés (2021) und idem/Suárez Cano (2022). 48 Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675). 7. Vir faber und vir rusticus 415 verbreitete Geringschätzung aller mit den Händen verrichteten Tätigkeiten, die oftmals Sklaven oblagen:49 [...] numerous texts have tackled the division between „mechanical” and „art”. [...] Aristotle recommends a distinction between the employment of a freeman and a slave though some freemen engage in mean arts and employments which „tend to deform the body, and [...] which are exercised for gain; for they take off from the freedom of the mind and render it sordid“.50 Demgegenüber verweist Helmut C. Jacobs zu Recht darauf, dass der Begriff der artes mechanicae in der Antike noch nicht gebräuchlich war, sondern erst in dem zwischen 335 und 337 verfassten Lehrbuch der Astrologie von Julius Firmicus Maternus aus Syrakus Erwähnung findet, und dort noch auf die Erfindungsgabe einer Person, namentlich des Archimedes, bezogen ist.51 Erst bei Isidor de Sevilla (ca. 560-636) findet sich das Konzept als Bezeichnung für einen „handwerklichtechnischen Herstellungsprozess“52. Die konkrete Handwerkskunst und nicht mehr nur das „abstrakte Prinzip“53 bezeichnet der Begriff ab dem 8. Jahrhundert. Werden die artes mechanicae noch bis ins 10. Jahrhundert hinein mit Astrologie oder Magie gleichgesetzt, leistet der Frühscholastiker Hugo de St. Victor (~1097-1141) um das Jahr 1130 49 Vgl. hierzu auch Arendt, Hannah (2018 [1958]): Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper, p. 100f. Arendt zufolge bezeichnet „Aristoteles diejenigen als die niedrigsten [...], bei denen ‚der Körper sich am meisten abnutzt‘“, sie verweist aber auch auf die generelle Missachtung, die der Arbeit, verstanden als Gegensatz zur Polis, in der griechischen Antike zuteilwurde: „[...] alle griechischen Autoren [...] sind sich darüber einig, daß körperliche Arbeit sklavisch ist, weil sie durch die Notdurft des Körpers erzwungen ist.“ Vgl. auch Farr (2000: 10f.), der auf den enormen Einfluss der Schriften Platos, Aristoteles‘ und Augustinus‘ auf das mittelalterliche Verständnis von Handwerk und Arbeit hinweist, „associating it with hierarchy and servitude“. 50 Fuentes (2014: 212) mit Verweis auf Aristoteles: Politics: Treatise on Government, Buch VIII, Kapitel II. 51 Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996a): Divisiones Philosophiae. Spanische Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 12. 52 Jacobs (1996a: 13) mit Bezug auf: Sancti Isidori Hispalensis Episcopi (1850): „Differentiarum sive de proprietae sermonum libri duo“. In: idem. Opera omnia, ed. Jacques Paul Migne. Paris: Migne, pp. 9-98, hier p. 94. 53 Jacobs (1996a: 13). 416 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien eine Konkretisierung, indem er den sieben artes liberales sieben artes mechanicae an die Seite stellt, die sich alle durch den Einsatz von Körperkraft auszeichnen sowie dadurch, dass diese Tätigkeiten Grundbedürfnissen (necessitates) und Annehmlichkeiten (commoditates) dienen.54 Zu den sieben artes mechanicae gehören laut Hugo de St. Victor: 1. armatura: die Handwerksberufe, die mit organischen Materialien zu tun haben, die Waffenherstellung; 2. Architektur, Malerei und Bildhauerei; 3. navigatio als der Handel im weitesten Sinne; 4. agricultura: die Landwirtschaft, Viehzucht und Gartenbaukunst; 5. venatio: Jagd und Fischfang; 6. medicina: die Heilkunst; 7. theatrica: die Unterhaltungskunst.55 Hugos Schrift begründet also die Verbindung zwischen den mechanischen Künsten und dem Einsatz von Körperlichkeit und Körperkraft, die ein Faktor für die Schmähung des Handwerks im Laufe des Mittelalters und der darauffolgenden Jahrhunderte ist. Den Fehlschluss zwischen den mit körperlicher Arbeit in Verbindung stehenden artes mechanicae und der Ehrlosigkeit (span.: deshonra) versucht schon Gaspar Gutiérrez de los Ríos in seiner Noticia general para la estimación de las Artes, y de la manera en que se conocen las liberales de las que son mecánicas y serviles (1600) insofern zu relativieren, als er erklärt: „Las Artes mecánicas se dixeron así, no porque ellas sean tan oprobiosas como el vulgo piensa; [...] sólo se dixeron mecánicas porque estas artes se exercitan con el cuerpo.“56 Da die omnipräsente 54 Jacobs (1996a: 14) mit Bezug auf Vitore, Hugo de (1966): Opera propaedeutica, ed. Roger Baron. Notre Dame: University of Notre Dame Press, pp. 165-247 und idem (1939 [1137]): Didascalion de studio legendi, ed. Charles Henry Buttimer, vol. II. Washington: The Catholic University Press, pp. 38-44. 55 Vgl. Jacobs (1996a: 15). 56 Zitiert nach Domínguez Ortiz (1945: 675). Vgl. hierzu auch Fuentes (2014: 212) mit Verweis auf Gutiérrez de los Ríos, Gaspar (1600): Noticia general para la estimación de las artes y de la manera que se conocen las liberales de las que son mecánicas y serviles, con una exortación a la honra de la virtud y del trabajo contra los ociosos, y otras particulares para las personas de todos estados, vol. III. Madrid: P. Madrigal, p. 45: „Gaspar Gutiérrez de los Ríos differentiates between the mechanical, servile and liberal arts, stating that the first are called mechanical not because they are dishonorable or bad as many of the 7. Vir faber und vir rusticus 417 Schmähung des Handwerks schon früh zur Handwerksflucht führt und entsprechend wirtschaftliche Auswirkungen wie eine geringere Produktivität hat, finden sich in Spanien seit dem anbrechenden 17. Jahrhundert ähnliche Versuche, politisch gegenzusteuern, beispielsweise, als Felipe IV. 1626 anlässlich der Cortes de Barbastro y Calatayud für Aragón verfügt, dass eine Tätigkeit in der Herstellung und dem Verkauf von Textilien durchaus mit einem Adelstitel vereinbar sei, sofern sie nicht im selben Haushalt ausgeübt werde. Carlos II. bestätigt diesen Erlass mit seiner Pragmática von 1682 und weitet ihn auf ganz Spanien aus.57 Jenseits der Unterscheidung zwischen niederen artes mechanicae und hehren artes liberales identifiziert Jehle für den spanischen Kontext noch einen weiteren Faktor, der zu einer verstärkten Missachtung des Handwerks seit der Reconquista führt: die Unterscheidung in ‚Altchristen‘ und ‚Neuchristen‘.58 Während der Altchrist ‚urspanisch‘ ist, d.h. seine ‚Blutsreinheit‘ (limpieza de sangre) nachweisen kann, sich durch eine heldenhafte Männlichkeit (hombría) auszeichnet, bildungsfeindlich ist und ritterlichen Idealen anhängt, weshalb er auf das Handwerk und jede andere Berufstätigkeit herabblickt, ist der Neuchrist ein konvertierter Maure oder Jude, der in seiner Enthaltsamkeit, d.h. durch den Verzicht auf Alkohol und Schweinefleisch, aus der Sicht des Wein und Speck zugeneigten Altchristen nicht im spanischen Sinne ‚viril‘ ist. In diesem Zusammenhang weist Jehle darauf hin, dass intellektuelle oder handwerkliche Berufe – also die Ausübung der artes mechanicae ebenso wie die der artes liberales – in Spanien seit der Reconquista als ‚jüdisch‘ oder ‚maurisch‘ gelten.59 In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist, dass das Konzept des ursprünglich mit dem Adel in Verbindung stehenden ‚Altchristentums‘ eine Allianz mit dem Volkstümlichen eingeht, also einen „Zusammenschluss von people think, but because they are done with the body. He then traces the etymology of the word to its Greek meaning of ‚pertaining to the body‘, and adds that many of the first are also known as servile because they are exercised by slaves and not free men (liberal).“ 57 Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 676). Fuentes (2014: 213) gibt ihrerseits die bibliographische Quelle des Gesetzes an: Novísima recopilación de las leyes de España: Dividida en XII libros (1805-1829), vol. IV, Buch III, Titel XXIV, Gesetz I. Quelle: https://archive. org/details/BRes002060. Zugriff: 27.08.2022. 58 Vgl. Jehle (2010: 124). 59 Für alle Aspekte vgl. Jehle (2010: 124). 418 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Armen und Reichen“60, Patriziern und Plebejern herbeiführt. Beide eint nun die Verachtung gegenüber dem arbeitsamen Neuchristen. Auf den Bühnen des 17. Jahrhunderts mündet die volkstümliche Variante des Altchristen in die Figur des verfressenen und dem Bacchus huldigenden gracioso.61 Der sich durch seinen weltzugewandten Katholizismus vom Neuchristen unterscheidende Altchrist, der sich also durch eine als typisch spanisch empfundene Männlichkeit62 auszeichnet, begründet in Spanien das allgemeine Misstrauen gegenüber dem Handwerker, aber eben auch das hohe soziale Prestige des Adels. Dies führt dazu, dass die Erlangung eines Adelstitels für die einfachen Schichten ebenso wie für das gehobene Bürgertum auch im 18. Jahrhunderts das höchste zu erreichende Ziel ist. Dieser Umstand vermag die Popularität des Topos des sich als adelig erweisenden einfachen Mannes im Theater zu erklären, der sich auch in der Phase der Spätaufklärung noch hartnäckig hält und dort um sein weibliches Pendant ergänzt wird: die in einfachen Verhältnissen lebende, aber im Geheimen ebenfalls adelige Frau. Was die europäische Dimension der Missachtung des arbeitenden Menschen anbelangt, lässt sich diese beispielsweise im Frankreich des anbrechenden 17. Jahrhunderts anhand abfälliger Äußerungen wie der des Juristen Charles Loyseau in seinen Cinq livres du droict des offices (1610) ablesen, der eine dem spanischen Begriff der oficios viles ähnliches Konzept gebraucht, wenn er die „arts mécaniques“ im Abschnitt „Traité des ordres et simples dignitez“ als „vils et abjects“ bezeichnet und zudem äußert: „Les artisans étant proprement mécaniques sont réputés viles personnes.“63 Sucht die Real Cédula von 1783 den historisch schlechten Stand des Handwerks, und damit auch das sich verstärkt stellende Problem der Handwerksflucht einzudämmen, hatte die Regierung von Louis‘ XVI. nur wenige Jahre zuvor zu ähnlichen Maßnahmen gegriffen, als sie 1776 die Ehrbarkeit der Handwerksberufe per königlichem Dekret proklamierte.64 Die Entstehung der Gattungen des drame commercial und der comedia económico-sentimental ist 60 Jehle (2010: 124). Jehle (2010: 124). 62 Den Genderaspekt führt Jehle (2010: 124) nicht weiter aus, sondern erwähnt lediglich die hombría. 63 Zitiert in Maravall (1984: 384). 64 Vgl. Maravall (1984: 370). 61 7. Vir faber und vir rusticus 419 im historischen und ökonomischen Kontext dieser königlichen Erlasse zu betrachten. Der Aufstieg des homo faber vom Paria zum vorbildlichen und modellhaften Protagonisten, wie ihn Traktate, Gesetze, Proklamationen und nicht zuletzt die sentimentale Komödie zeichnen, ist ein Phänomen, das mit der europäischen Aufklärungsbewegung in engem Zusammenhang steht. F.G. Healey definiert den homo faber in seiner Herleitung des Begriffs aus dem geistesgeschichtlichen Kontext des europäischen 18. Jahrhunderts als „‚a man who works in hard materials‘, or a man skilled in such work“, und in diesem Sinne als „one engaged in a comparatively skilled trade resulting in an end-product recognized as a manufactured article”65. Obgleich der englische Begriff „man“ den ‚Mann‘ und den ‚Menschen‘ gleichermaßen meinen kann, schwingt in Healeys Verwendung des Wortes selbstverständlich mit, dass mit dem ‚handwerklich tätigen Menschen‘ nur der ‚handwerklich tätige Mann‘ gemeint sein kann, was auch die Beispiele, die Healy nennt,66 bestätigen, sind diese doch notwendigerweise Produkte der androzentrischen aufklärerischen Diskurse, mit denen er sich auseinandersetzt. Healeys Verständnis vom homo faber als vir faber spiegelt letztlich die Auffassung der Mehrzahl der männlichen Aufklärer wider, auch wenn es – wie das Beispiel der Escuelas de la matritense zeigt – bereits im 18. Jahrhundert politische Bemühungen gibt, Frauen als volkswirtschaftliche Kräfte zur Erhöhung der nationalen Produktivität heranzuziehen.67 Wenn Healey seiner Definition des aufklärerischen Konzepts des homo faber erklärend hinzufügt, es bezeichne „those who supplied [...] material wants by the labour of their hands“, wird deutlich, dass damit eben die mit dem trabajo manual befasste Berufsgruppe gemeint ist. Zugleich meint der Begriff des 65 Healey, F.G. (1963): „The Enlightenment View of homo faber”. In: Transactions of the First International Congress on the Enlightenment, vol. II. Genève: Musée Voltaire, pp. 837-859, hier p. 838. 66 Darunter finden sich neben der Männern vorbehaltenen Tätigkeit des Bergbaus auch André Félibiens Principes de l’architecture (1666), der sein Wissen über Bautechniken ausschließlich von Handwerkermeistern selbst bezieht. Im Kontext des von Healey (1963: 850) erwähnten Bereichs der Produktion von Luxusartikeln, in dem oftmals Frauen als Putzmacherinnen oder Weberinnen tätig waren, werden Produzentinnen von Healey nicht erwähnt. 67 Vgl. Méndez Vázquez, Josefina (2016): Formación profesional de las mujeres en las escuelas de la Matritense: un proyecto político-económico en la España ilustrada. Oviedo: Trabe. 420 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien homo faber nicht allein den arbeitenden Menschen, sondern auch und vor allem denjenigen, der Güter aus schwer zu bearbeitenden Materialien herstellt. Während das Verständnis eines notwendigen Umgangs des homo faber mit Rohmaterialien Tätigkeiten wie die Fischerei oder den Ackerbau ausschließt, werden andere Berufe aus dem Bereich der Rohstoffförderung sehr wohl unter diesem Begriff subsumiert. Healey veranschaulicht dies anhand von Duhamel du Monceaus Abhandlung L’Art du charbonnier.68 Der Band erscheint 1761 als erster Teil einer enzyklopädischen Reihe zu den Handwerksberufen, mit der Colbert die Académie royale des sciences schon 1675 beauftragt hatte. Die als Description des Arts et Métiers betitelte Serie (1675-1780), auf deren gesammeltes Wissen ein Jahrhundert später auch Campomanes in seinem Apéndice (1776) zurückgreift,69 umfasst volle 13.000 Seiten mit 1.800 Abbildungen70 und belegt das schon im ausgehenden 17. Jahrhundert aufkeimende und im weiteren Verlauf des 18. Jahrhundert steigende Interesse an den „manual arts“, das zu einer regelrechten ‚Modeerscheinung‘ wird.71 Diese führt Healey auf den ‚enzyklopädischen Geist der Aufklärung‘ zurück, im Zuge dessen sich philosophes wie Diderot und d’Alembert mit ihrem in Konkurrenz zu Colbert und der Académie royale stehenden Projekt der Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une Sociéte des gens de lettres (1751-1772) an einer ‚Kartographierung des Wissens‘ versuchen. Beide Projekt sind nicht nur gegenwartsbezogen, sondern insofern zukunftsgerichtet, als aus ihnen der aufklärerische Glaube an den materiellen und wissenschaftlichen Fortschritt spricht.72 Wie die wachsende Anzahl an philosophischen Schriften und Abhandlungen zeigt, die in Frankreich nicht nur das Vokabular und die gängigen Techniken des Handwerks dokumentieren, sondern zunehmend 68 Vgl. Healey (1963: 857). Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 131) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez (1775-1777), hier: Apéndices a la educación popular. Madrid: Imp. de A. Sancha: „En los [artículos de la Description des Arts et Métiers] relativos al carbón mineral, y adelantándose a las iniciativas que en 1784 promoverá desde el Consejo de Castilla, recomendaba la transición del carbón vegetal al fósil, así como la implantación en minas, fundiciones y establecimientos metalúrgicos de la ‚máquina llama-da bomba de fuego‘.” 70 Vgl. Healey (1963: 843ff.). 71 Vgl. Healey (1963: 844). 72 Vgl. Healey (1963: 849). 69 7. Vir faber und vir rusticus 421 dessen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen hervorheben, ruhen die Hoffnungen auf materiellen Fortschritt nicht allein auf den Erkenntnissen der philosophes, sondern wesentlich auch auf den Erzeugnissen des homo faber.73 Deutlich wird dies etwa im Vorwort zum zweiteiligen Band Secrets concernans les arts et métiers74, in dem die in der Bevölkerung vorherrschende Abneigung gegenüber dem Handwerk gerügt und stattdessen für die Wertschätzung seiner Berufe plädiert wird: Les Arts et Métiers méritent donc en effet avec autant de justice l’estime et la reconnaissance publique; que ces vaines professions qui ne sont fondées que sur les vices et l’opinion des hommes les usurpent injustement; elles s’attribuent les plus grandes récompenses de la République qu’elles travaillent continuellement à détruire, au lieu que les Arts et Métiers qu’elles méprisent, comme des conditions inférieures, s’efforcent d’en conserver, et d’en augmenter, de jour en jour le lustre et l’économie.75 Interessant ist der hier dem Handwerk nun attestierte „lustre“, der metaphorische Glanz einer lange verachteten Zunft. Jouberts Ausführungen zum Handwerk, die bereits zwanzig Jahre vor Voltaires Lob des Kaufmanns erfolgen, betrachtet Healey als „revolutionary in a very modern sense“76, was auch insofern zutreffend ist, als Joubert den französischen Erlass von 1776 und die Real Cédula von 1783 um Jahrzehnte vorwegnimmt. Für die These, dass es sich bei der Umwertung des Handwerkers vom Paria zu einer Größe von gesellschaftlicher Relevanz um ein europäisches Phänomen handelt, spricht auch die Bezugnahme des 73 Vgl. Healey (1963: 849). Vgl. dazu auch Witthaus (2012: 291), der im Zusammenhang mit der Encyclopédie davon spricht, dass das Wissen in der europäischen Aufklärung insgesamt einer „Neubewertung als gesellschaftsgestaltende Macht“ unterzogen werde. Davon zeuge auch die „Aufwertung der „Mechanischen Künste“. Für Spanien sind Witthaus zufolge Graefs Discursos mercuriales ein Beispiel für eine solche „epistemologische Verschiebung‘“. 74 Healey (1963: 845) weist die Autorschaft Claude Joubert zu und datiert das Werk auf 1716. Den gängigen Katalogen, etwa dem der Bibliothèque Nationale zufolge, ist das früheste nachzuweisende Exemplar 1747 anonym erschienen. Vgl. Anonymus (1747): Secrets concernans les arts et métiers, vol. I. Bruxelles: Par la compagnie. Der zweite Band von 1758 hat den gleichen Verlag und Erscheinungsort. 75 Zitiert ihn Healey (1963: 845), ohne Seitenangabe. 76 Healey (1963: 845f.). 422 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Enzyklopädisten Diderot auf Francis Bacons Novum Organum (1620)77, vor allem aber auf das zweite Buch von Bacons The Advancement of Learning (1605) und den dortigen Abschnitt „Historia mechanica“, auf den Diderot im Discours préliminaire der Encyclopédie verweist.78 In diesem Zusammenhang soll der Umstand in Erinnerung gerufen werden, dass sich auch Foronda in seiner Rede über die Ehrbarkeit des Kaufmannsberufes explizit auf Bacon bezieht (vgl. Kap. 3.4.3). Der Wert des Handwerks bemisst sich für Bacon vor allem an der Eigenschaft, eine von vielen Praktiken im Kontext experimentellen Wissens zu sein. Das Interesse des Aufklärers Diderot an den Handwerksberufen wiederum steht in der durch Bacon begründeten Tradition der Sicherung und Weitergabe von Wissen. Diderot betrachtet es als seine aufklärerisch-didaktische Mission, in seiner Encyclopédie auf die Missachtung des Handwerks als ein Fehlverhalten hinzuweisen, das bei seinen Zeitgenossen weit verbreitet ist.79 Diderots und d’Alemberts enzyklopädisches Projekt ist nicht das Einzige seiner Zeit, das auf Bacons Ideal des „nützlichen Wissens“ zurückgreift. Auch die 1728 in Paris gegründete Société des Arts, deren Ziel die Verbesserung handwerklicher Methoden durch die Verzahnung von Theorie und Praxis ist, fühlt sich diesem Ideal verpflichtet.80 Auch wenn das Projekt einer Publikation aufgrund der disparaten Interessensfelder der Mitglieder scheitert, unter denen Uhrmacher, Geographen und Mathematiker zu finden sind, ist die Gründung dieser ‚Handwerklichen Gesellschaft‘ (meine Übersetzung) ebenso im Kontext des enzyklopädischen Geistes der 77 Vgl. Bacon, Francis (1999 [1620]): Neues Organon, vol. I und II, ed. & trans. Wolfgang Krohn. Hamburg: Meiner. 78 Vgl. Healey (1963: 852) sowie Bacon, Francis (1975 [1605]): The Advancement of Learning, and New Atlantis. London: Oxford University Press 1975, pp. 84ff. Dort kommt auch Bacon (1975: 84f.) auf die dem Handwerk („manual arts”) entgegengebrachte Geringschätzung zu sprechen: „For it is esteemed a kind of dishonour unto learning to descend to inquiry or meditation of matters mechanical“, weist aber sodann auf den Nutzen des Handwerks hin: „But the truth is, they be not the highest instances that give the securest information [...]. So it cometh often to pass, that mean and small things discover great, better than great can discover the small.“ Die Geschichte des Handwerks betrachtet er demzufolge als „the most radical and fundamental towards natural philosophy”. 79 Vgl. Healey (1963:854). 80 Bertucci, Paola/Courcelle, Olivier (2015): „Artisanal Knowledge, Expertise, and Patronage in Early Eighteenth-Century Paris: The Société des Arts (1728–36)”. In: Eighteenth-Century Studies, 48, 2, pp. 159-179, hier p. 161. 7. Vir faber und vir rusticus 423 europäischen Aufklärung zu betrachten wie das Projekt von Diderot und d’Alembert.81 Dies zeigt sich auch darin, dass viele Mitglieder der Société des Arts sich später als Beiträger zur Encyclopédie betätigen.82 Bedeutsam ist die Société des Arts als eine nicht von Theoretikern wie den philosophes, sondern von Praktikern gegründete Gesellschaft, in der sich das neue Selbstbewusstsein der Handwerkerschaft manifestiert. Dieses machen Bertucci und Courcelle am Begriff des „artiste“ fest, der nun an Stelle der zuvor gebräuchlichen Berufsbezeichnung „artisan“ tritt. Although not properly an actors’ category, this notion proves useful in capturing the role of the artiste as a social and cultural actor in the France of Louis XV. After the debacle of the Law scheme and the end of the Regency, the artistes who formed the Société des Arts wanted the new king to realize that their intellectual and practical talents were crucial to the economic advancement of France. They strove to institutionalize their expertise, creating a new collective identity that could evaluate inventions and control technical innovations. They sought legitimation from the public and from the state by differentiating their knowledge and their work from that of other artisans and by approaching savants as potential interlocutors and collaborators.83 Nachweisbar ist das wachsende Selbstbewusstsein einer sich zunehmend als Ausübende einer Kunst verstehenden Handwerkerschaft in Frankreich etwa am Beispiel der Friseure, deren neues Selbstverständnis an der Ablösung des Begriffes „barbier“ durch die Bezeichnung „coiffeur“ ablesbar wird.84 Ein neues Selbstverständnis dieser Berufsgruppe ist – ebenso wie ihr Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung – einige Jahrzehnte später auch in Spanien zu beobachten und zeigt sich etwa daran, dass die spanischen Handwerksgilden 81 Vgl. Bertucci/Courcelle (2015: 159f.). Vgl. Bertucci/Courcelle (2015: 160). Jacobs hingegen bezeichnet die Société des Arts et Métiers und insbesondere das von Duhamel de Monceau herausgegebene Werk Description des Arts et Métiers (1761-1788) als ein „Konkurrenzunternehmen“ der Encyclopédie. Jacobs (1996b: 81) sowie idem (2001: 62). 83 Bertucci/Courcelle (2015: 161). 84 Falaky, Fayc̦al (2013): „From Barber to Coiffeur: Art and Economic Liberalisation in Eighteenth-Century France”. In: Journal for Eighteenth-Century Studies, 36, 1, pp. 3548. 82 424 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ihre Trachten nach Vorbild der militärischen Orden gestalten.85 Wenn Hannah Arendt eine Ablösung des animal laborans durch den homo faber konstatiert, die durch eine Aufwertung handwerklicher Produkte herbeigeführt werde, die ihrerseits zu einer positiveren Betrachtung des Handwerks selbst führe, kann das 18. Jahrhundert als die Epoche bezeichnet werden, in der zumindest auf rhetorischer Ebene die stärksten Bemühungen für eine solche Aufwertung zu konstatieren sind.86 Dass diese auch bei Diderot und den Enzyklopädisten in der Tat rein rhetorisch bleibt, hat Cynthia J. Koepp anhand einer minutiösen Lektüre der Encyclopédie nachgewiesen. Ihr zufolge gilt es, die in der Forschung weit verbreitete These zu revidieren, dass es Diderot in seinem Projekt darum gegangen sei, den Handwerker und seine Fertigkeiten zu würdigen: „[...] his primary interest is not to gain unqualified respect for persons, or the dignity of manual work itself. Rather, he wishes to perfect products and enhance productivity.”87 In den einzelnen Artikeln der Encyclopédie zum Handwerk beobachtet Koepp hinsichtlich der Art und Weise, wie die Arbeitswelt geschildert wird, eine Spannung zwischen der Bekräftigung des Nutzens der Arbeit einerseits und dem Ausschluss der Arbeiter von der aufklärerischen Wissenskultur andererseits. Stattdessen gestehen die philosophes ihnen nur eine rudimentäre Bildung zu.88 Diesen Eindruck bestätigt 85 Vgl. Moral Roncal, Antonio Manuel (1996): „Honor, vileza y honra de los oficios mecánicos en el siglo xviii “. In: Baetica. Estudios de Arte, Geografía e Historia, 18, pp. 379385, hier p. 380f. 86 Arendt (2018: 102ff.). Während die klassische Antike und die Neuzeit Arendt zufolge noch nicht „zwischen Arbeiten und Herstellen“ unterscheiden und damit die von Locke eingeführte Differenz zwischen der „Arbeit“ (des Körpers) und dem „Werk“ (der Hände) ignorieren, ist es die durch Adam Smith vorgenommene Unterscheidung zwischen „produktiver“ und „unproduktiver Arbeit“, die den homo faber hervortreten lässt. 87 Vgl. Koepp, Cynthia J. (2002): „Making Money: Artisans and Entrepreneurs in Diderot’s Encyclopédie”. In: Brewer, Daniel/Hayes, Julie Candler (eds.). Using the Encyclopédie: Ways of Knowing, Ways of Reading. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 119-141, hier p. 123. 88 Vgl. Koepp (2002: 124ff.). Koepp macht dies etwa am Artikel „Métier“ fest, wo einerseits der „mépris cruel“ beklagt wird, der dem Handwerker entgegenschlägt, andererseits aber von einer Reihe „d’opérations méchaniques“ die Rede ist, „que l’ouvrier répète sans cesse“, sodass weniger der Eindruck einer kunstvollen Fertigkeit als der eines geistlosen Automatismus entsteht. So bleibt der Status des arbeitenden Menschen selbst ein ambivalenter. Das Bild eines animal laborans im Sinne Arendts anstelle des 7. Vir faber und vir rusticus 425 auch Farr, wenn er darauf verweist, dass die Haltung aufklärerischer Autoren im Allgemeinen und der französischen Enzyklopädisten im Besonderen gegenüber dem gesellschaftlichen Wert der Arbeit äußerst ambivalent sei.89 Auch er macht dies an der Art und Weise fest, wie der arbeitende Mensch dort dargestellt ist, nämlich als „a mechanical automaton only ancillary to technology“.90 Nichtsdestotrotz besteht eine unbestrittene Leistung der Encyclopédie darin, eine soziale Aufteilung der Arbeitswelt vorgestellt zu haben, die deutlich über das feudale System der drei Stände hinausgeht.91 Der Encyclopédie vorausgegangen war Ephraim Chambers (~1680-1740) Cyclopaedia (1728),92 ein englisches Werk, das den französischen Enzyklopädisten als Vorbild diente. Bei Chambers sind die freien und die mechanischen Künste nicht mehr getrennt, vielmehr werden sie gemeinsam behandelt. Der schlechte gesellschaftliche Stand des Handwerks steht hier nicht länger zur Debatte, sondern wird im Zuge der Entwicklung eines „integrativen Kunstbegriffs“ aufgelöst.93 Die in Spanien ab Ende des 17. Jahrhunderts aufkeimenden Debatten um die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Aufwertung der Handwerksberufe sind in erster Linie der Sorge um die nachlassende Produktivität der heimischen Nationalökonomie geschuldet.94 Wie homo faber vermitteln, wie Koepp (allerdings ohne Bezugnahme auf Arendt) zeigt, auch die Encyclopédie-Artikel „Forge“, „Fer-Blanc“, „Ardoise“, „Fourreur“ und „Pelleteur“. Als Adressaten der Encyclopédie identifiziert Koepp entsprechend weniger die über eine geringe Bildung verfügenden Werktätigen selbst, als vielmehr den Unternehmer, würden dort doch Anleitungen gegeben, welche manuellen Tätigkeiten wie zu beaufsichtigen seien, vgl. Koepp (2002: 126). Im Artikel „Gale“ beispielsweise ist explizit vom „mauvais travail ou la négligence de l‘ouvrier“ die Rede. Handwerker aus dem Bereich der Lebensmittelherstellung wie Bäcker oder Metzger werden hingegen als Betrüger gescholten, ohne dass ihre Erzeugnisse oder deren Herstellungsprozess Würdigung erführen. Vgl. Koepp (2002: 127). 89 Vgl. Farr (2000: 19). 90 Vgl. Farr (2000: 19) mit Bezug auf Sewell, William Jr. (1986): „Visions of labor: illustration of the mechanical arts before, in and after Diderot’s Encyclopédie”. In: Kaplan, Steven L./Koepp, Cynthia (eds.). Work in France. Ithaca: Cornell University Press, pp. 258-296. 91 Vgl. Koepp (2002: 124). 92 Vgl. Chambers, Ephraim (91787 [1728]): Cyclopaedia, or, An Universal Dictionary of Arts and Sciences, 5 vols. Dublin: John Chambers. 93 Vgl. Witthaus (2012: 296). 94 Mit der Aufwertung des Handwerks verbunden ist die Debatte um den Umgang mit den Armen, Beschäftigungslosen und Faulen. Einen Überblick über die 426 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Jacobs anhand des 1787 anonym und in drei Faszikeln im Correo de Madrid erschienenen Artikels „Industria, y Artes“ nachweist, ist die spanische Diskussion um eine Aufwertung der Handwerksberufe direkt durch französische enzyklopädische Projekte, insbesondere durch das von Diderot und d’Alembert, beeinflusst. Wie Graef und vor ihm Campomanes95 spricht sich auch der anonyme Autor für eine Aufhebung der Unterteilung in artes liberales und artes mechanicae aus.96 Auch er bezieht sich auf Bacon sowie auf Colbert und Macanaz. Die Notwendigkeit, HandwerkerInnen in größerer Zahl zu rekrutieren, ergibt sich vor allem aus der im Vergleich mit dem Nachbarland Frankreich geringeren Qualität und Quantität spanischer Produkte, als deren vermeintliche Hauptursache die Handwerksflucht angesehen wird. Nicht umsonst unterbreiten Reformökonomen wie Arteta de Monteseguro in seiner Disertación sobre el aprecio y estimación que se debe hacer de las artes prácticas y de los que las ejercen con honradez, inteligencia y aplicación (1781), Francisco de Bruna y Ahumada (1719-1807) in seinen Reflexiones sobre las Artes Mecánicas (1778), Antonio de Capmany Surís y de Montpalau (1742-1813), der unter dem Pseudonym Miguel Ramón del Palacio seinen Discurso económico-político en defensa del trabajo mecánico de los menestrales, y de la influencia de sus gremios en las costumbres populares, conservación de las artes, y honor de los artesanos (1778)97 veröffentlicht, und nicht zuletzt Pérez y López (1736-1792) in diesbezüglichen Diskurse im 18. Jahrhundert in Spanien geben Hontanilla, Ana (2016): „La figura del vago en la España ilustrada“. In: Revista de Estudios Hispánicos, 50, 2, pp. 509-531 sowie Tietz (2022). 95 Jacobs (1996b: 85) verweist diesbezüglich auf die in Campomanes‘ Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento (1775) formulierte Kritik an dem Artikel „Mecánico“ im Diccionario de Autoridades und der dort zum Ausdruck gebrachten Geringschätzung der artes mechanicae. Jacobs (1996b: 86) zufolge übertrifft Campomanes diesbezüglich die französischen Enzyklopädisten an Konsequenz. Vgl. auch Jacobs (2001: 65). 96 Für alle vgl. Jacobs (1996b: 82) mit Bezug auf: Anonymus (1787): „Industria, y Artes“. In: Correo de Madrid, vol II, 102 vom 23. Oktober, pp. 469-471 sowie 105 vom 26. Oktober, pp. 495-496 und 109 vom 30. Oktober, pp. 524-526. Als in ähnlicher Weise durch die französischen Enzyklopädisten beeinflusst erweist sich Manuel José Quintana y Lorenzo (1772-1857) in seiner Ode A la invención de la imprenta. Vgl. Jacobs (1996b: 82). Quintana beruft sich selbst explizit auf den Encyclopédie-Artikel „Arts“. Vgl. auch Jacobs (2001: 62). 97 Wie Jacobs (1996b: 90) betont, gesteht Capmany trotz seines Lobs der Handwerksberufe den Arbeitern noch keine individuelle Freiheit zu, sondern plädiert für 7. Vir faber und vir rusticus 427 seinem Discurso sobre la honra y la deshonra legal (1781) Vorschläge, wie der Handwerksflucht beizukommen sei und wie man die Nachkommen der Handwerkerschaft dazu bewegen könne, die Berufe ihrer Väter zu ergreifen, statt nach Höherem zu streben.98 Vor allem der durch Campomanes‘ Discurso sobre la educación de los artesanos y su fomento (1775) beeinflusste Arteta de Monteseguro begründet sein Plädoyer für eine Wertschätzung des Handwerks und seiner Vertreter mit den Argumenten ihrer Nützlichkeit und ihres Beitrags zum Gemeinwohl.99 Sind einerseits in Spanien ab Ende des 17. Jahrhunderts ernsthafte Bemühungen zu beobachten, dem Handwerk zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen, ist damit stets der Appell verbunden, dass der Schuster – sinnbildlich gesprochen – bei seinem Leisten bleiben möge. Dies schlägt sich insbesondere im neoklassischen Theater nieder. Welche teils widersprüchlichen Positionen aus dem Versuch erwachsen, das Handwerk gleichzeitig aufzuwerten und seine Vertreter dennoch in ihre sozialen Schranken zu weisen, untersuchen unsere Analysen von Cándido María Trigueros Handwerkerkomödie Los menestrales (vgl. Kap. 7.3). Um deren Stellung im literaturgeschichtlichen Kontext ihrer Epoche zu erhellen, wenden wir uns zunächst der Frage nach der literarischen Repräsentation von im Handwerk tätigen ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ in der spanischen und europäischen Literatur vor und während der Epoche der europäischen Aufklärung zu. ihre Einbindung in die Zünfte, die für Capmany zugleich ein Mittel sozialer Absicherung darstellen. Vgl. auch Jacobs (2001: 69). 98 Einer der ersten, der sich im Spanien des 18. Jahrhunderts für ein Ende der sozialen Ächtung der artes mechanicae einsetzt, ist Graef in seinen Discursos mercuriales. Im zweiten „Discurso preliminar“ spricht sich Graef aufgrund des negativen Beigeschmacks, den das Adjektiv „mechanicae“ fälschlicherweise in Spanien hat, für seine Abschaffung aus. Vgl. Witthaus (2012: 296) mit Bezug auf Graef (1755: 36). Auch bei Enrique Ramos ist in seinen Discursos sobre economía política (1769: 71) von der pejorativen Bedeutung des Attributs „mecánica“ die Rede, das einer Beleidigung gleichkommt: „[...] la voz mecánica, aunque mal entendida, se haya hecho, aplicada á las artes, un epitecto [sic] injurioso.“ 99 Vgl. Jacobs (1996b: 87f.) und idem (2001: 66). 428 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.2. HandwerkerInnen und Kleingewerbetreibende in der spanischen und europäischen Literatur vor und nach 1700 Wie Díez Borque in seiner Studie zu den im spanischen Barocktheater wiederholt auftretenden Figurentypen zeigt, spielen die Repräsentanten der als oficios viles betrachteten Handwerksberufe dort noch so gut wie keine Rolle. Die einzigen in der comedia vertretenen arbeitenden Menschen sind Bauern, seltener noch Bäuerinnen, und mit der als Handwerk verstandenen literarischen Produktion befasste Dichter („poetas“) sowie Schaffende aus dem Bereich der bildenden Künste („artistas“).100 Deren Darstellung durch das Theater stuft Díez Borque als „insignificante“ und, sofern doch einmal gegeben, als „totalmente negativa“ ein.101 Auch in den literaturgeschichtlichen Epochen vor dem Siglo de Oro finden sich keine Hinweise, die auf eine literarische Relevanz des Handwerkers, geschweige denn der Handwerkerin, hindeuten. Es scheint, dass Handwerker in der spanischen Literatur erst im ausgehenden 18. Jahrhundert und dann vor allem in männlicher Gestalt sowie in der comedia económico-sentimental auf der Bühne repräsentiert werden, d.h. genau in dem Moment, als sich Monarchie und Politische Ökonomie, repräsentiert durch die Institutionen wie die Sociedades económicas de amigos del país, für sie zu interessieren beginnen. Ähnlich wie in Spanien, wo das gouvernementale Interesse am Handwerk mit dem Auftreten des Handwerkers als Dramenfigur korreliert, verhält es sich in Frankreich. Setzt das politische Interesse am Handwerk und der enzyklopädischen Archivierung handwerklichen Wissens dort bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert mit Colbert und der Académie royale des sciences ein, ist dies von dem literarischen Inerscheinungtreten des (auch hier nahezu ausschließlich männlichen) Handwerkers begleitet. Als Beispiel kann etwa eine Erzählung Jean de La Fontaines (1621-1695) aus dem Jahre 1699 angeführt werden, die um den Flickschuster Blaise kreist.102 Wie Vincent Milliot in seiner Monographie Les cris de Paris (1995) gezeigt hat, sind die das Pariser 100 Vgl. Diccionario de Autoridades (1721), vol. I, „ARTISTA”: „[...] en lo moderno se toma por el que exerce artes mechánicas, que comunmente se llama oficial ò menestrál, y aun en este sentído tiene poco uso.” 101 Vgl. Díez Borque (1976: 223). 102 Vgl. La Fontaine, Jean de (1991): „Conte d’une chose arrivée à Château-Thierry [1699]“. In: Fables, contes et nouvelles, ed. Jean-Pierre Collinet. Paris: Gallimard, pp. 417ff. 7. Vir faber und vir rusticus 429 Stadtbild seit dem Mittelalter prägenden Kleingewerbe, die petits métiers, seit dem 16. Jahrhundert Gegenstand von Gravuren, Kupferstichen, Balladen und literarischen Anekdoten, die unter anderem durch die Kolportage- und Reiseliteratur verbreitet werden.103 Wie schon in Falle der Vertreter des trabajo manual in Spanien ist auch in Frankreich die mit der körperlichen Arbeit einhergehende Armut das soziale Stigma dieser Kleingewerbetreibenden.104 Außer in den Farcen des französischen Mittelalters105 manifestiert sich eine serielle literarische Darstellung arbeitender Figuren im Héxagone verstärkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Diese findet sich vor allem im Jahrmarktstheater (théâtre de la foire)106 und in der opéra-comique,107 zu deren prominentesten 103 Vgl. Milliot, Vincent (2014 [1995]): Les cris de Paris. Les représentations des petits métiers parisiens (xvie-xviiie siècles). Paris: Éditions de la Sorbonne. Hinsichtlich der Darstellung des Kleingewerbes konstatiert Milliot (2014: 17) im 16., 17. und 18. Jahrhundert ein Ungleichgewicht zwischen ikonographischen und literarischen Repräsentationen, überwiegen doch die Bilderzeugnisse, die im Laufe der Jahrhunderte zunehmen. Literarische Reihen und Gattungen, die sich der Kleingewerbe annehmen, sind Milliot (2014: 9) zufolge „les civilités, les embarras de Paris, les guides des voyageurs, les romans et les pièces de théâtre de la foire“, die nicht selten einen ‚sozialen Exotismus‘ (ebenda, meine Übersetzung) zur Schau stellen, aber auch Reiseberichte, vgl. Milliot (2015: 38). Mit dem anbrechenden 19. Jahrhundert und der zunehmenden Industrialisierung wandelt sich die kritische bürgerliche Wahrnehmung der petits métiers zunehmend in eine nostalgische. Die Kleingewerbetreibenden werden Milliot zufolge nun weniger als eine „altérité sociale“ (2014: 9) denn als ein „conservatoire des traditions ancestrales“ bzw. als ein „répétiteur des rites immobiles“ (2014: 41) gesehen. Diese nostalgische Perspektive schlägt sich auch in der Geschichtsschreibung nieder. Vgl. hierzu Farr (2000: 1): „In the mid- to late nineteenth century artisans became subjects of historical investigation [...]. These histories are marked by their authors’ implicit conviction that the artisanal, preindustrial past was a better world that had fallen victim to the destructive, antisocial forces of industrial capitalism.” 104 Vgl. Milliot (2014:23). 105 Vgl. u.a. Collingwood, Sharon Lynn (1993): Commercial Relations In French Farce, 1450-1550. Diss. University of Western Ontario. Zur Aufführungspraxis der Farce vgl. Rouse, Michel (1986): „La pratique théâtrale dans l’élaboration d’une farce“. In: Barral Altet, Xavier (ed.). Artistes, artisans et production artistique au Moyen Âge, vol. I. Paris: Picard, pp. 523-533. 106 Zum französischen Jahrmarktstheater vgl. Martin, Isabelle (2002): Le Théâtre de la Foire. Des tréteaux aux boulevards. Oxford: Voltaire Foundation. 107 Zur Unterscheidung von Jahrmarktstheater und komischer Oper vgl. Grewe, Andrea (1989): Monde renversé – théâtre renversé: Lesage und das Théâtre de la Foire. Bonn: Romanistischer Verlag, pp. 19ff. Konnte der Begriff „théâtre de la foire“ im 18. Jahrhundert „ebensogut Theateraufführungen im eigentlichen Sinne wie auch jede andere 430 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Librettisten Louis Fuzelier (~1672-1752) mit 113 Werken, Charles-François Pannard (1689-1765) mit 99, Alain-René Lesage (1668-1747) mit 71, Charles-Simon Favart (1710-1792) mit 62, Denis Carolet (1696-1739) mit 60 und Alexis Piron (1689-1773) mit 23 Stücken zählen.108 Sedaine zieht La Fontaines Erzählung über den Flickschuster 1759 als Vorlage für seine komische Oper Blaise le savetier heran.109 Weitere ProtagonistInnen des Jahrmarktstheaters stammen aus der großen Gruppe der Kleingewerbetreibenden, seien es die Quacksalber- und WahrsagerInnen, Chirurgen, Scharlatane, AkteurInnen aus dem Bereich des Lebensmittelhandels (WasserverkäuferInnen, Essig- und WeinhändlerInnen, AusternhändlerInnen, FischhändlerInnen), seien es VertreterInnen der mit Mode oder Textilien befassten Berufe, die oftmals von Frauen ausgeübt werden, wie die Tätigkeit der Gebrauchtkleiderhändlerin (revendeuse) oder Flickschneiderin (ravaudeuse).110 Analog zu den Cris de Paris veröffentlicht Miguel Gamborino (1760-1828) im Jahre 1798 Los gritos de Madrid.111 Auch dieser Band zeigt Zeichnungen der großstädtischen Kleingewerbetreibenden, deren typenhafte und wohlwollende Zeichnung durch und durch kostumbristisch ist. Dort treffen wir auf Figuren des Madrider urbanen Art von Jahrmarktsbelustigungen“ wie SeiltänzerInnen oder Feuerspucker meinen, verwendet Grewe (1989: 21f.) ihn in ihrer Studie fokussiert für die „von professionellen Theatergruppen“ auf den Pariser „Foires Saint-Germain und Saint-Laurent [...] dargebotenen dramatischen Produktionen“. Der gemeinhin synonym zum Terminus „théâtre de la foire“ gebräuchliche Terminus „opéra-comique“ meint „ursprünglich keine fest umrissene dramatische Gattung“, sondern „lediglich eines von mehreren Theaterunternehmen auf der Foire sowie die in diesem Theater gespielten Stücke“, deren wesentlicher Bestandteil die Musik ist. Grewe (1989: 22f.). Die opéra-comique definiert Grewe (1989: 23) als „autonome Theaterform innerhalb ihres Wirkungszusammenhangs“. Zu Lesage als Librettist der komischen Oper vgl. Grewe (1989: 149ff.). Eine detaillierte Untersuchung zur opéra comique nimmt auch Philippe Vendrix (1992) vor, vgl. L’opéra comique en France au xviiie siècle. Liège: Mardaga. 108 Vgl. Trott, David (2002): „Théâtre de foire à l’époque révolutionnaire: rupture ou continuité?“. Quelle: http://homes.chass.utoronto.ca/~trott/foire_rv_web.htm, Zugriff: 27.08.2022. 109 Vgl. Martinuzzi, Paola (2016): „Quando il popolo va in scena. Arti, mestieri, professioni nei teatri minori del Settecento“. In: Studi Francesi 180, 60, 3, pp. 424-434, hier p. 433 sowie Sedaine, Michel-Jean (1759): Blaise le savetier, opéra comique, suivi de La Noce de Nicaise. Paris: Duchesne. 110 Vgl. Martinuzzi (2016: 427f.). 111 Gamborino, Miguel (1982 [1798]): Los gritos de Madrid. Colleción de setenta y dos grabados. Madrid: Talleres Artesanos Gráficas. Vgl. dazu Haidt (2011: 163; 260). 7. Vir faber und vir rusticus 431 Lebens: die Haselnussverkäuferin, den Scherenschleifer und den Vogelhändler. So ziemlich jeder denkbaren verkäuflichen Ware ist eine Figur zugeordnet, von Knoblauch und Öl über Blumentöpfe bis hin zu Musselin, Fächern und Schuhen.112 Die kleinen Gewerbe, insbesondere solche, die mit Textilien im Zusammenhang stehen, spielen auch im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine Rolle, wie etwa die in der vorliegenden Studie untersuchte comedia económico-sentimental El trapero de Madrid (1782) zeigen wird. Im gleichen Maße, wie das französische Jahrmarktstheater seinem aus Groß- und Kleinbürgern sowie Adeligen bestehenden Publikum ProtagonistInnen eines ‚Wirtschaftens im Kleinen‘ nahebringt, sind auch die im spanischen Theater auftretenden Figuren aus Handwerk und Kleinhändlertum kostumbristische Versatzstücke einer bürgerlich-großstädtischen Realität. Ihr privilegierter theatraler Ort ist die volkstümliche Kurzgattung der sainetes, deren prominentester Vertreter Ramón de la Cruz (17311794) ist.113 Auch Dramatiker wie Comella haben sainetes verfasst, die die ProtagonistInnen der kleinen Gewerbe in den Blick nehmen, beispielsweise den Lumpensammler (span.: „trapero“) im Zwischenspiel El trapero y la petimetra (1779)114. Auch das sainete Las traperas de Madrid von Domingo María Ripoll (†1775115) thematisiert den Beruf in seiner weiblichen Variante. Wie im benachbarten Frankreich ist auch in Spanien das Umarbeiten gebrauchter Kleidung im Beruflichen wie im Privaten eine Tätigkeit, der vor allem Frauen nachgehen und die sich dann, wenn es um den Verkauf der bei Frauen aus dem einfachen Volk, den majas, ebenso wie bei den petimetras äußerst begehrten Gebrauchtkleider geht, oft am Rande der Legalität und im Rahmen einer ‚informellen Wirtschaft‘ (meine Übersetzung; engl.: „informal economy“) bewegt.116 Moralisch zweifelhaft ist eine Tätigkeit im Gebrauchtkleidersektor schon allein deshalb, weil ihr nur die untersten 112 Die Zeichnungen aus Gamborinos Originalausgabe von 1798 sind auf den Webseiten der Biblioteca digital memoria de Madrid einsehbar. Quelle: http://www. memoriademadrid.es, Zugriff: 27.08.2022. 113 Zu wirtschaftlichen Aspekten in den sainetes Ramón de la Cruz‘ vgl. Coulon, Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz. Pau: Université de Pau. Zur Darstellung von Kleingewerbetreibenden aus dem Textilbereich im sainete vgl. Haidt (2011). 114 Vgl. zu diesem Stück Haidt (2011: 314). 115 Das Geburtsdatum dieses Autors ist unbekannt. 116 Vgl. Haidt (2011: 280). 432 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien und ärmsten gesellschaftlichen Schichten nachgehen, die teils aus Verzweiflung mit gestohlener Kleidung handeln, diese teils aber auch selbst stehlen.117 Angesichts der Randständigkeit der Berufe, die mit Gebrauchtkleidern zu tun haben, darunter auch der des Altkleiderhändlers (span.: „ropavejero“) oder des Trödlers (span.: „prendero“), verwundert es nicht, dass diese zu den unteren Chargen der oficios viles gezählt werden..118 Was das französische Jahrmarktstheater anbelangt, finden sich dort neben den Kleingewerbetreibenden auch Charaktere aus der Provinz, die landwirtschaftliche Tätigkeitsbereiche verkörpern, darunter Bauern und Bäuerinnen, ErntehelferInnen und GärtnerInnen. Gerade dort, wo das Jahrmarktstheater die für das Pariser Stadtbild typischen Berufe thematisiert, ist es nicht nur der privilegierte Ort, an dem die petits métiers in ihrem sozialen und urbanen Kontext auf komische Art und Weise inszeniert werden. Es fungiert überdies als gesellschaftliche Schaltstelle, die zwischen Klein- und Großbürgertum sowie zwischen Arm und Reich vermittelt. Paola Martinuzzi betrachtet das théâtre de la foire und die komische Oper daher als einen Ort der Performanz, an dem sich die Pariser Volkskultur mit der Kultur der Eliten verbindet, werde doch den im Publikum befindlichen GroßbürgerInnen und Adeligen durch die Stücke die Welt der kleinen Leute nahegebracht, wobei das Lachen, das die Charaktere aus Handwerk, Händlertum und Landwirtschaft hervorriefen, nur selten eine „risa pacificatore“ sei.119 Während soziale Konflikte gerade in den komischen Momenten deutlich zutage treten, zeichnet das Jahrmarktstheater das Handwerk, das Kleingewerbe und die Landwirtschaft zugleich in wohlwollender 117 Haidt (2011: 27). Zum privaten Bereich vgl. auch Haidt (2011: 284): „Through eighteenth-century women’s work in mending, reworking of garments and textiles and sewing was considered essential household-labor (often delegated to criadas).” 118 Vgl. Haidt (2011: 284), die in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Beruf des Lumpensammlers im spanischen 18. Jahrhundert als ähnlich schmutzig gilt wie der des Henkers, des Tänzers bzw. der Tänzerin, des Fischverkäufers bzw. der Fischhändlerin oder der des Metzgers. In Bezug auf Madrid werden diese Berufe vor allem mit dem Viertel Lavapiés in Verbindung gebracht. Urbane Bereiche wie diese bezeichnet Haidt (ibid.) als „peripheral districts and scruffy peripheral zones“, die ähnlich wie alle mit Altkleidern im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten die untersten Ränge des volkstümlichen Madrid bilden. 119 Vgl. Martinuzzi (2016: 432). 7. Vir faber und vir rusticus 433 Art und Weise.120 Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die durch das Jahrmarktstheater vollzogene Inszenierung eines ‚Wirtschaftens im Kleinen‘ mit einer veränderten Struktur des Theaterbetriebs selbst einhergeht. Der chef de troupe wird dabei zu einem „entrepreneur de spectâcles“121, ist also selbst ein Kleinunternehmer, der dem Markttreiben und seinen Metiers durch seine eigene, am selben Ort ausgeübte unternehmerische Tätigkeit verbunden ist.122 Ein nicht unbedeutender Teil seines Publikums setzt sich aus der Gruppe der HändlerInnen und MarktbesucherInnen zusammen, denen das théâtre de la foire eine Fiktionalisierung ihrer Lebenswelt darbietet, die sich zugleich am Alltag arbeitender Menschen orientiert. Als Selbstständiger obliegt es dem entrepreneur de spectâcles, das Jahrmarktstheater zu professionalisieren,123 die Aufführungen so zu gestalten, dass sie sich rechnen und diese Prozesse mit den Ansprüchen der Zensur und weiteren behördlichen Auflagen in Einklang zu bringen.124 Damit befindet sich das Jahrmarktstheater auf der Schwelle zu dem, was Fernand Braudel als économie d’échange naturelle bezeichnet, d.h. es ist im Übergang von einer herkömmlichen, routinierten und traditionellen Form des Tausches gegen Geld zu dem begriffen, was er die économie d’échange artificielle nennt, d.i. eine überlegene und zunehmend auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Form des Wirtschaftens, die den Übergang von der post-feudalen zur kapitalistischen Ökonomie markiert.125 120 Martinuzzi (2016: 434). Vgl. Martin, Isabelle (2004): „L’entrepreneur au théâtre de la foire: nouveau rôle ou nouveau personnage?“. In: Poirson, Martial (ed.). Art et argent en France au temps des premiers temps modernes (xviie au xviiie siècles). Oxford: Voltaire Foundation, pp. 113-121, hier p. 114. 122 Dass sich das Kollektiv der fliegenden Händler und Marktleute einander verbunden fühlt, bestätigt Milliot (2014: 30), der von einer „relative conscience collective“ spricht, „qui se manifeste à l’occasion des conflits qui les opposent aux jurés des communautés de métiers ou au maîtres“. 123 Dabei orientiert man sich – wie auch in Spanien – am Vorbild italienischer Truppen. Vgl. Martin (2004: 114). 124 Ähnliches konstatiert Grewe (1989: 104ff.), die in Bezug auf das théâtre de la foire von einer sich im Zeitraum von 1697-1711 vollziehenden „kapitalistische[n] Neugestaltung des Theaters“ spricht. 125 Vgl. Martin (2004: 116) mit Bezug auf Braudel, Fernand (1979): Civilisation matérielle, économie et capitalisme,xve-xviiie siècles, vol. II: Les Jeux de l’échange. Paris: Armand Colin, p. 8. Die zunehmende Professionalisierung und das unternehmerische Denken, das Martin für das Jahrmarktstheater beobachtet, beobachtet Milliot (2014: 26) auch 121 434 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dieser Wandel vollzieht sich im französischen Kulturbetrieb des 18. Jahrhunderts später als in den übrigen Wirtschaftsbereichen, wo eine Liberalisierung schon früher erkennbar ist. Martin zufolge ist dies vor allem der Zensur sowie der Notwendigkeit geschuldet, Obrigkeit und Publikum gleichermaßen zu gefallen.126 Für Frankreich lässt sich abschließend festhalten, dass es nach den Farcen des Mittelalters und einer langen Phase, in der das Handwerk literarisch kaum eine Rolle zu spielen scheint, das 18. Jahrhundert und wiederum das Theater ist, das einen wohlwollenden, um das Element (groß-)städtischen Lokalkolorits bereicherten Blick auf ProtagonistInnen aus Handwerk und Kleingewerbe wirft. Für das deutsche Spätmittelalter hat Jörn Reichel die Existenz einer in der Gattung des Städtelobs zu verortenden Handwerkerdichtung nachgewiesen, in der sich der Nürnberger Panzer- und Kettenhemdmacher Hans „Schnepper“ Rosenplüt auf dem Feld der „städtische[n] Gebrauchsliteratur“ betätigt und neben einem „umfangreichen Spruchwerk“ kritische Fastnachtsspiele verfasst, die von „grobianischer Sinnlichkeit“ zeugen und „Papst und Reich“ aus der Perspektive der Armen und Ausgebeuteten, kurzum: aus der Sicht der körperlich schwer arbeitenden Bevölkerung schildern, während die besitzenden Schichten verspottet und kritisiert werden.127 Der Bauer als theatrale Figur findet sich im deutschsprachigen Raum des 17. und 18. Jahrhunderts etwa in der Bauernkomödie oder im Volksschauspiel, beispielsweise für die petits métiers: „[...] on retrouve avec plus de précision les petits métiers organisés, ceux qui vivent sous l’emprise du modèle corporatif et essayent de mettre sur pied statuts, manières d’apprentissage ou de transmission d’un savoir professionnel.“ Milliot macht dies anhand der gewerblichen Terminologie fest, die Etienne Boileau in seinem Livre des métiers bereits 1268 aufgelistet hatte und die das Dictionnaire universel de commerce (1723) von Savary oder das Dictionnaire raisonné des arts et métiers des Abbé Jaubert (1773) für das französische 18. Jahrhundert dokumentieren. 126 Vgl. Martin (2004: 116). 127 Vgl. Reichel, Jörn (1982): „Handwerkerleben und Handwerkerdichtung im spätmittelalterlichen Nürnberg: Hans Rosenplüt genannt Schnepper“. In: Brunner, Horst (ed.). Literatur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Literatur des 15. Bis 17. Jahrhunderts. Göppingen: Kümmerle, pp. 115-142, hier p. 131. Als Beispiel für eine solche Kritik der Reichen aus der Sicht der unteren Schichten nennt Reichel das Stück Des Türken Fastnachtsspiel. 7. Vir faber und vir rusticus 435 in dem auf Sebastian Sailers Schwäbische Schöpfung (1743) basierenden gleichnamigen religiösen Fastnachtsspiel von 1783.128 In England findet sich eine ebenfalls vergleichsweise früh erfolgende (Selbst-)Inszenierung der Handwerkerschaft, die unter anderem mit dem beträchtlichen gesellschaftlichen Gewicht zu erklären ist, das die Handwerksgilden dort seit dem Mittelalter innehaben. Das bevorzugte Medium, in dem einerseits der homo faber in Gestalt des vir faber als theatrale Figur auftritt, und das andererseits das System der Gilden und deren Kodex allegorisch artikuliert, ist auch in England das Theater. Die Mysterienspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, die so genannten Civic Cycles, die anlässlich religiöser Feste wie Fronleichnam und Pfingsten von Handwerkergilden in Städten wie Chester und York aufgeführt wurden,129 nutzen die theatrale Performanz dazu, die kollektive Identität des Handwerkertums mit ihren Regeln und Regularien zu bekräftigen und sich ihrer Religiosität ebenso wie ihrer Bedeutung für die urbane Gesellschaft zu versichern.130 Eine ähnliche soziale Funktion erfüllen die französischen Farcen.131 Bedeutsam ist nicht nur, wie die Aufführungspraxis der Civic Cycles die Ehrbarkeit 128 Vgl. Bernhart, Toni (2019): Volksschauspiele. Genese einer kulturgeschichtlichen Formation. Berlin: De Gruyter, pp. 99ff. Zum Bauern in deutschen Komödien des 17. Jahrhunderts vgl. auch die Tagung von Markus Denkler und Michael Elmentaler an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster von 2019, die einen linguistischen Schwerpunkt hatte, aber auch literaturwissenschaftliche Vorträge einschloss. Vgl. auch den zugehörigen Tagungsbericht von Kopf, Kristin (2020): „Bauernkomödien des 17. Jahrhunderts als sprachhistorische Quellen / 17th-Century Peasant Comedies as Sources of Linguistic History. Bericht zur Tagung in Münster, 30. September bis 2. Oktober 2019“. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 48, 1, pp. 187-193. 129 Vgl. Rice, Nicole/Pappano, Margaret Aziza (2015): The Civic Cycles: Artisan Drama and Identity in Premodern England. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press, p. 19. Dort werden zudem Coventry, Norwich und Newcastle als Aufführungsorte genannt. 130 Vgl. Rice/Pappano (2015: 3): „[...] the civic cycles represented collaborative enterprises in which artisans, though neither fully authors nor scribes, created and revised their own self-representations in regular theatrical events that endured for two centuries.” 131 Vgl. Boucquey, Thierry (1999): Six Medieval French Farces. Lewiston: Edwin Mellen, pp. 9ff. Wie Boucquey im Vorwort ausführt, erfüllen die Farcen, deren Hauptfiguren Handwerker wie der Schuster oder Kesselmacher sind, vor allem eine soziopolitische Funktion und werden anlässlich von festlichen Ereignissen wie Hochzeiten und Feiertagen aufgeführt. 436 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Handwerkerschaft inszeniert,132 sondern auch, wie sich die kollektive Arbeitsweise der Handwerker auf die dramatische Produktion überträgt.133 Obgleich die Civic Cycles in der Weise, in der sie „honor, profit, and charity“134 für die Handwerkerschaft in Anspruch nehmen, in Europa einmalig sind,135 erinnern sie mit ihrer Aufführung an öffentlichen Plätzen und im Rahmen einer Prozession an die spanischen auto sacramentales. Die Stücke beispielsweise, die um die Thematik des Höllensturzes kreisen, etwa das Yorker Drama Fall of Angels oder der in Chester aufgeführte Fall of Lucifer, verhandeln das gesellschaftliche Selbstverständnis des Handwerks sowie die zwischen den Gilden bestehenden Konflikte in allegorischer Form.136 Spätestens im elisabethanischen Theater treten Vertreter des Handwerks selbst als (männliche) Protagonisten in Erscheinung. Thomas Dekkers bürgerliche Komödie137 The Shoemaker’s Holiday or The Gentle Craft (1599) um den Adeligen Lacy, der sich als holländischer Schuster ausgibt, um dem Militärdienst zu entgehen und die Bürgermeistertochter Rose entgegen der zwischen ihnen bestehenden Standeskluft ehelichen zu können, ist als Inszenierung der Spannungen zwischen einem durch Vgl. Rice/Pappano (2015: 21): „The cycle drama served to promote the ‚honor’ or ‚worship’ of the guild members, showing them as respectable, responsible members of the civic community, safely entrusted with producing lavish devotional plays on behalf of the entire city.” 133 Vgl. Rice/Pappano (2015: 25). 134 Rice/Pappano (2015: 18). 135 Zwar sind auch im französischen Lille Handwerker in Fronleichnamsaufführungen involviert, nehmen jedoch lediglich an den nach Gilden angeordneten Prozessionen teil, während Organisation und Gestaltung der Aufführungen in der Hand von einzelnen Nachbarschaften liegen. Vgl. Rice/Pappano (2015: 19). 136 Vgl. Hierzu auch die Rezension der Monographie von Rice & Pappano von Mark Chambers in Medium Ævum, 86, 1, pp. 173-174., hier p. 174: „York Tanner’s Fall of the Angels pageant, [...] reflects some of the historical guild disturbances and attempts at one-upmanship surrounding the hierarchical arrangements of the city’s Corpus Christi procession. The authors suggest that the devils wrangling over brightness, for example, may reflect aspects of the Tanners long-running dispute over trade rights with the Cordwainers as well as their well-documented bickering over hierarchy in the procession. Conversely, they suggest that the Chester Tanners’ The Fall of Lucifer play may have functioned as a bit of self- promotion’ by the guild and the city’s governing elite.“ 137 George K. Hunter stuft Dekkers Stück als eine „bourgeois comedy“ ein. Vgl. Hunter, George K. (1986): „Bourgeois comedy: Shakespeare and Dekker“. In: Honigmann, Ernst A. Shakespeare and his contemporaries. Manchester: Manchester University Press, pp. 1-15. 132 7. Vir faber und vir rusticus 437 die Handwerkerschaft vertretenen aufstrebenden Bürgertum und einem in der Dekadenz begriffenen Adel lesbar.138 Die dergestalte Inszenierung von Klassengrenzen auf der Bühne zeugt vom gestiegenen Selbstbewusstsein der produzierenden Schichten.139 Matthew Kendrick etwa deutet Dekkers Stück als theatrale ‚Subjektivierung von Arbeit‘, die einer sich bereits im ausgehenden englischen 16. Jahrhundert manifestierenden kapitalistischen140 ‚Objektivierung des arbeitenden Menschen‘ (meine Übersetzung)141 entgegensteht. Insbesondere das Ende von Dekkers bürgerlicher Komödie weist Parallelen zu dem hier an späterer Stelle analysierten Stück El buen labrador (1791) von Comella auf, wenn Dekker schließlich die Gemeinschaft der Schuster, den englischen Adel und den König an einer Tafel versammelt. War es in Westeuropa vom Mittelalter bis weit in das 18. Jahrhundert hinein üblich, dass Handwerkermeister vor ihrem Eintritt in die Zunft ‚exorbitant teure Bankette‘ (meine Übersetzung)142 für die Zunftmitglieder veranstalteten, ist es in Dekkers Stück nun der König, der die Handwerkerschaft an seine Tafel bittet. Das Drama weist zum einen Parallelen zu Comellas El buen labrador auf, während die Tarnung des Adeligen Lacy als Schuster der Verkleidung des Adeligen Silverio aus Fermín del Reys La modesta labradora (1791) ähnelt, der sich als Teil der Landbevölkerung ausgibt. Im Rahmen einer noch ausstehenden, breit angelegten komparatistischen Studie wäre zu prüfen, inwieweit Dekkers Stück französischen und spanischen Handwerkerkomödien der Aufklärung möglicherweise als Folie gedient hat, und inwiefern es damit eine ähnliche Rolle einnimmt wie Lillos London Merchant für die Popularität der Kaufmannsfigur auf europäischen Bühnen. Im frühen 18. Jahrhundert nimmt sich Defoe in seiner Zeitschrift The Manufacturer: or the British Trade Truly Stated (1719-1721) der Sache der Weber an: Auf ihre Bitte hin verleiht er ihnen eine Stimme und protestiert stellvertretend gegen 138 Vgl. Kendrick, Matthew (2011): „‚A Shoemaker Sell Flesh and Blood? – O Indignity!’: The Labouring Body and Community in The Shoemaker’s Holiday”. In: English Studies: A Journal of English Language and Literature, 92, 3, pp. 259-273, hier p. 260f. 139 Vgl. Kendrick (2011: 260f.). 140 Vom Vorhandensein kapitalistischer Strukturen spricht auch Martin (2004: 116) in Bezug auf die ökonomische Organisation des théâtre de la foire. 141 Kendrick (2011: 272). 142 Farr (2000: 35). Dies gilt für England, Spanien, Frankreich, Deutschland und Flandern. 438 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien den Import und den Schmuggel von in Indien produzierten KattunStoffen durch die East India Company.143 Wie in den Abschnitten zur wirtschaftlichen Ausgangslage und unserer Analyse von Campomanes‘ Discurso sobre industria popular gezeigt wurde, stellt die Einfuhr asiatischer Stoffe auch aus spanischer Sicht eine Bedrohung für das heimische Handwerk dar. 7.3. Der vir faber in Cándido María Trigueros’ Los menestrales (1784) Cándido María Trigueros‘ 1784 verfasste neoklassische Komödie entsteht für die Festlichkeiten anlässlich der Geburt der königlichen Zwillinge Carlos und Felipe und des Friedensschlusses mit England und wird am 16. Juli desselben Jahres im Madrider Teatro del Príncipe uraufgeführt. Sie ist das Werk eines Dramatikers, der Mitglied der Sociedad Económica von Sevilla sowie mit Jovellanos befreundet ist144 und in der Tertulia Olavides145 verkehrt. Daher ist Trigueros bestens mit den Maximen des ökonomischen Reformdiskurses vertraut.146 Dasselbe gilt für die Doktrin des Neoklassizismus: Trigueros selbst kreiert mit El mísero y el pedante, Duendes hay, señor Don Blas (1763) die erste neoklassische Komödie, der es gelingt, zur Aufführung gebracht zu werden,147 nachdem Nicolás Fernández de Moratíns ein Jahr zuvor entstandenes Stück La petimetra (1762) diesbezüglich gescheitert war. 143 Die Importe hatten die heimischen Webereien in eine große Krise gestürzt, die bis hin zu Werkschließungen und Hungersnöten unter den Webern reichte. Defoes Manufacturer findet in John Asgills The British Merchant, or: A Review of Trade in Great Britain (1719-1720) die Gegenstimme der Kaufleute, die die indischen Importe begrüßen. Eine Zuspitzung erfährt die Debatte um die Importe von Kattun durch die Zeitschrift The Weaver, or the State of our Home Manufacturer considered (1719-1720), in der James Ouvry in radikalerer Weise den Standpunkt der Weber vertritt als Defoe, nachdem sich die von Defoe enttäuschten Weber an Ouvry gewandt hatten. 144 Vgl. Aguilar Piñal, Francisco (1987): Un escritor ilustrado: Cándido María Trigueros. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, p. 66. Zu Trigueros’ Los menestrales, den Hintergründen und den Reaktionen der Zeitgenossen vgl. auch Hoffmann (2017: 111-137), hier in Bezug auf die Freundschaft zwischen Jovellanos und Trigueros p. 113. 145 Vgl. Aguilar Piñal (1987: 57ff.). 146 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 9ff.). 147 Vgl. Aguilar Piñal (1987: 197f.). 7. Vir faber und vir rusticus 439 Trigueros‘ profunde Kenntnis des von Regierungsseite bevorzugten theatralen und ökonomischen Diskurses ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass er sich bei der im März 1784 in der Gaceta de Madrid veröffentlichten Ausschreibung durchsetzt.148 Bei der um den Schneider Cortines, den Gewürzwein-Hersteller Pitanzos und den betrügerischen Schuster Rafa kreisenden Handwerkerkomödie handelt es sich um ein von einer regierungsamtlichen Jury prämiertes Lehrstück, das als Prototyp eines reformökonomisch orientierten und propagandistisch motivierten neoklassischen Wirtschaftstheaters gelten kann.149 Während Ivy McClelland das Stück als schamloses Beispiel für politischen Opportunismus wertet, zeugt es Aguilar Piñal zufolge vom Streben der Handwerkerschaft nach gesellschaftlicher Anerkennung.150 Zur Jury zählen neben dem Reformökonomen und Theaterreformer Jovellanos, der den Vorsitz innehat, auch zwei Juristen, ein Theologe sowie Ignacio López de Ayala als bekannter Zensor und Mitglied der Reales Estudios de San Isidro.151 Trigueros‘ Sieg, der ihm 50 Dublonen Preisgeld einbringt,152 führt zu einer regelrechten „guerrilla literaria“153, im Rahmen derer konkurrierende 148 Zu den Details der Ausschreibung und der Aufführung vgl. Hoffmann (2017: 111ff.). 149 Das Handlungsgerüst von Trigueros Los menestrales bildet seinerseits die Folie für Leandro Fernández de Moratíns Komödie El barón (1802). Das bereits 1787 verfasste und erst 1803 uraufgeführte Stück war ursprünglich eine zarzuela, ein Musiktheaterstück also, das von Moratín erst später zu einer Komödie umgeschrieben wurde. Vgl. Camarero, Manuel (2003): „Estudio de El barón”. In: Moratín, Leandro Fernández de. El barón, ed. idem. Madrid: Ediciones Libertarias, pp. 33-48, hier p. 35. Bei der moralisch fehlgeleiteten Protagonistin des Stückes, die eben keine „Doña“, sondern nur eine „Tía“ Mónica und daher von niederem Stande ist, handelt es sich um eine „simple ‚labradora‘“, eine Bäuerin. Diese hat die beträchtliche Summe von 12.000 reales angespart. Auch sie geht – wie der menestral Cortines aus Trigueros‘ Stück – einem falschen Baron auf den Leim, auf dessen Adelstitel sie aus ist und den sie daher mit ihrer Tochter Isabel verheiraten möchte. Zu den Parallelen zwischen Los menestrales und El barón vgl. Andioc (1987: 182ff.). 150 Vgl. Fuentes (2014: 226f.) unter Bezugnahme auf McClelland, Ivy (1970): Spanish Drama of Pathos 1750-1808, vol. I: High tragedy. Toronto: Toronto University Press, p. 475 und Aguilar Piñal (1995: 9ff.). 151 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 15). Außer den bereits namentlich genannten Jurymitgliedern erwähnt Hoffmann (2017: 111) José de Viera y Clavijo (1731-1813) und Miguel García Asensio (†1808). 152 Vgl. Aguilar Piñal (1987: 197). 153 Aguilar Piñal (1997: 39). 440 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dramatiker wie Iriarte Satiren und Schmähgedichte auf Los menestrales verfassen. Es finden sich aber auch Lobeshymnen auf das Stück, etwa von Sempere y Guarinos.154 Obwohl sich die Komödie immerhin elf Tage auf dem Spielplan hält, ereilt Trigueros‘ Stück das Schicksal vieler neoklassischer Komödien, beim Publikum nur mäßig zu reüssieren.155 Einen Grund für den geringen Anklang vermutet Aguilar Piñal zum einen in der schlechten Leistung der SchauspielerInnen der Compañía de Ribera, über die ein Brief Jovellanos‘ an Trigueros Auskunft gibt.156 Zum anderen greife die Komödie mit dem Credo „que el trabajo productivo constituye la única vía de salvación para un pueblo en crisis” zwar einen Kerngedanken des aufgeklärten Reformdiskurses auf, die Kritik der Komödie an Hochmut und Ostentation des Adels und einem diesem Adel nacheifernden Bürgertum sei aber so weitreichend geraten, dass sie alle Teile des Publikums gleichermaßen brüskieren müsse.157 Ob es tatsächlich dieser oder noch andere Gründe sind, die für den geringen Erfolg des Stückes ursächlich waren, erörtert der nächste Abschnitt mit Blick auf die ambivalente Darstellung des Handwerkertums in Los menestrales. 7.3.1. Schuster, bleib bei deinem Leisten Die in Los menestrales mit dem militärischen Terminus des ‚Desertierens‘158 gebrandmarkte Handwerksflucht, ein Begriff, der bereits auf die Arbeit als gesellschaftliche Pflicht im Dienste des bien común verweist, ist eines der Hauptthemen des Stückes. Es wird von Trigueros bereits im Prolog benannt159 und gleich zu Beginn durch den 154 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 38). Vgl. Aguilar Piñal (1997: 53). Wenn Aguilar Piñal von einem „Scheitern“ des Stückes beim Publikum spricht, so räumt er ein, dass es sich angesichts der Spieldauer nur um ein relatives handeln kann. Als Vergleich führt er Iriartes La señorita malcriada an, das sich (nur) sieben Tage auf der Bühne behauptet. 156 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 36). 157 Aguilar Piñal (1997: 53). 158 Trigueros, Cándido María de (1997): Los menestrales, ed. Francisco Aguilar Piñal. Sevilla: Universidad de Sevilla, p. 186, v. 1834. Dort wird der als Betrüger entlarvte Schuster Rafa als „un señor desertor de hacer zapatos” bezeichnet. 159 Vgl. Trigueros’ mit „El Autor al que leyere“ betitelte Vorwort zu den Menestrales in der Ausgabe von Aguilar Piñal (1997: 89f.): „De tan injusto desprecio [de las Artes y de los Artistas] ha provenido la manía del mayor número de los Menestrales, que, por 155 7. Vir faber und vir rusticus 441 Schneidermeister Justo eingeführt, als dieser die Unzufriedenheit einzelner Berufsgruppen mit ihrem Stand beschreibt, da sich das soziale Ansehen an der jeweiligen Tätigkeit bemesse: JUSTO Es condición de todos los mortales no contentarse nadie en su destino. Envidia el abogado al comerciante, el comerciante envidia arrepentido al soldado, el soldado al escribano: todos prefieren ajeno oficio. Que un sastre tenga envidia de un caballero y busque esplendor para sus hijos, no me puede admirar, aunque lo sienta, por ser yo al que más daña el capricho.160 Bemerkenswert ist hier, dass sich der dem Individuum in der sozialen Hierarchie zugewiesene Platz noch nach dem Schicksal – sprich: nach dem Stand, in den es hineingeboren wird – richtet. Die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs durch Fleiß, wie sie bürgerliche Ideologien des 19. Jahrhunderts später vertreten werden, besteht hier noch nicht. Vor dem Hintergrund der geringen Produktivität des spanischen Handwerkertums als einem von vielen ökonomischen Besorgnissen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, sind die in Trigueros‘ Stück genannten gesellschaftlichen Gruppen bezeichnenderweise nicht nach reich oder arm, sondern nach Berufsgruppen gegliedert. Wie schon in Duráns La industriosa madrileña wird auch hier eine soziale Stufung aufgerufen, die von unten – dort stehen die bereits in der Literatur der französischen Klassik viel geschmähten Anwälte – nach oben bis hin zum höfischen Schreiber reicht.161 deseo de ser más, descuidan o desamparan sus oficios, creyendo siempre encontrar mayor aprecio en otra situación. [...] Entre los muchos medios que pudieran hallarse para combatirla [a tan necia preocupación] ridiculizándola, he escogido el Autor de esta comedia el que le ha parecido mas a propósito para poder causar algún provecho; no solo impugnando directamente esta mala costumbre; sino también oponiéndose indirectamente por el mismo rumbo a otros vicios, hijos de la misma causa.“ Vgl. hierzu auch García Garrosa (1990: 170). 160 Trigueros (1997: 93, vv. 7-16). 161 Auf eine Hierarchie der oficios viles verweist auch Domínguez Ortiz (1945: 676). Demnach stehen ganz unten in der Rangfolge SchauspielerInnen, SchaustellerInnen, 442 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Auch in Los menestrales ist es ein Handwerker, der neidvoll auf den Adel als die in der gesellschaftlichen Hierarchie über ihm stehende Schicht blickt. Dieser Handwerker ist der Schneider Cortines, der sich seines Handwerks und des damit verbundenen geringen gesellschaftlichen Ansehens derart schämt, dass er seinen Berufskollegen Justo bittet, dies vor anderen geheim zu halten. Im Gegenzug bietet Cortines Justo an, für ihn dasselbe zu tun: „Calla tú por tu parte, y te prometo / que no diré qué oficio has ejercido.“162 Aufgrund der Schmach, die Handwerksstand und Meisterstitel sowie die mit ihnen verbundene körperliche Arbeit mit sich bringen – „¡Un Maestro! Es un hombre cuyo cuerpo / está con el trabajo encallecido. Un Maestro es de todos esclavo: un Maestro es un pobre“163 – strebt Cortines die Heirat seiner Tochter Rufina mit dem vermeintlichen Baron Rafa an. Das im Schweiße seines Angesichts innerhalb von zehn Jahren verdiente Geld droht der ehrgeizige Schneidermeister binnen eines einzigen Tages auszugeben.164 Darin ähnelt er der Figur des Gonzalo aus Iriartes La señorita malcriada. Um den angeblichen Baron durch die Zurschaustellung von Luxus zu beeindrucken, gibt Cortines ein rauschendes, eines Adeligen würdiges Fest mit ebenso kunstvollen wie kostspieligen Illuminationen, Musik, Tanz und Maskenspiel,165 bei dem er die Wucherer und Henker, gefolgt von landwirtschaftlichen Wanderarbeitern wie jenen, die Rinder und Schafe kastrieren. Danach kommen die Schlachter, Gerber sowie Schank- und GastwirtInnen. Besser angesehen sind an feudale Güter angebundene Landwirtschaftsberufe in den Bereichen Ackerbau, Viehzucht und Müllerei, wobei sich auch hier eine Stufung bemerkbar macht: So genießt beispielsweise der Rinderhirte größeres Ansehen als der Hüter von Ziegen und Schweinen. An der Spitze der Hierarchie stehen die in Zünften organisierten Handwerksberufe, worauf bereits deren Inanspruchnahme des Ehrentitels „don“ hindeutet. In diesem Zusammenhang verweist Domínguez Ortiz auch auf die Verwunderung, die in Berichten ausländischer Reisender angesichts des Stolzes einer spanischen Handwerkerschaft zum Ausdruck kommt, die es nicht für nötig befindet, ihre Kunden auf der Straße zu grüßen. Domínguez Ortiz (1945: 676) mit Verweis auf Brunel, Antoine (1666): Voyage d’Espagne, curieux, historique, et politique: fait en l’année 1655. Paris: Robert de Ninville, Kap. VI. 162 Trigueros (1997: 105, vv. 279f.). 163 Trigueros (1997: 102, vv. 213ff.). 164 Vgl. Trigueros (1997: 95, vv. 47f.): „[Cortines] gasta en solo un día / el sudor de diez años.” 165 Hinsichtlich des auf der Bühne inszenierten Festes, „en el que se presentan, acompañados de orquesta y coro, canciones, bailes de moda como el fandango y la seguidilla y máscaras“, konstatiert von Tschilschke: „Los menestrales rebosan por consiguiente de esta ‚teatralidad‘ cuya falta se ha deplorado tanto en la comedia neoclásica.“ 7. Vir faber und vir rusticus 443 Verlobung Rufinas mit Rafa bekanntzugeben gedenkt. Das Bündnis scheitert allerdings daran, dass Rafa zuvor von dem örtlichen Richter Juan, der in diesem Stück die Rolle des Ordnungsstifters einnimmt, als einfacher Schuster und Betrüger entlarvt wird und herauskommt, dass der Auserkorene bereits verheiratet ist. Bezeichnenderweise erfolgt die Demaskierung Rafas durch eine der Figuren des festlichen Maskenspiels, die sich als Rafas Ehefrau erweist. Maßgeblich für die Entlarvung des Schusters ist eine Allianz aus dem Richter Juan, Cortines‘ Gattin Florentina, der gemeinsamen Tochter Rufina und des seinerseits auf Rufinas Hand hoffenden Schneidermeisters Justo. Dieser ist am Ende der lachende Dritte. Die Los menestrales zugrunde liegende Figurenkonstellation, innerhalb derer sich Bündnisse bilden, die durch Einzelinteressen motiviert sind, bestätigt Fuldas These, dass kollidierende Interessen die Handlung der Gattung Komödie wesentlich befeuern.166 Cortines verbündet sich seinerseits mit (dem falschen Adeligen) Rafa und (dem tatsächlich adeligen) Pitanzos, strebt er doch selbst einen Titel an167 und möchte seine Tochter daher in blaublütige Kreise verheiraten. Die übrigen Figuren schmieden aus Gründen der Vernunft (Juan), des Misstrauens (Florentina), der Liebe (Rufina) oder eines zu erwartenden Gewinns (Justo) eine Gegen-Allianz. Ein Ausspruch des Richters Juan setzt die ZuschauerInnen am Ende des Stückes über Rafas Abkommen vom rechten Weg in Kenntnis: Seines Handwerks überdrüssig, war der ursprünglich aus Andalusien stammende Schuster, dessen Ausdrucksweise schon auf seine einfache Herkunft hingedeutet hatte,168 durch Wir haben es hier also mit einem ‚Theater im Theater‘ zu tun, das, wie für spanische Theaterproduktionen charakteristisch, in denen Musik und Tanz seit dem Siglo de Oro eine große Rolle spielen, ein multimediales Spektakel ist. Tschilschke (2018: 256). 166 Vgl. Fulda (2005: 22). 167 Damit ist Cortines Teil jener „fabricantes“ und „mercaderes enriquecidos [que] pensaban en fundar un mayorazgo, en comprar un título de regidor, en procurase una ejecutoria de hidalguía“. Diese sehen sich Domínguez Ortiz (1945: 675) zufolge bereits in der Traktatliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts dem Vorwurf ausgesetzt, der heimischen Wirtschaft durch ihre Handwerksflucht zu schaden. Seine eigene, gefälschte und angeblich von seinem Urgroßvater erlangte ejecutoría de nobleza zeigt Rafa dem Schneider Cortines im zweiten Akt in der ersten Szene. Vgl. Trigueros (1997: 128, vv. 744ff.). 168 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 47), der auf Rafas gitanismos verweist. 444 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die Lande vagabundiert und hatte allerlei Schurkereien begangen, bis er schließlich auf Cortines als leichtgläubiges Opfer traf. Während Aguilar Piñal das gleichzeitige Plädoyer für einen sozialen Konformismus und eine neu sich abzeichnende bürgerliche Ideologie als Kern von Los menestrales identifiziert,169 den darin bestehenden diskursiven Widerspruch aber nicht weiter ausführt, wird hier die These vertreten, dass es gerade dieser Widerspruch ist, der zum Scheitern der Komödie beim Publikum führt. Wird den Handwerkern einerseits Ehre zugesprochen, so geschieht dies allein, damit sie keine gesellschaftlichen Ambitionen entwickeln. Die rhetorisch bekundete Ehrbarkeit der handwerklichen Gewerbe wird in Trigueros‘ Stück vor allem deshalb wieder ausgehebelt, weil es die Kritik am prätentiösen Fehlverhalten des aufstiegswilligen Schneiders Cortines in den Vordergrund rückt, ohne sie durch positive Bilder vom Handwerk auszugleichen. Solche Bilder halten die hier bereits analysierten Komödien über den Kaufmann und den Textilfabrikanten sehr wohl für die ZuschauerInnen bereit, indem sie den Beitrag des ebenso virilen wie erfolgreichen und bibeltreuen vir oeconomicus zum bien común hervorheben. Bei Trigueros hingegen bildet den Stein des Anstoßes nicht etwa die geringe gesellschaftliche Achtung des Handwerks, sondern vielmehr das Bestreben des Handwerkers Cortines, über die Verheiratung seiner Tochter mit einem Baron in höhere Kreise aufzusteigen. In diesem Sinne ist die Figur des Cortines als Personifikation des bürgerlichen Wunsches nach sozialer Gleichstellung zu verstehen. Gerade dieses Bestreben wird am (nur vermeintlich) guten Ende der Komödie abgestraft. Dort ist es das ‚arme Schneiderlein‘, das sich den Spott der übrigen Figuren und des Publikums zuzieht, als sich herausstellt, dass es nicht nur dem Betrüger Rafa aufgesessen war, sondern sich der Schneider überdies reuig und moralisch geläutert zeigen muss. Die Figur des Schusters, der wie Cortines ein aufstiegswilliger Handwerker ist, der jedoch mit unlauteren Mitteln zum Ziel kommen möchte und aufgrund dessen der Justiz zugeführt wird, verdeutlicht auf wenig subtile Art die sprichwörtliche Moral der Komödie, dass der Schuster doch bitte bei seinem Leisten bleiben möge. Rafas primäres Vergehen besteht entsprechend nicht im Betrug, wie uns sein 169 Aguilar Piñal (1997: 29): „La doctrina que esta comedia defiende es la del conformismo social, pero también la de la nueva ideología burguesa, que pedía la sustitución en cargos y honores del noble ocioso por el menestral trabajador.“ 7. Vir faber und vir rusticus 445 Geständnis verrät, sondern in seinem Streben nach Reichtum und Ruhm sowie in seiner Abtrünnigkeit vom Handwerk.170 Seine Betrügereien sind zweitrangig bzw. werden durch seinen Müßiggang gefördert. Die Handwerksflucht wird somit als Grundübel ausgemacht, aus dem alle weiteren resultieren: RAFA El deseo de verme rico y alto, el aborrecimiento a mi ejercicio, el mirar con horror a mi trabajo me arrastró a las maldades que confieso.171 Dass Cortines sein Geschäft schließt und danach strebt, einen adeligen Schwiegersohn aufzutun, erscheint demgegenüber nicht als juristisch zu ahnendes Vergehen, wohl aber als ‚Sünde‘ (meine Übersetzung). Für diese gilt es in Form der Fortführung des Schneiderberufes Buße zu tun „Al punto abro mi tienda; confesaré, y enmiendo, mi pecado.“172 Dass die Buße hier ausgerechnet in der weiteren Ausübung des Handwerks besteht, relativiert die vom Ordnungsstifter Juan formulierte Moral des Stückes: „Todo oficio / da honor al que le ejerce como honrado“. Aussagekräftig ist hierbei der Zusatz: „sólo en abandonarle está la culpa“173, aus dem ersichtlich wird, dass es in Los menestrales eben nicht um die Ehrung der Handwerksberufe geht, sondern vielmehr darum jene zu rügen, die diesen Berufen zu entfliehen suchen. Dass das aufstrebende Bürgertum hier in seine sozialen Schranken verwiesen werden soll und in Trigueros‘ Stück durch gleich zwei ‚fahnenflüchtige‘ Handwerker vertreten wird, offenbart die rein rhetorische Natur der dort erfolgenden Erklärungen zur Ehrbarkeit der Handwerksberufe. Inwiefern es sich bei diesen Erklärungen um Lippenbekenntnisse handelt, lässt sich auch am Verhältnis der Passsagen, die das Handwerk schmähen, im Vergleich zu jenen festmachen, die die Ehrbarkeit des Handwerkers beschwören. Aussagekräftig ist in diesem 170 Vgl. auch Fuentes (2014: 228): „Of all his crimes, Rafa’s most insidious was to choose an unproductive life of leisure based on scams, dishonesty and uselessness.“ 171 Trigueros (1997: 192, vv. 1966-1970). 172 Trigueros (1997: 193, vv. 1988-1990). 173 Trigueros (1997: 192, vv. 1974-1976). 446 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Zusammenhang die beträchtliche Länge der Äußerungen des Adeligen Pitanzos über die Inkompabilität von Handwerk und Adel.174 Dieses Ungleichgewicht manifestiert sich bereits zu Beginn der Komödie: Justos Rede, die das Handwerk verteidigt, umfasst nur einen einzigen Vers. Die Selbstmitleidsbekundungen Cortines‘ hingegen, in denen er das schlechte Ansehen seines Standes beklagt, erstrecken sich über 70 Verse.175 Justos Entgegnung, dass Tugendhaftigkeit sich stets auszahle, fällt im Vergleich denkbar knapp aus. Von dem langen Dialog zwischen Cortines und Justo sei hier nur der kurze Ausschnitt mit Justos Einwurf zitiert: CORTINES Todos al menestral mas estirado le miran con desdén; siempre es mal visto el artista, aunque más honrado sea, aunque hombre de bien, muy diestro y rico. JUSTO No obstante, la virtud se aprecia siempre. CORTINES Esto estará muy bien para decirlo en comedias o en coplas, mas los hechos no van en esto acordes con los dichos.176 174 Andioc (1987: 236) zufolge steht Pitanzos aufgrund seiner Eitelkeit für die Inkompabilität von Adelsstand und Handwerk, was durch die Berufstätigkeit Pitanzos ad absurdum geführt wird. Die Figur des Pitanzos ist ein Pars pro Toto des niederen Adels des 18. Jahrhunderts, der, wie Pietschmann (2005: 195) bemerkt, in „ökonomisch prekären Verhältnissen“ lebt und „ganz gewöhnlichen bäuerlichen, handwerklichen oder kommerziellen Tätigkeiten“ nachgeht. Auch Jehle (2010: 125) spricht von der „riesigen Menge der hidalgos, deren Vorfahren im Zuge der Reconquista aufgrund ihrer Waffendienste mit irgendeinem Privileg ausgezeichnet wurden“, „in ihrer Mehrheit in die Armut abgesunken“ und den Plebejern faktisch gleichgestellt waren. In eben diesem Umstand wurzelt das komische Potenzial der Figur Pitanzos, die trotz ihrer prekären Existenz ständig auf ihre Privilegien pocht. Jehle (ibid.) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des symbolischen Kapitals des Adelstitels angesichts der ökonomischen Misere. 175 Trigueros (1997: 192, vv. 1988f.). 176 Trigueros (1997: 101, vv. 185-192). 