Die Anthropologisierung des
Ökonomischen in spanischen
Komödien, 1762-1805
Wirtschaften in sentimentalen Wirtschaftskomödien
der Spätaufklärung (1762-1805) zur menschdem Traktate spanischer Reformökonomen des ausgehenden
18. Jahrhunderts ihren konkreten Niederschlag in Komödien
des spanischen Reformtheaters finden, wird dieses zum di-
Beatrice Schuchardt ist Privatdozentin in der Iberoromanischen
Literaturwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster und ehemalige DFG-Stipendiatin. Aktuell vertritt sie
eine Professur für Spanische und Französische Literatur- und
Kulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Forschungsschwerpunkte umfassen E-Mail-Roim Kontext von Exil und Migration in den Literaturen des Maghreb, Québecs und der Karibik.
Vom vir oeconomicus
bis zur femina profusa
BEATRICE SCHUCHARDT
in spanischen Komödien, 1762-1805
Wirtschaftsverhaltens. Erstmals seit Schumpeter wird hier
ein aktueller deutschsprachiger Überblick über Strömungen
wirtschaftlichen Denkens im aufklärerischen Spanien und ihre
Vorläufer geboten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass dann,
wenn vom ‚ökonomischen Menschen‘ die Rede ist, meist der
‚ökonomische Mann‘ gemeint ist, entwickelt dieser Band für die
Figurentypen des aufklärerischen Reformtheaters in Spanien
ein geschlechts- und sektorspezifisches begriffliches Instrubis zur
reicht. Neben Transferprozessen zwischen ökonomischem und
theatralem Diskurs und dem aufkeimenden Liberalismus steht
eine für Spanien charakteristische Bedeutung des Religiösen im
Fokus der Analyse, die mit dem Förderpreis der Universitätsgesellschaft Münster e.V. ausgezeichnet wurde.
35
DIE ANTHROPOLOGISIERUNG DES
ÖKONOMISCHEN IN SPANISCHEN KOMÖDIEN,
1762-1805
Vom vir oeconomicus bis zur femina profusa
Beatrice Schuchardt
LA CUESTIÓN PALPITANTE
LOS SIGLOS XVIII Y XIX EN ESPAÑA
Vol. 35
Consejo editorial
Joaquín Álvarez Barrientos
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Pedro Álvarez de Miranda
(Real Academia de la Lengua Española, Madrid)
Lou Charnon-Deutsch
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(Washington University, St. Louis)
DIE ANTHROPOLOGISIERUNG
DES ÖKONOMISCHEN
IN SPANISCHEN KOMÖDIEN,
1762-1805
Vom vir oeconomicus
bis zur femina profusa
Beatrice Schuchardt
Vervuert - 2023
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Gedruckt in Spanien.
Meinen Eltern,
Wolfgang und Christine Schuchardt
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung: Die Anthropologisierung des Ökonomischen . . . . . . . . .
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2. Die wirtschaftliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1. Der Primärsektor: Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2. Der Sekundärsektor: Manufakturwesen und Industrie . . . . . . . . . . . .
2.3. Der Tertiärsektor: Binnen- und Außenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Reformökonomische Diskurse vor dem Hintergrund eines
veränderten Staatsapparates und des bourbonischen ‚Willens
zum Wissen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1. Die Konzeptebene: Der Souverän als Manager der felicidad pública . .
3.2. Die Diskursebene: Phasen, Einflüsse, Strömungen . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1. Vom arbitrismo zum proyectismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2. Merkantilismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.3. Französische Physiokratie und spanischer Agrarismus . . . . . . .
3.2.4. Der Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3. Die Handlungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1. Erlasse zur Steigerung der Produktivität des Handwerks . . . . .
3.3.2. Die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften und
Werksschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4. Paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie . . . . . . . . . .
3.4.1. Über den Primärsektor: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria
(1795) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2. Über den Sekundärsektor: Campomanes‘ Discurso sobre el
fomento de la industria popular (1774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.3. Über den Tertiärsektor: Valentín de Forondas Disertación sobre
lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778) . . . . . . . . . . . . . . .
4. Die Ökonomisierung des Theatralen im 18. Jahrhundert in Spanien
4.1. Merkmale eines ‚Theaters der Ökonomie‘: Vermenschlichung und
Strukturhomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2. Zur Verschränkung des europäischen Sentimentalen mit dem
spanischen Reformtheater und der Reformökonomie . . . . . . . . . . . . .
4.3. Die Vergeschlechtlichung des Ökonomischen oder: Warum der
Begriff homo oeconomicus den vir oeconomicus meint . . . . . . . . . . . . . . .
4.4. Von ‚zivilen Helden‘ zu ProtagonistInnen der Produktion . . . . . . . . .
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5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels . . . . . . .
5.1. Der Kaufmann in der spanischen Literatur (1500-1700): Eine persona
non grata? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2. Luciano Comellas El hombre agradecido (1790): Kaufmann, Zeitschere
und Handelskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1. Philanthropie und Kalkül: Grenzgänge zwischen Gabe und
Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2. Vom Untertan zum Staatsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.3. Der oikos als kaufmännischer Handlungsraum . . . . . . . . . . . . . .
5.3. Bürgerliche Innerlichkeit im Kontext veränderter
Inszenierungspraktiken im spanischen und deutschen
Reformtheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1. Das bürgerliche Haus als Schnittstelle von Privatem und
Geschäftlichem in El hombre agradecido . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2. Das szenische Mittel des Briefes in Gaspar Zavala y Zamoras
El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793) . . . . . . . .
5.4. Soziales Kapital: Von der guten und schlechten Ökonomie der Affekte
5.4.1. Von der feudalen honra zur bürgerlichen amistad . . . . . . . . . . . .
5.4.2. Der geizige Kaufmann und die Folie Molières in Leandro
Fernández de Moratíns El viejo y la niña (1786) . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.3. Intertextuelle Referenzen zu Shakespeares The Merchant of
Venice (1600) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5. Gaspar Zavala y Zamoras La Justina (1790): Kaufmännischer Haushalt
und matrimonio desigual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie. . . . . . .
6.1. Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788): Der Textilfabrikant
als moralischer und wirtschaftlicher Ratgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2. Die Ehe: Metapher für das Verhältnis aufgeklärter
Reformökonomen zu Spanien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3. Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante de Olot,
o Los efectos de la aplicación (1789): Arbeit als bürgerlicher Wert . . . . . .