7. Vir faber und vir rusticus 447 Von geringer Überzeugungskraft ist Justos Entkräftung der Klagen Cortines‘ über den schlechten Stand der Handwerkerschaft nicht nur aufgrund ihrer lapidaren Kürze, sondern auch deshalb, weil Cortines Justos Worte kurz darauf – in metatextueller Manier – als Fiktion entlarvt: „[...] estará muy bien para decirlo / en comedias o en coplas“. Aufgrund der Tatsache, dass Justos Worte tatsächlich Teil einer Komödie sind, scheint hier für einen kurzen Moment eine fast schon selbstironische Autoreferenzialität auf. Dass Cortines hingegen selbst kontinuierlich der Fiktion seiner Fehlannahmen erliegt, wird durch die übrigen Figuren wiederholt durch die Metapher der „ceguedad“ hervorgehoben.177 Wendete man die in der zitierten Replik autoreferenziell markierte Fiktionalität der Figurenrede auf das ganze Stück an, würden sich sowohl Justos Überzeugung, dass Tugend sich auszahlt, als auch Cortines’ Annahme, dass ein adeliger Schwiegersohn ihm das ersehnte gesellschaftliche Ansehen verschaffen kann, als Fiktionen erweisen. Dies käme einer vor dem ideologischen Hintergrund des Entstehungskontextes des Stückes unwahrscheinlichen Destabilisierung des moralisch-belehrenden reformökonomischen Propagandadiskurses gleich, die sich allerdings in ihre hier hypostasierte ideologische Inkohärenz fügen würde. Diese Inkohärenz ist nicht zuletzt in der Real Cédula selbst begründet: Nicht nur klafft ein unüberbrückbarer Graben zwischen der gesellschaftlichen Realität und den Forderungen des königlichen Erlasses;178 auch innerhalb der durch das Dekret vermittelten Botschaft tun sich diskursive Brüche auf. Wie Antonio Moral Roncal zeigt, räumen Erlasse des ausgehenden 18. Jahrhunderts wie die Real Cédula den Handwerksberufen zwar potenziell Ehrbarkeit ein. Die bloße Erklärung einer im Rahmen des Möglichen liegenden Ehrbarkeit der Handwerksberufe, die Moral Roncal mit dem Begriff der „honorabilidad“ 177 Vgl. hierzu Trigueros (1997: 161, v. 1396). Dort formuliert Juan in Bezug auf Cortines den Wunsch „se consigue alumbrar al que está ciego”. Auf Cortines’ Blindheit verweist nicht nur der Umstand, dass er und Pitanzos – der mit der Blindheit des Standesdünkels geschlagen ist – als einzige nicht in der Lage sind, Rafas wahres Wesen zu durchschauen, während dies den übrigen Figuren mühelos gelingt. Auch der Umstand, dass Cortines Rafa unbesehen eine Blanko-Unterschrift gibt, verdeutlicht seine ‚Blindheit‘, die sich u.a. im blinden Vertrauen äußert. Vgl. Trigueros (1997: 163, vv. 1435ff.). Gegen Ende des Stückes bezeichnet Juan den Schneider Cortines zudem als „el que vivais tan ciego y engañado”. Trigueros (1997: 184, v. 1799). 178 Aguilar Piñal (1997: 50). 448 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien bezeichnet, rührt jedoch noch nicht an die Spitzenstellung des adeligen honor.179 Wie hartnäckig sich die Vorstellung von der Unvereinbarkeit von Adel und Arbeit in der Bevölkerung hält, betont auch Vicens Vives: „Pero la mentalidad española se resistió a admitir tan nuevo punto de vista: la industria y el comercio continuaron considerándose incompatibles con la dignidad de un grande de España, de un título de Castilla y aun de un simple hidalgo.”180 Bezeichnend ist auch der Umstand, dass sich die Ehrbarkeitsbekundung der Handwerksberufe ihrerseits am Konzept des adeligen honor orientiert, und damit letztlich der feudalen Gesellschaftsordnung verpflichtet bleibt.181 Auch Moral Roncal kommt zu dem Schluss, dass Trigueros‘ Stück für die Erhaltung der ‚natürlichen sozialen Ordnung‘ plädiert und damit bestehende Hierarchien stärkt.182 So erweist sich die Komödie gänzlich vom Geist der spanischen Reformökonomie durchdrungen: Auch ihr geht es nicht um eine grundsätzliche Verbesserung der Lebensbedingungen und des gesellschaftlichen Ansehens der Handwerker, sondern um die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität bei gleichzeitiger Beibehaltung des feudalen Gesellschaftssystems.183 Von einer entschlossenen Politik zugunsten des Handwerks kann in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein, wovon auch die Reaktion der Zünfte auf die Real Cédula zeugt: „[...] esta política no satisfizo a la mayoría de los oficios que continuaron demandando, a lo largo del siglo, la legalización de privilegios gremiales.”184 Gerade die Privilegien der Zünfte sind aufgeklärten Reformökononen wie Campomanes ein Dorn im Auge, weshalb sie sie zu beschneiden suchen (vgl. Kap. 3.4.2). Vor diesem Hintergrund ist auch der Umstand, dass Pitanzos‘ Standesdünkel in Trigueros‘ Komödie gerügt wird, nicht mit einer Infragestellung des feudalen status quo gleichzusetzen. „[...] Sin justillo / puedo yo andar, sin capa y sin zapatos, / pero no sin honor. 179 Vgl. Moral Roncal (1996 384). Vicens Vives (1979: 10). 181 Moral Roncal (1996: 384): „Debemos tener en cuenta que la defensa de la honradez de los oficios que realizaron algunos ilustrados fue considerada bastante tibia por algunos gremiales, al reafirmar el sentimiento del Honor, propio del estamento nobiliario.” 182 Vgl. Moral Roncal (1996: 384). 183 Vgl. Jacobs (1996b: 84) sowie idem (2001: 64). 184 Moral Roncal (1996: 384). 180 7. Vir faber und vir rusticus 449 ¡Dulce honor mío!“185, sagt Pitanzos, und erfüllt damit das Klischee des prätentiösen Adeligen. Dieser geht allerdings der Tätigkeit eines alojero nach, und erfüllt damit die in der Adelskritik der Epoche häufig anzutreffende Eigenschaft der Untätigkeit gerade nicht.186 Wie schon in El vinatero de Madrid, ist es auch hier die wirtschaftliche Not, die einen Adeligen dazu veranlasst, ein Gewerbe zu betreiben. Obwohl er nach eigenen Angaben einem alten Adelsgeschlecht angehört – „Ser noble no es la empresa de una vida; / pide mucha fortuna y muchos siglos”–187 und es ihm daher nicht an „brillo“ fehlt,188 mangelt es ihm doch an Einkünften: „Yo soy noble / como el más Duque; mas no tengo un cuarto.“189 Das Geld, das ihm der falsche Baron Rafa abschwatzt, muss sich Pitanzos erst von Cortines borgen.190 Daher ist Cortines am Ende der doppelt Betrogene, wird er doch sowohl um das eigene als auch um das an Pitanzos verliehene Geld geprellt. 7.3.2. Des Schneiders neue Kleider Dass die am Ende aufgrund ihres bürgerlichen Aufstiegswillens öffentlicher Scham ausgesetzte Figur des Stückes ausgerechnet ein Schneider ist, ist kein Zufall. Im 18. Jahrhundert wie heute ist Kleidung ein Marker sozialer Identität.191 Dieser Marker allerdings verliert – sehr zum Unmut der althergebrachten besitzenden Schichten von Adel und Klerikern – mit dem finanziellen Aufstieg der Kaufleute und Handwerker an Aussagekraft. Moral Roncal weist anhand von historischen Dokumenten wie Listen über den Umfang von Mitgiften und Eigentumsaufzählungen nach, dass begüterte Handwerker und ihre Familienangehörigen der sozialen Stigmatisierung ihrer Berufe zu entkommen suchen, indem sie sich wie Angehörige des um ein Vielfaches höher angesehenen Militärs kleiden. Zudem erwerben sie prestigeträchtige Objekte wie antike Waffen, die ehemals Insignien des 185 Trigueros (1997: 107, vv. 332-334). Moral Roncal (1996: 384). 187 Trigueros (1997: 108, vv. 343f.). 188 Vgl. Trigueros (1997: 110, v. 400): „El ser noble es el único quilate / que puede dar a un hombre eterno brillo.“ 189 Trigueros (1997: 194, vv. 2005f.). 190 Vgl. Trigueros (1997: 99, vv. 138-146 und p. 187, vv. 1855-1860). 191 Vgl. Moral Roncal (1996: 380). 186 450 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Schwertadels waren.192 Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch die bereits erwähnte Szene aus Valladares de Sotomayors El carbonero de Londres (1790), in der der Bergmannssohn Genaro vom König zum Hauptmann befördert wird: Die prächtige neue Uniform des Sohnes wird vom Vater ausgiebig bewundert.193 Glaubt man Moral Roncal, dürften Szenen wie diese, in denen der Aufstieg in der sozialen Hierarchie durch die bei der Arbeiterschaft beliebte militärische Tracht markiert wird, großen Anklang bei den ZuschauerInnen aus den unteren Schichten gefunden haben. Auch in Los menestrales ist es Kleidung, die den vermeintlichen Baron Rafa über ihren schönen Schein an Rufina binden soll. In diesem Zusammenhang merkt Cortines an, dass es seiner Tochter lediglich an einem repräsentativen Gewand fehle, um die ihr bereits gegebenen Vorzüge von Tugend und Schönheit angemessen zur Geltung zu bringen und sie zu einer ‚Dame‘ von Stand zu machen: CORTINES Fáltale [a Rufina] un porte lucido, y parecer señora; yo procuro que lo parezca. Si este fin consigo su gracia, su virtud y su hermosura ganarán un señor para marido. Y de otro modo, ¿dí, que lograremos?194 In dieser Replik kommt nicht nur Cortines‘ Annahme zum Ausdruck, dass um den schönen Schein kein Weg herumführe und dieser eine notwendige Strategie im Ehehandel sei, der sich letztlich als ein Feilschen um eine möglichst vorteilhafte gesellschaftliche Stellung erweise. Darüber hinaus trifft der Schneider eine Aussage über die Werthaltung des Adels, von dem er annimmt, dass diesem das parecer mehr gelte als das ser. Tugend kann also erst dann zur Geltung kommen, wenn sie in einer schönen Verpackung steckt. Das Gewand, das für Justina angefertigt werden soll, ist demnach eine Investition in den sozialen Aufstieg der Familie. Ein solcher Aufstieg ist allein durch die 192 Vgl. Moral Roncal (1996: 380f.). Vgl. Valladares (1790: 27): „Genaro, querido hijo, / bello capitán haces! Cómo te sienta el vestido! / Mánchale bien en la guerra / con la sangre de enemigos / [...].” 194 Trigueros (1997: 104, vv. 253-259). 193 7. Vir faber und vir rusticus 451 Ehe, nicht etwa durch Arbeit möglich, was abermals die Schranken aufzeigt, in die Trigueros‘ Stück seine handwerklich tätigen Protagonisten weist. Ähnlich wie Kleidung Rufina als Vertreterin einer bestimmten Klasse ausweist, ist sie auch in der Lage, ihre weiblichen Reize zu unterstreichen, sodass sie durch passende Kleidung doppelt zu ‚glänzen‘ vermag: „Ya tienes un vestido de regalo / y desde hoy comienza a lucirlo.”195 Wie bereits in Duráns La industriosa madrileña begegnet uns auch hier das Motiv des geschenkten Gewandes, allerdings ohne dass dies Teil einer religiösen Metaphorik wäre. Der Schneider Cortines fungiert in Trigueros‘ neoklassischer Komödie aber nicht nur als Repräsentant eines aufstiegswilligen Bürgertums. Er metonymisiert überdies dessen finanzielle Potenz, die sich aus einer an Umsätzen und Einfluss196 gewinnenden Modebranche speist. Eben dieses Wetteifern des Bürgertums mit adeligen Zurschaustellungen von Luxus stößt auf Trigueros‘ Kritik. In seiner Komödie wird dies in erster Linie durch das Fest versinnbildlicht, für das Cortines ganze Teile seines Gartens mit Tüchern verhüllt, damit das buchstäbliche Highlight – die als Überraschung vorgesehenen Lichtspiele – angemessen wirken kann.197 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die mit der bereits erwähnten Metapher von Cortines‘ Blindheit einhergehende Dichotomie von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, ‚Nicht-SehenKönnen‘ und ‚Gesehen-Werden-Wollen‘.198 Im Kontext dieser Motivik steht auch die Demaskierung Rafas während des Maskenspiels. Auf 195 Trigueros (1997: 105, vv. 285f.), meine Übersetzung. Einen großen gesellschaftlichen Einfluss hat die Modebranche bereits im 18. Jahrhundert deshalb, weil sie in der Lage ist, (neue) Moden zu etablieren und somit bei den VerbraucherInnen konsumtive Bedürfnisse zu schaffen. Auf eine „tiranía de la moda” geht Aguilar Piñal (1997: 45) mit Bezug auf eine Replik des Schusters Rafa ein, in der dieser über Rufina sagt: „[...] parece hecha en París, según es linda.“ Trigueros (1997: 114, v. 479). Dazu merkt Aguilar Piñal im historischen Präsens an, dass das Diktat der Mode „se hace sentir en todas las capas sociales, creciendo sin pausa, de forma que, a final de siglo, ‚todos quieren imitar a la Corte, como la Corte imita a los extranjeros’”. In diesem Zusammenhang erwähnt Aguilar Piñal auch die satirische Schrift El Tocador o el libro a la Moda (1796: ohne Seitenangabe), die sich über die zunehmende Macht der Mode und der modische Begehrlichkeiten weckenden Wirtschaftszweige ereifert. 197 Vgl. Trigueros (1997: 113, vv. 459-461): „DON JUAN: Mas, ¿qué es esto, Cortines? Tanto lienzo / como por el jardín tenéis tendido, / no nos permite ver... / CORTINES: [...] sigue oculto el artificio / para que guste más cuando se vea.” 198 Vgl. den schon zitierten Dialog zwischen Cortines und Justo, s.o. 196 452 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Ebene der Rezeption ist das Fest des Schneiders eine offensichtliche Konzession nicht nur an den Publikumsgeschmack, sondern auch an den Ausschreibungstext des Theaterwettbewerbs, aus dem Trigueros mit Los menestrales als Sieger hervorgeht. Fordert die Ausschreibung einerseits die Einhaltung der neoklassischen Regeln, wird dort andererseits ein ‚außergewöhnlicher Pomp und theatraler Schmuck‘199 gefordert. Hoffmann zufolge offenbart dies, in welchem Ausmaß der hier ausgeschriebene Dramenwettbewerb als Medium politischer und ästhetischer Ideen verwendet wurde bzw. wie sehr er vor allem dazu diente, den neoklassizistischen Geschmack zu implementieren und die gesamten Feierlichkeiten für politisch-ästhetische Zwecke zu benutzen, während zugleich danach getrachtet wurde, möglichst populäre, massenwirksame Stücke zu rekrutieren.200 Gerade diese doppelte Zielrichtung des Wettbewerbs ist laut Hoffmann charakteristisch für die bereits ausgeführte Verkehrung des Innen des Theaterbetriebs gegen das Außen der staatlichen Reform (vgl. Kap. 4.2).201 Auf der Inhaltsebene wird die opulente Ausstattung des auf der Bühne inszenierten Festes mit dem Wohlstand des Schneiders begründet, denn dass Cortines finanziell potent ist, kommt in Los menestrales wiederholt zur Sprache. Mühelos kann er Pitanzos „unos cuartos“202 borgen, der diese wiederum dem betrügerischen Rafa aushändigt. Eine 199 Übersetzung nach Hoffmann (2017: 112), die den kompletten Ausschreibungstext nach Armona y Murga (1726-1792) zitiert. Vgl. Armona y Murga, José Antonio de (1988 [1785]): Memorias cronológicas sobre el teatro en España, ed. Emilio Palacios Fernández. Vitoria-Gasteiz: Diputación Foral de Alava, 1988, pp. 216-218. Im zweiten Paragraph des Ausschreibungstextes (ibid.) heißt es: „2a Será libre a los autores escribir tragedia, tragicomedia, comedia o pastoral; pero se desean con preferencia dos dramas que, sin faltar a las reglas esenciales del arte, sean susceptibles de extraordinaria pompa y adorno teatral“ (meine Hervorhebung). 200 Laut Hoffmann (2017: 111) soll die in Paragraph 1a enthaltene Forderung der Ausschreibung „Estos dramas han de ser originales y no traducidos“ populäre Dramatiker wie Comella ausschließen, die ihren Erfolg der „Nachahmung erfolgreicher Klassiker der spanischen Dramenliteratur oder [...] der Übersetzung und Adaptation fremdsprachiger Stücke“ verdanken. Hoffmann (2017: 112). 201 Vgl. Hoffmann (2017: 114f.). 202 Vgl. Trigueros (1997: 112, v. 439). Pitanzos äußert dort an Cortines gewandt: „Me disteis unos cuartos [...].” 7. Vir faber und vir rusticus 453 Mehrung seiner ohnehin beträchtlichen Finanzen durch die Hochzeit zwischen Rufina und Rafa ist daher nicht Cortines‘ Ansinnen. Stattdessen geht es ihm um die bereits erwähnte gesellschaftliche Sichtbarkeit, die durch das Wortfeld um das Verb „lucir“ („porte lucido“; „lucirlo“, s.o.) verdeutlicht wird.203 Der sehnliche Wunsch des Schneiders, nicht mehr nur repräsentative Kleidung für Dritte herzustellen, sondern auch sich selbst und seine Familie modisch ‚glänzen‘ zu lassen, wächst in Trigueros‘ Komödie proportional mit seiner ceguedad. Was seine Geldmittel anbelangt, erkennt Cortines diese als eine Währung, die auf gesellschaftlicher Ebene nur einen geringen Gegenwert hat: [...] un artesano podrá juntar caudal, mas no ser rico. Donde no hay oropel, ¿qué sirve el oro si no puede servir para lucirlo? Si lo luce, lo afean y le achacan que su hacienda ganó con latrocinios.204 An dem, was man nach heutigem Verständnis als Glamour bezeichnen würde und hier durch das Substantiv „oropel“ (dt. „Flitter“) metaphorisiert wird, fehlt es dem Schneider gerade deshalb, weil er sein Geld mit einer profanen handwerklichen Tätigkeit verdient. Der Gelderwerb durch Handwerk wird hier gar mit dem Diebstahl („latrocinios“) gleichgesetzt, was den geringen gesellschaftlichen Wert der Arbeit neuerlich vor Augen führt, denn es wird ausgesagt, dass es unehrenhaft sei, für handwerkliche Tätigkeiten überhaupt einen monetären Gegenwert zu verlangen. Das mit dem Handwerksberuf erlangte Gold wiederum zahlt sich deshalb nicht aus – und hier kommt der Doppelsinn des Ausdrucks „no luce“ zum Tragen –, weil mit ihm eben kein gesellschaftlicher Glanz verbunden ist. Im Gegensatz zum sozialen Kapital eines guten unternehmerischen Rufes, um den der Textilfabrikant Eugenio in Iriartes La señorita malcriada besorgt ist, handelt es sich bei dem von Cortines angestrebten Kapital nur um ‚schönen Schein‘, wodurch auf motivischer Ebene erneut die Dichotomie von ser und parecer aufgeworfen wird. Indem Cortines seine Tochter mit einem Adeligen verheiraten möchte, legt er Wert auf den Schein und 203 204 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 50). Trigueros (1997: 102, vv. 221-226). 454 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vernachlässigt das Sein, d.h. seine Tätigkeit als Schneider. Die Dichotomie Schein vs. Sein ist mit dem durch den Schuster betriebenen engaño (im Sinne des Betrugs) und dem durch die Allianz um den Richter Juan erreichten desengaño (der Aufdeckung des Schwindels) motivisch verknüpft. Als weitere Fehlannahme des Schneiders erweist sich seine Erwartung, dass die Ausgaben für das parecer Rufinas und seinen Haushalt die erwartete gesellschaftliche Rendite in Form eines adeligen Schwiegersohnes erwirtschaften. Cortines‘ Kurzschluss von „gastar“ und „lucir“ wird durch den Satz „Si lo gasto [mi dinero], lo luzco, Justo mío”205 formuliert. Als sich mit der Enttarnung des falschen Barons herausstellt, dass es sich bei den für Rufinas Kleidung und das Fest getätigten Ausgaben um Fehlinvestitionen handelt, wird der Schneider in seinem Streben nach Sichtbarkeit abgestraft. So muss er sich in der letzten Szene „con voz sumisa“ seiner von Anfang an im Recht befindlichen Gattin Florentina zu Füßen werfen.206 In diesem Moment greift auch hier das Prinzip der Stellvertretung: Cortines‘ reumütiges Einräumen seiner Verfehlungen geschieht metonymisch für all die ehrgeizigen Bürgersleute im Publikum, die nun aufgerufen sind, sich ihrer Begehrlichkeiten zu schämen. Offenbart sich die Metonymie auch an dieser Stelle als eine zentrale rhetorische Figur, über die der ökonomische Reformdiskurs transportiert wird, so bestätigt dies Vogls These, dass das sentimentale Theater „zu einem dichten Kommunikationsraum gerade dadurch“ werde, „dass es ein mehrfaches Verwandlungsgeschehen initiiert, das auf der konsequenten Selbstverwechslung zwischen Zuschauern und Akteuren [...] beruht“.207 Hatten wir es bei den um den vir oeconomicus kreisenden sentimentalen Wirtschaftskomödien El hombre agradecido und La industriosa madrileña y el fabricante de Olot bereits mit Reihungen von Stellvertretern zu tun, die über die performativen Handlungen der Stücke hinaus auf die Gouvernementalität als Schaltstelle des aufklärerischen Reformdiskurses verwiesen, stoßen wir nun auf eine weitere Form der metonymischen Stellvertretung, die die dem Stück eigenen diskursiven Ausschlüsse betrifft: Das, was in Trigueros‘ neoklassischer Komödie vorgeblich – und affirmativ – über die Ehrbarkeit der Handwerker 205 Vgl. Trigueros (1997: 102, v. 248). Vgl. Trigueros (1997: 189: 1917): „Florentina, a tus pies quiero arrojarme.” 207 Vogl (2002: 107). 206 7. Vir faber und vir rusticus 455 gesagt wird, verleiht im Grunde der adeligen Angst vor der ostentativen Zurschaustellung des Wohlstandes seitens der durch Arbeit zu Geld gekommenen Handwerker Ausdruck. Diese suchen dem Adel den Rang abzulaufen, indem sie nach den Privilegien der Schichten streben, die bisher Macht, Reichtum und Einfluss für sich beansprucht hatten. Trotz aller Artikulationen einer bürgerlichen Mentalität im Theater der Epoche, wird auch hier deutlich, dass die oberste Schicht im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts nach wie vor der Adel ist. Im Bereich des moralisierenden theatralen Diskurses fungiert also der Erwerb glanzvoller Modeartikel als Symbol für den bürgerlichen Aufstiegswillen. Dessen Verkörperung ist in der vorliegenden Komödie nicht zuletzt deshalb ein Schneider, weil es dieser Berufsstand ist, der aus den Investitionen eines aufstrebenden Bürgertums in Modeartikel, die der Kleidung von Adel und Militär als den ranghöchsten gesellschaftlichen Schichten nachempfunden sind, das meiste Kapital schlägt. Aus diskursanalytischer Perspektive ist es gerade die in Trigueros Handwerkerkomödie instaurierte metonymische Kette, durch die sich die machtdiskursiven Brüche innerhalb des propagandistischen theatralen Diskurses offenbaren, sodass Trigueros‘ Absicht, den ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus und dessen feudale Basis zu zementieren, ins Leere läuft. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist das von Regierungsseite prämierte und anlässlich der Zwillingsgeburt der Infanten geschriebene Stück weniger eine Bestätigung der vorherrschenden gesellschaftlichen Ordnung als eine Offenbarung der inneren Widersprüche und Ängste des gouvernementalen Diskurses der spanischen Spätaufklärung. 7.3.3. Handwerkerschaft und Staatsbürgertum Sind die beiden mit ihrem Stand unzufriedenen Handwerker Cortines und Rafa die Sündenböcke von Trigueros‘ Komödie, so repräsentiert der Schneidermeister Justo, der als persönlicher Couturier des Richters Don Juan tätig ist,208 einen „menestral modélico“, der sich nicht an sozialen Rangfolgen und dem eigenen Platz darin stört, sondern dem es im Gegenteil genügt, ein staatstreuer „ciudadano honrado” und 208 Vgl. Trigueros (1997: 104). 456 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ein „buen Maestro“ zu sein.209 Obwohl der widerspenstige Cortines behauptet, dass Justo sich zu sehr an das Dienen gewöhnt habe und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringt, räumt er dennoch ein – und hier offenbart sich sein bürgerliches Kalkül –, dass Justo den kurz vor der Beförderung zum königlichen Berater stehenden Juan als Dienstherrn klug gewählt habe, stehe doch somit auch für Justo eine Verbesserung seiner aktuellen Position im Raum. Mira como a servir te acomodaste más bien que a eternizarte en tu ejercicio. Y haces muy bien. Hallaste un amo bueno: es Alcalde de Corte, es entendido, es prudente y sagaz; en pocos días subirá a Consejero. Con su arrimo, tú ascenderás, no hay duda. Un grande empleo te aguarda ya... Si no, ¿qué habrás perdido?210 Vor allem der letzte Vers mit der Frage „¿qué habrás perdido?“ verdeutlicht, in welchem Maß der ehrgeizige Cortines das gesellschaftliche Reüssieren als ein Geschäft von Geben und Nehmen betrachtet, für das Investitionen unerlässlich sind. Seine Charakterisierung Don Juans als „prudente“ und „sagaz“ ruft zwei wesentliche Eigenschaften des Figurentypus des Ordnungsstifters auf: Lebensweisheit und bürgerliche Tugend, die in der prudentia vereint sind. Zentral ist im Zusammenhang mit dem zitierten Dialog der von Justo verwendete Begriff des „ciudadano“ als Terminus der Politischen Ökonomie. Wie Aguilar Piñal in einer Fußnote zu Justos Replik anmerkt, findet sich dieser Begriff bereits im Mittelalter, ist aber dort noch vorrangig auf den Städter bezogen. „[El término] se hace más específico en la segunda mitad del siglo xviii, con un valor político que sería asumido por la Revolución, como sujeto de los derechos civiles derivados de la igualdad política.“211 Betont also Aguilar Piñal die Gleichheit vor dem Gesetz, die der Begriff des Staatsbürgers ab Mitte des 18. Jahrhunderts impliziert, bringt Ocampo Suárez-Valdés diesen seinerseits 209 Vgl. Aguilar Piñal (1997: 48, vv. 202; 262): „Para Justo [...] el ser plebeyo no es delito. [...] Lo más importante en la vida social es ser un ‚ciudadano honrado’.“ 210 Vgl. Trigueros (1997: 104f., vv. 267-274). 211 Trigueros (1997: 104, Fußnote 89). 7. Vir faber und vir rusticus 457 mit der generación de Campomanes in Verbindung, d.h. mit jener Generation von Ökonomen, darunter Ward, Olavide, Arriquíbar und Romá i Rosell, die die Schriften ausländischer Ökonomen wie den französischen Physiokraten rezipieren und daraus u.a. die Idee des Naturrechts übernehmen. Daraus resultiert eine Loslösung vom merkantilistischen Theoriehorizont und die Einleitung einer neuen Phase der Politischen Ökonomie: des Übergangs von einer feudalen ‚Ökonomie der Vasallen‘ zu einer ‚Ökonomie der Staatsbürger‘. Das vorrangige Interesse ist nun zumindest auf diskursiver Ebene nicht mehr die Mehrung des Reichtums des Souveräns, sondern die Mehrung des Reichtums der Individuen des Staates, deren Besitztümer in der Summe den Reichtum der Nation bilden.212 In Los menestrales verbindet sich das Konzept des Staatsbürgertums nur vordergründig mit dem Gedanken der igualdad, während der persönliche Reichtum des Schneiders kritisch gesehen wird. Der Fokus liegt vielmehr auf dem Gebot der Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten; und, wie die Beispiele Rafas und Cortines‘ zeigen, auf den negativen Konsequenzen, die deren Vernachlässigung mit sich bringt. Dies wird dem Publikum mit Hilfe einer Äußerung Juans kurz vor Ende des Stückes vor Augen geführt, in der der Richter als ordnungsstiftende Figur die Moral der Komödie in didaktischer Manier resümiert: [...] la nobleza se funda en la virtud y en el trabajo. Al sudor destinados nacen todos; el que busca con él lo necesario cumple con su deber, y es hombre bueno, digno por tal ser reverenciado. [...] Todos de un mismo tronco ramas somos. No hay más noble que el que es buen ciudadano, y el que más útil es, es el más noble, en bajo esté o en alto: tales grados de las necesidades son secuela: mas tan bueno es el alto como el bajo. Vivamos donde el cielo nos ha puesto.213 212 213 Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97). Trigueros (1997: 195, vv. 2020-2037). 458 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Preist Juan in seiner Eigenschaft als Richter des Hofes und Stellvertreterfigur des Monarchen zunächst die der Arbeit innewohnende Tugendhaftigkeit, um sodann mittels der Metapher des Baumes die Gleichheit der Bürger des Staates zu erklären, wird diese affirmative Bekundung einer vermeintlichen igualdad im letzten Vers wieder ausgehebelt. Zuvor wird betont, dass gesellschaftliche Anerkennung („ser reverenciado“) nur jenen durch Arbeit geadelten Fleißigen gebühre, die im Schweiße ihres Angesichts ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllten. Wie schon im Fall der bereits analysierten, den vir oeconomicus inszenierenden comedias económico-sentimentales, stoßen wir auch hier auf den im Kontext des aufklärerischen Nützlichkeitsprinzips stehenden Appell, dass sich der Einzelne zum Wohle des bien común als produktiv erweisen möge. Dies kann nur dann geschehen, wenn das Individuum den ihm zugedachten wirtschaftlichen Aufgaben nachgeht. Diese Grundidee aufklärerischen reformökonomischen Denkens wird weiter ausgeführt, wenn von der Proportionalität von ‚Adel‘ und ‚Nützlichkeit‘ die Rede ist („el que más útil es, es el más noble“), wobei das Adjektiv noble auf einen metaphorischen ‚Seelenadel‘ verweist. Scheint die Metapher der Äste ein und desselben Stammes, in die der Sprecher sich selbst einschließt, zunächst die Gleichheit aller Individuen des Staates zu affirmieren, verweist bereits die dem Bild vom Staat als einem Baum zugrundeliegende hierarchische Struktur darauf, dass von einer faktischen Gleichheit nicht die Rede sein kann. 214 Der Baum verzweigt sich vom Stamm bis zur Baumkrone oder reicht umgekehrt von den Wipfeln bis nach unten ins Wurzelwerk. Passend zur hierarchischen Struktur dieses Bildes ist im Folgenden auch von (sozialen) Abstufungen („grados“) die Rede, die – übrigens ohne weitere Begründung – für notwendig erklärt werden („de las necesidades son secuela“). Daran schließt sich die zentrale Aussage an, in der der Gleichheitsgedanke entkräftet wird, als Juan gleichermaßen an die auf der Bühne befindlichen Figuren und an das Publikum appelliert: „Vivamos donde el cielo nos ha puesto.“ Hier tritt neuerlich der von Aguilar Piñal konstatierte soziale Konformismus zutage, der im 214 Jehle (2010: 177) liest die betreffende Passage „Todos de un solo tronco ramos somos: / no hay más noble que el que es buen ciudadano“ primär als einen Moment, in dem Handwerker auf der Bühne erstmals „ihre Gleichheit einklagen”, räumt aber ein, dass das Bürger-Sein, dass die Staatsbürgerschaft hier beinhalte, zugleich an „produktive Arbeit“ gebunden sei. 7. Vir faber und vir rusticus 459 klaglosen Verweilen auf dem Platz besteht, der dem Einzelnen vom Schicksal zugedacht wurde. In einer vergleichenden Betrachtung dieses Aufzugs und der Eröffnungsszene offenbart sich die von Trigueros etablierte Ringstruktur: Die von Justo zu Beginn des Stückes formulierte Beobachtung der Unzufriedenheit seiner Mitmenschen mit ihrem gesellschaftlichen Los läuft am Ende auf Juans Bekräftigung der Natürlichkeit der bestehenden sozialen Hierarchie hinaus, die über die Baummetapher erfolgt. Fleiß wird in Trigueros‘ Komödie zwar hier und da gelobt, führt aber nicht zu einem gesellschaftlichen Aufstieg. Da dieser aus der Perspektive des aufgeklärten Absolutismus ohnehin nicht wünschenswert ist, kann es in Trigueros‘ Stück, das ideologisch dem aufgeklärten Absolutismus verpflichtet ist, allein darum gehen, das Bürgertum als produktives Element der spanischen Nationalökonomie zu noch größeren Leistungen anzuspornen, indem es rhetorisch den ‚Seelenadel‘ dieser Schicht bekundet. Dass die Figur des Richters Juan nicht nur ein Ordnungsstifter,215 sondern auch eine Stellvertreterfigur des Monarchen ist, und damit eine doppelte Funktion erfüllt, wird unter anderem anhand der Bühnenanweisungen ersichtlich, denen zufolge die Autoritätsperson Juan „con majestad“216 spricht, wenn es gilt, Rafa als Betrüger zu entlarven. Noch deutlicher wird Juans Stellvertreterfunktion, als dieser in Form eines Hendiadyoin performativ erklärt: „[...] Yo, en el nombre / del Rey nuestro Señor, le ordeno y mando.”217 Wie das folgende Zitat veranschaulicht, kennzeichnet die von Juan verkörperte Eigenschaft der prudentia spiegelbildlich auch den Monarchen, was die metonymische Funktion des Richters einmal mehr hervorhebt. In der Festszene, in der die von Cortines zunächst verborgen gehaltenen Bauten und Lichtspiele endlich enthüllt werden, erfolgt in Form eines von den Figuren Rafa, Rufina, Clara und Justo vorgetragenen Lobliedes auf Carlos III. ein langes Herrscherlob, in dem der Monarch als ‚Quelle‘ und Förderer der Wirtschaftszweige Handel und Industrie sowie der Wissenschaften ausgewiesen wird. In dieser Funktion ist er imstande, die 215 Zur ordnungsstiftenden Funktion Juans vgl. Trigueros (1997: 187). Der Richter gibt das von Rafa erschwindelte Geld an die rechtmäßigen Eigentümer zurück und stellt so die von Rafa durcheinandergebrachte Ordnung wieder her. 216 Vgl. Trigueros (1997: 183, v. 1776). 217 Trigueros (1997: 181, v. 1755 sowie 183, v. 1775). 460 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ökonomische Krise („pobreza“) in Wohlstand („riqueza“) zu verwandeln. An dieser Stelle wird der Bezug des Stückes zum ökonomischen Reformdiskurs offensichtlich: Del comercio, del cultivo, de la industria y de la ciencia, fuente es, Carlos, tu prudencia, ya el ibero es rico, activo, industrioso, y sirve a Dios. Vuelve a ver lustre vivo por vos, Carlos, la riqueza y en riqueza la pobreza transformada está por vos.218 Das hier erfolgende Herrscherlob wird ebenso dem festlichen Anlass der Aufführung von Trigueros‘ Stück wie der Erwartungshaltung der Jury gerecht, der Monarchie im Rahmen der theatralen Fiktion gebührend zu huldigen. Daher wird auch der Maquinista im Nebentext angewiesen, in das auf der Bühne befindliche Dekor zahlreiche Anspielungen auf die Geburt der königlichen Zwillinge und den Friedensschluss mit England einzubauen: Déjase esto a la libre invención del Maquinista, pero sin que éste deje de arreglarse a las más graciosas alusiones a la presente Paz y al feliz nacimiento de los Serenísimos Infantes. En los faroles y luces de colores podrán acomodarse letreros alusivos, como CARLOS, FELIPE, LUISA, etc. Debajo un sencillo y magnífico arco muy bien inventado e iluminado, estará la estatua ecuestre del R.N.S. que van a coronar de laurel algunas virtudes.219 In diesem Zusammenhang zeigt sich ein weiterer diskursiver Bruch innerhalb des Dramentextes: Einerseits werden Cortines‘ Ausgaben für die Festlichkeiten als Verschwendung seines mühsam verdienten Geldes angeprangert, denn der durch das Fest symbolisierte Wunsch des Schneiders, durch Ostentation zu glänzen, fällt bereits in der ersten Szene der Kritik der übrigen Figuren anheim. Andererseits sind es aber gerade die als moralisch verwerflich gebrandmarkten Festlichkeiten, in die Trigueros sein explizites Königslob einflicht. Das auf der 218 219 Trigueros (1997: 177, vv. 1687-1695). Trigueros (1997: 176.). 7. Vir faber und vir rusticus 461 Bühne inszenierte Fest, das im Rahmen der von der Krone tatsächlich veranlassten Festivitäten die Monarchie feiern soll, entspringt auf Handlungsebene der von der Moral der Komödie abgestraften Eitelkeit des ehrgeizigen Schneiderleins, und müsste daher mit all seinem Luxus (den marmornen Statuen, goldenen Inschriften, den Blumen und Girlanden, der Musik und den Illuminationen) ebenfalls moralisch verurteilt werden. Dieser Widerspruch resultiert aus Trigueros‘ Bemühen, dem Ausschreibungstext des Wettbewerbs Genüge zu tun, indem er die an optischen und auditiven Reizen reiche Festszene als ‚Bonbon‘ für das Publikum bereithält und damit zugleich den festlichen Anlass der Aufführung würdigt. Was das Prinzip der Stellvertretung des Monarchen durch Funktionsträger der Krone anbelangt, das hier über die Figur des königlichen Richters Juan inszeniert wird, veranschaulicht dieses den Umkehrschluss des von Hobbes geschilderten Umstands, dass „der Staat eines jeden Stellvertreter“ ist, sodass aus „der Vielzahl der Individuen eine Person hervorgebracht oder ausgetragen“ wird, und mit dieser wiederum „das Als Ob der Repräsentation“.220 Die Handwerkerkomödie Los menestrales zeigt, dass das von Vogl als theatrales Prinzip der Politischen Ökonomie benannte ‚Als Ob der Repräsentation‘ in seiner dramatischen Inszenierung auf der Bühne in zweierlei Richtungen verläuft: Einerseits repräsentiert der Staat den Einzelnen; andererseits sind die vielen Einzelnen eines Staates im Staatsapparat vereint, an dessen Spitze unbestritten der Souverän steht. Daher ist es nicht jedem Beliebigen vergönnt, den Staat zu repräsentieren, weshalb dies im neoklassischen Theater, das sich als Sprachrohr des aufgeklärten Absolutismus begreift, einzig den vom Monarchen autorisierten staatlichen Würdenträgern zusteht. Damit verdeutlicht Trigueros‘ Komödie einmal mehr den Umstand, dass es sich beim Pastoratsprinzip um ein Autoritätsprinzip handelt. Vor dem Hintergrund der propagandistischen Funktion des neoklassischen Theaters als einer ‚Schule des Volkes‘ fingiert die theatrale Inszenierung des Pastoratsprinzips, dass es sich dabei um eine natürliche und nicht infrage zu stellende Ordnung handelt. 220 Vogl (2002: 23) mit Bezug auf Hobbes, Thomas (1984): Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, ed. Iring Fetscher, trans. Walter Euchner. Frankfurt/Main: Suhrkamp, p. 123. 462 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.3.4. Bürgerlichkeit im Dienst des aufgeklärten Absolutismus Trigueros‘ Handwerkerkomödie veranschaulicht den Versuch, einen politisch-ideologisierten Begriff von Bürgerlichkeit auf der Ebene des theatralen Diskurses mit dem ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus in Einklang zu bringen. Die Kompatibilität beider Konzepte ist nur dann möglich, wenn Bürgerlichkeit als (moral-)ökonomische Größe in den Dienst der Politischen Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus gestellt wird. Genau diese Instrumentalisierung vollzieht Trigueros‘ Stück. Die darin vorgenommene Kopplung der Themen ‚Handwerk‘ und ‚Arbeit‘ an eine Moralökonomie ist kein Spezifikum des 18. Jahrhunderts. So hat Farr gezeigt, dass mit der körperlichen Arbeit seit Thomas von Aquin und den Scholastikern immer auch eine Moralökonomie verbunden war: „Medieval theologians [...] conceived of work in moral terms. [...] The value of labor was not its productive capacity, but its moral force.“221 Wird die Arbeit in der mittelalterlichen Scholastik infolge einer zunehmenden Augustinusrezeption zu einer quasi ‚spirituellen Disziplin‘, ist sie im spanischen neoklassischen Theater eine produktive Größe im Dienst der Politischen Ökonomie, die den absolutistischen Staat vor die Herausforderung stellt, den Aufstiegswillen des arbeitenden Bürgertums in geordnete politische Bahnen zu lenken und der pyramidalen Hierarchie des feudalen Systems zu unterwerfen. Im selben Maße wie der als Unternehmer tätige ciudadano aus wirtschaftspolitischer Sicht ein Instrument zur Erhöhung der brachliegenden Produktivität der spanischen Nation ist, erweist sich auch der als Staatsbürger ausgewiesene Handwerker im neoklassischen Theater als Element einer Didaxe, die dem bürgerlichen Publikum die ihm vom Staat zugewiesene Rolle sowohl diskursiv als auch performativ vor Augen führt. Der Los menestrales eigenen Metaphorik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zufolge wird der Bürger überhaupt nur dann im positiven Sinne ‚sichtbar‘, wenn er die ihm zugewiesene gesellschaftliche Rolle auf dem ihm zugewiesenen Platz der ständischen Hierarchie erfüllt. Erst dann ist eine rhetorische Anerkennung möglich. Analog zu dieser Feststellung kommt auch Jacobs bezüglich der Real Cédula von 1783 zu dem Schluss, dass die Ständeordnung in ihr unangetastet bleibt: 221 Farr (2000: 12). 7. Vir faber und vir rusticus 463 „Angestrebt wurde nicht die prinzipielle Gleichheit aller Staatsbürger, sondern ausschließlich ihre Gleichheit bezüglich der Ehre in den vorgegebenen Grenzen der sozialen Hierarchie.“222 Mit Blick auf Trigueros‘ Komödie bemerkt er, dass gerade die Schlussszene den Grundgedanken des königlichen Erlasses formuliere, dass der Handwerker seinen angestammten Platz in der feudalen Hierarchie „zum Wohle des Staates und zum Nutzen seiner Bürger“223 nicht verlassen dürfe. Das Ideal eines maestro honrado wird entsprechend durch den angepassten und dienstbaren Schneider Justo personifiziert, der sich weder durch finanzielle Potenz noch durch besonderen Ehrgeiz auszeichnet. Einem Bürgertum, dass bestrebt ist, sich der herrschenden ständischen Hierarchie zu entziehen, indem es durch den Erwerb von Statussymbolen wie Kleidung und Schmuck sowie durch die Ausrichtung von Festen in Konkurrenz zum Adel tritt, führt Trigueros‘ Handwerkerkomödie damit paradoxerweise vor Augen, dass nur ein angepasster Bürger, der klaglos seine Pflicht erfüllt, ein guter ciudadano ist. Dennoch sind es die beiden renitenten, mit ihrem Aufstiegswillen gegen die absolutistische Ordnung aufbegehrenden Handwerker Cortines und Rafa, die auf der Bühne den größten Raum einnehmen. Dass sie den Motor der Handlung bilden, zeigen nicht zuletzt ihre langen Redeanteile.224 Auch wenn die Moral der Komödie die beiden am Ende abstraft, haben sie in dem Schauspiel gerade wegen ihrer moralischen und ökonomischen Verfehlungen225 eine größere Präsenz als die stromlinienförmigen, im Sinne der herrschenden Moral konzipierten Figuren Justo, Rufina226 und Juan. Auch dieser Umstand bedeutet einen unwillentlichen Bruch im gouvernementalen Propagandadiskurs. 222 Jacobs (1996b: 88). Jacobs (1996b: 90). 224 In Analogie zu Cortines‘ eingangs erfolgendem Exkurs über das geringe Ansehen des Handwerkers steht ein ähnlich ausufernder Monolog Rafas, der der einzige dieser Länge in Trigueros‘ Stück ist. Dort schmäht der Schuster Handwerk und Arbeit aus der Perspektive des ehemals Werktätigen. Statt einer handwerklichen Tätigkeit nachzugehen plädiert Rafa dafür, aus der „necedad común“ durch betrügerische Handlungen Kapital zu schlagen. Vgl. Trigueros (1997: 134f., vv. 851-884). 225 Auf moralischer Ebene sind dies Cortines‘ metaphorische Blindheit und Rafas Betrug, auf ökonomischer Ebene ihre Handwerksflucht und ihr Hang zur Verschwendung. 226 Cortines’ Tochter Rufina personifiziert die Tugend des töchterlichen Gehorsams, der bis zur Selbstaufgabe reicht, ist sie doch bereit, den von Cortines ausgewählten Ehemann zu heiraten, ohne seinen Namen zu kennen. Damit nimmt sie in Kauf, dass Rafa, den sie verabscheut, ihr zukünftiger Gatte sein könnte. Vgl. Trigueros (1997: 223 464 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.4. Der soziale Aufstieg des vir faber in Valladares de Sotomayors El carbonero de Londres (1790) Valladares de Sotomayors 1790 uraufgeführte Komödie El carbonero227 de Londres fokussiert mit ihren beiden Protagonisten, den Bergleuten Ricardo und Genaro, zwei Figuren aus der Gruppe der rohstofffördernden Berufe, die ihren Lebensunterhalt mit dem Abbau von Kohle als einer ebenso schweren wie schmutzigen Arbeit bestreiten. Nur wenige mit der Förderung von Rohstoffen befasste Berufe wie den des Bergmanns zählt Healey in seiner Studie zum homo faber im 18. Jahrhundert zu den handwerklichen Tätigkeiten: „Only in one or special cases, such as mining, is the term [homo faber] here considered to cover primary producers.“228 Interessant ist, dass es gerade der mit dem Abbau von Kohle herkömmlich assoziierte Schmutz ist, der im Stück allenthalben metaphorisch Verwendung findet, aber nicht etwa auf die beiden Bergleute, sondern auf den adeligen Antagonisten umgewendet wird. In seiner Materialität spielt der Kohlenstaub vermutlich aus Gründen des Dekorums keine explizite Rolle; keine jedenfalls, die anhand der Bühnenanweisungen oder Repliken ablesbar wäre. Die Handlung des Stückes beruht auf einer Reihe zufälliger Begegnungen und Ereignisse, verborgener Identitäten und der Akkumulation plötzlich offenbarter Familiengeheimnisse, die wiederum Auslöser zahlreicher Handlungsumschwünge sind. Kennzeichnend für die Struktur des Stückes ist damit der „Handlungsüberschuss“229. Dieser wird autoreferenziell, ja geradezu selbstironisch durch die Figur der Isabela, die Tochter des titelgebenden Bergmanns, zur Sprache 136, 140, 155 und vor allem 156, vv. 1308f.): „quiero sufrir, llorar, desdichada, / y que viva mi padre en su contento.” 227 Die wörtliche Übersetzung des spanischen Begriffs „carbonero“ist „Köhler“ oder „Kohlenhändler“. Der Köhler bezeichnet jedoch im Deutschen jemanden, der Holzkohle herstellt, der Kohlenhändler den, der Kohle verkauft. Gemeint ist im vorliegenden Stück aber der Bergmann, der Steinkohle abbaut. Vgl. Valladares (1790: 20): „Ric. [...] á exercitar fui mi oficio / al monte, que es sacar piedra / para hacer carbón [...].” 228 Healey (1963: 838). 229 Zum Begriff des „Handlungsüberschusses“, der auf Fuldas These von der „Strukturhomologie“ zwischen Geldmarkt und Komödie basiert, vgl. Fulda (2005: 23) sowie, bezogen auf spanische neoklassische Komödien des 18. Jahrhunderts, Schuchardt (2014: 280). 7. Vir faber und vir rusticus 465 gebracht, wenn sie von einer ‚romanesken’ Verkettung von Ereignissen binnen eines einzigen Tages spricht: Valgame Dios, Jayme, quantas cosas hoy se nos presentan en casa; y tan raras, que parecen á las Novelas, que por las noches de Invierno nos relataba mi Abuela!230 Obwohl in Valladares‘ Stück die Einheit der Zeit gewahrt bleibt, kann von einer Einheit des Ortes und insbesondere von einer Einheit der Handlung nicht die Rede sein. Der turbulente, bald im Wald, bald in Haus und Garten des Bergmanns angesiedelte Plot, besteht im Gegenteil aus einer Serie von Verstößen gegen die neoklassische Doktrin der verosimilitud. Von den verworrenen Handlungssträngen seien hier nur die für das Verständnis der Komödie wichtigsten erwähnt: Wie viele Stücke Valladares de Sotomayors spielt auch diese Komödie in England. Im Londoner Umland wird der Bergmann Ricardo im Morgengrauen heimlicher Zeuge, wie der Adelige Rusban gemeinsam mit seinem Diener Eduardo eine große Truhe im Wald vergräbt. Ricardo birgt die Kiste gemeinsam mit seinem Sohn Genaro, stößt dabei aber nicht auf den erhofften Schatz, sondern auf die Adelige Enriqueta. Diese war auf Veranlassung ihres Verehrers, des eifersüchtigen Lord Rusban, vergiftet und lebendig begraben worden, vermutete dieser doch einen Nebenbuhler. Als Enriqueta aus ihrer Ohnmacht erwacht, die Rusbans mitleidiger Diener Eduardo statt durch Gift durch ein harmloses Elixier herbeigeführt hatte, bittet sie die beiden Bergleute um Beistand. Daraufhin beschließen sie, Enriqueta Unterschlupf zu gewähren. Auf dem Rückweg in ihre Bleibe treffen Vater und Sohn, ohne es zu ahnen, auf den König, der auf der Jagd von seinem Gefolge getrennt wurde und nun ohnmächtig vor ihnen zusammenbricht. Auch ihn nehmen die Bergleute bei sich auf. Während das königliche Gefolge nach dem abhandengekommenen Souverän fahndet, darunter Lord Rusban, der seinerseits auf der Suche nach Enriqueta ist, nachdem er erfahren hat, dass sie noch lebt, entwickelt diese Gefühle für ihren Retter Genaro. Um sich für seine Rettung erkenntlich zu zeigen, 230 Valladares (1790: 11). 466 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien stellt der seine wahre Identität verbergende König Genaro einen Posten bei Hofe in Aussicht.231 Als Rusban und das königliche Gefolge schließlich auf das Haus des Bergmanns und dort auf den Herrscher und Enriqueta treffen, agiert der Souverän als Schiedsmann und Ordnungsstifter: Er spricht Enriquetas Hand zunächst dem sich reuig zeigenden Rusban zu, bis Rusbans Diener Eduardo schließlich bekennt, dass Enriqueta in Wahrheit seine eigene Tochter ist, die Rusbans Tante Aurelia nach einer heimlichen Eheschließung mit Eduardo im Verborgenen geboren hatte. Dem nicht genug, offenbart sich Eduardo zugleich als der einst in den überseeischen Kolonien verschollene Bruder Ricardos. Da eine Ehe zwischen Rusban und Enriqueta angesichts der zwischen ihnen bestehenden Verwandtschaftsbeziehung unmöglich ist, gibt der König Enriqueta schließlich Genaro zur Frau, nachdem er ihn zum „capitán del Regimiento“232 befördert hatte. Dass auch Genaro, wie sich herausstellt, durch die Geschwisterbeziehung zwischen Ricardo und Eduardo mit Enriqueta blutsverwandt ist, spielt für das gute Ende keine weitere Rolle mehr. Allgemein bleibt bezüglich dieser und ähnlicher Plotstrukturen festzuhalten, dass die Finte der Blutsverwandtschaft meistens dann zum Einsatz kommt, wenn es gilt, die plötzlichen Umschwünge innerhalb des Liebesplots zu begründen.233 Auch wenn die Bergleute Ricardo und Genaro aus Gründen des Dekorums nicht beim Abbau von Kohle gezeigt werden, ist der gleich zu Beginn des Stückes angesiedelte Moment, in dem sie die Truhe mit dem in ihr vermuteten Goldschatz mühsam ausgraben, eine metonymische Darstellung der täglichen Mühsal des Bergmanns, der das ‚schwarze Gold‘ für den täglichen Broterwerb dem Erdreich abringen muss. Erhellend ist in diesem Zusammenhang Ricardos Replik unmittelbar nach der Bergung der Truhe. Seine Rede wird mit der im Nebentext erwähnten Geste, mit der er sich den Schweiß von der Stirn wischt, dramatisch untermalt: 231 Vgl. Valladares (1790: 17): „[...] Yo haré que sea / favorecido del Rey, / y que al instante le ascienda / á un buen empleo.“ 232 Valladares (1790: 19). 233 So berichtet Enriqueta nach ihrer Rettung durch die Bergleute, dass sie sich jahrelang als Rusbans Schwester gewähnt hatte, was ihr seine wachsende Leidenschaft umso unerträglicher gemacht hatte. Vgl. Valladares (1790: 14): „Le aborrezco: Aquella / pasión que le tuve como / á hermano, fue horror apenas / me manifestó el papel, / en que su padre confiesa / que yo no era hermana suya.“ 7. Vir faber und vir rusticus 467 Ric. Por Dios, me siento Limpiase el sudor más cansado que si hubiera trabajado un día entero con el azadón. A casa no es posible la llevemos los dos sólos.234 Jenseits der vorausdeutenden Funktion, die das hohe Gewicht der Truhe im Hinblick auf ihren Inhalt hat, trifft Ricardos Äußerung, die Kiste zu bergen sei mühseliger als ein ganzer Arbeitstag mit der Spitzhacke, zugleich eine Aussage über den Wert Enriquetas, die hier den Platz des „metal precioso“235 einnimmt, das Genaro in der Truhe vermutet hatte. Enriquetas metaphorischer Stellenwert als Ware und Schatz, deren Wert das erhoffte Edelmetall an Kostbarkeit noch überwiegt, soll an späterer Stelle erörtert werden. Widmen wir uns zunächst dem ökonomischen Kalkül, das Genaro motiviert, seinem Vater bei der Bergung des Schatzes zu helfen, und das wiederum seinen bürgerlichen Aufstiegswillen offenbart. Genaro möchte sich mit dem Gold, das er in der Truhe vermutet, nicht etwa zur Ruhe setzen. Vielmehr beabsichtigt er, die himmlische Gabe des zufällig vorgefundenen Schatzes in ein Studium zu investieren, um die erworbene Bildung sodann zum Wohle der patria einzusetzen: Gen. Pues ya que benfico el Cielo esta dicha nos presenta el arca desenterremos, y hagamos nuestro el tesoro que ellos [los bandoleros] robaron: Con esto podemos ir á la Corte à vivir; tener sosiego, usted, sin mas trabajar, 234 Valladares (1790: 5). Auf den körperlich fordernden Aspekt seiner Arbeit kommt Ricardo auch zu sprechen, als es darum geht, Steinkohle aus dem Berg zu schlagen. Vgl. Valladares (1790: 20), s.o.: „[...] sacar piedra [...].“ 235 Valladares (1790: 5). 468 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien y dar yo adelantamientos á mi cuna humilde en el estúdio, á cuyos progresos, si son felices, la Patria, premiandolos, dá fomento.236 Der Bezug zum ökonomischen Reformdiskurs und zu den Idealen der Aufklärung ist hier offensichtlich, tritt das ‚Vaterland‘ doch auch in diesem Stück als eine Instanz auf, die die Fleißigen und Erfolgreichen entlohnt. Dass Genaro und seinem Vater am Ende tatsächlich der gesellschaftliche Aufstieg gelingt, als der König Genaro nicht nur zum Hauptmann macht, sondern Ricardo überdies zum Mitglied seines Parlaments ernennt,237 verdanken beide ihrer caritas, die in Valladares‘ Stück als ‚Naturgesetz‘ erscheint und ihnen geboten hatte, den ohnmächtigen Fremden bei sich aufzunehmen.238 Anders als in Trigueros‘ neoklassischer Komödie Los menestrales, in der die Handwerksflucht Rafas und Cortines‘ sowie der Aufstiegswille des reichen Schneiders abgestraft werden, sehen sich Genaros Ambitionen in Valladares‘ populärem Stück durch die Heirat mit Enriqueta sowie durch den sozialen Aufstieg von Vater und Sohn gleich dreifach belohnt. Im Gegensatz zu Cortines möchte Genaro allerdings nicht durch Ostentation glänzen, sondern sich mit dem ersehnten Schatz als Startkapital ‚nach oben‘ arbeiten, was nicht nur dem aufklärerischen Bildungsideal entspricht, sondern auch das reformökonomische Desiderat einer in berufliche Bildung investierenden Handwerkerschaft einlöst. Dass auch Cortines sein Kapital mühsam erarbeitet hatte, ist in Trigueros‘ Komödie vor allem deshalb von geringem Wert, weil der ehrgeizige Schneider versucht, dem Adel auf der Ebene der Festkultur als ureigenstem Terrain des Höfischen Konkurrenz zu machen. Während Genaro in Valladares‘ sentimentaler Komödie das Pars pro Toto einer aufstiegswilligen Jugend ist, deren sozialer Ehrgeiz also gerade keine bedrohlichen Kapriolen schlägt, sondern durch das aufklärerische Ideal der Bildung und den reformökonomischen Gedanken 236 Valladares (1790: 5). Vgl. Valladares (1790: 30). 238 Die besagte Verpflichtung zur caritas formuliert Ricardo als „una obligación, que / la sabia Naturaleza / nos impone“, was ihm die Anerkennung des Königs angesichts einer solch ‚aufgeklärten‘ und vernunftgeleiteten Denkweise einbringt: „Un Carbonero / así raciocina, y piensa.“ Valladares (1790: 16). 237 7. Vir faber und vir rusticus 469 der notwendigen Produktivität des Einzelnen für den bien común in sichere Bahnen gelenkt ist, verkörpert Ricardo mit seinen moralischen Bedenken hinsichtlich der Herkunft des Schatzes, von dem er mutmaßt, dieser sei Diebesgut,239 den sozialen Konformismus der älteren Generation. Diese hält es mit dem sich aus dem Christentum speisenden, freilich nur für die unteren Schichten geltenden Glaubenssatz, dass Gold den Charakter verdirbt: „Hijo, te advierto / que el oro es perjudicial / al que le abriga en el seno / de su corazón con ansia.“240 In Analogie zur Figur Celestinos aus Fermín del Reys La modesta labradora (vgl. Kap. 7.6) hegt auch Ricardo Vorbehalte gegen den Hof, der ihm als chaotisches „Babel“ und Ort der Täuschung erscheint: Ric. La Corte, según la idea que me propuse, es lo mismo que un Babel, porque se encuentra ninguna, o poca verdad, habiendo infinitas lenguas. La tranquilidad allí no se conoce, pues reyna en todos sus moradores una confusión eterna. 241 Es ist letzten Endes nicht nur Ricardos Fähigkeit zum aufgeklärten Denken, sondern die ihn ebenso wie seine Tochter Isabel auszeichnende moralische Unverdorbenheit („inocencia“),242 die den König veranlasst, den einfachen Bergmann zum Parlamentarier zu machen. Dieser für spanische Verhältnisse undenkbare und allzu märchenhafte Aufstieg eines einfachen Arbeiters zum Politiker ist – ebenso wie die aus Sicht der kirchlichen Zensoren intolerable Drohung Enriquetas, sich das Leben zu nehmen,243 sollte sie gezwungen sein, Rusban zu 239 Vgl. Valladares (1790: 4). Valladares (1790: 4). 241 Valladares (1790: 16). 242 Vgl. Valladares (1790: 19). Diese „inocencia“ sieht der König auch bei Ricardos Tochter Isabela gegeben: „Rey. Déjala [a Isabela hablar], / que me gusta su inocencia.“ 243 Wenn Tietz bemerkt, dass aufgrund des „zentrale[n] Tabu[s] in der religiösen Moral [...] in der spanischen Literatur seit dem Siglo de oro der Selbstmord nicht mehr thematisiert wurde“, so kann diese These für das Theater des 18. Jahrhunderts insofern 240 470 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ehelichen –,244 ein Grund für die Verlagerung der Handlung nach England, die eben nicht nur der Mode der ‚Anglomanie‘ folgt, sondern wie schon im Fall von El fabricante de paños auch hier dazu dient, die Zensur zu umgehen. 7.4.1. Das Pastoratsprinzip: Der Souverän als Vaterfigur und Deidad Ähnlich wie Duráns neoklassisches Lehrstück über den Fabrikanten von Olot inszeniert auch Valladares‘ populäre comedia económico-sentimental El carbonero de Londres das Pastoratsprinzip. In diesem Zusammenhang erscheint der Souverän zum einen als wohlwollend über sein Volk wachender Paternalist:245 Rey. Pero no sabeis, que el Rey incesantemente vela por el bien de sus Vasallos, que como a hijos los aprecia.246 Zum anderen wird der Stellenwert des Monarchen als Stellvertreter Gottes auf Erden hervorgehoben, in dessen Person sich der Glanz der göttlichen Allmacht widerspiegelt und dem es deshalb zu huldigen gilt. Auch in Valladares‘ Stück tritt also die mit dem Pastoratsprinzip verbundene religiöse Metaphorik in den Vordergrund, womit die Einheit von Staat und Religion bekundet wird:247 nuanciert werden, als zwar auf der Bühne kein Selbstmord stattfindet, dieser aber angedroht wird. Tietz, Manfred (1986): „Die Aufklärung in Spanien – eine Epoche ohne Roman?“. In: Poetica, 18, pp. 52-74, hier p. 62. Das gilt für Valladares‘ bereits untersuchte comedia económico-sentimental um den Textilfabrikanten Wilson (vgl. Kap. 6.4.2) genauso wie für sein im Folgenden analysiertes Stück El trapero de Madrid (1782). 244 Vgl. Valladares (1790: 19): „Genaro mío, / antes que de tí me aparten, / mi vida daré a un cuchillo.” 245 Einen solchen dem Regenten zugewiesenen „aspecto paternal“ sieht Andioc, vgl. (1987: 214), auch in Moratíns La comedia nueva gegeben. 246 Valladares (1790: 17). 247 Dies entspricht Pietschmanns Feststellung hinsichtlich der Einheit von Staat und Kirche im spanischen 18. Jahrhundert. Vgl. Pietschmann (2005: 198). „Trotz aller regalistischen Politik hat der Staat die Kirche und ihre gesellschaftlichen Funktionen als festen und unersetzlichen Bestandteil der inneren Ordnung angesehen.“ 7. Vir faber und vir rusticus 471 Ric. Oh Principe amado mío! La Divina Omnipotencia te dé las felicidades que mi alma te desea. Señor, aunque el Rey es hombre, es Deidad, en quien se observa del Altísimo una imagen, muy digna de reverencia.248 Interessant ist in diesem Dialog des Bergmanns Ricardo mit dem sich als Sohn eines Edelmanns ausgebenden Souverän die dem Monarchen zugeschriebene Eigenschaft, ebenso Zugang zur göttlichen Sphäre zu haben wie für die bescheidenen Nöte des einfachen Mannes offen zu sein. Der Souverän wird damit in der althergebrachten Weise als Bindeglied zwischen dem Göttlichen und dem Profanen inszeniert. Er ist aber nicht nur eine dem Weltlichen enthobene Deidad, sondern handelt – das ist der neue Aspekt – wie gewöhnliche Menschen: Als „hombre como los demás“ lauscht er den Klagen der einfachen Leute.249 In diesem Zusammenhang wird eine Parallele zwischen der Figur des Monarchen und Christus gezogen, der aus christlicher Sicht zwar der Sohn Gottes ist, aber als Mensch unter Menschen lebte und als solcher starb. Damit spielt Valladares‘ Dramentext auf die „zwei Körper des Königs“ im Sinne Kantorowiczs an, den politischen (body politic) und den natürlichen (body natural).250 Bemerkenswert ist in der zitierten Passage das Insistieren auf der Funktion des Monarchen als ‚verlängerter Arm Gottes‘, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird die sich nicht auf das Politische beschränkende, sondern sich auch auf das Religiöse erstreckende Autorität des Monarchen affirmiert, eine Zuschreibung, die zwar traditionell ist, hier aber vor dem konkreten historischen Hintergrund der bourbonischen Bemühungen zu sehen ist, eine spanische Nationalkirche unter Schirmherrschaft der Krone zu instaurieren und so den Einfluss Roms auf die spanischen 248 Valladares (1790: 17). Valladares (1790: 17): „[...] Desprecia [mi Rey] / al humilde acaso? No oye / con benignidad sus quejas, / y enjuga el llanto á los que / con él á sus plantas llegan?“ 250 Vgl. Kantorowicz (1990: 37). 249 472 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Angelegenheiten zu reduzieren.251 Wenn der König nicht nur mit göttlicher Gnade regiert, sondern zum Stellvertreter Gottes auf Erden avanciert, wird der Papst für die durch die Krone angestrebte spanische Nationalkirche obsolet. Auch bezüglich dieses politischen Ziels stellt sich Valladares‘ Stück in den Dienst der absolutistischen Propaganda. Zum zweiten ist der Rekurs auf eine Allianz von Gott und Königtum vor dem historischen Hintergrund, vor dem er erfolgt, auch anderweitig erhellend: Die göttliche Stellvertreterfunktion des Königs inszeniert Valladares just zu einem Zeitpunkt, als der Verweis auf die göttliche Legitimation der weltlichen Machtausübung nicht mehr ausreicht, um die Regentschaft des Souveräns zu rechtfertigen. Für MacLachlan ist dieses kritische historische Moment mit der Regentschaft Carlos‘ III. erreicht: The positive assumption that the monarchy reflected divine benevolence, even if not immediately recognizable, no longer provided political support. Economic progress and material well-being became the yardstick, and the state became accountable. Concrete criteria emerged for evaluating a government’s effectiveness that touched on its right to rule. The most Catholic monarch became the comerciante principal – from vicar of God to the custodian of material progress.252 Es ist davon auszugehen, dass Valladares als Herausgeber des Semanario erudito den dort 1780 abgedruckten Artikel von Macanaz „Auxilios para bien gobernar una monarquía católica“ gekannt hat, in dem Macanaz das Konzept vom König als oberstem Kaufmann ausführt. Indem Valladares‘ Komödie die göttlichen Aspekte des Monarchen mit seiner Menschlichkeit korreliert, dessen bereits skizzierte 251 Vgl. hierzu López-Cordón Cortezo (2015: 28): „[...] if they [the Spanish Bourbons] were more absolutist than their ancestors, this was due to their increasing control over the Spanish Church and the efforts to break away from Rome.” Vgl. auch ibid., p. 29: „Spanish regalists wanted a ‚national‘ Church, so their anti-Romanism would in time converge into episcopalism.“ Manifestationen der emanzipatorischen Bemühungen der Krone finden sich in einer Reihe von Regierungsentscheidungen, etwa der Universitätsreform, im Zuge derer die Universitäten von der kirchlichen in die staatliche Hand übergehen, oder in der Ausweisung der Jesuiten 1767 (vgl. Kap. 3). 252 MacLachlan (1991: 86). 7. Vir faber und vir rusticus 473 Funktion als ‚Manager der felicidad pública‘253 aber keine Rolle spielt, markiert das Stück die Schwelle des Übergangs von einem religiösen zu einem zunehmend säkularen Selbstverständnis des Königtums. In El carbonero de Londres ebenso wie in den meisten der übrigen hier analysierten comedias económico-sentimentales manifestiert sich dieser Übergang in Form einer Rückbindung des Ökonomischen an das Religiöse. Die von MacLachlan beschriebene historische Schwelle des Übergangs von einer religiösen zu einer ab den 1760ern notwendig werdenden säkularen Legitimation der königlichen Macht, vermag eben jene Kopplung des Themas Wirtschaft an den Glauben zu erklären, die für die Mehrzahl der im Rahmen unserer Studie untersuchten sentimentalen Wirtschaftskomödien über den vir oeconomicus und den vir faber charakteristisch ist. Der Rückbindung an die Religion bedarf das dem Weltlichen zuzurechnende Feld des Ökonomischen deshalb, weil es noch im Begriff ist, sich im Zuge der Säkularisierungsprozesse des 18. Jahrhunderts von ihr zu emanzipieren. Gerade weil der Katholizismus ein zentraler Bestandteil der populären Alltagskultur ist, ist dieser Prozess weiten Teilen des Publikums nur schwer zu vermitteln, was dazu führt, dass das sentimentale Wirtschaftstheater der spanischen Spätaufklärung ohne das Religiöse nicht auskommt. 7.4.2. Adeliger Zorn und bürgerlicher Seelenadel Wird in El carbonero de Londres also auf der einen Seite die Exzeptionalität des Monarchen affirmiert, kennzeichnet auch dieses Stück auf der anderen Seite die epochentypische Adelskritik. Diese entwickelt sich anhand der Figur des aufbrausenden, hochmütigen und rachsüchtigen Lord Rusban, der von Enriqueta als „hombre tan cruel“254 charakterisiert wird. Im ungebremsten Wüten seines Affekts scheint er dem barocken Ehrendrama entsprungen. So fällt der Begriff des „furor“ in nahezu jeder Replik Rusbans und ist zugleich eine explizit personale Vgl. MacLachlan (1991: 86): Der ‚antipolitische Rationalismus‘ (meine Übers.), der dem Konzept des Königs als Kaufmann zugrunde liegt und sich auch darin äußert, dass das höfische Zeremoniell zunehmend in die Kritik gerät, führt laut MacLachlan zu einer Schwächung des mystischen Charakters der Monarchie, die seit dem Frühmittelalter als ‚von Gottes Gnaden‘ ausgewiesen wurde, um ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren. 254 Valladares (1790: 21). 253 474 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Charakterisierung dieser Figur.255 Seinen Diener Eduardo droht Rusban zu erdolchen, als dieser ihn nicht schnell genug über Enriquetas Verbleib informiert.256 In Enriquetas Äußerungen über Rusbans dominieren Ausdrücke aus dem Wortfeld des „horror“: „[...] me horrorizo sólo al pensarlo“ oder „el labio mio quiso manifestar el horror”.257 Die Negativzeichnung dieser den untätigen Adel repräsentierenden Figur dient dazu, den durch Arbeit und Tugendhaftigkeit erlangten ‚Seelenadel‘ Genaros zu konturieren. Mehr noch: Genaros metaphorischer Adel wird explizit gegen Rusbans Schwertadel aufgewogen und für gewichtiger befunden: Enriq. [...] que las almas nobles labran su nobleza con la virtud: Tu al contrario procedes, pues la que heredas la manchas con tus acciones. [...] Vete, bárbaro, de mi presencia, que entre estas humildes gentes todas mis dichas se encuentran.258 Rusban, argumentiert Enriqueta, habe durch seine im Affekt begangenen Exzesse seinen Adelstitel beschmutzt und sich bis zur Barbarei erniedrigt. Bei den einfachen Bergleuten hingegen wähnt sie alles erdenkliche Glück („todas mis dichas“). Damit vollzieht Enriquetas Rede eine rhetorische Umkehr der sozialen Verhältnisse: Der Mangel an Tugend und der ‚Schmutz‘ bilden hier die Makel des Adels, während Glück und moralische Erhabenheit bei den körperlich Arbeitenden zu finden sind. Genaros Seelenadel wird in Valladares Stück explizit in Bezug zu seiner handwerklichen Ehrbarkeit gesetzt, als Enriqueta über den zwischen ihnen bestehenden Standesunterschied sinniert und sich dabei ihre Gefühle für den jungen Mann eingesteht.259 255 Vgl. Valladares (1790: 9; 10; 21). Vgl. Valladares (1790: 9). 257 Valladares (1790: 23). 258 Valladares (1790: 21). 259 Vgl. Valladares (1790: 14f.): „Enriq. [...] Y Genaro / quien es, para que merezca / que mi altivez á su amor / pueda dar correspondencia? / Mi altivez dixe? Ah! que mal 256 7. Vir faber und vir rusticus 475 Zentral ist hier, dass Enriqueta ihr eigenes soziales Kapital als von geringerem Wert erachtet als Genaros: Auf dessen Habenseite steht, dass er der Sohn eines ehrbaren Bergmanns („hijo de un Carberonero honrado“), von ansprechender Gestalt („de una presencia/ agradable“) und mit einem ‚Talent‘260 gesegnet ist, das sich aus seiner Werktätigkeit herleitet („y de su oficio, su talento degenera“). 7.4.3. Schuld(en), Tilgung, Zins Dass Enriquetas Rettung durch den Bergmann keine selbstlose Handlung, sondern von dem ökonomischen Kalkül geleitet ist, in der Truhe einen Schatz vorzufinden, der sodann in die eigene Bildung investiert werden soll, wurde bereits zur Sprache gebracht. Dass die unerwartet in der Truhe vorgefundene junge Frau den Wert des erwarteten Schatzes noch übertrifft, bringt das Erstaunen zum Ausdruck, das Vater und Sohn angesichts ihres Fundes äußern: „Ric. Este tesoro: – / Gen. Es el mas rico, el mas bello, / que pudo jamás juntar / Midas.“261 Schöner und reicher noch als alles Gold, das Midas je anzuhäufen im Stande war, erscheint dieser ‚Schatz‘ Vater und Sohn, womit Valladares‘ Stück auf den ‚Warenwert‘ Enriquetas als Unterpfand im Ehehandel verweist. Anders als in vergleichbaren Komödien der spanischen Spätaufklärung, in denen weibliche Charaktere von ihren Vätern, Onkeln, Vormündern (weitaus seltener von ihren Müttern) einem vorteilhaft erscheinenden Kandidaten gegen eine entsprechende Mitgift angeboten werden,262 bringt die weibliche Hauptfigur aus Valladares‘ Komödie sich hier selbst als eheliches Unterpfand ins Spiel, um Genaro für die Rettung ihres Lebens in angemessener Weise zu danken: / con mi situación concuerda, / tan vano nombre! Genaro, / sin que esto alabarle sea, / es hijo de un Carbonero, / honrado, de una presencia / agradable, y de su oficio / su talento degenera; / porque discreto, con una / alma noble, una sincera / dulce, atractiva, y afable / expresión, le manifiestan / acreedor: á que le mire / con agrado una belleza.“ 260 Das Diccionario de Autoridades, vol. VI (1735), definiert den Begriff „talento“ im metaphorischen Sinne als eine „natürliche Gabe”: „Metaphoricamente se toma por los dotes de naturaleza: como ingenio, capacidad, prudencia, & que resplandecen en alguna persona, y por antonomásia se toma por el entendimiento.“ 261 Vgl. Valladares (1790: 5). 262 Beispiele hierfür sind etwa die Figur der Rufina aus Los menestrales oder Isabel aus El barón. 476 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Enriq. Tus favores, por mas que no lo merezca, es preciso agradecerlos, pues advierto los engendra una inclinación sencilla, y una voluntad sincera: Pero aunque mis sentimientos se esmeren, por mas que quieran manifestar todo el fondo de mi gratitud, no encuentra ni aun la imaginación, modo de recompensar la deuda que á tu padre, y a ti debo; que hay acciones, hay finezas tan sublimes, que no admite retribución la grandeza de su merito, porque todo es corta recompensa. La vida te debo, y esto no hay con que pagarse pueda. Solamente un medio encuentro, Gen. Y es? Enriq. Hacerte dueño de ella.263 Als sich Enriqueta Genaro als Ehefrau anträgt, weist sie explizit darauf hin, dass es ihr ebenso um eine Eheschließung aus Gründen der Neigung und der Vernunft („una inclinación sencilla“) wie um die Begleichung einer moralischen Schuld gehe, die Vater und Sohn gegenüber bestehe („la deuda, / que á tu padre, y a tí debo“). Dieses moralische Soll könne durch kein Geld der Welt ausgeglichen werden („La vida te debo, y esto /no hay con que pagarse pueda“). Zum Ausgleich ist Enriqueta bereit, sogar die mit der mésalliance entstehenden gesellschaftlichen Unkosten zu tragen, die eine Heirat mit einem einfachen Bergmann mit sich brächte. Enriquetas Adelstitel erhält damit 263 Valladares (1790: 13). 7. Vir faber und vir rusticus 477 den Status einer Zinszahlung, die mit der Begleichung der Schulden fällig wird und die die Schuldnerin freiwillig zu zahlen bereit ist. Ähnlich wie in Moratíns sentimentaler Kaufmannskomödie El viejo y la niña wird auch hier die Frage nach dem ‚gerechten Preis‘ aufgeworfen. Indem Enriqueta sich Genaro als Ehefrau anbietet, eröffnet sich ihr unerwartet die Möglichkeit, ihm ihrerseits das Leben zu schenken und damit ihr Ziel zu erreichen, mit ihm ‚quitt‘ zu sein. Das ist möglich, weil er ihr zuvor seine Liebe gestanden und bekannt hatte, eher sterben zu wollen, als ihre Ablehnung ertragen zu müssen.264 Enriqueta ergreift nun ihrerseits die sich ihr bietende Möglichkeit beim Schopfe: Solo, Genaro, que entiendas, que si amándote te doy vida, y si te aborreciera, te diera muerte, no quiero ser tan cruel, ingrata, y fiera, que al que vida me dio, recompense mi entereza dándole la muerte. Quiero que vivas, para que veas, que lo que te debo, asi te satisfago. Y pues esta declaracion me parece que satisfecho te deja, vive para que yo viva, y si tu mueres yo muera. [...] Yo fuera una desagradecida, si obrase de otra manera con quien la vida me ha dado.265 Der von Enriqueta angestrebte Zustand eines sofortigen Quidproquo wird allerdings durch die Entscheidung des Königs aufgeschoben, ihre Hand zunächst dem von ihr verabscheuten Lord Rusban 264 Valladares (1790: 14): „Yo bien sé me expongo á vuestra / indignación, declarando / mi amor [...]. / Mi pasión se agita mas / á vuestra vista; y pues esta / es que mi atrevimiento produce, / hasta que comprenda / si me amais, ó aborreceis, / sabré, Señora, huir de ella; / con lo uno me dareis vida, / y con lo otro es fuerza muera.“ 265 Valladares (1790: 15). 478 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zuzuerkennen. Erst mit der sich herausstellenden Blutsverwandtschaft zwischen ihr und dem jähzornigen Lord kann Enriquetas Vorhaben, Genaro zu ehelichen, schließlich in die Tat umgesetzt werden. Dabei wird ihr die symbolische Zinszahlung in Form eines sozialen Abstiegs erlassen, als Genaro durch die Ernennung zum Hauptmann einen gesellschaftlichen Aufstieg erfährt. Die Funktion der Eheschließung als Mittel der Schuldtilgung wird dabei neuerlich explizit gemacht: „Y con el mio [amor], / esta vida, que le debo, / le pago, Señor. [...] Genaro / me dio la vida, y pretendo / pagarsela, siendo suya.“266 Wie Comellas drei Jahre später aufgeführte Kaufmannskomödie El hombre agradecido inszeniert auch Valladares‘ El carbonero de Londres das Schuldprinzip und die damit verbundene Frage, in welcher Form eine moralische Schuld angemessen zu begleichen sei. Instauriert Comella in diesem Zusammenhang eine Kette von einander moralisch und finanziell verpflichteten Schuldnern und Gläubigern, die mit dem kaufmännischen Prinzip einer trusted chain of correspondents korreliert, entwirft Valladares in seiner um den vir faber Ricardo und dessen Sohn Genaro kreisenden Komödie ein Szenario, bei dem der Adel – repräsentiert durch Enriqueta – und der König sich gleichermaßen in der Schuld der gente humilde wissen.267 Die Bergleute als Repräsentanten der gering geachteten körperlich Arbeitenden erweisen sich wider Erwarten als ehrbar, großzügig und im aufklärerischen Sinne vernünftig. Der ihnen für ihr rechtes Handeln im Sinne der christlichen caritas 266 Valladares (1790: 15). Wie Eberhard Geisler (2014: 73) in seiner Analyse nachweist, verhält es sich in Lope de Vegas barocker comedia El villano en su rincón (1617) um den Landwirt Juan ähnlich, wo es zunächst der Monarch ist, der in der Schuld des Bauern steht. Im Verlauf des Stückes kehrt sich dieses Verhältnis von Schuldner und Gläubiger allerdings um: „Der König sucht Juan Labrador in dessen ländlichen Gefilden auf und bittet ihn um ein Nachtlager, wobei er sich als Jäger ausgibt, der sich in den Wäldern verirrt hat. Labrador gewährt diese Gastfreundschaft auf vollkommene Weise, ohne dabei eine Gegengabe zu erwarten. Der König zeigt sich gerührt und verspricht Reziprozität, d.h. im Gegenzug Labrador aufzunehmen, wenn dieser nach Paris käme.“ Der entscheidende Unterschied zu Valladares‘ Komödie besteht darin, dass das „Feudalsystem hier als eines [erscheint], in dem der Untertan dem Souverän gegenüber in der Schuld steht, während andererseits die Möglichkeit reiner Gabe auf Seiten des Souveräns existiert.“ Diesen Umstand macht Geisler daran fest, dass es sich bei der Gegengabe des Monarchen „um eine reine königliche Gabe“ handelt, „die Gleichheit schenkt, ohne dass diese aufgrund des erheblichen Standesunterschiedes bestünde“. Diese ‚Gabe der Gleichheit‘ ist es, die der Bauer Juan nicht auszugleichen vermag. 267 7. Vir faber und vir rusticus 479 – hier offenbart sich neuerlich die Kopplung von Religion und Aufklärung – zugedachte Lohn ist auch in dieser Komödie ein mehrfacher: Er besteht im gesellschaftlichen Aufstieg und in einer sozial ebenso wie finanziell vorteilhaften Neigungsehe. Anders als in vergleichbaren comedias económico-sentimentales, seien es neoklassische Lehrstücke wie Trigueros‘ Los menestrales, Duráns La industriosa madrileña, Iriartes El señorito mimado oder Varianten wie Comellas El hombre agradecido und del Reys La modesta labradora, die neoklassische und populäre Elemente verbinden, spielt die Dopplung des moralischen Kapitals der Eheleute durch die Heirat hier keine zentrale Rolle. Den Status einer Währung besitzt die Ehe dennoch: Dass sie in der Lage ist, Leben zu retten – und im übertragenen Sinne ‚zu erwerben‘ – verweist auf ihre biopolitische Funktion als reproduktive Instanz. Dass Valladares‘ Stück wiederholt die gegenseitige körperliche Anziehung Enriquetas und Genaros ins Spiel bringt – er hält sie für schön (s.o.) und entflammt in Leidenschaft268, sie konstatiert seine „presencia agradable“269 – und den Seelenadel des vir faber dem Adelstitel gleich stellt, ist ein aufklärerisches Plädoyer für die Neigungsehe, das deren Vorteile für den Bevölkerungszuwachs unterstreicht. 7.5. Vir rusticus: Der Bauer als theatrale Figur Dient der Figurentypus des armen und einfältigen Bauern im Theater vor 1600 allenthalben als komische Figur, 270 tritt nach 1600 der reiche Bauer auf den Plan.271 Diese vor allem im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts präsente Gestalt dient als systemstabilisierendes Element272 und erfüllt dort eine soziale Vorbildfunktion, die sich – wie unsere Analyse von Comellas El buen labrador zeigen wird – im 18. Jahrhundert fortsetzt. In Anlehnung an die bisher skizzierten vorbildlichen theatralen Typisierungen wirtschaftender Menschen soll der 268 Vgl. Valladares (1790: 14), s.o. Dort ist von Genaros „pasión“ die Rede. Vgl. Valladares (1790: 15), s.o. 270 Der „rústico bobo“ bildet in seiner Einfalt und in seinen mangelnden Umgangsformen den Gegensatz zum Urbanen und Höfischen. Díez Borque (1976: 350f.). Zum mittellosen labrador ridículo vgl. auch Díez Borque (1976: 348ff.). 271 Vgl. Maravall, Antonio (1990): Teatro y literatura en la sociedad barroca. Barcelona: Crítica, p. 45. 272 Vgl. Maravall (1990: 46). 269 480 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Figurentypus der ebenso vermögenden wie zum Teil adeligen Bauern hier mit dem Begriff des vir rusticus bezeichnet werden. Dieser Terminus trägt der für diesen Typus bedeutsamen Unterscheidung von korrumpiertem Stadt- und idealisiertem Landleben Rechnung, schließt aber auch die Verknüpfung der Aspekte von körperlicher Arbeit und Nahrungsmittelproduktion mit ein. Der arme Bauer wird nicht nur auf spanischen Bühnen, sondern auch im Alltagsleben seit dem Mittelalter ebenso gering geschätzt wie der Handwerker, und das, obwohl es sich bei der europäischen Feudalgesellschaft um eine agrarische handelt, die von der Landwirtschaft und ihren ProduzentInnen wesentlich abhängt: Pero, aunque en una sociedad de escasísimo desarrollo técnico y capitalista, apenas haya otro factor que fertilice la tierra y mantenga la necesaria producción agraria [...] que el trabajo mecánico del campesino, la consecuencia a que ello lleva está muy lejos de afirmar el honor de aquellos que nos dan los frutos de la tierra.273 Demgegenüber wird dem wohlhabenden Bauern durchaus ein Maß an Ehrbarkeit zugesprochen, wenn er dem niederen Adel vom Rang eines Hidalgo gleichgestellt ist.274 In ihrer Ehrbarkeit und in ihrem Modellcharakter heben sich theatrale Repräsentationen des wohlhabenden Landwirts bereits im 17. Jahrhundert dezidiert von den unter moralischem Generalverdacht stehenden Vertretern der artes mecánicas ab. Während Letztere aufgrund ihres geringen sozialen Prestiges im Theater vor dem 18. Jahrhundert gar nicht erst auftreten, macht Díez Borque im Figurentypus des reichen Bauern eine Verkörperung des homo oeconomicus aus und rückt dabei nicht den Aspekt des Selbstinteresses, sondern das Modellhafte und Vorbildliche dieses Charakters in den Fokus, wenn er dessen theatrale Repräsentation in ihrer tugendhaften und idealtypischen Gestaltung konturiert. In ihrer Modellhaftigkeit ähneln diese gutbetuchten Bauernfiguren den durch das englische, französische und spanische Theater entworfenen ehrbaren viri oeconomici: 273 Vgl. Maravall (1984: 371). Díez Borque (1976: 345): „La comedia que esquiva, como tantas veces he dicho, toda tensión social que reflejara una situación conflictiva de la realidad, equipara – frecuentemente – labrador y hidalguía [...].“ 274 7. Vir faber und vir rusticus 481 El prestigio social de la tierra permite al que la posee disfrutar de una consideración digna que no tiene la „riqueza industrial“ y – en este sentido – la comedia encarna las virtudes del homo oeconomicus en el labrador, plegándose a las ideas económicas de su época, que aceleraron la decadencia. El labrador rico conjuga los valores espirituales que la tierra le concede, con virtudes prácticas y económicas, lo que le convierte en modelo social ejemplar. La posibilidad de ennoblecimiento que la comedia le asegura, aparte de poseer la innata nobleza de alma, completa la perfectividad del tipo literario.275 Die sich aus einer religiös fundierten Moralökonomie herleitende soziale Vorbildfunktion des reichen Bauern führt dazu, dass der metaphorische ‚Seelenadel‘ dieses Figurentypus‘ bereits im Barocktheater in königlich verbriefte Adelstitel münden kann. In seiner positiven Zeichnung der wohlhabenden Bauernschaft reproduziert das spanische Theater nach 1600 die Perspektive vieler Gelehrter und Ökonomen: [...] ya fray Luis de León concederá al labrar tierra honra, virtud y valor, por encima de las restantes profesiones, y Gutiérrez de los Ríos, a comienzos del xvii, defiende la nobleza y honra de las ganancias obtenidas por la agricultura y las virtudes morales que engendra.276 Dass der wohlhabende Bauer von der Missachtung verschont bleibt, die der Handwerker im Leben wie auf der Bühne zu erdulden hat, liegt zum einen daran, dass ersterer selbst keine schwere körperliche Arbeit ausüben muss, sondern diese delegiert.277 Das Konzept vom Ackerbau als einer im Gegensatz zum Handwerk nicht nur löblichen, sondern ehrbaren Tätigkeit geht auf antike Modelle wie Vergils Georgica (ca. 37-29 v. Chr.) zurück, der die Feldarbeit in seinem Lehrgedicht als ruhmreiche und von den Göttern gewollte Verrichtung 275 Díez Borque (1976: 338). Díez Borque (1976: 342) mit Bezug auf León, Luis de (o.J.): La perfecta casada. Madrid: CIAP, pp. 36-39 und Gutiérrez de los Ríos, Gaspar (1600): Noticia general para la estimación de las artes y de la manera que se conocen las liberales de las que son mecánicas y serviles. Vol. IV. Madrid: P. Madrigal, pp. 227 und 254. 277 Vgl. hierzu Maravall (1990: 46): „[...] la comedia pondrá mucho cuidado en diferenciar rotundamente a los rústicos pobres de los labradores ricos; estos últimos poseen las tierras, las cultivan, dirigiendo el trabajo a otros.“ 276 482 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien preist und in diesem Kontext nicht nur praktische Hinweise zum Pflügen und zur Aussaat gibt, sondern zudem detailliert auf die dafür nötigen Werkzeuge eingeht.278 Wie die Analyse von Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid (1782) und seine Adaptation der französischen Vorlage La brouette du vinaigrier (1775) von Mercier zeigen wird, erscheinen Werkzeuge im Zusammenhang mit der Darstellung von Handwerksberufen und Werkarbeit als Stein des Anstoßes und schambesetzte Objekte. Entsprechend kann der Kohleabbau in El carbonero de Londres auch nur metaphorisch und durch die Bergung Enriquetas dargestellt werden. Nur hier darf die Spitzhacke als Hilfsmittel des Bergmanns auf der Bühne gezeigt werden. Die für den Ackerbau notwendigen Utensilien hingegen sind schon bei Vergil frei von dem Makel, denen die Werkzeuge des Bergmanns, Schneiders und Lumpensammlers in den hier untersuchten Komödien unterliegen.279 Im Kontext der für das spanische Theater des 17. Jahrhunderts relevanten Unterscheidung zwischen den Figurentypen des armen und des reichen Bauern kommt die bereits erwähnte, schon im Altertum bestehende Unterscheidung zwischen freien und praktischen Künsten zum Tragen. Domínguez Ortiz zitiert diesbezüglich Gutiérrez de los Ríos’ Noticia general (1600): „[...] ‚se fundaron los antiguos para llamar a la Agricultura arte liberal’”.280 Daraus folgert er: En él demuestra [Gutiérrez] con gran profusión de textos Antiguos que la Agricultura es ocupación no sólo necesaria, sino honrosa y no incompatible con la nobleza; con tal motivo censura a los hidalgos que prefieren vivir en la pobreza y el ocio antes que dedicarse a una actividad lucrativa.281 278 Vgl. Vergil (2016): Bucolica, Georgica / Hirtengedichte, Landwirtschaft, ed. & trans. Niklas von Holzberg. Berlin: De Gruyter, p. 120, vv. 121-124: „[...] pater ipse colendi / haud facilem esse viam voluit primusque per artem / movit agros, curis acuens mortalia corda, / nec torpere gravi passus sua regna veterno.” („[...] Er selber, der Vater, / wollte, dass schwer sei der Landbau, und ließ als erster die Äcker / planvoll aufwühlen, schärfte durch Sorgen die Herzen der Menschen /und ließ nicht sein Reich in lastender Dumpfheit erstarren.” Auch spricht Vergil (2016: 124, v. 168) wörtlich von der „divini gloria ruris“ („Ruhm des göttlichen Landbaus“). 279 Vgl. hierzu Schuchardt Beatrice (2022): „Die Performanz der Dinge in sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung“. In: Nickenig, Annika/Urban, Urs (eds.). Dinge – Gaben – Waren. Der Gegenstand ökonomischen Handelns in den romanischen Literaturen der Frühen Neuzeit. Stuttgart: J.B. Metzler, pp. 205-220. 280 Domínguez Ortiz (1945: 875) mit Bezug auf Gutiérrez de los Ríos (1600), Vol. III. 281 Domínguez Ortiz (1945: 875). 7. Vir faber und vir rusticus 483 Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Kritik an der Untätigkeit des Adels kein Phänomen des 18. Jahrhunderts ist, sondern sich bereits im 16. und 17. Jahrhundert findet. Ein Element, das die Präsenz des reichen Bauern im Theater des spanischen 17. Jahrhunderts begünstigt, ist seine besagte Funktion als stabilisierendes Element innerhalb einer feudal-monarchischen Gesellschaftsordnung: „El labrador es esencialmente monárquico porque el Rey aparece a sus ojos como mantenedor del orden y castigador de aquel que lo quebranta. El labrador adhiere al sistema porque el Rey garantiza sus intereses en contra de la nobleza.”282 Die bereits auf das Theater des vorausgehenden Säkulums zurückgehende Komplizenschaft von Königtum und wohlhabender Bauernschaft ist für die Analyse von Comellas El buen labrador deshalb besonders relevant, weil dieser Figurentypus dort nicht nur als loyaler Anhänger des Monarchen erscheint; vielmehr wird eine ganze Reihe von Monarchen aufgerufen, die sich selbst als Bauern betätigt haben. Wenn also Díez Borque für die comedia des 17. Jahrhunderts resümiert, diese verwende und idealisiere das „material rústico“ unter Missachtung der sozialen Realitäten und passe diese in den feudalen Horizont des damaligen Theaters ein,283 so bleibt im Hinblick auf die nun zu untersuchenden Beispiele aus dem ausgehenden 18. Jahrhunderts – Fermín del Reys La modesta labradora (1791) und Comellas El buen labrador (1791) –, zu fragen, inwiefern die Figur des reichen Bauern bzw. der reichen Bäuerin die veränderten diskursiven Prämissen der theatralen und ökonomischen Ideologien des 18. Jahrhunderts fiktionalisiert. Scheint es bei del Reys La modesta labradora eher um eine kostumbristisch-pittoreske Funktion der (nur dem Anschein nach) bäuerlichen ProtagonistInnen zu gehen, steht bei Comella der Aspekt der Arbeit stärker im Vordergrund, und das, obwohl es sich bei der titelgebenden Figur um einen reichen Bauern handelt, dessen Tätigkeit nahezu ausschließlich in der Verwaltung seiner Ländereien besteht. Inwiefern Comella dabei eine aufklärerische Aktualisierung des barocken Topos des wohlhabenden Bauern vornimmt, untersucht der Abschnitt 7.7. Wenden wir uns jedoch zunächst dem Stück La modesta labradora von Fermín del Rey zu. 282 Díez Borque (1976: 351). Vgl. Díez Borque (1976: 353): „A través de la ideología aristocrática la comedia ‚organiza’ en escena el material rústico, afirmando, negando e idealizando la realidad de acuerdo con unas leyes específicas e inherentes al hecho teatral.