6.3.1. Zeitökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.2. Der Lohn der Fleißigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.3.3. Metonymische Performanzen: Das Pastoratsprinzip . . . . . . . . .
6.3.4. Zur Kopplung von unternehmerischem Erfolg und Religiosität
6.3.5. Die caritas als Tugend des philanthropen UnternehmerPaternalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.4. Antonio Valladares y Sotomayors El fabricante de paños,
o el comerciante inglés (1784): Religion und bürgerliche Tugend
in englischem Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.4.1. Der unternehmerische Kosmos des Textilgewerbes . . . . . . . . . .
6.4.2. Bürgerliche Tugend versus adelige Finanzmacht . . . . . . . . . . . .
6.5. Zwischenbilanz: Der vir oeconomicus, Protagonist der comedia
económico-sentimental . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Vir faber und vir rusticus: Männliche Typisierungen des Handwerks
und der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1. Von der Ächtung zur Achtung? Trabajo manual und homo faber im
(vor-)aufklärerischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2. HandwerkerInnen und Kleingewerbetreibende in der spanischen
und europäischen Literatur vor und nach 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3. Der vir faber in Cándido María Trigueros’ Los menestrales (1784) . . . .
7.3.1. Schuster, bleib bei deinem Leisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.2. Des Schneiders neue Kleider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.3. Handwerkerschaft und Staatsbürgertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3.4. Bürgerlichkeit im Dienst des aufgeklärten Absolutismus. . . . . .
7.4. Der soziale Aufstieg des vir faber in Valladares de Sotomayors
El carbonero de Londres (1790) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4.1. Das Pastoratsprinzip: Der Souverän als Vaterfigur und Deidad
7.4.2. Adeliger Zorn und bürgerlicher Seelenadel . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4.3. Schuld(en), Tilgung, Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.5. Vir rusticus: Der Bauer als theatrale Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6. Fermín del Reys La modesta labradora (1791): Die Vorspiegelung
sozialer Gleichheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6.1. Mise en abyme und ‚Als Ob der Repräsentation‘ . . . . . . . . . . . . . .
7.6.2. Habit und Habitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7. Luciano Comellas El buen labrador (1791): Aus Schwertern werden
Pflugscharen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7.1. Die physiokratische Lehre und der Kaiser von China . . . . . . . . .
7.7.2. Das Gleichnis vom Sämann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7.3. Gier, Korruption und die Unbestechlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7.4. Adelskritik und Abendmahlssymbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.8. Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid (1782): Schnittstelle
zwischen vir oeconomicus und vir faber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.8.1. ¿Más? ¿O menos? Sexualdispositiv und Affektökonomie . . . . . .
7.8.2. Feudalstrukturen im bürgerlichen Gewand . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.8.3. Bürgerliche Finanzmacht und Lob der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . .
7.8.4. Abermals Molière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.9. Zwischenbilanz: Heldentum der Arbeit als soziale Evasion . . . . . . . .
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen: Femina oeconomica
und femina fabra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1. Die femina oeconomica in spanischen Komödien der Spätaufklärung . .
8.1.1. Eine exzeptionelle femina oeconomica: Doña Guiomar aus María
Rosa Gálvez’ La familia a la moda (1805) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.2. Die Kette weiblicher Selbstaufopferungen in El fabricante de
paños. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.3. Prudentia als Tugend der femina oeconomica . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2. Die femina fabra im Kontext der escuelas patrióticas (1776-1813)
der Matritense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8.2.1. Die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña
als femina fabra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.2. Göttliche Interventionen: Die Weberin und der Dornbusch . . . .
8.2.3. Die Figur der Leandra und das reformökonomische
Prämiensystem in Comellas El pueblo feliz (1789) . . . . . . . . . . . . .
8.3. Zwischenbilanz: Femina oeconomica und femina fabra diesseits und
jenseits aufklärerischer Paternalismen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Typisierungen der Misswirtschaft: Vir profusus, femina profusa
und die Palette der Normverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1. Geschlechtliche Normverletzung: der petimetre als Variante des
vir profusus und Verkörperung transgressiver Männlichkeit . . . . . . . .
9.1.1. Das Phänomen der petimetría im Kontext der aufklärerischen
Luxusdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1.2. Kulturelle Normverletzung: Der vir profusus als Verkörperung
merkantilistisch motivierter Xenophobie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1.3. Korrumpierte Jugend oder libertinage? Die Figur des Mariano
aus Iriartes El señorito mimado, o la mala educación (1787) . . . . . . .
9.1.4. Religiöse Normverletzung: Aberglaube, falsche Schwüre,
Häresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2. Die femina profusa in Gestalt der petimetra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2.1. Die petimetra als Heimsuchung einer männlich und national
imaginierten Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.2.2. Die unsichtbare Hand der Konsumentin und die weibliche
Wollust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.3. Zwischenbilanz: Das Maskenspiel der Metonymien und der
reformökonomisch-christliche Kanon der Tugenden und Laster . . . .
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10. Fazit: Sakrale Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
11. Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
12. Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
VORWORT
Die vorliegende Studie wurde im Mai 2020 vom Fachbereich 09 der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift
angenommen. Als transdisziplinärer Beitrag verortet sie sich an der
Schnittstelle zwischen Hispanistik, Romanischer Literatur- und Kulturwissenschaft, Wirtschafts- und Theoriegeschichte. Sie steht im
Kontext eines gerade in den vergangenen beiden Dekaden erstarkten
Forschungsinteresses am spanischen 18. Jahrhundert. Auch wenn die
spanische Aufklärung den Fokus der Untersuchungen bildet, können
die dortigen Entwicklungen nicht jenseits des europäischen Kontextes gedacht werden. Deshalb schlägt diese Studie immer wieder Brücken zu vergleichbaren Phänomenen in England, Frankreich, dem
deutschsprachigen Raum und Italien.