“ 283 484 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.6. Fermín del Reys La modesta labradora (1791): Die Vorspiegelung sozialer Gleichheit Über den Dramatiker Fermín del Rey ist bis auf seine Tätigkeit als Souffleur in Valladolid im Jahre 1776284 sowie von 1780-1786 in der Compañía Manuel Martínez am Teatro del Príncipe Barcelona wenig bekannt.285 Aguilar Piñals Bibliographie des spanischen 18. Jahrhunderts gibt Auskunft darüber, dass del Rey Autor zahlreicher Dramen ist, darunter vor allem heroische und historische Komödien wie Hernán Cortés en Cholula (1782)286 oder Hernan Cortés en Tabasco (1790)287, aber auch comedias joco-serias wie Caprichos de amor y celos (1817). Cook nennt del Rey in einem Zug mit Moncín und bezeichnet die Stücke beider Autoren als „works [...] usually well received by the vulgo“ und als „entirely devoid of literary merits“, weshalb sie auf den Spott ihrer neoklassischen Kritiker getroffen seien.288 Der verhältnismäßig große Anteil der genannten Gattungen am Gesamtwerk del Reys zeigt, dass es sich bei ihm um einen Vertreter des populären Theaters handelt, wobei die bei Cook zum Ausdruck kommende und durch Meléndez Pelayo vorgeprägte negative Sichtweise auf das populäre Theater kennzeichnend für die Hispanistik des späten 19. Jahrhunderts ist. Diese Haltung ist bis weit in die 1970er Jahre hinein verbreitet, inzwischen aber nicht mehr haltbar.289 Was die theatrale Umsetzung ökonomischer Themen anbelangt, ist del Rey bereits durch seine Übertragungen des Theaters Goldonis ins Spanische damit vertraut, darunter La buena criada (1792) und La Camarera brillante (o.J.). Stücke aus eigener Feder, die sich wirtschaftlichen Fragestellungen zuwenden, sind La viuda generosa (1792) 284 Reyes Palacios, Felipe (2003): „Hernán Cortés en Cholula, comedia heroico-militar de Fermín del Rey”. In: Dieciocho, 26, 1, pp. 101-113, hier p. 101. 285 Vgl. Lafarga, Francisco (2000): „La mujer y la guerra en el teatro español del siglo xviii: La Defensa de Barcelona por la mas fuerte amazona de Fermín del Rey”. In: Dugas, Guy (dir.). Femmes et guerre en Méditerranée. xviiième–xxème siècles. Barcelona: Universitat de Barcelona, pp. 33-41, hier p. 34. 286 Vgl. hierzu Reyes Palacios (2003). 287 Cook (1974: 374) verweist auf den beträchtlichen finanziellen Erlös aus der Aufführung des Stückes von 1790. In den elf Tagen, in denen es aufgeführt wird, erwirtschaftet es 54.111 reales. 288 Diese These stützt Cook (1974: 374). 289 Cooks Monographie Neo-Classic Drama in Spain erscheint erstmals 1898. 7. Vir faber und vir rusticus 485 und La modesta labradora (1791). Für unsere Analysen zum Figurentypus des vir faber ist nur das Letztgenannte von Interesse. Das Handlungsgerüst dieser comedia económico-sentimental290 ist schnell umrissen: Anhand der Figuren des wohlhabenden und redlichen Bauern Celestino und seiner ebenso ehrbaren wie wohlerzogenen Tochter Inés einerseits, und des prätentiösen Marqués de la Floresta und seines in Inés verliebten Sohnes Silverio andererseits, kontrastiert del Rey a) den prätentiösen Adel mit der arbeitenden Landbevölkerung; b) Reich mit Arm; c) den schönen Schein des urbanen Hofes mit seinen Intrigen und Verstellungen mit dem durch Einfachheit bestechenden ländlichen Idyll. In der Spiegelbildlichkeit der Heiratspläne von Herrschaft und Dienerschaft,291 aber auch in seinem spielerischen, die Finten des Liebeswerbens vorführenden Charakter weist das Stück Parallelen zum Theater Marivaux‘ auf.292 Obgleich die Titelheldin, die modesta labradora Inés, als bescheidene bäuerliche Heldin ausgewiesen wird, tritt sie nur an einer einzigen Stelle als Teil der arbeitenden Bevölkerung in Erscheinung. Bezeichnend ist, dass Inés und ihr Vater Celestino an keiner Stelle des Stücks bäuerliche Tätigkeiten verrichten, was darüber Auskunft gibt, wie schambesetzt körperliche Arbeit ist, die auch hier aus Gründen des Dekorums nicht auf der Bühne gezeigt werden darf. Auch wenn Inés im Gegensatz zur Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña nicht als eine ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreitende Frau dargestellt wird, verweist ihre schmutzige Kleidung auf eine körperliche Tätigkeit. Diesen Aspekt vertieft der Abschnitt „Habit und Habitus“ (vgl. Kap. 7.6.2). Wenden wir uns jedoch zunächst der Bedeutung der ländlichen Kulisse zu. 290 Der sentimentale Aspekt offenbart sich in den emotionalen Verwicklungen angesichts der zunächst einseitigen Liebe Silverios zu Inés, die er ein ums andere Mal wortreich bekundet. 291 Es handelt sich hierbei um die Heiratspläne von Silverios Diener Mamerto und Inés‘ Dienerin Blasa, die spiegelbildlich zu Silverios Werben um Inés stehen. 292 Zum spielerischen Charakter des Theaters Marivaux‘ und Beaumarchais‘ im Vergleich zu spanischen neoklassischen Wirtschaftskomödien sowie ihrem Ökonomiebezug vgl. Schuchardt (2016). 486 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Das von del Rey gezeichnete rustikale Idyll besteht dem Nebentext zufolge aus einer „selva corta“ und allenthalben fröhlich singenden und tanzenden DörflerInnen, die ihren „tareas campesinas“ mit Freude nachgehen.293 Die Figur, die in diesem Stück den Typus des vir rusticus und reichen Bauern repräsentiert, ist Inés‘ Vater Celestino. Er tritt „vestido de labrador“294 auf. Dass seine Tätigkeit’ mehr intellektueller als physischer Natur ist und damit in der Tradition der artes liberales steht, zeigt sich in dem Umstand, dass er gleich zu Beginn des Stückes die übrigen Dorfbewohner ermahnt, mit der Arbeit zu beginnen und somit die Rolle eines Vorstehers einnimmt: „Vamos, muchachos, acaben / las rústicas cantinelas, / y al avío.“295 Celestino appelliert hier nicht nur an die Tugend der industria, seine Figur dient zudem dazu, den Kontrast zwischen der Unschuld des beschaulichen Landlebens und den urbanen Versuchungen des Hofes zu schärfen, und somit auf den Topos des menosprecio de corte y alabanza de aldea zu verweisen (vgl. Kap. 3.2.3). Dies veranschaulicht ein Zwiegespräch zwischen ihm und Silverio: Celest. [...] Aquí se vive porque no se lisonjea ni de caprichos agenos pende la propia existencia; pues cuando avaricia y luxo vastas Ciudades infestan, aquí animan dulces auras desinterés e inocencia. Yo gozo sin ambición una moderada hacienda, miserable resto de otra fortuna mas opulenta de que logró despojarme en mi florida edad tierna 293 Vgl. del Rey (1791: 1): „Selva corta. Salen los Aldeanos cantando y baylando, y todos con los rústicos instrumentos, que corresponden á las tareas campesinas en la última estación del año [...].“ 294 Del Rey (1791: 1). 295 Del Rey (1791: 1). 7. Vir faber und vir rusticus 487 la injusticia de los hombres. [...] Silv. [...] el hombre que apetezca la tranquilidad que goza, poco aventura en la hacienda que pierde; yo por mí os juro, que en una cabaña de estas viviría mas gustoso, que entre la falsa opulencia del Cayro, Menfis y Tiro; [...] para divertir tristezas que inspira la confusión de la Corte, aun en la esfera de un pobre artesano como yo, determine en su bella dulce mansión distraerme de mis profundas ideas; yo lo conseguí [...] [...] a la beneficencia de usted [Silverio] que con tanto gusto mi conversación acepta. Celest. El honrado debe ser atendido de qualquiera. Der hier aufgegriffene Topos ist schon in der Literatur des 17. Jahrhunderts weit verbreitet:296 Von Antonio de Guevaras Traktat Menosprecio de corte y alabanza de aldea von 1539 ausgehend, rekurriert er auf die Tradition der „stilisierten Land- und Schäferdichtungen“297, der in 296 Vega Carpio, Lope Félix de (2011 [1619]): Fuenteovejuna, ed. & trans. Hartmut Stenzel. Stuttgart: Reclam, p. 210. 297 Stenzel in Lope de Vega (2011: 212). Zum Topos des menosprecio de corte y alabanza de aldea bei Antonio de Guevara vgl. auch Marti (1997: 214f.): „En vingt chapitres, l’auteur démontre les bienfaits de la vie villageoise et les raisons pourquoi il faut fuir la capitale. En dehors de l’expérience autobiographique, il faut retenir que son œuvre est construite sur la perpétuelle comparaison capitale/village que l’on retrouve dans 488 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Jorge de Montemayors in sieben Bänden veröffentlichten Schäferroman Los siete libros de Diana (1519-1561) einen vorläufigen Höhepunkt findet.298 Hierbei werden Land- und Weidewirtschaft als gleichermaßen dem Ruralen zuzuordnende Betätigungsfelder vermischt. Wie Marc Marti in seiner Studie Ville et campagne dans l’Espagne des Lumières (1746-1808) nachweist, ist es die Physiokratie, die in Europa zu einer weiteren rhetorischen Aufwertung des Primitiven, Ländlichen und des Bäuerlichen, und damit zu einer literarischen Fortschreibung und Wiederbelebung des idealisierten Ländlichen, führt.299 Marti weist dies für Spanien anhand von drei Romanen nach, darunter Pablo de Olavides (1725-1803) El Evangelio en triumpho o Historia de un filósofo desengañado (1797),300 dessen Autor in der Forschung bis in die 1990er Jahre hinein als Physiokrat gilt.301 In dem Dialog zwischen Celestino und dem Grafensohn Silverio, der hier in bäuerlicher Verkleidung auftritt, erfahren wir, dass un jeu d’oppositions: monde moderne/monde traditionnel, opinion/raison, vie/mort et finalement vice/vertu. La capitale est chargée de tous les défauts moraux, associées au vice, à l’ambition, la recherche de gloire, la jalousie, l’envie. Le village apparaît comme un contrepoint, un espace où les relations humaines sont saines, abritant la vertu et la bonté.” 298 Vgl. Stenzel in Lope de Vega (2011: 212) und Guevara, Antonio de (1975 [1539]): Menosprecio de corte y alabanza de aldea, ed. Matías Martínez Burgos. Madrid: EspasaCalpe. 299 Vgl. Marti (1997: 207ff.) sowie Wyngaard (2004). 300 Vgl. Marti (1997: 295ff.). Weitere von Marti analysierte Romane sind El Mírtilo, ó los pastores transhumantes (1795) von Pedro Montengón (1745-1824) und Aventuras de Juan Luis: historia divertida que puede ser útil (1781) von Diego Ventura Rejón y Lucas (1721-1796). 301 Vgl. Perdices Blas (2000: 275ff.), der zeigt, dass Olavide zwar agraristische Ideen teilt, aber kein Physiokrat ist. Vertreter der mittlerweile überholten Lehrmeinung von den physiokratischen Überzeugungen Olavides sind Carande, Ramón de (1956): „Antecedente a la edición del Informe al Consejo de Olavide sobre la Ley Agraria“. In: Olavide, Pablo de. Informe al Consejo sobre la Ley Agraria [1768], eds. Ramón de Carande, & Joaquín Ruíz del Portal. In: Boletín de la Real Academia de la Historia, 138-139, pp. 357-462 und Polt, John H.R. (1976): „El pensamiento económico de Jovellanos y sus fuentes inglesas”. In: Información Comercial Española, 512, pp. 23-56. Zu den auf dem Land angesiedelten, unternehmerisch-utopischen Projekten Olavides vgl. auch Tschilschke, Christian von (2022): „Between State-Managed Reforms and Private Utopia: The Entrepreneurial Projects of Pablo de Olavide“. In: Schuchardt, Beatrice/idem (eds.). Protagonists of Production. Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers in Preindustrial Spanish and European Economic Tracts, Literature and Press (1700-1800). Berlin: Lang, pp. 163-178. 7. Vir faber und vir rusticus 489 Celestino ein ‚gefallener Adeliger‘ ist, dem einst am Hofe Unrecht geschah, was diesen Ort gleich zu Beginn als Raum der Intrige ausweist. Die ländliche Kulisse dagegen erscheint als locus amoenus, ein Motiv, das bereits im Theater des 17. Jahrhunderts präsent und diesem entnommen ist, hier aber um den Aspekt der Arbeit erweitert wird.302 Das ländliche Idyll bildet nicht nur den pittoresken Hintergrund für die Inszenierung des Liebesplots zwischen Silverio und Inés, sondern dient im zitierten Dialog überdies dazu, städtische Laster wie Luxus und Geiz, die hier emblematisch für ein als verdammenswert erachtetes Selbstinteresse stehen, der interessenlosen Unschuld („desinterés“; „sin ambición“) des Landbewohners gegenüberzustellen. Die Figur des ehrbaren Handwerkers, wie Trigueros sie auf ambivalente Art und Weise inszeniert, wird hier lediglich als taktische Referenz aufgerufen. Del Rey stellt seine populäre sentimentale Komödie nur vordergründig in den Kontext der Real Cédula: Der eigentliche Plot kreist nicht um die Ehrbarkeit des Bauern, sondern um das soziale Gefälle zwischen Silverio und Inés. Damit bildet der Liebesplot die zentrale Achse des Stückes. Dieser hat, wie sich noch zeigen wird, nicht allein Unterhaltungswert, sondern ermöglicht zudem, ein System der Stellvertretungen zu inszenieren, das mit der Politischen Ökonomie im Zusammenhang steht. Am guten Ende wird der Standesunterschied zwischen den Liebenden auch in diesem Stück aufgehoben, wenn sich Celestino als Cousin des Grafen erweist und Inés, deren 302 In diesem Zusammenhang unterscheidet Díez Borque (1976: 329) mit Bezug auf Salomon, Noël (1965): Recherches sur le thème paysan dans la comedia au temps de Lope de Vega. Bordeaux: Institut d’Études Ibériques et Ibéro-Americaines, pp. 427-743, die Figurentypen des „labrador idílico“ und des „labrador digno“: „En el plano del labrador idílico el trabajo del campo describe una bella realidad cotidiana en el locus amoenus, sin ninguna preocupación compulsiva que turbe esta beatitud idílica.” Ähnlich werden Landleben und die Landarbeit bei del Rey gezeichnet. Laut Díez Borque (1976: 331) ist die idealisierte Zeichnung des Landlebens im Barocktheater vor allem durch das Bedürfnis der Stadtbevölkerung begründet, dem komplexen urbanen Leben zumindest in der theatralen Fiktion zu entfliehen und sich imaginär in ländliche Gefilde zu träumen, wo die Natur üppig und das Leben vermeintlich einfach ist. Von der Entvölkerung ganzer Landstriche aufgrund von Landflucht und dem hohen Pachtzins ist nur kursorisch die Rede. Vgl. Díez Borque (1976: 332). Eine Ausnahme von einer euphemistischen Darstellung des Ruralen bildet die komische Figur des Labrador aus Calderóns El gran teatro del mundo (1655), die die ihr zugewiesene Rolle im ‚großen Welttheater‘ aufgrund der harten Arbeit und des spärlichen Lohns zunächst verweigert. 490 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Adel anhand ihrer Ansichten und gewählten Sprache schon vorausgedeutet wurde,303 Silverio ehelichen kann. Silverios Verkleidung als „pobre artesano“, als der er sich Vater und Tochter präsentiert, ist taktischer Natur und dient dem Zweck, sich der bescheidenen und auf Wahrung des Anstands bedachten Inés zu nähern.304 Silverios Strategie des „aparentar pobreza“305 läuft auf die Vorspiegelung einer sozialen igualdad zwischen ihm und dem (vermeintlichen) Bauernmädchen hinaus, die ein zwangloses Gespräch ermöglichen soll. Dass Gleichheit zwischen sozial Ungleichen in del Reys Komödie weder als Forderung noch als Wunsch erscheint, sondern vielmehr Teil eines taktischen engaño – und somit Teil des enredo – ist, bestätigt auch für dieses Stück die konservative Haltung, die dem populären Theater gemeinhin zugeschrieben wird. 7.6.1. Mise en abyme und ‚Als Ob der Repräsentation‘ Die Figur der Inés als Verkörperung ländlicher Unschuld im Gegensatz zu dem mit allen Wassern höfischer Verstellung gewaschenen Grafensohn Silverio steht in del Reys Stück im Dienste des leitmotivischen Stadt-Land-Gegensatzes. Über sie stellt del Rey die auf Berechnung und Verstellung basierende Moralökonomie des Hofes dem Worte für bare Münze nehmenden Werthorizont der Landbevölkerung gegenüber. In der Vorstellung der naiven Inés ist der Hof ein Ort von märchenhafter Größe und Ausstattung, ein „pueblo / donde hay fábricas excelsas, / grandes Palacios, hermosos / paseos, y también bellas / Señoras“.306 Zum Bild, das die junge Frau dem Hörensagen nach vom Hofleben hat, gehören auch die höfischen Vergnügungen: „diversiones“, „fiestas“, „bayles“, „concierto“ und vor allem die „comedias“.307 Die Erwähnung der Gattung Komödie bietet dem um Inés‘ Zurückhaltung in Liebesdingen wissenden Silverio Anlass, eine sentimentale Komödie in der sentimentalen Komödie aufzuführen, um 303 Vgl. del Rey (1791: 7): „Marq. Por Dios, que la chica tiene / pensamientos de Marquesa [...].” 304 Vgl. hierzu die Replik von Silverios Diener Mamerto: „El amigo galantea / al padre para agradar / á la hija; no es mala treta.” 305 Del Rey (1791: 5). 306 Del Rey (1791: 9). 307 Del Rey (1791: 9). 7. Vir faber und vir rusticus 491 Inés im sicheren Rahmen der Fiktion seine Liebe zu erklären, wie er a parte erklärt: „su sencillez me presenta / la ocasion de declararla / mi amor, y yo ni he de perderla“.308 Zum Wirkprinzip der von ihm zunächst in Worten skizzierten und dann im Schutze eines hypothetischen ‚Als Ob‘ aufgeführten Komödie erklärt Silverio nicht in erster Linie das von Inés vermutete hacer reir, sondern vielmehr das hacer enternecer, das hier autoreferenziell auf del Reys eigene Komödie zurückverweist und das von Silverio inszenierte Stück explizit als sentimentale Komödie ausweist.309 Das von Silverio skizzierte Stück spielt zunächst die erste Begegnung zwischen ihm und Inés nach: Por exemplo: Se ve un Joven, que accidentalmente encuentra á una muchacha preciosa: El idolatrarla, y verla todo es uno [,]310 Damit charakterisiert er im Rahmen der Fiktion und in Form einer captatio benevolentiae zugleich Inés‘ tugendhaften, aber scheuen Charakter: [...] El que ama de veras es humilde y respetoso, y no es dable que se atreva á una acción indecorosa,311 Die zunächst nur in ihrer Plotstruktur umrissene Komödie geht sodann in ein ‚Schauspiel im Schauspiel‘ über: á su querida se acerca (como hago yo, verbi gracia) Yo os amo, la dice en tiernas voces.312 308 Del Rey (1791: 9). Vgl. del Rey (1791: 9): „Dicen que hace / reir [la comedia]. ¿Es cierto?” 310 Del Rey (1791: 9). 311 Del Rey (1791: 9). 312 Del Rey (1791: 10). 309 492 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Im Zuge dieses Schauspiels, das ein idealtypisches Beispiel für Lucien Dällenbachs Konzept der mise en abyme313 ist, werden aus Worten Handlungen und die beiden Liebenden schließlich zu Darstellern der Aufführung ihrer Gefühle, was bei der um die Wahrung des Anstands besorgten Inés wachsendes Unbehagen hervorruft und sie schließlich zum Abbruch des Spektakels veranlasst: Silv. [...] esta scena [sic] no es capaz de enternecer? él mira á su ingrata bella como yo os miro; se arroja á su pies de esta manera, la toma una mano: Ines. No, no tan á lo vivo. [...] Basta, basta; ya no quiero.314 Zum Abbruch des von Silverio initiierten Gefühlstheaters kommt es, als die Komödie in der Komödie mit der fiktiven Realität von La modesta labradora zur Deckung kommt und bei Inés ein derart starkes Schamgefühl auslöst, dass sie ihr Antlitz mit der Schürze bedeckt.315 Genau diese offensichtliche Zurschaustellung von Scham durch das Verbergen des Gesichts ist aber lediglich eine weitere Zurschaustellung von Theatralität, eine performative Geste, mit der sich Inés der eigenen, just ins Schwanken gekommenen Tugendhaftigkeit versichern möchte. Gerade die prononcierte Zuschaustellung von Schamhaftigkeit ermöglicht Inés eine Distanznahme von der ihr geschilderten sentimentalen Komödie, deren Hauptfigur sie zu werden im Begriff war. 313 Vgl. Dällenbach, Lucien (1977): Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme. Paris: Seuil, p. 52: „[...] est mise en abyme tout miroir interne réfléchissant l’ensemble du récit par réduplication simple, répétée ou spécieuse.” 314 Del Rey (1791: 10). 315 Vgl. del Rey (1791: 10). Die Anweisung im Nebentext lautet: „Cubriéndose el rostro con el delantal.” 7. Vir faber und vir rusticus 493 Komorowska merkt zu dem von Jean-Paul Sartre in Les mots (1964)316 beschriebenen Gefühl der Scham an, das im Kontext der Episode um das dem Kind Sartre von Madame Picard geschenkten Schulheftes steht: [...] le sentiment de la honte est confronté avec un geste théâtral. Cette transformation en acteur, cette perception de soi-même comme autre, permet une distance esthétique au sens propre. La honte devient soutenable, et même agréable quand elle est transformée en émotion esthétique.317 Erst die Ästhetisierung der Scham durch die theatrale Geste lässt die Empfindung erträglich werden. In diesem Zusammenhang kommt Vogls bereits zur Sprache gekommenes Konzept eines theatralen ‚Als Ob der Repräsentation‘ erneut zum Tragen, allerdings nicht auf der Ebene des Staatswissens, sondern auf der Ebene des theatralen Diskurses. Aus der „adäquate[n] Konfiguration von Repräsentation und Gesetz“ in Hobbes‘ Staatstheorie, aber auch „bei französischen Philosophen, französischen Moralisten oder deutschen Naturrechtslehren“ leitet er daraus das Konzept eines ‚Als Ob der Repräsentation‘ ab, das er als eine „heuristische Perspektivierung des notorischen ‚Naturzustands‘“ versteht: 318 Während das Staatswissen sich im Theater der Rollen und Stellvertreter errichtet, greift das Staatswissen selbst hinter die Kulissen, es vollzieht sich zumindest eine Geste, die im „Als Ob“ der Staatsperson das „Als Ob“ ihres Zerfalls sistiert und – indem es diese „gleichsam als aufgelöst betrachtet“ – das Schauspiel der Repräsentation um das Wahrheitsspiel seiner Fundamente ergänzt.319 Vogl spricht hier das bereits in den Kapiteln zum vir oeconomicus zur Sprache gekommene Prinzip der Stellvertretung als Strategie der Politischen Ökonomie an, das, wie gezeigt wurde, auch bei Trigueros zum Tragen kommt. 316 Sartre, Jean Paul (2010 [1964]): Les mots et autres écrits autobiographiques. Paris: Gallimard. 317 Komorowska, Agnieszka (2014): „La face cachée de la honte. Réflexions sur la théâtralité d’une émotion“. In: Nouvelle revue d‘esthétique, 2, 14, pp. 39-46, hier p. 43. 318 Vogl (2002: 41). 319 Vogl (2002: 41). 494 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien In Analogie zum Prinzip des ‚Als Ob der Repräsentation‘, das Vogl zufolge ein staatliches ist und sich vom Theatergeschehen gerade dadurch unterscheidet, dass es „hinter die Kulissen“ greift, indem es im „‚Empirismus‘ politischer Theorie“320 eine ‚Natur‘ des Menschen voraussetzt, inszeniert auch del Reys sentimentale Komödie populärer Prägung über die bescheidene Bäuerin das ländliche Idyll als Metapher für den Naturzustand. Auf dem Land regiert in der Chronologie von del Reys Stück zunächst das Naturrecht, gemäß dem der Fleißigste unter den Erwerbstätigen – Celestino – der Schar der Landarbeiter vorsteht. Mit dem Eintreffen des Marqués de la Floresta, Silverios Vater, kommt es jedoch zum Einbruch der Feudalordnung in die ley natural. Hatte sich Silverio zuvor in die natürliche Ordnung des Landlebens eingefügt, indem er sich als Bauer getarnt und soziale Gleichheit fingiert hatte, muss er spätestens ab dem Moment des Zusammentreffens mit seinem Vater Farbe bekennen. Die ständische Ordnung greift, als Celestino durch die Versöhnung mit dem Marqués, der ihn Jahre zuvor um Hab, Gut und Titel gebracht hatte, wieder seine vormalige, erhabene Position als Adeliger einnimmt und damit aus der Gemeinschaft von Gleichen heraustritt. Dasselbe gilt für Inés. Die von Silverio aufgeführte sentimentale Komödie wird noch vor der Offenbarung seiner wahren Identität als Adeliger und vor Inés‘ Kenntnisnahme von ihrer eigenen aristokratischen Herkunft ‚gespielt‘. Jenes „Schauspiel der Repräsentation“, das Vogl zufolge gerade das „Staatswissen“ kennzeichnet (s.o.), ist hier aber nicht im Staatswissen, sondern in einem Theater am Werke, das auf Unterhaltung ausgerichtet ist und im Gegensatz zum neoklassischen Drama, auf das die Monarchie und ihre Minister mittelbar Einfluss nehmen, eben kein ‚Staatstheater‘ ist. Auch dieses ‚Volkstheater‘ steht allerdings mit der Politischen Ökonomie im Bunde. Überträgt man Vogls Begriff des ‚Als Ob der Repräsentation‘ auf del Reys Stück, kommt dieser vor allem im Bereich des Sentimentalen zum Tragen. Das „Schauspiel der Repräsentation“ wird genau in dem Moment um „das Wahrheitsspiel seiner Fundamente“ (s.o.) ergänzt, als Inés bewusst wird, dass die vermeintliche Komödie, als die Silverio sein Liebesgeständnis tarnt, auf die Realitätsebene übergreift. Genau in diesem Moment muss die Komödie in der Komödie enden. 320 Vogl (2002: 41). 7. Vir faber und vir rusticus 495 Wie schon bei Trigueros und Durán hält auch del Reys Stück ein komplexes Moment der metonymischen Verkettung bereit: Was dort vorgeblich über die im Titel verheißene modesta labradora, und damit über die Bauernschaft gesagt wird, offenbart sich in einem zweiten Schritt als ein profaner Liebesplot um die Thematik des matrimonio desigual. Dieser Liebesplot jedoch erfüllt in einem dritten Schritt eine metonymische Funktion, die den Übergang von einem Naturzustand des desinterés zur interessengeleiteten Welt des Hofes und des Staates markiert. Dabei wird die ley natural, in der sich die gefallenen Adeligen Celestino und Inés so komfortabel eingerichtet haben, gegen Ende der Komödie in das feudale System des aufgeklärten Absolutismus überführt. Nicht in der Heirat zwischen Silverio und Inés, sondern in der Wiederherstellung der ‚rechten Ordnung‘ im Sinne der sozialen Hierarchie besteht auch hier das eigentliche ‚gute Ende‘. Dass das ‚Als Ob der Repräsentation‘ als Wirkprinzip der Politischen Ökonomie dann zur Anwendung kommt, als die Sentimentalität von del Reys sentimentaler Komödie ihren Höhepunkt erreicht, ist ganz zentral. Vogl hält in Bezug auf das deutsche und französische Wirtschaftstheater fest, dass die Entstehung einer stratégie domestique nicht bloß der Verengung des Schauplatzes auf die Familienszene, dem Fall der Ständeklausel und der Anpassung von Konflikten als Menschliche überhaupt [...] geschuldet [ist]. Sie wird vielmehr von einem neuen Relationstyp hervorgebracht, der gleichzeitig mit neuen Steuerungsideen entsteht und die Einrichtung persönlicher Instanzen mit zirkulierenden Affekten, Interessen und Leidenschaften zu koordinieren versucht.321 Auch wenn die hier von Vogl skizzierte stratégie nicht ohne weiteres auf das spanische populäre Theater des 18. Jahrhunderts übertragbar ist, in Bezug auf das von einem „Fall der Ständeklausel“ nicht die Rede sein kann, gibt es doch Überschneidungen, die an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gefühl gegeben sind. Einerseits treten in Stücken, die sich vorgeblich ProtagonistInnen und Themen des Handwerks und der Arbeit zuwenden, wie dem menestral und dem labrador bzw. der labradora, zwar bürgerliche Tugenden wie industria, prudentia 321 Vogl (2002: 100). 496 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien und modestia in Erscheinung;322 andererseits wird aber die Ständeordnung gerade durch die stete Wiederkehr des Topos des matrimonio desigual affirmiert. Den bürgerlichen ‚Typus‘, den die bisher analysierten Komödien um den vir faber und den vir oeconomicus aufbieten, ist in einem anderen Sinne ‚bürgerlich‘, als dies in deutschen, englischen oder französischen Wirtschaftskomödien der Fall ist. Sowohl Trigueros‘ neoklassisches Stück Los menestrales als auch del Reys populäre sentimentale Komödie La modesta labradora kreisen, ebenso wie die den vir oeconomicus inszenierenden Beispiele, um ein moralökonomisches Wertesystem, das auf den spezifischen sozialen Bedingungen des aufgeklärten Absolutismus beruht und den bestehenden feudalen Hierarchien in einem stärkeren Maße Rechnung trägt, als dies in sentimentalen Komödien aus England und Frankreich der Fall ist, wo Revolutionen entweder bereits vor längerer Zeit stattgefunden (England) oder jüngst ihre Auswirkungen gezeitigt haben (Frankreich).323 Gerade diese Revolutionen sind es, die die affirmative Haltung der um den Handwerker kreisenden spanischen comedias económico-sentimentales neoklassischer und populärer Prägung gegenüber der feudalen Ordnung begründen. Für das hier analysierte spanische sentimentale Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts gilt, was Vogl auch für deutsche Komödien des 18. Jahrhunderts beobachtet: Der durch die Politische Ökonomie hervorgebrachte Relationstyp gesellschaftlicher Beziehungen manifestiert sich in der comedia económico-sentimental über die Inszenierung, vor allem aber über die Manipulation von Gefühlen und Affekten: Die ökonomische Rationalität [...] neutralisiert Affekte, indem sie Affekte aktiviert; sie korrigiert Passionen, indem sie Passionen induziert; sie diszipliniert Verführer, indem sie selbst verführt; und sie begründet damit einen Aktionsraum, der einer der Rührung, und ein Zeitalter, das auch eines der Empfindsamkeit ist.324 322 Vgl. del Rey (1791: 12). Dort charakterisiert Silverio Inés als ein „compendio del honor / la virtud, y la modestia.” 323 Im Falle Englands ist dies die Glorious Revolution von 1688/89, wo der Bill of Rights die Grundlage für ein parlamentarisches Regierungssystem bildet. 324 Vogl (2002: 100). 7. Vir faber und vir rusticus 497 Del Reys Komödie führt dies in der Szene der ‚Komödie in der Komödie‘ exemplarisch vor. Erkennt man die Figuren Silverio und Inés in ihrer Funktion als Katalysatoren von Passionen und Affekten, erweisen zugleich auch sie sich als im Doppelsinn Verführte, nämlich von und in der Gattung der sentimentalen Komödie. Ist Silverio durch seine Kenntnis der Gattung im geeigneten Moment versucht, sich ihr zu bedienen und erliegt er der Versuchung ihres ökonomischen Kalküls, dient sein Schauspiel doch der Verführung von Inés. Sie ist Opfer und Zielpunkt seines Verführungstheaters. Die gewünschte Wirkung zeigt das theatrale Kalkül in dem Moment, als sein Objekt – Inés – selbst zum Mittel der Inszenierung greift und seine Scham performativ zur Schau stellt. Zugleich fungieren die Figuren aber auch als Verführer des Publikums, wenn sie zum einen als Instrumente der affektiven Steuerung eingesetzt werden und zum anderen über ihr ‚Schauspiel im Schauspiel‘ die natürliche Gesellschaftsordnung in die absolutistische überführen. Wenn del Reys populäre sentimentale Komödie Naturzustand und Absolutismus miteinander verknüpft, behauptet sie gleichzeitig die Natürlichkeit der absolutistischen Feudalordnung. Just in diesem Moment erweist sich auch das populäre Theater als politisches Instrument der Gouvernementalität. Über die Figuren und ihr ‚Schauspiel im Schauspiel der Gefühle‘ wird dem Publikum eine Affektökonomie vorgeführt, deren ökonomisches Moment darin besteht, dass Affekte im Zuge ihrer Produktion zunächst ‚extremisiert‘, dann in Scham kanalisiert, ‚zerlegt‘ und schließlich insofern für den ‚Gebrauch verfügbar gemacht werden‘, als sie in den Dienst der didaktischen Absicht der comedia económico-sentimental gestellt werden.325 7.6.2. Habit und Habitus Wie schon in Trigueros‘ Los menestrales, tritt Kleidung auch in del Reys La modesta labradora als Marker sozialer Identität in Erscheinung. Ein solcher Marker sind in der einzigen Szene, in der Inés dezidiert als Teil 325 Dieses konkrete Beispiel bestätigt Stahls (2018: 25) These, dass das „Ökonomische der Affektökonomie [...] auf einen durch produktive Leistung zu überwindenden oder zu erreichenden Zustand“ verweist, nämlich „auf die möglicherweise extremisierende, zerlegte und vernetzte Produktion von Affekten und ein möglichst effizientes für den Gebrauch-Verfügbar-Machen.“ 498 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der arbeitenden Landbevölkerung ausgewiesen wird, ihre schmutzigen wollenen Gamaschen. Diese nimmt der Marqués, als er Inés zufällig bei einem Spaziergang begegnet, zum Anlass, sich über ihre einfache Kleidung lustig zu machen. Hier tritt mittels der Geringschätzung, mit der ein Vertreter des Hofes gegenüber der durch Inés repräsentierten Landbevölkerung auftritt,326 die aufklärerische Adelskritik in Verbindung mit dem reformökonomischen Lob der Arbeit zutage. Der Marqués betitelt Inés schäkernd als „[g]raciosa muchacha“, woraufhin sie sich anschickt, den Ort des Geschehens fluchtartig zu verlassen: Marq. Esto me degüella; las mozas de los lugares tienen graciosas ideas. Esta se asusta de ver un Marques de mi presencia, y con un polainas [sic] lleno de mugre se estará quieta. Inés Señor, no hablad eso conmigo; mas quando verdad dixerais, si fuese digno un polainas de que yo le permitiera mi conversación, sería porque la misma inocencia y sencillez de su trage manifestara en su lengua.327 Den spanischen Begriff „polaina“ definiert das Diccionario de Autoridades (1737) wie folgt: „POLAINA. Sirven para abrigar las piernas a la gente trabajadora y que camína. [...].”328 Auf die Figur der Inés trifft beides zu: In arbeitsamer Geschäftigkeit eilt sie durch das ländliche Idyll. Nicht nur ihre Gamaschen, sondern vor allem der sie überziehende 326 Díez Borque (1976: 334). Del Rey (1791: 6). 328 Vgl. den Eintrag in der Onlineversion des Diccionario de Autoridades (1726-1739). Quelle: http://web.frl.es/DA.html, Zugriff: 30.08.2022. 327 7. Vir faber und vir rusticus 499 „mugre“329, ein von Körperausdünstungen wie Schweiß und Talg herrührender Fettschmutz – der, wie der einschlägige Eintrag im Diccionario de Autoridades von 1734 bestätigt, ein Zeichen von Armut und körperlicher Arbeit ist –, weisen sie als Teil der „gente trabajadora“ aus. Es ist also der über die Standestracht der „polaina“ indizierte niedrige soziale Status des Landmädchens, der den Marqués zu seiner spöttischen Bemerkung veranlasst. Die von ihrem Vater in gehobenen Umgangsformen unterwiesene Inés erwidert auf diese Herabwürdigung, dass Kleidung und Habitus einander entsprechen müssten, und bringt damit zum Ausdruck, dass es dem Marqués gerade an dieser Entsprechung mangelt. Obgleich in edles Tuch gehüllt, lässt er die zu seiner Kleidung passenden Umgangsformen vermissen. Inés‘ ärmliche Kleidung hingegen gewinnt in diesem Zusammenhang den Status einer Uniform der arbeitenden Bevölkerung, die hier als Analogon zu den Trachten der Zünfte und in Entsprechung zum Habit jener Militärischen Orden angelegt ist, die die Handwerker- und Arbeiterschaft in ihren Statuten seit Mitte des 16. Jahrhunderts kategorisch ausschließen.330 In einer Gegenbewegung zum exklusiven Charakter der Kleidung der militärischen Orden, an der sich die traditionelle Tracht der spanischen Handwerkszünfte in einem emanzipatorischen Gestus orientiert,331 erhebt del Reys Komödie die verschmutzen Gamaschen des 329 Vgl. Diccionario de Autoridades (1734), Vol. IV: „MUGRE. s. f. La grassa o suciedad que se pega en el vestido o otra cosa. Covarr. siente se dixo Mugre quasi Mulge, por ser la grassa o sudor que se destila del cuerpo o otra cosa xugosa. Latín. Sordes. RIBAD. Vid. de S. Ignac. lib. 1. cap. 5. Un día estando en el Hospital rodeado de pobres, y lleno de suciedad y de mugre, le acometió el enemígo con estos pensamientos.” 330 Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675) mit Bezug auf Díaz Millán, Luis (1886): Reseña histórica del extinguido Cabildo de Caballeros de Molina de Aragón. Guadalajara: Imprenta y Encuadernación Provincial, p. 110: „Citemos sólo un par de ejemplos, elegidos entre mil: en 1548 el Cabildo de Caballeros de Molina de Aragón, cofradía militar de origen medieval, agregó a sus Constituciones: ‚Que ninguno que hubiese tenido oficio mecánico o servil pudiese ser admitido en este Cabildo.‘“ 331 Domínguez Ortiz (1945: 677) merkt an, dass die strenge hierarchische Gliederung der Zünfte, ihre Insignien und nicht zuletzt ihre „vistosos uniformes“ Elemente seien, die der Ehrbarkeit und Würde der seit Antike und Mittelalter verkannten Handwerksberufe Ausdruck zu verleihen suchten. In diesem Zusammenhang erwähnt Domínguez Ortiz auch das Bestreben einer zu Geld gelangten Handwerkerschaft, den militärischen Ordenshabit als Zeichen der „suprema distinción social“ und Vollendung des sozialen Aufstiegs zu erlangen. Dies legt nahe, dass die Trachten und Insignien der Zünfte die Kleiderordnung der órdenes militares imitieren, ein Umstand, der auch darin 500 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Landmädchens Inés zu einer mit Stolz getragenen Tracht der ruralen Bevölkerung. In dieser Funktion markiert Inés‘ Kleidung zugleich ihre „inocencia“ und „sencillez“. Es ist gerade Inés‘ ‚Uniformierung‘, die sie nicht in erster Linie als einen dezidiert weiblichen Charakter, der in der Landwirtschaft tätig ist, ausweist, sondern als Pars pro Toto der ländlichen Art und Weise, sich zu kleiden. Dies ist der Grund dafür, dass wir uns dieser Figur im Zusammenhang mit dem Typus des vir rusticus zuwenden, statt sie im Zusammenhang mit der Gruppe wirtschaftender Frauen zu untersuchen. Dass Inés über die Eigenschaften der „inocencia“ und „sencillez“ tatsächlich verfügt, kommt sodann in ihrer Rede zum Ausdruck, wobei das, was hier Inés‘ Guthaben an Unschuld, unverstellter Bescheidenheit und Aufrichtigkeit ist, zugleich die Sollstelle des Marqués‘ markiert. Seine Frage: „Di, ¿te precias de sabia?“ und Inés‘ neuerlich schlagfertige Antwort: „Me preciaría / de virtud si poseyera / su grado que es el perfecto / saber, pero con modestia”332 offenbaren die Thematik der sozialen Wertigkeit als Dreh- und Angelpunkt dieser Szene. Inés verweist auf den ihr durchaus bewussten, sozial höheren Stand des Marqués, ironisiert aber zugleich seinen Mangel an Bescheidenheit und Hang zur Aufschneiderei („el perfecto saber“), der nicht minder auf einen Mangel an Tugend („virtud“) hindeutet. Eben diese Tugendhaftigkeit aber bildet Inés‘ soziales Kapital. Einerseits kleidet Inés ihre Sittsamkeit (vermeintlich) bescheiden in Konditionalsätze; andererseits wird diese Sittsamkeit aber durch die gehobene Sprache, derer sich Inés souverän bedient, umso mehr herausgestellt. Es ist der Umstand, dass sich Inés gerade trotz ihrer einfachen Kleidung nicht wortkarg und schüchtern, sondern überlegt und schlagfertig gibt, der ihren wahren gesellschaftlichen Stand vorausdeutet. begründet sein mag, dass die Handwerker und Kaufleute systematisch von diesen Orden ausgeschlossen sind. Vgl. Vicens Vives (1979: 10): „Ninguna de las Órdenes Militares, ingreso a las cuales constituía la máxima ambición de un aristócrata, le hubiese admitido si él o su padre hubiesen sido mercaderes; incluso las profesiones mecánicas incapacitaban para obtener cargo de regidor.“ Farr (2000: 27) verweist seinerseits darauf, dass sich die Zünfte im Spanien des 14. Jahrhunderts aus religiösen Bruderschaften entwickelten, infolgedessen als cofradías, später als gremios bezeichnet wurden, und seit dem 13. Jahrhundert unter königlicher Schirmherrschaft standen. Auch, dass das spanischen Zunftsystem in den religiösen Bruderschaften wurzelt, erklärt die Anlehnung der Tracht der Zünfte an das Ordenssystem. 332 Del Rey (1791: 6). 7. Vir faber und vir rusticus 501 In La reproduction. Eléments pour une théorie du système d’enseignement (1970) skizziert Bourdieu den Habitus als einen durch Erziehung und Ausbildung erzeugten Verhaltenskodex, der wiederum Praktiken der kulturellen Willkür produziert. Hierbei wird der Habitus der Herrschenden für die übrige Gesellschaft zur Norm. Allein die Nachkommen der oberen Schichten, die von klein auf auf dieses System vorbereitet wurden, sind ideal daran angepasst.333 Die Fehlannahme des Marqués besteht darin, dass er davon ausgeht, der primäre Marker des Habitus sei die Kleidung. Entsprechend weist er sie als Mittel der Distinktion aus, durch das er sich von der einfachen Herkunft des vermeintlichen Bauernmädchens abgrenzt. Es ist jedoch Inés‘ kluge und gewandte Rede, die sich als das wirksamere Ausdrucksmedium des Habitus erweist. Inés mag wie eine Bäuerin gekleidet sein, ihre Sprache aber ist die einer Gräfin, was auch die folgende Frage des Marqués verdeutlicht: ¿Quién eres? que tu decencia te distingue de las payas tanto como tus ideas.334 Spätestens hier werden Sprache und „ideas“ im Sinne eines moralischen Wertesystems, in dessen Zentrum die Tugend der modestia steht, als Indizien eines adeligen Habitus ersichtlich, der ganz im Geiste der Reformökonomie steht. Zugleich offenbart sich die Referenz der Komödie auf einen aufklärerischen Moraldiskurs, in dem säkulare Tugenden mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Dies bestätigt die eingangs formulierte These, dass sich populäre Komödien im späten 18. Jahrhundert einzelne Elemente des aufklärerischen Diskurses aneignen und in einen auf Unterhaltung ausgerichteten theatralen Diskurs einbinden. Dazu ist anzumerken, dass die wiederkehrende Plotstruktur des ‚märchenhaften’ sozialen (Wieder-)Aufstiegs eines dem einfachen Volk zugehörigen Individuums – hier der Bäuerin – in den Adel gewiss auch ein unterhaltsames Element ist. 333 Vgl. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1971): La reproduction. Eléments pour une théorie du système d’enseignement. Paris: Minuit sowie idem (1980): Le sens pratique. Paris: Minuit, pp. 87ff. 334 Del Rey (1791: 6). 502 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Der Habitus ist bei Bourdieu aber nicht nur sozial, sondern auch geschlechtlich kodiert.335 In der Herabwürdigung von Inés‘ Äußerem durch den Marqués manifestiert sich seitens des männlichen Gegenübers nicht nur der Versuch, eine durch den Adelsstand begründete soziale Dominanz auszuüben. Die in der Jugend und Attraktivität des vermeintlichen Landmädchens begründete Ansprache der jungen Frau durch den älteren Mann, der damit zugleich als viejo verde in Erscheinung tritt, ist zugleich der Versuch, ein männliches Herrschaftsverhältnis336 durch ein soziales zu untermauern und zu festigen. Zur männlichen Herrschaft als einer von beiden Geschlechtern unbewusst internalisierten und damit akzeptierten Form symbolischer Gewalt bemerkt Heße: Das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern – welches seine Legitimation aus der Biologie bezieht, sich jedoch als in den Körper eingeschriebene, biologisierte gesellschaftliche Konstruktion erweist – gründet sich auf symbolische Gewalt, die den Beherrschten zur Anerkennung und Mitwirkung an seiner eigenen Unterdrückung zwingt. Diese Gewalt wird von den Beteiligten als solche jedoch nicht erkannt: Die Zustimmung zur Unterwerfung geschieht jenseits einer bewussten oder willentlichen Entscheidung, sie basiert vielmehr auf jenem einverleibten, vorreflexiven Wissen, das durch die geschlechtsspezifische Prägung des Habitus vermittelt wird.337 In der zitierten Szene ist es allerdings die durch Inés‘ gewandte Redeweise vorausgedeutete soziale Ebenbürtigkeit zwischen ihr und dem Marqués, die, gepaart mit der Tugendhaftigkeit der weiblichen Figur, die Ausübung sexualisierter Dominanz ebenso scheitern lässt wie den Versuch, Dominanz durch die Überlegenheit des Standes auszuüben.338 Dies geschieht im Kontext der Ehrbarkeit des arbeitenden 335 Vgl. Bourdieu, Pierre (1990): „La domination masculine“. In: Actes de la recherche en sciences sociales, 84, pp. 2-31. Zur geschlechtlichen Kodierung des Habitus bei Bourdieu vgl. auch Heße (2008: 70ff.). 336 Vgl. Heße (2008: 72). 337 Heße (2008: 72f.). 338 Damit steht im Grunde die männliche Autorität des Marqués in Frage. Heße (2008: 72f.) rekurriert mit Bezug auf Bourdieu (1997: 88) auf dessen Konzept von Männlichkeit als einer symbolischen Form des Adels, das mit Befugnissen und Privilegien auch Pflichten mit sich bringt. In der Figur des Marqués vereinen sich symbolischer und tatsächlicher Adel. Beide, das männliche sexuelle Begehren und der soziale 7. Vir faber und vir rusticus 503 Menschen, die schon in Los menestrales im Kontext des vir faber zur Sprache gekommen war und in del Reys Stück nun in ein ländliches Setting versetzt wird, wenn der (im Geheimen adeligen) Inés dort die bürgerliche Tugend der modestia zugewiesen wird. Kurz bevor sie die Bühne verlässt, versetzt Inés gegenüber dem Marqués: Inés. [...] si hallará una paya de estas, á quien con poca razón los Cortesanos desprecian, que por guardar su decoro qualquiera atención os pierda. Vase.339 Die höfische Missachtung der attraktiven ‚Hinterwäldlerin‘ („paya“, s.o.), die der Marqués – wie Inés ironisch bemerkt – in ihr sieht, bezeichnet sie nicht nur als irrational; vielmehr behält sie sich vor, ihre Ehre zu wahren, indem sie sich dem prätentiös-begehrlichen Aristokraten entzieht und die Szene verlässt. Behauptet Inés damit zum einen ebenso ihre Würde als Bäuerin wie die von ihr als unverheirateter junger Frau geforderte voreheliche Keuschheit, so handelt es sich bei ihrem Abtritt von der Bühne zum anderen um ein Gebaren, mit dem sie unwissentlich den ihr zu diesem Zeitpunkt noch verborgenen Adelsstand affirmiert. Die Ehrbarkeit der vermeintlichen labradora, die es ihr erlaubt, den Marqués unbeachtet stehen zu lassen und ihres Weges zu ziehen, ist im Grunde Teil eines anerzogenen aristokratischen Habitus. Dass die Ehrbarkeit selbst der wohlhabenden Bauernschaft auch in del Reys Stück rhetorisch bleibt, verdeutlicht Celestinos Klage darüber, dass sein widriges Los als arbeitender Mensch ein elendes Dasein jenseits der Ordnung begründe: „[...] sepultado mi nombre / en el caos de la baxeza.“340 Standesanspruch, werden durch die von Inés zur Schau gestellte soziale Ebenbürtigkeit in ihre Schranken verwiesen. 339 Del Rey (1791: 7). 340 Del Rey (1791: 13). 504 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.7. Luciano Comellas El buen labrador (1791)341: Aus Schwertern werden Pflugscharen Ebenso wie del Rey nimmt sich auch Comella in El buen labrador (1791) des Landlebens und der Figur des Bauern an, rückt aber den Aspekt der physischen Arbeit und insbesondere die Tätigkeit des Pflügens stärker in den Vordergrund. Auf Gattungsebene stuft Angulo Egea diese und weitere auf dem Land angesiedelte Komödien Comellas, wie beispielsweise El pueblo feliz (1789), Los falsos hombres de bien (1790), El dichoso arrepentimiento (1790) und La buena nuera (1794), als comedias sentimentales rurales ein. 342 In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass insbesondere Comellas frühe Werke dieser Art eine Aktualisierung der „comedias rurales barrocas“ Lopes und Calderóns seien, worauf auch die Szenographie Hinweise gebe.343 Auch wenn der Topos von Landleben und Bauernschaft bei del Rey ebenso wie bei Comella mit dem Liebesplot des matrimonio desigual verbunden ist, hat bei Comella die ökonomische Komponente des Bauerndaseins ein größeres Gewicht als dies bei del Rey der Fall ist. Im selben Maße, wie sich El hombre agradecido den konkreten ökonomischen Herausforderungen und dem geschäftlichen Kosmos der Kaufleute widmet und dabei ökonomische Basiskonzepte wie Aktiv- und Passivhandel in den theatralen Diskurs einflicht, verschreibt sich El buen labrador den ökonomischen Besorgnissen der spanischen Agrarwirtschaft, die hier durch Figuren wie Bauern, Bäuerinnen und PächterInnen personifiziert werden. Auch in diesem Stück schlägt sich der Theoriehorizont des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses in der Figurenrede nieder, etwa dann, wenn Comella auf Topoi der physiokratischen Lehre zurückgreift. El buen labrador schlägt jedoch nicht nur Brücken zur politischen Ökonomie. Auch und vor allem geht es um die konkreten Besorgnisse 341 Fernández Cabezón (2002: 116) datiert die Uraufführung dieses Stückes vor dem Hintergrund einer Rezension im Memorial Literario auf 1795. Die mir vorliegende Druckversion sieht hingegen eine Aufführung für den Sommer des Jahres 1791 durch die Compañía de Manuel Martínez vor. Ob das Stück tatsächlich bereits 1791 uraufgeführt wurde, bleibt zu klären. Fernández Cabezón weist darauf hin, dass die Rezension des Memorial Literario mit der Januar-Ausgabe von 1796 mit einer für den Memorial untypischen Verzögerung erscheint. 342 Vgl. Angulo Egea (2006: 77). 343 Vgl. Angulo Egea (2006: 77). 7. Vir faber und vir rusticus 505 der Landbevölkerung. Dazu gehört die Auseinandersetzung der Dorfbewohner mit einer auf den eigenen Profit ebenso wie auf ihre Standesrechte bedachten hidalguía. Diese wird durch Gil de Monteligro344 als lächerliche Figur und Vertreter eines niederen und daher umso mehr auf seine Privilegien pochenden Landadels repräsentiert. Die Figur steht stellvertretend für die Teile des Provinzadels, die ihr Leben in einem „parasitären Müßiggang“ verbringen und der sich „gegen Ende des Jahrhunderts“ gerade aus den Reihen der „liberaler geprägten Reformbefürworter“ harscher Kritik ausgesetzt sehen.345 In Analogie zu seiner Komödie um den ehrbaren Kaufmann Bruno inszeniert Comella in diesem Stück den ehrbaren Bauern Benito de Castro, der gegen alle Widerstände Gils dessen Tochter Torquata zu ehelichen beabsichtigt. In seiner Komödie um den ebenso wohlhabenden wie ehrbaren Bauern – auch hier werden ökonomischer Erfolg und Tugend aneinander gekoppelt – stellt Comella deutliche Bezugspunkte zu den Themen her, um die auch der (agrar-)ökonomische Reformdiskurs der spanischen Aufklärung kreist: zur Frage nach der Funktionalität des königlichen Verwaltungsapparates in den fernab des Hofes gelegenen Provinzen; zur Sorge um das Gemeinwohl, das durch das Selbstinteresse und Profitdenken sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernder Einzelner gefährdet ist; zum Umgang mit der Ernte in Zeiten der Krise und der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt ihrer Veräußerung; zum Wucher sowie, nicht zuletzt, zur Rolle des Monarchen und seiner Stellverteterfiguren als Protektoren und Wohltäter. All diesen Aspekten widmet sich Comellas Stück und schlägt dabei wiederholt Brücken zu aufklärerischen Schlüsselbegriffen wie utilidad und bien común. Auf der Seite des Guten, d.h. des Staates, der Krone, des aufgeklärten Reformdiskurses, steht der titelgebende buen labrador Benito, ein wohlhabender und, wie sich auch hier gemäß der für das populäre Theater typischen Adelskonvention herausstellen wird, blaublütiger Landbesitzer, der allerdings nicht auf seinen rechtmäßigen Titel pocht, sondern diesen im Gegenteil verschweigt. Außer an der Beackerung der von ihm käuflich erworbenen Ländereien ist ihm daran 344 Dieser wird im Nebentext als „hidalgo ridículo“ tituliert. Comella, Luciano Francisco (1791): El buen labrador. Que se ha de representar por la Compañía de Manuel Martínez en el verano de este año de 1791. Ohne Orts- und Verlagsangabe. Quelle: https:// archive.org/details/A25012319, Zugriff: 12.08.2022, p. 1. 345 Pietschmann (2005: 230). 506 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien gelegen, die finanzielle und materielle Not der armen PächterInnen, ViehhirtInnen und LandarbeiterInnen zu mildern, die durch die Koalition der Antagonisten um Gil verursacht wurde. Zu ihr gehören neben dem von Standesdünkeln beherrschten Hidalgo der korrupte Gutsverwalter Don Diego und der schmarotzerische Student Don Silverio. Sie bringen die darbende Bevölkerung zu Zwecken der Selbstbereicherung um Ernteerträge, Saatgut und andere Naturalien. Unter dem Vorwand, dass Benito nicht von Stande sei, stellt sich der Hidalgo der Eheschließung zwischen dem ehrbaren Bauern und seiner Tochter Torquata in den Weg. Der wahre Grund allerdings ist, wie wir im Laufe des Stückes erfahren, dass Benito Gils von Selbstinteresse getriebene Machenschaften untergräbt, indem er der Landbevölkerung dort aushilft, wo Not herrscht und somit die von Gil forcierten materiellen Abhängigkeiten hintertreibt. Wenn schließlich die Figur des Conde in der doppelten Funktion als Ordnungsstifter und Stellvertreterfigur des Monarchen einschreitet, um das aus den Fugen geratene Dorfleben wieder ins reformökonomische Lot zu bringen, werden die Bösewichte um Gil bestraft und Benito mit der durch den Conde beschiedenen Eheschließung mit Torquata belohnt. Damit weist Comellas Stück einerseits die typische Plotstruktur neoklassischer Komödien der Spätaufklärung auf; andererseits finden sich populäre Elemente wie die Nichteinhaltung der Einheit des Ortes und die Adelskonvention. Die eingangs bereits angedeutete Umkehr der sozialen Stände der Liebenden Benito und Torquata erfolgt auch hier am Ende der Komödie, als sich Gils Adelstitel als gefälscht herausstellt und Benito mit Hilfe eines Adelsbriefs (span.: ejecutoria), nachweisen kann, dass er tatsächlich von Stande ist. 7.7.1. Die physiokratische Lehre und der Kaiser von China Die Moral von El buen labrador, die den arbeitsamen, großzügigen und königstreuen Bauern Benito am Ende mit der ersehnten Herzensdame belohnt, entspricht ganz und gar dem reformökonomischen Programm des Ministers Campomanes, das Llombart Rosa wie folgt zusammenfasst: El programa podría resumirse en la liberalización económica interior, proteccionismo respecto al interior y papel clave del fomento de la agricultura 7. Vir faber und vir rusticus 507 basado en el labrador independiente. La liberalización interior debía alcanzar a los precios – incluido el tipo de interés –, al cultivo, al comercio interior y al colonial, al establecimiento industrial, a las ordenanzas gremiales, a la Mesta y al amplio capítulo de estancos, privilegios y restricciones existente. Esa liberalización económica gradual, acompañada de medidas de fomento de la agricultura, de la industria popular y de la ocupación, produciría un incremento de la producción.346 Ackerbau, Industrie und Handel sind Campomanes zufolge komplementäre Wirtschaftszweige,347 die ineinandergreifen und die es simultan zu fördern gilt, um das primäre reformökonomische Ziel zu erreichen, die inländische Produktion zu erhöhen. Wie Llombart Rosa betont, stellen die Privilegien des Adels dabei eines von vielen Hindernissen dar. Auch Benito skizziert die bei seinem Eintreffen vorgefundene Situation als die einer Landbevölkerung, die die Arbeit deshalb mied und sich dem Müßiggang hingab, weil der geizige Hidalgo Don Gil und seine Helfershelfer ihr das wenige Erwirtschaftete sogleich wieder nahmen, um sich selbst zu bereichern: Pero pintaros, señor [Conde], el desamor al trabajo, la ociosidad, la miseria que en este lugar infausto encontré:– Para decirlo de una vez, aquí el descanso era virtud; la fatiga vicio. Habiendo preguntado la causa de aquel trastorno por el Cura, y otros varios supe, que los infelices rehusaban el trabajo porque á costa de sus ansias se saciaban los avaros. Vos, sois uno de ellos, vos!348 346 Llombart Rosa (2000: 24). Vgl. Llombart Rosa (2000: 21). 348 Comella (1791: 34). 347 508 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Wenn Gil und seine Spießgesellen auf die Frage des zum Richter berufenen Conde: „A la labor sois los tres aficionados?“ einräumen: „Señor, como somos ricos:–“ und „Como hemos nacido hidalgos:–“, ist es ihr Fehlschluss, dass Adel und Arbeit nicht miteinander vereinbar seien, der den Conde bewegt, zu Benitos Gunsten zu entscheiden. Wenn er Benito sodann veranlasst, ein Feld zu pflügen und dies, wie der Conde sachkundig bemerkt, zur größten Zufriedenheit des aufgeklärten Staatsdieners und Fachmannes in Sachen Landwirtschaft gelingt („Esta tierra / parece buena. El surco ancho /y profundo, contribuye / al buen éxito del grano. / Buen barbecho!“349), scheut der Conde sich nicht, letztlich selbst zur Pflugschar zu greifen, um den Uneinsichtigen durch diese Demonstration ihren Adelsdünkel auszutreiben: „[...] y no tengo inconveniente / en manejar el arado. / A ver que tal yo me ingenio.“350 Damit nicht genug: Der Conde geht so weit, nicht nur die Vereinbarkeit von Landwirtschaft und Adel, sondern gar die Vereinbarkeit von Königtum und Ackerbau ins Spiel zu bringen, obwohl es sich dabei um eine schweißtreibende körperliche Arbeit handelt, die hier durch das Pflügen metonymisiert wird. In diesem Kontext zählt der Conde eine ganze Reihe von Monarchen auf, die sich höchstpersönlich landwirtschaftlich betätigt haben, indem sie entweder, wie der Kaiser von China, ihren Untertanen mit gutem Beispiel vorangingen und selbst pflügten, oder, wie der Habsburgerkaiser Joseph II., Anhänger und vor allem Anwender physiokratischen Gedankenguts waren: Quien dijo que la nobleza se opone al arado? Este exercicio no ha habido infinitos Soberanos que le han exercido? Exemplos no tenemos reiterados de esta verdad? En la China no sale una vez al año su Emperador, y estimula al vasallo el mismo arando? no hay que ir tan lejos. Josef Segundo, también no ha honrado en nuestro tiempo este arte? 349 350 Comella (1791: 34). Comella (1791: 34). 7. Vir faber und vir rusticus 509 En España, no admiramos dos Príncipes generosos que por sí mismos plantaron árboles? [...]351 Mit der Erwähnung der bäumepflanzenden Prinzen am Ende der Aufzählung erfolgt eine deutliche Anspielung auf die spanische Reformpolitik unter Carlos III. Bereits am 31. Januar und 12. Dezember 1748 hatten zwei königliche Erlasse verfügt, dass zum Schutz vor der zunehmenden Bodenerosion sowie zur Eindämmung der um sich greifenden Abholzung der Wälder352 Bäume an Berghängen zu pflanzen seien und Schonungen vor dem Kahlfraß durch Ziegenherden geschützt werden müssten.353 Die Idee, Bäume zu pflanzen, um die Fruchtbarkeit der spanischen Böden zu fördern und der Trockenheit beizukommen, verficht auch der valencianische Mönch Antonio Ponz (1725-1792) im neunten Band seiner im Auftrag von Campomanes unternommenen Spanienreise, die ab 1772 in seinem siebzehnbändigen Opus Viage de España dokumentiert.354 Ponz betrachtet die Einrichtung von Schonungen als ein Allheilmittel zur Förderung der Konkurrenzfähigkeit Spaniens im Manufakturwesen sowie im Innen- und Außenhandel.355 Auch Jovellanos geht 1781 in seinem Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de Asturias356 sowie im Informe de Ley 351 Comella (1791: 35f.). Die Abholzung der Wälder wird etwa im Baskenland ab 1750 durch den steigenden Bedarf an Holzkohle zur Metallverarbeitung beschleunigt. Vgl. Herr (1988: 115). 353 Vgl. Brieva, Matías (1828): Colección de Leyes, Reales decretos y órdenes, acuerdos y circulares pertenecientes al ramo de la Mesta (1729-1827). Madrid: Repullés. p. 42. Vgl. auch Crespo Delgado, Daniel (2012): Un viaje para la ilustración: el Viaje de España (17721794) de Antonio Ponz. Sevilla u.a.: Fundación de Municipios Pablo de Olavide, pp. 157f. 354 Vgl. Ponz, Antonio (1772-1794): Viage de España, o Cartas en que se da noticia de las cosas más apreciables y dignas de saberse. Madrid: Ibarra. Ponz‘ Reisebericht reiht sich in eine Serie von Repliken auf die spanienkritischen Polemiken französischer Aufklärer ein. Vgl. Frank, Ana Isabel (1997): El Viage de España de Antonio Ponz. Frankfurt/ Main u.a.: Lang, pp. 61ff. Zu den spanischen Reaktionen auf französische Polemiken vgl. auch von Tschilschke (2009: 78ff.). Zur Bedeutung der Bäume für Ponz vgl. neben Crespo Delgado (2012: 157ff.) auch Carrera Pujal, Jaime (1945): Historia de la Economía Española. Barcelona: Bosch, pp. 601ff. Zu den (reform-)ökonomischen Überlegungen Ponz’ vgl. Frank (1997: 90ff.). 355 Vgl. Crespo Delgado (2012: 159). 356 Vgl. Jovellanos (2008a: 282f.). 352 510 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Agraria von 1795 auf die Notwendigkeit der Baumpflanzung ein, um der Austrocknung und Erosion der spanischen Böden vorzubeugen: Es verdad que los árboles pueden venir en todas partes, que pueden lograrse de riego y de secano, que se pueden acomodar á los climas mas áridos y ardientes, y en fin que la naturaleza, siempre propensa á esta produccion, se presta fácilmente al arte do quiera que la solicita; pero, ¿qué propietario, qué colono se atreverá á plantar las lindes de sus tierras si teme que el diente de los ganados destruya en un dia el trabajo de muchos años? Cuando sepa todo el mundo que podrá defender sus árboles como sus mieses, todo el mundo plantará por lo menos donde los árboles ofrezcan una notoria utilidad.357 Wenn Comella also das Bild vom Monarchen als beflissenem Landwirt bemüht und der Conde in diesem Zusammenhang als „agricultor honrado“358 bezeichnet wird, erweist sich dieser als Stellvertreterfigur einer Monarchie, der am nationalen Ackerbau gelegen ist, die sich selbst landwirtschaftlich betätigt und sachkundige Regierungsvertreter in die Provinzen entsendet, um den ländlichen Frieden wiederherzustellen. Es ist jedoch nicht allein der Conde, der als Stellvertreterfigur und Erfüllungsgehilfe des Pastoratsprinzips agiert, auch der patriotische und königstreue Bauer Benito, der wiederholt auf den König als „nuestro Augusto Monarca“359, auf das Staatswohl360 sowie auf „lo que Dios y el Rey ordenan“ verweist,361 nimmt diese Rolle ein. Es wurde bereits gezeigt, wie Duráns Komödie La industriosa madrileña über die Figuren Prudencio, Esteban und Blas eine dreiteilig gestufte Reihe von Stellvertretungen inszeniert, die von unten (vom Lehrling Blas) nach oben (zum Minister Prudencio) reicht. Ähnlich verfährt Comella in El buen labrador: Auch hier wird eine über drei Ebenen verlaufende Stufung inszeniert, die gesellschaftshierarchisch von unten nach oben aufsteigt: Am unteren Ende steht der einfache, wenn auch mit dem Titel eines Hidalgo ausgestattete Bauer Benito, der versiert mit dem Pflug umzugehen weiß; eine Stufe höher folgt der vom König zum Richter berufene Conde, der Benitos Werk zunächst fachkundig 357 Vgl. Jovellanos (1998: 269). Vgl. hierzu auch Crespo Delgado (2012: 158). Comella (1791: 34). 359 Comella (1791: 6). 360 Comella (1791: 7): „[...] para el bien común / tiene prescripto el gobierno [...].” 361 Vgl. Comella (1791: 18). 358 7. Vir faber und vir rusticus 511 begutachtet und dann selbst zur Tat schreitet; die letzte und höchste Stufe bildet die vom Conde aufgerufene Reihe von Monarchen, die sich um die Landwirtschaft verdient gemacht haben. Wie schon in Duráns Stück ist auch hier die Monarchie als letzte und höchste Stufe nicht figural präsent, sondern wird in absentia aufgerufen. War hier bereits von Joseph II. als einem Anhänger der physiokratischen Lehre die Rede, vertiefen die von Comella entworfenen Szenen eines durch Benito und den Conde repräsentierten pflügenden Adels die Bezüge des Stückes zu dieser Doktrin. Am deutlichsten wird dies anhand des vom Conde angeführten Beispiels des Kaisers von China. Quesnay, Hauptbegründer der physiokratischen Lehre in Frankreich, nimmt in Despotisme de la Chine (1767)362 Bezug auf die Vorbildfunktion der chinesischen Kaiser als Oberhäupter eines Agrarstaates mit einer jahrhundertealten Tradition.363 Sein Wissen über das alte China bezieht er aus Jacques-Philibert Rousselot de Surgys (1737-1791) Mélanges intéressants et curieux364, dessen Darstellungen Quesnay allerdings zugunsten der eigenen Lehre abwandelt, etwa, wenn es um den gesellschaftlichen Rang der Bauern im chinesischen Staat geht, denen der französische Physiokrat eine privilegierte Stellung, nämlich den ersten Rang unter den Nicht-Gelehrten zuweist, während de Surgy die Bauern neben Händlern und Handwerkern lediglich als ersten Teil des einfachen Volkes aufzählt.365 Wie Pinot darlegt, führen bereits die katholischen Missionare des frühen 18. Jahrhunderts den Wohlstand und den sich daraus ableitenden Bevölkerungsreichtum Chinas auf die agrarische Tradition sowie auf die diesbezügliche Vorbildfunktion des Kaisers zurück. In diesem Zusammenhang erwähnt Pinot 362 Quesnay, François (1888 [1767]): „Despotisme de la Chine“. In: idem. Œuvres économiques et philosophiques de F. Quesnay, fondateur du système physiocratique. Paris: Peelman, pp. 563-660. 363 Zu China als Topos in den Schriften der Physiokraten vgl. auch Pinot, der von Quesnay als „chef de l’école physiocratique“ spricht. Pinot, Virgile (1906): „Les physiocrates et la Chine au xviiie siècle“. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine, 8, 3, pp. 200-214, hier p. 201. 364 Surgy, Rousselot de (1763-1765): Mélanges intéressants et curieux ou Abrégé d’histoire naturelle, morale, civile et politique de l’Asie, de l’Afrique et de l’Amérique et des terres polaires. X vols., hier vol. IV & V, vgl. daraus insbesondere vol. V: „Considération des Chinois pour l‘agriculture“, pp. 295ff. 365 Vgl. hierzu Pinot (1906: 205). Zur euphemistischen Sicht der Physiokraten auf China und zu der daraus sich ergebenden zeitgenössischen Kritik an der physiokratischen Sichtweise, etwa bei Mably, vgl. Pinot (1906: 210f.) sowie Shi (2007: 103f.). 512 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die schon von de Surgy366 kolportierte und von Quesnay in Despotisme de la Chine übernommene Anekdote vom pflügenden chinesischen Kaiser, auf die auch Comella in der oben zitierten Replik des Conde rekurriert: „La cause en était dans le gouvernement qui favorisait l’agriculture, qui labourait en personne à certaines époques de l’année pour affirmer que l’agriculture, bien loin d’être déshonorante, était la profession la plus noble qui fût au monde.“367 Eben in der zentralen Rolle, die die Landwirtschaft traditionell im chinesischen Staat einnimmt, besteht die Attraktivität Chinas für die physiokratische Lehre, sieht Quesnay dieses Land doch als Bestätigung für seine Thesen.368 Ihr Echo im spanischen reformökonomischen Diskurs findet die China-Begeisterung der französischen Physiokraten in Enrique Ramos‘ Discurso sobre economía política (1769), das er unter dem Pseudonym Antonio Muñoz veröffentlicht und wo bereits im „Prefacio“ von ‚jenem Grad der Perfektion‘ (meine Übersetzung)369 die Rede ist, den die Chinesen auf den Gebieten des Ackerbaus, der „artes útiles“370, der Infrastrukturen und der Lokaladministration erreicht hätten. Wenn Comella hier seinerseits in intertextueller Manier auf Quesnay verweist, schlägt er damit zugleich eine explizite Brücke zum physiokratischen Theoriehorizont. Dieser diskursive Brückenschlag zieht sich wie ein roter Faden durch den Dramentext, in dem sich Comella wiederholt 366 Vgl. Surgy (1763ff.: 295): „Le successeur de [l’empereur] Cang-hi a surtout fait les règlements les plus favorables pour exciter l’émulation des laboureurs. Outre qu’il a donné lui-même l’exemple du travail, en labourant la terre & en y semant cinq sortes de grains; savoir, du froment, du riz, du mil, appelé cao-leang ; il a encore ordonné aux gouverneurs de toutes les villes, de l’informer, chaque année, de celui qui se sera le plus distingué, chacun dans son gouvernement, par son application à la culture des terres, par une réputation intègre, & par une économie sage & bien entendue.“ 367 Pinot (1906: 204). 368 Vgl. Pinot (1906: 211): „[...] il rencontre par hasard une nation où se trouvait réalisé le principe dominant de son système: le principe de l’agriculture, objet de toute attention du gouvernement parce qu’elle est la source de toutes les richesses. Et ce gouvernement existait depuis toute antiquité!“ China dient den Physiokraten als das erste Beispiel unter vielen, aus dem sie allgemeine Gesetze zur Entstehung von Gesellschaften abzuleiten suchen. Darauf folgen die Assyrer, alten Ägypter, Perser u.a. 369 Ramos (1769: XVIII). Nur gering fallen hingegen die chinesischen Errungenschaften in den „artes abstractos“, etwa der Hydraulik, aus. Ramos (1769: IX). 370 Bezeichnenderweise spricht auch Ramos (1769: XVIII) hier nicht mehr von den negativ konnotierten artes mecánicas, sondern von den ‚nützlichen Künsten‘ (meine Übersetzung). 7. Vir faber und vir rusticus 513 der konkreten Sorgen der Landbevölkerung annimmt, die sich aus Schulden, überteuerten Krediten, fehlendem Saatgut, Ernteausfällen, Krankheit und einer die Armen schröpfenden Herrschaft herleiten. Auch wenn Carlos IV. in der vom Conde aufgerufenen Reihung um den Ackerbau besorgter Monarchen nicht explizit aufgeführt wird, wird doch vorausgesetzt, dass wie die Kaiser von China und Österreich auch der aktuelle spanische Regent zur erlesenen Schar königlicher Förderer der Landwirtschaft zählt. Dies legt eine kurz zuvor fallende Replik Benitos nahe. Während Gil der Auffassung ist, Benito könne unmöglich von Adel sein, da er sich persönlich im Ackerbau betätige und körperliche Arbeit nicht mit der Aristokratie vereinbar sei – eine Aussage, die auch der Gewürzweinhändler Pitanzos aus Los menestrales trifft –, hält Benito Gil entgegen: Con mucho honor [voy a arar los campos], y aunque al Rey debiese el mayor encargo, sabed que no desdeñara el manejo del arado.371 Der Monarch ist demnach jemand, der eine körperliche Betätigung am Pflug durchaus zu schätzen weiß. Im weiteren Verlauf des Gesprächs fällt dann auch explizit der Name „Carlos“, als dessen „Vasallo honrado / y fiel [...]“ Benito sich ausweist.372 In seiner Plotstruktur und mit seinen fleißigen, vor ländlicher Kulisse fröhlich singenden Landbewohnern, deren arbeitsames und bescheidenes Dasein durch das Patronat eines aufgeklärten und reformorientierten hombre de bien gegen das Profitstreben und die Korruption der lokalen Autoritäten verteidigt wird, weist El buen labrador deutliche Anleihen an die zwei Jahre zuvor aufgeführte, ebenfalls von Comella verfasste Komödie El pueblo feliz (1789) auf. Dort sieht sich der redliche corregidor Benigno als lokaler Richter und Verwaltungsbeamter den Machenschaften des Hidalgo Alonso und des ebenso illoyalen wie korrupten Gerichtsschreibers gegenüber. Auch hier wird mit dem Protagonisten, der den sprechenden Namen Benigno trägt, ein Regierungsbeamter auf der Bühne inszeniert, der sich für die Feldarbeit nicht zu schade ist und Seite an Seite mit den Bauern Garben 371 372 Comella (1791: 33). Comella (1791: 33). 514 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien aufschichtet, während die moralisch Korrumpierten durch ihre Untätigkeit unangenehm auffallen.373 Auch hier werden Brücken zur physiokratischen Lehre geschlagen, wenn der zur Arbeit nicht zu bewegende Schreiber belehrt wird, gerade die Vertreter der Regierung müssten, so wie Benigno, mit gutem Beispiel vorangehen, ganz nach dem Vorbild jener „Príncipes que no desdeñan / en los ocios del reynar / de las artes las faenas“.374 Hier ist von Prinzen die Rede, die nicht nur die artes liberales, sondern auch die Kunst des Ackerbaus zu schätzen wissen. In El buen labrador wird nun das Motiv von einer die Feldarbeit ehrenden Monarchie dergestalt zugespitzt, dass dort sogar Thronfolger erwähnt werden, die selbst zu Spaten und Saatgut greifen. Auch El pueblo feliz enthält ein prononciertes Lob körperlicher und handwerklicher Arbeit, als ein im Namen der Krone ausgeschriebener und unter der Aufsicht Benignos stattfindender Handarbeitswettbewerb die Schöpferinnen der besten Textilarbeiten des Dorfes am Ende des Stücks mit einer Medaille (als symbolischem) und einer Geldprämie (als monetärem) Wert entlohnt. Damit konzipiert Comella im selben Jahr wie Durán ein Stück, das über das Pastoratsprinzip ein System der Prämierung exzellenter Textilarbeit auf der Bühne vorführt und mit der Auszeichnung des guten Beispiels der moralkonformen Tüchtigen einen Seitenhieb gegen die Untätigen platziert, die in Analogie zu El buen labrador auch hier durch einen Vertreter der hidalguía und seinen Helfershelfer repräsentiert werden.375 Ist es bei Durán die Fabrik Estebans und die Ortschaft Olot, mittels derer eine Utopie gelungenen Wirtschaftens im Kleinen entworfen wird, dient in Comellas 373 Vgl. den Nebentext zu Beginn des dritten Aktes in Comella, Luciano (1789): El pueblo feliz. Comedia en quatro actos representada por la Compañía de Manuel Martínez el día 9 de septiembre de 1789. Madrid: ohne Verlagsangabe. Quelle: http://dl.ub.uni-freiburg.de/ diglit/comella1789a/0001/thumbs?sid=560c4126331 340770ac91af9e6162da7#current_ page, Zugriff: 12.09.2022, p. 19: „El teatro representa un campo en disposicion [sic] de estarle acabando de segar: aparacerán segando los Mozos; las Mozas y los Ancianos atando aces, D. Benigno acinandolos, y el Escribano sentado encima de algunos de ellos.“ 374 Comella (1789: 19). 375 Dies verdeutlicht eine Replik Benignos am Tag der Prämierung, vgl. Comella (1789: 35): „Hoy, amado pueblo mío / en quien todo mi cuidado / he puesto para lograr, / con vuestro propio trabajo, / introduciros la dicha, / la pereza desterraos, / es aquel día en que el premio / va á recibir de mi mano, / para estímulo de todos, / el virtuoso aplicado. / El honor y la virtud, / donde se estimula es claro / que las artes alimenta. [...] / ¿Qué gloria para este Pueblo / no será tener el lauro / de laborioso?“ 7. Vir faber und vir rusticus 515 El pueblo feliz die Dorfgemeinschaft dazu, als wirtschaftlicher Mikrokosmos die spanische Nation zu repräsentieren. Nicht umsonst verweist der Nebentext zu Beginn des Stückes darauf, die Kulisse bilde eine „población de setecientos vecinos“, wie sie in unmittelbarer Nachbarschaft der größeren Städte zu finden sei („inmediata á una de las principales Capitales de la Península“).376 7.7.2. Das Gleichnis vom Sämann Wenn Durán in seiner comedia económico-sentimental für den Bereich der Industrie den Monarchen als ‚guten Hirten‘ seines Volkes in den Mittelpunkt rückt, dessen reformökonomische Stellvertreterfiguren über den Minister der Real Audiencia und den vorbildlichen Tuchproduzenten Esteban bis hin zum Lehrling Blas, und damit bis in das niedere Volk, reichen, ist das damit einhergehende Ineinandergreifen von säkularer Reformökonomie und der dem Pastoratsprinzip zugrunde liegenden religiösen Symbolik vor dem Hintergrund der nach wie vor zentralen Rolle der katholischen Kirche im spanischen Staat kein Zufall. Vielmehr wird die Macht des Monarchen dergestalt legitimiert, dass wiederholt die Einheit von Staat und Kirche beschworen wird. Dies hat auch unsere Analyse von Valladares‘ Komödie um den Bergmann Genaro gezeigt, in der der Souverän als Vaterfigur und deidad figuriert. Entsprechend häufig sind religiöse Bezugspunkte in den bisher untersuchten Stücken zu finden. Analog zu Duráns theatraler Inszenierung des Souveräns als gutem Hirten legt Comella seinem reformökonomischen Lehrstück über den Sektor der Landwirtschaft das biblische „Gleichnis vom Sämann“ zugrunde, das Jesus – wie das Markus-Evangelium erzählt – einer am See Genezareth versammelten Menge predigt: Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. Und es begab sich, indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen‘s auf. Anderes fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging bald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Da nun die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. Und anderes fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten‘s, und 376 Comella (1789: 1). 516 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien es brachte keine Frucht. Und all das Übrige fiel auf das gute Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach. Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre!377 Comellas Rückgriff auf die biblische Metaphorik dient dazu, den Monarchen ebenso konkret wie metaphorisch als den besagten ‚guten Sämann‘ auszuweisen, dessen Bestrebungen, die nationalen Erträge zu steigern, buchstäblich auf fruchtbaren Boden fallen, wenn sich der erfolgreiche Bauer Benito in seinem um das Gemeinwohl besorgten Tun immer wieder auf den Regenten als Vorbild beruft. Die bereits zitierte Szene, in der erst Benito und dann der Conde zur Pflugschar greifen und der Graf dabei Benitos guten Boden lobt, wird vor diesem Hintergrund metaphorisch lesbar: In dem vorbildlichen Bauern Benito geht die reformökonomische Saat des aufgeklärten Souveräns deshalb auf, weil er und seine Staatsdiener, repräsentiert durch den Conde, mit gutem Beispiel vorangehen. In der von Comella bemühten Metaphorik bilden sie jenen fruchtbaren ‚Boden‘, auf dem das aufklärerische Gedankengut keimen und gedeihen kann. Lobend äußert sich daher das dem aufgeklärten Absolutismus verpflichtete Presseorgan Memorial literario über Comellas Stück, begrüßt der Rezensent doch die moralisch vorbildlichen Handlungen.378 377 Mk 4, 3-9, zitiert nach Deutsche Bibelgesellschaft (ed.) (2017): Die Bibel nach Martin Luther. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. Quelle: https://www.bibleserver.com/ bible/LUT, Zugriff: 31.08.2022. Vgl. auch La Santa Biblia (2009), p. 1573: „Oíd: He aquí, el a sembrador salió a sembrar. Y aconteció, al sembrar, que una parte cayó junto al camino, y vinieron las aves del cielo y se la comieron. Y otra parte cayó en pedregales, donde no había mucha tierra; y brotó pronto, porque la tierra no era profunda. Pero cuando salió el sol, se quemó; y por cuanto no tenía raíz, se secó. Y otra parte cayó entre espinos; y crecieron los espinos y la ahogaron, y no dio fruto. Y otra parte cayó en buena tierra, y dio fruto que brotó y creció; y dio a treinta, y a sesenta y a ciento por uno. Entonces les dijo: El que tiene oídos para oír, oiga.“ 378 Vgl. Fernández Cabezón (2000: 116) mit Bezug auf Sánchez Agesta, Luis (1979): El pensamiento político del despotismo ilustrado. Sevilla: Servicio de Publicaciones de la Universidad de Sevilla: „Esta obra, que refleja un espíritu muy próximo al de Feijoo y que heredarán los reformistas ilustrados al defender la nobleza de una profesión como la de agricultor (Sánchez Agesta 1979, 72-155), fue alabada desde el punto de vista ideológico: ‚la moral de esta comedia es apreciable; el exemplo de du acción excelente...‘ (140). Los reparos se centran en los apartados compositivos. [...]‚ la disposición de su trama es buena aunque desatada en algunas partes, los episodios propios pero también algo sueltos‘.” Kritik erntet neben der Struktur vor allem die lächerliche Figur der 7. Vir faber und vir rusticus 517 Interessant ist die in Comellas Stück sowohl Benito als auch dem Conde und der Reihe von Souveränen zugeschriebene Sachkunde im Bereich der Landwirtschaft. Wie Gonzalo Anes und Álvarez de Castrillón gezeigt haben, fehlt es den meisten Regierungsvertretern mangels praktischer Erfahrung an agrarischer Kompetenz. Dies führt zu teils absurden Vorschlägen, die ohne Berücksichtigung der meteorologischen und geologischen Gegebenheiten erfolgen und von den örtlichen Bauern wohlweislich ignoriert werden: Los agraristas del Siglo de las Luces, desconocedores de las prácticas del cultivo, teorizaban con razonamientos que pudieran ser válidos en tierras en las que las lluvias abundantes asegurasen el crecimiento de la hierba y de los forrajes que pudieran permitir la estabulación intermitente del ganado. Por eso, los labriegos de tierras de secano no siguieron las recomendaciones de los agraristas, como contrarias que eran a las prácticas más acertadas y más convenientes para la economía de las familias.379 Dass im Rahmen der Fiktion von Comellas Komödie der Staatsdiener und Vasall sowie der Souverän gleichermaßen vorbildliche und das Praktische nicht scheuende Experten in Sachen Ackerbau sind, offenbart nicht nur die propagandistische, sondern auch die kompensatorische Funktion der comedia económico-sentimental. Hier werden im Rahmen des theatralen Diskurses Luftschlösser gebaut, die keine Entsprechungen in der ökonomischen Realität haben. Dies steht in Analogie zu hier analysierten Komödien um die Figur des Textilfabrikanten, etwa Duráns La industriosa madrileña, wo gegen alle Evidenz die Konkurrenzfähigkeit der spanischen mit der französischen Textilindustrie behauptet wird. Dies zeigt einmal mehr die Funktion der comedia económico-sentimental, reformökonomische Sollzustände zu projizieren. gebildeten Witwe Timotea mit ihren Latinismen, die eine weibliche Version des durch Cadalso begründeten Typs des falschen Gelehrten und eine erudita a la violeta ist. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die mujer erudita als eine komische Figur bereits in den Komödien des Siglo de Oro existiert. Timoteas Rolle als komische Figur fasst eine Replik des Conde treffend zusammen: „Esperad. Esta muger / es la ridiculez mesma.“ Comella (1791: 26). 379 Anes, Gonzalo/Castrillón (2000: 102): „Las versiones que dan los agraristas sobre los problemas rurales muestran su desconocimiento de las prácticas del cultivo.” 518 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 7.7.3. Gier, Korruption und die Unbestechlichen Während sich die ProtagonistInnen um Benito durch ihr ebenso rechtes wie ehrbares Handeln auszeichnen, regieren auf Seiten der (ausschließlich männlichen) Antagonisten um Gil Nepotismus und Korruption. Dabei ist den beiden AdjuvantInnen380 Benitos ein (männlicher) Opponent zugeordnet, der jeweils einen ähnlichen Beruf ausübt wie die vorbildliche Figur: So steht dem redlichen Anselmo als Alcalde del estado llano der korrupte Diego als Alcalde del estado noble gegenüber. Während aufseiten der Opponenten der schmarotzerische Student Silverio seinen Mitmenschen weniger durch Belesenheit als durch Bauernschläue so manche Naturalie abschwatzt381 und damit für komische Momente sorgt,382 unterstützt die halbgebildete Schreiberswitwe Timotea Benitos Sache, indem sie Torquata bei sich aufnimmt, um sie vor einer Entführung durch ihren Vater zu schützen. Die Figur der Timotea sorgt ebenfalls für die nötige Prise Humor, wenn sie lateinische Aphorismen und nur zum Teil richtig memorisierte Namen von antiken Literaten und Sagengestalten zum Besten gibt: So wird etwa aus dem römischen Dichter Vergil (span. „Vergilio“) ein jungfräulicher „Virginio“ oder aus der Ilias des Homer (span. „Homero“) das Werk des „Romero“.383 Zeichnen sich die AdjuvantInnen des Protagonisten dadurch aus, dass ihnen an der Einhaltung von Recht und Gesetz gelegen ist und sie um ihren guten Ruf besorgt sind, ist bei den Adjuvanten des Antagonisten das Gegenteil der Fall. Anselmo etwa, der zu Benitos allabendlich stattfindender Armenspeisung geladen ist, zögert, die Einladung anzunehmen. Auf Benitos Frage, warum er früher mit ihm gespeist habe, sich nun aber ziere, verleiht Anselmo seiner Sorge Ausdruck, dass man seine Anwesenheit bei Tisch als Parteinahme für Benito und als Indiz für Bestechlichkeit auslegen könnte: 380 Der Begriff des ‚Adjuvanten‘ ist Greimas‘ Aktantenmodell übernommen und bezeichnet eine/n HelferIn des Helden bzw. der Heldin. Vgl. Greimas, Algirdas J. (1971): Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen, trans. Jens Ihwe. Braunschweig: Vieweg & Sohn, pp. 157-177, hier p. 163. 381 Silverios Schmarotzertum widmet sich Kapitel 9.1.4. ausführlich. 382 Komik entsteht beispielsweise, wenn Silverio Benito immer wieder auf seinen Ertrag an Kichererbsen anspricht, weil er ihm etwas davon abschwatzen will und wiederholt das Gespräch zwischen Anselmo und Benito unterbricht, was Anselmo zu der Bemerkung veranlasst: „No seais / pelmazo.“ 383 Vgl. Comella (1791: 11). 7. Vir faber und vir rusticus 519 Ans. Por que no, quando en la cena [antes] os acompañaba, entonces no teniais en mi audiencia ninguna cosa pendiente, y podía con franqueza disfrutar vuestros favores; pero ahora que pende en ella la de vuestra boda, quiero por conservar siempre ilesa mi reputación, huir de que la malicia pueda culparme de sobornado ó parcial, ni aun por sospechas.384 Diego hingegen, Unterstützer des auf den eigenen Vorteil bedachten Gil, hatte sich durch Letzteren bestechen lassen, ohne dass dieser Umstand das Gewissen des alcalde belasten würde. Comella macht gleich zu Beginn des Stückes deutlich, wo das Problem liegt: Indem er Gil und sein Handlanger Diego als erste Figuren einführt, legt der erfahrene Dramatiker zunächst das vom niederen Landadel unterstützte nepotistische System offen, in dem finanzielle Abhängigkeiten geschaffen werden, um Einfluss auf Amtsträger nehmen zu können. Was die für die adeligen Güter zuständige Obrigkeit angeht, gelingt dies mühelos. Daher erwartet der Hidalgo, dass seinen Wünschen ohne Aufschub Genüge getan wird. Im konkreten Fall soll Diego die den Hidalgo beim Zeitunglesen störenden Gesänge und andere durch die Dorfbewohner verursachte Geräusche sofort beenden:385 384 Comella (1791: 18). Wenn Comella die Szenerie hier – ähnlich wie del Rey in La modesta labradora – mit einer singenden Landbevölkerung beginnen lässt, überwiegt dabei die Komik. Gil liest laut allerhand ebenso kuriose wie unbedeutende Nachrichten vor und braust bei jeder Unterbrechung durch ein Geräusch auf, sei es der Gesang der Wäscherinnen am Brunnen oder das Stampfen des Apothekers. Vgl. Comella (1791: 1f.). Anders als bei del Rey überwiegt bei Comella aber nicht das pittoreske und beschauliche Landleben: Trotz aller komischen Momente und fröhlicher Lieder nehmen das schwere Los der Pächter sowie die rauen Sitten (z.B. laut grölende Viehhirten) so viel Raum ein, dass in Bezug auf dieses Stück von einem beginnenden sozialen Realismus gesprochen werden kann. Vgl. Comella (1791: 15f.). 385 520 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Gil. [...] Señor Don Diego, perdonadme que os lo diga: como no pongáis remedio en estas cosas [del cantar], un quarto en la vida gastar vuelvo para que os hagan Alcalde: Me costó muchos refrescos y pasos que empuñarais la vara, creyendo en ello hacer al estado noble un gran servicio. Mas viendo que vos no teneis cuidado de que le guarden sus fueros se acabó mi proteccion.386 Diego seinerseits ist ganz Knecht seines standesbewussten Herrn387 und spiegelt ebenso dessen herablassende Haltung wie dessen auf Selbstbereicherung ausgerichtetes Gehabe, das Anselmo in seiner kritischen Bemerkung als solches markiert: „Si ha de ser por vuestra mano [el remedio] / por imposible lo tengo; por vuestra condescendencia.“388 Sich der eigenen Korrumpierbarkeit bewusst, leitet er seinen Herrn bei der Bestechung Timoteas an. War diese von der Justiz zur Verwahrung Torquatas angehalten worden,389 soll sie die Ritterstocher nun gegen Gold aus dem Arrest entlassen. Dass Diego und Gil für rücksichtsloses Selbstinteresse stehen, das – anders als bei Mandeville – ganz und gar nicht dem öffentlichen Wohl dient, sondern diesem 386 Comella (1791: 2). Besonders deutlich wird Gils Standesdünkel in gestelzten und daher umso komischeren Repliken, in denen er seine blaublütigen Ahnen anruft, damit diese dem Grabe entsteigen und seinen Willen durchsetzen mögen: „Aqui de los montes huecos / montes vacios, y montes / desocupados, excelsos / progenitores de todos / los Giles Montesligeros! Abrid, abrid al instante / las losas del mausoleo, / y empeñad luego la lanza: / Vengad el entuerto hecho / al mayor Gil de los Giles; / mas no salgáis, estaos quietos, / que yo basto á castigar / tan infame atrevimiento / con el garrote.