Eine Forschungsarbeit gewinnt durch fachlichen und transdisziplinären Austausch und wissenschaftliche Netzwerke. Zahlreiche
Fachveranstaltungen boten Gelegenheit, Teilbereiche der Forschungen
dieser Arbeit als ‚Work in Progress‘ zu präsentieren und zur
Diskussion zu stellen, darunter das Siegener Forschungskolloquium
unter der Leitung von Christian von Tschilschke und Walburga Hülk;
die von Urs Urban und mir geleitete Sektion Theater und Ökonomie in
der Frühen Neuzeit in Spanien auf dem Hispanistentag in Passau (2011);
die Sektion La religión, las letras y las Luces von Markus Ebenhoch
und Veronika Österbaur auf dem Hispanistentag in Münster (2013);
Christoph Strosetzkis und Christoph Lütges interdisziplinäre
Konferenz Der Ehrbare Kaufmann in der Akademie für Politische
Bildung in Tutzing (2014); die Leipziger Forschungstage Lateinamerika/
Iberische Halbinsel bzw. Frankreich und Frankophonie unter Federführung
von Alfonso de Toro; Susanne Schlünders und Andrea Stahls Sektion
über Affektökonomien in Spanien und Frankreich auf dem Romanistentag
in Mannheim (2015); die Tagung der Asociación de Hispanistas in
Münster (2016); der Kongress der Sociedad Española de Estudios
del Siglo xviii in Madrid (2016); der von Agnieszka Komorowska
12
und Annika Nickenig initiierte Workshop Economic Agency between
Misfortune and Failure (Berlin, 2018); die von mir konzipierte und
gemeinsam mit Christian von Tschilschke in Münster veranstaltete
DFG-geförderte Tagung Protagonists of Production. Staging Male and
Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers in Preindustrial Spanish
and European Economic Tracts, Literature and Press (1700-1800) (2019); die
Konferenz Dinge, Waren, Güter von Urs Urban und Annika Nickenig
als eine der letzten wissenschaftlichen Präsenzveranstaltungen vor
Ausbruch der Pandemie (Berlin, 2020); das zweiteilige Colloque de
Cerisy-la-Salle: Art/Argent unter der Leitung von Martial Poirson,
Patrice Babeau und Yann Toma (2021/22) sowie, last not least, die
Sunday Seminars (2021/22) unter der Leitung von Deirdre McCloskey
und Nils Goldschmidt.
An dieser Stelle möchte ich den Personen danken, die meine Forschungen über Jahre begleitet und gefördert haben. Mein tief empfundener Dank gebührt Christian von Tschilschke für achtsame
Förderung, Unterstützung und die Möglichkeit, das spanische 18.
Jahrhundert in einem ebenso wissenschaftlich bereichernden wie familienfreundlichen Umfeld zu einem Forschungs- und Herzensthema zu
machen. Mein Dank geht an Tobias Leuker und Corinna Koch für aufmerksame Begutachtung und hilfreiche Anmerkungen. Manfred Tietz
und Christoph Strosetzki danke ich für thesenschärfende Gespräche
und fruchtbare Korrespondenzen rund um das spanische und französische 18. Jahrhundert. Ich danke Joaquín Ocampo Suárez Valdés und
David T. Gies für die vertrauensvolle Überlassung unveröffentlichter
Forschungsarbeiten, wertvolle Hinweise und intensiven fachlichen
Austausch. Deirdre McCloskey und Nils Goldschmidt danke ich für
inspirierende Kolloquien, beflügelnde Kooperationen und aufrichtige
Transdisziplinarität, die den Geist und den Inhalt dieser Studie geprägt haben. Kirsten Mahlke danke ich für unterstützendes Mentoring und ideensprudelnde Kolloquien. Mein Dank gilt Vittoria Borsò
für die Förderung in einer frühen Karrierephase und die Vermittlung
kritischer disziplinenübergreifender Methoden, die eine wichtige Inspirationsquelle waren. Alfonso de Toro danke ich für transversale
Brücken über Fächer- und Ländergrenzen hinweg. Bei der Korrektur
des Manuskripts haben mich Anne Degenhardt, Imke Heine, Matthias
Kern, Stephanie Kurczyk, Stefanie Muhr und Annegret Richter unterstützt. Ihnen sowie Karen Struve und Juliane Tauchnitz danke ich
herzlich für Ihren wachen Blick und hilfreiche Anmerkungen.
13
Mein besonderer Dank geht an die Universitätsgesellschaft Münster e.V. für die Auszeichnung meiner in dieser Habilitationsschrift
gebündelten Forschungen zu Theater und Ökonomie mit dem „Förderpreis 2021“ für „innovative und interdisziplinäre Arbeiten“. Das
Preisgeld ist in der Förderung dieser Publikation eine wesentliche
Säule. Großer Dank gilt auch dem Förderfonds der Universitäts- und
Landesbibliothek Münster für die freundliche Übernahme der OpenAccess-Kosten.
Last but not least danke ich Eric Achermann und Editha Chitruszko
vom FB 09 der Universität Münster für die Begleitung eines Habilitationsverfahrens, das in Pandemiezeiten besonderen, in der Geschichte
des Fachbereichs einmaligen Bedingungen unterlag.
Wissenschaftsarbeit verdankt sich nicht allein einem funktionierenden beruflichen, sondern wesentlich einem unterstützenden, verlässlichen, zuweilen auch langmütigen privaten Umfeld, das jahrelange
Forschungsarbeit, durchgearbeitete Tage, Wochenenden und Urlaube
mitträgt. In der Zeit, in der diese Arbeit entstanden ist, wurden drei
Kinder geboren und wuchsen heran. Ich danke meinem Mann, Jörg
Roling, für geteilte Care-Arbeit sowie meinen Kindern Adrian, Gereon
und Juno Isabella für duldsames Teilen ihrer Mutter mit „der Habil“,
die für eine nicht unwesentliche Zeit zum sechsten Mitglied der Kernfamilie wurde. Meine vier: Ich liebe Euch. Den liebevollen Großeltern,
Wolfgang und Christine Schuchardt sowie Mechtild und Heinz Roling danke ich für Unterstützung beim Baby- und Kindersitting in herausfordernden Situationen. Forschungs- und Fürsorgearbeit zu vereinen ist – nicht nur, aber vor allem während einer Pandemie – eine
Leistung, zu der sich hoffentlich immer mehr Forschende gleich welchen Geschlechts selbstbewusst bekennen. Auch ihnen ist diese Arbeit
gewidmet.
ZUM GELEIT
Die Zitate aus den spanischen Dramentexten entsprechen in Orthographie und Zeichensetzung den jeweils zitierten Fassungen und
wurden, insofern es sich um Texte aus dem 18. Jahrhundert handelt, in
der Originalschreibweise belassen. Nur vereinzelt wurden Groß- und
Kleinschreibung angepasst. Auch die Angabe der Figurennamen richtet sich nach dem verwendeten Originaltext bzw. nach der benutzten
edierten Ausgabe.
Am Ende der jeweiligen Großabschnitte stehen Zusammenfassungen bereit, die den LeserInnen zur besseren Orientierung innerhalb
der umfangreichen Studie dienen sollen. Die Arbeit ist so aufgebaut,
dass die einzelnen Großkapitel auch ohne eine Gesamtlektüre zugänglich sind. Dies soll Forschenden entgegenkommen, die sich für
wirtschafts- und theoriegeschichtliche Teilaspekte, bestimmte reformökonomische Diskurse oder einzelne Komödientexte interessieren.
Querverweise zwischen den Kapiteln geben Hinweise darauf, in welchem Teil der Arbeit die für das Verständnis des jeweiligen Kapitels
relevanten Kontexte bei Bedarf nachzulesen sind.
1.
EINLEITUNG:
DIE ANTHROPOLOGISIERUNG DES ÖKONOMISCHEN
In den vergangenen Jahren und noch vor Beginn der Pandemie war in
der deutschen Presse immer wieder die Rede von der ‚Krise des Handwerks‘.1 Dabei waren und sind die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe seit Jahren voll und die Branche konnte zuletzt einen Zuwachs
verzeichnen.2 Der pandemiebedingte zwangsläufige Rückzug auf
das Häusliche und das Ruhen betrieblicher Abläufe haben diese Entwicklung verstärkt, sodass das Handwerk der bestehenden Nachfrage
zuweilen kaum nachzukommen vermag. Die zum geflügelten Wort
avancierte Rede vom „Fachkräftemangel“3 in der Industrie und in der
Dienstleistungsbranche illustriert den Kern des Problems: Es fehlt an
Nachwuchs. Vor allem Berufe, die körperliche Tätigkeiten erfordern,
sei es in der Altenpflege oder im Baugewerbe, erscheinen unattraktiv.
Während Ausbildungsberufe, die vorwiegend mit Schreibtischtätigkeiten zu tun haben, begehrt sind und sich Firmen in diesen Bereichen
1
Vgl. Anonymus (2003): „Krise im Handwerk verschärft“. In: Faz.Net vom
14.03.2003. Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/handwerk-krise-im-handwerkverschaerft-199410.html, Zugriff: 22.02.2022. Vgl. auch die ZDF-Dokumentation von Bernd
Reufels „Handwerk in der Krise“, ausgestrahlt am 23.09.2017.
2
Vgl. Borstel, Stefan von (2014): „Das deutsche Handwerk strotzt vor Kraft“. In:
Welt.de vom 10.11.2014. Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article134166886/Dasdeutsche-Handwerk-strotzt-vor-Kraft.html, Zugriff: 22.02.2022.
3
Vgl. Terwey, Alexander (2019): „Fachkräftemangel in 400 Berufen“. In: Focus
Online vom 28.06.2019. Quelle: https://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/
informatik-altenpflege-oeffentliche-verwaltung-fachkraeftemangel-in-400-berufenwie-sich-der-missstand-beheben-laesst_id_10869988.html, Zugriff: 22.02.2022 sowie
DPA (2019): „Jens Spahn rekrutiert in Mexiko Pfleger für Deutschland“. In: Spiegel
Online vom 18.09.2019. Quelle: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/jens-spahnrekrutiert-in-mexiko-pfleger-fuer-deutschland-a-1287398.html, Zugriff: 22.02.2022.
18
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vor Bewerbungen kaum retten können,4 sind Ausbildungsplätze in
Bäckereien oder Metzgereien nur schwer vermittelbar, denn diesen
Gewerben haftet ein „schlechtes Image“5 an. Erschwerend kommt in
Deutschland der demographische Wandel hinzu. Was hat dies mit der
Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des 18. Jahrhunderts zu tun? Mehr, als man zunächst meinen möchte.
Auch wenn zwischen dem heutigen ‚Exportweltmeister‘ Deutschland
und dem importabhängigen Spanien von damals gewaltige Unterschiede klaffen, gibt es doch Parallelen. Diese wurzeln unter anderem
in der seit der Antike sich hartnäckig haltenden Unterscheidung zwischen artes liberales und artes mechanicae, und damit in der Differenzierung zwischen als ‚wertvoll‘ erachteter Kopfarbeit und nur scheinbar
‚wertloser‘ Handarbeit (vgl. Kap. 7.1), die im heutigen Deutschland
ebenso ihre Wirkungen zeitigt wie im Spanien des 18. Jahrhunderts.
Auch dort hat das Handwerk ebenso wie die Industrie und der Handel mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen, und auch diese Sektoren
sind in der Epoche der Aufklärung in Spanien (1700-1808)6 von einem
Mangel an Auszubildenden betroffen. In weitaus größerem Maße als
heute, wo der körperlichen Arbeit allenfalls ein Makel des Prestiges
und des Gehalts anhaftet, ist sie im 18. Jahrhundert in Spanien regelrecht verschrien und gilt als unehrenhaft. Entsprechend gering geachtet, wenn nicht geächtet, sind die, die eine solche Tätigkeit ausüben.
Das gilt nicht nur für Spanien, sondern für weite Teile Europas seit
dem Mittelalter (vgl. Kap. 7.1). Jeder, der in Spanien die finanziellen
Möglichkeiten dazu hat, einen der aufgrund finanzieller Engpässe der
Krone nun zum Kauf stehenden Adelstitel zu erwerben, tut dies, darunter auch und vor allem Kaufleute (vgl. Kap. 2.3). Wo junge Menschen heute eher Betätigungen am Schreibtisch nachfragen oder an
die Universitäten streben, will der, dem in Spanien im 18. Jahrhundert ein Handwerksbetrieb oder kaufmännisches Geschäft als Erbe
in Aussicht steht, lieber zum Militär oder einen der begehrten Titel
4
Hechel, Andrea (2014): „Heiß begehrt: Nachwuchs im Handwerk“. In: Stuttgarter
Nachrichten vom 26.03.2014. Quelle: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.didacta-zukunft-handwerk-heiss-begehrt-nachwuchs-im-handwerk.cd9f2cfb-8b2c-483793ea-01a445801026.html, Zugriff: 22.02.2022.
5
Hechel (2014: ohne Paginierung).
6
Der Einfall der napoleonischen Truppen in Spanien im Jahre 1808 läutet das Ende
der Aufklärung und einen Liberalisierungsprozess ein, der 1810 in die Cortes de Cádiz
als die erste verfassungsgebende Versammlung mündet.