“ Comella (1791: 4). 388 Comella (1791: 5). 389 Timotea hatte Gils Tochter Torquata zunächst aus freien Stücken bei sich Unterschlupf gewährt. Später entscheidet das Gericht, dass die junge Frau dort bleiben soll, bis die strittige Frage ihrer Hochzeit mit Benito geklärt ist. 387 7. Vir faber und vir rusticus 521 großen Schaden zufügt, wird deutlich, wenn Diego im Zusammenhang mit der Bestechung der Witwe Timotea argumentiert, dass Gold und nicht Redekunst die Welt regiere: [...] hoy dia hace al influxo mas fuerza la retorica del oro que la oración mas perfecta.390 Als Gil vorschlägt, den ‚gerechten Preis‘ für Timoteas Verrat mit ihr zu verhandeln, versetzt der in diesen Dingen gewiefte Diego: „Esas cosas no se ajustan, / se calla y dá la moneda.“391 Beide haben aber die Rechnung ohne die belesene und strenggläubige Witwe gemacht: Diese weigert sich standhaft, das Gesetz zu brechen und Torquata herauszugeben, da sie das alttestamentarische Gebot ‚Du sollst nicht lügen‘ in keinem Falle brechen will – da helfen weder Schmeichelei noch die Bibliothek, die man der bibliophilen Witwe verspricht.392 In vergleichbarer Weise unbestechlich ist Gils Tochter Torquata. Als der Vater ihr allerhand Luxusartikel wie französische Gazestoffe und Spitzen, Haarschmuck („cofia“), eine in Madrid übliche Festtracht sowie prestigeträchtigen Unterricht von der Gitarre bis hin zum Tanz anbietet, sollte sie von einer Ehe mit Benito absehen, weist sie dieses Angebot entschieden zurück: Gil. Te compraré si desistes de la boda, una guitarra de seis órdenes, y á ratos yo te enseñaré a tocarla: después que toques un poco iré a la Ciudad cercana por un maestro que te imponga en baylar las contradanzas 390 Comella (1791: 21). Comella (1791: 21). 392 Comella (1791: 23): „[...] si vos la servís en esto / os comprará en recompensa / una biblioteca.” Wie auch Benito ist Timotea eine rechte Katholikin: So weist sie Gil und Diego mit den Worten die Tür: „[...] Muy buenas noches, / que ya son las nueve y media / y me falta que rezar / Letanias y Completas.” Comella (1791: 21). 391 522 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien del bolero; y porque arrumbes en los bayles de la plaza á las demás, un jubón te mandaré hacer de sarga ó de tisú guarnecido o de galones o de gasa; y en fin para que todas te puedas llevar la gala de Madrid una cofia con carambas á lo monologo. [...] Torq. No. Inwieweit Gils Selbstinteresse der Allgemeinheit schadet, veranschaulicht das Stück anhand der Spekulationen, die Gil auf Kosten der Dorfbewohner mit der Ernte treibt. Diese hält er in Zeiten der Knappheit zurück, um sie dann nicht nur teuer weiterzuverkaufen, sondern auch den Bauern das für den Kauf nötige Geld zu horrenden Zinsen393 zu leihen: Gil. [...] y creedme, en la cosecha ni un grano de trigo encierro, y esto es causa de que yo no puedo abrir mi granero quando hay escasez; y aunque procuro caro venderlo, al fin remedio la falta y hago á mi patria este obsequio.394 Mit diesem spekulativen und egoistischen Verhalten macht sich Gil der Todsünde der avaritia395 ebenso schuldig wie des Wuchers. Um 393 Einen konzisen Überblick über die Geschichte des Zinses gibt Skambraks, Tanja (2017): „Zinsen vom Mittelalter bis zur Neuzeit“. In: Geschichte aktuell, 8, pp. 1-2. 394 Comella (1791: 3). 395 Vgl. die oben schon zitierte Replik, in der Benito Gil und Diego als „avaros“ bezeichnet werden. Vgl. Comella (1791: 34). 7. Vir faber und vir rusticus 523 genau diese Möglichkeit des Zugewinns hatte Benito den findigen Hidalgo gebracht, weshalb Benito darin den Grund für Gils Einwände gegen seine Eheschließung mit Torquata vermutet: Ben. [...] le he quitado el ser logrero; y que á los pobres comprase el grano antes de cogerlo; y no me pesa, pues hago un gran beneficio al pueblo y al estado; este abuso lo ha reprobado el Consejo, y nuestro Augusto Monarca quitando con este medio que se empobreza el Labrador y que engruese el usurero.396 Wenn Benito auf den Monarchen verweist, der den Wucher rügt, offenbart sich spätestens hier, dass neben dem Conde auch der buen labrador eine Stellvertreterfigur des Souveräns ist. In dieser Funktion tritt Benito nicht nur für Recht und Gesetz, sondern auch für den bien común ein. Alle drei Elemente sind in dem Begriffspaar „pueblo“ und „estado“ enthalten. Wie in Kapitel 2.1. dargelegt, ist das Horten von Getreide, um es dann am Jahresende bei zunehmender Knappheit möglichst teuer zu verkaufen, im Spanien des 18. Jahrhunderts seit der Aufhebung der tasa de granos397 eine gängige Praxis, die aufgrund des sie motivierenden Eigeninteresses auf harsche Kritik stößt: Era más general la práctica seguida de entrojar los granos desde la cosecha hasta el final del año agrícola, para beneficiarse de los precios más altos alcanzados en los meses mayores. Estas costumbres de guardar los granos 396 Comella (1791: 6). Vgl. Anes/de Castrillón (2000: 106): „La práctica [de almacenar granos en tiempos de abundancia para venderlo en los de escasez] se hizo más general a partir de 1765, cuando ya no era obligado respetar la tasa en años de escasez.“ Die tasa de granos war 1501 im Zuge des Merkantilismus eingeführt worden und sollte die Getreidepreise in Krisenzeiten deckeln. 397 524 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien para darles salida cuando alcanzaban precios más altos que los del tiempo de la cosecha fueron denunciadas y condenadas siempre, como práctica fundada en la necesidad ajena para aprovecharla en beneficio propio.398 Eben diese Verfahrensweise der besitzenden Schichten wird auch in Comellas Komödie um den ehrbaren Bauern angeprangert. Wie Anes und de Castrillón anmerken, finden sich Kritiker des Hortens von Getreide nicht nur unter den KäuferInnen, sondern vor allem unter lokalen Amtsträgern und Regierungsbeamten, den „alcaldes mayores, corregidores e intendentes“, die ihre Beschwerden schriftlich an den „Consejo Real“ richten, „para que se pusiesen límites a los abusos“.399 In den Kanon solcher Amtsträger stimmt auch Comella ein, was sowohl beim gehobenen bürgerlichen Publikum als auch bei den unteren Schichten der LandarbeiterInnen, PächterInnen und Kleinbauern bzw. -bäuerinnen auf Anklang gestoßen sein dürfte. 7.7.4. Adelskritik und Abendmahlssymbolik Wie die vorbildlichen Figuren des Conde, der ein kluger und vorbehaltlos urteilender Staatsdiener ist,400 und Benitos, des ebenso königstreuen wie patriotischen Adeligen, zeigen, verharrt Comellas Adelskritik nicht im Allgemeinen, sondern richtet sich gezielt gegen die Gruppe des auf seine Privilegien pochenden niederen Landadel, der seine Macht hemmungslos für seine Zwecke einsetzt und sich bei der rücksichtslosen Durchsetzung seines Willens auf alte Rechte und Privilegien beruft: Um beispielsweise das Eheversprechen zwischen Torquata und Benito für nichtig zu erklären, bringt Gil sein gesellschaftliches Kapital als Adeliger ins Spiel, nämlich Sonderrechte (span.: fueros) und Geld: 398 Anes/de Castrillón (2000: 106). Anes/de Castrillón (2000: 106). 400 Dies wird nicht nur anhand seines besonnenen Verhaltens deutlich – zunächst beobachtet er die Situation im Dorf unerkannt, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen –, sondern auch anhand von Benitos explizit personaler Charakterisierung des Conde: „[...] el Conde es muy astuto.“ Comella (1791: 34). So gibt sich auch Benito letztlich überzeugt davon, dass der Richter ein gerechtes Urteil fällen und sich nicht von der Allianz um Gil täuschen lassen wird: „[...] temo / que le engañen sin embargo:– / engañarle? No lo creo.“ 399 7. Vir faber und vir rusticus 525 todo es nulo, todo; [...] porque todo se compone con apelar á mis fueros, y quando ellos no bastasen apelaré á mi dinero que el dinero puede mucho si se sabe á dar tiempo.401 Auch hier erweist sich Gil – wie zuvor schon sein Handlager Diego – als Anhänger des Leitspruchs, dass Geld die Welt regiert. Interessant in Bezug auf die Charakterisierung des als cholerischer Wichtigtuer gezeichneten Gil ist der in Comellas Komödie gemachte Unterschied zwischen ser noble und ser ilustre. So urteilt Benito, der ebenfalls von Adel ist, aber im Gegensatz zu seinem Widersacher nicht damit prahlt, über Gil: „El sabe bien que en lo ilustre / si no le igualo, le excedo.“402 Anders als das Verb „noble“, das sich auf die Abstammung bezieht,403 meint das Verb „ilustre“ eine entweder ‚natürliche‘ oder durch ‚Verdienste‘ („méritos“) erlangte Erhabenheit.404 Worauf Benito hier mit dem Adjektiv „ilustre“ anspielt, ist nicht der ererbte Adel, sondern eine durch moralisch vorbildliches Handeln im Interesse der felicidad pública erlangte fama. Eben diese fama genießt Benito als Wohltäter der Dorfgemeinschaft. Worin seine Wohltaten im Einzelnen bestehen, expliziert der Beginn des dritten Aktes, in der die Dörfler Benito – der, wie sich spätestens an dieser Stelle zeigt, einen sprechenden Namen besitzt – ihre Nöte antragen, woraufhin er säumigen Pächtern Aufschübe gewährt, armen Bauern zinslos Vieh für den Ackerbau leiht sowie kranke Witwen und Waisen durch Kleinkredite und durch die Vermittlung von Hilfsarbeitern unterstützt.405 Nicht zufällig geschieht dies in einem bühnenbildnerischen Kontext, der die religiöse Symbolik bemüht. 401 Comella (1791: 4). Comella (1791: 6). 403 Vgl. Diccionario de Autoridades (1743), vol. IV: „NOBLE. adj. de una term. Ilustre, claro, y conocido por su sangre. Latín. Nobilis. Sanguine clarus, vel genere.“ 404 „ILUSTRE. adj. de una term. Magnifico, noble, claro, o elevado sobre los demás, notoriamente por naturaleza, o méritos. Viene del Latino Illustris. Latín. Clarus. Nobilis.“ 405 Vgl. Comella (1791: 18ff.). 402 526 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Benitos Armenspeisung erfolgt in einer Szenerie, in der der gute Bauer „para quantos / del alimento carezcan“ eine „abundante cena“406 gibt. Die Inszenierung dieser „cena“ weist deutliche bildsymbolische Anleihen an das letzte Abendmahl Jesu Christi auf. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang die Zahl der am Tisch Sitzenden: Es sind zwölf, wobei im weiteren Verlauf der Szene Benitos Diener Simón als dreizehnter hinzutritt. Dieser wird später – wenn auch unwillentlich – dafür verantwortlich sein, dass Benito beschuldigt wird, Torquata entführt zu haben.407 Um sich seitens der kirchlichen Zensur nicht dem Vorwurf der Häresie auszusetzen, handhabt der versierte Dramatiker Comella die Abendmahlsszenerie mit Bedacht, wenn er Simón als Stellvertreterfigur Judas Ischariots erst später hinzukommen lässt und sich die Rolle, die Simón bei der Anklage Benitos spielen wird, ebenfalls mit zeitlichem Abstand zu dieser Szene offenbart. Erst dann wird offensichtlich, dass Benito hier den Platz des brotbrechenden Jesus innehat. Wie Fernando Huerta Viñas herausstellt, sind Protagonisten „de [...] carácter filantrópico“408 im spanischen Theater der Spätaufklärung – und entsprechend auch bei Comella – ein wiederkehrendes Phänomen. Huerta Viñas weist dies anhand von Figuren wie dem bereits erwähnten Kapitän Lievens aus El hombre singular, o Isabel I de Rusia (1795), dem Bauern Isidoro aus La razón todo lo vence (1791) und schließlich dem nach dem Vorbild Isidoros konzipierten Benito aus dem im selben Jahr entstandenen Stück El buen labrador nach. Das den Protagonisten in den Komödien Comellas gemeinsame „cliché arquetípico“ resümiert Viñas entsprechend als „caritativo, entregado a la benifiencia, a la defensa del desvalido etc.“.409 Dass Comella diese männlichen Figurentypen ebenso in einem ländlichen (La razón todo lo vence; El buen labrador) wie in einem höfischen Kontext (El hombre singular) auftreten lässt, deutet auf die Universalität dieses Typus als 406 Comella (1791: 18). Zufällig überrascht Simón Gil und Diego bei dem Versuch, Torquata aus Timoteas Haus zu entführen, nachdem ihr Bestechungsversuch an Timotea gescheitert war. Als die Missetäter fliehen, nimmt sich Simón der ohnmächtigen Torquata an und bringt sie in Benitos Haus. Als der Conde Torquata dort vorfindet, sieht sich Benito mit dem Vorwurf konfrontiert, die Entführung veranlasst zu haben, um Torquata heimlich zu ehelichen. Vgl. Comella (1791: 24ff.). 408 Huerta Viñas, Fernando (1993): „Un cambio ideológico en el teatro, visto a través de tres obras de Comella“. In: Entresiglos, 2, pp. 171-181, hier p. 175. 409 Huerta Viñas (1993: 179). 407 7. Vir faber und vir rusticus 527 neues Paradigma der spanischen Spätaufklärung hin.410 Auch die Zusammenführung sozial Benachteiligter mit sozial Privilegierten an einer Tafel, wie sie die an eine ähnliche Szene aus Dekkers The Shoemaker’s Holiday gemahnende Bühnenperformanz des Abendmahls aus El buen labrador dem Publikum vorführt, ist im Theater Comellas kein Einzelfall: In El hombre singular lädt Kapitän Lievens ebenfalls Bedürftige an seine Tafel und nimmt dabei in Kauf, die titelgebende Königin selbst zu ‚versetzen‘, die nicht etwa düpiert ist, sondern in philanthroper Geste gleichfalls an der Tafel Platz nimmt.411 Im Theater der Epoche seltene Szenen wie diese leisten eine versteckte Systemkritik, die sich gegen die Feudalstruktur, aber auch gegen einen reformökonomischen Diskurs richtet, der die neuen ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ und des Fortschritts nicht etwa in der großen Masse der einfachen Bauern, Bäuerinnen, HandwerkerInnen und TagelöhnerInnen erkennt, sondern stattdessen auf die Minderheit der sozialen Elite setzt: auf wohlhabende Kaufleute, Unternehmer und adelige Großgrundbesitzer.412 Die Mehrzahl der comedias económico-sentimentales des ausgehenden 18. Jahrhunderts bildet dieses Ziel der Erhebung einer erlesenen Elite zu WirtschaftsprotagonistInnen nahezu spiegelbildlich ab, die das gemeine Volk in paternalistischer Manier zu mehr Leistung anleiten sollen. Dass die Reformökonomie die Masse der WerkarbeiterInnen als Adressat ihrer Appelle an die Nation vor allem deshalb vernachlässigt, weil sie mangels Bildung schwer erreichbar ist und in diesem Sinne als ‚unbelehrbar’ gilt, zeigt das Beispiel von Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la educación de los artesanos (1775), in dem es heißt: „Con todo eso, mi discurso no habla directamente con los labradores que rara vez pueden adquirir en los libros aquellos preceptos necesarios: hablo con las personas públicas que pueden influir en su felicidad.“413 Dass ebenso wie im Gros der comedias económico-sentimentales auch im reformökonomischen Diskurs das 410 Vgl. auch Huerta Viñas (1993), der anhand der genannten drei Komödien Comellas im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts einen „cambio ideológico” identifiziert. 411 Vgl. Huerta Viñas (1993: 179f.). Der staatlichen Zensur allerdings erscheinen die Repliken dieser „soberana ilustrada“ allzu aufgeklärt und werden gestrichen. Vgl. Viñas (1993: 180). 412 Vgl. Marti (2012: 266): „En este sentido, la visión del progreso.“ 413 Vgl. Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de (1991): Discurso sobre el fomento de la educación de los labradores. Undatiertes Manuskript, ed. Joël Saugnieux. In: Jüttner, 528 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Sentimentale und das Ökonomische eine Allianz eingehen, die dazu dient, die bestehenden sozialen Missstände zu übertünchen – Schaltstelle ist, wie eingangs skizziert, das Konzept der felicidad pública (vgl. Kap. 3.1.2) – zeigt Marti.414 Er weist nach, wie sich der reformökonomische Topos des ilustrado en el campo, „proprietario progresista y filántropo“415, zum literarischen Topos wandelt, der in Cadalsos Cartas marruecas (1789) ebenso zu finden ist wie in Montengóns bereits erwähntem Roman El Mírtilo, ó los pastores transhumantes (1795).416 Mit der Figur Benitos rekurriert auch Comella auf diesen Topos, den Marti der Regierungsperiode Carlos‘ III. zuordnet. Dass Comella im Gegensatz zu einem zur Idealisierung neigenden reformökonomischen Diskurs die auf dem Land herrschenden Missstände deutlich benennt, weist auf den liberalistischen Geist seines Stückes hin, den Marti bei Comella ab den 1790ern gegeben sieht417 und der die „constante censura de su obra“418 zur Folge hat. Dem katalanischen Dramatiker selbst dient der Rückgriff auf den reformökonomischen Topos des ilustrado en el campo als Maske, hinter der er seine System- und Diskurskritik äußern kann. Dieses Maskenspiel gelingt Comella im Fall von El buen labrador auch deshalb, weil er Benito als aufgeklärten und patriotischen hombre de bien konzipiert, der alle Eigenschaften des neoklassischen Wirtschaftshelden erfüllt: Er ist adelig, philanthrop, königstreu, paternalistisch und, nicht zu vergessen, ein guter Katholik419. Ähnlich wie die Figur Estebans aus Duráns La industriosa madrileña420 erkundigt sich auch Benito bei der darbenden Waise Petronila „si es christiana la Tendera“421, die Petronila zu horrenden Zinsen Geld geliehen hatte,422 weshalb Petronila sich nun Siegfried (ed.). Spanien und Europa im Zeichen der Aufklärung. Frankfurt/Main: Lang 1991, ohne Seitenangabe, zitiert in Marti (2012: 268). 414 Vgl. Marti (2012: 269). 415 Marti (2012: 269). 416 Vgl. Marti (2012: 269). 417 Vgl. Marti (2012: 269). 418 Campos (1969: 52). 419 Ebenso wie Timotea richtet auch Benito als guter Katholik seinen Tag nach dem Geläut der Kirchenglocken aus. Vgl. Comella (1791: 14): „[...] La campanada / primera para el Rosario / ya dieron [...].” 420 Vgl. Durán (o.J.: 8), s.o. (Kap. 6.3.5). 421 Comella (1791: 19). 422 Diese Zinsen belaufen sich auf „quatro reales / de ganancia al mes“ für „ocho pesetas / prestadas”. Da ein real vier Peseten entspricht, bedeutet dies einen Zinssatz von 100 %. 7. Vir faber und vir rusticus 529 ratsuchend an den gutherzigen Bauern wendet. Denn anders als „otros / [que] consumen en vagatelas / sus caudales“423 kann Benito von sich selbst behaupten: „yo los gasto / en socorrer la pobreza“424. Eben jenes gute Handeln im Dienste der christlichen caritas hatte ihm seine fama eingebracht, aufgrund derer er sich nun rühmen kann, „ilustre“ zu sein. Wenn der Conde Gil am Ende überführt, sich mit einem falschen Adelstitel geschmückt zu haben – „La hidalguía con engaños / adquiristeis; aqui consta / este papel.“425 –, bestätigt dies, was Torquata bereits angedeutet hatte: Als der Vater ihr die Eheschließung mit Benito so hartnäckig verweigerte, hatte sie ihm in Erinnerung gerufen, dass er in Wahrheit gar nicht von Adel sei. In diesem Zusammenhang kommt der Unterschied zwischen dem ser de gente hidalga und dem ser ilustre erneut zum Tragen: Torq. Padre, padre, bien sabeis que debisteis à una traza vuestra hidalguía; nadie lo oye, y por eso, cara a cara os lo digo: vuestros padres tan solamente dimanan, como sabeis, de una gente ilustre, pero no hidalga. Si os oponéis a la boda de Benito porque se halla ocupado con la labor, ved que a los hombres ensalza este exercicio; y que él puede en obsequio de su fama indagar vuestros principios y en ellos encontrar manchas, que no las pueda borrar la executoria mas rancia.426 423 Comella (1791: 19). Comella (1791: 19). 425 Comella (1791: 36). 426 Comella (1791: 10f.). 424 530 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Zwar seien Gils Vorfahren „ilustres“ und aufgrund ihrer Taten bekannt, mitnichten aber Teil der „gente hidalga“ gewesen, argumentiert Torquata. Mittels dieser Replik spielt Comella auf ein schon im Barocktheater des 17. Jahrhunderts beliebtes Motiv an: Die Infragestellung der limpieza de sangre des Hidalgo durch den reichen Bauern.427 In diesem Zusammenhang wird der Begriff der „fama“ expliziert und so der aufklärerische Standpunkt vertreten, dass nicht der Blutadel einen Menschen auszeichnet, sondern seine Taten. Anders als im barocken Zeitalter sind es nun nicht mehr kriegerische Heldentaten, die einen guten Ruf begründen, sondern „exercicio“ und „labor“, die analog zum Seelenadel des vir faber auch hier einen rhetorischen Ruhm begründen. Im Gegensatz zu den Lippenbekenntnissen in Trigueros‘ Los menestrales und Valladares‘ Komödien um den vir faber, mutet Comellas Inszenierung eines beherzt den Pflug ziehenden königlichen Würdenträgers, seine Zeichnung von Kaisern und Königen als zupackenden Landwirten und die Wahl eines Protagonisten, der seine Mitmenschen unabhängig von ihrem sozialen Stand an seiner Tafel willkommen heißt,428 erstaunlich progressiv an. 7.8. Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid (1782): Schnittstelle zwischen vir oeconomicus und vir faber Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid, dessen Druckversion 1801 erscheint, wird am 16. September 1782 in Madrid uraufgeführt.429 Es bildet deshalb den Schlusspunkt der Analysen dieses Abschnitts, weil es den kaufmännischen Kosmos des vir oeconomicus, vertreten durch den ebenso reichen wie einflussreichen Wollhändler Don Basilio, mit der Arbeitswelt des vir faber, verkörpert durch den Lumpensammler Tío Agustín, verbindet. Die Tätigkeit des Lumpensammlers kombiniert mit dem Aufsammeln und Weiterverkauf von Stoffresten Werkarbeit und Handel. Der Lumpensammler ist ein Kleinstunternehmer, der gebrauchte Stoffe mit Hilfe von Werkzeugen wie Haken 427 Vgl. Díez Borque (1976: 344): „Poner en duda la limpieza de sangre del hidalgo era la gran venganza del labrador; de aquí surgirá el término hidalgo cansado.” 428 Vgl. Comella (1791: 18): „Ben. [...] ofrezco á todos mi mesa, / acuden sin distinción / gentes de clases diversas.” 429 Vgl. García Garrosa (2012: 2). 7. Vir faber und vir rusticus 531 und Korb aufsammelt, um sie dann an Papierfabriken zu verkaufen.430 Wie die fliegenden Händler verfügt er über keine eigenen Werk- bzw. Arbeitsräume, vielmehr ist die Straße der Ort, an dem er seine Tätigkeit ausübt. Diese Besonderheit teilt er mit den Vertretern der petits métiers. In Valladares‘ El trapero de Madrid steht dem Lumpensammler als unterstem Glied in der Kette der Textilgewerbetreibenden der vermögende Wollhändler als Prototyp des wohlhabenden Großkaufmanns diametral gegenüber. Auf der Handlungsebene bildet der Topos des matrimonio desigual den Kontaktraum, in dem sich das Großbürgertum, vertreten durch den Kaufmann, und ein Vertreter des trabajo manual, repräsentiert durch den Lumpensammler, begegnen. Der Topos der Ehe zwischen sozial Ungleichen kommt ins Spiel, als sich Bernardo, der Sohn des Lumpensammlers und Sekretär des Wollhändlers, in Rita, die Tochter seines Dienstherrn, verliebt. Dem Willen ihres Vaters Basilio nach, soll Rita den Adeligen Anselmo heiraten. Auch in diesem Stück bedroht ein unverschuldeter Bankrott die Existenz einer Kaufmannsfamilie. In El trapero de Madrid hat dies zur Folge, dass der geldgierige Anselmo von seiner Brautwerbung Abstand nimmt. Dies gibt Agustín Gelegenheit, das kaufmännische Geschäft durch sein angespartes Vermögen zu retten und die für die sentimentale Wirtschaftskomödie typische Neigungsehe zwischen Bernardo und Rita zu ermöglichen. Das gute Ende des Stückes besteht in einer Doppelhochzeit: Nicht nur kann Bernardo Rita gegen alle anfänglichen Widerstände ehelichen, auch deren Kusine Rosa und ihr Favorit Leonardo heiraten einander. Valladares’ Stück basiert auf Merciers sentimentaler Komödie La brouette du vinaigrier (1774), die ihrerseits eine theatrale Adaptation der Erzählung L‘Histoire du vinaigrier (1714) von Eustache Lenoble ist.431 Wie schon im Falle des Stückes El fabricante de paños, das ebenfalls auf einer französischen Vorlage beruht, handelt es sich bei Valladares‘ 430 In diesem Sinne ist der Lumpensammler ein früher Recycler. Lenoble, Eustache (1714): L’Histoire du vinaigrier. In: Le gage touché. Histoires galantes et comiques, vol. I. La Haye: Adrian Moetjens, pp. 83-88. Vgl. hierzu auch Buthmann, Sigrid (1992): Das Theater von Louis Sébastien Mercier. Bonn: Romanistischer Verlag, pp. 147 und 184f. 431 532 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Version weniger um eine originalgetreue Übersetzung432 als um eine Adaptation, die den Handlungsablauf ebenso verändert wie die Figuren, die Reihenfolge der Szenen verändert, manche streicht, um wiederum andere hinzuzufügen und das Original an das spanische Publikum und die kulturellen Gegebenheiten der iberischen Halbinsel anpasst, etwa, indem der französische Prosatext in das dem spanischen Theaterpublikum des 18. Jahrhunderts geläufige Versmaß des romance octosílabo umgewandelt wird.433 Dass das französische Original hispanisiert wird, zeigt sich bereits in der Wahl des Titels. Aus ‚Die Schubkarre des Essighändlers‘ wird ‚Der Lumpensammler von Madrid‘ (meine Übersetzungen). Das Werkzeug des Essighändlers, die Schubkarre, die im Zentrum von Merciers Stück steht, an dessen vulgärem Titel sich wiederum etliche Zeitgenossen gestoßen haben,434 wird bei Valladares durch den Vertreter eines Metiers und sein Utensil ersetzt, die ebenso charakteristisch für das Madrider Stadtbild sind wie der Essighändler und seine Schubkarre für Paris. Während der Kaufmann Basilio in der spanischen Fassung eine in Geschäftsdingen vorbildliche Person ist, die sich allerdings durch das Geld des von ihm favorisierten Schwiegersohns Anselmo blenden 432 Bei cervantesvirtual.com hingegen ist Mercier als Autor und Valladares als Übersetzer angegeben. Vgl. Mercier, Louis-Sébastien (2000 [1801]): El trapero de Madrid. Alicante: Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes. Quelle: https://www.cervantesvirtual. com/obra/el-trapero-de-madrid-de-l-s-mercier-en-la-traduccion-de-antonio-valladares-de-sotomayor-1801/, Zugriff: 31.08.2022. Da die auf der der Version von 1801 beruhende Fassung gegenüber der französischen Vorlage zahlreiche Veränderungen vornimmt und es sich daher um eine Adaptation handelt, wird hier Valladares als Autor angegeben. Valladares de Sotomayor, Antonio (2000 [1801]): El trapero de Madrid. Alicante: Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes. Quelle: https://www.cervantesvirtual. com/obra/el-trapero-de-madrid-de-l-s-mercier-en-la-traduccion-de-antonio-valladares-de-sotomayor-1801/, Zugriff: 31.08.2022. Auch García Garrosa (2012: 1) bezeichnet Valladares‘ Fassung im Titel ihres Aufsatzes als „traducción“, spricht jedoch im weiteren Verlauf ihrer Analyse von einer „adaptación“. Vgl. eadem (2012: 5). 433 Vgl. García Garrosa (2012: 6). 434 So etwa Fréron, der 1775 in seiner Zeitschrift L’Année Littéraire ironisch bemerkt: „Je conseillerais à M. Mercier de mettre ainsi sur le théâtre tous les corps de métier dont cette capitale abonde et de nous donner, en drames bien relevés et pathétiques, le Sac du Charbonnier, l’Auge du Maçon, la Tasse du Quinze-vingt, le Chaudron de la Vendeuse de châtaignes, la Chaufferette de la Marchande de pommes, le Tonneau de la Ravaudeuse, la Hotte du Crocheteur, la Sellette du Décrotteur.“ Zitiert in: Aggéri, Robert: „Notice“. In: Mercier, Louis Sébastien (1972 [1774]): La brouette du vinaigrier, ed. Robert Aggéri. Paris: Larousse, pp. 9-37, hier p. 23. 7. Vir faber und vir rusticus 533 lässt und dessen wahren Charakter verkennt, droht der Kaufmann Delomer aus Merciers Stück einer schwerwiegenderen Versuchung zu erliegen, möchte er doch seinen Bankrott verheimlichen, wovon er im letzten Moment vom Sohn des Essighändlers, Dominique fils, abgehalten wird. Die Figur des Dominique fils entspricht bei Valladares der Figur Bernardos. Weitere Veränderungen, die Valladares am Personal der Komödie vornimmt, betreffen die Nebenfiguren. Die Aufgabe, den zwar reichen, aber gierigen und verschlagenen Brautwerber über die Vermögenswerte des Brautvaters in Kenntnis zu setzen, die bei Mercier der Juwelier M. du Saphir innehat, übernimmt bei Valladares die Dienerfigur Aniceto. Die Rolle des geizigen und damit lächerlichen Aspiranten auf die Kaufmannstocher, M. de Jullefort, obliegt in der spanischen Fassung dem ebenfalls geizigen, nicht minder lächerlichen435 und zudem alten Anselmo, der ebenso wie Moratíns Figur des sparsamen Kaufmanns Don Roque an Molières L‘Avare angelehnt ist. Indem Valladares die Figur des Anselmo als viejo verde skizziert, rekurriert er auf die aufklärerische Kritik an der Eheschließung zwischen PartnerInnen mit großem Altersunterschied, die auch Moratín in El sí de las niñas (1806) thematisiert.436 Wie schon im Falle des ebenfalls aus Valladares‘ Feder stammenden Stücks El fabricante de paños wird eine Anpassung von Merciers La brouette du vinaigrier an die spanischen Verhältnisse auch hier unter anderem durch das Element des Religiösen erreicht. El trapero de Madrid beginnt mit einer Szene, die den Wollhändler Basilio als rechten Christen ausweist, als er seinen Diener Aniceto rügt, weil dieser ohne Not vom Teufel und seinen Dämonen spricht.437 Zwar spielt die 435 Zu Jullefort als lächerlicher Figur vgl. Aggéri (1972: 28). In Bezug auf die Änderung der Szenenreihenfolge verweist García Garrosa (2012: 6) ihrerseits auf zwei wesentliche, durch Valladares vorgenommene Modifikationen: Zum einen rückt Merciers Anfangsszene das Gespräch zwischem dem gierigen, die Kaufmannstochter begehrenden Schürzenjäger M. de Jullefort und einem Juwelier, bei Valladares an das Ende des ersten Aktes, wobei der Juwelier in der spanischen Fassung durch den Diener Aniceto ersetzt wird. Zum anderen erfolgt das Liebesgeständnis durch den Sekretär Dominique in La brouette du vinaigrier im Wissen darüber, dass die angebetete Kaufmannstochter Mlle Delomer dem Schürzenjäger Jullefort versprochen ist, während Bernardo in El trapero de Madrid zum Zeitpunkt seiner Offenbarung gegenüber Rita, der Tochter des Wollhändlers, noch ahnungslos ist, dass diese Anselmo heiraten soll. 437 Valladares (2000: 1, vv. 16-20): „ANICETO: Parece que tengo en mis dedos / algún demonio, señor. – DON BASILIO: ¿Tú tienes atrevimiento... / (Se levanta.) para 436 534 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Religion auch im Theater Merciers eine gewisse Rolle, beispielsweise in L’Indigent438, nicht aber in La brouette du vinaigrier. Analog zu anderen Komödien Valladares‘ ist die Einbringung des Religiösen auch hier ein Zugeständnis an die kirchliche Zensur. Wie in Bezug auf die zuvor untersuchten Stücke bereits konstatiert werden konnte, steht die wiederkehrende Präsenz des Religiösen in der comedia económico-sentimental den Säkularisierungstendenzen439 des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Spanien nicht notwendigerweise entgegen. Ebenso wie in Duráns La industriosa madrileña440 dient sie auch in El trapero de Madrid als ein Mittel, das die Identifikation des Publikums mit den auf der Bühne agierenden Figuren ermöglicht. In der französischen Vorlage wie in der spanischen Adaptation gleichermaßen präsent ist die Scham des Sohnes angesichts der schmachvollen Tätigkeit des Vaters. Dass es ausgerechnet das als anstößig empfundene Utensil des arbeitenden Menschen ist – die Schubkarre des Essighändlers bei Mercier bzw. der Korb des Lumpensammlers bei Valladares –, in dem das Geld zur Rettung des bankrotten Kaufmanns Delomer bzw. Basilios in letzter Minute herbeigetragen wird, dürfte das zeitgenössische Publikum in Frankreich und Spanien gleichermaßen erstaunt haben. Ist man zunächst geneigt anzunehmen, dass den Berufen des Kaufmanns und des Lumpensammlers dadurch ein äquivalentes Maß an Ehrbarkeit attestiert wird, wird dies durch die genretypische Adelskonvention zunichte gemacht, auf die Valladares auch in diesem Stück zurückgreift. Der Handwerkersohn Dominique fils aus Merciers Stück hingegen muss sich nicht als adelig erweisen, um ihn zu einem würdigen Kandidaten für die Ehe mit der reichen Kaufmannstochter zu machen. In seinem Falle genügt das Geld seines Vaters, des Essighändlers. Als wichtiger Faktor, der Einfluss auf die Notwendigkeit der Adelskonvention in der spanischen comedia económico-sentimental hat, ist einmal mehr die Zensur ins Feld zu führen. Wie schon bei Mercier wird dem Geld allerdings auch bei Valladares nombrar en mi casa / al Príncipe del averno?” Aniceto hatte zuvor aus Ungeschick eine Vase zerbrochen und weist dies nun einem ‚Dämon‘ zu, der ‚in seinen Fingern‘ sitze. 438 Vgl. Buthmann (1992: 146). 439 Vgl. den bereits zitierten Band von Tietz & Briesemeister (1992). 440 Vgl. Schuchardt (2015: 120). 7. Vir faber und vir rusticus 535 das Potenzial zugesprochen, sozial ausgleichend zu wirken.441 Diesbezüglich lässt sich im Vergleich zu früheren Stücken des Autors wie etwa El fabricante de paños oder El carbonero de Londres eine Entwicklung ausmachen. Wie die folgende Replik Agustíns zeigt, bemisst sich der Grad sozialer Gleichrangigkeit nun nicht mehr nur am Titel, sondern auch am Geld: TÍO AGUSTÍN ¿Pues tu amo qué es más que yo? A él le mantiene el comercio de lanas, y a mí el de trapos: el que más gane es más bueno, y hasta ahora el que gana más de los dos, no lo sabemos. Por lo que a la sangre toca, hijo, desde aquí te advierto, que no la tiene mejor tu amo que tú, conque siendo esto así, déjame hacer [...].442 Wenn hier zwar der Leitspruch gilt, dass, wer über mehr finanzielle Mittel verfüge, zugleich auch einen höheren gesellschaftlichen Status innehabe („el que más gane es más bueno“), wird gleich im Anschluss doch wieder das soziale Prestige des ‚Blutes‘ ins Feld geführt, das Agustín hier als letztes, alle übrigen Aspekte übertrumpfendes Argument im Wettstreit um den höheren sozialen Status anbringt („Por lo que a la sangre toca / [...] que no la tiene mejor / tu amo que tú“), denn Agustín trifft diese Aussage in dem Wissen, dass er selbst adelig – und damit im Geheimen überlegen – ist. Insofern wird auch in diesem Stück nicht an den bestehenden feudalen Strukturen gerüttelt. 7.8.1. ¿Más? ¿O menos? Sexualdispositiv und Affektökonomie Wie alle hier analysierten Komödien greift auch El trapero de Madrid auf die Dreieckskonstellation als architektonische Grundstruktur der Zur Rolle des Geldes bei Mercier und in Valladares‘ Adaptation vgl. auch Schuchardt (im Druck). 442 Valladares (1801: 10, vv. 703-713). 441 536 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Komödie zurück.443 In dieser Konstellation stehen einander bei Valladares zwei trianguläre Konfigurationen gegenüber: Das Dreieck um die Kaufmannstochter Rita, um deren Hand der sie liebende Bernardo und der nach ihrer Mitgift trachtende Anselmo konkurrieren, und der ménage à trois um die Nichte des Wollhändlers, Rosa, die von Leonardo und dessen Cousin Luis gleichermaßen zur künftigen Ehefrau auserkoren wird. Merciers Original hingegen beschränkt sich auf eine Dreiecksbeziehung, die zwischen M. de Jullefort, Dominique fils und Mlle Delomer. Während Anselmo dem Brautvater „muy noble y muy rico“444 erscheint, zieht Ersterer Bernardo, der (scheinbar) ebenso mittel- wie titellos ist, gar nicht erst als Schwiegersohn in Betracht. Der Sohn des Lumpensammlers zeichnet sich allerdings in Analogie zum Bergmann Genaro aus El carbonero de Londres durch seinen ‚Seelenadel‘ aus: „Es el mejor joven / que tiene el comercio”445, sagt der Wollhändler Basilio über seinen Sekretär. Was Rosa anbelangt, soll diese nach dem Willen ihres Onkels Luis ehelichen, der ebenso wohlhabend wie tugendhaft ist. Luis empfindet für Rosa eine zarte Neigung, sie aber möchte niemand anderen als Leonardo ehelichen. Auf der Ebene der Komödienarchitektur besonders interessant ist, wie Valladares in die Dreiecksbeziehung zwischen Rita, Bernardo und Anselmo eine doppelte, symmetrisch aufgebaute Problematik des matrimonio desigual einflicht: Während die avisierte (Vernunft-)Ehe zwischen Anselmo und Rita durch eine Asymmetrie auf Altersebene gekennzeichnet ist, droht bei der (Neigungs-)Ehe zwischen Rita und Bernardo ein finanzielles Ungleichgewicht. Die Instabilität der Dreiecksbeziehungen, die am Ende zugunsten der Eheschließung der einander in Liebe verbundenen Paare Rita-Bernardo und Rosa-Leonardo aufgelöst wird, illustriert Valladares‘ Komödie anhand einer Logik der Überbietung.446 Diese kommt anhand des Gegensatzpaares más vs. menos wiederholt zum Ausdruck. Über die leitmotivische Funktion des ‚Mehr‘ und des ‚Weniger‘ verknüpft 443 Vgl. auch Schuchardt (2016). Valladares (1801: 4, v. 47). 445 Valladares (1801: 3; vv. 159f.). 446 Eine solche Logik der Überbietung sieht Komorowska (2018: 103) bereits in Lope de Vegas El amigo hasta la muerte (1610-1612) gegeben, wo der Händlerssohn Bernardo und der verarmte Adelige Sancho einander an selbstlosen Freundschaftsdiensten zu übertreffen suchen. Komorowska spricht diesbezüglich von „sich ständig perpetuierende[n] Freundschaftsexzesse[n], die [ihrerseits] im Exzess enden“. 444 7. Vir faber und vir rusticus 537 die Komödie den unausgeglichenen Gefühlshaushalt der Figuren mit dem Topos des matrimonio desigual. Finanziell und emotional ungleiche Verhältnisse werden so mit einer aus den Fugen geratenen Affektökonomie korreliert. In diesem Zusammenhang markiert der literarische Topos der ungleichen Ehe ein verändertes, dem Geist der Aufklärung verpflichtetes Verständnis dieser Instanz: Gemeint ist die Tendenz, der Neigungsehe den Vorrang vor der Vernunftehe zu geben. In der comedia económico-sentimental geschieht dies, indem die komödientypischen Glückswechsel447 herangezogen werden, um die zwischen den Liebenden bestehenden sozialen und finanziellen Asymmetrien auszugleichen. Dies ist in El trapero de Madrid dann der Fall, wenn das doppelte, weil soziale und finanzielle Gefälle zwischen Rita und ihrem Favoriten Bernardo durch Geld und das Greifen der Adelskonvention austariert werden kann, während der zwischen Anselmo und Rita bestehende Altersunterschied sich als unüberbrückbar erweist. Dass finanzielle Asymmetrien hier innerhalb der theatralen Fiktion durch Geld ausgeglichen werden können, das durch eine profane Tätigkeit wie das Lumpensammeln erwirtschaftet wurde, und dass dies als legitim angesehen wird, deutet an, dass die bürgerliche Finanzkraft an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig offenbart aber die zur Anwendung kommende Adelskonvention, dass das Geld des Bürgertums das gesellschaftliche Gewicht, das es im 19. Jahrhundert innehaben wird, noch lange nicht erreicht hat. Die Verschiebung von einer Eheschließung aus Vernunftgründen, d.h. aus Erwägungen, die die Bewahrung oder Mehrung der Finanzen und des Prestiges im Blick haben, hin zur Liebesheirat, lässt sich mit der Unterscheidung zwischen dem Allianz- und dem Sexualdispositiv fassen, die Foucault in La volonté de savoir (1976) vornimmt. Das Allianzdispositiv, das Foucault als „système de mariage, de fixation et de développement des parentés, de transmission des noms et des biens“448 definiert, bereitet im Verlauf des 18. Jahrhunderts dem Sexualdispositiv den Weg. Das Allianzdispositiv ist auf die Reproduktion und Perpetuierung sozialer Beziehungsgeflechte ausgerichtet. Daher darf die Wahl des passenden Ehepartners nicht dem Zufall überlassen werden, sondern obliegt den sorgfältigen Erwägungen der Eltern als autoritärer Instanz. Auch beim Sexualdispositiv geht es um Kontrolle, 447 448 Vgl. Fulda (2005: 22), s.o. Foucault (1976: 140). 538 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien allerdings betrifft diese nun eine andere Ebene, und zwar „les sensations des corps, la qualité des plaisirs, la nature des impressions“, und damit die Affektsteuerung.449 Beide, Allianz- und Sexualdispositiv, sind mit dem Ökonomischen verbunden. Geht es bei beim Allianzdispositiv um die Steuerung und das „Zirkulieren von Reichtümern“450, gerät beim Sexualdispositiv der Körper in den Mittelpunkt, der Gefühle, Empfindungen und Triebe konsumiert und produziert. Als Instanz zur Regulierung von Gefühlen und Affekten führt uns das Sexualdispositiv zum Aspekt der Affektökonomie. Es ist gerade die von Foucault konstatierte Gleichzeitigkeit von Allianzdispositiv und Sexualdispositiv – nicht etwa die Ablösung des einen durch das andere –, aus der sich die Notwendigkeit ergibt, mit Gefühlen und Affekten zu haushalten: Dire que le dispositif de sexualité s’est substitué au dispositif d’alliance n’est pas exact. [...] Historiquement, ailleurs, c’est autour et à partir du dispositif d’alliance que celui de la sexualité s’est mis en place. [...] [L]a question posée était celle du commerce permis ou défendu (adultère, rapport hors mariage, relation avec une personne interdite par le sang ou le statut, caractère légitime ou non de l’acte de conjonction).451 Foucaults Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass die Notwendigkeit der Affektregulierung mit der Thematik des matrimonio desigual in engem Zusammenhang steht. Wird die Ehe nach dem Kriterium der Neigung und nicht mehr nach dem Kriterium des Standes geschlossen, wirft dies zugleich die Frage nach der Legitimität und Legitimierbarkeit bisher geächteter interpersonaler Beziehungen auf. War die Ehe zwischen sozial und finanziell Ungleichen im Rahmen des Allianzdispositivs noch illegitim, wird sie im Kontext des Sexualdispositivs möglich, obliegt aber nichtsdestotrotz der Notwendigkeit der Rechtfertigung. Die auf der Schwelle vom Allianz- zum Sexualdispositiv aufkeimende Frage danach, wann und vor allem in welchem Maße Gefühle gestattet sind, wann man ihnen nachgeben darf und wann sie reguliert werden müssen, kommt auch in El trapero de Madrid zum Tragen. Sie 449 Foucault (1976: 140). Vgl. Foucault (1976: 141): „la circulation des richesses“. 451 Foucault (1976: 141ff.). 450 7. Vir faber und vir rusticus 539 offenbart sich dort anhand der fragilen Balance zwischen dem besagten ‚Mehr‘ („más“) im Sinne eines ‚Zuviel‘, und dem ‚Weniger‘ („menos“) im Sinne eines ‚Zuwenig‘. Dies zeigt sich etwa anhand der Figur Rosas, als sie Leonardo ihre Zuneigung bekundet und zugleich Luis aufs Entschiedenste ablehnt: ROSA Sí, Don Luis me quiere, yo le aborrezco, a ti te amo [Leonardo], no tendré dificultad en que él mesmo por mi voz lo sepa: ¿conque si su pretensión desprecio, y la tuya admito, qué puede darte sentimiento, porque si tienes lo más cómo has de sentir lo menos?452 Rosas Rede nimmt auf Leonardos emotionalen Ausnahmezustand Bezug, in dem er sich nicht nur deshalb befindet, weil er fürchtet, Rosa an seinen Konkurrenten Luis zu verlieren, sondern auch, weil er sich in einem klassischen double bind befindet,453 ist Luis doch nicht nur sein Konkurrent, sondern auch sein Freund. Ohne Luis‘ Herzensdame zu kennen, hatte Leonardo dem Freund angeboten, ihn bei seiner Brautwerbung zu unterstützen, indem er ihn begleitet. Valladares rekonstruiert hier nahezu spiegelbildlich die Figurenkonstellation aus Diderots Le Fils naturel (1757), jenem Stück, das gemeinsam mit Le Père de famille (1758) die Gattung des drame bourgeois begründet. Auch in Le Fils naturel wird Dorval von seinem Freund Clairville gebeten, diesen in seinem Werben um Rosalie454, die auch Dorval heimlich liebt, zu unterstützen. In Valladares‘ Stück erkennt Leonardo erst dann das Dilemma, in das er sich selbst gebracht hat, als er erfährt, dass es sich bei der von seinem Freund Luis begehrten Dame um Rosa handelt. Wie 452 Valladares (1801: 4; vv. 254-256). Valladares (1801: 4; vv. 238-244): „Conque en una situación / como ésta, mira si tengo / causa justa para estar / fuera de mí, pues a un tiempo / conspiran contra el amor / rendido que te profeso / hasta mi sangre y palabra, / y moriré si te pierdo.“ 454 Auch die Namensähnlichkeit der Figur der Rosa zu Diderots Rosalie ist eine offensichtlicher Verweis auf Le Fils naturel als Intertext von El trapero de Madrid. 453 540 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dorval muss sich auch Leonardo die Frage stellen, wem er nun die Treue brechen soll: dem Freund – oder der Geliebten? Dieses Dilemma der inneren Zerrissenheit sucht Rosa dadurch zu lösen, dass sie Leonardo gegenüber auf das nicht zu vernachlässigende Gewicht ihrer eigenen Gefühle verweist und dieses als ‚Zünglein an der Waage‘ ins Spiel bringt. Warum denn Leonardo einen Verlust („menos“) fürchten müsse, wenn er doch ihr ‚Mehr‘ („más“) an Gefühl besitze? Dieser von ihr gewährte amouröse ‚Kredit‘ müsse ihn doch, argumentiert sie, in Sicherheit wiegen, sei sie doch entschlossen, ihre Abneigung Luis gegenüber so deutlich zum Ausdruck zu bringen („le aborrezco“), dass dieser von einer Ehe Abstand nehmen müsse. Gerade das ‚Mehr‘ an Gefühl, das Rosa hier als Trumpf ausspielt, ist aber ein ‚Zuviel‘. Dass der Gefühlshaushalt hier aus dem Gleichgewicht geraten ist, offenbart nicht zuletzt Leonardos melodramatisch bekundeter Wunsch, sterben zu wollen, sollte er Rosa verlieren. Dieses dramatische Element, das ein Überborden der Affekte anzeigt, kommt auch in anderen hier analysierten comedias económico-sentimentales populärer Prägung zur Anwendung, etwa in El carbonero de Londres.455 Während Rosas Entscheidung, Luis aus dem Feld zu schlagen, indem sie ihn zurückweist, das Gefühlschaos ihres Geliebten Leonardo vorübergehend zu befrieden vermag, manifestiert sich im zweiten Dreiecksverhältnis zwischen Bernardo, Rita und dem ihr vom Vater beschiedenen Ehemann Anselmo ein weiterer Gefühlsüberschuss, und zwar, als Bernardo erfährt, dass Rita den reichen Alten heiraten soll. Auch hier ist es die Kenntnisnahme über den Konkurrenten und die drohende Niederlage, die aufseiten des sozial ungleichen Brautwerbers Gefühlswallungen auslöst, was die beiden Dreiecksverhältnisse um Rita, Bernardo und Anselmo sowie um Rosa, Leonardo und Luis auf der Ebene der Komödienstruktur als symmetrisch ausweist. BERNARDO Recibiendo enhorabuenas, y yo pésames funestos. Ya vuestro padre me ha dicho que os casáis con Don Anselmo 455 Vgl. Valladares (1801: 9, vv. 609f.). 7. Vir faber und vir rusticus 541 DOÑA RITA Bernardo, ¿y lo sientes mucho? BERNARDO ¡Oh Dios! DOÑA RITA Pues yo más lo siento. BERNARDO A disponer voy al punto mi marcha a Paris [...].456 Die Liebenden treten hier in einen Wettstreit des Bedauerns angesichts ihrer misslichen Lage. Ritas Frage, wie sehr Bernardo den Entschluss ihres Vaters bedaure, ist rhetorischer Natur und ihrem Bedürfnis geschuldet, sich des Ausmaßes von Bernardos Liebe zu versichern. Rita sucht Bernardos Verzweiflung, die er durch den hilflosen Ausruf „Oh Díos!“ bekundet, zu übertreffen, indem sie bekräftigt, den Umstand ihrer durch den Vater beschlossenen Vernunftehe mit Anselmo mehr zu bedauern, als Bernardo dies jemals könne. Damit impliziert sie, dass ihre Liebe zu Bernardo größer sei als seine zu ihr. Bernardo verzagt angesichts der sozialen und finanziellen Potenz seines Kontrahenten Anselmo und ist gewillt, das Feld zu räumen. Ritas Reaktion ist ambivalent, bringt sie doch ebenso ihre Unbill zum Ausdruck, wie sie ihm zugleich versichert: „sólo tú / eres mi bien y mi dueño“.457 Bezeichnend ist, dass das Gefühl hier den Reichtum als höchstes durch die Ehe zu erlangendes ‚Gut‘ („bien“) ablöst, womit der Übergang von der Vernunftehe zur Neigungsehe vollzogen ist. Wenn sich dies am guten Ende bestätigt und die komödientypische (Doppel-)Hochzeit zwischen Rita und Bernardo sowie zwischen Rosa und Leonardo stattfinden kann, wird das Gefühl dabei allerdings mitnichten von Finanzfragen und Standeserwägungen entkoppelt, denn es sind sowohl ein Korb voller Geld als auch ein geheim gehaltener Adelstitel nötig, um den Brautvater von Bernardos Eignung als Ehemann zu überzeugen. Dies verdeutlicht, dass Valladares‘ Stück exakt auf der von Foucault bezeichneten Schwelle zwischen Finanz- und Sexualdispositiv 456 457 Valladares (1801: 10, vv. 739-744). Valladares (1801: 10, vv. 761f.). 542 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zu verorten ist, geht es hier doch ebenso wesentlich um den Ausgleich von Interessen wie um die Regulierung von Affekten. Die Thematik der (des-)igualdad social in Verbindung mit einer Austarierung der Gefühle durch eine Logik des más/menos manifestiert sich im folgenden Dialog zwischen Rita und Bernardo am deutlichsten. Hier wird die auf der Schwelle vom Allianz- zum Sexualdispositiv sich stellende Frage aufgeworfen, ob die Liebe die Kraft habe, sozial ausgleichend zu wirken und Standesunterschiede, wie sie zwischen der Kaufmannstochter und dem Sohn des Lumpensammlers bestehen, auszumerzen, oder ob es nicht vielmehr ‚verrückt‘ (span.: „loco“, s.u.) sei, einander trotz aller Standeskonventionen zu lieben. Damit wird der Topos des amour fou, der sich für die Literatur des 19. Jahrhunderts als prägend erweisen wird, vorausgedeutet:458 BERNARDO Pero... si por nacer yo infeliz no logro lo que deseo. ¡qué mayor desgracia! DOÑA RITA Sí; estamos iguales; luego si menos feliz yo fuera no fuera felice [sic] menos: conque tú por desgraciado, y yo por feliz, perdemos tú la fortuna, y la dicha yo. BERNARDO No hay duda, lo confieso; pero a ser menos dichosa, vos, y yo más feliz, creo, que seríamos los dos hoy dichosas en extremo. 458 Vgl. das Vorwort zu Sedaines Le philosophe sans le savoir. Die mésalliance hingegen ist bereits im drame bourgeois nach Diderot ein Topos, den sich Sedaine seinerseits zum Vorbild nimmt. 7. Vir faber und vir rusticus 543 DOÑA RITA ¿Pero no dices que amor sabe igualar los sujetos? BERNARDO Sí sabe: mas se gradúa de un amor loco en habiendo en los amantes, notable desigualdad. DOÑA RITA Ya; mas pienso que aquel que no es loco, amando, no tiene un amor perfecto.459 Das sich stellende Dilemma, ob die aus ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen unvernünftige Neigungsehe nicht einer Verrücktheit gleichkomme, wird zunächst scheinbar dergestalt gelöst, dass eine Proportionalität zwischen dem Grad der Perfektion der Liebe einerseits und dem Wahnsinn andererseits behauptet wird. Demnach ist die Liebe mit dem höchsten Grad an Perfektion die, die dem Wahnsinn am nächsten steht. Der Wahnsinn wird hier mit dem Standesunterschied begründet. Demnach wäre also die Liebe mit dem größtmöglichen Standesunterschied die Makelloseste, aber auch die Irrationalste. Dabei darf es in der auf die Tugend der temperantia ausgerichteten und an der Nikomachischen Ethik des iustum medium orientierten Moralökonomie der sentimentalen Wirtschaftskomödie natürlich nicht bleiben, weshalb Rita schließlich resigniert bekennen muss: „[...] tan distintas / tu casa y mi casa advierto, / que por más que lo yo sienta / no hallo a nuestro mal remedio.”460 Kann der Ausweg aus der Sackgasse der ungleichen Ehe nur in einer Austarierung des gesellschaftlichen Gefälles durch blaues Blut und Geld bestehen, besteht umgekehrt die einzige Möglichkeit, der Vernunftehe zu entgehen, in dem Rückzugsort des Klosters, das uns bereits aus Moratíns El viejo y la niña bekannt ist und das bei Comella als ultimative Drohung seitens des Vaters, bei Moratín hingegen als rettende Zuflucht erscheint. In Merciers La brouette du vinaigrier droht 459 460 Valladares (1801: 6, vv. 358-380). Valladares (1801: 6, vv. 392-395). 544 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der Kaufmann Delomer ebenfalls, seine sich der Vernunftehe verweigernde Tochter ins Kloster zu schicken. In Valladares‘ Adaptation erscheint Rosa das Kloster deshalb als Strafe und Gefängnis, weil sie sich nicht dazu berufen fühlt. Die Neigungsehe hingegen empfindet sie als das größtmögliche Glück, ermögliche diese es doch, Gefühl („deseo“) und Vermögen („dicha“461) zu verbinden: DOÑA ROSA [...] las que no tenemos vocación de que en los claustros nos encierren, en oyendo que nos casan, es preciso que el júbilo sea inmenso; y mucho mayor si el novio ha ganado nuestro afecto, de antemano... entonces se une la dicha con el deseo.462 ‚Vermögen‘, verstanden als ‚Kapital‘, ist hier also nicht mehr zwingend gleichbedeutend mit ‚Geld‘, sondern vielmehr mit einem ausgeglichenen Gefühlshaushalt. Der Neigung nachzugeben, bedeutet für diesen Haushalt ein emotionales Plus, sie zu ignorieren ein emotionales Minus. Eine weitere Figur, die wie Rosa für die Neigungsehe plädiert, allerdings weniger aus Eigeninteresse denn aus Überzeugung, ist der Lumpensammler Agustín. Auch an dieser Stelle offenbart sich in El trapero de Madrid die Entwicklung hin zu einem zunehmend vom Sexualpositiv geprägten Konzept der Vaterrolle, das mit dem Familienbild der Aufklärung korreliert. Diesem neuen Typus des Vaters geht es nicht mehr darum, den bzw. die finanziell und sozial vorteilhafteste/n EhepartnerIn auszusuchen, sondern darum, die väterlichen Vgl. Diccionario de Autoridades (1732), vol. III: „DICHA. s. f. Felicidad, fortúna, acontecimiento feliz, logro venturoso de lo que se desea. Algunos quieren tráhiga su origen esta voz del verbo Latino Dito, as, que vale enriquecer. Latín. Felicitas. Secunda fortuna. Prosper eventus. NIEREMB. Dictam. Mor. Decad. 1. Criados fuimos para ser dichosos: y somos tan desdichados, que aun no conocemos nuestra dicha, o no la estimamos. SOLIS, Hist. de Nuev. Esp. lib. 5. cap. 15. Escapó a nado su bandera, con igual dicha que valor.” 462 Vgl. Valladares (1801: 2, vv. 74-82). 461 7. Vir faber und vir rusticus 545 Präferenzen mit den Gefühlen der Kinder in Einklang zu bringen. Diesem Konzept entsprechend bringt Agustín das hohe Alter Anselmos als Argument gegen dessen Eheschließung mit der wesentlich jüngeren Rita ins Spiel, eine Thematik die auch Moratíns Stücke El sí de la niñas und El viejo y la niña vertiefen (s.o.). DON BASILIO Se casa [Doña Rita] con Don Anselmo de Vargas. TÍO AGUSTÍN Bien le conozco; pero señor Don Anselmo es tan viejo como yo. DON BASILIO Pero es rico. TÍO AGUSTÍN Ya: mas eso no es casarla con un hombre. DON BASILIO ¿Pues con quién? TÍO AGUSTÍN Con el dinero: y estas uniones muy pocas veces, felices se vieron.463 Agustín transportiert das Familienbild der spanischen Spätaufklärung nicht nur über sein Plädoyer für die Neigungsehe, sondern auch dadurch, dass er sich nicht als Autoritätsperson, sondern als Freund und Vertrauter seines Sohnes versteht: TÍO AGUSTÍN ¿Puedes encontrar Bernardo un confidente más bueno, 463 Valladares (1801: 8, vv. 592-596). 546 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien un amigo más amable, para guardar sus secretos que un padre el más compasivo, amoroso, dulce y tierno?464 Protagonisten wie der Kaufmann Wilson aus El fabricante de paños (1784) sind zwar ebenfalls liebende Väter, die sich um das Schicksal ihrer Nachkommen sorgen, an keiner Stelle bezeichnen sie sich allerdings als ‚Freunde‘ ihrer Kinder. Das gilt auch für den Bergmann Ricardo aus El carbonero de Londres (1790), der eher die Rolle eines erfahrenen und zugleich konservativen väterlichen Ratgebers innehat. Im Hinblick auf die Figur des Vaters ist also in El trapero de Madrid ein deutliches Zugeständnis an das aufklärerische Familienbild zu verzeichnen, demzufolge das Ideal der Freundschaft sowohl für die Instanz der Ehe (vgl. Kap. 6.2) als auch für die Eltern-Kind-Beziehung als Leitbild gilt. 7.8.2. Feudalstrukturen im bürgerlichen Gewand Ebenso wie die Beziehung zwischen dem Fabrikanten Esteban und seinem Lehrling Blas aus Duráns La industriosa madrileña reproduziert auch die des Wollhändlers Basilio zu seinem Sekretär Bernardo das in der spanischen Literatur seit dem Mittelalter vielfältig inszenierte Verhältnis zwischen Lehnsherr und Vasall. Diese feudale Konstellation präsentiert sich in der comedia económico-sentimental im bürgerlichen Gewand und erfährt damit eine Aktualisierung. Ein Handlungselement, das die sentimentale Komödie neu in diese Konstellation einbringt, ist, dass der Untergebene und sozial Unterlegene nun die Tochter seines Herren begehrt. Wird dieses Begehren zunächst kritisch gesehen, darf der eben nur scheinbar Unterlegene am Ende zum Überlegenen werden, indem er als Retter seines in die Bredouille gekommenen Herrn fungiert, seinen Kontrahenten durch moralische, finanzielle und/oder soziale Überlegenheit aussticht und/oder dadurch triumphiert, dass er seine Herzensdame gewinnt. Diese Plotstruktur verwendet Zavala y Zamora in El triunfo del amor y la amistad (1793) ebenso wie Valladares in El trapero de Madrid. Sie kehrt, wenn auch mit 464 Valladares (1801: 9, vv. 635-640). 7. Vir faber und vir rusticus 547 umgekehrten Geschlechterrollen, in La industriosa madrileña wieder, wo sich die arme Weberin als Gräfin erweist, die Estebans Textilfabrik zudem durch ihre Kenntnisse ausgefeilter Webtechniken einen Vorteil gegenüber der bedrohlichen französischen Konkurrenz verschafft. Erfährt der Vasall im Feudalsystem die Anerkennung des Königs dadurch, dass ihm vom Souverän ein Schwert überreicht wird, oder indem er eine Rüstung oder Uniform erhält, die jeweils seinen Aufstieg in der militärischen und sozialen Hierarchie symbolisieren, erfährt dieser Akt in vielen der hier bereits untersuchten Stücke eine aufklärerische Aktualisierung, die darin besteht, dass es nun Bürgersleute sind, denen symbolisch aufgeladene Objekte zum Dank für ihre Taten überreicht werden. In den meisten bisher betrachteten comedias económico-sentimentales ist dieses Objekt ein Gewand, das einem Untergebenen von einer ranghöheren Person nicht nur als Lohn für besondere Verdienste überreicht wird, sondern zugleich als Auszeichnung dient. Auch wenn die Überreichung eines Kleidungsstücks den Aufstieg nicht immer unmittelbar herbeiführt, markiert es zumindest die Möglichkeit eines Wechsels auf die nächsthöhere Hierarchieebene. Das Gewand, das beispielsweise der Textilfabrikant Esteban seinem Lehrling Blas in La industriosa madrileña als Belohnung für seine Bemühungen am Webstuhl überreicht, ist zugleich eine Verheißung gesellschaftlichen Aufstiegs und mit der Absicht des Jünglings verknüpft, selbst einmal ein erfolgreicher Unternehmer zu werden. In El carbonero de Londres erhält der Bergmannssohn Genaro als Lohn für seine Treue vom Monarchen eine Hauptmannsrobe, durch die er vom geächteten Handwerker zum geachteten Mitglied des Militärs wird. Desgleichen möchte der Schneidermeister Cortines seiner Tochter durch ein prunkvolles Gewand zu gesellschaftlichem Glanz verhelfen. Einmal mehr erweisen sich Textilien damit als neue, Schwert und Rüstung ablösende Marker sozialen Prestiges. Auch dies vermag – neben der Stellung der spanischen Textilindustrie als ‚Sorgenkind‘ der Reformökonomie – die tragende Rolle des Textilgewerbes in den bisher analysierten Stücken zu erklären. Darin wird dieser Industriezweig durch eine ganze Palette von Figuren repräsentiert, die vom Kaufmann über den Textilfabrikanten bis hin zum Schneider und Lumpensammler reichen. Was das mit der Auszeichnung des fleißigen Bürgers in der comedia económico-sentimental obligatorisch einhergehende Königslob anbelangt, fehlt auch dieses in El trapero de Madrid nicht, wenn Basilio sich bei Agustín erkundigt, was sich denn in Gibraltar an militärischen 548 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Entwicklungen abzeichne und der Lumpensammler daraufhin zum Herrscherlob ansetzt und bekundet, den König in seine Gebete einzuschließen.465 Dass die Figur des ebenfalls dem Textilgewerbe angehörenden Wollhändlers Basilio der eines Feudalherren gleicht, legt Valladares‘ Stück dadurch nahe, dass es ihm nicht nur einen immensen Reichtum von dreieinhalb Millionen Peseten zuschreibt,466 der sich im weiteren Verlauf des Stückes auf vier Millionen erhöht,467 sondern auch erwähnt, dass Basilio bei Hofe ein gern gesehener und einflussreicher Gast ist: BERNARDO: [...] su buen padre [de Rita], y mi señor es poderoso en extremo, y de gran fama en la Corte. ¿Y qué es el mío? ¡un trapero infeliz! un hombre honrado; pero que tiene un grosero ejercicio; ¿y qué no es digna la virtud de todo aprecio? Es verdad. Pues en mi padre siempre está reinando; ¿luego por qué el mundo desestima tan grande merecimiento? Pero en fin sea mi padre infeliz, sea en extremo rico Don Basilio, sea mi amo, y yo su criado, debo 465 Valladares (1801: 7, vv. 453-461): „Yo no entiendo / esas cosas: cada día / a Dios dirijo mis ruegos, / para que a nuestro Monarca / glorioso, invicto y excelso / le llene de bendiciones, / y le dé triunfos completos: / ésta mi obligación es, / en lo demás no me meto.“ Der Verweis auf die spanische Belagerung Gibraltars (1779–1783) als dem letzten Versuch der Krone, es von den Engländern zurückerobern, – eine Unternehmung, bei der auch Cadalso stirbt – stellt einen deutlichen Gegenwartsbezug her, mit dem Valladares die Aktualität der zentralen Themen seines Stückes (Vernunft- vs. Neigungsehe; der gesellschaftliche Status des arbeitenden Menschen) bekräftigt. Zu den spanischen Belagerungen und den Versuchen der Rückeroberung Gibraltars vgl. auch Pietschmann (1993: 219ff.). 466 Vgl. Valladares (1801: 2, vv. 51f.). 467 Vgl. Valladares (1801: 11, vv. 804-807). 7. Vir faber und vir rusticus 549 esperar, pues me ama Rita, el éxito que deseo, pues en los riesgos de amor tal vez son dichas, los riesgos.468 In dieser Replik hebt Bernardo das zwischen ihm als Sohn eines Werktätigen und Basilio als einem ebenso reichen wie mächtigen Kaufmann bestehende soziale Gefälle hervor. Arbeit erscheint auch hier zunächst als gesellschaftlicher Makel, wenn Bernardo von Agustíns „grosero ejercicio“ spricht, der dazu führe, dass der Vater angesichts seines tugendhaften Charakters zwar ehrbar („honrado“), aber dennoch geringgeschätzt sei („el mundo desestima“). Diesbezüglich offenbart sich eine Parallele zwischen Agustín und dem Schneider Cortines aus Trigueros‘ Los menestrales. In feudaler Terminologie bezeichnet Bernardo schließlich Basilio als seinen Herrn („amo“) und sich selbst als dessen Diener („criado“), womit das Verhältnis der beiden nicht als bloßes Dienstverhältnis markiert ist, sondern auch als eines, das Bernardos Treue gegenüber seinem Herrn verlangt. Das hierarchische Verhältnis zwischen Kaufmann und Sekretär orientiert sich somit am feudalen Konzept der Lehnstreue des Vasallen gegenüber seinem Feudalherren. Nicht nur erweist sich Bernardo als treuer Diener seines Herren, er legt darüber hinaus eine kaufmännische Risikobereitschaft an den Tag, die ihn als vir oeconomicus ausweist, als er die Unwägbarkeiten seines Liebeswerbens um Rita als mögliche „dichas“ bezeichnet und damit dem kaufmännischen Leitspruch folgt, dass ohne Risiko kein Gewinn zu erwirtschaften ist. In der Figur Bernardos verbindet Valladares den feudalen Typus des loyalen Gefolgsmanns mit dem aufklärerischen Typus des auf finanziellen und emotionalen Gewinn bedachten vir oeconomicus, der sich allerdings stets im Rahmen der herrschenden Moral bewegen muss. In Analogie zu den hier bereits analysierten Komödien über den vir oeconomicus thematisiert auch Valladares‘ Stück die Kaufmannsehre. Für den Wollhändler Basilio zeigt sie sich darin, dass er, wie sein Diener Aniceto gegenüber Anselmo bemerkt, nie bankrottging oder Schulden hatte, und zudem über Bargeldbestände in Form von Silbermünzen verfügt. Dass sein Kapital überdies nicht ‚ruht‘, sondern im Umlauf ist, weist Basilio zusätzlich als klugen Geschäftsmann aus. 468 Vgl. Valladares (1801: 6, vv. 418-420). 550 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Wie schon im Falle des Textilfabrikanten Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada und dem Kaufmann Bruno aus Comellas El hombre agradecido ist es auch in El trapero de Madrid nicht allein die finanzielle Potenz, die Macht und Ansehen des Kaufmanns begründet: Vonnöten sind außerdem ein guter Geschäftssinn und ein exzellenter Ruf.469 7.8.3. Bürgerliche Finanzmacht und Lob der Arbeit Als Basilios Diener Aniceto dem nach dem Vermögen des zukünftigen Schwiegervaters trachtenden Anselmo gegenüber angibt, Basilio habe niemals Schulden gehabt, entspricht dies nicht ganz der Wahrheit. Wie man später in einem Dialog Basilios mit Agustín erfährt, schuldet der reiche Wollhändler ausgerechnet dem Lumpensammler „cien doblones“. Wie es dazu kam, lässt Valladares‘ Komödie offen. Im Gegensatz zum Kaufmann, dessen Geschäftsmodell auf der schnellen Abfolge von aufgenommenen Krediten, dem Ankauf von Ware, ihrem Wiederverkauf, den daraus erzielten Einnahmen, Investitionen und Wechseln besteht, sind dem Lumpensammler die Konzepte von Wechsel und Kredit fremd, weshalb er stolz bekennt: „nunca he debido un cuarto“470. Diese Aussage veranlasst Basilio zu der Bemerkung: „pocos pueden decir eso“.471 Im weiteren Verlauf der Komödie verringert sich das vermeintlich bestehende gesellschaftshierarchische Gefälle zwischen dem Händler Basilio und dem werktätigen Agustín zunehmend. Die Annäherung beider Figuren wird über die Aspekte Achtung, Geld, bürgerliche Tugend und schließlich Heldentum als ehemals feudalem Wert vermittelt, der nun – wie von Jehle mit seinem Konzept des ‚zivilen Helden‘ konturiert (vgl. Kap. 4.4) – in einen bürgerlichen Kontext eintritt. Don Basilio beglückwünscht Agustín dazu, 469 Vgl. Valladares (1801: 11, vv. 822-826). So entgegnet Aniceto auf Anselmos Frage „[...] ¿Corre con buena fama [Don Basilio]?“, eine Frage, die eigentlich auf die Vermögensverhältnisse des Kaufmanns abzielt, gewitzt: „[...] Creo / que no quebró nunca. Tiene / muy buena opinión, comprehendo / que está en giro su caudal, / no debe, y hay plata. ¿Es esto / lo que preguntáis?“ Details über den kaufmännischen Kosmos Don Basilios erfahren die ZuschauerInnen bereits durch die Verse 117ff., wo es um die Geldströme und Wechsel geht, die zwischen Basilio und seinem holländischen Geschäftspartner Welferto fließen. 470 Valladares (1801: 7, v. 476). 471 Valladares (1801: 7, v. 477). 7. Vir faber und vir rusticus 551 dass dieser seinem Sohn Bernardo eine gute Erziehung hatte angedeihen lassen, wodurch der Wert der Erziehung als aufklärerisches Ideal einmal mehr zum Ausdruck kommt: BASILIO Es mucha vuestra honradez por la cual, y porque a vuestro hijo Bernardo, habéis dado buena educación, os quiero.472 In der seinem Filius zugedachten Erziehung offenbart sich zugleich Agustíns Finanzkraft. Seinen Sohn nach Paris zu schicken, stellte für den Lumpensammler keine finanzielle Herausforderung dar.473 Als Bernardo sich weigert, dem Vater den Grund für seine gegenwärtige Niedergeschlagenheit zu offenbaren und Agustín dessen Verstocktheit auf etwaige Schulden zurückführt, deutet sich schon an, wie vermögend Agustín ist, könnte er Bernardo doch ohne weiteres mit 500 Dublonen aushelfen: TÍO AGUSTÍN ¿Pues por qué más no te explicas? vamos, ¿te falta dinero? toma, que en ese bolsillo cincuenta doblones tengo, (Lo saca y se lo entrega.)474 Die Frage, wie ein einfacher Lumpensammler so reich werden konnte, beantwortet Valladares‘ comedia económico-sentimental in Form eines wahren Loblieds auf die Werktätigkeit. In diesem Zusammenhang wird einerseits das entbehrungsreiche Leben des (körperlich) arbeitenden Menschen beschrieben, andererseits aber auch Agustíns ‚Geschäftsmodell‘ skizziert, das auf drei Säulen beruht, die ihrerseits drei bürgerliche Tugenden repräsentieren: die Werkarbeit, die die Tugend der industria symbolisiert; die Sparsamkeit, die hier an leiblicher 472 Valladares (1801: 7, vv. 498-501). Vgl. Valladares (1801: 8, vv. 553-556). Wenn Agustín von Basilio gefragt wird: „¿Pero no advertís que son / grandes los gastos para eso?“, entgegnet dieser: „He señor, no faltaría / lo preciso para hacerlos.” 474 Valladares (1801: 9, vv. 659-663). 473 552 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Genügsamkeit festgemacht wird und für die Tugend der temperantia steht; und letztlich die prudentia475 im Sinne der umsichtigen Vernunft, die den Vater veranlasst, das erwirtschaftete Vermögen dem Sohn gegenüber geheim zu halten, um ihn nicht zur Prasserei zu verführen. TÍO AGUSTÍN Lo primero, madrugando mucho, dando abrigo sólo a mi cuerpo con este tosco vestido, y solamente comiendo para vivir, sin vivir para comer sólo, que esto al cabo de muchos años produce mucho dinero; y más de cuarenta y cinco hace que este oficio tengo. Lo segundo, habiendo compras abundantes en su tiempo, y conservándola hasta encontrar un corto premio; aunque con verdad afirmo, que nunca cometí el yerro de la usura y que pagué lo que compré a justo precio; y lo tercero, ocultando aquello que iba adquiriendo a mi hijo, [...] que si él llegase [...] viéndose rico, fomento daría a todos los vicios, [...].476 475 Das Stück verweist darauf, dass sich auch Agustíns Sohn Bernardo und die Kaufmannstocher durch die bürgerliche Tugend der prudentia auszeichnen. Damit wird nahegelegt, dass sich Gleich und Gleich gut ergänzen. So bezeichnet Basilio Bernardo als vernünftig: „[...] es toda mi confianza / por su prudencia y talento.” Valladares (1801: 7, vv. 505f.). Bernardo wiederum schätzt an Rita, dass sie „muy prudente“ ist. Valladares (1801: 9, v. 687). 476 Valladares (1801: 27f., vv. 1034-1068). 7. Vir faber und vir rusticus 553 Dadurch, dass Agustín in genau dem Moment, in dem sich der Kaufmann Basilio in höchster wirtschaftlicher Not befindet und sein Hab und Gut gepfändet zu werden droht, mit einem Lumpenkorb voller Bargeld herbeieilt und obendrein offenbart, dass er ohne dessen Wissen Basilios Haus gekauft hat, um es dem jungen Ehepaar Rita und Bernardo einschließlich einer Mitgift von einer Millionen und 24.000 reales zu schenken, von denen nach Begleichung der Schulden Basilios noch eine halbe Million verbleibt,477 erscheint er als heldenhafter Retter in der Not. Dieses wird in einer Replik Don Luis‘ deutlich, in der von der „acción heróica del tío Agustín Velázquez“478 die Rede ist. Bemerkenswert ist, dass Agustín auch hier und nach der Bekanntgabe seines Adelsstandes als „tío“ und nicht als „don“ bezeichnet wird, was deutlich macht, dass die Adelskonvention hier nicht von zentraler ideologischer, sondern eher von formaler479 Bedeutung ist. Zudem bleibt Agustín durch die Fortführung seines Beinamens „tío“ als werktätige Figur markiert. Hochsymbolisch ist die Szene, in der der vom Sohn so sehr verabscheute Korb des Lumpensammlers als anrüchiges Utensil des trabajo manual an zentraler Stelle auf der Bühne erscheint. In dem Korb, den Agustín ironisch und in Anbetracht der Schambekundungen des Sohnes als „odiosa cesta“480 bezeichnet, befindet sich das Geld, das die Heirat zwischen der Kaufmannstochter Rita und Bernardo ermöglicht,481 allerdings erst nachdem die Adelskonvention in Kraft getreten ist.482 Von entscheidender Bedeutung in diesem Zusammenhang ist der im Nebentext getätigte Hinweis, dass das Geld im Korb beim Transport klingelt: „Mueven la cesta y suena el dinero.“483 Das Geld findet damit nicht nur auf der Bühne Erwähnung, sondern ist in seiner Materialität von Bedeutung. Der Lumpenkorb wiederum verliert durch das Geld seinen anstößigen Charakter und wird zum heilbringenden Utensil. Nicht umsonst erinnert das Klingeln des Geldes im Korb an das Glöckchen, das während der Eucharistiefeier die 477 Vgl. Valladares (1801: 27, vv. 1019-1025). Valladares (1801: 28, v. 1080). 479 In diesem Sinne ist sie ein Element des populären Theaters, das dazu dient, die Erwartungshaltung des Publikums zu befriedigen. 480 Valladares (1801: 27, v. 1011). 481 Vgl. Valladares (1801: 27, vv. 1011-1015). 482 Vgl. Valladares (1801: 25, vv. 843ff.). 483 Valladares (1801: 27, v. 1015). 478 554 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Transformation des Brotes in den Leib Christi ankündigt. Sieht das Publikum in Valladares‘ El carbonero de Londres im Kontext der Bergung des Schatzes eine Spitzhacke auf der Bühne, so steht diese dort (noch) nicht im Kontext der schmachvollen Werktätigkeit der Protagonisten, sondern repräsentiert diese metonymisch.484 Die Werkzeuge Agustíns hingegen sind bei nahezu jedem Auftritt der Figur auf der Bühne präsent. Schon bei seinem ersten Auftritt erscheint der Lumpensammler mit den Insignien seiner Werktätigkeit, auf die Basilio dann auch noch deiktisch verweist: DON BASILIO [...] mas el tío Agustín, su padre [de Bernardo] con todos los instrumentos de su ejercicio, aquí llega. Le quiero bien, que es un viejo en extremo, honrado; tío... (Sale el TÍO AGUSTÍN con su cesta y gancho.)485 Auch im Nebentext wird noch einmal explizit auf diese Werkzeuge hingewiesen, die Agustín sodann demonstrativ ablegt: „Deja a un lado cesta y gancho.”486 Dass diese Werkzeuge die Instrumente einer schweißtreibenden körperlichen Arbeit sind, macht Agustín in seiner Rede explizit, wenn er von „el trabajo, el sudor, / y el afán de tanto tiempo“487 spricht, während sein Sohn vor lauter Scham am liebsten im Boden versinken möchte: „¿A qué venís? / ¡también traéis los instrumentos / de vuestro ejercicio! O Dios!“488 Obgleich die Werkzeuge in El trapero de Madrid öfter auftauchen als in El carbonero de Londres, bleibt ihr Status ambivalent. Fungieren diese Utensilien einerseits als rettende Werkzeuge und sind sie somit handlungsentscheidend, dürfen sie andererseits nur um den Preis ihrer wundersamen Heilsfunktion auf der Bühne erscheinen. Dennoch erfolgt in El trapero de Madrid ein entschiedeneres Lob der Arbeit als in 484 Zur Funktion von Werkzeugen in den genannten Stücken vgl. Schuchardt (2022: 205ff.). 485 Valladares (1801: 7, vv. 442-446). 486 Valladares (1801: 7, v. 503). 487 Valladares (1801: 24, vv. 777f.). 488 Valladares (1801: 24, vv. 783-786). 7. Vir faber und vir rusticus 555 anderen Stücke von Valladares‘. Dies zeigt sich in einem Dialog zwischen dem Wollhändler und dem Lumpensammler, in dem Basilio anmerkt, eine andere Tätigkeit („otro ejercicio“489) stünde dem tugendhaften Agustín besser zu Gesicht. Darauf entgegnet Agustín, seinen Beruf gegen keinen anderen eintauschen zu wollen und bekräftigt, dass seine Tätigkeit entgegen allem Anschein eine ehrbare sei: TÍO AGUSTÍN Ya: pero creed que no abandonaría por el más noble el que tengo. Cuarenta y cinco años hace que soy en Madrid trapero, mas con tal felicidad que ni aun me ladran los perros: todo el mundo me conoce y me estima: no hay empleo en el que no pueda el hombre ser virtuoso: mas aprecio vestir este tosco paño, pero llevar descubierto mi rostro, que seda y oro con el trabajo molesto, de ocultarle a todo el mundo por deudas, trampas o enredos.490 Im gleichen Maße, wie del Reys La modesta labradora und Valladares‘ El carbonero de Londres die idyllische Welt des Landlebens mit der abgründigen Welt des Hofes kontrastieren, wird dieser Gegensatz zwischen ‚einfach‘ und ‚pompös‘ auch hier bemüht, nun allerdings im städtischen Kontext. Wie schon bei del Rey kommt auch hier die einfache Tracht des arbeitenden Menschen ins Spiel, wenn Agustín das „tosco paño“ (s.o.), das er trägt, über Seide und Gold stellt, für seine Kleidung aber auch ein praktisches Argument anbringt, nämlich die Befürchtung, dass ein besseres Gewand durch seine Werktätigkeit beschmutzt werden könnte („que seda y oro / con el trabajo molesto“, s.o.). Der ‚grobe Stoff‘ von Agustíns Berufskleidung bildet 489 490 Valladares (1801: 7, v. 481). Valladares (1801: 7, vv. 480-497). 556 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ein Äquivalent zu Inés‘ einfacher Kleidung, über die sich der Marqués in La modesta labradora mokiert, während die junge Frau durch ihr Verhalten die Würde ihrer bäuerlichen Tracht bekräftigt. Beide ProtagonistInnen, das Bauernmädchen Inés und der Lumpensammler Agustín, erweisen sich am Ende als adelig, und in beiden Stücken leitet sich die Würde der Tracht des arbeitenden Menschen aus einem adeligen Standesbewusstsein her. Beiden Komödien gemeinsam ist überdies, dass auch hier der Wert des ser den des parecer überwiegt: Wie schon in den Kaufmannskomödien gilt auch in El trapero de Madrid das Motto: Ein tugendhafter, da arbeitsamer Lebenswandel („no hay empleo / en el que no pueda el hombre / ser virtuoso“, s.o.) führt zu sozialer Anerkennung („todo el mundo me conoce / y me estima“, s.o.). Daher sei ein Leben, das sich zum trabajo manual bekennt, erstrebenswerter als eines, das der Verstellung zu Zwecken der Selbstbereicherung diene („mas aprecio / [...] llevar descubierto / mi rostro [...] / que [... ] de ocultarle”). Über die Figurenrede hält Valladares hier ein deutliches Plädoyer für den gesellschaftlichen Wert des arbeitenden Menschen, die hier eben nicht mehr schamhaft und mit verborgenem Gesicht, sondern selbstbewusst und mit ‚offenem Visier‘ daherkommt, allerdings noch mit dem geheimen Trumpf des Adelstitels ausgestattet sein muss, um bar jeden sozialen Zweifels zu sein. Spielte die Dialektik von bürgerlichem Aufstiegswillen und der Eindämmung desselben durch das Konzept des Staatsbürgers in Trigueros‘ Los menestrales eine zentrale Rolle, bekennt sich auch der Lumpensammler Agustín zu den Pflichten des Staatsbürgertums. Auch in El trapero de Madrid wird der Begriff des „ciudadano“ mit der Kritik an der Handwerksflucht verknüpft, und zwar, wenn der Lumpensammler auf seinen Sohn zu sprechen kommt: TÍO AGUSTÍN [...] Ya sé que lo es: conque cómo no ha de ser mi gozo extremo, si en mi hijo logré formar un ciudadano tan bueno. Bien quise que se inclinase a seguir mi propio empleo; mas los hijos pocas veces nos siguen, y más aquellos 7. Vir faber und vir rusticus 557 que por anhelar ser más se olvidan de lo que fueron.491 Das entscheidende Argument, das den Sohn in den Augen des Vaters davon abhält, den väterlichen Beruf zu ergreifen, ist das „anhelar ser más“. Dass der bürgerliche Wille, sozial aufzusteigen, bei Bernardo gegeben ist, zeigen sowohl die schon angeführte Szene, in der er sich der Tätigkeit seines Vaters schämt als auch seine bereits dargelegte Risikobereitschaft in Geschäftsdingen. 7.8.4. Abermals Molière Wurde bereits herausgearbeitet, wie sehr der mit Gefühlen ebenso wie mit Gastfreundschaft geizende Kaufmann Don Roque aus Moratíns El viejo y la niña dem Geizigen aus Molières gleichnamiger Komödie gleicht, bietet Harpagon auch Valladares eine Vorlage für die Gestaltung des begehrlichen Alten Anselmo, dem weniger an Ritas Qualitäten als Ehefrau denn an ihrer Mitgift von einer Million reales492 gelegen ist: „[...] veremos / cómo se explica [Don Basilio], en el objeto / del dote, que es el objeto / principal que me conduce / a esta boda.“493 Somit kann festgehalten werden, dass die Dramenproduktion Molières ebenso Moratín wie Valladares als Intertext dient, ein Umstand, der für viele Stücke des spanischen 18. Jahrhunderts gilt. Schon Merciers La brouette du vinaigrier schlägt intertextuelle Brücken zu Molière, dessen Werk Mercier wohlbekannt ist. 1776 verfasst er ein Stück mit dem Titel Molière, das seinerseits auf der Vorlage eines gleichnamigen Stückes aus der Feder Carlo Goldonis (1707-1793) basiert.494 Auch der 491 Valladares (1801: 7, vv. 517-526). Vgl. Valladares (1801: 13, vv. 953f.). 493 Valladares (1801: 11, vv. 773-776). 494 Vgl. hierzu Guthmüller, Bodo (2004): „Molière im Spiegel Goldonis und Merciers“. In: Cañas Murillo, José/Schmitz, Sabine (eds.). Aufklärung: Literatura y cultura del siglo xviii en la Europa occidental meridional. Frankfurt/Main: Lang, pp. 95-108, insbesondere pp. 99ff. Wie schon Goldoni mit seinem Drama Molière (1752) „weniger eine Komödie im ‚Stil‘ Molières als eines jener ‚drames bourgeois avant la lettre‘“ geschrieben hatte, „mit denen sich Goldoni auf ein ‚genre sérieux italiano‘“ zubewegt, aktualisiert auch Mercier Goldonis Komödie Molière im Dienste seiner eigenen, an Diderots Konzept des drame bourgeois angelehnten Dramentheorie, die Mercier in Du théâtre ou 492 558 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Umstand, dass sich La brouette du vinaigrier auf nur wenige Charaktere konzentriert und damit einen engen bürgerlichen Kosmos fokussiert, ist Aggéri zufolge ein Verweis auf Molière.495 Dass Anselmo bei Basilios Diener Aniceto vorab Erkundigungen über die finanziellen Verhältnisse und das Geschäft seines künftigen Schwiegervaters einholt, zeigt, dass er nicht nur bestrebt ist, aus der Ehe mit Rita das größtmögliche Kapital zu schlagen, sondern auch, dass er ein taktisch geschickt agierender Stratege und zudem verschlagen ist. Dies wird auch anhand seiner Sprache ersichtlich. Als er Basilio nach der Höhe der Mitgift fragt, wählt er für das Geld eine Paraphrase: „[...] qué beneficios paternos / hará vuestro corazón / tan generoso y tan tierno / a vuestra hija.“496 Auch weisen ihn zahlreiche apartes als verschlagenen Charakter aus.497 In Analogie zu M. de Jullefort bei Mercier ist auch Anselmo der komische Charakter des Stückes. Als er auf seine zahlreichen Verlobungen zu sprechen kommt, die er stets aus finanziellen Erwägungen platzen ließ, wirft dies nicht nur ein Licht auf seinen schlechten Charakter. Seine Ausführungen sorgen überdies in ihrer Derbheit für Komik, wenn er beispielsweise zum Besten gibt, dass er auf die Ehe mit einer zwar reichen, für damalige Verhältnisse aber vergleichsweise alten Dreißigjährigen spekuliert hatte, sich aber von dem Eheversprechen löste, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, die er allein deshalb verurteilt, weil sie sich negativ auf die Besitzverhältnisse ausgewirkt hätte: conocí un día en su aspecto que se hallaba embarazada. [...] la maldita vieja de aquel abundante seno echó tres hijos, y tres Nouvel essai sur l’Art dramatique (1773) und De la littérature et des littérateurs, suivi d’un Nouvel examen de la tragédie françoise (1778) darlegt. Vgl. Guthmüller (2004: 99). Mercier reizt an Goldonis Molière vor allem, dass er darin eine Präfiguration seiner eigene Dramenkonzeption sieht. Vgl. Guthmüller (2004: 107). 495 Vgl. Aggéri (1972: 30). 496 Valladares (1801: 12, v. 815). 497 Zu Anselmos Beiseitesprechen vgl. insbesondere Valladares (1801: 13, vv. 970ff.). 7. Vir faber und vir rusticus 559 partes del caudal se fueron con los diablos.498 Aus dem Umstand, dass seine – stets nur gespielte – Zuneigung von der Höhe der Mitgift abhängig ist, macht Anselmo keinen Hehl,499 was Aniceto dazu veranlasst, ihn aparte als „perverso“500 zu bezeichnen, d.h. als eine ihrem Stand nicht gerecht werdende, moralisch korrumpierte Person.501 7.9. Zwischenbilanz: Heldentum der Arbeit als soziale Evasion Die vorausgehenden Analysen haben gezeigt, dass es die ambivalente theatrale Inszenierung des vir faber als Repräsentant des Handwerks ist, die die diskursiven Brüche der comedia económico-sentimental deutlich hervortreten lässt. Dass gerade die sentimentale Komödie durch ideologische Widersprüche gekennzeichnet ist, konstatiert auch García Garrosa: La exaltación de las virtudes de la burguesía permite que ésta se afirme como grupo social frente a la nobleza. Ser burgués – parece ser la lección del teatro sentimental – es ya tan digno como ser noble. No hay por qué avergonzarse de una condición y unas actividades que os hacen ciudadanos honestos y útiles a la sociedad, que os enriquecen y os dan un poder que acabará imponiéndose al de la nobleza; y, ante todo, que os procuran la virtud, y con ella la felicidad. Pero a los burgueses eso no parece bastarles, y siguen pensando que ser noble es bien más estimable. Por eso, la mayor parte de nuestras comedias concluyen con el ennoblecimiento del protagonista plebeyo. De lo cual se deducen dos cosas: que el teatro sentimental encierra una importante contradicción ideológica, y que, a pesar de todos, a finales del siglo xviii, la aristocracia sigue siendo un estamento 498 Vgl. Valladares (1801: 11f., vv. 830ff.). Vgl. Valladares (1801: 12, vv. 897-899): „[...] Mi afecto / llegará a un millón de grados, / si lleva un millón de pesos.“ 500 Vgl. Valladares (1801: 12, vv. 909f.): „[...] / y que casar quiera mi amo / su hija con este perverso.” 501 Vgl. Diccionario de Autoridades (1737), vol. V: „PERVERSO, SA. adj. Sumamente malo, defectuoso en su línea [sic], depravado en las costumbres o [sic] obligaciones de su estado.“ 499 560 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien social con suficiente peso como para que los miembros de los demás estados quisieran asimilarse a ella.502 Fraglich ist, in welchem Maße die Adelskonvention in der Mehrzahl der Stücke vor allem eine Konzession an den Publikumsgeschmack ist und zu Zwecken der Identifikation mit den handelnden Figuren dem Bedürfnis der ZuschauerInnen Genüge tut, in den Adel aufzusteigen, oder inwiefern es darum geht, eine ideologische Maßgabe des aufgeklärten Absolutismus umzusetzen, derzufolge Handwerk und Werkarbeit nur dann mit einer Einheirat in großbürgerliche oder gar adelige Kreise vereinbar sind, wenn sich die arbeitenden AspirantInnen503 am Ende als adelig erweisen. Damit wird zwar die handwerkliche Tätigkeit symbolisch geadelt, gleichzeitig aber eine faktische Übertretung der Standesgrenzen vermieden, sodass die Konventionen der feudalen Ständeordnung gewahrt bleiben. Wahrscheinlich ist, dass beide Aspekte eine Rolle spielen, was abermals den Spagat veranschaulicht, den die DramatikerInnen der spanischen Spätaufklärung zwischen der Berücksichtigung populärer Plotstrukturen auf der einen und Zensurzwang auf der anderen Seite vollziehen müssen. Unstrittig ist, dass die Identifikation des Publikums mit den auf der Bühne agierenden ProtagonistInnen der didaktischen Absicht des Theaters dienlich ist, die darin besteht, den ZuschauerInnen die Wirtschaftszweige nahezubringen, die laut der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus am ehesten dazu geeignet sind, Spanien zu einem florierenden Land zu machen. Neben Handel und Textilwirtschaft sind dies im Agrarstaat Spanien Handwerk und der Ackerbau, jene Sektoren also, auf das das reformökonomische Programm des Grafen von Campomanes seinen Schwerpunkt legt. Im Sinne dieses Programms bringt die comedia económico-sentimental ihrem Publikum nicht nur die für die Nationalwirtschaft bedeutsamen und förderungswürdigen Sektoren nahe, sondern zugleich Schlüsselbegriffe der Politischen Ökonomie: das Konzept des Staatsbürgertums mit den sich aus ihm ergebenden Pflichten und den Wert der Arbeit als universelle und im finanziellen ebenso wie im moralischen Sinne kapitalbildende Tugend. 502 García Garrosa (1990: 174). Ein singuläres weibliches Beispiel unter vielen männlichen ist die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña (vgl. Kap. 8.2.1f.). 503 7. Vir faber und vir rusticus 561 Die Identifikation des Publikums mit handwerklich oder im Ackerbau tätigen und sich am Ende als adelig erweisenden ProtagonistInnen, die in der Mehrzahl der untersuchten Stücke die Rolle von Heldenfiguren einnehmen – z.B. der seinen König rettende Bergmann Genaro oder der den Wohlstand des Kaufmanns Basilio wiederherstellende Lumpensammler Agustín –, steht allerdings nicht allein im Dienst des erzieherischen Auftrags des Theaters, sie ist auch ein unterhaltungsmedialer Katalysator gesellschaftlicher Konflikte: Die hier untersuchten Beispiele eines populären sentimentalen Wirtschaftstheaters nähren und befriedigen die evasiven Bedürfnisse der körperlich schwer arbeitenden Teile des Publikums, des vulgo. Dass Verfechter der Neoklassik wie Jovellanos eben diesen Teil des Publikums aus dem Theater verbannen wollen,504 deutet auf den Einfluss dieser Schicht auf Themenwahl und Aufführungspraxis der Stücke hin. Immerhin stellt der vulgo bis zu der von Jovellanos vorangetriebenen Erhöhung der Eintrittspreise im Jahre 1797 die Mehrzahl der ZuschauerInnen. Demnach gilt es, das von den Neoklassikern gewünschte Publikum, den pueblo, dessen berufliche Tätigkeit in der ‚Kopfarbeit‘ des Kaufmanns und des Fabrikanten besteht, von dem realen Publikum zu unterscheiden, das sich mehrheitlich aus Werkarbeitenden zusammensetzt. Ginge es nach Theaterreformern wie Jovellanos, gebührte dieser Zuschauergruppe, ihrer Alltagswirklichkeit und ihrem Bedürfnis nach Zerstreuung kein Raum, was sich in den neoklassischen Dramen entweder durch ein großbürgerliches Setting niederschlägt oder dadurch, dass ambitionierte viri fabri, wie etwa bei Trigueros, auf ihren Platz in den unteren gesellschaftlichen Rängen zurückverwiesen werden. Im Theater Comellas, das die Neoklassik mit dem populären Theater vereint, sowie in den populären Stücken Valladares de Sotomayors, wird der arbeitende Mensch ebenso in seinen Vorlieben berücksichtigt wie figural 504 Vgl. dazu auch Tschilschke (2018: 252) mit Bezug auf Jovellanos (1998): Espectáculos y diversiones: „A ‚la gente pobre que vive de su trabajo, para la cual el tiempo es dinero‘ [p. 214], como dice el famoso razonamiento a la vez economista y moralista, liberal y paternalista de Jovellanos, si bien se le concede el derecho al tiempo libre y a disponer libremente de ello, fuera del control del Estado, se le niega por otro lado o, al menos, se desaprueba que frecuente el teatro: ‚Este pueblo necesita diversiones, pero no espectáculos. No ha menester que el gobierno lo divierta, pero sí que le deje divertirse. En los pocos días, en las breves horas que puede destinar a su solaz y recreo, él buscará, él inventará sus entretenimientos. Basta que se le dé libertad y protección para disfrutarlos‘ [p. 183].“ 562 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien repräsentiert, was den Erfolg dieser Stücke erklärt. Die ebenfalls beim Publikum punktenden neoklassischen Komödien Moratíns hingegen sind das Theater eines gehobenen Bürgertums. Die populäre Variante der comedia económico-sentimental macht sich bestimmte Elemente der Neoklassik zu eigen und bietet diese dem körperlich arbeitenden Volk auf eine für dieses ansprechende Art dar, ohne dabei im ursprünglichen Sinne ‚volkstümlich‘ zu sein. In den hier untersuchten sentimentalen Komödien populärer Prägung können die Stellvertreterfiguren dieses Volkes auf der Bühne den Beschränkungen ihres einfachen Standes als HandwerkerInnen, Bauern bzw. Bäuerinnen oder Kleinstgewerbetreibende letztlich entkommen, in bessere Verhältnisse einheiraten und der gesellschaftlichen Missachtung, die sie aufgrund ihrer Werktätigkeit erdulden mussten, entfliehen. Mehr noch: Sie triumphieren über die, die sie verachtet hatten, wenn sich ihr über allem bürgerlichen Reichtum stehender Adel herausstellt. Die in der hispanistischen Literaturwissenschaft lange Zeit gegenüber dem sentimentalen ökonomischen Theater populärer Prägung vorherrschende Nichtachtung und die Bevorzugung der Neoklassik, gerechtfertigt mit fadenscheinigen Argumenten der literarischen Qualität, hat bis zu den mit dieser Denktradition brechenden Studien von Jorge Campos (1969) und Ivy McClelland (1979) den Blick auf die Leistungen dieses Theaters für die Darstellung arbeitender Menschen und deren Selbstverständnis verstellt.505 Dass die Konvention des geheimen oder geheim gehaltenen Adels im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts weit häufiger anzutreffen ist als ein tatsächlicher gesellschaftlicher Aufstieg des vir faber, wie ihn der Bergmann Genaro durch seine Ernennung zum Hauptmann erfährt, zeigt, wie sehr auch die gemeinhin als ‚Bürgertheater‘ identifizierte sentimentale Komödie dem feudalen Status Quo verpflichtet bleibt: Denn wenn sich am Ende diejenigen als adelig erweisen, die es ohnehin schon immer waren, wird damit die ‚rechte‘, Vgl. auch Jehle (2010: 179), der ebenfalls konstatiert: „Die Rede vom ‚Neoklassizismus‘, die stets den ästhetischen Abgrund zwischen Moratíns Komödien und den Werken Comellas in den Vordergrund gestellt hat, übersah allzu lange, dass beide Richtungen die Sache der Aufklärung betreiben, indem sie der ‚clase media‘ zu ihrem kulturellen Ausdruck und mithin zur Bildung eines sie unterscheidenden Bewusstseins verholfen hat.“ Dass ein solches Klassenbewusstsein des Bürgertums im 18. Jahrhundert überhaupt bestanden hat, bestreitet Maravall (s.o.), wenn er statt von einer „conciencia de clase“ lediglich von einer „mentalidad burguesa“ spricht. 505 7. Vir faber und vir rusticus 563 d.h. die feudale Ordnung wiederhergestellt. Diese wird durch protoliberalistische und progressiv anmutende Stücke wie Comellas El buen labrador ebenso wenig in Frage gestellt wie durch neoklassische und im Hinblick auf das in ihnen entworfene Gesellschaftsbild konservative Stücke wie Trigueros‘ Los menestrales. Angesichts der omnipräsenten staatlichen und religiösen Zensur kann eine ‚andere‘ soziale Ordnung nur sehr vereinzelt aufscheinen, beispielsweise in der durch Comella entworfenen Abendmahlsszene. Gerade der Aspekt der sozialen Evasion der arbeitenden Schichten in der Fiktion des Theaters offenbart abermals die katalysatorische Funktion dieses Unterhaltungsmediums im Dienste der Politischen Ökonomie. Indem Ehrbarkeit und sozialer Aufstieg des arbeitenden vulgo auf die dramatische Fiktion verlagert werden, soll die Gefahr eines Aufbegehrens des arbeitenden Volkes gegen das feudale System gebannt werden, eine Sorge, die durch die revolutionären Ereignisse im Nachbarland Frankreich befeuert wird. Neben dem neoklassischen Theater erweist sich die populäre Variante der comedia económico-sentimental als ambivalenter Raum, in dem sich im vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus zum einen das im Entstehen begriffene Bewusstsein des Bürgertums und der Werktätigen figural manifestiert; zum anderen dient dieses Theater als eine Art ‚Sedativum des Volkes‘.506 Geht man davon aus, dass sich der wirtschaftsreformerische Diskurs der Politischen Ökonomie über das Druckmittel der Zensur bis ins populäre Theater hinein fortpflanzt, dann sind die wiederholten Referenzen auf das Religiöse in den analysierten Stücken populärer Prägung nicht allein Angebote zur Identifikation des Publikums mit dem auf der Bühne Gespielten; vielmehr und vor allem sind diese Referenzen Teil einer Strategie der Legitimation eines auf das kulturelle Feld des Theaters ausgeweiteten säkularen Regierungsdiskurses, dem durch seine Kopplung an das traditionelle Element des Religiösen der Schrecken des Neuen genommen werden soll. Dass diese Legitimation des Theatralen durch das Religiöse auch in gegenläufiger 506 Dieser Begriff ist bewusst an Marx‘ vielzitierten Ausspruch „Opium des Volkes“ angelehnt, wie ihn Marx in der „Einleitung“ seiner Schrift Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843/44) formuliert. Vgl. Marx, Karl (1976 [1927]): „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“. In: idem/Engels, Friedrich. Werke, vol. I. Berlin (DDR): Karl Dietz, pp. 378-391, hier p. 378. 564 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Richtung funktioniert und (seltene) Momente der Subversion ermöglicht, veranschaulicht abermals Comellas besagte Abendmahlsszene. Trotz ihres politischen Konformismus und ihrer ideologischen Brüche, die in Los menestrales besonders deutlich hervortreten, deuten die um die Typen des vir faber und des vir rusticus kreisenden comedias económico-sentimentales auf eine Epochenschwelle zwischen feudalem und bürgerlichem Werthorizont hin, die sich allerdings nur zaghaft manifestiert. Besteht das Novum dieser Stücke einerseits darin, dass sie für die Vereinbarkeit von körperlicher Arbeit und Adel plädieren, ist andererseits gerade in den populären Varianten sentimentaler Wirtschaftskomödien eine Entwicklung von einem eher rhetorisch wirkenden hin zu einem prononcierteren Lob des körperlich arbeitenden Menschen zu verzeichnen. Auch hier ist es Comella, der mit seiner Komödie um den vir rusticus Benito ein Stück sentimentales Wirtschaftstheater kreiert, das sich eng am theoretischen ökonomischen Diskurs seiner Zeit, im konkreten Fall an der physiokratischen Lehre, orientiert, und diesen spätaufklärerischen Reformdiskurs nutzt, um einen ephemeren alternativen Gesellschaftsentwurf aufzubieten, der sich der Wirkmacht der theatralen Performanz in Verbindung mit einer in der Bibel wurzelnden Bildsprache bedient. Die Abendmahlsszene, in der an einem Tisch alle Schichten versammelt sind, mutet in diesem Zusammenhang wie eine soziale Utopie an. In Bezug auf Comellas reformökonomisches Lehrstück über den Bauern als Wirtschaftshelden ist allerdings anzumerken, dass es in Anbetracht des diskursgeschichtlichen Kontextes leichter gewesen sein dürfte, die seit den Römern gut angesehene Landarbeit ins rechte Licht zu rücken als das schon seit der Antike gering geschätzte Handwerk. Konnte hier für die um den vir oeconomicus kreisenden comedias económico-sentimentales nachgewiesen werden, dass deren moralökonomisches Wertesystem wesentlich auf einem Kanon bürgerlicher Tugenden wie der prudentia, der modestia und der industria fußt, bestätigt dies Jehles These, dass es bei der aufklärerischen Theaterreform, die in das ästhetische Gewand der Neoklassik gekleidet ist, um den „Umbau des Theaters zu einer ‚escuela de virtudes‘“ geht, die dem pueblo, also dem gehobenen Bürgertum, offenstehen soll.507 Für die untersuchten Handwerkskomödien stellt sich dies anders dar: Die Tugend der prudentia wird vor allem in Valladares‘ El trapero de Madrid erwähnt. Dass 507 Jehle (2010: 133). 7. Vir faber und vir rusticus 565 dies in einem Stück der Fall ist, das als Einziges der hier untersuchten die Figurentypen des vir oeconomicus und des vir faber auf der Bühne vereint, zeigt, dass die Propagierung eines bürgerlichen Wertesystems vor allem Komödien der spanischen Spätaufklärung kennzeichnet, die die Kopfarbeit des ‚zivilen Helden‘ und eben nicht die schwere körperliche Arbeit der ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ thematisieren. Daher verwundert es wenig, dass ausgerechnet dem im Handel tätigen Sekretär Bernardo und der Kaufmannstochter Rita prudentia attestiert wird. Valladares‘ El trapero de Madrid enthält aber kein so programmatisches Plädoyer für einen Kanon bürgerlicher Tugenden, wie es die Komödien über den vir oeconomicus kennzeichnet. Wenn die Figur der Inés aus del Reys La modesta labradora als Verkörperung der modestia erscheint, steht dies weniger im Zusammenhang mit ihrer Bürgerlichkeit als vielmehr damit, dass diese Tugend Teil ihres adeligen Habitus‘ ist. Daraus folgt, dass sich in der comedia económico-sentimental die Bürgerlichkeit von Kaufleuten und Fabrikanten in deren durch Tugenden repräsentiertem Wertehorizont manifestiert, während der Entwurf eines schichten- und mentalitätsspezifischen Wertesystems für den vir faber im ausgehenden 18. Jahrhundert in Spanien noch nicht konstatiert werden kann. Die durch ihn vertretenen Tugenden sind – wenn überhaupt vorhanden – ein Abglanz der Tugenden des vir oeconomicus. Anders verhält sich dies in Bezug auf den vir rusticus Benito aus Comellas El buen labrador. Die Tugend der industria ist hier einerseits mit der körperlich fordernden Arbeit des Pflügens verknüpft, andererseits kennzeichnet sie den adeligen Benito ebenso wie eine erlesene Reihe von Königen und Kaisern. Damit ist Comellas sentimentale Wirtschaftskomödie El buen labrador zusammen mit dem ihr vorausgehenden Stück El pueblo feliz eine der wenigen, die offen für die Vereinbarkeit der Adelszugehörigkeit mit einer fordernden physischen Tätigkeit plädiert. Der in El buen labrador inszenierte ‚Adel des Bauern‘ führt einerseits die Tradition des barocken Theaters fort, reiche Bauern als personajes modélicos zu inszenieren, denen ein Aufstieg in den Adel problemlos möglich ist.508 Andererseits bringt Comella einen neuen Aspekt in die Thematik ein und nimmt damit zugleich eine aufklärerische Aktualisierung der Figur des reichen Bauern vor: Diese besteht darin, dass der Protagonist nicht primär als Verwalter 508 Vgl. die schon zitierte Studie von Díez Borque (1976: 345). 566 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seiner Ländereien auftritt, sondern auf der Bühne gemeinsam mit der in Stellvertretung des Monarchen agierenden Figur des Conde beim Pflügen und Säen zu sehen ist. Die durch Bühnenhandlungen erfolgende Vergegenwärtigung körperlicher Arbeit dürfte in ihrer performativen Unmittelbarkeit von größerer Wirkung gewesen sein als das auf Diskursebene verharrende Handwerkerlob in Trigueros‘ Los menestrales. Auffällig ist, dass die Mehrzahl der hier untersuchten Stücke, die um den vir faber als männlicher Personifikation von Handwerk und körperlicher Arbeit kreisen, ein Personal aufbietet, das mit dem Modeund Textilsektor im Zusammenhang steht. Ähnliches haben unsere Analysen der comedias económico-sentimentales gezeigt, die den Figurentyp des vir oeconomicus in Gestalt von Kaufleuten und Fabrikanten inszenieren. Konnte diesbezüglich herausgearbeitet werden, dass der Sektor des Handels im Theater vor allem durch Großkaufleute personifiziert wird, die mit Wolle oder Stoffen handeln und auch der Sektor der Industrie nahezu ausschließlich durch Textilfabrikanten repräsentiert wird, kreisen auch die sentimentalen Wirtschaftskomödien um den vir faber mehrheitlich um Tätigkeiten, die mit Kleidungsstücken und (Heim-)Textilien zu tun haben: Neben Schneidern, Schustern und Lumpensammlern sind dies, wie unser Exkurs über Comellas El pueblo feliz gezeigt hat, Dörflerinnen, die Stickereien und Webarbeiten in Heimarbeit als einer Arbeitsform vornehmen, die Reformökonomen wie Campomanes explizit empfehlen (vgl. Kap. 8.2.3). Die thematische Vorherrschaft des Textilsektors im Theater ebenso wie in den ökonomischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts illustriert die immense Bedeutung, die Mode und der modererzeugenden Industrie in einer Epoche zukommt, in der prunkvolle Kleidung und Accessoires sich von einem dem Adel vorbehaltenen Medium sozialer Distinktion zu (Luxus-)Artikeln wandeln, die all jenen, die über das nötige Geld verfügen, zur Verfügung stehen. Mode erweist sich in diesem Zusammenhang als Mittel, mit dem man auch ohne einen Adelstitel zu gesellschaftlicher Geltung – oder zumindest ins Gespräch – kommen kann. Auch Haidts Studie (2011), auf die hier bereits verwiesen wurde, zeigt eindrucksvoll, welcher enorme Bedarf nicht nur an modischen Neuwaren, sondern vor allem an erschwinglicher Gebrauchtkleidung im 18. Jahrhundert in Spanien besteht,509 die 509 Vgl. Haidt (2011: 83ff. und 277ff.). 7. Vir faber und vir rusticus 567 dem jeweils neuesten ‚Schrei‘ angepasst wird. Haidt illustriert auch, wie dieser Bedarf im teatro breve in weibliche Figuren wie die Änderungsschneiderin, Gebrauchtkleiderhändlerin und Flickschusterin mündet. Dass die viri fabri aus dem weiten Feld des Textilgewerbes nicht ausschließlich die Rolle modellhafter Protagonisten innehaben, sondern dass sie, wie im Falle des Schneiders Cortines und des Schusters Rafa aus Los menestrales, auch die am Ende abgestraften Missetäter sein können, weist darauf hin, dass die durch den wachsenden Absatz von Modeartikeln reich gewordenen Vertreter dieses Sektors paradigmatisch für einen gesellschaftlichen Wandel stehen, der bei den ‚alten‘ Eliten des feudalen Systems Besorgnisse hervorruft. Dass finanzielle Potenz nun nicht mehr allein Adel und Großbürgertum vorbehalten, sondern auch für die Vertreter des trabajo manual erreichbar ist, illustriert das beträchtliche Vermögen des Lumpensammlers Tío Agustín aus El trapero de Madrid. Der Erwerb luxuriöser Kleidung durch das Bürgertum und sein Hang zur Ostentation, mit dem es in Konkurrenz zum Adel tritt, sind das Indiz einer gestiegenen sozialen Mobilität, die durch das neoklassische Theater als Organ einer noch dem feudalen System verpflichteten Regierung gerügt wird. Wie unsere Analyse von Trigueros‘ Los menestrales gezeigt hat, geht mit der Rüge der Appell an die staatsbürgerlichen Pflichten einher, um den Ehrgeiz des Einzelnen sogleich in den Dienst des Staates zu stellen, um nicht zu sagen: den Aufstiegeswillen des Bürgertums der Gouvernementalität unterzuordnen. Sieht sich die zunehmende Durchlässigkeit der gesellschaftlichen Schichten also im regierungsnahen neoklassischen Theater abgestraft, wird sie im populären Theater zunehmend positiv gesehen. Dies veranschaulicht nicht nur das Beispiel des Lumpensammlers aus Valladares‘ El trapero de Madrid, wo die Ehrbarkeit dieser niederen Arbeit ein ums andere Mal bekundet wird. Auch Comellas Komödien um den vir rusticus und ihre performativen Inszenierung der Würde der physisch fordernden (Land-)Arbeit zeigen dies. Der Leitsatz „el trabajo dignifica“, unter dem Huerta Viñas dessen Stücke zusammenfasst,510 ist auf Valladares‘ sentimentale Wirtschaftskomödie um den durch Arbeit zu Reichtum gekommenen Lumpensammler übertragbar. So kann festgehalten werden, dass es primär die populären Varianten der comedia 510 Huerta Viñas (1993: 177). 568 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien económico-sentimental sind, die im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit ihrer Darstellung von Handwerk, Landwirtschaft und Kleingewerbe eine zwischen den Schichten vermittelnde Funktion übernehmen, wie sie in Frankreich seit den 1720er Jahren das Pariser Jahrmarktstheater innehatte. Nicht umsonst würdigt daher Huerta Viñas die Komödien Comellas für ihren Verdienst, die Ideale der spanischen und europäischen Aufklärung nicht nur transportiert, sondern sie ZuschauerInnen aus dem Volk verständlich gemacht zu haben. Die Progressivität von Comellas sentimentalem Wirtschaftstheater, die hier einmal mehr herausgestellt werden muss, besteht mithin nicht allein in der szenischen Vermittlung der a) vergleichsweise revolutionären Idee sozialer Gleichheit, b) des ökonomischen und moralischen Wertes der Arbeit511 und c) einer aufgeklärten Form der caritas, sondern vor allem in der Art und Weise, wie Comella diese Ideen in den ideologischen, religiösen und kulturellen Kontext des Spaniens seiner Zeit einzubetten versteht. Dieses Theater, das Elemente des reformökonomischen Diskurses in sakrale Bühnen-Bilder zu übersetzen vermag, veranschaulicht die von Franziska Schößler betonte Funktion von literarischen Texten, als Interdiskurs im Sinne Jürgen Links (vgl. Kap. 1) zu fungieren, indem sie entweder „durch die Verbindung von ökonomischen Theoremen mit ihren Figuren innovative Wirtschaftskonzepte“ entwickeln oder „Spezialdiskurse popularisieren“.512 511 Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass wer – wie die ehrbaren Dörfler in den Komödien Comellas – arbeitet, nicht auf den Gedanken kommt, Missetaten zu begehen. Entsprechend sind auch nur jene Figuren versucht, teils unmoralische, teils sogar kriminelle Handlungen zu begehen, die die Arbeit verweigern. Die Kriminalität der faulen figuralen Vertreter der unteren Schichten entspricht dem Ränkespiel des müßiggängerischen niederen Adels. 512 Schößler (2017: 285). 8. WEIBLICHE TYPISIERUNGEN DES ÖKONOMISCHEN: FEMINA OECONOMICA UND FEMINA FABRA Dieser Teil unserer Studie wendet sich den weiblichen Typisierungen des im reformökonomischen Sinne guten (Haus-)Wirtschaftens bzw. des guten Handwerkens zu: der femina oeconomica und der femina fabra. In Analogie zum vir oeconomicus und vir faber handelt es sich bei diesen weiblichen Figurentypen um Idealbilder wirtschaftender Frauen, die neben der vorbildlichen weiblichen Haushaltsführung und dem versierten Handwerken zugleich modellhafte Entwürfe ihres Geschlechts verkörpern. In diesem Sinne sind sie die Fiktionalisierung von Wunschvorstellungen, in denen sich die von den aufklärerischen Reformökonomen und Theaterreformern gewünschten Eigenschaften der wirtschaftenden Frau in prototypischer Weise niederschlagen. Anders als im Falle des vir oeconomicus und des vir faber handelt es sich in Anbetracht der geringen Anzahl, in der solche weiblichen Figuren im spanischen Theater des ausgehenden 18. und anbrechenden 19. Jahrhunderts zu finden sind, um singuläre Charaktere. Allerdings weisen sie Schnittmengen mit den Tugenden auf, die wir bereits in unseren Analysen der männlichen Typisierungen einzelner Wirtschaftssektoren bestimmen konnten. Im Falle der theatralen Inszenierungen von versiert haushaltenden und produzierenden Frauen sind diese Tugenden an aufklärerische ebenso wie an tradierte Vorstellungen von Weiblichkeit gekoppelt. Daher zeugen sie von der Notwendigkeit, außerhäusliche wirtschaftliche Tätigkeiten der Frau, wie sie etwa die Figur der Cecilia aus der bereits untersuchten Komödie La industriosa madrileña oder das autarke ökonomische Agieren der Doña Guiomar aus dem nachfolgend analysierten Stück La familia a la moda repräsentieren, entweder durch die Tradition als Bestandteil eines konservativen Verständnisses spanischer Identität und/oder durch einen besonders tugendhaften Charakter zu legitimieren. Wie schon im Fall des 570 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vir oeconomicus beinhaltet diese Tugendhaftigkeit eine religiöse Komponente, die für die weiblichen Figuren in der deutlichen Markierung des Umstands besteht, dass sie gute Christinnen sind. Im Laufe der nachfolgenden Betrachtungen der durch das Theater entworfenen wirtschaftenden bzw. handwerkenden Frauen und der durch sie verkörperten Tugenden soll zum einen geklärt werden, inwieweit durch sie ein in Analogie zur Figur des vir oeconomicus stehender moralökonomischer Tugendkanon mit christlichen Fundamenten entworfen wird und inwiefern dieser Tugenden enthält, die als spezifisch ‚weiblich‘ präsentiert werden. Im Zuge der Untersuchung des Figurentypus der femina oeconomica sollen aber auch die in Kapitel 4 bereits angeklungenen Fragen beantwortet werden, ob die theatralen Inszenierungen ökonomisch tätiger Frauen spezifische Formen weiblichen Wirtschaftens vorführen, ob sie von einem Wandel der Geschlechterrollen zeugen und ob sie dadurch womöglich einem neuen Verständnis von Weiblichkeit den Weg bereiten. Dies betrifft auch die Frage nach der Konformität oder Nonkonformität der durch das Theater dargestellten Formen weiblichen ökonomischen Agierens zum Reformtheater und zur Reformökonomie. Der hier als femina oeconomica bezeichnete Typus der versiert wirtschaftenden Frau meint eine weibliche theatrale Figur, die in Analogie zum vir oeconomicus das ‚gute Wirtschaften‘ im Rahmen der durch die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus gesetzten Normen und Präskriptiven repräsentiert. Zugleich verkörpert dieser Typus das durch das Reformtheater propagierte neue Bild des aufgeklärten Menschen. In diesem Sinne ist auch die weibliche Variante des versiert wirtschaftenden Menschen eine literarische Fiktion, in der sich die theatrale und die ökonomische Reform kreuzen.1 Deren Normen korrelieren mit Vorstellungen von Weiblichkeit, wie sie die Geschlechterdebatten der spanischen Aufklärung formulieren. Wie Bolufer Peruga feststellt, konzentrieren sich diese Debatten in erster Linie auf die sozialen Eliten, d.h. auf Frauen aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum. Demgegenüber sind Frauen aus den unteren Klassen allein als Objekte der philanthrop motivierten, erzieherischen und wohltätigen Projekte der Aufklärer von Interesse, die ihnen 1 Wie Bolufer Peruga bemerkt, vollzieht sich die Reformierung einer Gesellschaft notwendiger Weise auch über eine Neubestimmung der Geschlechterdifferenz. Vgl. Bolufer Peruga (1995: 252). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 571 Bedürftigkeit, begrenzte mentale Fähigkeiten und infolgedessen das Angewiesen-Sein auf patriarchale Anleitung unterstellen.2 Auch die femina oeconomica, ja selbst die femina fabra, sind Repräsentantinnen der Oberschicht bzw. erweisen sich am Ende der Stücke als solche. Der Begriff der femina oeconomica steht also im Rahmen unserer Studie nicht für ein allgemein gültiges Konzept der wirtschaftenden Frau, sondern für Repräsentantinnen des guten Wirtschaftens, wie sie das Theater der spanischen Spätaufklärung im Rahmen seines spezifischen historischen, politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Horizonts entwirft. Die femina oeconomica ist ein Typus des protoindustriellen Zeitalters und daher noch nicht durch die marxistische Kapitalismuskritik beeinflusst. Das bedeutet, dass wirtschaftende Frauen, ebenso wie ihre männlichen Pendants, noch nicht als ‚Opfer‘ kapitalistischer Prozesse oder ausgebeutete Objekte erscheinen. Vielmehr ist das Idealbild der femina oeconomica das Produkt einer Ökonomie, die als Disziplin erst im Entstehen begriffen ist. Die Prämissen und Forderungen dieser in der Aufklärung wurzelnden Politischen Ökonomie schlagen sich im Theater nicht nur in Form männlicher, sondern eben auch weiblicher Typisierungen von Wirtschaft nieder. Anders als der vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus verkörpern die femina oeconomica und die femina fabra aber keine einzelnen Wirtschaftszweige, sondern kondensieren die Vorstellungen einer androzentrischen3 spanischen Reformökonomie über die ideale Rolle der Frau im mikround makroökonomischen Kontext, sei es der oikos oder die Nation. In diesem Sinne führen diese Figuren weibliche Geschlechterrollen in verschiedenen Betätigungsbereichen des wirtschaftlichen Feldes vor, in denen Frauen gemäß der herrschenden Geschlechternormen aktiv werden dürfen, von der Kopfarbeit des Haushaltens bis hin zur handwerklichen Arbeit am Webstuhl. Mit der körperlichen Arbeit ist zugleich der Unterschied zwischen femina fabra und femina oeconomica markiert. Da sie Waren mittels ihrer Hände Arbeit produziert und als Frau im Produktionsprozess eine bedeutsame und aktive Rolle einnimmt, ist die femina fabra eine 2 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 251f.). Androzentrisch ist die Reformökonomie insofern, als sie auf einem patriarchalen System der politischen Stellvertretungen beruht. Androzentrisch ist sie aber auch, da sie mehrheitlich um den Mann als ökonomischen Akteur kreist. Die Frau hat allenthalben die Rolle einer Zuarbeiterin oder Stütze. 3 572 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ‚Protagonistin der Produktion‘ im eingangs skizzierten Sinne (vgl. Kap. 4.4). Im Kontext der Geschlechterbilder des 18. Jahrhunderts sind solche körperlich-handwerklichen Tätigkeiten notwendigerweise auf den Textilsektor als den einzigen Bereich beschränkt, in dem weibliche Arbeit keine moralischen Bedenken auslöst.4 Von der idealtypischen theatralen Zeichnung von Frauen, die im Neuware produzierenden Textilsektor tätig sind, sind Frauenfiguren zu unterscheiden, die in der Gebrauchtkleiderbranche arbeiten und denen sich vor allem das sainete5 zuwendet. Die dort dargestellten Akteurinnen sind aufgrund ihres niedrigen sozialen Rangs entweder zweifelhafte soziale Randgestalten, die in bemitleidenswerten Verhältnissen leben, oder komische Figuren.6 Ist die Textilbranche seit dem Mittelalter ein Handwerkszweig, in dem vorwiegend Frauen tätig sind,7 rücken Frauen als Produzentinnen von Stoffen auch in den Fokus von Reformökonomen wie Campomanes (vgl. Kap. 3.4.2), dessen Bemühungen um die Professionalisierung der von ihm angeregten textilen Heimarbeit sich in der Arbeit der Ökonomischen Gesellschaft von Madrid, der Matritense fortschreiben. Diese sucht mittellosen Frauen und Mädchen durch die Gründung von textilhandwerklichen Schulen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, mittels derer sie sich nicht nur selbst unterhalten, sondern durch die sie zusätzliche Waren für den spanischen Markt bereitstellen können, die angesichts einer eher spärlichen industriellen Produktion 4 Vgl. die in Kapitel 3.3.1. erwähnten Erlasse zu handwerklichen Tätigkeiten der Frau, die ihr gestattet sind, wenn sie mit ihrem Geschlecht und der Sittsamkeit vereinbar sind. 5 Eine systematische Analyse der Darstellung der Werktätigen im Gebraucht- und Altkleidermarkt leistet Haidt (2011). Hontanilla (2022: 195ff.) hat vor dem Hintergrund aufklärerischer Weiblichkeits- und Männlichkeitsideale die ‚Domestizierung‘ körperlich arbeitender Frauen und Männer im sainete untersucht. 6 Vgl. Haidt (2011: 260) mit Bezug auf das sainete Anonymus (o.J.): El cuento de la moza pobre. Biblioteca Histórica Nacional de Madrid, MS tea 220-41. Die Darstellung der Gebrauchtkleiderhändlerinnen als zweifelhaft deckt sich Haidt zufolge mit der Perspektive des spanischen Aufklärers und Reformökonomen Capmany y Montpalau (1742-1813), der die in der Altkleiderbranche tätigen Frauen aus dem Madrider Viertel San Vicente als „gentes sospechosas“ bezeichnet. Capmany y Montpalau Antonio de (1863): Origen histórico y etimológico de las calles de Madrid. Madrid: Manuel B. de Quirós, p. 112, zitiert in Haidt (2011: 260). 7 Vgl. Farr (2000: 41) sowie Musgrave (1997: 151ff.). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 573 dringend benötigt werden.8 Diese Unternehmungen auf der reformökonomischen Handlungsebene zeitigen Effekte in der Dramenpraxis, etwa wenn Durán mit seiner theatralen Figur der Weberin Cecilia eine Frauengestalt entwirft, die nicht nur aus Madrid stammt, wo im ausgehenden 18. Jahrhundert die ersten textilhandwerklichen Schulen für Frauen entstehen, sondern die durch ihre Erwerbstätigkeit zudem finanziell unabhängig ist. Bezeichnend ist im Hinblick auf den Bezug dieser Figur zur Reformökonomie, dass sie sich ihre fama als Weberin zunächst durch die von Campomanes als ideale Fertigungsform propagierte Heimarbeit erwirbt, bevor ihr handwerkliches Talent in der Fabrik des Tuch- und Strumpffabrikanten von Olot entdeckt wird und sie dort eine Anstellung erhält, dies allerdings zunächst nur in männlicher Tarnung und unter dem falschen Namen „Don Juan de Illescas“9. 8.1. Die femina oeconomica in spanischen Komödien der Spätaufklärung Bolufer beobachtet im Verlauf des 18. Jahrhunderts in Europa und Spanien einen Wandel in den Geschlechterbildern, der mit den politischen, ökonomischen und sozialen Reformbemühungen der Aufklärer in Zusammenhang steht.10 Insbesondere in Spanien, wo ein oft, wenn auch zu Unrecht behaupteter Bevölkerungsschwund in biopolitische Überlegungen mündet, geht die Durchführung einer ökonomisch motivierten Gesellschaftsreform, die das wirtschaftlich aktive und produktive Subjekt als neue ökonomische Größe in den Blick nimmt, mit einer ‚Körperreform‘ einher, deren Zielpunkt die Frau ist.11 In diesem Kontext legt der medizinische Diskurs ihre Rolle auf die der Mutter fest, die in ihrer Verantwortung für die Reproduktion der Nation das Verbleiben im Haus außerhäuslichen Vergnügungen vorziehen soll.12 Eine Beschränkung des weiblichen Aktionsrahmens auf das Haus 8 Vgl. Méndez Vázquez, Josefina (2016): Formación profesional de las mujeres en las escuelas de la Matritense. Un proyecto político-económico en la España ilustrada. Oviedo: Trabe. 9 Vgl. Gies (2022: 185), siehe Kap. 6.3.5. 10 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 262). 11 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 256). 12 Zu den medizinischen Diskursen über die Frau im Zusammenhang mit dem in Europa und Spanien neu entstehenden Frauenbild vgl. Bolufer Peruga (1995: 258). 574 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien und eine Aufgabenverteilung, die also „komplementär dem Mann die öffentliche, der Frau die private Sphäre“13 zuweist, hatte sich bereits zwei Jahrhunderte zuvor in Juan Luis Vives‘ De Institutione feminae christianae (1546) vollzogen und wird durch das Prosawerk La perfecta casada (1583) des aus Salamanca stammenden Theologieprofessors und Augustinermönchs Fray Luis de León (1527-1591) fortgeschrieben. Wie Bolufer allerdings betont, befindet sich das Frauenbild der spanischen Aufklärung auf der Schwelle zwischen den Weiblichkeitsentwürfen der frühen Neuzeit und denen des 19. Jahrhunderts: La mujer dibujada como modélica en los enfoques ilustrados no era ya (aunque en esta época se las evocara con frecuencia, y se reeditaran los textos que las describían) la Perfecta casada sumisa y laboriosa, ni la ‚mujer cristiana’ de Vives, culta, pero silenciosa y recluida; distaba de la ‚mujer fuerte’ de la tradición cortesana, pero tampoco coincidía totalmente con el ‚ángel del hogar’, el modelo de mujer asexuada, doméstica y sentimental que parece imponerse en las imágenes literarias de la segunda mitad del siglo xix.14 Neu ist im spanischen 18. Jahrhundert die medizinisch-naturwissenschaftliche Legitimation der Reduktion der Frau auf den Raum des Privaten, die nun jenseits der in der Antike wurzelnden und in der Frühen Neuzeit wieder aufgegriffenen ‚Säftetheorie‘15 durch eine im Entstehen begriffene ‚Wissenschaft der Fakten‘ gerechtfertigt wird. Neu ist aber auch ein sich im Theater, im Roman, in der Presse und in der Essayistik artikulierender bürgerlicher Wertehorizont, dessen Dreh- und Angelpunkt das Sentimentale ist.16 Das Sentimentale als eine ‚Palette feiner Gefühle‘17, zu denen auch die Freundschaft zählt (vgl. Kap. 5.4.1), wird zum identitätsstiftenden Unterscheidungsmerkmal, 13 Hassauer (1997: 209). Bolufer Peruga (1995: 261). 15 Zur Säftetheorie vgl. Hassauer (1997: 210). Hassauer nennt hier u.a. die Werke des Arztes Juan Huarte de San Juan, darunter sein Examen de ingenios para las Sciencias (1575) sowie seine Schrift Donde se muestra la diferencia de habilidades que hay en los hombres y el género de letras que a cada uno responde en particular. Hier wird Hassauer zufolge „in klassischer Manier die intellektuelle Unfähigkeit der Frau über ihre Zugehörigkeit zum kalten und feuchten Element“ bekräftigt. 16 Vgl. Bolufer Peruga (1998: 260). 17 Vgl. Bolufer Peruga (1998: 275; 277). 14 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 575 das die differenzierte „economía de las emociones“18 des berufstätigen Bürgertums von der Rage und der Blasiertheit des untätigen Adels unterscheidet. Denn im Gegensatz zu dem schon aus nichtigen Gründen in seiner Ehre verletzten Adeligen weiß der wirtschaftserfahrene Bürger mit seinen Gefühlen zu haushalten. Durch seine nuancierten Empfindungen setzt er sich aber nicht nur vom alten und insbesondere vom niederen Adel, sondern auch vom vulgo ab.19 Das bürgerliche Empfindsamkeitsideal einer ‚Ökonomie der Gefühle‘ hat zugleich ein neues Familienbild zur Folge, das wesentlich über die Literatur und das breitenwirksame Medium des Theaters vermittelt wird: La representación de la familia sensible se diferenciaba, pues, de la familia aristocrática y la popular, cuyos comportamientos, por razones diversas, los ilustrados consideraban indignos, y constituía el ideal con el que debían identificarse en el teatro, llorar en la novela y representar, a ser posible, en su propia vida los grupos ilustrados para ganarse la consideración de tales.20 Damit wird das Theater zum Medium der Vermittlung neuer Familien- und Frauenbilder, die in Analogie zum wirtschaftenden Mann auch die Frau als funktionales Rädchen im Getriebe des Staates konzipieren. Ihr, dem empfindsamen Nukleus21 der neuen bürgerlichen Kernfamilie, die allmählich das Konzept des ‚ganzen Hauses‘22 abzulösen beginnt, obliegt es, die neue Moralökonomie des allumfassenden (politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen) bourbonischen Reformprogramms in die Familie hineinzutragen und mittels der Erziehung ihrer Kinder fortzuschreiben. Nützlichkeit, Produktivität, Tugend und Respekt gegenüber den patriarchalen aufgeklärten Autoritäten sind die neuen Werte, die der aufklärerisch-reformökonomische Frauentypus seinem Nachwuchs vermitteln soll.23 Dabei verlangt ihre Aufgabe den Frauen zuallererst Verzicht ab, müssen sie doch stets 18 Bolufer Peruga (1998: 279). Vgl. Bolufer Peruga (1998: 279). 20 Bolufer Peruga (1998: 277). 21 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259). Dem aufklärerischen Frauenbild zufolge verfügt die Frau der Oberschicht über die meiste Empfindsamkeit und ist daher am ehesten geeignet, die neue ‚sentimentale’ Moralökonomie zu vermitteln. 22 Vgl. Stollberg-Rillinger (2000: 146), s.o. (vgl. Kap. 4.2). 23 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259). 19 576 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien daheim präsent sein, um ihrer erzieherischen Aufgabe nachkommen zu können. Ihre Beschränkung auf das Haus fordert zuallererst der medizinische Diskurs der europäischen Aufklärung, der entschieden dafür plädiert, dass Mütter ihren Nachwuchs im Dienste des Kindeswohls selbst stillen mögen und diese wichtige Aufgabe nicht an Ammen oder Mägde zu delegieren sei.24 Diese Forderung steht im Zusammenhang biopolitischer Überlegungen über den Bevölkerungszuwachs.25 Auch die Frau wird in das pyramidal-hierarchische System der bourbonischen Stellvertretungen eingebunden, wenn ihre über die Presse26, das Theater und die Essayistik vermittelte Aufgabe darin besteht, mit dem Haus zugleich die neuen bürgerlichen Werte zu hüten und diese an die nächste Generation weiterzugeben.27 Den Frauen des gehobenen Bürgertums und des niederen Adels diese Domestizierung und völlige Beschränkung auf den Raum des Häuslichen schmackhaft zu machen, ist die Aufgabe der ‚Medien der Öffentlichkeit‘, zu denen neben der Presse auch das Theater zählt. Dort kommt es zum Zweck der didaktischen Vermittlung des neuen Frauenbildes zur Erfindung eines neuen theatralen Typus: der femina oeconomica. Er dient zum einen dazu, dem weiblichen Publikum die neue häusliche Rolle in ihren sentimentalen und ökonomischen Facetten vorzuführen und zu zeigen, dass es sich dabei um eine proaktive, d.h. wertvolle Rolle im Sinne des aufklärerischen Nützlichkeitskonzeptes handelt, die im ökonomischen und sozialen Mikrokosmos der Familie wertvolle Arbeit leistet. Diese rhetorische Anerkennung steht in Analogie zum Handwerkerlob. Spanische sentimentale Komödien präsentieren ab ca. 1770 Akteurinnen, die von ihrem häuslichen Aktionsfeld aus ökonomisch intervenieren, indem sie als Vertreterinnen ihres Eigeninteresses innerhalb der Familie – etwa im Ehehandel – auftreten oder gegenüber Dritten, die zumeist als Besucher von 24 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 258). Vgl. Bolufer Peruga (1995: 258). 26 Vgl. Völkl (2022: 227ff.; 282ff.). Zum unternehmerischen und kaufmännischen Handeln in europäischen Moralischen Wochenschriften, die sich an ein männliches und weibliches Publikum richten, vgl. Ertler, Klaus-Dieter (2022): „‚Spectatorial’ Entrepreneurs in the Moral Essays of the 18th Century“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 247-259. 27 Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259). 25 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 577 außen in das Innere des Hauses kommen, die Interessen ihrer Familie vertreten. Dass der Dreh- und Angelpunkt der in den sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung inszenierten weiblichen (Trans-)Aktionen der oikos ist, zeugt von der von Bolufer beobachteten „presión en favor de una vida más doméstica“28, der sich Frauen mit dem Fortschreiten der aufklärerischen Geschlechterdebatte ausgesetzt sehen. In Anbetracht des begrenzten weiblichen Aktionsraums in den comedias de teatro setzt sich die vorliegende Studie das Ziel, Strategien und Räume zielgerichteten und gewinnorientierten weiblichen ökonomischen Handelns zu erfassen, etwa im seltenen, wenn nicht gar einzigartigen Fall, dass eine Frau entweder in Analogie zur männlichen Figur des Ordnungsstifters – und wenn auch nur vorübergehend – die Rolle einer mater familias einnimmt, wie es Doña Guiomar aus María Rosa Gálvez‘ neoklassischer Komödie La familia a la moda tut, oder wenn sie als ‚helfende Hand‘ des Hausherrn auftritt, wie die Frauenfiguren aus Valladares‘ hier bereits untersuchtem Stück El fabricante de paños. Insbesondere der Gattung der comedia económico-sentimental scheint daran gelegen zu sein, weibliche Leitbilder zu entwerfen, die den Frauen im Publikum – insbesondere denen aus der Oberschicht – im verengten Rahmen des oikos Leitfiguren weiblichen Handelns aufzeigen, die die neue Häuslichkeit durch die euphemistische und stereotype Überzeichnung der guten Ökonomin in Gestalt der femina oeconomica attraktiv erscheinen lassen. Nötig sind positive Leitbilder kompetenten weiblichen Wirtschaftens zumindest aus der Sicht der männlichen Reformer deshalb, weil die meisten jungen Frauen im ausgehenden 18. Jahrhundert in Spanien nicht ausreichend auf die Aufgabe der Haushaltsführung vorbereitet sind.29 Dies beklagt etwa Eugenio Larruga Boneta (1747-1803), der sich Schulen wünscht, in denen die künftigen Ehefrauen in der Disziplin der Haushaltsführung unterwiesen werden sollen.30 Theatrale Vorbildfiguren einer haushälterisch versierten Ehe- und Hausfrau finden sich daher 28 Bolufer Peruga (1995: 256). Vgl. Jehle (2010: 196). 30 Vgl. Jehle (2010: 197) mit Bezug auf Larruga Boneta, Eugenio (1787): Memorias políticas y económicas sobre los frutos, comercio, fábricas y minas de España: con inclusión de los reales decretos, órdenes, cédulas, aranceles y ordenanzas expedidas para su gobierno y fomento, vol. I. Madrid: Benito Cano, p. 14. 29 578 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien nicht nur in sentimentalen Komödien mit Wirtschaftsbezug, sondern auch in konventionellen neoklassischen Komödien wie Moratíns La comedia nueva (1792), in der die Figur der Mariquita in der zweiten Szene des zweiten Aktes selbstbewusst erklärt, über die notwendigen Kompetenzen im Bereich der Handarbeit und der Erziehung hinaus sogar lesen zu können und zudem in der Lage zu sein, eine Rechnung zu begleichen.31 Damit entspricht sie dem aufklärerischen Ideal der häuslichen und zugleich wirtschaftlich gebildeten Frau als weibliches Analogon zum vir oeconomicus, wie ihn etwa der Textilfabrikant Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada repräsentiert (vgl. Kap. 6.2). Guiomar ist eine Frauenfigur, die mit der sentimentalen und innerhäuslichen Leitlinie weiblichen ökonomischen Agierens innerhalb des oikos bricht, indem sie nicht für das Innen, sondern für das Außen steht und jegliche weibliche Sentimentalität vermissen lässt. Sie steht in harschem Kontrast zu der dem ‚zarten Geschlecht‘ von den männlichen Aufklärern zugeschriebenen „naturaleza de mayor sensibilidad“32. Mit der Figur der Guiomar stoßen wir auf einen singulären, da durch und durch rationalen und autarken weiblichen Charakter, der einer besonderen, diese exzeptionelle Figur gleich mehrfach absichernden Legitimierung bedarf. Wie diese im Einzelnen ausgestaltet ist, untersucht der nachfolgende Abschnitt zu einem einzigartigen Rollenbild, das 1800 bezeichnenderweise von einer der wenigen Dramatikerinnen der spanischen Spätaufklärung entworfen wird. 8.1.1. Eine exzeptionelle femina oeconomica: Doña Guiomar aus María Rosa Gálvez’ La familia a la moda (1805) In ihrem am 14. April 1805 uraufgeführten und von der Zensur als mustergültige neoklassische Komödie ausgewiesenen Stück33 entwirft Gálvez mit der Protagonistin Doña Guiomar eine Figur, die dank ihrer ökonomischen Kompetenz die weibliche Entsprechung des vir oeconomicus darstellt. Da sie in der Lage ist, nicht nur ökonomisch 31 Vgl. Jehle (2010: 201) mit Bezug auf Moratíns La comedia nueva Akt II, Szene 2, ohne Seitenangabe: „Yo sé escribir y ajustar una cuenta, sé guisar, sé planchar sé coser, sé zurcir, sé bordar, sé cuidar una casa; yo cuidaré de la mía, y de mi marido, y de mis hijos, los criaré.“ 32 Bolufer Peruga (1995: 259). 33 Vgl. Andioc (2001: 64f.). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 579 kompetent zu handeln, sondern darüber hinaus eine Autorität auszuüben, die dazu führt, dass die fehlgeleiteten Mitglieder des kopfstehenden Haushaltes sich ihr schließlich beugen, ist Guiomar überdies die weibliche Variante des Typus des Ordnungsstifters. Wie schon in Comellas El hombre agradecido wird auch in La familia a la moda die im Haushalt herrschende Verkehrung der ökonomischen und geschlechtlichen Verhältnisse, die Tschilschke als domus perversa bezeichnet,34 bereits durch die im Nebentext beschriebene Bühnengestaltung deutlich. Dort ist die Rede von einer „[s]ala adornada con el mayor lujo al gusto moderno, en la que habrá mesa y escribanía [...]“35. Der Eindruck eines ‚kopfstehenden Haushalts‘ bestätigt sich, als in der ersten Szene die Dienerin Teresa „vestida a la francesa ridículamente“36 auftritt und sie ihren Mitbediensteten Pablo aufscheuchen muss, der sich um neun Uhr morgens noch im Bett befindet. Getreu dem Motto, dass faules Gesinde stets dem schlechten Beispiel der Herrschaft folgt, weilt auch der Hausherr Don Canuto am helllichten Tag noch im Reich der Träume,37 ebenso wie seine Gattin Madama38, als die resolute Ordnungsstifterin Guiomar im Hause der Familie Pimpleas eintrifft. In die Rolle der Ordnungsstifterin – und in die einer aufklärerischen Autorität – schlüpfen kann diese Figur nicht 34 Diesen Begriff wendet Tschilschke erstmalig auf Gálvez‘ Komödie an und weist zugleich darauf hin, dass sich in einer ‚Verkehrung der Geschlechterordnung‘, wie sie neben diesem auch andere Stücke der spanischen Spätaufklärung inszenieren, zugleich „Krisen der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung“ artikulieren, die sich über „Krisen der Männlichkeit“ äußern. Vgl. Tschilschke (2014: 291). Vgl. auch idem (2012b): „Quer zu Queer. Transgressionen der Geschlechter im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts“. In: Fenske, Uta/Schuhen, Gregor (eds.). Ambivalente Männlichkeit(en). Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive. Opladen: Budrich 2012, pp. 181198 sowie idem (2011): „‚¿Podrá ser verdad esta comedia?‘ Transgresiones del género en los sainetes de Ramón de la Cruz“. In: Brandenberger, Tobias/Partzsch, Henriette (eds.). Deseos, juegos, camuflaje. Los estudios de género y ‚queer‘ y las literaturas hispánicas – de la Edad Media a la Ilustración. Frankfurt/Main: Lang, pp. 93-109. 35 Gálvez, María Rosa de (2001 [1805]): La familia a la moda. Comedia en tres actos y en verso, ed. René Andioc. Salamanca: Universidad de Salamanca, p. 115. 36 Gálvez, María Rosa de (2001: 115). 37 Vgl. Gálvez (2001: 119f., vv. 65f. und 137, vv. 415ff.). Als Canuto endlich aufsteht, um Guiomar zu begrüßen, beschwert er sich über die frühe Stunde, woraufhin seine Schwester trocken bemerkt, es sei bereits 12 Uhr mittags. 38 Dieser ‚sprechende Name‘ weist die Figur als eine französischen Moden zugeneigte petimetra aus, was sich im Verlauf des Stücks natürlich bestätigt. Zu Madama als petimetra vgl. Kap. 9.2. 580 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien zuletzt aufgrund ihres Witwenstandes: Während die heiratsfähige oder verheiratete Frau auch in ihrer fiktionalen theatralen Erscheinungsform kaum Aktionsräume außerhalb des oikos hat,39 werden der Witwe gewisse Handlungsspielräume zugebilligt.40 Da sie dem Regime ihres Gatten durch dessen Dahinscheiden nicht mehr untersteht, genießt die Witwe besondere Freiheiten.41 Tschilschke attestiert der femina oeconomica Guiomar eine gewisse Geschlechtslosigkeit, die zum einen aus ihrem Witwenstatus und ihrem fortgeschrittenen Alter42, zum anderen aber auch daraus resultiere, dass diese Figur allgemeine Leitlinien des androzentrischen Rahmens des ökonomischen Reformdiskurses aufgreife: Wenn María Rosa Gálvez aus dem homo oeconomicus also eine femina oeconomica macht, dann bedient sie damit nicht primär einen weiblichen Sonderdiskurs, sondern unterstreicht vielmehr umso wirkungsvoller 39 Vgl. Angulo Egea (2002: 285): „[...] las opciones de emancipación de la mujer pasaban o por la vicaría o por el convento.” 40 Dies zeigt etwa das Beispiel des Theaters des Siglo de Oro, wo die Witwe als Prototyp der renitenten Frau und Verkörperung verdächtigen weiblichen Verhaltens figuriert. Vgl. Boyle, Margaret E. (2014): Unruly Women. Performance, Penitence, and Punishment in Early Modern Spain. Toronto: University of Toronto Press, p. 61. Dass Witwen als theatrale Figuren gewisse Freiräume genießen, veranschaulicht auch das Beispiel der Figur der Timotea aus Comellas El buen labrador, die eine halbgebildete erudita a la violeta und damit eine komische Figur ist (vgl. Kap. 6.7.3). 41 Auf die Freiheiten, die der Witwenstatus mit sich bringt, geht auch Angulo Egea (2002: 290) in ihrer Analyse von Comellas El indolente (1792) ein: „Doña Paula quedó viuda y, aprovechando de la libertad que le ofrece su estado civil, anda coqueteando con unos y con otros.“ Die Figur der Paula wird allerdings im Stück von Don Justo aufgrund ihres lasterhaften Lebenswandels gerügt. Vgl. Angulo Egea (2002: 298). Dieses Beispiel zeigt, dass das im Theater des Siglo de Oro vorherrschende Bild der lasterhaften Witwe sich im 18. Jahrhundert zumindest in Teilen fortschreibt. Die Figur der Guiomar führt durch ihre moralisierende Strenge einen Bruch mit diesem Bild herbei. 42 Einen ersten Hinweis auf Guiomars Alter liefert eine Replik der Dienerin Teresa, in der es heißt: „[...] / mi ama se va a dedicar / desde ahora a trabajar / haciendo un ramo de flores / para su vieja cuñada.” Gálvez (2001: 162, vv. 61ff.). Dass Teresa hier so großspurig ankündigt, ihre Herrin arbeite nun und binde einen Strauß für ihre ‚alte Schwägerin‘, ist ein ironischer Seitenhieb auf die Faulheit der petimetras, die sich ausschließlich ihrem äußeren Erscheinungsbild widmen. Dies erklärt auch den „ramo de flores“, eine Art Sträußlein zum Anstecken, mit dem sich die petimetras zu schmücken pflegen. Auch, dass Canuto bemerkt, dass Guiomars Reichtum ihr ‚das Gesicht wasche‘ („Sobran cincuenta talegas / para lavarle la cara.”), also mögliche Ehepartner über ihr Alter hinwegtröste, gibt einen Hinweis darauf, dass sie fortgeschrittenen Alters ist. 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 581 die Universalität dieses neuen Leitbildes einer bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaft. 43 Einzig der Umstand, dass sie sich wieder zu verheiraten droht, lässt Tschilschke zufolge die Möglichkeit eines spezifisch weiblichen Agierens offen.44 Im Zuge der nachfolgenden Analysen soll geprüft werden, ob Guiomars Weiblichkeit rhetorischer Natur ist, ihr Geschlecht also für ihr Wirtschaftsverhalten nicht weiter von Belang ist und keine Aussage über die Fähigkeiten wirtschaftender Frauen trifft, oder ob sie im Gegenteil ein alternatives weibliches Rollenbild jenseits des Gendermainstreams des spanischen Aufklärungsdiskurses verkörpert und implizit mit dem Plädoyer dafür verbunden ist, Frauen mehr ökonomische Kompetenz zuzugestehen. Friederike Hassauer hat diesen Aufklärungsdiskurs mit Fug und Recht als „Protektionsprojekt der bourbonischen Krone“45 und „dezidiert christliche Aufklärung ‚von oben‘“46 bezeichnet. Dafür, dass das Geschlecht der Hauptfigur Doña Guiomar durchaus relevant ist, spricht, dass die Dramatikerin Gálvez eine Reihe starker Frauenfiguren geschaffen hat, die Gies zufolge als Alter Egos der Autorin betrachtet werden können, wird doch auch Gálvez von ihren ZeitgenossInnen eine nicht unbeträchtliche Willensstärke nachgesagt.47 Dass Gálvez daran gelegen ist, als Dramatikerin ernst genommen zu werden, zeigt ihr Verzicht auf ein männliches Pseudonym, was zur Folge hat, dass La familia a la moda zunächst von den Zensoren abgelehnt und erst in einem zweiten Anlauf akzeptiert wird.48 Auch ihre Tragödie Alí-Beyk (1802) weist sie im Vorwort selbstbewusst als 43 Tschilschke (2014: 295f.). Vgl. Tschilschke (2014: 290). 45 Hassauer (1997: 215). 46 Hassauer (1997: 215). 47 Gies, David T. (2016): „María Rosa Gálvez de Cabrera, La familia a la moda (1805), and the Multiple Anxieties of late Nineteenth-Century Spain“. In: Anales de la literatura española contemporánea 41,4, pp. 153-172, hier p. 152. Wie neben Gies auch Andioc in seiner Einführung zu La familia a la moda bemerkt, reichte Gálvez nach dem Scheitern ihrer Ehe ein Scheidungsgesuch ein, was Andioc zufolge einigen Mut erforderte, insbesondere dann, wenn dieses Gesuch von der Frau ausging. Vgl. Andioc, René (2001): „Introducción“. In: Gálvez, María Rosa de. La familia a la moda, ed. René Andioc. Salamanca: Grupo de Estudios del Siglo XVIII, pp. 7-101, hier p. 11. 48 Vgl. Gies (2016: 153). 44 582 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien „obra de una señora española“49 aus. Gies argumentiert außerdem, dass Guiomar in La familia a la moda etwa dann als spezifisch weiblicher Charakter agiere, „when she expresses a desire to ‚liberate‘ Inés from the convent cell in which she has been educated“50. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kritik an der Klostererziehung beispielsweise in Moratíns neoklassischer Komödie El sí de las niñas (1806) von einem Mann erhoben wird und es dort eine Frau ist, die ein Mädchen in ein Kloster verbannen möchte. Die von Gies erwähnte Figur der Inés ist die Tochter der fehlgeleiteten Eheleute Canuto und Madama Pimpleas, die als die ‚schlechten ÖkonomInnen‘ des Stücks von der ‚guten Ökonomin‘ Guiomar51 gemaßregelt werden. Wie Tschilschke bemerkt, fehlt in diesem Stück interessanterweise der „Argumentationsaufwand, der etwa in den Dramen Leandro Fernández de Moratíns betrieben wird“52, versucht die resolute Guiomar doch gar nicht erst, die Fehlgeleiteten zu überzeugen. Stattdessen erlegt sie ihnen ein resolutes Sparprogramm auf und setzt ihre eigenen Interessen konsequent auf einer legalen Basis durch, indem sie den Rechtsweg beschreitet. Die durchgehende Rekurrenz auf einen juristischen Rahmen, die einer „bemerkenswerte[n] Verrechtlichung und Verschriftlichung der Tauschbeziehungen“53 gleichkommt, erfolgt nicht nur für finanzielle, sondern auch in ehelichen Belangen und ist, wie Tschilschke bemerkt, eine Besonderheit des Stücks. Madama Pimpleas droht ihrer Tochter Inés, die sich mit dem aussichtsreichen hombre de bien Carlos verheiraten möchte, mit dem Kloster, sollte die junge Dame nicht dem mütterlichen Wunsch entsprechen, einen mittellosen Marqués zu ehelichen, der zwar ein „malgastador“, „tonto“ und „presumido“54 ist, in den Augen von Madama aber allein aufgrund seines Adelstitels eine gute Partie darstellt. Den schneidigen Carlos, der als Hauptmann einer Karriere beim Militär entgegensieht, lehnt Madama als Schwiegersohn ab, weil dessen Vater Facundo, ein Anwalt und aufgeklärter Philanthrop, sie allzu oft wegen ihrer Schulden und ihres verschwenderischen 49 Vgl. Gies (2016: 152). Zur misogynen Kritik an der Autorin im Memorial literario vgl. auch Whitaker, Daniel S. (1993): „An Enlightened Premiere: The Theatre of María Rosa Gálvez“. In: Letras Femeninas, 1-2, pp. 21-32, hier p. 23. 50 Gies (2016: 153). 51 Zu Guiomar als guter Ökonomin vgl. auch Gies (2022: 189ff.). 52 Tschilschke (2014: 289f.). 53 Tschilschke (2014: 290). 54 Alle Zitatfragmente aus Gálvez (2001: 133, vv. 342ff.). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 583 Lebenswandels gerügt hatte; nicht zuletzt aber auch deshalb, weil er ihr eine große Summe Geld geliehen hatte.55 Mit der „nackten Macht ihrer ökonomischen Überlegenheit”56 setzt Guiomar schließlich Carlos als Inés‘ künftigen Ehemann durch. Es darf vermutet werden, dass Guiomar sich auch deshalb mit ihrer jüngeren Geschlechtsgenossin solidarisiert, weil sie sich aufgrund eigener Erfahrungen mit deren auswegloser Lage identifizieren kann. Ihre Parteinahme wird aber auch durch die moralökonomische Logik des Stücks gerechtfertigt, derzufolge die auf Seiten der Vernunft und des Rechts stehende durchsetzungsstarke Guiomar zugunsten der tugendhaften, aber schwachen Jüngeren intervenieren muss. Eine ‚Affinität im Geiste‘ zwischen den beiden Frauen tritt bereits in der zweiten Szene des ersten Aktes zutage, als die Dienerin Teresa auf Inés‘ altchristliche Wurzeln und ihren Habitus als traditionsbewusste Gebirgsbewohnerin hinweist. Beides teilt Inés mit ihrer Tante Guiomar.57 Wurde hier bereits darauf hingewiesen, dass das Kloster als ‚letztes Mittel‘ elterlicher Autorität im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein wiederkehrender Topos ist, nimmt es in Iriartes La señorita malcriada ebenso wie in Gálvez‘ Stück die Funktion eines drohenden Gefängnisses ein. Das Schicksal, eingesperrt zu werden, bleibt Inés erspart, weil die resolute Tante ihren lasterhaften Eltern deren ohnehin als zweifelhaft dargestellte Autorität kraft Gesetzes entzieht. Wie schon in den Stücken um den vir oeconomicus interveniert auch hier der ‚lange Arm‘ des Souveräns zugunsten der Tugendhaften, wenn der Anwalt Facundo mit einem königlichen Pfändungsbefehl herbeieilt,58 der die Eheleute Pimpleas der finanziellen Macht 55 Vgl. Gálvez (2001: 132, vv. 312ff.). Tschilschke (2014: 290). 57 Vgl. Gálvez (2001: 121, vv. 101f.): „La señorita es ladina, / aunque huele a la Montaña.” In Bezug auf den Verweis dieser Replik auf das ‚Altchristentum‘ und die Traditionsliebe in dieser Gebirgsregion im Nordosten Kantabriens und Asturiens, vgl. Andioc in Gálvez (ibid.), Fußnote 153: „Por haberse refugiado en ella la nobleza goda ante la invasión árabe, se consideraba, como escribe F. Doménech, ‚cuna de hidalgos fuertemente arraigados en las tradiciones’.” Ohne Angabe der Quelle. Zu Guiomar und ihrer regionalen Herkunft s.u. 58 Vgl. Gálvez (2001: 251, vv. 710ff.): „[...] / ha tenido a bien el Rey / el caudal de estos señores, / a petición de acreedores, / secuestrar, según la ley. / Ésta es la orden, mas podía / aún haber composición / si atendéis mi intercesión, / Doña Guiomar, por ser mía: / condescended en pagar / de Don Canuto y su esposa / los atrasos generosa.” 56 584 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Guiomars ausliefert, ist sie doch die Einzige, die den drohenden Ruin durch die sofortige Begleichung der Schulden der Familie Pimpleas abzuwenden vermag. Dieses ‚providenzielle Moment‘59 legitimiert zugleich die Autorität der weiblichen Ordnungsstifterin Guiomar, die hier durch die königliche - und damit durch die höchste patriarchale Autorität im Staat – unerwartet Schützenhilfe erhält. Nicht nur die Figur Guiomar, auch die Dramatikerin Gálvez solidarisiert sich in ihrem Stück mit ihren Geschlechtsgenossinnen, was sich etwa anhand der Figur des ungezogenen Neffen Faustino zeigt, Inés‘ Bruder. Dieser wird in der Komödie zum Sprachrohr der misogynen Haltungen seiner Zeit („El diablo son las mujeres“60), die, so der Subtext des Stückes, schon allein deshalb nicht für voll zu nehmen sind, weil sie von Männern ausgesprochen werden, denen es wie Faustino an Bildung61 und geistiger Reife fehlt. So wird die Autorität der Rede Faustinos durch die stereotype Überzeichnung seiner Figur kontinuierlich untergraben,62 mutet Faustino doch eher an wie ein verwöhntes Bürschchen denn als ein junger Mann mit ernstzunehmenden Positionen zur Geschlechterfrage.63 Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass diese Figur in Anlehnung an die im Theater der Epoche verbreitete Figur des petimetre weibliche Züge aufweist.64 Im Einklang mit seiner Effeminiertheit tritt Faustino als „gossiper“65 auf, als Klatschbase, die nichts Besseres zu tun hat, als Guiomar nach einer strapaziösen Reise von über 500 Kilometern Wegstrecke66 über den neuesten Nachbarschaftstratsch in Kenntnis zu setzen.67 Seine nicht nur mit ihren Finanzen, sondern auch mit Worten haushaltende Tante Guiomar 59 Vgl. Tschilschke (2014: 294). Gálvez (2001: 162, v. 71). 61 Zur fehlenden Bildung Faustinos vgl. Kap. 9.1.4. 62 Vgl. Gies (2016: 154). 63 Mit nahezu kindlichem Trotz beharrt Faustino darauf, nach Frankreich gehen zu wollen, wie seine Mutter es für ihn geplant hatte, und zwar auch dann noch, als Guiomar diesem Wunsch bereits entschieden widersprochen hatte. Vgl. Gálvez (2001: 193, v. 579): „Tía, yo quiero ir a Francia.” 64 Zum vir profusus als einer devianten Männlichkeit vgl. Kap. 9.1. Zu Faustino als vir profusus vgl. Kap. 9.1.4. 65 Vgl. Gies (2016: 154). 66 Vgl. Gálvez (2001: 121), Fußnote 157. 67 Vgl. Gálvez (2001: 125, vv. 167ff.). Passend zur ökonomischen Thematik des Stückes geht es darum, wer wem in welcher Höhe etwas schuldet. Dies entspricht der von Tschilschke (2014: 288) beobachteten Durchdringung des Stücks mit ökonomischen 60 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 585 hingegen übernimmt Gies zufolge die Rolle eines ‚weiblichen Revisors‘68 und ist, wie Tschilschke treffend bemerkt, eine quasi-männliche Autorität.69 In dieser Hinsicht steht sie den hier bereits untersuchten männlichen Ordnungsstiftern in Nichts nach, eine Position, die in dieser Form „auffällig, wenn nicht einmalig“70 ist: Mit dem ehrbaren Anwalt Facundo kommuniziert sie auf Augenhöhe und schließt eine Allianz, um den vielversprechenden jungen Leuten Carlos und Inés die Heirat zu ermöglichen. Die ordnungsstiftende Funktion Guiomars wird in der fünften Szene des ersten Aktes besonders hervorgehoben, in der sie die im Hause Pimpleas herrschende Unordnung anprangert: Guiomar En tanto en su casa veo mil criados holgazanes jugando hasta en los zaguanes, que es un desorden muy feo. Por todas partes brillando está la magnificencia inútil, que a la indigencia va el camino preparando.71 Wo in der Dienerschaft keine Ordnung herrsche, bemerkt Guiomar, sei es kein Wunder, dass die Herrschaft ihr Geld für sinnlosen Pomp ausgebe. Der schöne Schein stehe der ‚hässlichen Unordnung‘ diametral gegenüber, ja bedinge diese und werde letztlich, so prognostiziert Guiomar, in den Ruin führen, eine Gefahr, die angesichts der Höhe der Spielschulden des Vaters und der Ausgaben der Mutter für Luxuswaren bereits akut ist (s.u.). Wie schon in Bezug auf das späte Aufstehen der Dienerschaft, das sich durch das der Herrschaft erklärt, zeigt Gálvez auch hier, inwiefern das schlechte Beispiel der Herren das Fehlverhalten der Diener provoziert, ein Gedanke, der ganz im Themen, die sich auch lexikalisch niederschlägt und die Tschilschke (ibid., Fußnote 7) anhand einer Wortfeldanalyse minutiös nachweist. 68 Vgl. Gies (2016: 154): „In fact, all the men in the work come under Gálvez’s gendered scrutiny.“ 69 Vgl. Tschilschke (2014: 286). 70 Tschilschke (2014: 286). 71 Gálvez (2001: 131, vv. 303ff.). 586 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Sinne des aufklärerischen Erziehungsgedankens steht. Was es heißt, wenn – wie Madama großspurig erklärt – die Mode in einem Haus ihr ‚souveränes Regiment‘72 führt, fasst die scharfsinnige Guiomar gegen Ende des Stücks prägnant und mit der für sie typischen lakonischen Ausdrucksweise zusammen: Guiomar [...] hallo en vosotros una familia a la moda: la compone un jugador con una esposa indolente y un muchacho impertinente, que sufrirlo causa horror.73 Auch hier wird offen markiert, dass schlechte Vorbilder die Wurzel des Problems sind: Weil Canuto ein leidenschaftlicher Spieler74 ist und darüber die Zügel des Haushaltes, über den er eigentlich gebieten müsste, nicht nur schleifen lässt, sondern sie überdies an seine verschwenderische Gattin abtritt, ist der männliche Nachkomme des Hauses zu einer wahren Plage geworden. Beide, Mutter und Vater, sind den häuslichen Aufgaben, die der Reformdiskurs der Aufklärung für sie vorsieht – der Erziehung und der Herrschaft über den Haushalt –, nicht nachgekommen. Demgegenüber erweist sich Guiomar als versierte Ökonomin der Finanzen (sie ist reich), der Worte (sie verliert nicht viele) und der Gefühle, denn zusätzlich zu ihrer Solidarität mit Inés und dem von ihr geäußerten Missfallen angesichts des im Hause regierenden Chaos lässt sie keine Emotionen erkennen. Ihre Sprache, 72 Gálvez (2001: 116, vv. 17f.): „Aquí, que reina la moda, / con imperio soberano [...].” 73 Gálvez (2001: 223, vv. 265ff.). Wie Tschilschke (2014: 289) konstatiert, ist Canuto kein Spielsüchtiger und daher kein Opfer. Das Gleiche gilt für die Ausgaben Madamas für Mode: „Besonders hervorzuheben ist, dass auch das scheinbar völlig unökonomische Verhalten von Madama de Pimpleas, die ihr Geld für Mode und Luxusartikel verschwendet, und die Spielleidenschaft ihres Mannes Don Canuto nicht als pathologische Sucht dargestellt werden, sondern ebenfalls einer gewissen berechnenden Rationalität folgen, allerdings einer höfisch-aristokratischen, ‚anökonomischen‘ Rationalität des ostentativen Konsums, des Genusses und der Verschwendung, die im Widerspruch zur protobürgerlich-aufklärerischen Einstellung Doña Guiomars und damit gleichzeitig der auktorialen Intention des Stückes steht.“ 74 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 587 die sich durch ironische Präzision auszeichnet, zeugt ganz von rationaler Distanznahme,75 was besonders deutlich wird, als ihr der Tanzlehrer Trapachino wortreich seine geheuchelte Zuneigung erklärt.76 Mit der wortkargen, ganz von Kalkül und Leidenschaftslosigkeit gekennzeichneten Guiomar, die in weiser Voraussicht Allianzen schmiedet, entwirft Gálvez eine Figur, die sich dem Sentimentalen als Basis des aufklärerischen Weiblichkeitsideals verweigert. Ebenfalls bezeichnend ist, dass sie im Gegensatz zu vergleichbaren weiblichen Figuren, etwa der vernünftigen Antonia aus El hombre agradecido, nicht aus dem Inneren des in Unordnung befindlichen oikos heraus wirkt, sondern dass sie von außen kommend auf den Haushalt Einfluss nimmt. Dieser ‚Außenstatus‘ wird durch die wiederholten Verweise auf ihre Identität als Bergbewohnerin (s.u.) deutlich markiert. Ihre Position außerhalb der domus perversa macht sie zur weiblichen Entsprechung männlicher Ordnungsstifter wie Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada oder Bruno aus El hombre agradecido. Eben weil Guiomar nicht gemäß dem weiblichen Geschlechterideal der Reformer agiert, sondern in emanzipatorischer Geste an das Ideal des hombre de bien angelehnt und demnach eine mujer de bien ist, ist sie nicht als eine femina oeconomica im Sinne der aufklärerischen Reformdoktrinen zu bezeichnen, sondern vielmehr als alternativer Entwurf einer ‚exzeptionellen femina oeconomica‘,77 die in der Vielzahl ihrer vermeintlich männlichen Eigenschaften (Rationalität, Kalkül, Wortkargheit) quer zum häuslichempfindsamen Frauenbild des bourbonischen Reformdiskurses steht. Ihren versierten Umgang mit Finanzen offenbart Guiomars Reichtum: Während Madama Pimpleas „veinte años de las rentas / del mayorazgo de mi hijo”78 für Modeartikel ausgegeben hat (ein Umstand, der 75 Diesbezüglich bemerkt Tschilschke (2014: 296): „Der demonstrative Sprachgebrauch einer exuberanten, selbstbezogenen, prinzipiell täuschungsverdächtigen Rhetorik [Trapachino] wird dabei gegen einen kommunikativen, streng funktionalen, effektiven und bis an die Grenzen der Unhöflichkeit ehrlichen Sprachgebrauch [Guiomar] ausgespielt.“ 76 Vgl. Gálvez (2001: 227f.). Diese Szene wird in Kap. 9.1.2 einer eingehenderen Betrachtung unterzogen. 77 Dass „der Bereich traditioneller Weiblichkeitsvorstellungen spätestens in dem Moment überschritten [wird], in dem das gute Wirtschaften [...] zum Paradigma guten Herrschens und Garanten gesellschaftlicher Ordnung wird“, konstatiert auch Tschilschke (2014: 295). 78 Gálvez (2001: 167, vv. 149f.). 588 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien sie zugleich als schlechte Mutter ausweist), und die Spielschulden Canutos derart hoch sind, dass er selbst den Überblick darüber verloren hat,79 verfügt Guiomar seit dem Tod ihres Mannes, der einst in Lima Gerichtspräsident80 war, über ein Vermögen von einer Millionen81 reales. Das scheinhafte Spiel der lasterhaften Figuren des Stücks entrollt sich ausgehend von der Frage, wie Guiomar dazu zu bewegen sei, die Familie Pimpleas und ihre zwielichtigen Hausgäste, den Musiklehrer Trapachino und den Marqués, als Erben einzusetzen. Dazu kommt es natürlich nicht, denn Guiomars Allianz mit dem Juristen Facundo hilft ihr, ein rechtsgültiges Testament aufzusetzen, das Madama und Canuto die Vormundschaft über ihre Tochter Inés entzieht,82 Guiomar als neuen Vormund einsetzt und Inés unter der Bedingung zu Guiomars Erbin erklärt, dass sie den vorbildlichen Carlos heiraten darf. Damit ist der elterliche Wille außer Kraft gesetzt, das Glück der beiden im aufklärerischen Sinne ‚vernünftigen‘ und tugendhaften83 jungen Menschen Carlos und Inés besiegelt und das Vermögen der reichen Erbtante den VerschwenderInnen Madama und Canuto entzogen. Tschilschke zufolge ist die Figur der Guiomar nicht in erster Linie deshalb eine femina oeconomica84, weil sie finanziell potent ist oder „über die maßgeblichen Vernunfteinsichten verfügt“85, die für das ‚gute Wirtschaften‘ im reformökonomischen Sinne erforderlich sind, sondern vor allem deshalb, weil sie die Macht besitzt, ihre Vorhaben gegen alle Widerstände durchzusetzen. Ihr resolutes Auftreten weist laut Tschilschke deutliche Parallelen zu den „dirigistischen und interventionistischen Wirtschaftspraktiken“86 des bourbonischen 79 Vgl. Gálvez (2001: 196f.). Vgl. Gálvez (2001: 194, vv. 593ff.): „Fue su esposo presidente / en Lima [...].” Wie Andioc (ibid.) in einer Fußnote anmerkt, meint „presidente“ hier eher „regente“, also den Vorsitz der kolonialen Gerichtsbarkeit („Audiencia“). 81 Vgl. Gálvez (2001: 141, vv. 483ff.): „[...] Pues, Canuto, / sábete que mis caudales / llegan a un millón de reales, / que con descanso disfruto.“ 82 Möglich ist dies, da Guiomar Facundo zum Finanzverwalter bestimmt und ihn damit zu ihrem gesetzlichen Vertreter gemacht hatte. Vgl. Gálvez (2001: 249, vv. 691ff.). 83 Dass Inés’ Tugend bis hin zur Selbstaufopferung geht, zeigt sich, als sie sich zunächst weigert, in die durch Guiomar erfolgreich eingefädelte Ehe mit Carlos einzuwilligen, sollte die Mutter ihren Segen verweigern. Vgl. Gálvez (2001: 150, v. 696f.). 84 Auch Tschilschke (2014: 286) plädiert für eine solche Bezeichnung Guiomars. 85 Tschilschke (2014: 294). 86 Tschilschke (2014: 295). 80 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 589 Merkantilismus87 auf. Auch dieser Aspekt ist in unseren Augen als Praxis der rhetorischen Legitimation dieser exzeptionellen Frauenfigur durch die patriarchale Autorität des Königs lesbar. Gerade die von Tschilschke konstatierte Parallele zu den Maßnahmen der bourbonischen Reformökonomie ist insofern revolutionär, als die hier bisher untersuchten, den vir oeconomicus inszenierenden Komödien um ein paternalistisch-patriarchalisches Stellvertretersystem kreisen, in dessen Zentrum der Souverän als oberster Patriarch der Nation steht. Eine Frau als strukturhomologisch und überdies juristisch autorisierte – und damit legitime – Stellvertreterfigur des Monarchen ist hingegen ein absolutes Novum. Dieser Aspekt, aber auch die Tatsache, dass Gálvez die über die Figur des Faustino platzierte weibliche Kritik an misogynen Haltungen in das unverdächtige Gewand der um 1800 bereits zur Konvention gewordenen neoklassischen Ästhetik kleidet, spricht für die Relevanz der Geschlechtlichkeit der Figur der Guiomar, durch die Gálvez die Autorität und ökonomische Kompetenz einer Frau als Familienoberhaupt affirmiert. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Gálvez‘ Entwurf einer unbeirrbaren, resoluten, wortkargen, durch und durch rationalen und durchsetzungsstarken Frauenfigur weniger als ‚universelles Leitbild‘ des wirtschaftenden Menschen zu betrachten, denn als Prototyp einer jenseits der Sentimentalität des género lacrimógeno und jenseits der aufklärerischen Präskriptive weiblicher Häuslichkeit kompetent wirtschaftenden femina oeconomica. Eben weil ihre Protagonistin eine im Abgleich mit dem aufklärerischen Geschlechterentwurf ‚deviante Weiblichkeit‘ darstellt, sind die Figuren in La familia a la moda so schematisch“88, die „Handlung so linear und vorhersehbar“89 und der Ton so „streng“90, dass es den Anschein hat, als setze Gálvez die Theatralität selbst zugunsten der formalen Konvention aufs Spiel.91 Dabei ist die übertrieben konventionelle und in der Tat langweilig anmutende Form des Stücks aber gerade das Tarnkleid, in das Gálvez Tschilschke (2014: 290) identifiziert das ‚gute Wirtschaften‘ Guiomars deshalb als „merkantilistisch geprägte Wirtschaftsgesinnung“, weil die Witwe die „Frankophilie“ der petimetra Madama und ihren verschwenderischen Konsum französischer Waren scharf rügt. 88 Tschilschke (2014: 297). 89 Tschilschke (2014: 297). 90 Tschilschke (2014: 297). 91 Vgl. Tschilschke (2014: 297). 87 590 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ihre ‚unerhörte‘ Frauenfigur hüllen muss, damit diese die Schranken der bourbonischen und der kirchlichen patriarchalen Zensur passieren kann. Neben den von Gies angeführten inhaltlichen Argumenten (s.o.) spricht für die sowohl rhetorische als auch geschlechtlich bewusst gewählte Weiblichkeit Guiomars auch, dass die Schöpferin dieser ökonomisch ebenso autark wie kompetent agierenden Figur selbst eine Frau ist. Gerade weil Guiomar eine weibliche Figur mit Alleinstellungsmerkmal und eine ‚Wirtschaftsheldin‘92 darstellt, der die Wiederherstellung der ‚rechten Ordnung‘ zu verdanken ist, besteht die Notwendigkeit, sie nicht nur in einen ästhetisch und strukturell konventionellen Rahmen einzubetten und ihr damit gewissermaßen den Segen der staatlichen Reformer zu geben, sondern sie auch durch ihr äußeres Erscheinungsbild, ihren Traditionalismus und betonten Katholizismus zu legitimieren. So gelingt es, sie von dem berechtigten Verdacht zu befreien, die patriarchale Ordnung untergraben zu wollen. Diese Notwendigkeit ist vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der Aufführung der Komödie noch nicht allzu weit zurückliegenden revolutionären Ereignisse in Frankreich umso mehr gegeben. Wie auch Tschilschke bemerkt, werden mit dem konstanten Hinweis auf die Herkunft Guiomars und ihrer Familie [...] Wohlstand und Reformdenken legitimatorisch geschickt mit altspanischen Ursprüngen sowie dem christlichen Glauben verknüpft – und gegen die Zustände in einer familia a la moda in Stellung gebracht.93 Als Vertreterin des alten, traditionellen Spaniens ausgewiesen wird Guiomar bereits bei ihrem ersten Auftritt, wenn es im Nebentext zu ihrer Kleidung heißt: „vestida ricamente a lo antiguo“94. Was darunter zu verstehen ist, verdeutlicht Andioc: Während sich die petimetras als Anhängerinnen der französischen Moden und Sitten (vgl. Kap. 9.2) Eine ‚zivile Heldin’ in Anlehnung an Jehles Begriff des ‚zivilen Helden‘ (vgl. Kap. 4.4) ist Guiomar insofern nicht, als sie keiner Berufstätigkeit nachgeht und es im Gegensatz zu Figuren wie der Madama Sambrig aus Valladares‘ El fabricante de paños in Guiomars Fall auch keine konkreten Hinweise auf eine Vermittlung kaufmännischen oder unternehmerischen Wissens durch männliche Mitglieder des oikos gibt, die sich diese femina oeconomica abgeschaut haben könnte. Guiomar agiert ganz und gar autark. 93 Tschilschke (2014: 293). 94 Gálvez (2001: 119). 92 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 591 in leichte und fließende Kleider hüllen, deren Röcke nicht allzu weit ausgestellt sind und die dem weiblichen Körper eine gewisse Bewegungsfreiheit zubilligen, zeichnet sich die herkömmliche Kleidung der spanischen Frau aus den gehobenen Schichten durch weit ausgestellte Rockteile aus, die die Mobilität einschränken95 und die, so darf gemutmaßt werden, aus den in Spanien traditionell hergestellten schweren und dunklen Wollstoffen bestehen. Indem Gálvez ihre Heldin in diese konventionelle und wenig modische Tracht kleidet, verleiht sie ihr die zu ihrer Autorität als weibliche Ordnungsstifterin passende Strenge – und wirbt womöglich indirekt für eine Bevorzugung traditioneller Waren aus heimischer Produktion. Ebenso wie die konventionelle Komödienstruktur dient auch das betont konservative äußere Erscheinungsbild Guiomars dazu, das ihr innewohnende revolutionäre Moment zu kaschieren. Das gilt auch für ihren prononcierten Katholizismus, der bereits durch den Verweis auf die altchristliche Genealogie ihrer Familie zutage tritt. Dass Guiomar nicht nur dem Blute nach eine ‚wahre‘ Christin ist, sondern den Katholizismus im Alltag praktiziert, wird deutlich, als sie ihren in Glaubensfragen laxen Bruder Canuto (vgl. Kap. 9.1.4) bittet: „[...] haz que se me ponga / La Virgen de Covadonga96, / Patrona de las Montañas.“97 Die Charakterisierung der femina oeconomica Guiomar als Christin steht in struktureller Analogie zur betont christlichen Figurenzeichnung von viri oeconomici wie Esteban aus Duráns La industriosa madrileña. Indem Gálvez ihre mit Macht, Autorität und Geld ausgestattete Frauenfigur nahezu spiegelbildlich an den paternalistisch-patriarchalen Entwurf des vir oeconomicus anlehnt, auf die sentimentale Komponente aber nahezu gänzlich verzichtet, konstruiert sie mit Guiomar eine ebenso singuläre wie alternative femina oeconomica, die als autoritäre Matriarchin in der Lage ist, eine uneinsichtige petimetra wie Madama das Fürchten zu lehren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch der von Tschilschke beobachtete Umstand, dass es in La familia a la moda zwei „femmes fortes bzw. Verkörperungen der mujer varonil“98 sind, Guiomar und Madama, die ein Duell über die 95 Vgl. Gálvez (2001: 119, Fußnote 153). Covadonga ist eine ‚Urstätte‘ der Reconquista, was Guiomar zu einer Altchristin par excellence macht. 97 Gálvez (2001: 139, vv. 452ff.). 98 Tschilschke (2014: 295). 96 592 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Herrschaft im Hause Pimpleas ausfechten.99 Ungleich ist dieser Kampf aufgrund der finanziellen Überlegenheit Guiomars. Angesichts dieser beiden ‚starken Frauenfiguren‘ ist die Dauerhaftigkeit der von Guiomar an Canuto zurückgegebenen Verfügungsgewalt100 über das Haus fraglich, zumal Guiomar diese an die Bedingung des ‚no malgastar‘ 101 knüpft. 8.1.2. Die Kette weiblicher Selbstaufopferungen in El fabricante de paños Im Kontext unserer Analysen des Typus des vir oeconomicus als einer männlichen Typisierung des Handels waren wir bereits auf die Bedeutung der Zeit bzw. der Zeitschere für die kaufmännische Tätigkeit eingegangen, die Jacques Le Goff veranlasst, das mittelalterliche Zeitverständnis eines temps de l’église, der den Tagesablauf durch das Läuten der Kirchenglocken gliedert, von dem für die (frühe) Neuzeit charakteristischen temps du marchand zu unterscheiden, bei dem Warengeschäfte den Zeitablauf bestimmen, ein Verständnis, das der kapitalistischen Devise vorgreift, dass Zeit Geld ist. Während die petimetras gerade eine schlechte Zeitökonomie kennzeichnet (vgl. Kap. 9.2), ist das Merkmal der guten Ökonominnen ihr bewusster und ‚sparsamer‘ Umgang mit Zeit, der sich unter anderem in einer betonten Pünktlichkeit äußert. Wir erinnern uns an die Figur der Antonia aus Comellas El hombre agradecido, die die auf der Bühne platzierte Uhr im Blick behält und das zu späte Eintreffen ihrer Schwägerin, der petimetra Blasa, kommentiert. Ein sparsamer Umgang mit Zeit zeichnet auch Guiomar aus, steht sie doch früh auf, während die petimetra Madama noch am Mittag im Bett liegt. Der bewusste Umgang der feminae oeconomicae mit Zeit offenbart sich auch in Valladares‘ sentimentaler Wirtschaftskomödie El fabricante de paños. Dort überreicht Madama Sambrig ihrem in finanzielle 99 Der Herrschaftsanspruch Madamas über den Haushalt wird im Stück wiederholt betont. Vgl. Gálvez (2001: 176, vv. 183f.; 214, vv. 109f. und insbesondere 242, vv. 594f.): „[...] / no, nadie ha de gobernar / a mi familia ni a mí.” Dieser Anspruch steht im Gegensatz zu der vom Diener Pablo betonten Führungslosigkeit im Hause Pimpleas. Vgl. Gálvez (2001: 164, vv. 89ff.): „Voy; pero si alguna vez / en esta casa hay gobierno / [...].” 100 Vgl. Gálvez (2001: 256, vv. 778ff.): „Yo, a pagar lo que tú debas, / hermano, y tú a gobernar / tu casa sin malgastar”. 101 Vgl. Gálvez (2001: 256, v. 781). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 593 Schwierigkeiten geratenen künftigen Schwiegersohn, dem titelgebenden Tuchfabrikanten, gerade zur rechten Zeit die Mitgift ihrer Tochter Fania, damit dieser ein Termingeschäft über 1.300 Guineen abschließen kann: RICARDO Se me ocasiona un gran perjuicio, supuesto que me esperan para hacer un negocio, que en extremo me es interesante, y si tardo en hacerle, pierdo. [...] (MADAMA SAMBRIG, que ha estado atento a la respuesta de RICARDO, y a la sorpresa de WILSON, saca de una cartera unos billetes, se levanta, y asiendo a WILSON de un brazo, le lleva a la izquierda del teatro, y le habla aparte.) MADAMA SAMBRIG Oíd, Wilson. Estos billetes, ya ha tiempo que guardo, pues son la dote de mi hija. Pagad con ellos. [...] No hagáis esperar a este hombre por vuestro honor. Yo os lo ruego. Mil y trescientas guineas valen los billetes, y eso es lo que importan las letras. Tomad.102 Dass der weiblichen Akteurin der bestehende Zeitdruck bewusst ist, zeigt sich darin, dass sie ihrem Schwiegersohn in spe ohne lange Überlegung zu Hilfe eilt. Dem aufklärerischen Weiblichkeitsideal folgend, agiert sie – anders als die exzeptionelle femina oeconomica Guiomar – aus dem Inneren des oikos heraus als aufopferungsvolle und damit konventionelle femina oeconomica, die sich schützend vor ihre 102 Valladares (o.J.: 4, vv. 214-225). 594 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Familie stellt und in ihrem entschiedenem Altruismus nicht zulässt, dass Wilson ihr Angebot zurückweist.103 Als Kaufmannstochter104 weiß sie den Wert der Mitgift und den Wert der Wechsel, die Wilson Ricardo schuldet, gegeneinander aufzurechnen. Hier zeigt sich der Effekt eines mittelbaren Erwerbs kaufmännischer Fähigkeiten durch Beobachtung des Geschäftsgebarens der männlichen Verwandten. Bezeichnend ist, dass Madama Sambrig in aller Heimlichkeit und ohne das Wissen von Wilsons Geschäftspartner Ricardo agiert. Dies zeigen ihre apartes, die stets ein ‚scheinhaftes Spiel‘ im Sinne Fuldas (vgl. Kap. 4.1) anzeigen bzw. Reden oder Vorkommnisse markieren, die die übrigen auf der Bühne befindlichen Figuren nicht registrieren. Heimlich agiert Fania, um Wilson den Gesichtsverlust zu ersparen, den er erleiden würde, wenn Ricardo erführe, dass Wilson finanziell derart klamm ist, dass er sich das für die Transaktion nötige Geld von seiner künftigen Schwiegermutter leihen muss. Es geht also um die Aufrechterhaltung von Wilsons gutem Ruf, der sich wesentlich an seiner Liquidität bemisst. Madama Sambrigs freiwillige und vorzeitige Übergabe der Mitgift ihrer Tochter Fania an Wilson, mit der sie zugleich deren Zukunft vertrauensvoll in Wilsons Hände legt, metonymisiert performativ die Opfer, die Frauen zum Wohle männlicher Familienmitglieder zu erbringen haben. Sambrigs Verhalten steht ganz im Zeichen eines weiblichen Agierens, das vom Gefühl familiärer Zuneigung geleitet ist. Damit weist Valladares das weibliche ökonomische Handeln ganz im Sinne des aufklärerischen Weiblichkeitskonzepts als sentimental konnotiertes und zugleich von kaufmännischen Grundkenntnissen geleitetes Agieren aus. Dass der (töchterliche) Apfel nicht weit vom (mütterlichen) Stamm fällt, wird deutlich, als Wilsons zukünftige Gattin Fania dem Beispiel ihrer Mutter folgt und ihre Diamanten hergibt, um einen Teil der Schulden Wilsons bei seinen Gläubigern Jorge Astur und Jaime Ancur – die Namensähnlichkeit zeigt ihre Austauschbarkeit – zu begleichen und damit ein weiteres Fortschreiten der bereits in der Vollstreckung begriffenen Pfändung der Geschäftsutensilien, Warenbestände und 103 Vgl. Valladares (o.J.: 4, vv. 232-235): „Vos, ella y yo, me parece / que una familia debemos / componer desde hoy; con que / cuanto tengamos es vuestro.” 104 Vgl. Valladares (o.J.: 4, vv. 170-174): „[...] Mi padre / que hacía un gran comercio, / tuvo pérdidas frecuentes, y murió pobre.” 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 595 Haushaltsgegenstände zu verhindern.105 Die Kette der Nachahmungen des guten Tuns der älteren weiblichen Familienmitglieder durch die jüngeren setzt sich fort, als das Kind Isabela, Wilsons Tochter aus erster Ehe, sofort bereit ist, ihrem Vater ihre diamantene Kette zu überreichen, ja mehr noch, ihr eigenes Blut und Leben hinzugeben, damit der philanthrope Unternehmer die ausstehenden Gehälter seiner Gesellen zahlen kann: WILSON [...] ¿Me darás tú sin reparo, hija mía, ese collar que no te es necesario? ISABELA (Quitándoselo con prisa.) Papá mío, mi collar la sangre que circulando está en mis venas, mi tierno corazón, mi vida, cuanto tengo, y puedo tener, es todo vuestro. Tomadlo.106 In dieser anrührenden Szene greift das volle Pathos der sentimentalen Komödie. Auffällig ist, dass alle Figuren, die bereit sind, finanzielle und darüber hinausgehende Opfer zu bringen, um Wilson vor dem Bankrott zu bewahren, weiblich sind. Anders als Madama Sambrig handelt das Kind Isabela hier allerdings nicht als femina oeconomica, sondern als folgsame Tochter und Spiegelbild ihres Vaters, die dessen Geschäftsethos – zügige Begleichung von Schulden, Ehrbarkeit, christliche caritas – verinnerlicht hat. Hier veranschaulicht das aufklärerische Theater die positiven Effekte der Erziehung durch das gute Beispiel der Eltern, wohingegen Gálvez‘ La familia a la moda die negativen illustriert, die das schlechte Vorbild der Eltern bei den Kindern zeitigt. Indem die (guten) performativen Handlungen der Erwachsenen in Valladares‘ Stück durch die Kinderfiguren spiegelbildlich wiederholt werden, wie wir dies bereits im Kontext der christlichen caritas erörtert hatten (vgl. Kap. 6.4.1), gestattet diese sentimentale Komödie 105 106 Vgl. Valladares (o.J: 13, vv. 291f.). Valladares (o.J.: 16, vv. 454-466). 