1. Einleitung
19
erwerben. Auch demographische Besorgnisse sind heute ebenso ein
Thema öffentlicher Debatten wie im 18. Jahrhundert in Spanien. Das
gilt insbesondere in ökonomischen Traktaten, befürchtet man doch
einen Bevölkerungsrückgang. Wie in der Presse heute bildet im aufklärerischen Spanien die Rede von der Krise in Handwerk, Handel
und Industrie einen wiederkehrenden Topos.
Obgleich die Sorge um einen Bevölkerungsrückgang im wirtschaftsbezogenen Schrifttum der Epoche ubiquitär ist (vgl. Kap. 2), ist
statistisch betrachtet genau das Gegenteil der Fall: Das Bevölkerungswachstum sorgt für eine steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln,
Kleidung und Gegenständen des täglichen Bedarfs, aber auch nach
Mode, Accessoires und Luxusartikeln. Diesen Bedarf vermag die nationale Wirtschaft nicht zu decken. Die Nachwuchssorgen insbesondere
in Handwerk und Industrie sowie ein allgemeiner Arbeitskräftemangel führen zu einer angesichts der Nachfrage des Marktes zu geringen Produktivität. Die einstige Weltmacht Spanien, und mit ihr die
zu Beginn des 17. Jahrhunderts an die Macht gelangte bourbonische
Dynastie, sehen sich zunehmend mit der ausländischen Konkurrenz
konfrontiert: Holland, Flandern und England haben mit ihren stetig
wachsenden Industrien und ihren modernen Produktionsmethoden
einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Auch das in der Industriespionage aktive Frankreich gewinnt Boden (vgl. Kap. 2). Die produktive
Kapazität eines Staates wird im Wettstreit der europäischen Großmächte zum entscheidenden Machtfaktor – und Spanien ist dabei
deutlich ins Hintertreffen geraten. Das gilt auch für den Handel, ein
Sektor, in dem Spanien seit dem 17. Jahrhundert immer mehr von
Importen aus dem Ausland abhängig ist, nicht nur aus Westeuropa,
sondern auch aus dem Baltikum und Asien. Das Bewusstsein, sich
in einer Krise zu befinden und das Bedürfnis, mit den europäischen
Konkurrenzmächten gleichzuziehen, veranlasst die im Jahre 1700 mit
Felipe V. (1700- 1746)7 neu angetretene, aus Frankreich stammende
und daher in Spanien mit großem Misstrauen beäugte bourbonische
Dynastie, die die Habsburger nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 dauerhaft ablöst, ein umfassendes Reformprogramm
in Angriff zu nehmen, das insbesondere durch die Minister und
Staatsbediensteten unter Carlos III. (1759-1788) vorangetrieben wird.
7
Die angegebenen Jahreszahlen beziehen sich auf die Regierungszeit des jeweiligen Monarchen.
20
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Überlegungen, welche wirtschaftliche Reformen vonnöten sind und
wie diese in die Praxis umgesetzt werden können, führen zu einem
sich in zahlreichen Discursos und Memorias niederschlagenden ökonomischen Diskurs, der sich durch einen in der europäischen Aufklärung einmaligen Pragmatismus auszeichnet (vgl. Kap. 3). Gleichzeitig
rezipiert dieser Diskurs wirtschaftliche Theorien aus dem restlichen
Europa, darunter das Denken Adam Smiths (1723-1790) und David
Humes (1711-1776), die anglophone Agronomie, die französische Physiokratie sowie die französischen Enzyklopädisten, und macht diese
für die eigenen Erfordernisse fruchtbar. In diesem Sinne kennzeichnet
die spanische Wirtschaftstheorie der Epoche ein an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierter Eklektizismus. Der epistemologische
Ort, dem die Mehrzahl dieser Theorien entsprang, ist die ‚Politische
Ökonomie‘8, die im 18. Jahrhundert im Entstehen begriffen und daher
noch ganz „in der Regierungskunst aufgehoben“9 ist. Damit dient sie
primär den wirtschaftspolitischen Interessen der Herrschenden. Die
Politische Ökonomie ist es auch, die die heutige Ökonomie als Wissenschaft präfiguriert.
Im Zuge einer bourbonischen Reformpolitik, die neben dem Wirtschaftlichen auch die Gesellschaft und den Kulturbetrieb in den Blick
nimmt, gerät das Theater in den Fokus des politischen Interesses. Über
das Theater und seine Figuren sollen dem Publikum, insbesondere
den wirtschaftlichen und intellektuellen Trägerschichten, die Leitlinien der bourbonischen Reformen und der Reformökonomie nahegebracht werden. Dieses Unterfangen kann nur unter Zuhilfenahme der
dem Theater eigenen Medialität gelingen, die den Figuren und ihrem
Agieren auf der Bühne eine zentrale Stellung einräumt. Im Theater
erhält das abstrakte System Wirtschaft ein figurales Gesicht und wird
damit menschlich. Mit seiner theatralen ‚Vermenschlichung‘, die auch
– wenn nicht vor allem – in europäischen und spanischen Komödien
der (Spät-)Aufklärung10 vollzogen wird, wird das vielgestaltige Feld
Als Teil eines feststehenden Ausdrucks wird das Adjektiv ‚politisch‘ hier dann,
wenn von der ‚Politischen Ökonomie‘ die Rede ist, groß geschrieben.
9
Vgl. Witthaus, Jan-Henrik (2012): Sozialisation der Kritik im Spanien des aufgeklärten
Absolutismus. Von Feijoo bis Jovellanos. Frankfurt/Main: Klostermann, p. 306.
10
Zum Begriff der Spätaufklärung vgl. Blumenberg, Hans (1975): Die Genesis der
kopernikanischen Welt. Frankfurt/Main: Suhrkamp, passim. Vgl. dazu auch Villacañas
Berlanga, José Luis (2013): „Blumenberg. das Engagement für eine späte Aufklärung“. In:
Anthropos-Magazin: Footprints of Knowledge, 239, pp. 9-20. Die spanische Spätaufklärung
8
1. Einleitung
21
der Ökonomie für das Publikum epistemologisch greifbar. Gleiches
gilt für die sich aus den Erkenntnissen der Politischen Ökonomie speisenden Leitlinien der bourbonischen Reformökonomie. Eben diese
theatrale ‚Vermenschlichung‘ eines als Idealwirtschaft imaginierten
Systems, die sich in spanischen Komödien der Spätaufklärung mittels
neu kreierter Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften vollzieht, ist Gegenstand dieser Studie, die die Bezüge zwischen der bourbonischen Reform, der Ökonomie und ihrer theatralen Repräsentation
untersucht. Die bourbonische Darstellung des Ökonomischen, die
zugleich ein Spiel der Stellvertretungen initiiert, erfolgt wiederum in
Form einer Anthropologisierung, die Aspekte der Vermenschlichung
und Verkörperung beinhaltet, gleichzeitig aber darüber hinaus geht.