596 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien dem geneigten Publikum einen anrührenden Blick auf die Zukunft der Tochter Isabela, die verspricht, dem Beispiel des christlichen Handelns ihres Vaters Wilson und ihrer Stiefmutter Fania zu folgen, sobald sie erwachsen ist. Valladares‘ comedia económico-sentimental inszeniert mit dem Beispiel der gefühlsbetonten femina oeconomica Sambrig eine ganze Kette weiblicher Aufopferungen für das von dem Familienpatriarchen betriebene Geschäft, eine Kette, die das weibliche Analogon der von Gervais beschriebenen trusted chain of correspondents bildet (vgl. Kap. 5.2). Die Bereitschaft, mit dem eigenen Vermögen auch sich selbst zu opfern, reicht von der Schwiegermutter Sambrig über die Tochter Fania bis hin zur Stiefenkelin Isabela. Der Aufopferungswille von Madama Sambrig geht so weit, dass sie ihren ehemaligen Verlobten Lord Baltton, von dem sie einst tief enttäuscht und im Stich gelassen wurde, um finanzielle Hilfen ersucht, um ihre Tochter, deren künftigen Ehemann und dessen Kinder aus erster Ehe vor dem finanziellen Ruin zu bewahren: MADAMA SAMBRIG [...] Si me hubiera la avaricia preocupado, de riquezas yo satisfecha estaría; ya me resuelvo a escribirle [a Lord Baltton] por ti, y verás que acredita lo que digo.107 In dieser Passage offenbart sich nicht nur die finanzielle Großmut Sambrigs, sondern neuerlich ihre durch Nachahmung erworbene Fähigkeit zu kaufmännischem Denken und Handeln, wickelt sie doch gewissermaßen ein ‚Wechselgeschäft‘ ab, im Zuge dessen sie die Begleichung der ihr gegenüber bestehenden moralischen Schuld Lord Balttons einfordert. In ähnlicher Weise wie der geizige Kaufmann Don Roque an seine nur vermeintlich untreue Gattin Isabel die Forderung stellt, ihre moralische Schuld durch eine Sühneleistung abzutragen, fordert Sambrig in El fabricante de paños die Ummünzung der moralischen Schuld ihres einstigen Geliebten Lord Baltton in Geldmittel, die 107 Valladares (o.J.: 20, vv. 231-237). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 597 sie in weiblicher Selbstlosigkeit – und daher ganz dem aufklärerischen Desiderat gemäß – nicht etwa für sich selbst oder ihre Tochter, sondern für den Patriarchen und Unternehmer Wilson verlangt. Damit tritt sie ihre eigenen (weiblichen) Ansprüche an den vir oeconomicus als das berufstätige (männliche) Oberhaupt der Familie ab und erweist sich als eine im Einklang mit dem Geschlechterideal der Aufklärer stehende femina oeconomica, deren primäre Eigenschaft die gefühlsbetonte Selbstaufgabe108 ist, die hier zugunsten der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit des Unternehmer-Paternalisten erfolgt. 8.1.3. Prudentia als Tugend der femina oeconomica Eine durch Beobachtung und Nachahmung des männlichen Geschäftsgebarens geprägte femina oeconomica finden wir auch in Antonia, der Schwester des gefallenen Kaufmanns Lorenzo aus der bereits untersuchten comedia económico-sentimental El hombre agradecido von Comella. Die Namensverwandtschaft dieser weiblichen Figur mit Antonio, Shakespeares The Merchant of Venice (1600) ist zumindest augenfällig. Wie Shakespeares Antonio verkörpert auch Comellas Antonia kaufmännische Tugenden, allerdings findet sich im Dramentext selbst kein weiterer Hinweis auf Shakespeares Stück. Antonias hervorstechendste Tugend ist die prudentia, die Besonnenheit, die sie gemäß dem aufklärerischen und reformökonomischen Tugendkanon als klug planenden und handelnden Menschen ausweist. Wie Schaefer gezeigt hat, war es noch „im ökonomischen Diskurs der Renaissance keineswegs selbstverständlich [...], prudentia überhaupt als [...] weibliche Tugend zu begreifen“.109 Anders als im Falle der Madama Sambrig ist es bei Antonia 108 Diese Selbstaufgabe geht mit der von Campos (1969: 49) konstatierten Eigenschaft Sambrigs einher, der Prototyp der tugendhaften und verfolgten weiblichen Unschuld zu sein. Ein solcher Typus wird uns im Folgenden in der Figur der femina fabra Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña wiederbegegnen. 109 Schaefer (2018: 135). In der titelgebenden Protagonistin von Caggios „mit petrarkistischen und bukolischen Elementen“ (127) versetztem Zweiakter Flamminia prudente (1551) macht Schaefer eine Frauenfigur aus, bei der prudentia als „eigenständige weibliche Tugend“ (135) erscheint, wurde diese Tugend doch bei Alberti und Torquato Tasso noch als eine Eigenschaft betrachtet, die Frauen allein in Abhängigkeit vom Mann besitzen. Schaefer (2018: 135) mit Bezug auf Alberti, Leon Battista (1999): I libri della famiglia, eds. Ruggiero Romano, Alberto Tenenti & Francesco Furlan. Turin: Einaudi, 598 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien nicht das Gefühl, das ihre Handlungen bestimmt, sondern rationale Überlegung. In dieser Hinsicht steht sie Guiomar näher als Sambrig. Dass Antonia sowohl die Tugend der prudentia als auch die temperantia verkörpert, wurde in dieser Arbeit bereits dargelegt (vgl. Kap. 5.2). Schon unter den dramatis personae wird sie als „joven juiciosa“110 eingeführt, was die ihr eigene Tugend der Vernunft betont.111 Gerade dieser Aspekt trifft in der Rezension des Stücks im Memorial literario auf eine positive Resonanz.112 Dies ist insofern wenig erstaunlich, als Antonia die Eigenschaften des ehrbaren Kaufmanns, wie sie Foronda in seiner Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio nennt, in mustergültiger Weise verkörpert. Eben dieser Umstand weist sie als femina oeconomica aus. Ist der Kaufmann nach Foronda jemand, der sich durch Mut auszeichnet und seine Rechte zu verteidigen weiß,113 handelt Antonia genau nach dieser Maxime, wenn sie sich gegen einen dreisten Gerichtsvollzieher zur Wehr setzt und eine klare Grenze zwischen familiärem Mitgefühl und ökonomischer ratio zieht: Ersteres endet da, wo Letzteres beginnt. Ihr Handeln ist vom Wissen darum geleitet, dass ihr Bruder nicht schuldlos bankrottgegangen ist, sondern aufgrund seines mangelnden Widerstands gegenüber seiner verschwendungssüchtigen Gattin Blasa. Daher ist Antonia nicht willens, p. 197 und Tasso, Torquato (1997): Discorso della virtù feminile e domnesca (1582), ed. Maria Luisa Doglio. Palermo: Sellerio, p. 60. In Flamminias Fall manifestiert sich ihre prudentia u.a. in ihrer „Standhaftigkeit“, die als „kluges und strategisches Handeln“ im Ehehandel erscheint, sowie als „Abwarten des richtigen Moments“. Schaefer (2018: 136). Das Stück thematisiert „ebenso Spielformen weiblicher prudentia“ wie es auf die „ökonomische Unterweisung des weiblichen Publikums“ abzielt. Schaefer (2018: 145). 110 Vgl. Comella (1796: 1). 111 McCloskey verweist darauf, dass Thomas von Aquin prudentia allein der Vernunft zuordne, während die übrigen Tugenden (iustitia, temperantia und fortitudo im Sinne von ‚Mut‘ bzw. ‚Tapferkeit‘) ihm zufolge den Verstand auf die Leidenschaften anwendeten. Vgl. McCloskey, Deirdre (2007): The Bourgeois Virtues. Ethics for an Age of Commerce. Chicago: The University of Chicago Press 2007, p. 254 mit Bezug auf Aquinas, Thomas (1984): „Treatise on the Virtues“ [1270]. In: idem. Summa theologiae, ed. & trans. John Oesterle. Notre Dame: Indiana University Press, Ia, IIae, Q. 61, Art. 3 und 4, pp. 112f. In II, II, Q. 47, Art. 1-2 heißt es auch über prudentia: ‚Die Klugheit ist nicht nur hinsichtlich der Erwägung zu loben, sondern auch hinsichtlich der Umsetzung, die das Ziel der auf das Tun gerichteten Vernunft ist‘ (meine Übersetzung). 112 Fernández Cabezón (2002: 114) mit Bezug auf Joaquín Ezquerras schon erwähnte Kritik in der Mai-Ausgabe (1790: 138). 113 Vgl. Foronda (1793a: 11f.). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 599 mit ihrem eigenen Vermögen für Lorenzos Schulden haftbar gemacht zu werden. Diese rationale Einsicht veranlasst sie, dem vom Gericht mit der Pfändung beauftragten Notar mit der nötigen Entschlossenheit entgegenzutreten: Sale el Escribano con un Escribiente y un Aguacil Escrib. Señora, dadme la llave al momento de ese otro quarto. Ant. Aquí está. Pero mirad que os advierto, que todo quanto contiene, es mio propio, y ageno de la quiebra, pues son bienes que en la parte me cupieron de la herencia de mis padres. Escrib. Eso Señora es enredo. Ant. Secretario, poco a poco; hable usted con miramiento. Escrib. Y usted respete algo mas, de la justicia los fueros. Ant. Los fueros de la justicia en la justicia respeto; pero no respetaré al que quiera abusar de ellos para insultar a una joven con semejantes dicterios... Con esa voz intimide 600 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien al pobre, y al jornalero que ignoran quanto los Jueces velan en hacer atentos à sus Ministros, no à quien sabe, que ustedes en ellos si faltan a sus deberes encuentran castigos fueros.114 Als der Gerichtsvollzieher Antonia List und Tücke vorwirft und darauf pocht, sie möge die ‚Privilegien der Justiz‘ achten, kontert die versierte femina oeconomica schlagfertig, dass sie sich als geschäftserfahrene junge Frau nicht von Reden dieser Art einschüchtern lasse, die vielleicht einfachere Gemüter wie den Tagelöhner oder den Mittellosen beeindrucken mögen. Nicht nur markiert sie damit ihre ‚bürgerliche Würde‘, sondern kontrastiert ihr Vertrauen in die Justiz mit dem rechtmäßigen Handeln des Bevollmächtigten – und offenbart damit ihre genaue Kenntnis des Rechtssystems. Mit der für sie typischen Umsicht, aber auch mit dem von Foronda beschriebenen kaufmännischen Mut, weicht sie nicht zurück, sondern droht dem dreisten Vollstreckungsgehilfen ihrerseits mit rechtlichen Konsequenzen. Dabei wirft sie ihm Rechtsbruch vor („[...] la justicia / en la justicia respeto“, s.o.). Antonia erweist sich in diesem Dialog nicht nur als kluge Verfechterin eigener Interessen, sondern auch als kompetente Staatsbürgerin, die ihre Rechte kennt und diese gegen eine Justiz, die das Recht missbraucht, zu verteidigen weiß. Antonia besitzt nicht nur die Tugend der temperantia, sie fungiert – ähnlich wie der Textilfabrikant Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada – zudem als moral consultant, wenn sie das Fehlen dieser Tugend sowohl beim Gerichtsvollzieher als auch bei ihrer Schwägerin bemängelt. Sie achtet nicht allein auf die juristisch korrekte Anwendung der Gesetze, sondern erweist sich überdies als Hüterin der ‚rechten Ordnung‘ im Hause, wenn sie bei den Dienern mehr Respekt gegenüber der Herrschaft einfordert und die vorlaute Dienerin ihrer Schwägerin aufruft, sich ihrer Herrin gegenüber respektvoller zu verhalten. In einem Selbstgespräch zu Beginn der ersten Szene des ersten Aktes formuliert Antonia ein Stoßgebet, in dem sie ihren abwesenden Bruder anfleht, zur kaufmännischen Tugend der Bescheidenheit 114 Comella (1793: 2). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 601 zurückzufinden.115 Zugleich tadelt sie ihn für seine Heirat mit einer faulen, vergnügungssüchtigen und verschwenderischen Adeligen, weil eine solche ‚unnütze‘ eheliche Verbindung dem Kaufmannsstand mehr schade als nütze: Ant. [...] Que estos sonrojos al Comerciante malgastador é indiscreto no corrijan? Ay hermano! tu condescente genio con tu muger, en qué abismo te ha anegado de tormentos? Por su vanidad y luxo te vés en la cárcel preso, sin amigos, sin apoyo, sin caudales ni conceptos: los desiguales enlaces jamas acertados fueron en el Comerciante.116 Was Antonia ihrem Bruder Lorenzo hier unterstellt, ist fehlende Besonnenheit bei der Partnerwahl. Dass Antonia diesem schlechten Beispiel nicht folgt und auch in dieser Frage von der prudentia geleitet ist, zeigt sich in dem Umstand, dass sie sich den versierten Kaufmann Bruno als Vertreter einer ‚sabia economía‘ (vgl. Kap. 5.2) als künftigen Ehemann erwählt. Die Tugend der prudentia kennzeichnet nicht nur die femina oeconomica Antonia, sondern auch die keusche, tugendhafte und handwerklich begnadete Weberin und femina fabra117 Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña, was deutlich wird, als sie ihren Leitspruch verlautbaren lässt: „[...] la prudencia / es el mejor norte y guia.“118 Besonders auffällig ist die Kopplung weiblicher wirtschaftlicher Kompetenz mit der Tugend der prudentia im Falle Guiomars: Vier Mal wird 115 Vgl. für alle Akt I. Comella (1796: 2). 117 Den Begriff der femina fabra definiert Kap. 8.2. 118 Durán (o.J.: 25). 116 602 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der femina oeconomica in Gálvez‘ Komödie die Gabe der Besonnenheit attestiert, drei Mal bescheinigt sie sie sich selbst.119 Ihrer Gegenspielerin Madama wird demgegenüber das Laster der imprudencia zugewiesen.120 Wurde hier bereits darauf hingewiesen, dass Jovellanos in seinem Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de Asturias neben der temperantia auch die prudentia als Element einer patriotischen Haltung im Dienste des bien común feiert (vgl. Kapitel 5.2.), erweist sich prudentia in diesem Zusammenhang als säkulare Tugend des berufstätigen, zunächst männlich imaginierten Staatsbürgers und Basiselement eines reformökonomischen Tugendkanons, zu dessen Säulen auch die Mäßigung zählt. Während die beiden Frauenfiguren Antonia und Cecilia mittels ihrer Besonnenheit das ideale Komplement ihrer künftigen Ehemänner bilden, also die perfekte Ergänzung des vir oeconomicus sind – des ehrbaren Kaufmanns bzw. des philanthropen Unternehmer-Paternalisten –, bleibt Guiomar in ihrer markierten Besonnenheit am Ende ein Solitär. Auch der Umstand, dass Gálvez ihre weibliche Hauptfigur am Ende nicht ‚domestiziert‘, indem sie ihr Stück in eine Doppelhochzeit münden lässt und Guiomar der Autorität eines Ehemannes unterstellt – und das, obwohl Facundo ein geeigneter Kandidat gewesen wäre –, spricht für eine Charakterisierung dieser Figur als eine exzeptionelle femina oeconomica jenseits des aufklärerischen Weiblichkeitsdiskurses. 8.2. Die femina fabra im Kontext der escuelas patrióticas (1776-1813) der Matritense Wie James R. Farr in seiner Monographie Artisans in Europe über Frauen im Handwerk bemerkt, stellen diese in der Historiographie nicht zuletzt aufgrund der schmalen zur Verfügung stehenden Datenbasis einen blinden Fleck dar, sodass der Blick der Geschichtswissenschaft auf die wirtschaftende Frau lange Zeit allein auf ihre Rolle im Haushalt fokussiert war: 119 Vgl. Gálvez (2001: 160, v. 24; 175, v. 276; 189, v. 493; 248, v. 684). Vgl. Gálvez (2001: 218, v. 185). Dort bezeichnet der Anwalt Facundo Madama als „imprudente“. 120 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 603 We now know that huge amounts of artisanal work were done by women, and we know that the household economy, largely the preserve of the woman, was inextricably linked to the craft and market economy beyond the home. [...] [T]he fact remains that artisanal organization, political expression, public life, and identity in early modern Europe were overwhelmingly masculine, and it is precisely because of the strongly gendered assumptions of the Old regime and their uniquitous inscription in the historical record left to the scrutiny of historians that the primary subject of this book will be men.121 Seit Ende der 1990er Jahre jedoch widmet sich die Historiographie zunehmend der Rolle, die Frauen als Handwerkerinnen historisch einnehmen, etwa, wenn sie die Betriebe ihrer verstorbenen Gatten in leitender Funktion weiterführen.122 Im Zuge der Entdeckung des zuvor ruhenden nationalwirtschaftlichen Potenzials von Frauen durch Reformökonomen wie Campomanes (vgl. Kap. 3.3.2 und 3.4.2) kommt es in Spanien im ausgehenden 18. Jahrhundert durch eine Initiative der Sociedad Económica von Madrid, der Matritense, die Méndez Vázquez in ihrer erhellenden Studie explizit als den ‚verlängerten Arm des aufgeklärten Absolutismus‘ (meine Übersetzung)123 ausweist, zu Bemühungen, so genannte escuelas patrióticas zu etablieren, die in Analogie zu den escuelas-fábrica von Campomanes stehen und die insbesondere mittellosen Frauen, Witwen und jungen (Waisen-)Mädchen ‚nützliches Wissen‘ in textilen Fertigungstechniken vermitteln sollen. Dieses Wissen soll es ihnen erlauben, sich selbst und ihre Familien zu unterhalten, ohne auf kirchliche Einrichtungen wie Hospize angewiesen zu sein. In diesem Sinne steht die Gründung dieser Art von Werksschulen auch im Dienste einer durch den Staat in Angriff genommenen Säkularisierung des Wohlfahrtssystems, ist der Besuch dieser Bildungsstätten doch für die Schülerinnen kostenlos.124 Die Gründung 121 Farr (2002: 6f.). Zum Status deutscher Meisterswitwen als Meisterinnen ohne formale Ausbildung vgl. Werkstätter (2001: 144ff.). Zu weiblichen Zünften im 18. Jahrhundert in Frankreich vgl. Musgrave (1997: 151ff.). Zu staatlichen Schulen des Textilhandwerks für Frauen im 18. Jahrhundert in Spanien vgl. Méndez Vázquez (2016: 117ff.). 123 Méndez Vázquez (2016: 96): „La Matritense, brazo ejecutor del despotismo ilustrado [...].” 124 Dass die Schulen kostenlos sind, ist zugleich ihr Schwachpunkt, hängt ihre Finanzierung durch den Staat, die zumeist durch den chronischen Mangel an Geldmitteln gekennzeichnet ist, doch an einer Wirtschaft mit großen konjunkturellen 122 604 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der ‚patriotischen Schulen‘ durch die Matritense zeugt zum einen von der aufklärerischen Überzeugung, dass Fortschritt vor allem durch Wissen und institutionelle Wissensvermittlung in staatlicher Hand zu erreichen sei; sie ist zum anderen durch das aufklärerische Bestreben gekennzeichnet, Armut nicht wie in den Jahrhunderten zuvor durch Almosen zu bekämpfen, sondern aus Bettlern ciudadanos útiles zu machen: StaatsbürgerInnen also, die einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen, die nicht nur ihnen selbst nutzen soll, weil sie ihnen ein Einkommen garantiert,125 sondern idealerweise auch der Nationalwirtschaft Profite beschert.126 An den vier Schulstandorten San Andrés, San Ginés, San Sebastián und San Martín127 werden Garne und Stoffe produziert und Schülerinnen zugleich im Spinnen und Weben von Woll-, Leinen- und Hanfgarn unterwiesen. Wie auch im Falle der Gründung der escuelas-fábrica ist ein wesentlicher Aspekt bei der Einführung der Patriotischen Schulen für Frauen und Mädchen die Einrichtung einer staatlichen Alternative zum Ausbildungsmonopol der von den Reformökonomen, insbesondere von Campomanes (vgl. Kap. 3.4.2), scharf kritisierten Zünfte. Deren Prinzip der ‚Ausbildung durch Imitation‘128 widerspricht zum einen der aufklärerischen Vorstellung systematisch-technischer Wissensvermittlung. Zum anderen sperren sich die Zünfte gegen eine Aufnahme von Frauen in ihre Reihen, sodass die Erlaubnis, dass sie textilgewerbliche Tätigkeiten jenseits der Zunftbindung ausüben dürfen, durch die bereits erwähnten Erlasse von 1779 bzw. 1784 verfügt werden muss Schwankungen. Zu den finanziellen Engpässen der Schulen der Matritense durch Konjunkturschwankungen vgl. Méndez Vázquez (2016: 34 u. 128ff.). Die Unterfinanzierung der Schulen weist sie (2016: 163ff.) minutiös anhand ihrer Ausstattung nach. So sind die Ausbildungsstätten beispielsweise in barackenähnlichen Gebäuden mit spärlicher Möblierung und noch spärlicherer technischer Ausstattung untergebracht. 125 Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an Niphos Konzept vom Einkommen als Form der Existenzsicherung, vgl. Kap. 3.2.2. 126 Wie Méndez Vázquez (2016: 226f.) zeigt, scheitert die von der Matritense intendierte Selbstfinanzierung der Schulen an dem schwerfälligen Absatz der dort hergestellten Produkte, der womöglich auf Vorbehalte der Kaufleute hinsichtlich der Qualität der Waren zurückzuführen ist. 127 Vgl. Méndez Vázquez (2016: 121). 128 Vgl. dazu die bereits in Kap. 3.4.2 zitierte Textstelle aus Campomanes (1975: 93), in der er die Ausbildung durch die Zünfte, die weder Anreize durch Prämierungen schaffen noch ein systematisches Wissen über Arbeitsabläufe und technische Prozesse vermitteln. 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 605 (vgl. Kap. 3.2.1).129 Dass die Zünfte sich nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa seit dem Mittelalter auf ein patriarchalisch-paternalistisches System gründen, das sich im Zeitalter der Aufklärung hartnäckig hält, betont auch Farr. Während weibliche Zunftmitglieder noch im Mittelalter keine Seltenheit sind, werden sie bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr verdrängt.130 Throughout the Old regime, hierarchy and discipline were joined by paternalism in defining corporatism. Society was theoretically structured on the microcosm of the family, the prescriptive model of which was the paterfamilias. A well-ordered society [...] was based upon the well-ordered family, which was supposedly regulated and disciplined by the father, the male head of the household. Of course, women were construed to be, in the nature of things, inferior to men [...]. Patriarchy as a specific legal system may have been directly challenged in the late seventeenth and eighteenth centuries, notably by Locke and his followers, but paternalism did not die a sudden death.131 Wenn die Matritense also ab 1776 das Projekt ihrer textilhandwerklichen Schulen für Frauen und Mädchen in Angriff nimmt und die Verantwortung für die so entstandenen textilhandwerklichen Schulen ab 1787 auf die Junta de Damas de Honor y Mérito übergeht, wird damit eine staatliche Alternative zum ohnehin als defizitär betrachteten Ausbildungssystem der Zünfte geschaffen, die sich dezidiert an Frauen als eine von den Zünften vernachlässigte Gruppe richtet, die potenziell 129 Vgl. Fuentes (2014: 214): „[...] by 1779 edicts had not only eliminated the obstacles for qualified women to enter into guilds but had exhorted the guilds to accept them, and finally in 1784, the year following the edict with which this essay opens, another proclamation afforded illegitimate children the right to join guilds.” 130 Vgl. Farr (2000: 37): „The institutional world of work was overwhelmingly male, and so women hold a very small place in our discussions of guilds, if not in the world of economic practice [...]. In general, all across Europe women saw their formal, independent participation in guilds narrow from the Middle Ages to the eighteenth century. Although their presence was not entirely eroded, guildsmen and magistrates joined to increasingly exclude them from a range of guilds, leaving them in guilds which society placed little social value and deemed ‚unskilled‘.” Im Handwerk tätige Frauen finden sich auch in Frankreich vor allem im Textilgewerbe, das nur geringe Einkünfte verspricht. Einen entsprechend niedrigen sozialen Status haben diese Frauen inne. Vgl. Farr (2000: 41). 131 Farr (2000: 33). 606 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in der Lage ist, die Zahl der in der Textilproduktion tätigen StaatsbürgerInnen zu erhöhen. Obgleich Jacobs das fortschrittliche Denken Campomanes‘ im Discurso sobre la educación de los artesanos y su fomento (1775) lobt, wo der Minister im Kontext seines Modells einer industria rural dispersa die Gleichstellung der Frau im Arbeitsprozess verlangt, weil sie über die gleichen geistigen Fähigkeiten verfüge wie der Mann und nur schlechter ausgebildet sei,132 muss zu bedenken gegeben werden, dass Campomanes weniger an der Einführung neuer Geschlechterrollen gelegen ist, als an Frauen als Mittel zur Erhöhung der nationalen Produktion. Dass diese Erkenntnis über die nationalwirtschaftliche Bedeutung weiblicher Arbeit allerdings nicht ohne (positive) Folgen für die vorherrschenden Geschlechterbilder bleibt, schlägt sich nicht zuletzt im Theater der spanischen Spätaufklärung nieder: Die Weberin Cecilia aus Duráns schon untersuchtem Stück mit dem bezeichnenden Titel La industriosa madrileña erscheint vor dem Hintergrund des Wissens über die escuelas patrióticas wie als eine mustergültige potenzielle Absolventin dieser Schule, die sie allerdings – so wissen wir durch das Stück – nie besucht hat. Dadurch, dass die Figur der Cecilia eine begnadete Autodidaktin ist, die sich auf dem Dachboden ihrer Tante selbst in den raffiniertesten französischen Webtechniken erfolgreich versucht hat, metonymisiert sie das handwerkliche Können spanischer Frauen, das die Webkünste des ungeschickten (männlichen) Lehrlings Blas mühelos aussticht. Zu welchen handwerklichen Großtaten, mögen sich zeitgenössische ZuschauerInnen gefragt haben, wäre diese begnadete Frau erst in der Lage gewesen, wenn sie professionelle Unterweisung durch die in den staatlichen Textilschulen tätigen maestras133 erhalten hätte? Auch in dieser Hinsicht ist Duráns Komödie ein Paradebeispiel des reformökonomisch inspirierten neoklassischen Theaters, dessen „sentencias y buenas máximas“134 der Rezensent im Memorial literario 132 Vgl. Jacobs (1996b: 87) mit Bezug auf Campomanes, Rodrigo Conde de (1968 [1775]): Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento, ed. Antonio Elorza. In: Revista de trabajo, 24, pp. 281-485, hier p. 447: „La mujer tiene el mismo uso de razón que el hombre; sólo el descuido que padece en su enseñanza la diferencia, sin culpa suya.“ Vgl. auch Jacobs (2001: 66). 133 Zu den maestras als Lehrerinnen in den escuelas patrióticas und der internen Organisation dieser Schulen vgl. Méndez Vázquez (2016: 139ff.). 134 Vgl. die Rezension im Memorial literario in der Februar-Ausgabe, zitiert in Campos (1969: 48). Vgl. auch Gies (1996: Titel). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 607 lobt. Im gleichem Maße wie diese Komödie ein Lehrstück über den vir oeconomicus ist, inszeniert es die ideale Handwerkerin, die femina fabra, einen Typus, von dem es im spanischen Theater der Spätaufklärung nur wenige gibt. Gies mutmaßt, dass es sich bei Cecilia womöglich um die einzige Figur dieser Art handeln könnte, nicht ohne jedoch einzuräumen, dass dies durch weitere Forschungen zu prüfen wäre.135 Mag die Figur der Weberin Cecilia im Theater der Epoche auch ohne Gleichen sein, gilt dies nicht für die femina fabra im Allgemeinen. Fuentes etwa verweist in ihrer Studie über die Darstellung von Madrider HandwerkerInnen in den comedias de teatro und sainetes des 18. Jahrhunderts darauf, dass die Schauspielerin Mariana Cabañas bereits 1757 und fast zwanzig Jahre vor Campomanes‘ Reformüberlegungen mit dem sainete Las mujeres solas ein Stück verfasst hatte, in dem im Handwerk tätige Frauen zu sehen sind: [...] approximately thirty years before the royal proclamation regarding the dignity of work, a female actor not only performed but authored a sainete which lauds women who practice their craft and earn a living wage. Las mujeres solas was written by the actress Mariana Cabañas whose name appears as author of the sainete which accompanied the 1757 production of the play El mas justo rey de Grecia, published by Eugenio Gerardo Lobo in 1729. The makeup of the list of characters, Aristómenes, Lisando, Menícrates, Cleón, Thelemón and Veleta was fairly uncommon because it consisted of all male characters, and in case the reader and/or public missed it the final verses of the play, reiterated the novelty of a Spanish comedy with no female roles. [...] Las mujeres solas served as an extraordinary complement to the play’s 1757 production in two manners: 1) by inverting the gender of the actors performing the male roles it surpassed the novelty, and 2) by subverting the form and content of a traditional sainete it transcended into a social commentary on gender roles, marriage and financial independence of female actors.136 Cabañas‘ sainete ist nicht etwa deshalb bemerkenswert, weil dort Frauen in Männerkleidern auftreten oder weil sie ihrem Heim den 135 Gies (1996: 453) zufolge kreiert Durán mit Cecilia eine im Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts singuläre Figur, haben wir es doch mit „uno de los pocos (hay más?) personajes femeninos en el teatro español“ zu tun, „que no sólo trabaja sino que se mantiene con el trabajo propio“. 136 Fuentes (2014: 225). 608 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Rücken kehren, was, wie Fuentes bemerkt, schon in den comedias des Siglo de Oro häufig der Fall ist, sondern vielmehr, weil hier männliche Geschlechterrollen von Frauen übernommen werden, die auf der Bühne agieren, als ob sie Männer wären.137 In ähnlicher Weise, wie sich Cecilia mittels ihrer Hände Arbeit selbst unterhält, ist auch in Las mujeres solas ganz konkret vom finanziellen Ertrag die Rede, den eine der Figuren als Reinerlös ihrer auf dem Markt getätigten Verkäufe nach Hause trägt.138 8.2.1. Die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña als femina fabra Wie im vorausgehenden Abschnitt gezeigt wurde, ist Duráns La industriosa madrileña für den Bereich des spanischen Theaters weder das erste noch das einzige Stück, das sich selbst mittels ihrer Arbeitskraft unterhaltende Frauen zeigt, 139 wohl aber eine von wenigen comedias de teatro, die nicht nur eine finanziell autarke Protagonistin, sondern eine Handwerkerin in tragender Rolle inszeniert. Wie aber kann Cecilia als – wie Gies mutmaßt – singuläre Figur einen weiblichen Typus wie die femina fabra begründen, wenn Typen doch wiederkehrende Figuren mit immergleichen Eigenschaften sind? Die Antwort ist schon im Titel von Duráns Stück angelegt: In Analogie zu sentimentalen Komödien wie El fabricante de Londres, die die Berufsbezeichnung des in Protagonistenrolle agierenden vir oeconomicus bereits im Titel tragen, erschafft Durán mit La industriosa madrileña y el fabricante de Olot ein Stück Wirtschaftstheater, das dem darin inszenierten vir oeconomicus ein weibliches Analogon an die Seite stellt, das seine Ideen handwerklich umzusetzen vermag. ‚Die fleißige Madriderin und der Fabrikant von Olot‘ (meine Übersetzung) verkörpern den aufklärerischen Gedanken einer doppelten – ökonomischen und moralischen – Bereicherung von Ehemann und Ehefrau. Wie die femina oeconomica dies für den häuslichen 137 Fuentes (2014: 226). Fuentes (2014: 226). 139 Ein weiteres Stück dieser Art ist Valladares‘ Komödie Las vivanderas ilustres (1792) über eine Gruppe von Marketenderinnen in der Gegend um Barcelona. Vgl. Valladares de Sotomayor, Antonio (1792): Las vivanderas ilustres. Madrid: Librería de Quiroga. Quelle: https://bibliotecavirtualmadrid.comunidad.madrid/bvmadrid_publicacion/es/ consulta/registro.do?id=15159, Zugriff: 10.09.2022. 138 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 609 Bereich leistet, vereint auch die femina fabra bürgerlich-christliche Tugenden mit wünschenswerten weiblichen Eigenschaften gemäß des aufklärerischen Frauenbildes, die wiederum mit Leitgedanken der Reformökonomie verknüpft werden. Im Fall der femina fabra betreffen diese handwerkliche Kompetenzen im Bereich des Textilsektors. Im Unterschied zur Mehrzahl der hier skizzierten feminae oeconomicae, die ihre im Handel tätigen männlichen Familienmitglieder unterstützen, ist die femina fabra eine Protagonistin der Produktion. Auch ihr gutes Wirken und Werken dient am Ende ihrem zukünftigen Gatten, der hier nicht umsonst ein Textilfabrikant ist. Wie Gies in seinen Studien zu Duráns Komödie anmerkt, wird die bürgerlich-christliche Tugend der industria in Duráns Komödie nicht allein durch männliche Figuren, sondern wesentlich auch über Cecilia personifiziert.140 Über sie wird zudem die von den Ökonomen der Epoche angestrebte Reform der Arbeitsprozesse mit der neoklassischen Reform des Theaters verknüpft,141 ein Umstand, der Cecilias Rolle in dieser Komödie umso zentraler erscheinen lässt. Die Genese dieser Figur kann als direkte Reaktion des Theaters auf die bereits genannten königlichen Erlasse der späten 1770er und frühen 1780er Jahre betrachtet werden, die auch Frauen die Ausübung einer ihrer Physis und der Sittlichkeit angemessenen Arbeit zugestehen. In gewisser Weise verkörpert die Weberin Cecilia die um die weibliche Arbeitskraft bereicherte Handwerkskunst, ohne die die industrielle Textilproduktion im 18. Jahrhundert nicht auskommen kann. In diesem Zusammenhang darf allerdings nicht übersehen werden, dass Cecilia sich in der Fiktion des Dramas zunächst als Mann verkleiden muss142 und erst ‚offiziell‘ als Weberin in der Fabrik des Textilunternehmers von Olot tätig sein kann, nachdem sie enttarnt worden war und ihr seitens des Ministers Prudencio als Stellvertreterfigur des Monarchen eine Anerkennung für ihre Webkunst zuteilwurde. Damit erhält die weibliche Handwerkerin ihre Legitimation von hochoffizieller Seite 140 Vgl. Gies (1996: 453) sowie idem (2022: 184ff.). Zu beiden Aspekten, vgl. Gies (1996: 453). 142 Dass Frauen sich als Männer verkleiden, bezeichnet Angulo Egea (2002: 288) als ein „recurso clásico“ des Theaters des 18. Jahrhunderts, „que seguía entusiasmando al público“. Dieses szenische Mittel findet sich im Theater Comellas etwa in Natalia y Carolina (1798) oder La Amelia o el amor conyugal (1794). Vgl. Angulo Egea (2002: 288). Die männliche Verkleidung ermöglicht den weiblichen Protagonistinnen „una libertad inusual para cualquiera mujer del siglo xviii“. Angula Egea (2002: 297). 141 610 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien und durch eine Kette patriarchaler Stellvertreterfiguren, an deren Ende der Souverän steht. Cecilias Konzeption als ideale Ergänzung Estebans und die Funktion beider Figuren, eine eheliche Idealbesetzung im aufklärerischen Sinne zu repräsentieren, gilt es nun mit Blick auf die Plotstruktur zu vertiefen, die kursorisch Elemente eines Abenteuerromans aufweist, ohne dass dies gegen die Einheiten von Ort und Zeit verstieße. Wie sie selbst berichtet, verdiente sich Cecilia ihren Lebensunterhalt in der bereits dargelegten (vgl. Kap. 6.3) Imitation französischer Stoffmuster,143 eine Tätigkeit, die sie mit solcher Kunstfertigkeit und Hingabe auszuüben imstande war, dass, wie sie selbst sagt, [...] en cinco años adquirí una buena renta y el apreciable renombre de Industriosa madrileña.144 Wie anhand der zitierten Textpassage deutlich wird, fußt Cecilias Kapital – ebenso wie das des Tuchfabrikanten Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada – nicht allein auf ihrem handwerklichen Können, sondern ebenso auf einem guten Ruf als Handwerkerin, der sich hier in ihrem Beinamen zeigt. Auch hier erscheint die durch das Adjektiv „industriosa“ bezeichnete Eigenschaft des Fleißes und mit ihr die Arbeit als bürgerliche Tugend des Berufsbürgertums. Durch ihr handwerkliches Geschick als Imitatorin ausländischer Waren ist sie zusammen mit Esteban und dessen unternehmerischem Talent in der Lage, den vor allem in der Qualität der Erzeugnisse begründeten Wettbewerbsvorteil französischer Konkurrenzprodukte auf dem Textilmarkt auszugleichen. Dem in den Abschnitten zum vir oeconomicus bereits dargelegten Handlungsmuster der comedia económico-sentimental der spanischen Spätaufklärung gemäß, dem zufolge sich das moralische und wirtschaftliche Kapital der am Ende in der Ehe vereinten ‚guten‘ Ökonomen und Ökonominnen zu einem doppelten Haben mehrt, findet das textilgewerbliche Dream Team Cecilia und Esteban am Ende zusammen. 143 144 Durán (o.J.: 8). Durán (o.J.: 8). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 611 Dass diese Verbindung keiner ökonomischen ratio folgt und keine von langer Hand geplante Vernunftehe ist, sondern eine Verbindung aus Neigung, entspricht dem foucaultschen Sexualdispositiv: So betont das Stück die „natural simpatía“145 zwischen den künftigen Ehepartnern sowie ihre „ideas tan conformas“146. Der philanthrope Unternehmer-Paternalist und die talentierte Weberin werden durch ein wohlmeinendes und die Arbeitsamen belohnendes Schicksal zusammengeführt, das Cecilia nicht nur mit Esteban vereint, sondern zudem in einer wundersamen Fügung offenbart, dass die vermeintlich aus einfachen Verhältnissen stammende Weberin eigentlich eine marquesa ist.147 Wiederum ist es Prudencio als Statthalter des Monarchen, der die frohe Kunde überbringt und die Fleißigen entlohnt. Der ‚heimliche Adel‘ als wiederkehrende Plotstruktur der comedia-económico sentimental kann hier als eine Strategie der Legitimation dieser ebenso singulären wie prototypischen ‚Protagonistin der Produktion‘148 verstanden werden: Über die Betonung ihres gehobenen sozialen Status werden alle moralischen Bedenken hinsichtlich ihres trabajo manual ausgeräumt. Bemerkenswert ist, dass in Duráns Komödie nicht allein Fleiß und Engagement Garanten gesellschaftlichen Aufstiegs und privaten Glücks sind, sondern dass das Rad der Fortuna als gattungsspezifisches Charakteristikum der Komödie auch in diesem Lehrstück eines aufklärerischen Wirtschaftstheaters immer noch eine große Rolle spielt. In Anbetracht des zentralen Stellenwertes der Religion in Duráns Stück erscheinen die glücklichen Wendungen, die Cecilia schließlich von allen im Verlauf der Intrige der Antagonisten gegen sie erhobenen Vorwürfe freisprechen, als Ausdruck des Willens eines wohlmeinenden Schöpfergottes, der nun auf allerhöchster Ebene die fleißige Weberin reinwäscht und sie schließlich mit besagtem Adelstitel entlohnt, ein im Doppelsinn149 erhebendes Moment, das durch eine dramaturgische Pause zusätzlich hervorgehoben wird: 145 Durán (o.J.: 28). Durán (o.J.: 9). 147 Durán (o.J.: 34). 148 Zu Cecilia als ‚Protagonistin der Produktion‘ vgl. auch Gies (2022: 183ff.). 149 Erhebend ist dieser Augenblick zum einen für Cecilia, die in den Adel aufsteigt, zum anderen für die ZuschauerInnen, die der tugendhaften und zuvor durch allerlei Widrigkeiten gebeutelten Figur diesen Aufstieg gönnen. 146 612 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Prud. [...] el cielo que no sufre ver la inocencia abatida, ha hecho que por su boca se vean desvanecidas las sospechas declarando que es usted::– [sic] D. Cec. ¿Qué soy, señor? D. Prud. El gozo el habla me quita. ¡Marquesa!150 In diesem Zusammenhang gilt es zu betonen, dass es Cecilias handwerklicher Arbeitseifer war, der diese göttliche Fügung überhaupt erst möglich gemacht hatte, wurde der Marqués de la Muralla doch erst durch Cecilias vielgerühmte „industria“ auf sie aufmerksam, beabsichtigte sie zu ehelichen und stieß im Zuge der Verifizierung ihrer Blutsreinheit – der feudalen limpieza de sangre – auf ihre edle Abstammung, sodass Cecilia zusätzlich zu ihrem Titel und Estebans Hand der materielle Reichtum des Geschlechts derer von Muralla zufällt.151 Bemerkenswert ist hinsichtlich der am Ende der Komödienhandlung notwendig erfolgenden Eheschließung Cecilias aktive, ja in Anbetracht des historischen Kontextes nahezu offensive Rolle: Während Esteban noch rätselt, wem Cecilias Hand denn nun zufalle, reicht sie ihm bereits die ihre. Damit gewinnt Esteban auch das mit dem Bekanntwerden von Cecilias Adelsstand gewonnene Vermögen, sodass sich die finanziellen Sorgen des redlichen Fabrikanten in Wohlgefallen auflösen. Auch diese Kopplung von ehelichem und finanziellem Glück ist typisch für die comedia económico-sentimental der spanischen Spätaufklärung.152 Cecilia agiert ihrerseits als ihres eigenen Glückes Schmiedin153 und steht daher der herkömmlichen Rolle von Frauen in 150 Durán (o.J.: 34). Durán (o.J.: 34). 152 Vgl. Schuchardt (2014; 2016). 153 Durán (o.J.: 34): „D. Cec. [...] mi mano está destinada / ya. D. Est. ¿A quién? D. Cec. A quien la estima / como debe. D. Est. ¿Quién es ese? D. Cec. Es... a quien reconocida 151 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 613 der Gattung Komödie entgegen, die im Kontext des Ehehandels zumeist als Waren fungieren, um die im Kontext eines männlichen Kalküls gefeilscht wird, das die mit einer möglichen Ehe einhergehenden Vorteile in Bezug auf Stand, Vermögen und soziale Beziehungen erwägt.154 Auch aus weiblicher Perspektive steht bei der Transaktion des Ehehandels viel auf dem Spiel, hängen doch von der Wahl des Ehepartners ökonomische Sicherheit und individuelles Glück ab. 8.2.2. Göttliche Interventionen: Die Weberin und der Dornbusch In unserer Analyse der Darstellung des philanthropen UnternehmerPaternalisten als theatrale Typisierung der spanischen Textilindustrie wurde bereits auf die Bedeutung des Religiösen in Duráns La industriosa madrileña eingegangen. Die religiöse Dimension erstreckt sich jedoch nicht nur auf den männlichen Protagonisten, sondern auch auf die weibliche Hauptfigur. Wie Guiomar aus Gálvez‘ La familia a la moda ist auch ein weiblicher Charakter wie die finanziell autarke Cecilia moralisch verdächtig, weshalb das Stück die Tugendhaftigkeit dieser femina fabra besonders hervorheben muss. Nicht nur wird ihr schon im Titel die bürgerliche Tugend der industria zugewiesen und im weiteren Verlauf der Handlung wiederholt affirmiert. Ihr ‚unerhörter‘ körperlicher Einsatz am Webstuhl wird überdies dadurch legitimiert, dass es sich bei ihrem handwerklichen Können um eine göttliche Gabe handelt, der sich die so Gesegnete nicht verweigern kann, ohne sich ihrem Schöpfer gegenüber undankbar zu erweisen. Wie Franziska Schößler gezeigt hat, unterliegen körperlich arbeitende Frauen seit dem 19. Jahrhundert dem Generalverdacht sexueller Käuflichkeit.155 Auch im Falle unserer protoindustriellen Figur erscheint es notwendig, ihre Keuschheit im Sinne der christlichen castitas zu betonen. Diesen Zweck erfüllt im Rahmen der Plotstruktur Cecilias Bericht / quisiera con esta mano / rendirle una Monarquía. Da la mano á Don Estevan, y esta la recibe con el maxor gozo.” 154 Zur strategischen Bedeutung der Ehe im 18. Jahrhundert in Spanien vgl. auch Pérez Álvarez, María José (2016): „Mujeres, familia y sociedad en la montaña leonesa en el siglo xviii“. In: García Hurtado, Manuel-Reyes (ed.). El siglo xviii en femenino. Madrid: Síntesis, pp. 191-218, hier p. 200. 155 Vgl. Schößler (2017: 89f.). 614 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien über Silvestres sexuelle Annäherung156 während ihrer Flucht nach Perpignan. In diesem Zusammenhang wird das biblische Motiv des Dornbuschs bemüht und damit jeder Zweifel darüber ausgeräumt, dass Cecilia in der göttlichen Gnade steht: Cec. [...] mas como siempre da el cielo con el mal la medicina, me deparó unas zarzas, corro a buscar acogida en ellas; y como ciego de cólera me seguía, qual caballo desbocado, en ellas se precipita, de modo que todo el rostro se lastimó en las espinas, y se tiró contra el cielo dando voces desmedidas.157 Dass es hier ausgerechnet ein Busch ist, der sich der verfolgten Unschuld Cecilia just im Moment höchster Bedrängnis als Unterschlupf darbietet, dürfte beim damaligen Publikum die biblische Szene aufgerufen haben, in dem Gott sich Moses offenbart. Zwar ist hier kein Feuer im Spiel und der Schöpfer zeigt sich auch nicht unmittelbar; wohl aber verweist Cecilias Erwähnung des Himmels (span.: „cielo“), der ‚mit dem Übel‘ auch gleich die dagegen wirksame ‚Medizin‘ (meine Übersetzungen) bereithält, auf eine zweifellos göttliche Intervention, die sodann den Sturz des begehrlichen Reiters und seines symbolischen ‚hohen‘ Rosses verursacht. Auf diesem sitzt der Schurke auch im übertragenen Sinne deshalb, weil er adelig ist. Mit der Erwähnung der ‚Medizin‘ bedient sich die Weberin einer in der Reformökonomie gebräuchlichen Krankheits- und Heilungsmetaphorik (vgl. Kap. 3.2). Der nach dem Heiligen Kosmas benannte Ort San Cosme, in dessen 156 Vgl. Durán (o.J.: 25): „[...] ese bárbaro de hermano / de usted, viendo que partía / yo de Olot, me fue siguiendo / hasta cerca de la hermita / de San Cosme: allí insistió / en irse en mi compañía; y al ver que eran mis desprecios / mayores que sus caricias, con irracional furor / intentó una acción indigna.“ 157 Durán (o.J.: 25). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 615 unmittelbarer Umgebung sich das Geschilderte ereignet, ist nicht zufällig gewählt: Sankt Kosmas ist der Schutzpatron der Ärzte, Chirurgen und anderer im Dienste des Heilens stehender Berufsgruppen.158 Die Koinzidenz von Ortsname und Ereignis unterstreicht einmal mehr die Offenbarung des göttlichen Willens in einer komödientypischen glücklichen Wendung der Ereignisse, die sich auch in Estebans Reaktion auf Cecilias Bericht widerspiegelt: „[...] quando el cielo / me ha concedido esta dicha, / no dudo que hoy se verán / mis esperanzas cumplidas.“159 Nicht nur die für die Komödie charakteristischen Schicksalswenden, sondern auch Cecilias handwerkliches Geschick erweisen sich in Duráns Stück als göttliche Fügung. So sind Cecilias ‚göttliche‘ (meine Übersetzung)160 Hände in der Lage, außergewöhnliche Stoffmuster herzustellen, wie Don Prudencio in einem Dialog Don Pablo anerkennend verlauten lässt. Mit dieser Replik sowie durch das bereits in der Liste der dramatis personae herausgestellte Talent Cecilias als einer „jóven Madrileña, industriosa en imitar telas extrangeras de hilo“161, wird die von Alberto Struzzi in Diálogo sobre el comercio de estos reynos de Castilia (1624) formulierte These in Zweifel gezogen, dass die heimischen Provinzen mit ihrer Textilproduktion „no acertarán a hazer las obras de imitación a las estranjeras, ni tan baratas como las que se hazen en Milán, Nápoles, Alemania, Venecia, Flandes, Inglaterra y otras partes“.162 Dass Cecilias Gabe, ausländische Stoffmuster perfekt nachzuahmen, hier an so prominenter Stelle herausgestellt und 158 Vgl. Reichert, Eckhard (1992): „Kosmas und Damian“. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, ed. von Traugott Bautz. Band 4. Herzberg: Bautz 1992, pp. 539–540. 159 Durán (o.J.: 25). 160 Durán (o.J.: 29): „D. Prud. ¿Qué libro es ese? / – D. Pab. De muestras de telas. – / D. Prud. Son exquisitas: mirándolas / ¿se sabe de dónde vienen? – D. Pab. De las manos de esa niña. – D. Prud. Si ellas texen estas cosas / se pueden llamar divinas.“ 161 Durán (o.J.: 1). 162 Struzzi, Alberto (1624): Diálogo sobre el comercio de estos reynos de Castilia. Madrid: ohne Verlagsangabe, ed. & comment. Márquez, Javier (1942): „El Diálogo de Alberto Struzzi”. In: El Trimestre Económico, 9, 33 (1), pp. 86-119, hier pp. 96f. Struzzi beklagt in diesem Zusammenhang, dass Spanien zwar über reiche Vorräte an Seide verfüge, es aber an Arbeitern und Produzenten mangele, um die Bedürfnisse des Marktes zu stillen. Zudem fehle es aber auch an Man Power, um die produzierten Waren zu transportieren. Vgl. Struzzi (1942: 97). Damit bringt er das Problem der despoblación als ‚Sorgenkind‘ der frühen Merkantilisten ins Spiel. 616 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien in der Figurenrede noch einmal aufgegriffen wird,163 stellt einen deutlichen Bezug zu den ab 1750 ergriffenen Maßnahmen zur Förderung der Konkurrenzfähigkeit Spaniens auf dem europäischen Textilmarkt dar: 1786, drei Jahre bevor Durán sein Lehrstück über den ehrbaren Fabrikanten und die handwerklich begabte Weberin verfasst, erhalten nach den Produzenten von Seidenstoffen (1778) und Segeltuch (1784) auch die Tuchfabrikanten spanienweit die Erlaubnis, französische Waren nachzuahmen.164 Zuvor war jeder Handwerksbetrieb durch Vorgaben der lokalen Zünfte an die Produktion eines bestimmten Stoffes und Stoffmusters gebunden.165 Valencianische Seidenweber hatten das Privileg, Stoffe aus Lyon zu imitieren, bereits zwischen 1750 und 1760 erhalten.166 Maßnahmen dieser Art stellen sich bewusst gegen die oft rigide gehandhabten Regularien der Zünfte, sind sie es doch, die aufgeklärte Reformökonomen wie beispielsweise Campomanes in seinem Discurso sobre la educación popular als Haupthemmnis für die Einführung neuer Fertigungstechniken sehen.167 Die stringente Einbettung der Figur der femina fabra Cecilia in den reformökonomischen Diskurs des aufgeklärten Absolutismus kann als eine weitere Strategie der rhetorischen Legitimierung dieser außergewöhnlichen ‚Protagonistin der Produktion‘ betrachtet werden, durch die Durán den gewagten Entwurf seiner körperlich arbeitenden Titelheldin an den über jeden Zweifel erhabenen patriarchalen Diskurs der Gouvernementalität koppelt. Damit sichert Durán seine femina fabra über die beiden obersten spanischen Autoritäten von Staat und Kirche doppelt ab. Eine dritte Strategie der Absicherung besteht im geschlechtlichen Maskenspiel: Während die wie ein Mann – und damit progressiv – agierende, da mit gängigen weiblichen Genderrollen brechende Figur der Doña Guiomar aus La familia a la moda in ein Tarngewand aus Witwenschaft, Traditionalismus und Religiosität gekleidet sein muss, hüllt sich Cecilia umgekehrt zunächst in eine männliche Verkleidung, um als Weber in der Textilfabrik von Olot ihr volles Talent zeigen zu können. Dadurch, dass Durán auf das „cross-dressing“168 als 163 Vgl. Durán (o.J.: 8), s.u. Vgl. Herr (1988: 105). 165 Vgl. Herr (1988: 115). 166 Vgl. Herr (1988: 105). 167 Vgl. Herr (1988: 105). 168 Vgl. Gies (2022: 187f.), s.o. 164 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 617 etablierten und beim Publikum beliebten „coup de théâtre“169 des spanischen Theaters rekurriert, bettet er Cecilias Status als autarke ökonomische Akteurin und singuläre femina fabra in ein bewährtes theatrales Verfahren ein, wodurch das Unkonventionelle dieser weiblichen Figur abgefedert wird. 8.2.3. Die Figur der Leandra und das reformökonomische Prämiensystem in Comellas El pueblo feliz (1789) Die am 9. September 1789 uraufgeführte neoklassische Komödie El pueblo feliz von Comella ist ein weiterer Versuch, ein mustergültiges Propagandatheater zu instaurieren, das für die bourbonische Theaterreform ebenso wirbt wie für die Reformökonomie.170 Die aufklärerische Fortschrittsutopie ist in der Anfangsszenerie bereits Wirklichkeit geworden: El teatro figurará la plaza principal de un pueblo grande, en cuyo foro estará la casa de la villa con sus balcones, enfrente de ella habrá una fuente magnífica recién construida, con pilón y caño que todavía no corre, y arriba un adorno de gusto, que à su tiempo arrojará agua natural. En las puertas de las casas se verán hilando Blasa, Benita, Antonia. Juana y otras Aldeanas, junto á ellas dos niños machacando cáñamo y dos niñas desmontando trigo, y por último dos ancianos, el uno haciendo pleyta y el otro soguilla; mientras cantan el siguiente coro festivo se verá el Corregidor con el tio Simón observando la fuente.171 Allein die Ausführlichkeit des Nebentexts, der Auskunft über das Bühnenbild und den Aufbau der ersten Szene gibt, veranschaulicht die Bedeutung des Schauplatzes, den Comella als einen reformökonomischen locus amoenus zeichnet und der wie eine theatrale Synopse von Campomanes‘ Discurso sobre la industria popular und Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria anmutet. Im Abschnitt „II.2. Por agua“172 169 Vgl. Gies (2022: 186). Auch Campos (1969: 37) bezeichnet das Stück als „casi un teatro de propaganda“. 171 Comella, Luciano Francisco (1789a): El pueblo feliz, comedia en quatro actos, representada por la compañía de Manuel Martínez, el día 9 de septiembre de 1789. O.A.O., p. 1. Der Text steht auch im Stück selbst kursiv. 172 Vgl. Jovellanos (1998: 420ff.). 170 618 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seiner Abhandlung preist Jovellanos die Vorzüge eines ausgebauten Bewässerungs- und Kanalsystems für die nationale Landwirtschaft. Der zunächst noch nicht funktionstüchtige, aber am guten Ende des Stücks dann fröhlich sprudelnde Brunnen als Symbol (schließlich erfolgreicher) bourbonischer Bemühungen um die spanischen Infrastrukturen – Straßen, Kanäle, Bewässerung – wird von fleißig spinnenden Frauen gesäumt. Wie von Campomanes vorgeschlagen, betätigen sich hier nicht nur Frauen, sondern auch Kinder und Alte in der Textilproduktion und verarbeiten exakt die vom Minister erwähnten, da in Spanien lokal schon vorhandenen Rohmaterialien: Aus Esparto-Gras („soguilla“, s.o.) drehen sie dünne Seile und spinnen Hanfgarn („cáñamo“, s.o.). Auch der Ackerbau fehlt nicht in dieser Szene, da auf der Bühne Weizen („trigo“, s.o.) gedroschen wird. Gekrönt wird das produktive dörfliche Idyll dadurch, dass alle Anwesenden parallel zu den ausgeübten Tätigkeiten fröhlich vor sich hinsingen, eine Szenerie, die an den Anfang von del Reys La modesta labradora erinnert und sich in den bereits erläuterten Topos der alabanza de aldea fügt (vgl. Kap. 6.6). Wie schon Comellas El buen labrador kreist auch der Plot dieses Stückes um einen gegenüber seinen säumigen Pächtern unnachgiebigen Adeligen mit Standesdünkel, Don Alonso Gil Porras, der seiner faulen, koketten und handwerklich unbegabten Tochter Ana auf unlauteren Wegen zu der Auszeichnung verhelfen möchte, die der Corregidor des siebenhundert Seelen zählenden Örtchens173 für diejenige Dorfbewohnerin ausgelobt hat, die mit der besten Handarbeit aufwarten kann. Auch dieses Plot-Element entspricht eins zu eins den Vorschlägen von Campomanes, der in seinem Discurso sobre la industria popular angeregt hatte, die besten Arbeiten der Lehrlinge eines textilen Handwerksbetriebes mit Medaillen oder Prämien auszuzeichnen; zum einen, um Leistungsanreize zu schaffen, zum anderen, um Maßstäbe für die Unterscheidung qualitativ hochwertiger von minderwertigen Arbeiten zu setzen.174 In realiter umgesetzt wird Campomanes Vorschlag schließlich durch die escuelas patrióticas der Matritense: Diese führen ein Prämiensystem ein, das die jeweils besten Web- und Spinnarbeiten der Schülerinnen auszeichnet.175 173 Vgl. die acotación zu Beginn des Stückes in Comella (1789: 1): „La Escena es una población de setecientos vecinos, inmediata á una de las principales Capitales de la Peninsula.” 174 Vgl. Campomanes (1975: 93) sowie dazu Kap. 3.3.1. 175 Vgl. Méndez Vázquez (2016: 182ff.). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 619 Auch in El pueblo feliz soll die beste von einer Frau hergestellte Handarbeit mit einer „medalla de oro / y cien ducados“176 prämiert werden. Wie die zuvor untersuchten Stücke über männliche Typisierungen einzelner Wirtschaftssektoren in Gestalt des vir oeconomicus, vir rusticus und vir faber stimmt auch dieses Stück den obligatorischen Lobgesang auf reformökonomische Tugenden wie industria und temperantia an.177 Bereits in der ersten Szene des ersten Aktes werden einschlägige reformökonomische Topoi wie die Nützlichkeit (utilidad) des Einzelnen für die Gemeinschaft und die Arbeit als einzige Quelle der felicidad pública aufgerufen. Dies geschieht ganz im Zeichen der ebenso von Campomanes wie von Foronda gelobten ‚zivilisatorischen‘ Kraft der Arbeit als moralökonomischer Größe. Der Appell, sich der segensbringenden Heimarbeit zu widmen, wird in Comellas Stück von einem corregidor mit dem sprechenden Namen Don Benigno ausschließlich an die Frauen des Dorfes gerichtet: Hijas mias, la labor es el móvil verdadero de la dicha; la que inunda los hogares de los pueblos de riquezas; la que aparta á los hombres del exceso; la que alivia á la casada es sus afanes caseros.178 Bezeichnenderweise ist hier nicht von der Frau im Allgemeinen, sondern konkret von der Ehe- und Hausfrau die Rede, die mittels ihrer Hände Arbeit Glück und Segen in das traute Heim bringt. Auch in diesem Stück ist die Rede vom ‚Seelenadel‘ des tugendhaften Fleißigen: „[...] al bueno, / si no es noble, le ennoblece / su virtud [...].“179 Dessen Lob geht einher mit der aufklärungstypischen Adelsschelte, wobei die superbia als Kennzeichen des Adels der industria der Dorfbewohner gegenübergestellt wird, um so den harschen Kontrast zwischen den Todsünden der Aristokratie und den Tugenden der arbeitenden 176 Comella (1789: 2). Vgl. Comella (1789: 2). 178 Comella (1789: 2). 179 Comella (1789: 3). 177 620 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Bürger zu verdeutlichen.180 Wie für Comella typisch, finden sich allerdings jenseits der üblichen, im neoklassischen Theater wurzelnden Lobrede auf das staatliche System auch liberalistische Anklänge: Wie schon die hijosdalgos aus El buen labrador wird auch der Hidalgo Alonso aus El pueblo feliz nicht nur als blasierter Taugenichts, sondern als blutsaugender Tyrann gezeichnet, dem jedes Mittel recht ist, sich auf Kosten der schwer arbeitenden Dorfgemeinschaft zu bereichern. Die Härte des Tyrannen führt, wenn auch nicht zur bewaffneten Revolte,181 so doch dazu, dass die Dörfler dem Adeligen ihre Dienste – und damit auch die Bewirtschaftung seiner Felder – verweigern: Sim. [...] á un tirano no quieren servir. La impia dureza de vuestro pecho ácia la piedad, irrita de modo su corazón, que vuestro pan desestiman para enseñaros á ser sensible con las desdichas del triste, y manifestaros que con esta acción benigna se hacen mas nobles que vos con toda vuestra hidalguia.182 Typisch für den im Theater Comellas anklingenden Liberalismus ist, dass sich eben nicht das gehobene Bürgertum, sondern die einfache Landbevölkerung durch ‚differenziertes Empfinden‘ von einem Adel unterscheidet, dessen Affekte durch Todsünden wie avaritia183 und superbia (s.o.) befeuert werden. In El pueblo feliz finden sich überdies Szenen, die Comella in seinem später verfassten Stück El buen 180 Vgl. u.a. Comella (1789: 11): „Mozas. Si el labrador loas campos / no cultivara / fueron menos los soberbios / los que le ultrajan. / Que su trabajo / fomenta la soberbia / del cortesano.“ 181 Dies wäre in Anbetracht der Entwicklungen in Frankreich und der staatlichen Zensur undenkbar gewesen. 182 Vgl. Comella (1789: 12). 183 Als geizig ausgewiesen wird Alonso bereits in der ersten Szene, als er einer säumigen Witwe und Pächterin die für sie lebensnotwendige Stundung ihrer Schulden verweigert. Vgl. Comella (1789: 4). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 621 labrador nahezu spiegelbildlich wiederholen wird, etwa die des säenden und pflügenden Regierungsbeamten, hier verkörpert durch die Figur des corregidor Benigno, der sich für eine solche Tätigkeit nicht zu schade ist und ebenfalls von ackerbauenden Prinzen zu berichten weiß.184 Auch hier rekurriert Comella also auf die physiokratische Motivik. Dass Benigno selbst als paternalistische Stellvertreterfigur des Souveräns fungiert, wird unmissverständlich klar, als er den armen Florencio aufklärt, dass der ‚gute‘ (d.h. der aufgeklärte) Richter den Armen genauso sein Ohr schenke wie der Souverän, sei der Richter doch dessen Repräsentant.185 Ähnlich liberalistisch wie die Szene, in der die Bauern gegen Alonsos Tyrannei aufbegehren, mutet auch hier eine Tafel-Szene an. Ähnlich wie der ‚gute Bauer‘ Benito im später verfassten Stück El buen labrador lädt auch der ‚gute corregidor‘ Benigno die Armen ein, an seiner Tafel Platz zu nehmen und nährt sie mit Birnen und allerlei anderen guten Speisen.186 Eine weitere Parallele zu El buen labrador ist die Allianz des ausbeuterischen und verschlagenen Hidalgo Alonso mit dem korrupten Schreiber, dem Escribano, der damit den corregidor als seinen Dienstherrn verrät. Der Adelige und der Schreiber schmieden eine Intrige, um zum einen Benigno aus dem Dorf zu vertreiben, zum anderen aber auch, damit der Preis für die beste Handarbeit, auf den die mittellose Leandra die besten Aussichten hat, Alonsos Tochter Ana zufallen möge.187 Damit torpedieren die Lasterhaften zugleich das sich anbahnende Eheglück zwischen Benigno und Leandra. Wie schon Cecilia verkörpert auch die Figur der Leandra die verfolgte Unschuld, ist sie doch eine ebenso fleißige wie tugendhafte Waise, die bei ihrem Onkel, dem Apotheker Antolínez lebt. Während Leandra ihre handwerkliche Begabung dazu nutzt, unermüdlich zu spinnen, haben es Alonso und der Schreiber darauf abgesehen, Leandras guten Ruf zu zerstören. Im 184 Vgl. Comella (1789: 19): „Benign. [...] no me desdeño quando / la humanidad me lo ordena / de dar á todos exemplo / [...] que yo degrado / mi caracter con aquestas / ocupaciones [...] es una idea errada, / y que ha habido y hay / Príncipes que no desdeñas / en los ocios del reynar / de las artes las faenas.” 185 Vgl. Comella (1789: 31): „[...] el / buen Juez / no distingue, en el santuario / de la justicia, de clases los sujeto [...] / [...] ¿Sabes tú / a quien representa un Juez? / Representa al Soberano.” Auch die hier bekundete Gleichheit vor dem Gesetz entspricht dem von Comella auch in El buen labrador inszenierten Gleichheitsgrundsatz. 186 Vgl. Comella (1789: 28). 187 Vgl. Comella (1789: 7). 622 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Zuge ihrer Intrige stellen sie sowohl Leandras castitas als auch ihre Redlichkeit in Frage. Damit steht insgesamt nicht weniger als ihre „reputación“188 auf dem Spiel, das in geschäftlichen Dingen – so auch im Ehehandel – höchste bürgerliche Gut, dessen Bedeutung hier bereits für die viri oeconomici Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada und Wilson aus Valladares‘ El fabricante de paños skizziert wurde. Wie bereits in Bezug auf die Weberin Cecilia ausgeführt, ist im Falle weiblicher Figuren und insbesondere dann, wenn es sich um eine handarbeitende femina fabra handelt, ihre Keuschheit eine notwendige Säule ihres guten Rufes. Ausgerechnet Leandra, die sich durch „gracia“, „aplicación“, „virtud“ und „modestia“189 auszeichnet, wird nun ein heimliches nächtliches Rendezvous unterstellt, das eigentlich die lasterhafte Adelstochter Ana mit dem umtriebigen Priester hatte, ein Handlungselement, durch das Comella seine Adelskritik mit der Kritik am Klerus kombiniert. Für die ‚Protagonistin der Produktion‘ Leandra steht mit ihrem guten Ruf zugleich ihre Existenz auf dem Spiel, kann sie ohne ein untadliges Ansehen doch kaum eine Ehe schließen, schon gar nicht mit jemandem von Benignos Rang und Namen. Damit nicht genug, ist sie schon allein deshalb in der moralischen Bredouille, weil sie ausgerechnet den Mann liebt, der nicht nur über das Preisgeld entscheidet, sondern auch über einen Gerichtsprozess, bei dem sie als Klägerin auftritt.190 So kann sie ihm ihre Gefühle nicht gestehen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, seine Entscheidung beeinflussen zu wollen. In einem ähnlichen Dilemma befindet sich Benigno als modellhafter191 und daher auch emotional unbestechlicher Verwaltungsbeamter. Auch er ist Leandra zugeneigt, urteilt ihr gegenüber aber umso härter, um 188 Vgl. Comella (1789: 27): „Leand. [...] si no hay quien me ampare / mi reputación de perder.” 189 Für alle hier genannten Tugenden Leandras, die Antolínez auflistet, vgl. Comella (1789: 21). 190 Vgl. Comella (1789: 16). Bei dem Prozess geht es um nichts weniger als um Leandras ökonomisches Wohl und Wehe: Ihr Vater hatte dem Tagelöhner Florencio Land verkauft, ohne dabei Leandra als erbberechtigte Tochter zu berücksichtigen. Nach dem Tod des Vaters beansprucht Leandra auf Drängen ihres geldgierigen Onkels Antolínez die auf Florencio übergangenen Felder, die auch er für das eigene Überleben dringend benötigt. 191 Vgl. Comella (1789: 3): „Sim. Se puede decir que sois / de Magistrados modelo.“ Modellhaft ist Benigno deshalb, weil er die Bürger den Adeligen gleichstellt. Auch hier findet sich der Demokratiegedanke Comellas, den wir bereits in El buen labrador herausgearbeitet hatten (vgl. Kap. 7.7.4). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 623 sich nicht dem Verdacht der Bevorzugung auszusetzen. Teil des sich schürzenden Knotens der Komödienhandlung ist in diesem Stück, dass Leandra von ihrem Onkel, der eine bürgerliche Präfiguration des kapitalistischen Gewinnmaximierers ist und dessen Sprache ganz und gar vom Ökonomischen affiziert ist,192 genötigt wird, Benigno zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Gewinn, den Antolínez sich davon verspricht, ist, dass ihm die Nichte nicht länger zur Last fällt, indem sie erstens das Preisgeld gewinnt und zweitens Benigno als gut verdienenden Kronbeamten heiratet. Davon erhofft sich der Apotheker auch eine Entschädigung für das für Leandra bereits aufgewendete Geld. Nicht nur die Ehe, auch die dabei im Spiel befindlichen Gefühle sind für den Apotheker Teil eines Tauschgeschäfts, denn Leandra soll Benigno seine Gefühle durch ihrer beider Eheschließung vergelten: „[...] / que tú le pagas su afecto, / y que estás pronta á premiarle / con un dichoso himeneo“193. Dass dies im Tausch gegen den Handarbeitspreis geschieht, zeigt das Verb „premiarle“, das an den von Benigno ausgesetzten „premio“ gemahnt. Teil des enredo ist eine Reihe von (Liebes-)Briefen, die für zusätzliche Verwicklungen sorgen, sodass es nach Außen den Anschein hat, als wäre Leandra tatsächlich unkeusch und durchtrieben, und das, obwohl sie sich in ihrer Aufrichtigkeit den zweifelhaften Ratschlägen des Onkels verweigert, Benigno auf der emotionalen Ebene zu bestechen. Freilich gehören die Liebesbriefe eigentlich Ana, Alonsos Tochter. Da Leandra dem Onkel nicht den gewünschten Ertrag einbringt, wird sie schließlich vor die Tür gesetzt und wähnt sich, kurz bevor alles ein gutes Ende findet, „sin estimación, sin bienes / sin domicilio y amparo / sin sentirse del delito / mi corazón agoviado“194. Ihre verzweifelte Situation setze sie, so schwant der Jungfrau, den „tiros fieros del voluptuoso osado“195 aus. In ihrer Verzweiflung fleht sie schließlich um himmlischen Beistand und droht dabei schon in die ökonomische 192 Vgl. Comella (1789: 8ff.). Antolínez bezeichnet Leandra Benigno gegenüber metaphorisch als „acreedora“, habe sie doch aufgrund ihres mittellosen Status als Waise einen Anspruch auf den Preis. Er spekuliert gegenüber Leandra auf mögliche Gewinne: „[...] que ganarás premio y pleyto“. Er spricht davon, „[que] economizar debemos“, und unterbreitet selbst dem ‚Himmel‘, also Gott, Geschäfte: „Pero al Cielo / en descuento de mis culpas / ofrezco estos vilipendios.“ 193 Comella (1789: 9). 194 Comella (1789: 29). 195 Comella (1789: 30). 624 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Metaphorik ihres Onkels zu verfallen, als sie den Himmel bittet, sie entweder auf der Stelle dahinzuraffen oder den ‚Bankrott‘, den ihr Ansehen erleiden musste, zu ‚minimieren‘196. Als Benigno schließlich in Stellvertretung des Königs („el cargo que el Rey me ha dado“197) zu der von den Frauen des Dorfes herbeigesehnten Preisverleihung schreitet, hat Leandra den Gerichtsprozess zwar bereits verloren, der von Alonso und dem Escribano eingefädelte Schwindel allerdings fliegt auf, sodass der verfolgten Tugend doch noch Gerechtigkeit zuteilwird: Als nämlich neben zwei für ihre Spinnkünste bekannten Dörflerinnen auch die in der Handarbeit ungeschickte Ana, Alonsos Tochter, für ihre Borten ausgezeichnet wird, weckt das das Misstrauen Benignos. Und tatsächlich erweist ein näherer Blick auf die Borte die Buchstaben „L – e – a – n“, sodass die Arbeit zweifelsfrei als Leandras identifiziert werden kann. Vom Vorwurf der Unkeuschheit befreit wiederum ausgerechnet Ana die gute Leandra und zeigt damit weibliche Solidarität, kann sie es doch nicht weiter mit ansehen, dass die Herzensgute, die ihr voller (naiver) Freude zu dem Handarbeitspreis gratuliert hatte, weiter unter dem Verdacht der sexuellen Umtriebigkeit steht.198 Damit fällt der von Benigno angekündigte „lauro / de laborioso“199 Leandra zu. Diese wird nicht nur durch den König mittelbar ausgezeichnet,200 sondern auch mit Benigno als Ehegatten gesegnet. Wie schon in La industriosa madrileña (vgl. Kap. 6.3.3) greift auch hier das Pastoratsprinzip, wenn die dem willkürlichen Adeligen Alonso scheinbar schutzlos ausgelieferten Dorfbewohner sich am Ende des Schutzes des aufgeklärten Kronbeamten sicher sein können. Dieser agiert als selbstloser ‚Hirte‘ seiner ‚Schafe‘ (die Dörfler selbst nennen ihn „nuestro padre“201 bzw. 196 Comella (1789: 30): „[...] El cielo santo / de una vez conmigo acabe, / ó minore mis quabrantos.“ 197 Comella (1789: 36). 198 Vgl. Comella (1789: 37): „Ana. Viendo su virtud no debo / dexar que padezca tanto / ved que ese papel es mío.” Damit auch Ana am Ende moralisch entlastet ist, heiratet sie schließlich den Priester, was möglich ist, da nicht alle Geistlichen im 18. Jahrhundert das Keuschheitsgelübde ablegen. Als der am Vertauschen der Handarbeiten Schuldige wird der Schreiber ausgemacht. Vgl. Comella (1789: 36). 199 Comella (1789: 35). 200 Vgl. Comella (1789: 35): „Coro. A recibir el premio / venga la aplicación / que la piedad dispensa / de nuestro protector. / Viva, viva, viva / nuestro protector.” 201 Comella (1789: 38). 8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen 625 „nuestro protector“202), als er das ihm vom König brieflich angebotene höchstrichterliche Amt in Granada ausschlägt und es stattdessen vorzieht, als aufgeklärter Stellvertreter des obersten Patriarchen der Nation weiter über seine ‚Herde‘ zu wachen, um der „soberbia“203 des Adels und dem „engaño“204 des Schreibers die geballte „virtud“205 des unparteiischen Richters entgegenzusetzen, die sich nun auch noch um die industria der tugendhaften femina fabra Leandra bereichert sieht. Anders als die femina oeconomica Doña Guiomar steht die Figur der femina fabra Leandra ganz im Zeichen der aufklärerischen Leitlinien von Häuslichkeit und Sentimentalität, als sie wiederholt himmlischen Beistand erfleht, unschuldig vor sich hin leidet und ihre inneren Kämpfe in soliloquios ausficht. Passiv harrt sie damit der göttlichen Gnade, während die resolute Guiomar unerschrocken zur Tat schreitet. 8.3. Zwischenbilanz: Femina oeconomica und femina fabra diesseits und jenseits aufklärerischer Paternalismen Während das altgriechische Nomen oikonomia, das Ursprung des modernen Begriff ‚Ökonomie‘ ist, vom grammatischen Geschlecht her weiblich ist,206 ist die durch die Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Handel repräsentierte Wirtschaft im aufklärerischen Verständnis männlich kodiert. In spanischen sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung zeigt sich dies anhand einer großen Mehrzahl an viri oeconomici, fabri und rustici gegenüber einer Minderzahl an feminae oeconomicae und feminae fabrae, wobei der Typus der femina rustica allenthalben in der Figur der Inés aus del Reys La modesta labradora angedeutet wird (vgl. Kap. 7.6.2). Was die Rolle von Frauen als wirtschaftliche Akteurinnen im Theater anbelangt, fügen sie sich mehrheitlich in das aufklärerische sentimentale und häusliche Weiblichkeitsideal. Eine von außen kommende, autark wirtschaftende und gänzlich 202 Comella (1789: 38). Comella (1789: 38). 204 Comella (1789: 38). 205 Comella (1789: 38). 206 Zur dediziert weiblichen Kodierung der oikonomia durch griechische Philosophinnen der Antike vgl. Reuthner, Rosa (2009): „Philosophia und oikonomia als weibliche Disziplinen in Traktaten und Lehrbriefen neupythagoreischer Philosophinnen“. In: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, 58, 4, pp. 416-437. 203 626 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien unsentimentale femina oeconomica wie Doña Guiomar ist eine Singularität, weshalb sie hier als ‚exzeptionelle femina oeconomica‘ identifiziert wurde. Die durch das spanische Theater der Spätaufklärung inszenierten feminae oeconomicae (Guiomar, Madama Sambrig) und feminae fabrae (Cecilia, Leandra) zeigen einmal mehr die Diskursverschränkungen zwischen der bourbonischen Reformökonomie, etwa den Vorschlägen eines Campomanes zur weiblichen Textilproduktion oder zu Forondas Konzept kaufmännischer Tugenden, und einem Theater, in das die Leitlinien des ökonomischen und kulturellen Reformprogramms der Krone vor allem auf interdiskursiver Ebene Eingang halten, was sich zuvorderst in den Figurenreden zeigt. Bemerkenswert ist, dass der Einfluss des ökonomischen Reformdiskurses nicht nur bei Autoren des regierungsnahen Reformtheaters wie Moratín und Iriarte spürbar ist, sondern auch in der Dramenproduktion volksnaher Dramatiker wie Valladares und Comella. Die hier untersuchten weiblichen Typisierungen des aufklärerischen Leitbildes weiblichen ökonomischen Agierens zeugen überdies von dem ‚von oben‘ ausgeübten politischen Druck. Dieser Druck bewirkt, dass Gálvez als eine von wenigen Dramatikerinnen den ästhetischen Schulterschluss mit den Neoklassikern suchen muss, um ihre alternative femina oeconomica in einem durch die Zensur gesteuerten Theaterbetrieb auf die Bühne bringen zu können. Gerade das Beispiel von Gálvez‘ Figur der Guiomar zeigt aber auch die Nischen, in denen alternative Weiblichkeitsentwürfe konturiert werden können. Möglich ist dies allein unter Voraussetzung, dass solche Alternativentwürfe erstens in das Tarnkleid des casticismo, also des Traditionellen, gehüllt sind, und dass die so gezeichneten Frauenfiguren zweitens den Preis zahlen, dass sie entweder vorübergehend als Männer getarnt sein müssen (wie Cecilia), oder gänzlich männliche Eigenschaften und Verhaltensweisen an den Tag legen müssen (wie Guiomar), um in ihrem wirtschaftlichen Agieren glaubhaft Autorität ausüben zu können. 9. TYPISIERUNGEN DER MISSWIRTSCHAFT: VIR PROFUSUS, FEMINA PROFUSA UND DIE PALETTE DER NORMVERLETZUNGEN Nachdem bisher die RepräsentantInnen eines im Sinne der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus und einer aufklärerischen Moralökonomie ‚guten Wirtschaftens‘ untersucht wurden, widmen wir uns nun männlichen und weiblichen theatralen Typisierungen der Misswirtschaft im Kontext der Politischen Ökonomie der spanischen Spätaufklärung. Auch bei diesen fällt auf, dass sie in Analogie zu den feminae oeconomicae und feminae fabrae sowie im Gegensatz zu den durch ihre Berufstätigkeit charakterisierten viri oeconomici, fabri und rustici nicht bestimmte Wirtschaftssektoren repräsentieren, sondern vielmehr für verschiedene Formen der Normverletzung stehen, von denen die bedeutsamste das Zuwiderhandeln gegen die staatlich verfügte Norm darstellt, dass jede/r Einzelne am opus magnum der felicidad pública mitwirken muss. Indem vir profusus und femina profusa die für ihren Figurentyp namensgebende Verschwendung betreiben, missachten sie das Gebot des guten und verantwortungsvollen Wirtschaftens im Dienste des Gemeinwohls. Wie bereits ausgeführt, wird die Gemeinschaft der Nation, deren Wohl die VerschwenderInnen aufs Spiel setzen, in den bestreffenden Stücken durch den oikos als wirtschaftlichem Mikrokosmos und Pars pro Toto der Nation repräsentiert. Dort richten der vir profusus bzw. die femina profusa monetären und sozialen Schaden an.1 Ihr Hang zur Misswirtschaft manifestiert sich in einem achtlosen, impulsiven und zum Exzess neigenden Umgang mit Finanzen, Ressourcen, Gefühlen und Zeit. Auch hier werden Wirtschaft und Moral aneinander gekoppelt, denn das schlechte 1 Wie Haidt (2003: 148) ausführt, sind gute haushälterische Fähigkeiten eine Geschlechternorm, die vor allem für Frauen als Hüterinnen des oikos gilt. 628 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Haushalten erscheint in den untersuchten Stücken stets als Folge eines lasterhaften Charakters. Wie schon die RepräsentantInnen des guten Wirtschaftens sind auch die VertreterInnen der Misswirtschaft Vehikel der Inszenierung einer modellhaften aufklärerischen Reform- und Moralökonomie. Indem die ‚guten WirtschafterInnen‘ in den hier untersuchten neoklassischen und sentimentalen Komödien über die schlechten ÖkonomInnen triumphieren, wird Wirtschaftsverhalten gemäß der reformökonomischen Norm belohnt, die Zuwiderhandlung hingegen bestraft. Ein weiteres Merkmal der im spanischen Theater ab 1750 inszenierten schlechten ÖkonomInnen ist, dass ihre wirtschaftliche und politische Normverletzung an eine ganze Palette weiterer Grenzüberschreitungen geknüpft ist. Erstens betrifft dies die Transgression von Geschlechternormen, wie sie etwa für den spanischen Mann durch das durch Virilität, Geselligkeit und Tugendhaftigkeit gekennzeichnete Ideal des hombre de bien gesetzt werden. Für die Frauen wiederum gelten die Verhaltensregeln keuscher Zurückhaltung, der Häuslichkeit in Form von Hausarbeit und Zurückgezogenheit sowie der Bescheidenheit, die ebenfalls überschritten werden. Zweitens kommt es zur Missachtung sozialer Normen: Dazu zählen 1. das Gebot des Respekts der Jugend vor dem Alter, das sich in Höflichkeit und Gehorsam niederschlägt; 2. das korrekte Verhalten bei der Brautwerbung; 3. die Wahrung der Klassengrenzen als Norm des Allianzdispositivs im Kontext einer feudalen Gesellschaftsordnung: 4. die Wahrung religiöser Normen durch ein Verhalten, das von wahrem Glauben und Demut zeugt. Sofern es sich bei den beiden Figurentypen des vir profusus und der femina profusa um junge Menschen handelt, sind sie bereits durch ihre Adoleszenz als Schwellenfiguren markiert. In diesem Falle befinden sie sich am Scheideweg zwischen dem rechten Pfad der Tugend und dem Holzweg des Lasters, auf dem sie bereits einige Schritte zurückgelegt haben. Wie sich dies in den vorausgehenden Kapiteln bereits angedeutet hatte, ist der Hang zur Normverletzung zumeist das Resultat einer fehlgeschlagenen Erziehung, was Korrekturversuche seitens des Figurentypus des Ordnungsstifters bzw. – wie im Falle von Gálvez‘ La familia a la moda – der Ordnungsstifterin hervorruft. Ein 9. Typisierungen der Misswirtschaft 629 hier bereits zur Sprache gekommenes Beispiel ist die Señorita malcriada Pepita aus Iriartes gleichnamigem Stück. Ihr impulsives, unbedachtes allzu zwangloses und verschwenderisches Verhalten – man denke an die Szene, in der sie die Kastagnetten achtlos in den Brunnen wirft (vgl. Kap. 6.1) – entspricht dem einer femina profusa. Insbesondere der vir profusus wird zuweilen durch Dritte korrumpiert und zur Normverletzung angestiftet, wofür ihn seine fehlgeleitete Erziehung anfällig macht, wie etwa Mariano, der señorito mimado aus Iriartes so betitelter Komödie. Neben diesen ‚Verführten‘ findet sich im spanischen Theater der Spätaufklärung eine Mehrzahl von viri profusi und feminae profusae, die ohne schlechte äußere Einflüsse durch und durch verdorben sind, was zumeist dann der Fall ist, wenn sie adeligen Geblüts und von Standesdünkel erfüllt sind, wie etwa Blasa aus Comellas El hombre agradecido, oder wenn sie – wie der Schuster Rafa aus Trigueros‘ Los menestrales – aus den durch das Feudalsystem gesetzten Standesgrenzen auszubrechen suchen, indem sie sich als Adelige ausgeben, was auch auf den Musik- und Tanzlehrer Trapachino aus Gálvez‘ neoklassischer Komödie La familia a la moda zutrifft. Diese Figur verdeutlicht neben dem Subtypus des petimetre bzw. der petimetra eine fünfte und letzte Form der Normverletzung: die der kulturellen Grenzüberschreitung. Der kulturellen Transgression machen sich die viri profusi und feminae profusae schuldig, indem sie entweder, wie im Falle des Italieners Trapachino, als Ausländer Moden und Gebräuche ihres Landes nach Spanien ‚importieren‘ oder indem sie, wie die petimetres und petimetras, ausländische Moden, Sitten und Gebräuche unhinterfragt übernehmen, ja geradezu danach gieren.2 2 Vgl. Kap. 3.2.2. Dass der petimetre die kulturelle Alterität des Nicht-Spanischen repräsentiert, habe ich auch in Schuchardt (2014: 271) ausgeführt. Diese Fremdheit ist bereits in dem Begriff selbst angelegt, der ein französisches Lehnwort ist. Die Bezeichnung petimetre stammt von dem französischen Begriff petit-maître. War dieser Terminus im Frankreich des 17. Jahrhunderts zunächst noch auf das eitle Erscheinungsbild des adligen Höflings bezogen, vgl. Haidt (1998: 111), schließt das sich im 18. Jahrhundert herausbildende spanische Lehnwort ebenso den Adel ein wie Mitglieder der sich als neue gesellschaftliche Kraft herausbildenden Bourgeoisie, aber auch Diener und Teile des arbeitenden Volkes. Vgl. Haidt (1999: 34). Haidts Einschätzung widerspricht der von Heße (2008: 161) vorgenommenen Zuordnung des petimetre zur Oberschicht, s.u. 630 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien 9.1. Geschlechtliche Normverletzung: der petimetre als Variante des vir profusus und Verkörperung transgressiver Männlichkeit Die wohl prominenteste männliche theatrale Typisierung der Misswirtschaft ist der petimetre, den unsere Studie als eine Variante des vir profusus identifiziert. Er ist, ebenso wie sein weibliches Pendant, die petimetra, ein im Theater – d.h. in der neoklassischen und sentimentalen Komödie sowie im sainete –, in der Prosa, etwa in Cadalsos Cartas marruecas3, sowie in der Presse wiederkehrender Figurentypus.4 Der petimetre bildet die Negativfolie des durch den bourbonischen Staatsapparat propagierten Männlichkeitsentwurfes, der sich im hombre de bien als Ideal des aufgeklärten und gebildeten spanischen Mannes kondensiert. Während der hombre de bien die Tugend der moderatio verkörpert, repräsentiert der petimetre die Todsünde der gula, der Völlerei, die sich nun nicht mehr im ungezügelten Genuss von Nahrungsmitteln, sondern im maßlosen Konsum von Waren niederschlägt, was auch für die petimetra gilt. Die durch die Moral der den petimetre in Szene setzenden Theaterstücke scharf gerügte, exzessive Neigung dieses Figurentyps zum Erwerb ausländischer, insbesondere französischer Luxusgüter und Textilien lässt explizite Bezüge zur merkantilistischen Kritik an der negativen Außenhandelsbilanz Spaniens und den protektionistischen Maßnahmen erkennen, die die bourbonische Politik zum Schutz des heimischen Marktes vor importierten Textilien und Accessoires ergreift. Während sich der vir oeconomicus als wahrer hombre de bien durch soziale Kompetenz, Philanthropie, die Fähigkeit zum Mitleid, Wissensdurst, Bildung und durch beruflichen ebenso wie durch privaten Erfolg auszeichnet,5 ist der petimetre ein mittelloser Egozentriker, der nicht sein eigenes Geld, sondern das der Anderen für seine modischen Eskapaden verprasst. Seine finanziellen Mittel muss er entweder ergaunern, sei es von gutgläubigen Menschen von außerhalb, sei es von Verwandten innerhalb des oikos, in dem er lebt. 3 Zum petimetre bei Cadalso vgl. Díaz Marcos (2006: 57ff.). Vgl. hierzu die Studie von Heße (2008). 5 Vgl. Schuchardt (2014: 270). Zur Konzeption des hombre de bien in den moralischen Wochenschriften vgl. Heße (2008: 113ff.). Vgl. außerdem Bolufer Peruga, Mónica (2007): „‚Hombres de bien‘: modelos de masculinidad y expectativas femeninas, entre la ficción y la realidad“. In: Cuadernos de Ilustración y Romanticismo, 15, pp. 7-31. 4 9. Typisierungen der Misswirtschaft 631 Mit dem ökonomischem Mikrokosmos der eigenen Familie gefährdet er zugleich das wirtschaftliche Gedeihen der Nation,6 zum einen, weil er fremdes Geld ausgibt, zum anderen, weil er selbst nicht arbeitet. Während die männlichen theatralen Typisierungen guten Wirtschaftens – der vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus – im Dienste der felicidad pública emsig an den Fundamenten des Hauses der spanischen Nation bauen, schaut der vir profusus in Gestalt des petimetre nicht nur untätig zu, sondern torpediert das Projekt aktiv. Heße kommt in ihrer Analyse der Darstellung des petimetre in den Moralischen Wochenschriften zu dem Schluss, dass es darin trotz aller modischen Exaltiertheit dieses Typus nicht um die Missbilligung eines bestimmten Lebensstils gehen könne, wenn sich dieser mit Uhren, Federn, Hüten und Gehstöcken sowie mit im Vergleich zur herrschenden Mode sehr kurzen Gehröcken schmücke. Vielmehr ziele das Problembewusstsein für die Effeminiertheit und Lethargie der spanischen Gesellschaft auf die Konstituierung einer neuen, aufgeklärten Männlichkeit [ab], deren ganzes Streben dem Gemeinwohl sowie dem sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt des Vaterlandes verpflichtet ist.7 Unter Bezugnahme auf das Wörterbuch der Real Academia von 1737 verweist Heße auf zwei den petimetre kennzeichnende Komponenten: die „kritikwürdige Bedachtsamkeit eines jungen Mannes auf Äußerlichkeiten“8 auf der Ebene der Figurenzeichnung und die „Angst vor Überfremdung“9 auf der metonymischen Ebene, da der petimetre eben dieses kulturelle, wirtschaftliche und geschlechtliche Fremde verkörpert. Mit dem petimetre werde überdies „ein Mann beschrieben, der mit seiner Neigung zu modischer Eitelkeit in eine bis dahin eindeutig weibliche Domäne einbricht“10. Heße charakterisiert den petimetre im Gegensatz zum hegemonialen Männlichkeitsideal des hombre de 6 So bemerkt Haidt (1998: 151) in Bezug auf den zeitgenössischen reformökonomischen Diskurs: „[...] Economists understood that home work was indeed productive in that the household was the minimum unit of governance, the smallest unit of what at the national level was an organized and flourishing economy.“ 7 Heße (2008: 175). 8 Heße (2008: 157). 9 Heße (2008: 157). 10 Heße (2008: 158). Diese Einschätzung teilt Heße mit Haidt, vgl. (1998: 107f.). 632 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien bien als „untergeordnete Männlichkeit“11. Gleichzeitig stellt sie seinen Hang zur „geschlechtliche[n] Grenzüberschreitung“12 heraus: Durch seine Effeminiertheit gerate die aristotelisch-teleologische Konzeption der Geschlechter ins Wanken, nach der das Weibliche nur eine unvollständige und daher minderwertige Variante des Männlichen sei. Damit verlören „beide Geschlechter [...] ihre bisherige Eindeutigkeit“13. Jehle bezeichnet den petimetre seinerseits als eine ‚hybride Subjektform‘14, die Antagonismen vereine. Dies geschehe wesentlich über das Äußere: Kleidung, Frisur und das habituelle Gebaren: „Im ästhetischen Erscheinungsbild des petimetre sind die großen gesellschaftlichen Gegensätze verdichtet: die der Klassen und Geschlechter sowie der Gegensatz von Stadt und Land.