Den für die Einleitung titelgebenden Begriff der „Anthropologisierung des Ökonomischen“11 bezieht die vorliegende Arbeit von
Jan-Henrik Witthaus, der ihn erstmals in seiner Habilitationsschrift
Sozialisation der Kritik (2012) verwendet. Eine solche Anthropologisierung beobachtet Witthaus im 18. Jahrhundert in Spanien bereits um
1750 in Juan Enrique Graefs Discursos Mercuriales (1752ff.), einer so
genannten ‚Moralischen Wochenschrift‘12, in die Graef als Redakteur
und einziger Beiträger ein organologisches Modell des Staates und
seines Wirtschaftsgeschehens einbringt. Der kranke menschliche Körper wird in diesem Zusammenhang zur Metapher für die krankende
Nationalwirtschaft, deren ‚Organe‘, sprich, deren Sektoren, an bestimmten Symptomen leiden und die es wiederum mittels der Einnahme einer ‚Medizin‘, also der Anwendung der reformökonomischen
Maßnahmen, zu kurieren gilt. Eben diesen allegorischen Komplex aus
einem in metaphorische Analogie zum menschlichen Leib gesetzten
‚Staats- und Wirtschaftskörper‘ und die diesbezüglich zur Anwendung kommenden medizinischen Metaphern bezeichnet Witthaus als
setzt auf der Ebene der ökonomischen Theoriebildung ab ca. 1780 ein. Vgl. auch Kap.
3.2 sowie Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2010): „Jovellanos: Ilustración, economía y
‚felicidad pública‘“. In: Cuadernos dieciochistas, 11, pp. 93-117, hier p. 97.
11
Vgl. Witthaus (2012: 293).
12
Vgl. zu den Moralischen Wochenschriften vor allem die wegweisenden Forschungen von Klaus-Dieter Ertler, darunter: idem/Hobisch, Elisabeth/Humpl, Andrea
Maria (eds.) (2014a): Die Spectators in Spanien. Die kleinen Schriften der 1780er Jahre.
Frankfurt/Main: Lang; eidem (eds.) (2014b): Die Spectators in Spanien. Die kleinen Schriften der 1760er Jahre. Frankfurt/Main: Lang; eidem (eds.) (2012): Die spanischen Spectators
im Überblick. Frankfurt/Main: Lang.
22
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eine „Anthropologisierung des Ökonomischen“13. Von Witthaus ausgehend identifiziert auch Beate Möller in der Schrift Informe sobre la
Ley Agraria (1795) des spanischen Reformökonomen Gaspar Melchor
de Jovellanos eine „Anthropologisierung ökonomischen Wissens“14,
die etwa dann gegeben ist, wenn Jovellanos15 von der Körpermetapher der „Skelette der Städte“16 spricht. Der Verfall der Städte wird
dabei mit körperlichen Verwesungsprozessen und diese wiederum
werden mit einem wirtschaftlichen Niedergang korreliert. Anders als
bei Graef ist hier aber gerade nicht von dem einen Wirtschaftskörper
der spanischen Nation die Rede. Vielmehr sind die vielen postmortalen Stadtkörper für Jovellanos das Indiz eines allerorten zu beobachtenden Rückgangs wirtschaftlicher Aktivität, die, wie Jovellanos mutmaßt, mit dem Rückgang der Bevölkerung im Zusammenhang steht.
Die Städte sind hier eine an die Körpermetaphorik angelehnte Metonymie für den urbanen Raum, der in Ermangelung von Arbeitskräften
leblos ist, aber doch eigentlich der Kern des öffentlichen Lebens sein
sollte.
Wenn in der vorliegenden Arbeit von der „Anthropologisierung
des Ökonomischen in spanischen Komödien der Spätaufklärung“ die
Rede ist, geht dieser Begriff insofern über die bloße ‚Vermenschlichung‘
des Systems Wirtschaft hinaus, als in den untersuchten Stücken mittels wiederkehrender, nach Berufs- und Tätigkeitsfeldern variierender
Figurentypen (des Kaufmanns, des Fabrikanten, der HandwerkerIn,
des Bauern bzw. der Bäuerin) bestimmte, in Einklang mit der bourbonischen Reformökonomie stehende Formen des Wirtschaftsverhaltens zu Grundzügen eines neuen aufklärerischen Menschenbildes erklärt werden. Damit wird das Wirtschaften im Allgemeinen, und das
13
Vgl. Witthaus (2012: 293).
Möller, Beate (2019): Die spanischen Regionen im Zeitalter der Aufklärung: Literarische
Darstellungen und politisch-ökonomische Reform. Berlin u.a.: Lang, p. 145.
15
In diesem Zusammenhang ist der Umstand bezeichnend, dass Jovellanos zu den
bourbonischen Reformern gehört, die sich nicht nur für wirtschaftliche Neuerungen
einsetzen, sondern die sentimentale Komödie zugleich als neues Genre in Spanien verankern. Vgl. Cañas Murillo, Jesús (1994): La comedia sentimental, género español del siglo
xviii. Cáceres: Universidad de Extremadura, pp. 31ff.
16
Möller (2019: 145) mit Bezug auf Jovellanos, Gaspar Melchor de (21998): Memoria
sobre espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, p. 313, wo in Bezug auf Kastilien von „los esqueletos de sus
ciudades“ die Rede ist.
14
1. Einleitung
23
‚richtige Wirtschaften‘ im Sinne der Reformökonomie im Besonderen,
zu einer zentralen menschlichen Grundbedingung erklärt, die sich
in der Gattung Komödie in Form eines rekurrenten Kanons an Tugenden und Lastern niederschlägt. Dabei triumphieren die Tugenden
gattungskonform über die Laster. Das durch das spanische spätaufklärerische Theater vorgeführte neue Menschenbild kommt in Teilen
mit Leitideen der europäischen Aufklärung wie Philanthropie, Erziehung, Bildung und Mäßigung zur Deckung. Gerade dort, wo es um
das Religiöse geht, weist dieses Menschenbild kulturelle Spezifika
der spanischen Aufklärung auf. Dass mit dem theatral inszenierten
neuen Menschenbild auch der Entwurf neuer Geschlechterbilder verbunden ist, wird dann deutlich, wenn das auf der Bühne inszenierte
Wirtschaften Männern und Frauen unterschiedliche Aktionsräume
und Verhaltensweisen, aber auch ein unterschiedliches Haushalten
mit Gefühlen zuweist. Daher kommt die auf der Bühne vollzogene
Darstellung des Wirtschaftens nicht umhin, zugleich eine männliche oder weibliche Verkörperung des jeweils guten oder schlechten
Haushaltens mit Finanzen, Materialien und Emotionen in bestimmten
Bereichen des Ökonomischen (z.B. im kaufmännischen Geschäft, im
bürgerlichen Haushalt, in der textilen Heimarbeit, im Ehehandel) zu
sein. Da diese jeweiligen männlichen oder weiblichen Verkörperungen Gefühle zur Schau stellen, die jeweils auf die emotionale Beteiligung des Publikums in Form von Einfühlung in die Figuren bzw. auf
die Distanzierung von ihnen abzielen, ist die Subjektivierung Teil der
theatralen Anthropologisierung.
Beide Aspekte, die Verkörperung und die Subjektivierung, sind
Varianten der von Claire Pignol beschriebenen literarischen17 Konkretion von Wirtschaft (vgl. Kap. 4.1).18 Denn im Gegensatz zum
17
Zum Literaturbegriff des spanischen 18. Jahrhunderts ist anzumerken, dass das
Theater in jener Epoche streng genommen noch nicht der Literatur zugerechnet wird.
Im zeitgenössischen Verständnis ist Literatur vor allem verschriftlichtes Wissen. Zugleich werden Theaterstücke in der spanischen Spätaufklärung zunehmend gedruckt
und privat gelesen, sodass es angesichts der auch von Jehle beobachteten „Literarisierung der Theaterverhältnisse“ im 18. Jahrhundert in Spanien (vgl. auch Kap. 4) legitim
ist, von spanischen Dramen der Spätaufklärung als ‚literarischen Texten‘ zu sprechen.
Jehle, Peter (2010): Zivile Helden: Theaterverhältnisse und kulturelle Hegemonie in der französischen und spanischen Aufklärung. Berlin: Argument, pp. 204ff.
18
Pignol, Claire/Akdere, Çinla (2016): „Économie et littérature“. In: Revue d’Histoire
de la Pensée Économique, 2, 2, pp. 75-91, hier pp. 77f.
24
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ökonomischen Diskurs, der das Allgemeingültige, Gesetzmäßige und
Systemische sucht, um wirtschaftliche Systeme adäquat zu beschreiben, geht es bei literarischen Darstellungen von Wirtschaft um Darstellungen des Ökonomischen in einem bestimmten sozialen und historischen Kontext. Diese literarischen Konkretionen eines ansonsten
abstrakten Wirtschaftsgeschehens bestehen darin, dass die Aufs und
Abs, die Hausses und Baisses dieses Geschehens an menschliche Liebes- und Leidenswege sowie an Narrative des Erfolgs und des Scheiterns gekoppelt werden. Dadurch erst wird Wirtschaftsgeschehen
zum Schicksalsgeschehen: Der Bankrott des einzelnen Kaufmanns gerät zur familiären und sozialen Katastrophe, der unverhoffte Gewinn
zum Moment, an dem das verloren geglaubte Glück sich wendet und
eine zuvor nicht in Aussicht stehende Ehe möglich wird. Im Roman
ebenso wie im Theater geben solche Momente Anlass zu emotionaler
Rührung, indem sich das Publikum bzw. die LeserInnen mit den Figuren identifizieren, sich von ihnen distanzieren, mit ihnen oder über
sie lachen bzw. weinen.
Das spanische Reformtheater: Vermittlungsinstanz einer Kultur der
Politischen Ökonomie
In seinem Aufsatz „Homo oeconomicus, Kaufmannsethos und Liberalismus im Spanien des aufgeklärten Absolutismus“ regt Witthaus an,
„nach Kulturen der Ökonomie zu fragen“, anstatt „die Ökonomie als Counterpart der Kultur zu verstehen“.19 Auch Klein und Windmüller werfen
in ihrem Sammelband Kultur der Ökonomie die Frage nach der „(medialen) Kommunikation des Ökonomischen“ auf.20 Damit fragen sie zugleich nach den Prozessen der kulturellen Formung des Ökonomischen
19
Witthaus, Jan-Henrik (2017): „Homo oeconomicus, Kaufmannsethos und Liberalismus im Spanien des aufgeklärten Absolutismus“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki,
Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der
Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 151-173, hier p. 153.
20
Vgl. Klein, Inga/Windmüller, Sonja (2014): „Kultur(en) der Ökonomie. Einleitendes“. In: eadem (eds.). Kultur der Ökonomie. Zu Materialität und Performanz des
Wirtschaftlichen. Bielefeld: transcript, pp. 7-16, hier p. 9. Die Kursivierungen sind dem
Originaltext entnommen.
1. Einleitung
25
im Sinne der Beschaffenheit seiner „Popularisierungen“21, die ihrerseits „nach Bildern und Symbolen, nach kommunikativen Ritualen
und Gesten“22 verlangen und in der Lage sind, Volkswirtschaft zu
metaphorisieren. Solche Metaphorisierungen und Popularisierungen
des Wirtschaftlichen finden sich, vermittelt über Figurenrede und Bühnenhandlungen, auch in spanischen Komödien des ausgehenden 18.
Jahrhunderts. Hier manifestiert sich eine Kultur der Ökonomie, die
eine florierende Wirtschaft als Staatsaufgabe begreift, in der das Ökonomische umgekehrt aber auch Einzug in das Regierungswissen hält.23
Dies steht mit einer Ökonomisierung auch des Staatsapparates selbst
im Zusammenhang (vgl. Kap. 3.1). Die Kultur der Ökonomie, wie sie
das Theater der spanischen Spätaufklärung inszeniert, ist eine Kultur
der Politischen Ökonomie. Im Zuge der ab den 1760er Jahren parallel
zu der ökonomischen Reform in Angriff genommenen Erneuerung des
Theaters hält nicht nur eine neue Ästhetik Einzug in die Bühnenlandschaft, auch auf das Publikum, seine Zusammensetzung und seinen sozialen, ökonomischen und religiösen Wertehorizont sucht die Reform
Einfluss zu nehmen.