“15 Die petimetría sei überdies eine von Adel und gehobenem Bürgertum mit Verachtung betrachtete „kulturelle Verbrüderung mit sozialen Randgestalten“16, die man durch Erlasse zu unterbinden suche.17 Eine über Kleidung operierende Form sozialer Transgression betreiben nicht nur die petimetres, sondern auch die petimetras, indem sie – obgleich Angehörige der Oberschicht18 – in Kleidung und Verhalten die majos und majas der urbanen Unterschicht imitieren. Über die Figur des petimetre vollzieht sich die Kritik der neoklassischen Theaterreformer an Verhältnissen, „in denen populare [sic] Lebensweisen und Umgangsformen sich aus kirchlicher Vormundschaft ausgrenzen und auf die Oberklassen ausstrahlen“19. Aufgrund der Weigerung der modeversessenen und stilbewussten Männer und Frauen, ihr Konsumverhalten der merkantilistischen Doktrin anzupassen, kann die petimetría als Negierung der Leitlinien der Politischen Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus, und damit als passiver Protest gegen die 11 Vgl. Heße (2008: 166). Heße (2008: 167). 13 Heße (2008: 167). 14 Vgl. Jehle (2010: 194). 15 Jehle (2010: 194). 16 Jehle (2010: 191). 17 Jehle (2010: 191) verweist diesbezüglich auf einen Erlass vom 5. Mai 1784. 18 Vgl. Heße (2008: 161), s.o. 19 Jehle (2010: 192). Der Reiz, den der majismo auf den Adel ausübt, wurde in Kapitel 2 bereits skizziert. Zur Repräsentation von majas und majos in den sainetes Ramón de la Cruz‘ und den diesbezüglichen reformökonomischen Bezügen vgl. Hontanilla (2022). 12 9. Typisierungen der Misswirtschaft 633 gouvernementale Bevormundung betrachtet werden. Angesichts der Tendenz des petimetre zu normverletzendem und grenzüberschreitendem Verhalten soll die durch ihn metonymisch repräsentierte Männlichkeit hier als ‚transgressive Männlichkeit‘ bezeichnet werden. In gleicher Weise repräsentiert die petimetra, wie wir an späterer Stelle ausführen werden, eine Form der Weiblichkeit, die die ihrem Geschlecht gesetzten Grenzen überschreitet. Was den petimetre anbelangt, weist er trotz seiner geschlechtlichen Transgressivität keine homoerotischen Neigungen auf,20 sondern ist vielmehr darum bemüht, eine Ehefrau zu finden, die seinen extravaganten Lebensstil durch ihre (hohe) Mitgift finanziert. 9.1.1. Das Phänomen der petimetría im Kontext der aufklärerischen Luxusdebatte In der im 18. Jahrhundert in Spanien aufkeimenden Debatte um den Nutzen und Schaden von Luxusartikeln werden reformökonomische ebenso wie moralische und religiöse Argumente bemüht. Das diesbezügliche Für und Wider wird ebenso in der Literatur, etwa in Cadalsos Cartas marruecas (1789)21, verhandelt wie in der Presse, aber auch in ökonomischen und religiösen Traktaten. Hans-Joachim Lope identifiziert aufseiten der Befürworter des Luxus zwei Lager: Diejenigen, die aus makroökonomischer und merkantilistisch-protektionistischer Warte gegen importierte Luxuswaren Stellung beziehen und heimische befürworten, und die makroökonomisch denkenden Liberalisten, die für den Freihandel und folglich auch für die Einfuhr von ausländischen Luxusgütern plädieren, wie etwa Foronda.22 Campomanes, 20 Vgl. Haidt (1999: 72). Zur Luxusdebatte in den Cartas Marruecas vgl. Haidt (1998: 151ff.) sowie Lope (1992: 143) und Díaz Marcos, Ana María (2006): La edad de seda. Cádiz: Universidad de Cádiz, pp. 57ff. Zum Einfluss Montesquieus auf Cadalsos Haltung zum Luxus vgl. Martínez Mata, Emilio (2014): „Cadalso y Montesquieu: lujo y doux commerce“. In: eHumanista, 27, pp. 63-70. 22 Vgl. Lope, Hans-Joachim (1992): „¿Mal moral o necesidad económica? La polémica acerca del lujo en la Ilustración española”. In: Tietz, Manfred (ed.). La secularización de la cultura española en el Siglo de las Luces. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 129-150, hier p. 146 mit Bezug auf Foronda, Valentín de (1793c): „Disertación sobre la Nueva Compañía de Indias Orientales, leída en la Junta pública que celebró la Sociedad Bascongada 21 634 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien der das Thema gewohnt pragmatisch und mit Blick auf seinen Nutzen für die heimische Industrie betrachtet,23 gehört zu den makroökonomisch denkenden Protektionisten. In seinem Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento (1775) plädiert er für die königliche Förderung eines ‚nützlichen Luxus‘, der in der von ihm propagierten Heimarbeit und im Familienverbund, also in der industria rural dispersa, produziert werden soll.24 Die Argumentation ist biopolitisch, wenn der Minister Luxuswaren als Motor der Industrie und Basis für Bevölkerungswachstum anführt25, ein Standpunkt den er mit Romá y Rosell (s.u.) teilt. Sempere y Guarinos stellt in seiner Historia del lujo, y de las leyes suntuarias (1788)26 die Ambiguität von Luxuswaren heraus, die er als vicio útil, als ‚nützliches Laster‘, bezeichnet und letztlich befürwortet.27 Das Kreisen der Debatte um die Pole vicio und virtud führt Lope auf den Einfluss der Schriften David Humes zurück,28 deren Auswirkung auf die spanische Luxusdebatte María Elósegui Itxaso in ihrer Studie (1991) en détail nachweist.29 Ähnlich wie später Diderot30 unterscheidet schon Hume zwischen einem adeligen ‚Ostentationsluxus‘ (lujo de ostentación) und einem gemäßigten und eher dem bürgerlichen Lager zuzuordnenden ‚Kommoditätsluxus‘ (lujo de comodidad), der im el año de 1784, día de San Carlos en la villa de Vergara”. In: idem. Miscelanea, ó coleccion de varios discursos en que se trata de los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión del comercio. Madrid: Manuel González, pp. 42-61, hier p. 61: „[...] séamos comerciantes-filósofos y, desde luego, labraremos nuestra felicidad y la de Asia.” Dies ist die entgegengesetzte Haltung zu Campomanes, vgl. die nachfolgende Fußnote. 23 Vgl. hierzu Campomanes‘ (1975: 88f.) Äußerung zur Qualität französischer Stoffe in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular und sein gleichzeitiges Plädoyer für ein importverbot asiatischer Webwaren. 24 Vgl. Vicente, Marta M. (2006): Clothing the Spanish Empire: Families and the Calico Trade in the Early Modern Atlantic World. New York: Palgrave Macmillan, p. 74. 25 Vgl. Lope (1992: 142) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de (1775-1777): Discurso sobre la educación popular y su fomento, 5 vols., hier vol. I. Madrid: Sancha, pp. 339ff. 26 Vgl. Sempere y Guarinos, Juan (1973 [1788]): Historia del Lujo y de las Leyes Suntuarias de España, 2 vols., ed. facsimile Madrid: Atlas. 27 Vgl. Sempere y Guarinos (1973, II: 204). 28 Vgl. Lope (1992: 147). 29 Vgl. Elósegui Itxaso, María (1991): „Hume y la polémica sobre el lujo”. In: Taula, quaderns de pensament, 16, pp. 59-77. 30 Zum Luxusverständnis Diderots vgl. Strugnell, Anthony (1983): „Diderot on Luxury, Commerce and the Merchant“. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 217, pp. 83-93. 9. Typisierungen der Misswirtschaft 635 Gegensatz zum aristokratischen Gepränge das Resultat redlicher Arbeit sei und daher das individuelle und das öffentliche Glück miteinander in Einklang bringe.31 Mehr noch als dem Denken Humes ist Sempere y Guarinos allerdings Montesquieus L’Esprit des Lois (1748)32 verpflichtet. Für Montesquieu ist Luxus ein Indikator zivilisatorischen Fortschritts, ein teleologischer Prozess, den er anhand verschiedener Etappen der Menschheitsgeschichte – von der Jagd über Viehzucht und Ackerbau bis hin zum Handel – nachzeichnet.33 Montesquieus positive Haltung zum Luxus nimmt Bernard de Mandeville in seiner Fable of the Bees (1714) vorweg. Mandevilles Position ist allerdings weitaus radikaler ist als die Montesquieus, wenn Mandeville in ironischer Zuspitzung mit dem Luxus sogar Betrug und Hochmut rechtfertigt: „Fraud, Luxury and Pride must live / While we benefits receive.”34. Ein solches Denken ist der spanischen Luxusdebatte nicht zuletzt aufgrund ihrer 31 Vgl. Pérez Abril, Dora (2009): „Lujo, moda y modernidad en la prensa española del siglo xviii”. In: Res publica, 22, pp. 249-256, hier p. 251. Die Differenz zwischen beiden Formen des Luxus schlägt sich Pérez Abril zufolge in direkter Weise in Bernardo Joaquín Dánvila Villarrasa Lecciones de Economía civil (1779) nieder, wo Dánvila zwischen dem besagten lujo de comodidad und lujo de vanidad unterscheidet. Vgl. Pérez Abril (2009: 251, FN 2), mit Bezug auf Dánvila Villarrasa, Bernardo Joaquín (1779): Lecciones de Economía civil. Madrid: Joaquín Ibarra, ohne Angabe der Seite bei Dánvila. 32 Zu Montesquieus mehr als wohlwollender Haltung gegenüber dem Handel und seinen Luxusgütern vgl. Larrère, Catherine (1999): „Montesquieu: commerce de luxe et commerce d’économie”. In: Desgraves, Louis (ed.). Actes du colloque international tenu à Bordeaux, du 3 au 6 décembre 1998 pour commémorer le 250e anniversaire de la parution de ‚L’Esprit des lois’. Bordeaux: Académie Nationale des Sciences, Belles Lettres et Arts de Bordeaux, pp. 467-484. Zur französischen Luxusdebatte insgesamt vgl. Provost, Audrey (2014): Le luxe, les Lumières et la Révolution, insbesondere Kap. 6: „Les usages politiques du luxe et conclusion“. Champ Vallon: Seyssel, pp. 123-158. 33 Vgl. Martínez Mata (2014: 66) mit Bezug auf Montesquieu, Louis Sécondat de (21985): De l‘esprit des lois (1748). In: idem. Œuvres complètes, ed. Roger Caillois. Paris: Gallimard, p. 381. 34 Vgl. Volkmann, Laurenz (2017): „Der ehrbare Kaufmann vor Adam Smith. Streifzüge durch eine literarische Entstehungsgeschichte in Großbritannien“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Der ehrbare Kaufmann zwischen Bescheidenheit und Risiko. Wiesbaden: Springer, pp. 61-77, hier pp. 74f. Zu Mandevilles Bienenfabel vgl. Rommel (2006), pp. 13ff. and 63ff. In Bezug auf den Kontrast zwischen Montesquieu und Mandeville vgl. Rétat, Pierre (2013): „Luxury”. In: Dictionnaire Montesquieu. Quelle: http://dictionnaire-montesquieu.ens-lyon.fr/en/article/1376473009/en/, Zugriff: 15.03.2022, p. 4: „Mandeville vaunted the benefits of luxury and vanity, the harmony of individual interests, and denounced the moral falsity of noble honor [...] the sarcastic tone [Mandeville] often adopted no doubt was completely foreign to Montesquieu.“ 636 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien kulturell-religiösen Prägung durch den Katholizismus fremd, die bewirkt, dass auch die Befürworter des Konsums von Luxusartikeln stets darum bemüht sind, ihre Argumente in ein wirtschaftliches Für und ein moralisches Wider zu gliedern und das Thema so in der gebotenen Ambivalenz darzustellen.35 Ebenfalls 1788 erscheint ein paradigmatischer Beitrag der Luxusgegner, der anonym verfasste, vermutlich aus der Feder José de Espinosa y Bruns36 stammende und von Floridablanca an María Francisca de Sales Portocarrero, Condesa de Montijo (1754-1808), geschickte Discurso sobre el lujo de las señoras y proyecto de un trage nacional, in dem eine einheitliche Tracht für Damen verschiedener Stände angeregt wird, die es erlauben soll, den sozialen Rang einer Frau eindeutig erkennbar zu machen. Das Projekt wird von Floridablanca selbst angeregt, stößt aber auf den entschiedenen Widerstand37 der Junta de Damas, der die Condesa das Projekt auf Bitten Floridablancas vorstellt.38 Als Begründung für seinen Vorschlag einer Einheitstracht führt der Verfasser die moralische Korruption der Frauen durch Luxusartikel an, die Leidenschaften und Gier weckten. Zudem argumentiert auch er biopolitisch, indem er die Furcht vor einem Bevölkerungsschwund schürt, und merkantilistisch, indem er den aus importierten Luxuswaren entstehenden Schaden für die heimische Industrie als immens beziffert. 35 Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 113): „[...] dado que el lujo, que se solía entender desde una perspectiva moral como un aspecto negativo de la civilización, era visto, desde el aspecto económico, como un modelo de hacer avanzar la sociedad y de enriquecerla”. Dass Luxusgegenstände im 18. Jahrhundert auch bei religiösen Praktiken eine immer größere Rolle spielen, etwa bei der Einkleidung der bei den Osterprozessionen getragenen Marienfiguren, weist Alicia Andueza Pérez am Beispiel der Provinz Navarra nach. Vgl. Andueza Pérez, Alicia (2007): „Lujo y devoción: donaciones a los ajuares textiles de algunas Vírgenes navarras”. In: Cuadernos de la Cátedra de Patrimonio y Arte Navarro, 2, pp. 11-28. 36 Vgl. Aguilar Piñal, Francisco (1993): Bibliografía de autores españoles del siglo xviii, vol. III: D-F. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, p. 205. Dort wird Brun als Verfasser des Discurso político-económico sobre el luxo de las señoras y proyecto de un trage nacional genannt. Zum Beruf des Verfassers gibt Aguilar Piñal (ibid.) an, dass dieser Buchhalter in einer Tabakmanufaktur in Sevilla gewesen sei 37 Zur Ablehnung des Vorschlags einer Einheitstracht durch die Junta de Damas vgl. Bolufer (1998: 169). 38 Vgl. Andioc, René (2001): „Introducción“. In: Gálvez, María Rosa de. La familia a la moda, ed. René Andioc. Salamanca: Universidad de Salamanca, pp. 11-101, hier p. 91. 9. Typisierungen der Misswirtschaft 637 Aufseiten der Befürworter betont Romá i Rosell in Las señales de la felicidad de España y los medios de hacerlas eficaces (1768) nicht nur den Nutzen, sondern die Notwendigkeit des Luxus als Motor der heimischen Industrie.39 Auch Manuel de Aguirre hebt in seinem Discurso sobre el lujo (1787) die Vorteile von Luxusgütern für die spanische Nation hervor,40 bleibt dabei aber ganz der traditionellen Argumentationslinie verpflichtet, wenn er zugleich betont, dass Luxus aus christlicher Perspektive eine Quelle moralischer Korruption sei und daher eine Gefahr darstelle.41 Unter dem Einfluss von Adam Smiths Plädoyer für den wirtschaftlichen Nutzen von Luxusartikeln42 versucht zwischen 1781 und 1787 eine anonyme Gruppe von Luxusbefürwortern, unter denen die Forschung Reformökonomen wie Jovellanos und Samaniego ausgemacht hat,43 in der Moralischen Wochenschrift El Censor das Dilemma zwischen moralischer Verwerflichkeit und ökonomischem Nutzen des Luxus aufzulösen, indem sie darauf hinweist, dass die katholische Doktrin nur einen relativen, nicht aber einen absoluten Verzicht auf Luxusgüter vorschreibe. In der Argumentationslinie Humes und Diderots unterscheiden sie einen der felicidad pública zuträglichen und einen ihr abträglichen Luxus. Der Erstgenannte führe zur Erhöhung der Beschäftigung, der Produktivität und des Fleißes und sei daher wirtschaftlich ebenso wie sozial nützlich und begrüßenswert. Der Zweitgenannte ‚schlechte‘ Luxus hingegen sei ein Relikt des alten Systems, in dem untätige und sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernde Adelige die nationale Wirtschaft schädigten, indem sie 39 Vgl. Vicente (2006: 72). Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2000): „La apología ilustrada del lujo en España. Sobre la configuración del hombre consumidor“. In: Historia Social, 37, pp. 3-25. 41 Vgl. Díez Rodríguez (2000: 14). 42 Vgl. Vicente (2006: 74). 43 Vgl. Díez Rodríguez (2000: 18) mit Bezug auf Caso González, José Miguel (1989): „El Censor, ¿periódico de Carlos III?”. In: El Censor. Obra periódica, ed. por José Miguel Caso González. Oviedo: Universidad de Oviedo/Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii, pp. 755-799, ohne Seitenangabe: „Caso González mantiene la tesis de que la publicación [del Censor] se gestó en el círculo de los tertulianos de la condesa de Montijo, [...] recibió el pleno apoyo y la financiación de Carlos III y acogió, en sus páginas, las colaboraciones anónimas de los ilustrados más importantes de la época: la propia Condesa, Tavira, Estanoslao de Lugo, Urquijo, Samaniego, Meléndez Valdés, Jovellanos, etc.” Dass Jovellanos an der Serie beteiligt war, ist auch insofern wahrscheinlich, als er als Redakteur der Zeitschrift fungierte. 40 638 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien sich ihrer produktiven Funktion verweigerten.44 1789 schließlichveröffentlicht Manuel Romero de Álamo im Memorial Literario ein langes Traktat über den Luxus.45 Einer merkantilistisch-protektionistischen Dialektik folgend, differenziert auch er zwischen einem in wirtschaftlicher Hinsicht förderlichen Konsum heimischer Luxuswaren und einem als schädlich gebrandmarktem Konsum importierter Artikel. Diese Unterscheidung sei für Märkte umso bedeutsamer, je stärker ihre Industrien im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten seien.46 In einer zwischen 1787 und 1788 erscheinenden Serie im Correo de Madrid über das Wohl und Wehe von Luxusgütern resümiert Aguirre in der schriftlichen Auseinandersetzung mit einem anonymen Briefeschreiber die in der zeitgenössischen Debatte vorgebrachten Pros und Contras.47 Wie viele der Themen der spanischen Reformökonomie ist auch die Luxusdebatte kein Phänomen des 18. Jahrhunderts. Seit dem 15. Jahrhundert diskutieren spanische Moralisten, Philosophen, Kleriker und Politiker das Für und Wider von Luxusgütern, wobei die Luxusgegner vor 1750 bei weitem überwiegen. Schon in den 1630ern finden sich allerdings auch Apologeten des Luxuskonsums, wie etwa Arias Gonzalo mit seinem Memorial en defensa de las mujeres de España (1636)48, der die von den Moralisten, u.a. von Fray Tomás Ramón,49 ersonnenen 44 Vgl. Díez Rodríguez (2000: 18). Zur Argumentationslinie der im Censor abgedruckten, insgesamt neun Artikel zur Luxusthematik vgl. auch Elósegui Itxaso (1991: 67ff.). 45 Vgl. Martínez Chacón, Elvira (ed.) (1989): Efectos perniciosos del lujo: Cartas de D. Manuel Romero de Álamo al Memorial Literario (1789). Oviedo: Servicio de Publicaciones, zitiert in Díez Rodríguez (2000: 5ff.). 46 Vgl. Díez Rodríguez (2000: 10). 47 Vgl. Díez Rodríguez (2000: 11). Weitere literarische, journalistische, moralische und moraltheologische Beiträge zur spanischen Luxusdebatte beleuchtet Lope (1992: 129ff.). 48 Vgl. González Cañal, Rafael (1991): „El lujo y la ociosidad durante la privanza de Olivares; Bartolomé Jiménez Patón y la polémica sobre el guardainfante y las guedejas”. In: Criticón, 53, pp. 71-96, hier p. 67 mit Bezug auf Gonzalo, Arias (1636): Memorial en defensa de las mujeres de España y de los vestidos y adornos de que usan. Lisboa: Antonio Álvarez. 49 Dieser bemüht den Topos der mundo al revés, wenn er die Exzesse luxuriöser Anzüge und Schmuckstücke aufs Schärfste rügt. Vgl. González Cañal (1991: 76) mit Bezug auf Fray Tomás Ramón (1635): Nueva prematica de reformacion contra los abusos de los afeytes, calçado, guedejas, guardainfantes, lenguaje critico, moños, trajes y excesso en el 9. Typisierungen der Misswirtschaft 639 Vorschläge und Gesetze für Kleidungsvorschriften zurückweist und dafür plädiert, dass die SpanierInnen selbst entscheiden sollten, was sie tragen möchten. Ähnlich wie ihre Nachfolger im 18. Jahrhundert stören sich auch die Luxuskritiker des 16. und 17. Jahrhunderts an der Übernahme ausländischer Moden. Alonso Carranza etwa prangert in seinem Discurso contra malos trajes y adornos lascivos (1636)50 den guardainfante an, einen weit ausgestellten Rock, den Diego Velázquez (1599-1660) in seinem berühmten Gemälde Las Meninas (1656) verewigt hat. Carranza zufolge ist diese aus Frankreich stammende ‚diabolische Erfindung‘ ideal dazu geeignet, ungewollte Schwangerschaften zu verheimlichen, woher auch der französische Name rührt.51 Die Positionen der Luxuskritiker von 1500 bis 1800 ähneln einander darin, dass sie moralische und ökonomische Bedenken gegen einen Luxuskonsum äußern, der sich zunächst über Kleidung und Mode und dann über neue Praktiken der Körperpflege – Frisuren, Rasuren, Kosmetik, Parfums – manifestiert. So liest man im Guzmán de Alfarache (1599) eine ironische Beschreibung der Galane, die mit ondulierten Haartollen herumstolzieren, die Hände mit Hilfe von Pülverchen, Seifen und Tinkturen und ‚anderen Schweinereien‘ (s.u., meine Übersetzung) sorgsam pflegen, und überhaupt mit allerlei Pomp ausgestattet sind, der sonst nur Frauen zugestanden wird: Traía copete y sienes ensortijadas. Si esto era propio, no fuera justo, dándoselo Dios, que se tiznara la cara ni arrojara en la calle semejantes prendas. Pero si es verdad, como dices, que se valía de untos y artificios de sebillos, que los dientes y manos, que tanto loaban, era a poder de polvillos, hieles, jabonetes y otras porquerías, confesársete cuanto dél dijeres y seré su capital enemigo y de todos los que cosa semejante tratan; pues demás que son actos de afeminados maricas, dan ocasión para que dellos murmuren y se uso del tabaco: fundada en la divina escritura y dotrina de los Santos Padres para todos estados necessaria. Zaragoza: Diego Dormer. 50 Vgl. González Cañal (1991: 74) mit Bezug auf Carranza, Alonso (1636): Discurso contra malos trajes y adornos lascivos. A Felipe IV, el mayor Señor del Orbe y a sus supremos Consejos de Justicia y Estado. Rogación en desestación de los grandes abusos en los trajes y adornos nuevamente introducidos en España. Madrid: María de Quiñones. 51 Vgl. González Cañal (1991: 79) mit Bezug auf Carranza (1636: fol. 22): „[...] porque lo ancho y pomposo del traje, que comienza con gran desproporción desde la cintura, les presta comodidad para andar embarazadas nueve y diez meses, sin que desto puedan ser notadas, [...], y con este se le dio el nombre de guard enfant, por el efeto.” 640 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien sospecha toda vileza, viéndolos embarrados y compuestos con las codas tan solamente a mujeres permitidas. 52 In dieser Passage tritt die Besorgnis über die Effeminierung spanischer Männer durch Praktiken der Mode und der Körperpflege ebenso deutlich zu Tage wie in den reformökonomischen, journalistischen und literarischen Inszenierungen des petimetre. Sowohl bei der Kritik am effeminierten Galan des 17. Jahrhunderts als auch in der Charakterisierung des petimetre als geschlechtlichem Grenzgänger kommt es zu einer Verknüpfung zwischen der ‚Verweiblichung‘ des Mannes und dem Laster der Faulheit, schließen sich körperliche oder geistige Arbeit und die Investition in das äußere Erscheinungsbild doch dem zeitgenössischen Verständnis nach aus.53 Wie schon im Falle des petimetre münden die ‚übertriebene‘ und damit ‚unmännliche‘ Körperpflege sowie die modische Selbstinszenierung des Galans auch im 17. Jahrhundert in das Aufkommen eines satirischen theatralen Typus des marión, den Luis Quiñones de Benavente (1581-1651)54 im Entremés del marión (o.J.) persifliert.55 Bereits in den Debatten des 17. Jahrhunderts spielt modische Kleidung also als Mittel der geschlechtlichen Transgression eine Rolle. Nicht erst seit dem 15. Jahrhundert ist Mode ein bedeutender Marker sozialen Status. Daher befürchten schon Moralisten wie Tomás de Torquemada (1420-1498) angesichts der allgemeinen Tendenz zu opulenter Kleidung eine Aufweichung der bislang hart verlaufenden Standesgrenzen, da Adelige und reiche Bürger optisch kaum mehr unterscheidbar seien.56 52 Vgl. González Cañal (1991: 91) mit Bezug auf Alemán, Mateo (1983): Guzmán de Alfarache, ed. Francisco Rico. Barcelona: Planeta, pp. 121f. 53 Für das 17. Jahrhundert zeigt dies das Beispiel Bartolomé Jiménez Patóns und seines Discurso de los tufos, copetes y calvas (1639). Vgl. González Cañal (1991: 90) mit Bezug auf Jiménez Patón, Bartolomé (1639): Discurso de los tufos, copetes y calvas. Baeza: Juan de la Cuesta, fol. 40. 54 Lange Zeit galt Francisco de Quevedo (1580-1645) als Autor dieses entremés. Zu den Gründen, die für eine Autorschaft Benaventes sprechen, vgl. Tobar Quintanar, María José (2017): „El marión, entremés en dos partes atribuido a Quevedo: cuestiones de subgénero, datación y autoría“. In: Analecta Malacitana, 42, pp. 31-56. 55 Vgl. González Cañal (1991: 94) mit Bezug auf Cotarelo y Mori, Emilio (1911): Colleción de Entremeses. Loas, Bailes, Jácaras y Mojigangas, vol. II. Madrid: Bailly, p. 723a. 56 Vgl. González Cañal (1991), p. 75 mit Bezug auf Rodríguez Cacho, Lina (1989): Pecados sociales y literatura satírica en el siglo xvi: los „Coloquios” de Torquemada. Madrid: U.A.M, p. 137: „[...] entre los escritores del siglo xvi, los nuevos usos y costumbres 9. Typisierungen der Misswirtschaft 641 Der 1788 präsentierte Vorschlag einer nationalen Einheitstracht für Damen deutet darauf hin, dass es in der aufklärerischen Luxusdebatte weder allein um merkantilistische noch um moralische oder religiöse Argumente geht. Was mit dem Aufstieg des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neuerlich auf dem Spiel steht, ist die Funktion von Mode als Mittel sozialer Distinktion,57 da die Verfügbarkeit von Luxusartikeln für jene, die es sich leisten können, auch hier zur äußerlichen Ununterscheidbarkeit von Adeligen und Bürgerlichen führt. Wie gezeigt werden konnte, thematisieren Stücke wie Trigueros‘ Los menestrales den aus adeliger Sicht bedrohlich erscheinenden Umstand, dass sich der gesellschaftliche Rang mit dem finanziellen Aufstieg des berufstätigen Bürgertums zunehmend an dem zur Verfügung stehenden Kapital bemisst.58 Der steigende Wohlstand ermöglicht nun auch begüterten Kaufleuten, Unternehmern, ja sogar (männlichen) Handwerkersmeistern die Ostentation durch Kleidung (vgl. Kap. 7.3.2) und exquisite Einrichtungsgegenstände (Kapitel 5.3.).59 Konsumwaren gewinnen zunehmend die Funktion, Ausdruck von Individualität und Entscheidungsfreiheit zu sein, ein Umstand, der den Reformern angesichts der revolutionären Entwicklungen in Frankreich ein Dorn im Auge ist. Bei der Oberschicht verstärkt die bürgerliche Ostentation das Bedürfnis, sich optisch zu distanzieren, was die Bürgerlichen ihrerseits veranlasst, ebenfalls mehr in Äußerlichkeiten zu investieren. Dies löst einen regelrechten Ansturm auf die neueste, eleganteste und ausgefallenste Mode und die dazu passenden Accessoires aus,60 was nicht nur den bereits beschriebenen Boom preocuparon bastante más por la confusión social y el peligro de indistinción de clases que acarreaban”. Vgl. auch González Cañal (1991: 93ff.) sowie Bolufer (1998: 186; 200). 57 Die These von der Bedeutung von Kleidung für die soziale Unterscheidbarkeit stützt Elósegui Itxaso (1991: 65): „De este modo se transluce las graves incidencias socio-políticas de quienes atacaban el lujo en todas las clases sociales alegando como motivo que el lujo igualaba a la sociedad, lo que se considera indignante; si se generalizaban una serie de prendas y modos de vestir ya no se podía distinguir al rico del pobre por su porte exterior.” 58 Vgl. Bolufer (1998: 186; 200). 59 Zur Selbstdarstellung des Bürgertums durch Einrichtungsgegenstände vgl. auch die bereits erwähnte Studie von García-Fernández (2011). 60 Dass sich Prozesse sozialen Wandels an einem veränderten Konsumverhalten ablesen lassen, zeigen Torras Elías, Jaume/Yun Casalilla, Bartolomé (2003): „Historia del consumo e historia del crecimiento. El consumo de tejidos en España, 1700-1850”. In: Revista de Historia Económica, 21, pp. 17-41, hier p. 37, die ab den 1750er Jahren einen 642 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien des Gebrauchtkleidermarktes begründet, sondern auch die Luxusdebatte neu entfacht. Im Kontext der petimetría als urbanem und höfischem Phänomen61 wird die modische Fusion mit den Unterschichten, den ebenfalls genuin urbanen Figuren des majo und der maja, zur Zielscheibe der Kritik derjenigen, die nicht ohne Grund eine Nivellierung sozialer Differenzen durch das ‚System Mode‘62 befürchten, ein Verwischen von Klassengrenzen, das seinerseits das Kapital als neues Mittel sozialen Aufstiegs affirmiert. Damit ist die Gesellschaft der spanischen Spätaufklärung an der Schwelle zum Kapitalismus angelangt. Analog dazu konstatieren Jaume Torras Elías und Bartolomé Yun Casalilla für das Spanien des 18. Jahrhunderts eine messbare ,Merkantilisierung sozialer Beziehungen‘63 und für bürgerlich dominierte urbane Zentren wie Barcelona und Madrid einen Verlust des ‚adeligen Luxusmonopols‘64. In ihrem Verlangen nach ausländischen Luxusgütern65 ist die transgressive geschlechtliche Figur des petimetre als eine Manifestation des vir profusus das Kondensat des kulturell, sozial und geschlechtlich Suspekten. In dieser Figur kreuzen sich die Furcht vor der sozialen Ununterscheidbarkeit und die Angst vor der geschlechtlichen In-Differenz, was von den ab 1750 sich abzeichnenden gesellschaftlichen und sexualnormativen Veränderungen zeugt.66 Gerade weil der Typus des petimetre diffuse Ängste verdichtet, muss er in den Augen von Moralisten und Reformökonomen nicht nur moralisch verurteilt und juristisch verfolgt, sondern überdies der Lächerlichkeit preisgegeben werden, um dieser suspekten Gestalt ihren Schrecken zu nehmen. Wie „creciente consumo de textiles” beobachten. Dieser steht im Kontext einer zunehmenden Differenzierung von Produkten im Textilsektor, die bei den VerbraucherInnen Bedürfnisse weckt und den Konsum zusätzlich anstachelt. Marktführend sind dabei, das bestätigen auch die Autoren dieses Artikels, zunächst englische Webwaren wie die in Kapitel 2 schon erwähnten new draperies. Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 24f.). 61 Vgl. Heße (2008: 164f.). 62 Vgl. Barthes, Roland (2015): Système de la mode. Paris: Seuil. 63 Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 26), meine Übersetzung, wo von „una creciente mercantilización de relaciones sociales” die Rede ist, die sich an der Beschaffenheit und den Preisen der durch bestimmte soziale Schichten erworbenen Waren und Güter ablesen lässt. 64 Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 27), meine Übersetzung. Dort ist vom „monopolio del consumo suntuario” die Rede. 65 Vgl. Haidt (2003: 148). 66 Vgl. Bolufer (1995: 252). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 643 der folgende Abschnitt zeigen wird, ist es die in geschlechtlicher und kultureller Hinsicht als fremdartig empfundene Präsenz des petimetre, die im Fokus der theatralen Satire steht. 9.1.2. Kulturelle Normverletzung: Der vir profusus als Verkörperung merkantilistisch motivierter Xenophobie Die Angst vor der Überschwemmung des heimischen Marktes durch ausländische, insbesondere durch französische Waren mündet im Falle der theatralen und journalistischen Darstellungen des petimetre in eine regelrechte Xenophobie, die es notwendig erscheinen lässt, das Französische – sei es die Mode, seien es die nach französischen Modeartikeln gierenden petimetres und petimetras, die französische Lebensart oder die Franzosen selbst – der Lächerlichkeit preiszugeben. Zahlreiche Beispiele finden sich nicht nur im neoklassischen Theater, sondern auch und vor allem in der Kurzgattung des sainete, so auch in Comellas Saynete67 nuevo: El alcalde proyectista. Dort äußert ein durch sein mangelhaftes Spanisch und französische Spracheinsprengsel als Franzose markierter Modist: Mod. O usté estar muy engañados: yo hacer los zorros, las batas, los gorros, los cacafalcos, y os turcos; [...]. [...] Y yo sacar muchos quartos del luxo español con esto, y luego à Francia llevarlos.68 Wie schon in Comellas El hombre agradecido wird auch hier die Thematik von Aktiv- und Passivhandel aufgeworfen, dieses Mal allerdings nicht aus der Sicht des spanischen ‚Verlierers‘, sondern aus der Perspektive des französischen Profiteurs, der an der Konsumsucht der spanischen VerbraucherInnen seine rege Freude hat und ihnen das 67 Neben der neoklassischen Komödie ist es die Kurzgattung des sainete, die den petimetre am häufigsten inszeniert. 68 Comella (o.J.: 8). 644 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien ‚Geld‘ faktisch ‚aus der Tasche zieht‘ („sacar muchos quartos“). Bemerkenswert ist, dass es trotz der Beliebtheit der aus England und Holland importierten new draperies (vgl. Kap. 2) kaum theatrale Figuren gibt, die Vertreter des englischen oder holländischen Textilwarenhandels zur Zielscheibe des Spotts machen. Dies mag an der unmittelbaren Nachbarschaft zwischen Frankreich und Spanien und den zahlreichen Kriegen liegen, die Spanien vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte mit dem Nachbarn führt. Dass England Frankreich auf dem Gebiet textiler Innovationen im 18. Jahrhundert überlegen und in Europa marktführend ist,69 legt allerdings nahe, dass die Schelte des spanischen Theaters gegen Frankreich und seine Luxuswaren nicht allein in merkantilistischen Besorgnissen wurzelt, sondern überdies mit den zahlreichen Invektiven französischer Aufklärer gegen die spanischen Rückständigkeit in Zusammenhang steht.70 Wie sich im Folgenden zeigen wird, sind in diesem Kontext auch die politischen Entwicklungen im vor- und nachrevolutionären Nachbarland von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wenn Witthaus in Bezug auf den ersten „Discurso preliminar“ (1754) von Graefs Discursos mercuriales (1751-1754 und 1755-1756) konstatiert, dass Ausländer dort als Widersacher wahrgenommen werden, die die Existenz Spaniens gefährden, deckt sich dies mit der Perspektive der Mehrzahl von Graefs Zeitgenossen. Aus Graefs Sicht bedrohen Ausländer die Existenz Spaniens, „indem sie [...] zumeist als falsche Ratgeber und schlechte Ärzte Spanien seinem Elend überlassen und damit im europäischen Kontext übervorteilen“71. Die Eigenschaft, schlechte Ratgeber zu sein, weisen auch die in spanischen Komödien der Spätaufklärung auftretenden ausländischen Figuren auf, beispielsweise der italienische Tanzlehrer Trapachino aus La familia a la moda. Dass neben Franzosen auch Italiener72 im spanischen Theater als lächerliche Figuren figurieren, erklärt sich durch den Einfluss von Elisabetta Farnese (1694-1766) alias Isabel de Farnesio, der Gattin 69 Das Angebot britischer Hersteller ist variantenreicher und modischer als das anderer Anbieter. Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 24): „Es ahora bastante claro que durante la mayor parte del siglo xviii dominó en la industria textil británica este tipo de innovación, que diversificaba los productos sin salir del marco técnico establecido.” 70 Vgl. Tschilschke (2009), s.o. 71 Witthaus (2008: 276). 72 Heße (2008: 159) zufolge karikiert der Typus des petimetre den französischen in Verbindung mit dem italienischen Lebensstil. 9. Typisierungen der Misswirtschaft 645 Felipes V., die neben dem beim Volk äußerst unbeliebten Minister Esquilache einen ganzen Stab italienischer Berater an den spanischen Hof beruft.73 Auf den Einfluss dieser ‚italienischen Fraktion‘ geht auch die Beliebtheit der Oper in höfischen Kreisen zurück, die von Italienern komponiert und inszeniert wird. Dem elitären Spektakel der Oper, das von der breiten Masse des Volkes als Anzeichen eines ‚italienischen Kulturimperialismus‘ betrachtet wird, setzen spanische Dramatiker und Komponisten die zarzuela als eine Form des Musiktheaters entgegen, die durch Ramón de la Cruz populär gemacht wird, das „Selbstbewusstsein der unteren Klassen“74 kristallisiert und bis heute als Essenz volkstümlicher spanischer Identität gilt. Der Tanzlehrer Trapachino ist nur eines von vielen Beispielen für den Typus des durchtriebenen, geldgierigen und doppelzüngigen Ausländers, der bei den Spaniern Bedürfnisse nach Überflüssigem weckt. Auch dieser Figurentypus ist mit seinem lasterhaften Charakter, seiner Misswirtschaft und seiner wenn auch nicht transgressiven, so doch devianten Männlichkeit,75 eine Variante des vir profusus. Vom hegemonialen Männlichkeitsideal der spanischen Aufklärung weicht er insofern ab, als er durch das doppelte Spiel, das er treibt, der Redlichkeit des vir oeconomicus entgegensteht. Während sich der vir oeconomicus und hombre de bien nicht scheut, unliebsame Wahrheiten auszusprechen, heuchelt der vir profusus in Gestalt des zwielichtigen Ausländers Sympathie, weil er sich davon einen finanziellen Vorteil erhofft. Dies zeigt sich in La familia a la moda deutlich im Verhalten Trapachinos gegenüber der femina oeconomica Doña Guiomar: Obwohl aus seinen Repliken deutlich hervorgeht, dass er die resolute Dame verabscheut – er bezeichnet sie als „vieja asquerosa“76 und gibt an, dass er ihr ‚aufgeblasenes‘77 Gehabe nur schwer ertragen könne –, macht er ihr von dem Moment an den Hof, in dem er Wind davon bekommt, dass die wohlhabende Witwe in Erwägung zieht, erneut zu heiraten. Bei 73 Eine ebenso ausführliche wie erhellende Analyse des italienischen Einflusses auf Politik, Ökonomie und Gesellschaft im 18. Jahrhundert in Spanien nimmt Gittermann (2008) vor, vgl. insbesondere pp. 29-92 und 205-285. 74 Jehle (2010: 165). 75 Den Begriff der ‚devianten Männlichkeit‘ beziehe ich von Wolters, Nicholas A. (2015): „Fashioning the Deviant Male Body in Tomás de Iriartes El señorito mimado“. In: Romance Notes, 55, 2, pp. 163-173. 76 Gálvez (2001: 159, v. 5). 77 Vgl. Gálvez (2001: 159, v. 7): „sufrir su maldito flato“. 646 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien seiner Brautwerbung bedient er sich einer metaphernreichen, blumigen und barocken Sprache,78 die die scharfzüngige Guiomar treffend als „conveniente [...] / a un galán de Calderón“79 bezeichnet, bevor sie trocken nachsetzt, Trapachino habe weniger schwülstig gesprochen, als er sie einst um Geld gebeten habe: „mas de las dos onzas de oro / me hablabais muy llanamente“80. Damit gibt sie zu erkennen, dass sie den Schwindler durchschaut. Dieser hat es nicht nur auf Guiomars Vermögen abgesehen, sondern ist noch dazu ein rechter Schwerenöter, der neben Madama Pimpleas und ihrer Tochter Inés auch der Dienerin Teresa nachstellt.81 Diese sexuelle Maßlosigkeit steht der temperantia als Tugend des vir oeconomicus entgegen und ist ein Merkmal devianter Männlichkeit. Trapachino wird bereits bei seinem ersten Auftritt explizit auktorial als lächerlicher Ausländer ausgewiesen, wenn es im Nebentext zu Beginn der elften Szene des ersten Aktes hinsichtlich des Auftritts der Figur heißt: „[...] Trapachino vestido ridiculamente a la italiana“.82 Auch dass Trapachino dem Sprössling der Familie, Faustino, Musik- und Tanzunterricht gibt, weist ihn als suspekten Vermittler neuer Moden aus. Heße zufolge ist es die „andauernde habituelle Verunsicherung adeliger Männlichkeit“83 im 18. Jahrhundert in Spanien, die diese anfällig für neue und ungewohnte Praktiken macht, was sich in einer erhöhten Bereitschaft manifestiert, fremde Sitten und Gebräuche zu übernehmen,84 darunter Tänze, Moden und Ausdrücke. Im aufklärerischen Spanien, wo die Angst vor Überfremdung allgegenwärtig ist,85 stößt dies nicht nur seitens der Konservativen, sondern auch seitens der Theaterreformer, die sich kurioserweise selbst wesentlich am französischen klassischen Theater und an der französischen sentimentalen Komödie orientieren, auf Ablehnung. Diese aus der Verunsicherung tradierter Männlichkeitsideale resultierende Xenophobie erklärt die ins Gewand der Satire gekleidete Präsenz von Tanz-, Benimm- und 78 Vgl. Gálvez (2001: 227ff.). Gálvez (2001: 228f., vv. 362 u. 370). 80 Gálvez (2001: 229, vv. 365f.). 81 Zur Liebelei zwischen Trapachino und Teresa vgl. Gálvez (2001: 255, vv. 765f.). Zu Trapachinos Schwerenöterei vgl. Gálvez (2001: 159, vv. 9ff.). 82 Gálvez (2001: 149). 83 Heße (2008: 166). 84 Heße (2008: 166). 85 Vgl. Heße (2008: 166). 79 9. Typisierungen der Misswirtschaft 647 Musiklehrern (nicht nur) im neoklassischen spanischen Theater des 18. Jahrhhunderts. Auch hier ist die Verlächerlichung ein probates Mittel des Umgangs mit einem Fremden, das verunsichert. Die Ängste sind darin begründet, dass die ausländischen ‚Lehrerfiguren‘ nicht nur als Vermittler ihrer jeweiligen Disziplin (Musik, Gesang, Tanz, Mode) fungieren, sondern zugleich unliebsame Verbreiter neuer Umgangsformen sind, die bestehende Traditionen abzulösen und außer Kraft zu setzen drohen. In diesem Sinne ist der unterrichtende Ausländer ein Gefährder der bestehenden Ordnung. Theatral manifestiert sich dieses Bedrohungsempfinden in der analogen Zeichnung von Lehrer und Schüler: Da Trapachino moralisch verkommen ist, fällt auch sein Faustino negativ auf, und zwar durch nachlässige Kleidung und mangelnde Körperhygiene.86 Wohin die Unterweisung in ausländischen – in diesem Falle englischen87 – Tänzen führt, illustriert in La familia a la moda eine durch und durch komische Szene, in der Faustino in Ermangelung einer Partnerin mit einem Stuhl um seinen Vater herumtanzt,88 der seinerseits bemüht ist, eine Liste seiner Spielschulden anzufertigen und dabei wie ein Schulkind wirkt, das sich mit den Rätseln höherer Mathematik herumplagt. Diese Szene führt performativ vor Augen, dass im Hause Pimpleas der Wahnsinn das Zepter führt. Wahnwitzig muten auch Trapachinos Geschichten an, in denen er sich als untergetauchter Prinz89 ausgibt, der aufgrund eines mysteriösen Vergehens aus seiner Heimat verbannt wurde. Dieses Märchen stößt bei der leichtgläubigen Familie Pimpleas auf ein dankbares Publikum, wohingegen die lebenskluge femina oeconomica Guiomar der barock ausgeschmückten Geschichte keinen Glauben schenkt, sondern in Trapachino einen flüchtigen Verbrecher vermutet.90 Auch Guiomar ist allerdings nicht davor gefeit, dem durchtriebenen Italiener auf den Leim zu gehen, kauft sie ihm doch für zwei Goldunzen eine Uhr ab, 86 Vgl. Gálvez (2001: 123f.), Akt I, Szene 3. Faustino tritt in schmutziger Kleidung und mit zerzaustem Haar voller Stroh auf. Zudem ‚stinkt er wie die Pest‘, wie Guiomar anmerkt, vgl. Gálvez (2001: 124, v. 142.), meine Übersetzung. 87 Vgl. Gálvez (2001: 195, v. 626). 88 Vgl. Gálvez (2001: 197, vv. 628ff.). 89 Vgl. Gálvez (2001: 151, vv. 646 sowie 227, vv. 339ff.). 90 Vgl. Gálvez (2001: 151, vv. 640ff.). 648 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die nur zwei Peseten wert ist.91 Dieses kleineren Erfolges unbeachtet ist der Italiener ein Repräsentant wirtschaftlichen Misserfolges: Nicht nur hatte Trapachino Faustino ein Jahr lang Musikunterricht erteilt, ohne dafür bezahlt worden zu sein, auch wird er von einer „gavilla fiera / de fastidiosos ingleses“92 verfolgt, von einer ‚wilden Bande‘ englischer Gläubiger (meine Übersetzung). Die Engländer figurieren somit zumindest in Trapachinos Fabulierereien als Kaufleute und Geldverleiher, mit denen nicht zu spaßen ist. 9.1.3. Korrumpierte Jugend oder libertinage? Die Figur des Mariano aus Iriartes El señorito mimado, o la mala educación (1787) Die titelgebende Figur des Mariano aus Tomás de Iriartes El señorito mimado erfüllt die Eigenschaften des vir profusus in exemplarischer Weise. Der junge Mann von zwanzig Jahren fällt durch normverletzendes Verhalten auf, das die soziale, geschlechtliche und ökonomische Ebene betrifft. In Ermangelung einer im aufklärerischen Sinne guten – d.h. einer strengen und konsequenten – Erziehung, ist er zum einen durch andere korrumpiert, durch die allzu nachsichtige Mutter93 ebenso wie durch die betrügerische Witwe Doña Mónica. Zum anderen zeigt sich in seinem Wunsch nach Selbstbestimmung aber auch ein unbändiger Freiheitsdrang. Soziale Normen überschreitet Mariano, indem auch er sich entgegen der Vorgaben des Männlichkeitsideales des hombre de bien verhält: Er lügt, betrügt und faulenzt; Mutter und Onkel behandelt er respektlos; ein ihm von seiner Verlobten Flora anvertrautes Liebespfand, ein Miniaturporträt ihrer selbst, verspielt 91 Vgl. Gálvez (2001: 253f., vv. 755ff.) sowie die in der Ausgabe von Andioc (2001: 254), erklärend angebrachte Fußnote. 92 Vgl. Gálvez (2001: 160, vv. 27ff.). 93 Marianos nachsichtige Erziehung wird durch seine Mutter, Doña Dominga, durch Don Christóval, den aus Amerika heimgekehrten Onkel, sowie durch den Diener Pantoja zum Ausdruck gebracht. Vgl. Iriarte (1972: 624): „D. Christ. Nó, Amiga: contra su Madre, / Sí, contra usted sola clamo. / ¡Qué crianza! – Ahora todos / Hemos de pagar el daño, / Quando de nadie es la culpa / Sino de usted. – Lo bonazo / De ese genio, ese amor ciego / Al Hijo, el mimo, el regalo...”. Inwiefern diese verhätschelnde Form der Erziehung, diese ‚blinde Liebe‘ (s.o.), versagt hat, konkretisiert Domingas Diener Pantoja: „Pantoja. Azotes! oh! ni nombrarlos. / Sujeción! no se hable de eso. / Reprehender! contrabando.” Iriarte (1972: 630). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 649 er94 und umgibt sich zudem mit zwielichtigen Gestalten weit unterhalb seines gesellschaftlichen Standes, darunter ein Alchimist und Betrüger. Auch dadurch, dass er schreckhaft und zur Waffenkunst nicht zu gebrauchen ist, verkörpert Mariano das Gegenteil traditioneller spanischer Virilität. All dies fasst sein Onkel, der Ordnungsstifter des Stückes, treffend zusammen, als er Mariano noch vor dessen erstem Auftritt explizit figural als jemanden charakterisiert, der in jeder Hinsicht dem männlichen Ideal der aufgeklärten berufstätigen Oberschicht widerspricht: D. Christ. [...] Es que ese Caballerito cumplirá presto veinte años sin saber ni persignarse; que está lleno de resabios, de mil preocupaciones; que es temoso, afeminado, superficial, insolente, enemigo del trabajo; incapaz de sujetarse a seguir por ningún ramo una carrera decente.95 In seiner effeminierten Furchtsamkeit, die bereits auf seine petimetría hindeutet, in seiner Weigerung zu arbeiten, sich Autoritäten zu beugen und eine seinem Stand angemessene berufliche Laufbahn anzustreben, ist Mariano das Gegenteil eines ‚zivilen Helden‘. Seine Spielleidenschaft und die beträchtliche Zeit, die er in den „[...] insignes / aulas de Cúpido y Baco“96 sowie in den „Caféës [sic], mesas de trucos / nobles garitos, fandangos / de candil, y otras tertulias /perfumadas del cigarro“97 verbringt, weist ihn nicht nur als Verschwender aus, sondern auch als jemanden, der Tabubrüche begeht, indem er Orte frequentiert und 94 Zur sozialen, ökonomischen und affektiven Bedeutung des Miniatur-Porträts vgl. Davis, Kathleen (2007/2008): „Portrait of Flora. Value and Exchange in El señorito mimado“. In: Letras Peninsulares, 20, 2-3, pp. 273-281. 95 Iriarte (1972: 626). 96 Iriarte (1972: 632). 97 Iriarte (1972: 632). 650 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Umgang mit Personen hat, die für einen jungen Mann seines Standes indiskutabel sind.98 Seine ständige Geldnot führt dazu, dass er Gegenstände aus dem Besitz seiner Mutter und sogar ein für seine Verlobte gedachtes Geschenk verpfändet.99 Implizit auktorial charakterisiert ihn das Stück als petimetre, als er am helllichten Tag im Morgenmantel und ausgestattet mit weiteren verräterischen Accessoires – etwa dem „bastoncito de petimetre“100 – seinen ersten Auftritt hat und mit dem unpassenden Aufzug zugleich seine schlechte Zeitökonomie offenbart. Die Dienerin Felipa weist ihm explizit das Attribut der „marcialidad“101 zu, jene an Unverschämtheit grenzende Direktheit des majo, die sich der petimetre zu eigen macht und die auch die Figur der Pepita aus Iriartes ähnlich aufgebauter Komödie La señorita malcriada an den Tag legt. Beide Stücke repräsentieren die typisierte männliche bzw. weibliche Variante eines verzogenen jungen Menschen, wobei Mariano in seinem singulären Streben nach Autarkie die Grenzen des Typs durchbricht, als er sich den Disziplinierungsmaßnahmen102 des Ordnungsstifters beharrlich widersetzt und auf sein Recht auf individuelle Freiheit pocht. 98 Vgl. Iriarte (1972: 642). Vgl. Iriarte (1972: 661f.). Aufgrund seiner Spielschulden, die sich auf zwanzig Goldunzen belaufen, vgl. Iriarte (1972: 665), versetzt er einige Uhren, die seiner Mutter gehören, und einen als Verlobungsgeschenk für Flora gedachten diamantenen Siegelring, der symbolisch für die Besiegelung der Ehe und die Einlösung des Eheversprechens steht. Dies ist neben der Miniatur das zweite Liebespfand, das er ungeachtet des affektiven Werts achtlos beim Glücksspiel einsetzt. Damit zeigt Mariano die mangelnde Wertschätzung, die er Flora entgegenbringt, aber auch seine Unreife und Unfähigkeit zur Ehe, die in der ersten Szene des ersten Aktes auch sein Onkel Christóval offen anspricht. Vgl. auch Floras Replik in Iriarte (1972: 667): „¿Quiere a una Dama de veras / quien desprecia su retrato?“ Marianos Unehrlichkeit offenbart sich, als er dem treuen Diener Pantoja die Schuld zuweist. Vgl. Iriarte (1972: 663). 100 Iriarte (1972: 648): „D. Christ. [...] / Cercado de Amigos falsos, / de locos, de estafadores; / y sin dejar de la mano / los naipes, ya contrayendo / deudas por fútiles gastos, [...].” 101 Vgl. Iriarte (1972: 652): „Vaya usted viendo! Hai quien dice / que este Mozo es atronado; / y á mí su marcialidad / me gusta... horror!” 102 Vgl. Wolters (2015: 165), der treffende Bezüge zu Foucaults Surveiller et punir (1975) herstellt und die Disziplinierungsmechanismen, denen Mariano seitens des Onkels ausgesetzt ist, mit den Versuchen des Ancien Régime in Frankreich vergleicht, einen ‚unterworfenen‘ Körper zu formen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass wie Fausto auch Marianos Onkel Christóval das aufklärerische Männlichkeitsideal verkörpert und auch in dieser Hinsicht die typischen Eigenschaften des aufklärerischen Ordnungsstifters aufweist. 99 9. Typisierungen der Misswirtschaft 651 Indem der petimetre Mariano als Mitglied der Oberschicht und als jemand, der Einkünfte aus Landbesitz bezieht, seine Zeit mit zwielichtigen Gestalten vertändelt und ihnen sogar sein Majoratsgut als Wohnsitz zur Verfügung stellt, betreibt er eine von den Theaterreformern missbilligte Verbrüderung der Oberschicht mit den Unterschichten. Diese soziale Entgrenzung manifestiert sich zuvorderst äußerlich, d.h. in Kleidung und Verhalten. Unterscheiden sich der volkstümliche majo und der dem gehobenen Bürgertum und dem Adel angehörende petimetre einerseits durch stilprägende Kleidungsstücke103, sucht der petimetre andererseits den majo zu imitieren, sei es, indem er sich Versatzstücke dessen typischer Tracht aneignet, sei es, indem er dessen großspuriges Verhalten nachahmt. Beide Typen kennzeichnet, dass sie jede Form der Höflichkeit, der Rücksichtnahme und der Hilfsbereitschaft vermissen lassen und als exaltierte Egozentriker die soziale Konvention der sociabilidad missachten. Auch im Falle Marianos ist die von den Theaterreformern missbilligte Verbrüderung der Oberschicht mit der Unterschicht optisch markiert, wenn es über Mariano heißt: „D. Christ. Pasando noches enteras / fuera de casa, mudando / el trage de Caballero / en capote Xerezano.”104 Indem Mariano den Anzug eines jungen Herrn der besseren Gesellschaft von Madrid gegen den Umhang eines andalusischen majo tauscht, der als besonders wagemutig, heißblütig und großspurig gilt und somit ‚soziale Mimikry‘105 103 Jehle (2010: 195) nennt diesbezüglich den chambergo, den breitkrempigen Hut des majo im Gegensatz zum Dreispitz des petimetre, sowie das Haarnetz des majo, das dazu dient, seine „wilde Mähne“ zu bändigen. Ein Haarnetz für Frauen, cofia genannt, tragen nur petimetras. Dieses Haarnetz ist ein willkommenes Hilfsmittel, wenn den Damen keine Zeit für aufwändige Frisuren bleibt. Den majo kennzeichnet außerdem sein langer Mantel, die capa, während der petimetre die französische redingote trägt, eine Art doppelreihiger Gehrock, der ursprünglich aufgrund seines kürzeren Schnitts vor allem zum Reiten gedacht war. Beide modischen Merkmale des majo, der breitkrempige Hut und der lange Mantel, werden 1766 durch den italienischstämmigen spanischen Minister Leopoldo de Gregorio, Marquese di Squillace, span. „Esquilache“, verboten, was unter anderem den bereits erwähnten und nach ihm benannten Volksaufstand auslöst (vgl. Kap. 2). 104 Iriarte (1972: 648). 105 Das Phänomen kultureller Mimikry und die daraus resultierenden hybridisierenden Effekte im kolonialen Kontext hat Homi K. Bhabha in The Location of Culture (1994) untersucht. Vgl. Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture. London: Routledge, pp. 85ff. 652 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien betreibt, zeigt sich ein verwegener Hang zur Normüberschreitung,106 der nicht recht zu der ihm attestierten Schreckhaftigkeit und dem effeminierten Gehabe zu passen scheint. In meinem Artikel über Mariano als petimetre und Spieler habe ich dargelegt, dass die Figur des dem Glücksspiel verfallenen Mariano ähnlich wie Figuren aus deutschen Spielerdramen des 18. Jahrhunderts gestaltet ist. Wie sie erscheint auch Mariano nicht als Erzschurke, sondern als Verführter.107 Die Zeichnung der Figur des Mariano als Naivling, der den Manipulationen der in jeder Hinsicht falsch spielenden Doña Mónica108 etwa dann erliegt, als er ihr die Geschichte von den auf dem Dachboden seines Majoratsguts hausenden Kobolden abkauft,109 widerspricht dem in seiner Figurenrede zutage tretenden Hang zur Rebellion, der den jungen Mann Kathleen Davis zufolge sogar als libertin110 ausweist.111 Letzterer offenbart sich in einem Dialog 106 Zu Mariano als sozial devianter und geschlechtlich transgressiver Gestalt vgl. auch Wolters (2015: 165ff.). 107 Vgl. Schuchardt (2014: 277f.) mit Bezug auf Jahn, Bernhard (2010): „Das Spiel des Zufalls und die Ökonomie des Dramas. Zur Darstellung von Glücksspielern im Theater des 18. Jahrhunderts“. In: idem/Schilling, Michael (eds.). Literatur und Spiel. Zur Poetologie literarischer Spielszenen. Stuttgart: Hirzel, pp. 133-149, hier p. 134. 108 Diese gibt sich als Witwe aus Almagro aus und wahrt nach Außen den Anschein von Anstand, während sie in Marianos Majoratsgut allerlei Böses ausheckt und sich am Ende als eine Trickbetrügerin aus Granada erweist, die es zu einiger krimineller fama gebracht hat und deren wahrer Name Antoñuela ist. Schon Russell P. Sebold hat im Vorwort seiner Ausgabe zu Iriartes Stück darauf hingewiesen, dass der Klang des Vornamens „Mónica“ auf ihre dämonische (span.: „demoníaca“) Veranlagung hindeutet, womit sie zugleich als eine Mariano korrumpierende Erzschurkin ausgewiesen ist. Überhaupt sind es in El señorito mimado die Frauen – die Mutter und Mónica – die Marianos Devianz zu verantworten haben. 109 Vgl. Iriarte (1972: 633f.). Mit Hilfe der Finte der vermeintlichen Kobolde, die auf dem Dachboden rumoren und hinter denen sich natürlich Mónicas Spießgesellen verbergen, gelingt es der Betrügerin, Mariano dazu zu bewegen, ihr sein Majoratsgut als Wohnstätte zu überlassen. 110 Eine prototypische Verkörperung des libertin ist der Comte de Valmont aus Choderlos de Laclos‘ Briefroman Les liaisons dangereuses (1782). Freiheitsliebend, egozentrisch und sich gegen Normen und Gesetze wendend, schmiedet er Pläne, die weit in die Zukunft reichen. David McCallam weist darauf hin, dass André Malraux (19011976) und Georges Poulet (1902-1991) den libertin daher als ‚Existenzialisten avant la lettre‘ bezeichnet haben. Vgl. McCallam, David (2003): „The Nature of Libertine Promises in Laclos‘s Les Liaisons dangereuses“. In: The Modern Language Review, 98, 4, pp. 857-869, hier p. 857. 111 Vgl. Davis (2007/2008: 275). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 653 mit seinem Gegenspieler Fausto, der seinerseits große Gefühle für Marianos Verlobte Flora hegt und durch seine Berufstätigkeit als Kaufmann, sein dezentes Auftreten, seine geschäftliche Ehrbarkeit112, seine Diskretion und die Wahrung sozialer Normen ein prototypischer hombre de bien ist. Während Fausto seinen Gegnern selbst dann nicht zürnt, als er ihnen vor Gericht unterliegt,113 bekennt Mariano offen, dass er seinem Gegenspieler und Konkurrenten um Floras Hand nichts Gutes gönnt.114 Der starrsinnige junge Mann wendet sich offensiv gegen das durch den aufgeklärten Absolutismus und seine Reformökonomie propagierte Menschen- und Männerbild: D. Maria. [...] Usted no sabe vivir. siempre metido en cuidades de sus pleitos, de su hacienda; revolviendo unos legajos, unos librotes... sirviendo su empleo como un esclavo... Nó, Señor, la libertad.– 115 Was Mariano hier anprangert, ist also eine der Sklaverei gleichkommende Unterwerfung des Individuums unter die Pflichten des Staatsbürgertums, und damit unter die Gouvernementalität der absolutistischen Reformökonomie. Dass er die Freiheit beschwört und auf sein Recht auf Vergnügen pocht, macht ihn zu einem rücksichtslosen Verfechter des Selbstinteresses. Ein zielbewusster Gewinnmaximierer ist er dennoch nicht, da er sein Kapital nicht zu mehren weiß, sondern es im Gegenteil verschwendet. Den von Fausto eingeforderten „trato 112 Obwohl er sich in einem geschäftlichen Rechtsstreit mit Floras Vater Don Alfonso befindet, legt er ihm gegenüber ein freundschaftliches Verhalten an den Tag. Vgl. Iriarte (1972: 645f.). „D. Alfonso. [...] Los que pleitan se miran / Con odio. – D. Fausto. No soi tan baxo. / Me han dicho que apele. – ¿Para qué? Para arruinarnos. – D. Alfonso. Es así.” 113 Vgl. den bereits erwähnten Rechtsstreit zwischen Anselmo und Fausto. 114 Als Mariano erfährt, dass Fausto vor Gericht gegen Anselmo verloren hat, macht er aus seiner Schadenfreude keinen Hehl. Vgl. Iriarte (1972: 649). 115 Iriarte (1972: 649). 654 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien / decente“116, die Wahrung der Form, die Höflichkeit, Komplimente, das gebildete Gespräch, das Lesen, schlichtweg: alle Formen aufklärerischer Geselligkeit, weist Mariano als Zwänge zurück: D. Maria. [...] Lo demás es vivir mártir. – Estos afilosofados le meten á un hombre en prensa. Si uno se paséa, malo; si juega, peor.117 Besteht das aufklärerische Stereotyp des petimetre darin, dass er kleingeistig und dumm sowie den Komödien und dem Spaziergang zugeneigt ist,118 greift Mariano genau diese Aspekte in seiner Rede auf („Si uno se paséa [...], / Si juega [...]“) und geht zum Gegenangriff auf das reformökonomische Männlichkeitsideal über, das die totale Selbstaufopferung („vivir mártir“) im Dienste des absolutistischen Staates verlangt. Damit ist die von Iriarte ersonnene Figur, die ja dazu dienen soll, den ZuschauerInnen das schlechte und verdammenswerte Verhalten des vir profusus vor Augen zu führen, ein zugleich subversiver Charakter, der die libertine Gegenstimme zum theatralen Monodiskurs des reformbestrebten Staatsapparates bildet. Gerade deswegen muss der rebellische Jüngling am Ende dreifach bestraft werden: Er verliert nicht nur Flora als eine ebenso wohlhabende wie tugendhafte Partie,119 sondern mit der Inhaftierung Mónicas und ihrer Entourage auch seine sozialen Bezugspunkte. Zudem muss er mit dem verhassten Onkel an einen gefängnisähnlichen Ort fern aller Vergnügungen reisen, „A un Colegio, ú otro encierro“120, und folglich in eine Disziplinierungsanstalt, wie sie Foucault in Surveiller et punir121 skizziert. 116 Vgl. Iriarte (1972: 650). Iriarte (1972: 651). 118 Vgl. Heße (2008: 162). 119 Inwiefern Mariano aus der Ehegleichung „subtrahiert“ wird, wie die zuvor bestehenden Dreiecksbeziehungen aufgelöst werden und die durch sie beschleunigte Handlung letztlich zur Ruhe kommt, habe ich unter Bezugnahme auf Fuldas Konzept der Strukturhomologie in Schuchardt (2016: 176ff.) untersucht. 120 Vgl. Iriarte (1972: 726). 121 Vgl. Foucault, Michel (1975): Surveiller et punir. Paris: Gallimard. 117 9. Typisierungen der Misswirtschaft 655 Die Figur des Ordnungsstifters, Christóval, wird zum Prototyp des Displizinierers schlechthin, wenn er die Rolle eines Wärters einnimmt, der bis zum Moment der moralischen Besserung über den devianten Sprössling wacht. 9.1.4. Religiöse Normverletzung: Aberglaube, falsche Schwüre, Häresie Neben der sozialen und geschlechtlichen Normverletzung kennzeichnet Mariano auch der Hang zur religiösen Grenzüberschreitung, was zeigt, inwiefern der Figurentyp des vir profusus die Tugenden des vir oeconomicus ins Gegenteil verkehrt: Aus Sparsamkeit wird Verschwendung, aus männlicher Tapferkeit effeminierte Feigheit, aus Soziabilität Egoismus, aus bürgerlichem Verantwortungsbewusstsein verantwortungslose Herumtreiberei, aus Philanthropie Niedertracht, aus Glaube Häresie, aus Bildung gefährliches Unwissen. Marianos Aberglaube wiederum ist sowohl das Resultat seines mangelnden Wissens als auch die Kehrseite des katholischen Glaubens. Beide führen dazu, dass er Doña Mónica auf den Leim geht – und zu seinem schlussendlichen Ruin. Nicht nur glaubt er an die von ihr erfundenen Kobolde, sondern auch an die Mär, dass ihr Schwager – ein Alchimist – in der Lage sei, aus Steinen Gold zu machen.122 Dass die Anfälligkeit der Figur für Täuschungen aus ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem aufklärerischen Bildungsideal resultiert, wird spätestens dann klar, als Mariano Fausto gegenüber stolz bekundet, niemals ein Buch in die Hand zu nehmen.123 Leichtgläubige Opfer durch einen Mangel an Bildung, der daraus resultiert, dass die Figuren ihre Zeit auf die falschen Dinge verwenden, sind auch beiden viri profusi aus La familia a la moda, Vater Canuto und Sohn Faustino Pimpleas. Während der Vater ein hochverschuldeter Spieler und unfähiger pater familias ist, der – ähnlich wie die Figur Lorenzos aus El hombre agradecido – den Kapriolen seiner Gattin zunächst ohnmächtig gegenübersteht, geht Faustino Trapachino auf den Leim, als er ihm seine Uhr anvertraut. Beide Figuren kennzeichnet ein laxer Umgang mit der Religion, der sich in teils aberwitzigen Schwüren äußert, etwa in Faustinos Ausruf: „Por vida / de la lanza de 122 123 Vgl. Iriarte (1972: 635). Vgl. Iriarte (1972: 650). 656 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Longinos!“124 Canuto schwört bei Vielerlei, von der Sonne über die Person, die Christus die Fesseln anlegte, bis hin zu Christus selbst.125 Faustino hingegen schwört anstatt bei „Cristo“ bei „Chicho“126. Während Faustino also in religiösen Belangen den nötigen Ernst vermissen lässt, schreckt sein Vater nicht davor zurück, in seinen porvidas sogar den Teufel anzurufen („Por vida del diablo, hermana [...]“127), als er von seiner Schwester seiner Meinung nach zu früh – d.h. um zwölf Uhr mittags – geweckt wird. Faustinos Neigung zu kuriosen Schwüren wird von der gläubigen Katholikin Guiomar scharf gerügt, die ihrerseits das Fehlen einer Heiligenstatuette in ihrem Schlafzimmer bemängelt:128 FAUSTINO: [...] Voto y juro... Guiomar No, por Dios, hijo, no jures y vete, porque me tiembla el copete de oír votar a los dos.129 Kennzeichnet Canutos und Faustinos Gebaren ein allzu laxer Umgang mit der Religion, der teils aus Unwissen resultiert, finden sich unter den viri profusi auch veritable Häretiker. Zwei anschauliche 124 Vgl. Gálvez (2001: 234, v. 247). Hierzu merkt Andioc in einer Fußnote (ibid.) an: „Los ‚votos y porvidas‘ del hijo son tan variados y originales como los del padre: Longinos fue el centurión que, según la leyenda, atravesó el pecho de Jesús crucificado, convirtiéndose más tarde en mártir del cristianismo.” 125 Vgl. Gálvez (2001: 137; 178; 236). 126 Gálvez (2001: 198, v. 640). Andioc zufolge, vgl. ibid., handelt es sich hierbei um einen Euphemismus, wohl, um den Namen des Herrn nicht zu schmähen, was insofern erstaunt, als Faustinos Vater Canuto kurz zuvor wörtlich bei „Cristo“ geschworen hatte. Vgl. Gálvez (2001: 184, v. 405). Auch hier wird ausgesagt, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. „Chicho“ ist das Hypokoristikum der Namen Narciso und Francisco, was dem Ausruf Komik verleiht und Faustinos Rede einmal mehr als unreflektiertes Geplapper offenbart. 127 Gálvez (2001: 137, v. 411). 128 Vgl. Gálvez (2001: 139, vv. 447ff.). 129 Gálvez (2001: 140, vv. 471ff.). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 657 Beispiele sind Simón und Silvestre aus Duráns La industriosa madrileña, von denen der erste ein Betrüger, der zweite ein geldversessener adeliger Taugenichts ist, der mit dem Betrüger paktiert, um die sich anbahnende Ehe zwischen seinem Halbbruder Esteban und der Weberin Cecilia zu hintertreiben und von seinem alternden Vater Geld zu ergaunern. Beide geben sich als „serpientes luciferinas“130 zu erkennen, nachdem sie bereits als Kriminelle enttarnt wurden. Wie ich an anderer Stelle131 gezeigt habe, weist Silvestre überdies drei wesentliche Eigenschaften des petimetre auf: den Hang zur Verschwendung, die damit verbundene Geldgier und die Faulheit. Dass er immense Summen aus dem Besitz seines Vaters, Don Pablo, veruntreut und dafür eine Gefängnisstrafe von einem Jahr verbüßen muss, zeigt, dass bei diesem Figurentyp die Grenzen zwischen Verschwendertum und Delinquenz, d.h. zwischen moralischer und gesetzlicher Normüberschreitung, fließend sind: D. Prud. ¿Sabe ha malgastado [Silvestre] mas de cien libras? D. Pab. Señor, ¡tan enorme exceso!... D. Prud. Consta de sus mismas firmas; y así para que deteste tan perversas compañías, y se resuelva á ganar decentemente la vida, con un par de grillos puestos saldrá luego de esta Villa á estar un año encerrado.132 Wie schon im Falle Trapachinos äußert sich auch Silvestres deviante Männlichkeit in einem ausgeprägten sexuellen Verlangen, das ihn dazu veranlasst, der Weberin Cecilia nachzustellen und dabei selbst vor Gewalt nicht zurückzuschrecken (vgl. Kap. 8.2.2). Im 130 Durán (o.J.: 33). Vgl. Schuchardt (2015: 118). 132 Durán (o.J.: 33). 131 658 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Falle Silvestres gesellt sich Adelsdünkel zu seinen übrigen negativen Eigenschaften. Auch er repräsentiert den im spanischen Theater der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederkehrenden Figurentypus des ökonomisch dysfunktionalen, da untätigen, aber nichtsdestotrotz hochmütigen Adeligen, wie er uns bereits in den Figuren Don Gil de Monteligeros aus Comellas El buen labrador und des Marqués aus Gálvez‘ La familia a la moda begegnet war. Was den Betrüger Simón anbelangt, offenbart er sich auch dann als Häretiker, als er die religiöse Geste des Bekreuzigens benutzt, um den vom ihm betriebenen Schwindel glaubwürdig erscheinen zu lassen: Er gibt sich als Anwalt der Real Audiencia von Barcelona aus, der geschickt worden sei, damit man ihm eine Summe, die Silvestre dem Gericht schulde, aushändigen möge: Sim. Sí, es de fuerza Forma la Cruz con los dedos que jure usted á esta Cruz de decirme con certeza quanto en esta casa pasa.133 Wie sein Spießgeselle scheut auch Silvestre sich nicht, die Religion zu missbrauchen, wenn es gilt, sich einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. So gibt er vor, ins Kloster gehen zu wollen, was, wie sich am Ende herausstellen wird,134 nur eine Finte ist, um dem Vater weiteres Geld aus der Tasche zu ziehen: D. Pab. Porque veas que tu hermano piensa ya de otra manera, ahora en mi misma alcoba le acabo de dar licencia para entrarse Religioso y dexarte á ti su hacienda.135 133 Durán (o.J.: 2). Vgl. Durán (o.J.: 33): „D. Pab.: „¡Y hoy le pedías á D. Silv. / dinero para ser frayle!“ 135 Vgl. Durán (o.J.: 5). 134 9. Typisierungen der Misswirtschaft 659 Nicht nur der Adel, auch Vertreter des niederen Klerus werden in Duráns Komödie der aufklärerischen Kritik ausgesetzt. Aussagekräftig ist diesbezüglich Estebans Reaktion auf Silvestres vermeintliche religiöse Berufung: D. Est. Como él sepa que ha de holgar, tendrá vocacion perfecta. [...] Sé, Padre, que hemos nacido los dos de Madres diversas, rica la suya, y la mia constituida en pobreza; pero a los dos nos han dado educacion tan opuesta, que yo de pobre soy rico, y él de rico está en miseria.136 Silvestre sei schon allein deshalb zum Mönch berufen, bemerkt Esteban sarkastisch, weil er dann das tun könne, was er am besten beherrsche: das Nichtstun („ha de holgar“). Zum einen ist dieses Urteil ein Echo der reformökonomischen Kritik an der wirtschaftlichen Unproduktivität des Klerus. Ähnliches deutet der Minister D. Prudencio am Ende des Stückes an, wenn er nach Simóns und Silvestres Verhaftung versetzt: „[...] los hombres que no se aplican / á las artes ó á las ciencias / son del estado polillas.”137 In subversiver Zweideutigkeit sind damit offensichtlich nicht nur die beiden Missetäter und der Adel alten Schlages gemeint, sondern auch der Klerus, dessen Vertreter ebenfalls das Potenzial haben, als viri profusi zu figurieren. Eine wiederkehrende Figur im aufklärerischen spanischen Theater ist dementsprechend der lüsterne Priester.138 Überdies verdeutlicht die Replik 136 Vgl. Durán (o.J.: 5). Durán (o.J.: 32). 138 Vgl. Comellas Saynete nuevo: El alcalde proyectista, in dem ein solcher Priester auftritt. Über diesen äußert sich der Lehrer, der in diesem Stück ebenso wie der erste Bürgermeister die Stimme der aufgeklärten Vernunft repräsentiert: „Maest. Destruye una nube / la fruta del campo,/ pero los Abates / la de los poblados. / De estos nubarrones / nos libre San Pablo, [...].“ Comella (o.J.: 7). Der Klerus erscheint hier in der für Comella typischen Ironie als ‚Geißel Gottes‘. 137 660 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien die zunehmende soziale Mobilität innerhalb einer sich wandelnden Gesellschaft, für die beispielhaft Esteban steht: Der Chiasmus ‚arm geboren – reich geworden‘ / ‚reich geboren – verarmt‘ veranschaulicht die Narrative des Auf- und das des Absteigers. Während Estebans Vita den finanziellen und sozialen Aufstieg des vir oeconomicus durch Arbeit repräsentiert, steht der aufgrund seiner Untätigkeit finanziell und sozial verlierende vir profusus Silvestre für den Abstieg mangels Fleißes, wird er doch vom aussichtsreichen Spross einer reichen Mutter und eines adeligen Vaters erst zum Betrüger und dann zum Gefängnisinsassen. Was den Zusammenhang zwischen moralischer Verwerflichkeit, ökonomischer Inkompetenz und vorgetäuschter bzw. mangelnder Religiosität anbelangt, ist das spanische Theater der Spätaufklärung reich an Beispielen: Der abgründige Villianz aus Valladares‘ El fabricante de paños etwa heuchelt die christliche Tugend der caritas, was deutlich wird, als sich am Ende des Stückes herausstellt, dass er die Armen in Schottland um ihr Vermögen gebracht hatte.139 Ironischerweise wird die „caridad“140 von Villianz explizit erwähnt und ihr Fehlen als sicherer Weg in das Unglück bezeichnet, ein Pfad, den auch er am Ende beschreiten wird, als seine Schändlichkeiten schließlich entdeckt werden. Als ebenfalls gottloser Mensch erweist sich der betrügerische Schuster Rafa aus Trigueros‘ Los menestrales, der, anders als es sich für einen gottesfürchtigen Spanier und Altchristen gehört, weder Rosenkranz noch Stundenbuch in den Taschen hat: DON JUAN Registran a Rafa y le sacan lo que se dice, lo cual pone D. Juan sobre la mesa. Registrad... registrad... Unos papeles... un rejón... un bolsillo remendado... otra pistola ¡Vaya que no le encuentran ningunas horas141 ni ningún rosario!142 139 Vgl. Valladares (o.J.: 11, vv. 63ff.). Vgl. Valladares (o.J.: 11, vv. 102ff.): „[...] pues cuando / no hay caridad en un hombre, / su fin será desastrado.” 141 Wie Aguilar Piñal in einer Fußnote bemerkt, sind mit „horas“ Stundenbücher gemeint. Vgl. Trigueros (1997: 185). 142 Trigueros (1997: 185, vv. 1819ff.). 140 9. Typisierungen der Misswirtschaft 661 Im Zusammenhang mit den für Trigueros‘ Stück bestimmenden Topoi von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Blindheit und Sehen (vgl. Kap. 7.3.1) wird hier von einer Stellvertreterfigur des Monarchen das verborgene (d.h. das wahre) Innere des Schusters nach außen gekehrt. Der Umstand, dass Rafa ausgerechnet von einem Stellvertreter der Gouvernementalität enttarnt wird, nimmt den von Foucault in seiner Auseinandersetzung mit Jeremy Bentham beschriebenen Überwachungsmechanismus des Panoptikums vorweg.143 9.2. Die femina profusa in Gestalt der petimetra Während sich der vir profusus in eine ganze Reihe von figural personifizierten Normverletzungen auffächert – vom petimetre über den Ausländer als Vermittler suspekter Sitten bis hin zum Betrüger und Häretiker, wobei die Übergänge zwischen diesen Typen fließend sind – konzentrieren sich die normverletzenden Eigenschaften der femina profusa im theatralen Figurentyp der petimetra. Ihre normativen Transgressionen stehen mit der Pflege des eigenen Erscheinungsbildes im Zusammenhang, die Mengen an Waren (Kleidung, Accessoires, Körperpflegemittel) und Geld verschlingt, aber auch wertvolle Zeit. Daher ist die petimetra nicht nur eine schlechte Haushälterin, sondern auch eine schlechte Zeitökonomin. Die Stunden des Tages, die sie nicht auf Äußerlichkeiten verwendet, gibt sie sich Vergnügungen hin, die ihre Sichtbarkeit im Öffentlichen Raum garantieren: Spaziergängen (span: „paseos“), Bällen, Festen und Stierkämpfen. Sowohl die schlechte Zeitökonomie der petimetra als auch ihre Vergnügungssucht veranschaulicht die zu später Stunde von einem Ball heimkehrende petimetra Blasa aus Comellas El hombre agradecido. Da sich die petimetra jeglicher Arbeit verweigert – seien es haushälterische Tätigkeiten und Handarbeiten, sei es die Beaufsichtigung der Dienerschaft, Tätigkeiten, die sie in ihrem adeligen Standesdünkel ebenso verachtet wie jedwede Form der Berufstätigkeit –, ist es das Geld der übrigen Mitglieder des oikos, das sie für französische Luxusartikel verausgabt. In Blasas Fall ist es das Geld des Ehemannes, im Falle Madamas aus Gálvez La familia a la moda das Geld der reichen Schwägerin Guiomar, im Falle der petimetra Jerónima aus Nicolás Fernández de Moratíns neoklassischer Komödie 143 Vgl. Foucault (1975). 662 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien La petimetra (1762) wiederum das ihres Vormunds und Onkels. Was die Abneigung der petimetra gegen die Arbeit anbelangt, entsprechen Verhalten und Hochmut144 der Figur Blasa gegenüber der Kaufmannschaft nahezu wörtlich der von Foronda in seiner Disertación verurteilten Haltung des spanischen Adels.145 Im folgenden Passus verwendet Foronda bezeichnenderweise das Verb „blasonear“146 als Bezeichnung für die adelige Herablassung: Estos fantasmones, oprobio de la Nación e indignos descendientes de los ilustres progenitores de que tanto blasonan, creen incompatible con su orgullo todo lo que no sea empuñar una espada o vestirse una toga, y se olvidan de que estas profesiones son gloriosas no por otro título que porque aquélla sirve intrépidamente a la Nación cuando conspiran los enemigos a oprimir nuestra libertad y ésta porque cuida de hacernos justicia en nuestras quejas al mismo tiempo que conserva el vigor de las leyes, alma de la tranquilidad.147 Dass sich der Typus femina profusa in der comedia económico-sentimental der spanischen Spätaufklärung und in der neoklassischen Komödie vor allem in der Gestalt der petimetra niederschlägt, ist Ausdruck einer stereotypen Vorstellung vom weiblichen Verhältnis zur Ökonomie, die Schößler auch in literarischen Texten der beiden nachfolgenden Jahrhunderte beobachtet: „Konsumption als Luxuskonsum, aber auch als industrielles Massenphänomen wird im 19. und 20. Jahrhundert nahezu ausschließlich als weibliche, egoistisch-hedonistische Praxis aufgefasst.“148 In diesem Zusammenhang weist Schößler darauf hin, dass der ökonomische ebenso wie der literarische „Mehrheitsdiskurs des 19. Jahrhunderts“149 dem weiblichen Geschlecht mit dem 144 Vgl. Comella (1796: 13): „[...] de las tertulias, compuestas / todas de mugeres y hombres, / que en nada jamas se emplean, / porque son nobles [...].“ 145 Diese Adelskritik bietet Joaquín Ezquerra, der selbst zum aragoneser Adel zählt und das Stück in der Mai-Ausgabe des Memorial literario (1790) rezensiert (vgl. pp. 134146, hier p. 140), seinerseits Anlass zur Beanstandung, sieht er darin doch „una sátira dirigida a algunas personas de alto rango“. Zitiert in Fernández Cabezón, Rosalía (2002): „El teatro de Luciano Comella a la luz de la prensa periódica”. In: Dieciocho, 25, 1, pp. 105-120, hier p. 115. 146 Foronda (1793: 1). 147 Foronda (1793: 1). 148 Schößler (2017: 32). 149 Schößler (2017: 283). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 663 Fehlschluss, dass Frauen eine besondere Kauflust und Affinität zum Konsum aufwiesen, den Hang zur Misswirtschaft unterstellt. Die Sorge um den allzu leichtfertigen Umgang der Frauen mit Geld und die Zweifel an ihrer naturgegebenen – d.h. ohne männliche Unterweisung oder Kontrolle – vorhandenen Kompetenz als ‚Wirtschafterinnen‘, ist auch im 18. Jahrhundert in Spanien allgegenwärtig.150 Dabei kann, wie Schößler anmerkt, Luxuskonsum durchaus als ökonomische Tätigkeit und Arbeit betrachtet werden, und zwar insofern, als „er ökonomisches Kalkül, Zeit, die Antizipation von Bedürfnissen und Fachwissen verlangt“.151 9.2.1. Die petimetra als Heimsuchung einer als männlich und national imaginierten Wirtschaft152 Aussagekräftig im Hinblick auf die geschlechtliche Kodierung der Wirtschaft in einem ökonomischen Reformdiskurs, der sich im Medium eines ebenfalls im Fokus der Reformer stehenden Theaters fortschreibt, ist die männliche Typisierung der Wirtschaftssektoren Handel, Industrie, Ackerbau und Handwerk (vgl. Kap. 5 bis 7). Wenn – wie hier schon festgehalten wurde – die Wirtschaft im theatralen Imaginären der spanischen Spätaufklärung männlich ist, so gilt dies in den Augen der meisten Autoren des 18. Jahrhunderts auch für die Politik.153 Wie die bereits skizzierten Varianten des vir profusus, aber auch die schon erörterten Beispiele reformökonomischer Diskurse erkennen lassen, imaginieren die Memorias, Discursos – und mit ihnen das reformierte Theater – die durch die guten ÖkonomInnen repräsentierte Modellwirtschaft überdies als rein spanisch, und damit als national. In den Augen der merkantilistisch orientierten Reformökonomen, deren Perspektive die hier untersuchten Komödien reproduzieren, soll das nationale ökonomische System frei von fremden Einflüssen sein, wie sie in den hier analysierten Stücken zum einen durch französische 150 Vgl. Bolufer (1995: 257). Schößler (2017: 32). 152 Einzelne Elemente der Ausführungen zu Moratíns Komödie La petimetra sind dem Artikel Schuchardt (2014) entnommen. 153 Vgl. Bolufer (1995: 256), die in Bezug auf die europäischen Gesellschaften des Antiguo Régimen von der Wirtschaft und der Politik als einem Kompetenzbereich spricht, der als ausschließlich männlich wahrgenommen wird. 151 664 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Importwaren, zum anderen durch die sie vertreibenden Ausländer und deren neue, durch Maßlosigkeit gekennzeichneten Sitten repräsentiert werden. In das imaginäre Konstrukt einer männlich-national dominierten Ökonomie, die eine aufgeklärte Elite von mehrheitlich adeligen Patriarchen154 wohlwollend und mit Blick auf die felicidad pública lenkt, in diese ‚heile Welt‘ also, interveniert die petimetra als ein weiblicher Typus, der sich mittels seines ausgeprägten Konsums aktiv in das Marktgeschehen einmischt und es durcheinanderbringt, indem er eben nicht die soliden nationalen, sondern die exaltierten importierten Waren bevorzugt. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es die petimetras und eben nicht die petimetres sind, die in der neoklassischen Komödie und im sainete ganze Szenen mit der Auswahl von Modeartikeln füllen, während ihre männlichen Pendants bei ihren Auftritten allenfalls durch einzelne modische Marker als petimetres erkennbar sind, wie beispielsweise Mariano durch seinen Gehstock (s.o.). Dies lenkt den Blick auf die petimetra als Konsumentin ausländischer Waren. Ein paradigmatisches Beispiel ist die nie zur Aufführung gebrachte Komödie La petimetra von Moratín dem Älteren, in der der Autor mit der Figur der Jerónima den theatralen Prototyp der petimetra entwirft: äußerlich attraktiv,155 aber moralisch verkommen, da zur Täuschung neigend, nahezu ausschließlich an ihrem äußeren Erscheinungsbild interessiert, exzessiv in ihren Ausgaben für Kleidungsstücke und Accessoires und zugleich mittellos. Die beträchtliche Mitgift156 ihrer um den Haushalt 154 Wir erinnern uns diesbezüglich an Figuren wie Duráns Unternehmer Esteban, Comellas vir rusticus Benigno und den ehrbaren Kaufmann Bruno. 155 Dies wird in einer Replik des in Jerónima verliebten Sekretärs Damián deutlich, der ein petimetre und damit vom selben Schlag ist wie seine Angebetete. Vgl. Fernández de Moratín, Nicolás (1996 [1762]): La petimetra, ed. David T. Gies. Madrid: Castalia, p. 71, vv. 235ff., p. 66, vv. 34ff.: „hallé una dama tan bella / que no cabiendo en el labio / su perfección no la pinto, / pues, siendo hermoso milagro, / la apoco si la exagero, / la ofendo si la retrato.“ 156 Diese beläuft sich auf 17.000 Dukaten, wie wir gleich in der ersten Szene vom petimetre Damián erfahren, der es auf dieses Geld abgesehen hat. Vgl. Moratín (1996 [1762]: 67, vv. 86f.). Damián ist kein Angehöriger der Oberschicht, sondern ein Schreiber und kleiner Angestellter, aber in seinem Kleidungsstil als petimetre ausgewiesen, was Heßes Gleichsetzung der petimetres mit den gehobenen Schichten abermals widerspricht. Nichtsdestotrotz möchte Damián gerne zur Elite gehören und gibt sich als adeliger Majoratsgutsbesitzer aus. Zur petimetría Damiáns vgl. Moratín (1996 [1762]: 70, vv. 188ff.) und die dortige Replik der Dienerin Martina: „Sí, señor, mucho galón, / 9. Typisierungen der Misswirtschaft 665 und die Dienerschaft bemühten, arbeitssamen und bescheidenen Kusine María gibt sie als die ihre aus, um ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt zu erhöhen. Ein weiteres Kennzeichen der theatralen Variante der petimetra ist also der Gegensatz zwischen äußerer Attraktivität und innerer Lasterhaftigkeit. Was die Ebene der Strukturhomologien anbelangt, steht der petimetra in den hier untersuchten Komödien die femina oeconomica als das Gegenteil jener zu Verschwendung neigenden femina profusa gegenüber, die die petimetra verkörpert: fleißig, klug, sparsam, tugendhaft und – zumindest was die eigene Person betrifft – nicht an Äußerlichkeiten interessiert. Eine solche femina oeconomica ist neben María aus La petimetra auch Antonia aus Comellas El hombre agradecido, die im krassen Gegensatz zu ihrer kapriziösen Schwägerin, der petimetra Blasa, steht. In der Konstellation weiblicher Antonyme erfüllt die petimetra eine entscheidende Funktion: das schöne Innere der ansonsten eher unscheinbaren Tugendhaften durch die eigene Lasterhaftigkeit zum Strahlen zu bringen.157 Dies gilt auch für die durch französische Einflüsse korrumpierte Madama Pimpleas: Erst ihr Egozentrismus und ihr aufgeblasenes Gehabe rücken ihre sittsame, an Auftritten und Wortbeiträgen jedoch arme Tochter Inés ins rechte Licht, sodass der geringe Grad der theatralen Ausgestaltung dieser Figur als Zier, nämlich als Bescheidenheit, erscheint. Der ökonomischen Funktion der petimetra als Konsumentin gemäß, nehmen in Moratíns Stück Jéronimas Ankleideprozess und die dabei involvierten Gegenstände großen Raum und entsprechend viel que ayer lo desechó el amo, / mucha vuelta con festón, / buena media y buen zapato, / sombrero fino, y la capa / con tanto terciopelazo, / espadín preso al ojal, / cual venera o relicario; / y todo esto ¿en qué se funda?, / en que soy Don Damián Pablos, / escribiente de un señor, / con ración de nueve cuartos, / acribillado de trampas / a puro pedir prestado / y andar engañando bobas / con fingidos mayorazgos.“ Wie schon im Falle Jerónimas kontrastieren hier der äußere Schein und das Blendertum mit dem wahren Sein. 157 Dass diese Äußerlichkeiten trotz des vielen auf sie verwendeten Geldes keinen Pfifferling wert sind, verdeutlicht eine Replik der Dienerin Martina, die das vernunftgeleitete und fleißige Pendant ihrer Herrin María ist: „[...] la tal dama, / sin ser juicio temerario, / entre veinte compañeros / valdrá cuatro y cinco ochavos / ella, su dote y su ropa“. Moratín (1996 [1762]: 70, vv. 204ff.). Ähnlich fällt das Urteil von Don Félix’ Diener Roque über Jerónima aus: „Esta madama fatal, / Exsahumada con incienso, / que la faltan, según pienso, / ocho cuartos para un real / [...].” Moratín (1996 [1762]: 102, vv. 1265ff.). 666 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Spielzeit ein, genauer gesagt: den gesamten Vormittag158 einer Handlung, die ganz im Sinne der neoklassischen Regel von der Einheit der Zeit einen einzigen Tag umfasst. Volle drei Szenen (8-11)159 des ersten Aktes verwendet Moratín darauf zu zeigen, wie sich Jerónima von ihrer Dienerin Ana frisieren lässt, auch, als Félix und Damián den Kusinen zwischenzeitlich einen Besuch abstatten. Dies veranlasst den höflichen160 Félix zu der vorsichtigen Frage, ob man störe.161 Einen ähnlich großen Raum nehmen die verwendeten Kleidungsstücke und Accessoires französischer Provenienz ein, etwa der „pitibú“162, vermutlich abgeleitet vom französischen „petit boucle“163 (dt.: „kleine Locke“), ein Haarschmuck, den Jerónima auf keinen Fall an zwei Tagen in Folge tragen zu können meint, denn, so fragt sie ihre Dienerin Ana: „¿[...] dónde has visto tú /que una mujer de mis prendas / use dos veces seguidas / una cosa mesma?“164. Der adelige Standesdünkel tritt hier offen zutage.165 Der Begriff „prendas“, der im Spanischen ‚Kleidungsstücke‘ ebenso bezeichnet wie ‚gute Eigenschaften‘, führt dem potenziellen Publikum Jerónimas Grundproblem vor Augen: Die sorgsam ausgewählte Kleidung dient dazu, über innere Mängel hinwegzutäuschen. Ein weiteres szenischen Raum einnehmendes Modeaccessoire ist der Fächer. Jerónima wählt zwischen dreien aus, wobei auch hier die Maßgabe gilt, dass was gestern noch tragbar war, heute schon passé ist.166 Diese Szene dient nicht nur dazu, die ZuschauerInnen über 158 Wie erfahren zudem, dass María im Gegensatz zu Jerónima früh aufsteht, ihren häuslichen Pflichten, z.B. dem Kochen, nachkommt, das sie – wenn auch nicht klaglos – für Jerónima mit übernimmt. Vgl. Moratín (1996 [1762]: 76, vv. 410f.): „María: Ya ves que tú no haces nada / y yo siempre cocinera [...].“ 159 In der Ausgabe von Gies fehlen die Szenenangaben. Diese beziehe ich aus der Ausgabe Fernández de Moratín, Nicolás (1857): La petimetra. Madrid: Rivadeneyra. Quelle: https://www.cervantesvirtual.com/obra/la-petimetra/, Zugriff: 10.09.2021. 160 Félix ist nicht nur höflich, sondern am Hofe aufgewachsen und ein Adelsspross. Vgl. Moratín (1996 [1762]: 81, vv. 584ff.). 161 Vgl. Moratín (1996 [1762]: 82, vv. 637f.). 162 Moratín (1996 [1762]: 71, vv. 235ff.). 163 Vgl. die erläuternde Fußnote von Gies mit Verweis auf John Dowlings (1981) Ausgabe der sainetes von Ramón de la Cruz, vol. I, Madrid: Castalia, p. 124. 164 Moratín (1996 [1762]: 72, vv. 244ff.). 165 In einer Replik Marías weist diese sich und ihre Kusine als Adelige aus, vgl. Moratín (1996 [1762]: 78, vv. 476ff.). Dennoch lebt María „con modesta, / decente, no escandalosa, / bien limpia, y no deshonesta“ (ibid.). 166 Vgl. Moratín (1996 [1762]: 91f., vv. 948ff.). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 667 die verschwenderische Vielfalt der zur Verfügung stehenden Luxusobjekte aufzuklären, sie gibt überdies über die Vergnügungen Auskunft, denen sich Jerónima hingibt, als die Dienerin Ana die Fächer nach dem Anlass benennt, zu dem sie getragen wurden: „ ¿Cuál quereis? ¿el de la fiesta / de los toros de Aranjuez? / [...] / ¿El del peneque? [...] / ¿Del empedrado?”167 Dass Jerónima nicht nur rauschenden Festen, sondern auch Stierkämpfen beiwohnt, gibt sowohl über ihren ocio und ihre mangelnde Häuslichkeit Auskunft als auch über ihre normverletzende Allianz mit den Unterschichten. Spanische Aufklärer – wie etwa Jovellanos in seiner Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas (1796)168 – weisen den Stierkampf als Unterhaltung des Pöbels zurück und begrüßen dessen Verbot durch Carlos III. im Jahre 1785. Der sich anhand der erwähnten Luxusgegenstände169 manifestierende materielle und zeitliche Exzess offenbart neben der (reform-) ökonomischen Normverletzung170 auch eine geschlechtliche. Beide kennzeichnen den Typus der femina profusa: Im gleichen Maße wie der vir profusus in Gestalt des petimetre in seiner modischen Extravaganz verweiblicht erscheint, verweigert sich die femina profusa in Gestalt der petimetra die den Frauen durch die Reformökonomie zugedachte biopolitische Funktion. Indem sie ihre gesamte Zeit auf den Konsum, das Sich-Herausputzen und zweifelhafte Vergnügungen verwendet, erteilt sie der weiblichen Rolle als Hausfrau und Mutter eine Absage.171 Die sich aus der weiblichen petimetría ergebende biopolitische 167 Vgl. Moratín (1996 [1762]: 92, vv. 949ff.). Vgl. Jovellanos (1998: 154). Wie Carnero (ibid.) in einer Fußnote anmerkt, ist die ablehnende Haltung Jovellanos‘ gegenüber dem Stierkampf paradigmatisch für die spanische Aufklärung, in deren Verlauf sich die aufgeklärte Elite von Spektakeln dieser Art distanziert, die als Vergnügungen des niederen Volkes betrachtet werden. Wie Jovellanos (1998: 151f.) selbst ausführt, war der Stierkampf eine Form der Unterhaltung, die seit dem 13. Jahrhundert bevorzugt vom Adel frequentiert wurde und Bestandteil höfischer Feste war. 169 Desweiteren sind dies „las cintas / las sortijas, las pulseras, / el collar, el ramillete, / los guantes, caja y frasquera / el reloj, las arracadas / y lo que sabes que lleva / una mujer de mi porte”, also Ringe, Armbänder, Halsketten, kleine Blumengebinde zum Anstecken, Handschuhe, Kästchen mit Kosmetik, eine Uhr und Ohrhänger. Moratín (1996 [1762]: 92, vv. 957ff.). Blumen als Haarschmuck finden auch an anderer Stelle Erwähnung, vgl. Moratín (1996 [1762]: 83, vv. 644ff.). 170 Gemeint ist die Verletzung der reformökonomischen Präskriptive, dass heimische Waren importierten vorzuziehen sind. 171 Vgl. Haidt (1998: 109f.). 168 668 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Problematik, die mit den poblationistischen Besorgnissen der Reformökonomen im Zusammenhang steht (vgl. Kap. 3), tritt auch in der kinderlosen Ehe der petimetra Blasa und des Kaufmanns Lorenzo aus Comellas El hombre agradecido zutage. Da Blasa sich bis spät in die Nacht herumtreibt, steht sie für die Reproduktion nicht zur Verfügung – nicht nur, weil sie schlicht abwesend ist, sondern auch, weil exzessive und unangemessene Vergnügungen aus Sicht der Aufklärer der weiblichen Gesundheit schaden und die Fruchtbarkeit mindern. So unterstellen die medizinischen Traktate der spanischen Aufklärung in Anlehnung an ausländische Schriften172 einen Zusammenhang zwischen physischer und moralischer Gesundheit.173 Die Figur Madama aus Gálvez‘ La familia a la moda führt aber noch ein anderes aus der petimetría resultierendes biopolitisches Problem vor Augen, das sich auf die leichtfertige Übernahme fremder Gebräuche gründet: In Frankreich ist es im 18. Jahrhundert in höheren Kreisen üblich, dass Eheleute getrennte Schlafzimmer haben. Diese fremde Sitte führt die Madama im eigenen Hause als letztes verbliebenes Mittel ein, als ihr Mann Canuto sich am Ende ‚bekehrt‘, ihr das Kommando über den oikos entreißt und sich die ‚Hosen‘ buchstäblich wieder ‚anzieht‘.174 172 Vgl. Bolufer (1995: 258), die als Quellen William Buchan (1729-1805), Auguste Tissot (1728-1797), Achille Guillaume Bègue de Presle (1735-1807) und Jean-Baptiste Pressavin (1734-1799) nennt. 173 Vgl. Bolufer (1995: 258). Die in den Moralischen Wochenschriften veröffentlichten Ratschläge an Frauen und Mütter, die ihnen ihre biopolitische Verantwortung für das Gedeihen der Nation bewusstmachen sollen, identifiziert Bolufer als Mittel, die bewusst Druck auf die Frauen ausüben und ihnen die Verhaltensnormen der Reformpolitik nahebringen sollen: „Entrelazando estrechamente salud física y moral, [los discursos médicos] tendían a indicarles como saludables modos de vida domésticos, alejados del tráfago de la sociabilidad, de la esclavitud de la moda y de los ‚excesos’ mundanos, presidios por la moderación y la templanza.” 174 Gálvez (2001: 252, vv. 727ff.): „CANUTO: Pués yo, que estoy aburrido / de sufrirte, y afrentado, / si a la orden lugar has dado, / obraré como marido: / me ataré bien los calzones, / a mi hija casaré / [...] y no repliques.” Darauf antwortet Madama: „Bien puedes lisonjearte / de que a la fuerza he cedido; pero desde hey ten sabido / que pongo mi cama aparte.” Wie Andioc (ibid.) in einer Fußnote bemerkt, war dies bis zu dieser Stelle der einzige Aspekt, der Madama noch zu einer „perfecta petimetra afrancesada“ gefehlt hatte. Das afrancesamiento bezeichnet in der spanischen Aufklärung die unkritische und allzu eifrige Übernahme französischer Moden, Sitten und Gebräuche. Entsprechend werden petimetres auch als afrancesados bezeichnet. Eine Wiederbelebung erfährt der pejorative Begriff im Kontext der napoleonischen Besetzung Spaniens im Jahre 1808. 9. Typisierungen der Misswirtschaft 669 Im gleichen Maße, wie der ausländische vir profusus Überfremdungsängste zum Ausdruck bringt und damit über die habituelle Verunsicherung175 der Männer der spanischen Oberschicht Auskunft gibt, ist auch die femina profusa ein theatrale Figur, die soziale, ökonomische, kulturelle und geschlechtsbezogene Ängste – und mit ihnen biopolitische Besorgnisse – verdichtet und ihnen ein figurales Gesicht gibt. Auch dieser weibliche Figurentypus ist in seiner stereotypen Überzeichnung und Lasterhaftigkeit der Zielpunkt einer reformorientierten, ökonomischen ebenso wie gendernormativen und theatralen Kritik, die sich auf der Bühne in Form der Karikatur niederschlägt. Der Lächerlichkeit preisgegeben werden muss die renitente Frauenfigur deshalb, weil sie nicht nur das männlich-nationale Wirtschaftssystem, sondern auch den Gesellschaftsentwurf des patriarchalen Stellvertretersystems des aufgeklärten Absolutismus bedroht. In dieser Hinsicht ist die durch die petimetra karikierte Gestalt der sachkundigen176 Konsumentin und Expertin in Sachen Mode letztlich ein Schreckgespenst, das die männlichen Domänen der spanischen Nationalwirtschaft ebenso heimsucht wie den patriarchal dominierten oikos.177 Mit ihrem ungezügelten Konsum ausländischer Luxusgüter ruft die petimetra nicht in erster Linie deshalb so großen Widerstand bei den Aufklärern hervor, weil sie das Kapital von Familie und Nation aufs Spiel setzt, sondern weil sie sich erstens der patriarchalen Ordnung und deren biopolitischer Präskriptive verweigert, und zweitens die soziale Nivellierung und Demokratisierung durch Kleidung praktiziert. Dass dazu insbesondere im Falle der weiblichen petimetría noch nicht einmal große finanzielle Potenz von Nöten ist, zeigt Haidt (2011). Viele petimetras, die eben nicht nur aus dem Adel, sondern auch aus dem Bürgertum und den unteren Schichten stammen, arbeiten ihre Kleidung selbst um und/oder verwenden gebrauchte Kleidungsstücke als Basis für neue.178 Accessoires wie Borten, Spitzen, Federn und Schmuck dienen in diesem Zusammenhang dazu, Altes aufzuwerten. 175 Vgl. Heße (2008), s.o. Sachkundig ist sie deshalb, weil sie die bessere Qualität und den modischen Stil der ausländischen Waren zu schätzen weiß. 177 Hayek, Friedrich August von (21976): Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. Salzburg: Wolfgang Neugebauer, p. 22, zitiert in Bauer (2015: 25). Hayek hat seinerseits den homo oeconomicus als „Gespenst“ bezeichnet. Diesen Gedanken greift Vogl bereits im Titel von Das Gespenst des Kapitals (2010) auf. 178 Vgl. Haidt (2011: 146ff.). 176 670 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Dies verdeutlicht auch eine Szene aus La petimetra, in der die Dienerin Ana ihre Herrin Jerónima darauf hinweist, dass sie sich ungeachtet ihrer knappen finanziellen Mittel weiterhin als petimetra ausstatten könne, weil Ana in der Lage sei, deren Kleidung so umzunähen, dass sie wie neu aussehe: ANA: [...] otra ninguna habrá que pueda poner decente con menos costa a su ama, pues de cualquier trapo viejo formado un vestido dejo, digno de la mejor dama, que los vestidos de hoy día no son de coste, señora; [...].“179 Wie Haidt anhand diverser sainetes und unter Hinzuziehung historischer Studien veranschaulicht, ist das, was hier formuliert wird, im 18. Jahrhundert in Spanien gängige Praxis.180 9.2.2. Die unsichtbare Hand der Konsumentin und die weibliche Wollust Im vorausgehenden Abschnitt konnte die petimetra als eine den Feudalstaat heimsuchende Spektralgestalt identifiziert werden, eine aktionsbezogene weibliche Autarkie ebenso repräsentiert wie die konsumbezogene Demokratisierung und die daher liberalistisch anmutet. Auch Bolufer weist darauf hin, dass die aufklärerische Luxuskritik, die sich im Roman, im Theater und in der Presse181 in der Gestalt der petimetra kondensiert, im Grunde eine Kritik am Luxuskonsum der 179 Vgl. Moratín (1996 [1762]: 74f., vv. 350ff.). Während die Dienerin Ana im Nähen geschickt ist, gilt für Jerónima „[que] ni sabe coser un punto / ni sabe echar sal a un huevo“. Moratín (1996 [1762]: 102, vv. 1279f.). 180 Vgl. Haidt (2011: 147f.). 181 Zu den aufklärerischen Polemiken über die petimetra in Literatur und Presse vgl. Haidt (2003: 141ff.) und Hontanilla (2003: 52f.; 55ff.). Hontanilla untersucht überdies die Darstellung der petimetra in der spanischen Malerei (Goya). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 671 „mujer plebeya“182 sei. Die petimetra metonymisiert den Typus der selbstbewusst agierenden, marktsteuernd wirkenden Verbraucherin. Smith hat diesen Mechanismus in The Wealth of Nations (1776) mit der Metapher der ‚unsichtbaren Hand‘ beschrieben. Eben weil dieser ‚neue‘ Typ der Verbraucherin den national orientierten Ministern und Reformökonomen ein Dorn im Auge ist, muss er im absolutistischen Reformtheater im Büßergewand des doppelten Fremden erscheinen. Als Fremde, da außerhalb des patriarchalen Regimes stehend, ist diese Gestalt zum einen durch ihre libertine Weiblichkeit markiert. Fremd ist sie zum anderen aufgrund ihrer ‚unweiblichen‘ Egozentrik, die sich am ‚guten‘ Ende der untersuchten Komödien insofern rächt, als die petimetra nicht nur moralisch abgestraft wird, sondern zudem machtund mittellos dasteht.183 Durch diese Ohnmacht wird sie in ihrer Rolle als marktsteuernde und das Schicksal des oikos beeinflussende ökonomische Akteurin ‚stillgestellt‘, damit die gattungstypische Befriedung der turbulenten Transaktionen am Komödienende gelingen kann. Die Notwendigkeit, die petimetra als Strafe für ihr konsumzentriertes Verhalten handlungsunfähig zu machen, erklärt sich auch daraus, dass Aktivität traditionell männlich und Passivität weiblich konnotiert ist. In ihrem aktiven Marktverhalten verweigert sich die durch das Stereotyp der petimetra repräsentierte Käuferin dem zeitgenössischen Idealbild passiver Weiblichkeit, für das exemplarisch Cabarrús‘ Intervention gegen die Beteiligung von Frauen in der Matritense steht: Cabarrús considérait que la présence des femmes dans les espaces sociaux des hommes pouvait les distraire de leurs occupations sérieuses pour les plonger dans la recherche frivole des faveurs de ces dames. Implicitement selon lui, la sexualité des femmes constituait une menace qui empêchait les deux sexes de collaborer dans un registre différent de celui de la galanterie ou du rapport amoureux.184 Die Konsumentin hingegen nimmt als bedeutsames Teilelement der ‚unsichtbaren Hand‘ Einfluss auf Märkte und Produktionsprozesse. 182 Vgl. Bolufer 1998: 181). Zu Abstrafung der Figur der Jerónima aus La petimetra vgl. Schuchardt (2014: 274ff.) und eadem (2016: 176ff.). 184 Vgl. Bolufer (2011: 494f.). Sofern rationale Gründe vorliegen, befürwortet Cabarrús allerdings durchaus die Scheidung. Vgl. Bolufer (1998: 262). Damit bewegt er sich auf der Linie Diderots. 183 672 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Indem ihre Nachfrage darüber bestimmt, was gehandelt und produziert werden soll, untergräbt sie die Autorität der Kaufleute und Unternehmer-Paternalisten, aber auch die der marktlenkend eingreifenden Reformökonomen im Dienste der Politischen Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus unter Carlos III. und IV.185 Während mit dem „petimetre ein männlicher Figurentyp entworfen wird, der mit seiner Neigung zu modischer Eitelkeit in eine weibliche Domäne einbricht“186, interveniert die petimetra also in die Männerdomäne des nationalen Wirtschaftssystems. Darauf, dass Mode und Modeartikel im spanischen 18. Jahrhundert nicht nur zum Indikator sozialer Mobilität, sondern auch zum Mittel weiblicher Macht werden, verweist Bolufer.187 Gerade weil die petimetra diese weibliche Macht verkörpert, darf sich ihre Lasterhaftigkeit nicht auf die Todsünde der gula, die hier als materielle Unersättlichkeit erscheint, beschränken. Vielmehr muss sie sich zugleich in luxuria, d.h. in der Ausschweifung des außerehelichen sexuellen Verlangens, niederschlagen. Indem das Theater die petimetra nicht nur als exzessive Konsumentin, sondern zuweilen auch als Spielerin188 zeichnet, die sich in einem gemischtgeschlechtlichen Milieu bewegt, setzt sich die Figur dem Verdacht sexueller Leichtlebigkeit aus.189 Bezeichnenderweise ist dieser theatrale Kurzschluss zwischen lujo (dt.: „Luxus“) und lujuria (dt.: „Lüsternheit“) der kirchlichen Luxuskritik entnommen,190 was 185 Diesen Befund bestätigt auch Hontanilla (2003: 55): „[...] the petimetra became the clearest threat to the delicate balance of the economic projects of the government.“ 186 Heße (2008: 158). 187 Vgl. Bolufer (1998: 308f.). 188 Vgl. die Figur der Blasa aus Comellas El hombre agradecido. Als diese durch Bruno unerwartet an Geldmittel gelangt, die eigentlich für die Sanierung des kaufmännischen Haushaltes bestimmt sind, gibt sie diese sogleich aus, u.a., um neben Rechnungen für Modeartikel auch ihre Spielschulden zu begleichen. In dieser Szene wird der laxe Umgang der petimetra mit Geld performativ vor Augen geführt, was umso mehr wirkt, als Geld hier tatsächlich auf der Bühne präsent ist, während sonst nur darüber geredet wird: „Mil reales al Zapatero. Separa dinero. / Quatro mil a la Francesa / de las gasas. Otros quatro / para el que baylar me enseña / y para una relox de moda / doce onzas. Aun me queda / mucho dinero, bien puedo / echarme en la faldriqueta. [...] para el juego de esta noche / otras diez [...].“ Comella (1796: 5f.). ... 189 Dies steht ganz im Gegensatz zur Zeichnung der femina fabra Cecilia, die selbst dann, als sie von Silvestre bedrängt wird, über jeden Zweifel an ihrer Keuschheit erhaben ist. 190 Vgl. Bolufer (1998: 183). 9. Typisierungen der Misswirtschaft 673 abermals191 zeigt, dass sich der säkulare aufklärerische Reformgeist dann etablierter religiöser Topoi bedient, wenn es seinen didaktischen Zwecken dient. Die durch die femina profusa in Gestalt der petimetra verkörperten Laster führen uns zum Luxuskonzept Mandevilles. Dazu bemerkt Vogl: Natürlich ist der Mensch – so heißt es auch bei Mandeville – von Affekten, Begierden und Leidenschaften beherrscht, darunter sogar ehemalige Todsünden wie superbia, avaritia, envidia, luxuria, also Hochmut, Geiz, Neid, Ausschweifung, die das Herz der Menschen entflammen. Allerdings, so geht Mandevilles Argument weiter, sind eigentlich nicht die maßvollen Neigungen, sondern gerade die maßlosen wirklich erfinderisch, listig und produktiv; und mehr noch, es lässt sich erkennen, dass all diese verschiedenen Leidenschaften sich wechselseitig aufrufen und in Bewegung halten, dass sie sich schließlich gegenseitig balancieren und kompensieren.192 Das Mandeville zufolge von Affekten und Begierden geleitete, freie Treiben des Marktes, dieses liberalistische Walten der ‚unsichtbaren Hand‘ im Sinne Adam Smiths, kann das patriarchalische Stellvertretersystem des aufgeklärten Absolutismus in Spanien, das stets darauf bedacht ist, die dem Luxus anhaftenden moralischen Zweifel zu betonen, ebenso wenig dulden wie die Rolle der Frau als marktbestimmende Akteurin. Wie schon der vir profusus bedient auch die femina profusa das Narrativ, dass die (moralisch, geschlechtlich, ökonomisch, politisch) Devianten stets verlieren (müssen). In diesem Sinne kompensieren sie im Medium der theatralen Fiktion eine sich auf der Ebene der ökonomischen Realität manifestierende Verunsicherung. Für die Misogynie der spanischen Aufklärungsbewegung bezeichnend ist, dass die große Gruppe der französischen Kaufleute, die mit der Machtergreifung der Bourbonen zahlreich nach Spanien emigriert war193 und althergebrachte sozio-kulturelle sowie ökonomische Werte herausgefordert hatte, indem sie bei der weiblichen Käuferschaft die 191 Das erste in dieser Arbeit genannte Beispiel war die Instrumentalisierung der kirchlichen Theaterzensur durch die neoklassische Theaterreform (vgl. Kap. 4). 192 Vogl (2010: 34). 193 Konkrete Zahlen zu den französischen Emigranten liefert Pérez-García (2013: 90) auf der Basis des 1764 unter Carlos III. erhobenen Zensus. 674 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Nachfrage nach Luxusgütern befeuerte,.194 im Theater der Spätaufklärung mitnichten so präsent ist wie das durch die petimetra verkörperte Gespenst der spanischen Konsumentin. Insofern französische Händler im Theater auftauchen, wie etwa der Modist aus Comellas El alcalde proyectista, treten sie eher im sainete auf als in den comedias de teatro, die ja den Zielpunkt der bourbonischen Theaterreform bilden. Dort begegnen wir ihnen zumeist in Gestalt des Krämers. Die Großkaufleute, die den spanischen Binnenmarkt tatsächlich bestimmen, finden sich dort nicht. Wenn also aus dem potenten Großkaufmann der lächerliche Kleinhändler wird, werden Ängste im Theater durch figurale Diminutiva kompensiert. Männliche Figuren dieser Art sind allerdings weitaus seltener als Karikaturen der Konsumentin in Gestalt der petimetra. Statt sich also auf die finanziell potente männliche Konkurrenz aus dem Ausland ‚einzuschießen‘, die in Spanien Dependancen in Form von Handelshäusern195 unterhält, richtet sich die merkantilistisch motivierte Kritik des Theaters gegen die einheimischen Frauen. 9.3. Zwischenbilanz: Das Maskenspiel der Metonymien und der reformökonomisch-christliche Kanon der Tugenden und Laster Figurentypen wie der vir profusus und die femina profusa, die in ihrem normenüberschreitenden Verhalten von Ängsten vor dem Außerkrafttreten der herrschenden Ordnung zeugen, lassen – so scheint es – tiefere Einsichten in die tatsächlichen sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu als idealisierte Typen wie der vir oeconomicus und die femina oeconomica. Beide, vir profusus und femina profusa, repräsentieren ein vom reformökonomischen Narrativ der felicidad pública verdrängtes Element: die Wahlfreiheit der Konsumentin bzw. des Konsumenten. Sie veranschaulichen überdies die Heimsuchung aufklärerischer Geschlechterbilder durch eine transgressive Männlichkeit bzw. Weiblichkeit. Das nicht nur in Spanien, sondern im gesamten aufklärerischen Europa kursierende Ideal des wirtschaftlich und sozial funktionalen Menschen fußt Habermann 194 195 res. Vgl. Pérez-García (2013: 91). Vgl. das in Kap. 2.3 genannte Beispiel der französischen Compagnie Roux-Frè- 9. Typisierungen der Misswirtschaft 675 zufolge maßgeblich auf Smiths Theory of Moral Sentiments (1759) und dem dort entworfenen Konzept der inneren und äußeren Gerichtsbarkeit. Letzteres weist Parallelen zu Benthams Modell des Panoptikums auf, in dem das Individuum stets der Kontrolle einer es reglementierenden Gesellschaft unterliegt.196 Habermann zeigt anschaulich, wie mit dem Konzept der inneren und äußeren Gerichtsbarkeit bei Smith auch die weiße, männliche und bürgerliche Identität hegemonialen Verschiebungen unterworfen [ist]. Es handelt sich nicht länger um die Rationalität des freien Individuums als Grundlage der Rationalität, sondern Rationalität wird zunehmend als unternehmerische Rationalität definiert.197 Schon Mitte des 18. Jahrhunderts wird also ein Konzept des Subjekts entworfen, das ‚Unternehmer seiner selbst‘ ist. Für die aber, die „einen Mangel an Initiative zeigen, an Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Mobilität und Flexibilität“198, bedeutet dies, dass sie damit ihre Unfähigkeit zur Schau stellen, ein „freies und rationales Subjekt zu sein“199. Mit dem hegemonialen Konzept des homo oeconomicus geht das bereits skizzierte Ideal hegemonialer Männlichkeit einher,200 dessen Gegenbild der vir profusus ist: Da dieser ein wertloser, weil nicht funktionaler Bestandteil des Nationalstaates ist, hat er zugleich sein Recht auf persönliche Freiheit verwirkt. In den untersuchten Komödien zeigt sich das, wenn Charaktere wie der libertine Mariano oder Silvestre und Simón am Ende ins Gefängnis (bzw. an gefängnisähnliche Orte) verbannt werden. Die petimetra verliert am Ende der hier untersuchten Stücke insofern ihre (Wahl-)Freiheit, als ihr keine Handlungsoptionen mehr bleiben: finanziell mittellos (Jerónima), von ihrem Kommando über den oikos entbunden (Madama; Blasa) und/oder ehelich an einen ebenfalls mittellosen Taugenichts gebunden (Jerónima), bleibt ihnen nichts als sich in das männliche Regime der Ordnung zu fügen. Habermann erachtet die Theorien Adam Smiths als deshalb besonders anschlussfähig für die Politischen Ökonomien der europäischen 196 Vgl. Habermann (2008: 172). Habermann (2008: 173). 198 Habermann (2008: 173). 199 Habermann (2008: 173). 200 Vgl. Habermann (2008: 173). 197 676 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Aufklärung, weil sie die Rolle des Staates neu definieren:201 Einerseits steht der Staat, wie Smith ihn konzipiert, über der Gesellschaft. Andererseits ist die Legitimität dieses Staates an die Freiheit der funktionalen Individuen der bürgerlichen Gesellschaft gebunden, die ihm also Grenzen setzen.202 Während dies für England und Schottland aufgrund der dort bereits Mitte des 16. Jahrhunderts vollzogenen politischen Veränderungen Gültigkeit hat, trifft es für das absolutistische Spanien insofern nur bedingt zu, als der Wert des Individuums sich auch dort zwar an seiner Funktionalität und Produktivität im nationalen ökonomischen System bemisst, die Freiheit des Einzelnen aber dort endet, wo sie mit dem feudalen System und den sozialen und politischen Privilegien seiner Trägerschichten – der Krone, ihrem Verwaltungsapparat, dem mit ihnen paktierenden Adel, der Religion (weniger der Kirche als zunehmend an Einfluss verlierender Institution) – in Konflikt gerät. Dies offenbart der Umstand, dass das aufklärerische (sentimentale) Wirtschaftstheater Ökonomie als ein System der staatlichen Stellvertretungen inszeniert. Was die Darstellung Frankreichs und der spanischen Xenophobie anbelangt, verstellt eine Betrachtung, die sich allein auf die merkantilistische Perspektive beschränkt, den Blick auf das durch die comedia económico-sentimental sowie durch die neoklassische Komödie der spanischen Spätaufklärung betriebene Maskenspiel203 der Metonymien. Dieses Maskenspiel bildet das literarische Analogon zum bourbonischen System hierarchisch-pyramidaler Stellvertretungen. Zum einen steht im Rahmen dieses durch die Komödie204 initiierten Spiels 201 Habermann (2008: 175). Vgl. Habermann (2008: 175). 203 Ein ähnliches Maskenspiel beobachtet Bolufer (1995: 253) auch in der Presse des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wo neben ökonomischen Debatten etwa über den Luxus auch die Geschlechterdebatte in Form eine „querella de las mujeres“ (ibid.) ausgetragen wird. Das Maskenspiel kommt in der Presse zum Tragen, wenn die Beiträger der Moralischen Wochenschriften ihre eigene Position hinter teils fiktiven Leserbriefen tarnen oder imaginäre Dialoge entwerfen, denen sie durch Authentizitätsfiktionen die nötige Autorität verleihen. 204 Fulda (2005: 26) zufolge ist das komödientypische ‚scheinhafte Spiel’, das in Verwechslungen, Verkleidungen, Listen und Intrigen besteht, eine weitere Strukturhomologie zwischen dem Geldmarkt und der Gattung Komödie. In diesem Sinne ist auch das hier beschriebene ‚metonymische Maskenspiel‘ eine Strukturhomologie: Wie der mögliche Gelderwerb sich in kalkuliertem bis listigem Handeln vollzieht (das beginnt mit dem Feilschen auf dem Markt und reicht bis zur Börsenspekulation), so werden die 202 9. Typisierungen der Misswirtschaft 677 das durch die ‚französisierten‘ petimetres und petimetras sowie durch seine Tanzlehrer und Modisten repräsentierte ‚fremde‘ Frankreich in der Kritik. Dieses erscheint als jugendgefährdender Verbreiter neuer Moden und Sitten – und damit als ein im Umbruch befindliches politisches System, das auf eine liberalistische Zukunft hindeutet. Eben weil das vorrevolutionäre, insbesondere aber das revolutionäre und post-revolutionäre Frankreich bürgerliche Werte (fraternité – égalité – liberté) repräsentiert, ist dort, wo im spanischen Theater der Spätaufklärung vermeintlich eine merkantilistisch motivierte Überfremdungsangst in Szene gesetzt wird, vermutlich eher die Angst vor dem politischen Umsturz gemeint. Damit wird das Ökonomische zu einer Metonymie des Politischen. Zum anderen zielt die im Theater performativ inszenierte Kritik der Reformer auf die eigene Bevölkerung, auf ökonomisch, politisch, sozial, gesetzlich und geschlechtlich deviante Männer und Frauen: Die Abweichung des vir profusus und der femina profusa von den durch die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus gesetzten Normen versinnbildlicht das Pochen bestimmter Gruppen von Individuen innerhalb des spanischen Staates auf das Bürgerrecht der Freiheit. In Form der Karikatur und typisierten Überzeichnung setzen spanische Wirtschaftskomödien des ausgehenden 18. Jahrhunderts die ‚Normverletzer‘ als Gefährder des bien común in Szene, die am Ende den eigenen finanziellen und sozialen Ruin beklagen müssen. Die Imitation der Unterschichten – der majos und majas – durch die petimetres und petimetras der Oberschicht und die äußerliche Ununterscheidbarkeit der petimetras aus der Unterschicht von den Damen des gehobenen Bürgertums und Adels, eine In-Differenz, die durch eine boomende Gebrauchtkleiderbranche und findige Schneiderinnen ermöglicht wird, führen zu einer steigenden Durchlässigkeit der Standesschranken, die den Reformern von Wirtschaft, Theater und Gesellschaft schon allein deshalb suspekt sein muss, weil sie selbst dieser Oberschicht angehören. Dass eine derartige soziale Nivellierung durch Mode in der Lage ist, soziale Spannungen zu mildern, Handlungsstruktur und die komische Wirkung der Komödie wesentlich von scheinhaften und täuschenden Aktionen – Verkleidung, List, Intrige – getragen. Vgl. Fulda (2005: 26) mit Verweis auf Martini (1974: 21). 678 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien wird dabei übersehen. Da also Mode und Kleidung205 ihre Bedeutung als Mittel sozialer Distinktion206 verlieren, sind es nun die in der comedia económico-sentimental artikulierten ‚Facetten feiner Gefühle‘207, mit Hilfe derer sich die reformorientierte Elite der Aufklärer vom Pöbel distanziert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass vir profusus und femina profusa als Gegenentwürfe zum wirtschaftlich erfolgreichen vir oeconomicus und zur umsichtigen femina oeconomica über diese emotionalen Nuancen gerade nicht verfügen: Ihr emotionaler Dauerzustand ist der Affekt, der sich nicht allein in einem undifferenzierten und aus dem Gleichgewicht geratenen Gefühlshaushalt,208 sondern vor allem in Lastern wie Gier (gula), Wollust (luxuria), Wut (ira) und der Faulheit (acedia) niederschlägt. Diese den vir profusus bzw. die femina profusa kennzeichnenden Laster entsprechen vier der sieben christlichen Todsünden. Zwei weitere, Hochmut bzw. Eitelkeit (superbia) und Neid (invidia), werden durch das Bedacht-Sein beider Figurentypen auf den äußeren Schein und/oder die Intrige repräsentiert, die sie zum Zwecke finanzieller Vorteile spinnen. Die Laster bzw. Todsünden des vir profusus und der femina profusa stehen 205 Zum Unterschied zwischen Mode und Kleidung vgl. Venohr, Dagmar (2010): Medium macht Mode. Zur Ikonotextualität der Modezeitschrift. Bielefeld: transcript, insbesondere den Abschnitt „Medien der Mode“, pp. 31-61. Während Kleidung ausschließlich funktional ist, indem sie wärmt oder schützt, kennzeichnet Mode nicht nur der ästhetische Mehrwert, sondern auch, dass sie innerhalb des semiotischen Systems ‚Mode‘ als solche präsentiert wird. Kleidung, die als Mode erkannt und präsentiert wird, bezeichnet Venohr (2010: 32) unter Bezugnahme auf Barthes‘ Système de la mode als „Modekleidung“. 206 Dass es bei der neoklassischen und aufklärerischen Kritik an der petimetría um soziale Distinktion geht, bestätigt auch Jehle und verweist darauf, dass es toleriert wurde, wenn adelige Herren das Verhalten der petimetres imitierten und der Dame beim Gehen den Arm reichten. Legten Vertreter der Unterschichten hingegen das gleiche Verhalten an den Tag, kam dies einem Skandal gleich. Vgl. Jehle (2010: 193) mit Bezug auf Kany (1932: 203). 207 Bolufer (1998: 275; 277), s.o. (vgl. Kap. 8.1). 208 McCloskey (2007: 279) konstatiert, dass auch der klassischen, d.h. der antiken Tugendethik gemäß „evil“ gleichbedeutend mit „imbalance“ war. Aber auch ein Ungleichgewicht der Tugenden wurde als gesellschaftsschädigend angesehen, wie McCloskey in Bezug auf die Haltung des englischen Bischofs Joseph Butler (1692-1752) ausführt. „Self-interest was a matter of prudence and courage, benevolence, love and justice. But neither could flourish without temperance [...]“. McCloskey (2007: 285) mit Bezug auf Butler, Joseph (1736 [1725]): „Fifteen Sermons“. In: idem. The Analogy of Religion and Fifteen Sermons. London: The Religious Tract Society, pp. 335-528, hier p. 352. 9. Typisierungen der Misswirtschaft 679 den Tugenden des vir oeconomicus, faber und rusticus sowie der femina oeconomica und fabra diametral entgegen. Als solche konnten wir im Zuge unserer Analysen temperantia (Mäßigung), prudentia (Besonnenheit), industria (Fleiß), caritas (christliche Nächstenliebe) und eine ausschließlich auf die Frau bezogene voreheliche castitas (Keuschheit) identifizieren. Die temperantia bildet den Gegensatz zur gula, die prudentia den zur ira, die industria den zur acedia, die castitas einer Doña Cecilia den zur lujuria einer Doña Blasa und die caritas eines Esteban den Gegensatz zur Häresie eines Simón. Damit kombinieren sentimentale, neoklassische und populäre Komödien der spanischen Spätaufklärung bürgerlich-christliche Tugenden wie Fleiß, Besonnenheit und die Mäßigung (industria, prudentia und temperantia), christliche Tugenden (caritas und castitas) und christliche Todsünden (gula, ira, acedia, luxuria) sowie das Vergehen der Häresie zu einem Katalog der Tugenden und Laster. Während die Tugenden das Modell des durch den bourbonischen Reformismus gewünschten idealen Staatsbürgers bzw. der Staatsbürgerin umreißen, ist deren verdammenswertes Gegenbild aus einer Kombination von Lastern zusammengesetzt. Beide, der modellhafte Typus guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie und der abschreckende Typus eines Wirtschaftens entgegen den staatlichen Leitlinien des aufgeklärten Absolutismus, werden dem Publikum über das didaktische Medium des Theaters performativ vor Augen geführt. Dabei ist bezeichnend, dass die säkulare Politische und Kulturelle Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus ihren Entwurf des ‚neuen Menschen‘ taktisch geschickt auf einen christlichen Tugendkanon stützt, der durch die Didaxe der Kirche bereits fest im Volk verankert und entsprechend anschlussfähig ist. 10. FAZIT: SAKRALE ÖKONOMIE In den Analysen dieser Arbeit konnte das Konzept des homo oeconomicus als vir oeconomicus, und damit als ‚ökonomischer Mann‘, identifiziert werden. Als Figurentypus des spanischen Theaters der Spätaufklärung verkörpert er in Gestalt eines ‚Kopfarbeiters‘ und ‚zivilen Helden‘ ideales männliches Wirtschaftsverhalten in Handel und Industrie. Das ökonomische Agieren dieses Figurentyps folgt den Leitlinien der bourbonischen Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, und damit zugleich der Politischen Ökonomie einer Gouvernementalität, der angesichts leerer Staatskassen an der Erhöhung der nationalen Produktivität gelegen ist. Das zu diesem Zweck durchzusetzende Reformprogramm wird über das Medium des Theaters und die Form der sentimentalen sowie der neoklassischen Wirtschaftskomödie didaktisch vermittelt. Ebenso wie in den Diskursen der Reformökonomie selbst sind es auch im theatralen Diskurs, d.h. in der Figurenrede, das ‚öffentliche Glück‘ (felicidad pública) und das ‚Gemeinwohl‘ (bien común), die als rhetorische Begründungen für die nationale Bedeutung des ‚guten Wirtschaftens‘ im Sinne der bourbonischen Vorgaben angeführt werden. Die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus in Spanien wird durch ihre figuralen Verkörperungen in der Gattung der comedia-económico sentimental populärer und neoklassischer Prägung, die diese Studie als privilegiertes Genre der Vermittlung ihrer Leitlinien der ausgemacht hat, nicht nur diskursiv, sondern auch performativ (in Form des Pastoratsprinzips), strukturell (in Form von Strukturhomologien) und intersubjektiv (anhand menschlicher Schicksale) vermittelt. Die gesichtslosen Sektoren von Handel und Industrie erhalten durch die Figuren des ehrbaren Kaufmanns und des philanthropen Unternehmer-Paternalisten ein figurales Antlitz mit wiederkehrenden Eigenschaften und in ihrer geschlechtlichen Verkörperung durch den 682 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vir oeconomicus zudem ein dem aufklärerischen Männlichkeitsideal entsprechendes Leitbild wünschenswerten Wirtschafts- und Sozialverhaltens. Vom vir oeconomicus, der als ziviler Held reine Kopfarbeit leistet und dessen Schreibtischtätigkeit im Theater durch Bühnenutensilien wie Sekretär, Feder, Papier und Uhr angezeigt wird, konnten der vir faber und der vir rusticus als ‚Protagonisten der Produktion‘ und männliche Verkörperungen des Handwerks und der Landwirtschaft unterschieden werden. Diese beiden Typen zeigen nicht nur die Aktionsräume männlicher produktiver Tätigkeiten in Handwerk, Rohstoffförderung und Landwirtschaft auf; durch ihre Zeichnung als vorbildhafte Protagonisten und produktive Kräfte dienen die Letztgenannten überdies dem Zweck, der körperlichen Arbeit (span.: trabajo manual) das ihr anhaftende Stigma zu nehmen und sie als neuen gesellschaftlichen Wert mit moralisierenden sowie damit zugleich zivilisatorischen Effekten zu etablieren. Obgleich arbeitende Menschen infolge der bourbonischen Wirtschaftsreformen faktisch keine Verbesserung ihres sozialen Status erfahren, attestiert ihnen die sentimentale Komödie in einem Akt der symbolischen Kompensation den ‚Seelenadel‘, ein Konzept, das als ‚Tugendadel‘ schon in Benimmfibeln wie Vila y Camps‘ El noble bien educado von 1776 (vgl. Kap. 3.4.3) erscheint. Die rein rhetorische Würdigung des körperlich arbeitenden Mannes durch die comedia económico-sentimental steht ganz im Einklang mit der Real Cédula von 1783 und anderen Erlassen der 1770er und 1780er Jahre, die der Erweiterung des im Handwerk tätigen Personenkreises dienen und die sich als einflussgebend für die theatrale Produktion erweisen. Maßgeblich hierfür sind sowohl Verbote wie die Zensur als auch politisch gesetzte Anreize wie Preise und Prämien, aber auch mittelbar – nämlich über die Theaterkritik – einflussnehmende Medien wie das von Regierungsvertretern beeinflusste Presseorgan des Memorial literario. All diese Faktoren führen dazu, dass sich die Vorgaben dieser Erlasse in einem Zweig des Theaters der spanischen Spätaufklärung niederschlagen, der hier als ‚aufgeklärtes sentimentales Wirtschaftstheater‘ identifiziert wurde und als direkte Reaktion des Unterhaltungssektors auf die kulturellen, ökonomischen und politischen Reformbestrebungen des aufgeklärten Absolutismus unter Carlos III. und IV. verstanden werden kann. Die privilegierte Form dieses Theaters ist die Gattung der Komödie mit ihrem stets guten Ende. Über sie können wirtschaftliche Erfolgsnarrative entfaltet werden, die dazu dienen, die tatsächlich als krisenhaft 10. Fazit: Sakrale Ökonomie 683 empfundene Wirtschaftslage Spaniens zu kompensieren, das im Vergleich zu konkurrierenden europäischen Nationen im europäischen und transatlantischen Handel sowie in der industriellen Produktion ins Hintertreffen geraten war und auch im landwirtschaftlichen Bereich mit Engpässen in der Nahrungsmittelversorgung zu kämpfen hatte. In den comedias económico-sentimentales der spanischen Spätaufklärung wird zum einen die Ehrbarkeit des körperlich arbeitenden Mannes – des Schneiders, Bergmanns und Lumpensammlers – rhetorisch bekundet. Zum anderen führen diese Stücke dem Publikum über den weiblichen Figurentypus der femina fabra vor, dass auch Frauen zumindest im Textilsektor ohne Verlust des sozialen und moralischen Ansehens als Produzentinnen tätig sein können und sollen. Mit der im Verlauf der Analysen vorgenommenen Unterscheidung zwischen männlichen ‚zivilen Helden‘ und im Rahmen des Haushaltes versiert wirtschaftenden Frauen wie der femina oeconomica auf der einen Seite, und ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ wie dem vir rusticus, dem vir faber und der femina fabra auf der anderen Seite, wurde erstmals eine Ausdifferenzierung des vagen Konzepts des homo oeconomicus nach geschlechtsspezifischen Betätigungsfeldern und möglichen Aktionsräumen in verschiedenen Wirtschaftssektoren vorgenommen. Die schematischen Aspekte dieses Konzepts haben sich deshalb als besonders geeignet für die Analysen der hier betrachteten Dramentexte erwiesen, weil – wie die klassische Ökonomie – auch das spätaufklärerische spanische Theater holzschnittartige Typisierungen wirtschaftlicher Akteure vornimmt, die keine Individualität zulassen. Typenhaft sind diese deshalb, weil es sich um funktionale Zuspitzungen handelt, die dazu dienen, nationalwirtschaftliche Prozesse und aufklärerische Wirtschaftstheorie durch Narrative von Erfolg und Misserfolg zu veranschaulichen. Zum besseren Verständnis der ZuschauerInnen werden abstrakte Wirtschaftsmechanismen durch stereotype – und damit epistemologisch leicht zugängliche – Figuren repräsentiert und die Theorie reformökonomischer Leitlinien in konkrete theatrale Handlungen übersetzt. Dadurch, dass in sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung männliche Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften die Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Handel repräsentieren, wird auch die Wirtschaft selbst männlich kodiert. Deren diverse Aktionsräume verdichten sich im bürgerlichen Haushalt, im oikos, wo 684 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien im 18. Jahrhundert die Trennung von Geschäfts- und Privaträumen noch nicht vollständig vollzogen ist, obgleich sich dieser Raum in der spanischen ebenso wie in der europäischen Spätaufklärung mehr und mehr in einen Ort bürgerlicher Innerlichkeit zu verwandeln beginnt. Diese Tendenz zur Verinnerlichung schlägt sich, wie hier gezeigt werden konnte, gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in der allmählichen bühnentechnischen Umgestaltung des dargestellten häuslichen Raums nieder (vgl. Kap. 5.3f.). Dennoch bleibt der Übergang zwischen privaten und geschäftlichen Besorgnissen, zwischen den inneren Gefühlswelten der Figuren und ihrem betont rationalen bzw. irrationalen Agieren im Außen fließend, ja mehr noch: Das gute bzw. das schlechte Wirtschaften im privaten Inneren ist an den Gewinn bzw. Verlust im geschäftlichen Außen gekoppelt. So müssen all jene, die im Inneren des oikos nicht zu haushalten wissen, auch in den geschäftlichen Belangen des Außen scheitern. Diesen Außenraum sehen die ZuschauerInnen nur selten szenisch repräsentiert. Stattdessen wird er durch Botenberichte oder Briefe allein in der Imagination des Publikums evoziert und stellt sich dabei meist als bedrohlich und voller Unwägbarkeiten dar. Identifikationsangebote für die ZuschauerInnen unterbreitet die comedia económico-sentimental im verdichteten Raum des Haushalts, indem sie statt unberechenbarer Individuen wiederkehrende Figurentypen mit immergleichen Eigenschaften inszeniert. Sofern es sich bei diesen Typen um gute ÖkonomInnen bzw. ProduzentInnen handelt, wie sie der vir oeconomicus, der vir faber, der vir rusticus, die femina oeconomica und die femina fabra repräsentieren, dienen diese dazu, einen aufklärerischen und reformökonomischen Tugendkanon vorzuführen, in dem sich neue bürgerliche Ideale wie Arbeit, Fleiß und der ökonomische Umgang mit Zeit mit christlichen Tugenden wie caritas und weiblicher castitas verbinden, und sich zugleich als mit einem Adelstitel kompatibel erweisen. Dem Tugendkanon der sentimentalen Wirtschaftskomödie wird wiederum ein Katalog an ebenfalls figural verkörperten Lastern gegenübergestellt. Auch dabei kommt das Religiöse ins Spiel, denn die christlichen Todsünden erfahren durch die Laster der auf der Bühne agierenden viri profusi und feminae profusae eine aufklärerische und reformökonomische Aktualisierung. So wird aus der Todsünde der Völlerei (gula) der aus merkantilistischer Perspektive zu verurteilende massenhafte Konsum ausländischer Waren, der auf der Bühne als das Laster der Verschwendung erscheint. 10. Fazit: Sakrale Ökonomie 685 Traten in den barocken Fronleichnamsspielen, den 1765 im Zuge der bourbonischen Theaterreform verbotenen autos sacramentales, Allegorien wie ‚die Schönheit‘ („La Hermosura“ 1), ‚die Vernunft‘ („La Discreción“) und ‚das Gesetz der Gnade‘ („La Ley de Gracia“) auf, setzt die aufklärerische comedia económico-sentimental Typen aus der Arbeitswelt in Szene, deren Aktionsraum auf den Bühnenraum und die durch ihn repräsentierten ökonomischen Handlungsfelder konzentriert ist. Ähnlich jedoch wie die Figuren der autos sacramentales, wo ‚der Reiche‘ („El Rico“) in Stellvertretung aller Reichen und ‚der Arme‘ („el Pobre“) stellvertretend für alle Armen steht, haben auch die Typen der comedia económico-sentimental gerade dadurch, dass die durch sie verkörperten Eigenschaften Wiedererkennungscharakter haben, eine metonymische Funktion. Der vir oeconomicus beispielsweise ist zwangsläufig nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern immer auch ein aufgeklärter Philanthrop, der sich durch Fleiß (industria), affektive und finanzielle Mäßigung (temperantia) und Nächstenliebe (caritas) auszeichnet und zudem in seinem paternalistisch-belehrenden und autoritären Habitus das aufklärerische Männlichkeitsideal verkörpert. Analog dazu zeichnet sich die versiert wirtschaftende femina oeconomica nicht allein durch haushälterische Fähigkeiten, sondern ebenfalls durch Fleiß, emotionale und finanzielle Besonnenheit (prudentia), Mäßigung in emotionalen und finanziellen Dingen, Rücksichtnahme und zusätzlich durch (vor- bzw. außereheliche) Keuschheit (castitas) aus. Stets ist sie dem Wohl ihrer Familie verpflichtet und in ihrem ökonomischen Wirken auf den Bereich des oikos konzentriert. Demgegenüber durchbrechen die lasterhaften schlechten ÖkonomInnen geschlechtliche, wirtschaftliche, soziale und aufklärerische Normen. Als Männer sind sie effeminiert und faul, als Frauen überschreiten sie die räumliche Grenze des familiären Inneren und vergnügen sich im Außen, was sie dem Verdacht der Lasterhaftigkeit aussetzt. Damit vernachlässigen die weiblichen Vertreterinnen der Misswirtschaft ebenso die ihnen durch die Reformökonomie zugedachte biopolitische Aufgabe der Reproduktion wie sie gegen das für Frauen geltende Gebot der familiären Fürsorge verstoßen. Beide, vir profusus und femina profusa, öffnen dem ausländischem Fremden Tür und Tor, indem sie die auswärtigen Moden und Sitten ins Innere des oikos 1 Siehe für diese und alle im Folgenden genannten Figuren: Calderón de la Barca, Pedro (1997): El gran teatro del mundo, ed. John Jay Allen. Barcelona: Crítica. 686 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien holen. Als VerschwenderInnen sind sie sowohl in ihrem Umgang mit Finanzen als auch in ihrem Umgang mit Affekten exzessiv. Die feinen und gemäßigten Gefühle, mit denen die ‚zivilen HeldInnen‘ und ‚ProtagonistInnen‘ der Produktion aufwarten, lassen sie vermissen. Über die holzschnittartige und typenhafte Zeichnung der Figuren entrollt sich eine metonymische Kette der Stellvertretungen, in der die Figuren nicht für sich selbst, sondern für das wiedererkennbare Gesicht der nationalen gemäßigten Reform bzw. für ihr maßloses Anderes stehen: entweder für die aus dem Ausland kommende Revolte oder für die den heimischen Reformen gegenüber misstrauische Haltung des unaufgeklärten vulgo. Die tugendhaften Züge dieser Gesellschafts-, Wirtschafts-, Kultur- und Geschlechterreform sind stets die gleichen. Das gilt auch für die Gefühle, die durch die auf der Bühne agierenden Charaktere zur Schau gestellt werden, sei es Verzweiflung angesichts von Bankrott und/oder übler Nachrede, sei es amouröse Zuneigung, sei es freundschaftliche Verbundenheit. Im Falle der viri und feminae profusi sind diese wiederkehrenden Gefühle die ungezügelte Gier, die Missgunst oder die (vor allem adelige Figuren kennzeichnende) Wut angesichts des (finanziellen oder amourösen) Erfolges der guten WirtschafterInnen im Vergleich zum eigenen Verlust. Die Freundschaft, die besonders dann, wenn es um den vir oeconomicus, sein männliches Netzwerk und seine zukünftige Ehefrau geht, als aufklärerisches Ideal inszeniert wird, hat ebenfalls metonymische Funktion, führt sie doch die patriotische Verbundenheit der Staatsbürger der spanischen Nation vor, eine Verbindung in Form einer Kette, die die Grundstruktur des guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie bildet und die Abhängigkeit der Gemeinschaft vom Einzelnen – und umgekehrt – symbolisch vor Augen führt (vgl. Kap. 5.2). Dass diese Struktur die Glieder der spanischen Nation mittels einer ganzen Reihe staatsbürgerlicher Verpflichtungen (wirtschaftliche und biologische Produktivität, zeitökonomische Effizienz, Unterwerfung unter das patriarchale Regime der Gouvernementalität) aneinanderkettet und zugleich den Verlust von Freiheit und Individualität mit sich bringt, hat insbesondere das vorausgehende Kapitel veranschaulicht. Was die Anthropologisierung des Ökonomischen anbelangt, vollzieht sie sich auf den Bühnen der spanischen Spätaufklärung nicht in erster Linie in einzelnen Stücken, sondern durch ein ganzes Panorama aus comedias económico-sentimentales. In ihrer Gesamtschau erklären die analysierten sentimentalen Wirtschaftskomödien das Ökonomische 10. Fazit: Sakrale Ökonomie 687 mittels einer Palette von jeweils ähnlich angelegten Figurentypen beider Geschlechter zum unerlässlichen Teil des ‚Menschseins‘ – und damit zu einer menschlichen Grundbedingung. Glaubt man den Inszenierungen dieses Genres, sind das menschliche Leben, das Lieben und die soziale Interaktion immer auch ein Wirtschaften, d.h. ein SichIm-Ehehandel-Verkaufen, ein Konsumieren, ein Handeln und Verhandeln, ein Produzieren und Reproduzieren von Waren, Gütern, Normen und Nachkommen. Genau dieser Umstand weist die sentimentale Komödie, die comedia sentimental, zugleich als Wirtschaftskomödie, als comedia económico-sentimental aus. Es sind die wiederkehrenden Momente, in denen die temperantia in den hier untersuchten Stücken als zentrale Tugend des aufklärerischen Wertehorizonts erscheint, die verdeutlichen, dass ein maßvolles und erfolgreiches Wirtschaften nicht ohne ein erfolgreiches Haushalten mit Gefühlen möglich ist. Die Ehe als der gattungskonforme glückliche Schlusspunkt der Komödie korreliert in diesem Zusammenhang mit der biopolitischen Aufgabe, die die Gouvernementalität den StaatsbürgerInnen zusammen mit dem reformpolitischen Gebot zuweist, sich wirtschaftlich nützlich zu machen. Die in dieser Arbeit untersuchten Beispiele der feminae profusae und viri profusi führen dem Publikum vor Augen, dass Menschen dann ökonomisch, sozial und amourös scheitern, wenn sie nicht arbeiten, schlecht haushalten, auf ihre Freiheiten pochen oder die sozialen Schranken des – in den untersuchten Komödien trotz aller Tendenzen zur Verbürgerlichung dann doch affirmierten – feudalen Systems zu umgehen suchen. Figuren dieses Typs enden mittellos, machen eine wirtschaftlich und moralisch ‚schlechte Partie‘ oder finden am Ende gar keine/n EhepartnerIn. Nicht selten werden sie an heterotope Orte wie Erziehungsanstalten oder Gefängnisse verbannt. Die comedia económico-sentimental der Spätaufklärung anthropologisiert das Ökonomische jedoch nicht nur, indem sie das Wirtschaften als conditio sine qua non des aufklärerischen Menschseins inszeniert. Sie präsentiert es überdies als ‚sakrale Ökonomie‘. Dies gelingt mittels zahlreicher intertextueller Verweise auf biblische Narrative: das letzte Abendmahl, den geteilten Mantel, das Gleichnis vom Sämann, den Dornbusch. Das Zuwiderhandeln gegen die Vorgaben einer damit ‚heiliggesprochenen‘ (Reform-)Ökonomie wird dementsprechend als Akt der Häresie in Szene gesetzt, weshalb sich der vir profusus, zugleich als Häretiker, mindestens aber als laxer Gläubiger erweisen muss, während die femina profusa die christliche Tugend der castitas 688 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien vermissen lässt. Beide Figurentypen kennzeichnet ein Egozentrismus, der wider den Grundsatz der christlichen caritas ist. À rebours gelesen, befreien sie sich – aus Sicht der Gouvernementalität freilich auf unzulässige Weise – von den staatsbürgerlichen Ketten, mit Hilfe derer die bourbonische Reformpolitik des aufgeklärten Absolutismus ihre ‚zivilen HeldInnen‘ und ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ nicht nur aneinanderzubinden, sondern auch in einen engen moralökonomischen Rahmen mit feststehenden Geschlechterbildern zu zwängen versucht. Dass die theatrale Anthropologisierung des Ökonomischen in den symbolischen und intertextuellen Rahmen des Religiösen eingebettet bleibt, folgt einerseits didaktischen Überlegungen (vgl. Kap. 9.3). Andererseits deutet die durch die Referenz auf den religiösen Bezugsrahmen erfolgende ‚Sakralisierung des Ökonomischen‘ jene Ablösung der Religion durch das Geld voraus, die Balzac drei Jahrzehnte später in seiner Novelle La Maison Nucingen (1838) narrativ vermitteln wird.2 In diesem Sinne sind die in den untersuchten Stücken zur Anwendung kommenden religiösen Elemente kein Zugeständnis an die Kirche als Institution, geschweige denn ein Glaubensbekenntnis. Vielmehr wird durch sie die Entthronung der Institution Kirche und ihrer Symbolsprache durch die um sich greifende Macht des Ökonomischen vorbereitet. Dies zeigt sich insbesondere in den Momenten, in denen die religiösen Symbole, Intertexte und performativen Gesten in den Dienst der rhetorischen Legitimation der ökonomischen Akteure gestellt werden. Nicht zufällig ist der durch die Figurentypen metonymisierte Kanon wirtschaftlicher und geschlechtlicher Tugenden und Laster an die allegorischen Figuren der autos sacramentales angelehnt. Damit vollzieht sich die Ablösung dieses mit Allegorien operierenden religiösen Schauspiels durch die comedia económico-sentimental als dessen aufklärerische Aktualisierung. Sie wird mit dem durch die Staatsmacht vorangetriebenen Verbot von Schauspielen mit religiösen Inhalten, 2 Vgl. Balzac, Honoré de (1989 [1838]): La Maison Nucingen, précédé de Melmoth reconcilié, ed. Anne-Marie Meininger. Paris: Gallimard, insbesondere p. 187. Dort bemerkt Blondet, eine der vier Figuren, die die Geschichte des Bankhauses Nucingen in anekdotischer Form kolportieren: „Il n’y a plus de religion dans l’État.“ Damit ist die Opferung des Religiösen zugunsten des Kapitals in einem Staat vollzogen, in dem auf Kosten der Allgemeinheit spekulierende Bankiers wie Nucingen die Macht an sich gerissen haben, indem sie als Finanzgeber des Staates fungieren. 10. Fazit: Sakrale Ökonomie 689 zu denen neben den autos sacramentales auch die comedias de santos zählen, gesetzlich forciert. Wie die hier angestellten Analysen gezeigt haben, wird die gouvernementale Macht als impulsgebende Instanz eines reformierten sakralen Wirtschaftstheaters durch die stete Referenz auf den Souverän als göttlich legitimierte Macht in ihrer Autorität bekräftigt. Dadurch wird zusammen mit der Reformpolitik auch der Souverän als ihr Ausgangspunkt ‚sakralisiert‘. Diese symbolische ReSakralisierung des Königtums durch die comedia económico-sentimental hat, genauso wie der dem körperlich arbeitenden Menschen attestierte Seelenadel, kompensatorische Funktion und gleicht die bereits skizzierte Profanisierung der Rolle des Souveräns (vgl. Kap. 3.1) im Zuge der Ökonomisierung des bourbonischen Staatsapparats auf symbolischer Ebene aus. Dem Pastoratsprinzip, das etwa Durán in La industriosa madrileña inszeniert, kommt dabei eine zweifache Schlüsselrolle zu: Im von Foucault dargelegten Sinne treten die männlichen Repräsentanten der säkularen Gouvernementalität mit ihren performativen Handlungen an die Stelle des ebenfalls performativ agierenden Priesters. Während dieser die Gläubigen im Diesseits (nur) segnet und der Lohn für gute Taten (erst) im Jenseits3 erfolgt, prämieren Stellvertreter der gouvernementalen Macht wie Minister, Richter und Inspektoren die reformkonformen Schafe schon im Diesseits. Auch in seiner theatralen Inszenierung leistet das Pastoratsprinzip also der Säkularisierung Vorschub. Zudem versinnbildlichen die auf der Bühne agierenden Stellvertreterfiguren des Souveräns die wachsamen Augen der gouvernementalen Macht. Damit ist die comedia económico-sentimental reformökonomische Lehranstalt und theatrales Panoptikum zugleich. Da Aufklärung nun aber im eingangs skizzierten Sinne (vgl. Kap. 1) kein Prozess ist, der ausschließlich von oben nach unten, sondern ebenso horizontal verläuft, ist auch das Theater aller Reformbemühungen der Krone zum Trotz nicht als ein Sprachrohr zu betrachten, aus dem die politische Botschaft des aufgeklärten Absolutismus ohne Verzerrungen, Störgeräusche oder Unterbrechungen erklänge. Das ist unter anderem deshalb der Fall, weil das Theater auch im 18. Jahrhundert ein auf Gewinn bedachtes Wirtschaftsunternehmen ist, das es sich 3 Die erst im Jenseits erfolgende Belohnung für gute Taten durch den Schöpfergott ist eine Handlungskonstante des auto sacramental, so auch in Calderóns El gran teatro del mundo. 690 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien nicht leisten kann, ohne Rücksicht auf den Publikumsgeschmack und dessen Bedürfnis nach Unterhaltung zu agieren. Entsprechend kann das Schauspiel der sakralen Reformökonomie nicht ohne Störelemente stattfinden. Ein solches Element ist beispielsweise Doña Guiomar, jene exzeptionelle femina oeconomica, die sich unter einem neoklassischen Tarnkleid bereits die Hosen4 einer gänzlich unsentimentalen männlichen Autorität angezogen hat und als zivile Heldin herbeieilt, um ihre Familie aus dem Außen5 heraus vor dem moralischen und finanziellen Ruin zu bewahren. Ein vermutlich bewusst inszenierter und den wachsamen Augen der Zensur offenbar entgangener Augenblick des Bruchs ist auch der Moment, in dem die biblische Symbolik der von Comella in El buen labrador ausgestalteten Abendmahlsszene statt der sakralen aufklärerischen Reformökonomie liberalistische und damit antimonarchistische Werte performativ vermittelt. Ein Rauschen im theatralen Diskurs entsteht überdies, wenn ein Stück wie Los menestrales rhetorisch zwar das Lob des Handwerkers in den Vordergrund stellt, letztlich aber die Undurchlässigkeit eines feudalen Systems affirmiert, in dem der Schuster entweder bei seinem Leisten zu bleiben hat oder im Gefängnis endet. Zu solchen Störfällen kommt es freilich nur selten. Nichtsdestotrotz verdeutlichen gerade sie, dass (Macht-) Diskurse immer auch das aus ihnen Ausgeschlossene und Verdrängte offenbaren. Das aufklärerische Reformtheater der spanischen Spätaufklärung ist zumindest in den Momenten, in denen die propagandistische Instrumentalisierung des Theaterbetriebs gelingt, Teil des gouvernementalen Machtdiskurses. Genau diese Ambition macht das reformierte Theater aber auch anfällig für Heimsuchungen durch spektrale Erscheinungen wie die femina profusa. Geistererscheinungen dieser Art führen dazu, dass im patriarchalen und autoritären Reformdiskurs verdrängte Ängste und Unsicherheiten angesichts sich bereits abzeichnender Veränderungen zum Ausdruck kommen. Die den Markt heimsuchende Konsumentin in Gestalt der petimetra ist eine Wiedergängerin solcher psychologischer Verdrängungsprozesse. Verdrängt wird auch der Umstand, dass es sich beim politischen und ökonomischen System der Spätaufklärung um ein im Umbruch begriffenes 4 Vgl. Gálvez (2001: 252, vv. 729ff.), s.o. (vgl. Kap. 9.2.1). Dieses Außen wird symbolisch durch die fernen Berge angezeigt, aus denen die Figur stammt. 5 10. Fazit: Sakrale Ökonomie 691 handelt, das sich vom protoindustriellen und feudalen zum kapitalistischen und republikanischen zu wandeln beginnt. Wie die Schriften Forondas und Cabarrús‘ zeigen, hat im Zuge dieses Prozesses auch der Liberalismus bereits an die Pforten der spanischen Nation geklopft. Die Anthropologisierung des Ökonomischen, wie sie die comedia económico-sentimental vornimmt, offenbart eine sich bereits im Vollzug befindliche Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die neben den familiären, geschlechtlichen und freundschaftlichen Beziehungen sowie den inneren Empfindungen auch die Religion betrifft. Die Gouvernementalität als Initiatorin dieses Prozesses bleibt selbst nicht von dieser Ökonomisierung ausgespart. 11. BIBLIOGRAPHIE 1. Primärliteratur 1.1. Theater, Roman, Reisebericht und Presse Alas, Leopoldo (1895): Teresa. Madrid: Rodríguez. Alemán, Mateo (1983): Guzmán de Alfarache, ed. Francisco Rico. Barcelona: Planeta. Anonymus (o.J.): El cuento de la moza pobre. 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Argemí d‘Abadal, Lluís 124ff. Arias, Antonio Sandalio de 136 Aristoteles 26, 195, 246f., 260ff., 277, 335, 339, 413ff. Armona y Murga, José Antonio de 452 Arreguí, Juan P. 285f. Arriquíbar, Nicolás de 104, 132, 151, 166, 347, 457 Arroyal, León de 32, 135, 139f., 257 Arteta de Monteseguro, Antonio 142, 189, 346f., 351, 426f. Artola, Miguel 265 Astigarraga, Jesús 34, 42, 87, 118, 120, 125ff., 136f., 148ff., 347 Augustinus 279f., 410, 415, 462 Azpiazu, José Antonio 155f., 182, 389 Babeau, Patrice 12, 409 Bachelard, Gaston 288 Bachmann-Medick, Doris 35f. Bacon, Francis 187, 422, 426 Balke, Friedrich 297 Balzac, Honoré de 208f., 239, 330, 688 Bandhauer-Schöffmann, Irene 230, 238 Barber, Elinor G. 218, 252 Barceló, Pedro 59 Baron, Christine 205f. Barrenechea, José María 346f. Barthes, Roland 642, 678 Bas Ordóñez, Guillermo 156 Bauer, Manuel 35f., 49ff., 225, 329, 669 Bayle, Pierre 127 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de 206, 213, 246, 318f., 375, 388, 485 Bègue de Presle, Achille Guillaume 668 Béguelin, Heinrich von 172 Belda Planas, Francisco 330 Belgrano, Manuel 129 Belluga de Moncada, Juan 112 Benavides, Manuel 182 Bentham, Jeremy 225, 233f., 661, 675 744 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Berghoff, Hartmut 25 Bergmann, Barbara 226 Bernhart, Toni 435 Bertucci, Paola 422f. Beysterveldt, Antonie A. van 302 Bhabha, Homi K. 651 Bielfeld, Jakob Friedrich von 93, 104, 182, 185 Bitar Letayf, Marcelo 103 Blaschke, Bernd 38, 50, 223, 230ff. Blumenberg, Hans 20 Bly, Peter A. 330 Bolufer Peruga, Mónica 44, 94, 107, 151, 257, 286, 289, 570ff., 630, 636, 641f., 663, 668, 670, 671ff. Borsò, Vittoria 12, 26, 34 Borstel, Stefan von 17 Botella y Andrés, Francisco 353, 400 Botelou, Claude 136 Botero, Giovanni 112, 117 Botti, Domingo 246 Bourdieu, Pierre 226, 272, 501f. Bourgoing, Jean-François de 72, 370 Boyle, Margaret E. 580 Brandenberger, Tobias 579 Brandstetter, Gabriele 209 Braudel, Fernand 433 Bravo-Villasante, Carmen 369 Briesemeister, Dietrich 202, 367, 534 Brieva, Matías 509 Bruna y Ahumada, Francisco de 426 Brunel, Antoine 442 Brunner, Horst 434 Brunner, Otto 219 Buchan, Williams 668 Buthmann, Sigrid 531, 534 Butler, Joseph 678 Butler, Judith 39 Cabarrús, Francisco Conde de 64, 66, 104, 126, 129. 138f., 160, 204, 248, 257, 273, 300, 305ff., 342, 351, 671, 691 Cadalso, José 106, 117, 120, 293, 301, 517, 528, 548, 630, 633 Calderón de la Barca, Pedro 380, 489, 504, 646, 685, 689 Callahan, William J. 252f. Camacho, Francisco 316 Cámara, Sixto Sáenz de la 353, 400 Camarero, Manuel 439 Campillo y Cossio, José del 88f., 103 Campomanes, Pedro Rodríguez, Conde de 32, 44, 55, 58, 65, 68, 69f., 79, 81, 95, 100ff., 111ff., 129ff., 143ff., 160ff. 172ff., 183f., 186, 190f., 216, 265, 267, 306, 344, 345ff., 351f., 357f., 420, 426f., 438, 448, 457, 506ff., 527, 560, 566, 572f., 603ff., 616ff., 626, 633f. Campos, Jorge 42, 169, 282, 344, 351, 528, 562, 597, 606, 617 Cañadas, Ivan 47 Cañas Murillo, Jesús 22, 43, 274, 557 Cang-hi 512 Cantillon, Richard 103f., 118, 126, 132 Capmany Surís y de Montpalau, Antonio de (Pseud.: Palacio, Miguel Ramón del) 426f., 572 Carande, Ramón de 488 Carlos II. 57, 116f., 417 Carlos III. 19, 37, 53, 58, 60, 73, 86, 88f., 92, 131, 140, 146, 154ff., 167, 181, 183, 257, 300, 347, 459, 472, 509, 528, 667, 672f., 682 Carlos IV. 32, 53, 86f., 89, 120, 131, 160, 170f., 513, 672, 682 Carnero, Guillermo 91, 134, 161, 202, 320, 667 Carolet, Denis 430 Carranza, Alonso 639 Carrera Pujal, Jaime 509 Carvajal y Lancaster, José de 89, 265 Caso González, José Miguel 135, 637 Castellano Castellano, Luís 100, 110, 118, 137, 364 Castrillón, Álvarez de 37, 62f., 64, 66, 69, 73ff., 76f., 91, 109, 153, 517, 523f. Cavillac, Michel 225, 249 Caxa de Leruela, Miguel 111, 114, 291, 293 Ceballos, Jerónimo de 112 Cester, Joaquín 149, 156 Chambers, Ephraim 425, 436 Chaves Montoya, María Teresa 320 12. Personenverzeichnis Cicero, Marcus Tullius 411 Cladera, Cristóbal 277 Clarín alias Leopoldo Alas 330, 353, 400 Clavijo y Fajardo, José 258, 367, 439 Colbert, Jean-Baptiste 30, 72, 97, 103, 110, 116, 121, 179, 392, 420, 426, 428 Collingwood, Sharon Lynn 429 Comella, Luciano Francisco 48, 53, 109, 127, 200, 204f., 220ff., 246f., 254ff., 263ff., 280ff., 303f., 310ff., 321ff., 337, 339, 344, 347, 363, 376, 381, 392, 395ff., 407, 409, 431, 437, 452, 478f., 483, 504ff., 543, 550, 561ff., 579ff., 609, 617ff., 626, 629, 643, 658ff., 672, 674, 690 Condillac, Étienne Bonnot de 32 Connell, Raewyn 237 Cotarelo y Mori, Emilio 640 Coulon, Mireille 42, 123, 320, 431 Couplet, Philippe 127 Courcelle, Olivier 422f. Courcelle-Seneuil, Jean Gustave 238 Craywinckel y Hunneus, Francisco de 79 Crozet, François 61 Cruz, Ramón de la 42f., 123, 158, 196, 225, 280, 311, 366, 371, 377, 431, 579, 632, 645, 666 Dabout, Pedro 129 Dällenbach, Lucien 492 Dánvila Villarrasa, Bernardo Joaquín 635 Davis, Kathleen 649, 652 Dekker, Thomas 436f., 527 Défert, Daniel 26, 176 Defoe, Daniel 437f. Deza, Lope de 114 Díaz Marcos, Ana María 630, 633 Díaz Marroquín, Lucía 340 Díaz Millán, Luis 499 Diderot, Denis 31, 34, 103, 137, 174, 195f., 217, 271, 284, 320, 344, 420, 422ff., 539, 542, 557, 634, 637, 671 Díez Borque, José María 240, 250, 301, 428, 479ff., 489, 498, 530, 565 745 Domínguez Ortiz, Antonio 57ff., 143, 413ff., 441ff., 482, 499 Dormer, Diego Jorge 158, 639 Dowling, John 42, 220, 310, 666 Duhamel du Monceau, Henri-Louis 130, 174, 420, 423 Durán, Francisco 44, 222, 243, 324, 330, 333, 343ff., 380ff., 409, 441, 451, 470, 479, 485, 495, 510, 511ff., 528, 534, 546, 560, 573, 591, 597, 601, 606ff., 638, 644, 657ff., 689 Ebeling, Dietrich 316 Ebeling, Markus 343 Ebenhoch, Markus 11 Egido López, Teófanes 87, 367, 443 Eguílaz, Luís de 219 Elorza, Antonio 41, 104, 106, 121, 132, 139, 142, 606 Elósegui Itxaso, María 634, 638, 641 Eltis, David 33 Engelsing, Rolf 248 Ensenada, Zenón de Somodevilla y Bengonechea Marqués de la 88ff. Ertler, Klaus Dieter 21, 105, 134, 576 Espinosa y Brun, José de 277, 405, 636 Esquilache, Leopoldo de Gregorio Marqués de 61, 99, 645, 651 Ewald, François 26, 176 Ezquerra, Joaquín 598, 662 Fabel, Oliver 228 Fajen, Robert 180 Falaky, Fayc̦al 423 Farnese, Elisabetta 644 Farr, James 72, 75, 145, 357, 403ff., 462, 500, 572, 602ff. Favart, Charles-Simon 430 Feijoo, Benito Jerónimo 20, 32, 96, 105, 139, 342, 360, 366, 516, 637 Félibien, André 419 Felipe III. 59, 183 Felipe IV. 417, 639 Felipe V. 19, 87, 98, 177, 179, 183, 253, 265, 367 Fenouillot de Falbaire de Quingey, Charles Georges 213, 371f., 373f. 746 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Ferber, Marianne A. 226ff. Fernández Cabezón, Rosalía 218, 221f., 260, 292f., 396, 504, 516, 598, 662 Fernández de Moratín, Leandro 202, 240, 307ff., 341, 396, 582 Fernández de Moratín, Nicolás 48, 205, 259, 280, 282, 305, 312, 367, 379, 438f., 661, 664, 666 Fernández de Navarrete, Martín 105, 110f., 113 Fernández Sebastián, Javier 120 Filangieri, Gaetano 104, 133, 166 Floeck, Wilfried 106 Floridablanca, José Moñino y Redondo, Conde de 60, 90, 100, 131, 347, 636 Fodor, Michael 318, 320, 329, 388, 392 Folbre, Nancy 227, 229 Fontana, Alessandro 126 Fontanella, Lee 355 Force, Pierre 162 Forner, Juan Pablo 274 Foronda, Valentín de 55, 93, 95, 104, 129, 133, 151, 156, 161, 164, 182ff., 204, 210, 216, 252f., 268, 277, 346, 351, 389, 422, 598, 600, 619, 626, 633, 662, 691 Fos, Joaquín Manuel 75, 370 Foucault, Michel 25f., 30, 47, 90, 93, 157, 175ff., 311, 362, 537f., 541, 611, 650, 654, 661, 689 Francos Rodríguez, José 353, 400 Frank, Ana Isabel 509 Frigerio, Bartolomeo 229 Fuente Merás, Manuel de la 109, 111f., 157 Fuentes Quintana, Enrique 37, 41, 57, 62, 91, 93, 100, 105, 115, 124, 126, 165, 251, 316 Fuentes, Yvonne 31, 43f., 211, 213, 216f., 220, 233, 253, 271, 292f., 300, 392, 411, 412ff., 439, 445, 488, 605, 607f. Fulda, Daniel 38, 207f., 226, 254f., 270, 272, 281, 284f., 315, 370, 294, 443, 464, 537, 594, 654, 676f. Fuzelier, Louis 430 Gálvez de Cabrera, María Rosa 36, 44, 205, 225, 280, 289, 577ff., 591f., 595, 602, 613, 626, 628f., 636, 645ff., 656f., 661, 668, 690 Gamborino, Miguel 430f. Gándara, Abate de 79, 103ff., 121 García Asensio, Miguel 439 García de la Concha, Víctor 320 García Garrosa, María Jesús 31, 43f., 142f., 210f., 214ff., 246, 253, 271, 291ff., 303, 317, 321, 323, 341, 344, 371ff., 394, 396, 401, 405, 409, 441, 530ff., 560 García León, José María 82 García Sánchez, Justo 170 García Sanz, Ángel 160 García-Fernández, Máximo 157, 287, 641 Gausa, Miguel de Múzquiz y Goyeneche, Conde de 306, 342 Gehring, Petra 177 Geisler, Eberhardt 113, 220, 249, 252, 269, 478 Gelz, Andreas 92, 106, 180 Generés, Miguel Dámaso 119, 346, 351 Genovesi, Antonio 58, 95, 104, 155, 166 Gerhard, Ute 25 Gerstner, Jan 404 Gervais, Pierre 255, 267ff., 292, 596 Gies, David Thatcher 12, 26, 38, 44, 127, 217, 219, 232f., 267, 274f., 298, 330, 347, 350ff., 369, 399f., 573, 581ff., 606ff., 664, 666 Gil, Tomás 334 Gittermann, Alexandra 58, 61, 88, 92, 104, 135, 140, 155, 160, 166, 171, 645 Godoy, Manuel de 60, 65, 67, 90, 120, 135, 140, 170 Goldoni, Carlo 206, 226, 484, 557f. Gömmel, Rainer 72, 97, 126, 135 González Cañal, Rafael 638ff. González de Cellorigo, Martín 105, 112f., 117, 267 González de Mendoza, Juan 127 González Enciso, Agustín 72 González Llanas, Félix 353 Gonzalo, Arias 638 12. Personenverzeichnis Gottsched, Johann Christoph 94, 284 Gournay, Vincent de 103, 174 Goya, Francisco de 33, 43, 68, 408, 670 Graef, Juan Enrique 21f., 82, 105f., 142, 181, 182f., 236, 263, 266, 275, 361, 421, 426f., 644 Greimas, Algirdas J. 518 Grewe, Andrea 429ff. Grice-Hutchinson, Marjorie 67, 82, 103, 108f., 117, 165, 316 Gronemann, Claudia 45, 250 Grünnagel, Christian 220 Guevara, Antonio de 487f. Guinard, Paul Jacques 247, 261, 294, 304, 318ff., 372ff., 381ff., 396 Gumbrecht, Hans-Ulrich 279f., 355 Gusdorf, Georges 273 Gutiérrez de los Ríos, Gaspar 416, 481 Guzmán, Pedro de 413 Habermann, Friederike 49f., 224ff., 387f., 392, 674ff. Habermas, Jürgen 279, 286f., 290, 295 Hahn, Kurt 220 Haidt, Rebecca 43, 53, 123, 267, 404, 430ff., 566, 572, 627, 629, 631, 633, 642, 667, 669f. Hale, Jane A. 131, 271 Hartmann, Heidi 227 Hassauer, Friederike 301, 574, 581 Hauptmann, Gerhart 353 Hayek, Friedrich August von 669 Healey, F.G. 419ff., 464 Hechel, Andrea 18 Heller, Jakob C. 404 Hempel, Dirk 230f. Henn, Volker 316 Henningsen, Peter 298 Heras, Natalia 261 Herr, Richard 41, 67, 69, 70, 72ff., 145, 345, 355, 370, 509, 616 Herrera de Contreras, García 112 Heße, Kristina 45, 236f., 365, 592, 629ff., 642, 644, 646, 654, 669, 672 Hobbes, Thomas 461, 493 Hobisch, Elisabeth 21, 134 747 Hoffmann, Judith 48, 194ff., 219, 230, 238, 273, 319f., 438f., 452 Hohl, Peter 245, 329 Holbach, Rudolf 316 Hontanilla, Ana 43, 123, 267, 426, 572, 632, 670, 672 Horia, Vintilă 331 Huarte de San Juan, Juan 574 Huerta Viñas, Fernando 526f., 568f. Hume, David 20, 104, 133, 164, 185, 187, 634f., 637 Hunter, George K. 436 Hurtado de Alcocer, Pedro 112 Iriarte, Tomás de 38, 42, 124, 193, 206, 222, 240, 259, 280, 301, 305, 307f., 312, 324, 333ff., 343f., 379f., 390, 393, 396, 440, 442, 453, 479, 550, 578, 583, 587, 600, 610, 622, 626, 629, 645, 648ff. Isenmann, Mechthild 316 Jacobs, Helmut C. 68, 191, 408, 414ff., 423, 426f., 448, 462f., 606 Jahn, Bernhard 652, 654 Jehle, Peter 23, 38, 48, 47, 189, 193ff., 239ff., 258, 282f., 304, 311f., 364, 391, 395, 417f., 446, 458, 550, 562, 564, 577f., 590, 632, 645, 651,654, 678 Jiménez Patón, Bartolomé 638, 640 Johnson, Jerry L. 323 Joseph II. 508, 511 Joubert, Claude 421 Jovellanos, Gaspar Melchor de 20ff., 55, 65, 68, 76, 85, 91, 95ff., 100, 104ff., 111, 117, 131ff., 161ff., 172, 178, 180, 183, 186, 191ff., 258, 262f., 273f., 302, 306, 323, 348f., 357, 360f., 377, 380, 438f., 440, 488, 509f., 561, 602, 617f.637, 667 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 93 Kaiser von China 506ff. Kamecke, Gernot 120, 171 Kammler, Clemens 177 Kantorowicz, Ernst 97f., 471 Kany, Charles E. 200, 678, 311 748 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Kaplan, Steven L. 425 Kendrick, Matthew 437 Klein, Inga 24f., 27, 30 Klump, Rainer 72, 97, 126, 135 Koepp, Cynthia 424f. Komorowska, Agnieszka 11, 240, 250f., 275, 302, 317, 493, 536 Kopf, Kristin 435 Krauss, Werner 248, 300, 366 Künzel, Christine 230f. Küpper, Joachim 297 La Fontaine, Jean de 428, 430 La Force, James Clayburn Jr. 360 Laborde, André 171 Ladvenant, María 68, 196 Lafarga, Francisco 484 Lagarde, André 217f. Lama, Miguel Ángel 274 Larrère, Catherine 635 Larruga Boneta, Eugenio 577 Lascoumes, Pierre 26 Le Goff, Jacques 254, 592 Le Guin, Elisabeth 199 Lecomte, Louis 128 Leibniz, Gottfried Wilhelm 127 Leinwand, Theodore B. 329 Lemke, Meike 227, 230 Lenoble, Eustache 531 Léon, Fray Luis de 257, 481 Lesage, Alain-René 429f. Lescarbot, Marc 278 Lessing, Gotthold Ephraim 31, 94, 284 Lillo, George 31, 210ff., 247, 260, 299f., 336, 392, 437 Link, Jürgen 25, 47, 280, 568 Llanos Mardones, Bernadita 217, 298, 302, 357 Llombart Rosa, Vicent 27, 32f., 62, 65, 85ff., 96, 99, 130, 132, 134f., 161f., 167ff., 178, 347, 360, 506f. Llorens, Vicente 355 Lluch Martín, Ernest 93, 124ff., 160, 165, 346f. Lope, Hans-Joachim 633f., 638 López Barahona, Victoria 45 López Bravo, Mateo 413 López de Ayala, Adelardo 219, 400 López de Ayala, Ignacio de 319, 411, 439 López, François 135 López, Roberto J. 32 López-Cordón Cortezo, María Victoria 86ff., 106, 164, 203f., 472 Lorenzo Álvarez, Elena de 196, 261 Loyseau, Charles 418 Lukacs, John A. 279, 286ff. Lütge, Christoph 24, 82, 185, 225, 269, 254, 316, 635 Luzán, Ignacio de 37, 196f., 204, 280f., 335 Mably, Gabriel Bonnot de 133, 511 Macanaz, Melchor de 98, 252f., 367, 426, 472 MacLachlan, Colin 58, 69, 72, 87ff., 150, 252f., 318 Mahalik, Christa Manrique, Gómez 411, 472f. Maravall, José Antonio 42, 62, 238, 181, 218, 222, 252ff., 273f., 278f., 300f., 304f., 307, 312f., 335, 342, 344, 348, 350f., 397, 402, 410ff., 479ff., 562 Marcandier, Philippe 174 Marcos Martín, Alberto 60ff., 84, 96, 140ff., 159 Marti, Marc 34, 96, 98ff., 112, 124ff., 152f., 159, 274, 306, 311, 392, 487f., 527f. Martin, Isabelle 429, 433f., 437 Martín Rodríguez, Manuel 115f., 148 Martínez Chacón, Elvira 638 Martínez de Mata, Francisco 117 Martínez Mata, Emilio 633, 635 Martinuzzi, Paola 430, 432f. Marx, Karl 208f., 402f., 563, 571 Maschewski, Felix 49, 227 Mayans y Siscar, Gregorio de 92, 367 McCallam, David 652 McClelland, Ivy 42, 213, 216f., 282, 292, 303, 439, 562 McCloskey, Deirdre/Donald 12, 210f., 226ff., 241, 254, 259, 262, 345, 598, 678 12. Personenverzeichnis McTague, Michael J. 329 McVeagh, John 331 Medinilla, Baltasar de 112 Meléndez Pelayo, Marcelino 308f., 484 Melon, Jean François 110 Mendels, Franklin F. 77 Méndez Vázquez, Josefina 419, 573, 603f., 606, 618 Mercader Riba, Juan 60 Mercado, Tomás de 247, 251 Mercier, Louis-Sébastien 206, 213, 215, 217, 292, 302, 318, 388, 409, 482, 531ff., 543, 557f. Mercier de la Rivière, Paul Pierre 133 Merkle, Sebastian 366 Mestre, Antonio 366f. Michalitsch, Gabriele 233 Michard, Michel 217f. Michel, Karin 37 Mill, James 171 Mill, John Stuart 224, 233f., 296 Milliot, Vincent 428ff. Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti, Comte de 103, 128f., 132 Molina, Garcés de 112 Möller, Beate 22, 68, 134, 166, 168, 171 Moncada, Sancho de 105, 110ff., 130f. Moncín, Luis 261, 367 Montagut Contreras, Eduardo 168 Montemayor, Jorge de 488 Montengón, Pedro 488, 528 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 106, 126f., 133, 185, 210, 633, 635 Montijo, María Francisca de Sales Portocarrero, Condesa de 92, 636f. Moral Roncal, Antonio Manuel 424, 447f., 449f. Müller, Ursula 237 Muñoz, Antonio (alias Ramos, Enrique) 98, 104, 216, 349, 427, 512 Musgrave, Elizabeth 145, 572, 603 Narbona, Eugenio de 112 Nebrija, Antonio de 411 Necker, Jacques 104, 166 Nelson, Bryan 330 749 Nelson, Julie A. 226f. Nicolosi, Battista 172 Niklaus, Robert 213, 215, 246ff., 318f., 329, 375f., 398 Nipho, Francisco Mariano 93, 120, 604 Nixon, Jude V. 331 Normante y Carcavilla, Lorenzo 119, 165, 344, 347 North, Michael 255 Nuth, Hildegunde 331 O’Boyle, Edward 229 O’Connor, Carrie 330 Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín 12, 21, 28 41, 67f., 70f., 74, 76f., 82, 85ff., 90, 96, 99, 101ff., 111, 119f., 132, 134f., 138ff., 153, 156ff., 167ff., 185f., 346f., 351, 360f., 410ff., 420, 456f. Ocaño, Marco 198 Olavide y Jáuregui, Pablo de 32, 92, 104, 126, 131f., 135, 174f., 438, 457, 488, 509 Onaindía, Mario 92, 193 Ortiz, Luis de 105, 110, 113, 116, 413 Österbaur, Veronika 11, 343 Ozanam, Didier 87 Palacio, Miguel Ramón del (alias Capmany Surís y de Montpalau, Antonio de) 426f., 572 Palacios Fernández, Emilio 42, 247, 271, 281f., 302, 304, 367, 396, 409, 452, 484, 490 Pannard, Charles-François 430 Pantaleoni, Maffeo 229 Pappano, Margaret Aziza 435f. Pappas, John 271 Pareto, Vilfredo 229 Parr, Rolf 25, 177 Partzsch, Henriette 579 Passeron, Jean-Claude 501 Pataky-Kosove, Joan L. 220, 293 Patiño, José 88f. Pattullo, Henry 129 Peñaflorida, Xavier María de Munibe e Idiáquez, Conde de 132, 150 750 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Perdices Blas, Luís 33, 73, 105, 108f., 111ff., 126, 129ff., 158, 167, 174f., 488 Perea Rodríguez, Óscar 412 Pérez Abril, Dora 635 Pérez Álvarez, María José 613 Pérez Galdós, Benito 330, 353, 400 Pérez-García, Manuel 41, 43, 78, 80f., 83, 122f., 267ff., 673f. Pérez Magallón, Jesús 274, 305 Pérez Sarrión, Guillermo 41, 60f., 70, 74f., 78ff., 88ff., 101, 115, 122, 141, 145f., 346 Pérez y López, Antonio Xavier 139, 142, 426 Perkins Gilman, Charlotte 233 Perrupato, Sebastián 92 Perry, Norma 246, 318 Persky, Joseph 229 Petty, William 103 Pietschmann, Horst 57ff., 115, 261, 335, 355, 446, 470, 505, 548 Pignol, Claire 23, 208 Piketty, Thomas 209 Pinot, Virgile 511f. Pinto, Mario di 220f., 396 Piron, Alexis 430 Platon 259 Plumard de Dangeul, Louis-Joseph 174 Poirson, Martial 12, 409, 433 Polt, John H.R 488 Ponz, Antonio 509 Pressavin, Jean-Baptiste 688 Proust, Jacques 174 Provost, Abbé de 303 Provost, Audrey 635 Quesnay, François 104, 125f., 128f., 135, 511f. Quiñones de Benavente, Luis 639f. Quintana y Lorenzo, Manuel José 426 Quinto, Agustín de 136 Ramón, Tomás Fray 638 Ramos, Enrique (Pseud.: Muñoz, Antonio) 98, 104, 216, 349, 427, 512 Ramos-Gorostiza, José Luis 33 Rautzenberg, Markus 297 Régaldo, Marc 247, 329 Reichel, Jörn 434 Reichert, Eckhart 615 Reichert, Friedrich 316 Reina, Casiodoro de 379, 382 Rejón y Lucas, Diego Ventura 488 Rétat, Pierre 635 Reufels, Bernd 17 Reuthner, Rosa 625 Rey, Fermín del 405, 407ff., 437, 469, 479, 483ff., 504, 519, 555, 565, 618, 625 Reyes Palacios, Felipe 484 Ribadeneyra, Pedro de 100 Rice, Nicole R. 435f. Richarz, Irmintraut 279 Richter, Sandra 50 Riedel, Wolfgang 35 Riehl, Wilhelm 286f. Ripa, Cesare 232 Ripoll, Domingo María 431 Rivière, Paul-Pierre Mercier de la 133 Robles, Juan de 413 Rodríguez Cacho, Lina 640 Rodríguez de la Flor Adánez, Fernando 320 Rodríguez, Rodney T. 330 Rohrbeck, Johannes 44 Rollán, Cristina 182 Romá y Rosell, Francisco 347, 634 Rommel, Thomas 218, 231, 260, 299f., 329, 635 Rosser, Gervase 404 Rother, Wolfgang 44 Roulston, Chris 288f. Rouse, Michel 429 Rousseau, Jean-Jacques 29, 138f., 162, 198, 236, 306, 319, 366, 391 Rousselot de la Surgy, Jacques Philibert 126, 511 Rudolf, Gerd 298 Ruhe, Cornelia 227, 230 Rust, Holger 232, 245, 331ff. Saavedra Fajardo, Diego de 117 Sahelly i Sabi, Àngels M. 75 Sala Valldaura, Josep María 44, 196, 199, 218 12. Personenverzeichnis Salomon, Noël 489 Samaniego, Félix María 151, 637 Sánchez, Juan José 355 Sánchez, Pedro Antonio 140 Sánchez Agesta, Luis 139, 516 Sánchez-Albornoz y Aboín, Nicolás 251 Sánchez-Blanco, Francisco 302, 305, 307 Sánchez de Arévalo, Rodrigo 411 Sánchez Pérez, Aquilino 66 Sarrailh, Jean 41, 370 Sartre, Jean-Paul 493 Savary, Jacques 82, 85, 238, 344, 392, 434 Schaefer, Christina 200, 262, 597f. Schaub, Mirjam 297 Schilling, Michael 652 Schlünder, Susanne 11, 33, 45, 225f., 296f., 310f., 334, 368, 389f. Schmid, Wolfgang 316 Schmitt, Christian 404 Schneider, Ulrich Johannes 177 Schomacher, Esther 223f., 226, 229, 234, 297f., 377 Schößler, Franziska 226ff., 568, 613, 662f. Schuhen, Gregor 225, 235, 289, 431, 579 Schumpeter, Joseph A. 46, 70, 91, 95, 122, 124ff., 136f., 160, 178, 229, 238 Sebold, Russell P. 42, 197, 204, 301, 308f., 334ff., 342, 352 Sedaine, Jean-Michel 246, 255, 302, 319, 375f., 388, 430, 542 Semedo, Álvarez 127 Sempere y Guarinos, Juan 92, 440, 634f. Serna, Juan M. 33 Serra, Narciso 219 Sevilla, Isidoro de 415 Sewell, William Jr. 425 Sheridan, Frances 303 Shi, Zhan 126ff. Skambraks, Tanja 522 Smith, Adam 20, 32, 37, 50f., 104, 118f., 121, 160ff., 178f., 211f., 216, 218, 224, 228f., 233ff., 346, 388, 392, 403, 635, 637, 671, 673, 675f. Sombart, Werner 238 Souny, Claudine 330 Spranger, Eduard 229 751 St. Victor, Hugo de 415f. Stackelberg, Jürgen von 218 Stahl, Andrea 11, 45, 76, 153, 296f., 334, 497 Stahl, Christian 237 Steele, Richard 120, 186, 206, 319 Stollberg-Rillinger, Barbara 219, 575 Strosetzki, Christoph 11f., 24, 82, 185, 225, 247ff., 277, 280, 316, 329, 344, 392, 413, 635 Strugnell, Anthony 634 Struve, Karen 12, 33, 187 Struzzi, Alberto 615 Suárez Cano, Patricia 41, 90, 410f., 413f. Süssenbach, Christina 233 Tamayo y Baús, Manuel 219, 399 Tasso, Torquato 597 Terwey, Alexander 17 Thoma, Yann 12, 409 Thomasseau, Jean Marie 247, 329 Thompson, Edward P. 50, 194 Tietz, Manfred 12, 106, 119, 200, 202, 206, 249ff., 367, 414, 426, 469, 470, 534, 633 Tissot, Auguste 668 Tobar Quintanar, María José 640 Tooze, Adam J. 25 Topete, Jorge Alberto 270, 283 Toro, Alfonso de 300f., 340 Torquemada, Tomás de 640 Torras Elías, Jaume 641f., 644 Torres Naharro, Bartolomé 120, 412 Townsend, Joseph 355 Trigault, Nicolas 127 Trigueros, Cándido María de 214, 221, 241, 278, 302, 406, 408, 427, 438ff., 468, 479, 489, 495, 495ff., 530, 549, 556, 561, 563, 566f., 629, 641, 660 Trigueros, Serafín 129 Trott, David 430 Tschilschke, Christian von 11f., 36, 41, 43f., 86, 105ff., 109ff., 119, 180, 205, 225f., 231, 234, 241, 279, 289, 333, 343, 347, 366, 442f., 488, 509, 561, 576, 579ff., 591, 644 Tull, Henry Jethro William 131 752 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien Turgot, Anne Robert Jacques 32, 103, 135 Ulloa, Bernardo de 103, 110, 117, 158 Urban, Urs 11f., 36, 49, 113, 124, 206, 220, 225, 482 Urzainqui, Inmaculada 202, 240, 347, 350, 367f. Usoz Utal, Javier 125, 128f., 136, 138, 351 Uztáriz, Jerónimo de 103, 110, 158, 253, 346 Valencia, Pedro de 413 Valera, Cipriano de 379 Valladares de Sotomayor, Antonio 53, 204, 214, 216, 243, 281, 283, 246f., 261, 292, 294f., 303f., 317ff., 333, 338, 364, 371ff., 393ff., 406ff., 450, 464ff., 482, 515, 530ff., 559ff., 577, 590, 592ff., 608, 622, 626, 660 Van Cleve, John 248, 329 Varela Suanzes-Carpegna, Joaquín 118 Varela, José Luis 355 Vázquez, Juan 112 Vega Carpio, Lope Félix de 194, 196, 201, 220, 250f., 255, 301, 317, 414, 478, 487ff., 536 Velázquez, Diego 639 Vendrix, Philipp 430 Venohr, Dagmar 678 Ventura Rejón y Lucas, Diego 488 Vergil 481f., 518 Vicens Vives, Jaume 60f., 64, 67, 448, 500 Vicente, Marta M. 634 Viera y Clavijo, José de 439 Vila y Camps, Antonio 186, 682 Vilar Berrogain, Jean 109 Villamediana González, Leticia 120 Villarutia, Jacobo de 303 Villena, Enrique de 411 Viner, Jacob 116 Vitore, Hugo de 416 Vives, Juan Luis 257, 574 Vogel, Jakob 25 Vogl, Joseph 25f., 30, 35ff., 49, 93, 163, 210ff., 227, 245, 362, 364, 391f., 398, 454, 461, 493ff., 669, 673 Völkl, Yvonne 258, 299, 576 Volkmann, Laurenz 50, 231, 236, 635 Voltaire 107, 126ff., 246ff., 271, 302, 421 Voltmer, Rita 316 Wachendorff, Elke 297 Walter, Rolf 115, 124 Ward, Bernardo 100, 104, 110, 118, 131f., 137, 159, 160, 162, 167, 174, 194, 229, 352, 364, 422, 457 Wegmann, Jürgen 260, 264, 339 Weinstock, Alexander 94, 273 Werkstätter, Christine 145, 603 Whitaker, Daniel S. 582 Wiedner, Saskia 220 Windmüller, Sonja 24f., 27, 30 Witthaus, Jan-Henrik 20ff., 49, 65, 88ff., 101, 103, 106, 120, 122, 142, 181, 183, 222, 236, 263, 266, 275, 277, 305, 361, 397f., 421, 425, 427, 644 Woelki, Marion 227, 230 Wolf, Burkhardt 49, 227 Wolters, Nicholas A. 645, 650, 652 Wörsdörfer, Anna 195, 367 Wunderlich, Werner 49, 223, 229, 232, 400 Wyngaard, Amy S. 136f., 488 Young, Arthur 70 Yun Casalilla, Bartolomé 641f., 644 Zavala y Zamora, Gaspar 53, 204, 215, 217f., 246f., 261, 275, 281, 283, 291ff., 317ff., 381, 392ff., 546 Zeibig, Dieter 260, 264, 339 Zeisberg, Simon 200, 225, 262 Zhu, Qianzhi 128 Ziegler, Béatrice 227, 230 Zilkens, Hubertus 260, 264, 339 Zill, Rüdiger 297 Zumel, Enrique 219 Beatrice Schuchardt ist Privatdozentin in der Iberoromanischen Literaturwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ehemalige DFG-Stipendiatin. Aktuell vertritt sie eine Professur für Spanische und Französische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Forschungsschwerpunkte umfassen E-Mail-Romane der hispanophonen und frankophonen Romania, die lateinamerikanische novela negra sowie weibliches Schreiben im Kontext von Exil und Migration in den Literaturen des Maghreb, Québecs und der Karibik. Colección La Cuestión Palpitante Los siglos xviii y xix en España Die Anthropologisierung des Ökonomischen M it der ‚Anthropologisierung des Ökonomischen‘ untersucht die vorliegende Studie, wie das Wirtschaften in sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung (1762-1805) zur menschlichen Grundbedingung erklärt wird: Indem Traktate spanischer Reformökonomen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihren konkreten Niederschlag in Komödien des spanischen Reformtheaters finden, wird dieses zum didaktischen Medium der Vermittlung guten und schlechten Wirtschaftsverhaltens. Erstmals seit Schumpeter wird hier ein aktueller deutschsprachiger Überblick über Strömungen wirtschaftlichen Denkens im aufklärerischen Spanien und ihre Vorläufer geboten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass dann, wenn vom ‚ökonomischen Menschen‘ die Rede ist, meist der ‚ökonomische Mann‘ gemeint ist, entwickelt dieser Band für die Figurentypen des aufklärerischen Reformtheaters in Spanien ein geschlechts- und sektorspezifisches begriffliches Instrumentarium, das vom vir oeconomicus bis zur femina profusa reicht. Neben Transferprozessen zwischen ökonomischem und theatralem Diskurs und dem aufkeimenden Liberalismus steht eine für Spanien charakteristische Bedeutung des Religiösen im Fokus der Analyse, die mit dem Förderpreis der Universitätsgesellschaft Münster e.V. ausgezeichnet wurde.