Der vorliegenden Studie ist daran gelegen, die (inter-)diskursive24
Verschiebung deutlich zu machen, mittels derer Diskurselemente der
ökonomischen Reformüberlegungen Eingang in das Medium und
in das Diskurssystem des Theaters finden. Dabei geht es darum, die
Formen, Funktionen und Themen, aber auch die gattungs- und geschlechtsspezifischen Erscheinungsformen dieser Verschiebung zu
21
Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9) mit Verweis auf Tooze, Adam J. (2004): „Die
Vermessung der Welt. Ansätze zu einer Kulturgeschichte der Wirtschaftsstatistik“. In:
Berghoff, Hartmut/Vogel, Jakob (eds.). Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels. Frankfurt/Main: Suhrkamp, pp. 325-351, hier p. 332.
Tooze spricht seinerseits von „Metaphorisierungen der Volkswirtschaft“.
22
Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9) mit Verweis auf Tooze (2004: 332).
23
Zur „Einführung der Ökonomie ins Regierungswissen“ vgl. Vogl, Joseph (2002):
Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich: diaphanes, p. 55.
24
Das Adjektiv „interdiskursiv“ bezieht sich auf den von Jürgen Link auf der Basis von Foucaults Diskursbegriff entwickelten Terminus des „Interdiskurses“. Dieser
meint „Diskurselemente und diskursive Verfahren“, die der „Re-Integration des in den
Spezialdiskursen arbeitsteilig organisierten Wissens dienen“. Ein solcher „Spezialdiskurs“ ist auch der wirtschaftliche und wirtschaftstheoretische Diskurs. Vgl. Gerhard,
Ute/Link, Jürgen/Parr, Rolf (2013): „Interdiskurs, integrierender“. In: Nünning, Ansgar
(ed.). Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart: Metzler, pp. 341f.
26
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
untersuchen, die zugleich den medialen Transfer der ökonomischen
Traktatliteratur in das performative Medium des Theaters vollzieht.
Für ein Reformtheater, das zur Vermittlungsinstanz einer aufklärerischen ‚Kultur der Politischen Ökonomie‘ wird, kann das erklärte
Ziel nicht mehr allein die moralische Belehrung des Publikums sein,
wie sie das Theater seit Aristoteles vorgenommen hatte. Vielmehr geht
es darum, eine Form der ökonomischen und sozialen Bildung für die
Bühne zu entwickeln, die einerseits für das Publikum verständlich ist,
andererseits aber auch die reformökonomischen Leitlinien der Gouvernementalität umsetzt.25 Die Gouvernementalität im Sinne Michel
Foucaults fußt auf den Instanzen eines Staatsapparats, der im Auftrag des Souveräns statistisches und demographisches Wissen über
die Bevölkerung sammelt.26 Dieses Wissen ist für den Souverän und
seine gouvernementalen Stellvertreter deshalb essenziell, weil die Bevölkerung nun in ihrer Funktion als potenzielle Quelle des Reichtums
in den Fokus des Staatsinteresses gerät.27 Daher müssen ihr Zuwachs
oder ihr Rückgang in einem ersten Schritt statistisch überwacht und
in einem zweiten biopolitisch reguliert werden. Dies geschieht über
die Instanz der Policey, die nach Foucault die Menge der staatlichen
Regulierungsmechanismen in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bezeichnet.28 Damit die Bevölkerung die ihr durch die Politische
25
So verweist beispielsweise Vittoria Borsò mit Recht darauf, dass sich hinter „dem
Staat, der die Bevölkerung verwaltet, [...] Techniken des Regierens [verbergen], welche
nicht allein im Feld des Politischen, sondern auch in verschiedenen gesellschaftlichen
Institutionen einschließlich Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Bildungsinstitutionen
etc. operieren“. Borsò, Vittoria (2013): „Biopolitik, Bioökonomie, Bio-Poetik im Zeichen
der Krisis. Über die Kunst, das Leben zu ‚bewirtschaften‘“. In: eadem/Cometa, Michele
(eds.). Die Kunst, das Leben zu ‚bewirtschaften‘. Biós zwischen Politik, Ökonomie und Ästhetik. Bielefeld: transcript, pp. 13-35, hier p. 16. Auch das Theater ist ein solches Medium.
26
Vgl. Foucault, Michel (1994): „Omnes et singulatim: vers une critique de la raison
politique“. In: Dits et écrits, vol. IV, eds. Daniel Défert & François Ewald. Paris: Gallimard, pp. 134-161.
27
Vgl. Lascoumes, Pierre (2004): „La Gouvernementalité: de la critique de l’État aux
technologies du pouvoir“. In: Le portique. Revue de philosophie et de sciences humaines, 1314, pp. 1-23, hier p. 5. Quelle: http://journals.openedition.org/leportique/625, Zugriff:
22.05.2022.
28
Zur Policey vgl. Vogl (2002: 73f.) mit Bezug auf Foucault (1994: passim): „Die
Policey übernimmt nun die Aufgaben positiver politischer Intervention und Steuerung
innerhalb der politischen Regierung. [...] Nachdem sich der Polizeibegriff von den
Sammlungen lokaler, städtischer und landesherrlicher Verordnungen über Kleidung,
1. Einleitung
27
Ökonomie der Gouvernementalität zugewiesene Rolle als Quelle des
Reichtums der Nation wahrnehmen kann, ist aber nicht nur eine statistische und demographische Wissenserhebung über sie vonnöten, es
gilt auch, die Bevölkerung selbst über ihre neue funktionale Rolle im
Staat zu instruieren. Teile der spanischen Bühnenlandschaft der Spätaufklärung wandeln sich in propagandistische Lehranstalten ökonomischen Basiswissens. Als didaktisches Medium soll das Theater seinem
Publikum das gute Wirtschaften zum Wohle der spanischen Nation,
aber auch das zu vermeidende schlechte Wirtschaften vermitteln. Geht
man mit Klein und Windmüller davon aus, „dass bestimmte Topoi,
Themen und Figuren in Wirtschaftsdiskursen jeweils in bestimmten
Zeiten und unter bestimmten Bedingungen hervorgebracht, durchgesetzt und weiterentwickelt werden“29, erweist sich für diese Studie die
dramatische Subgattung der sentimentalen Komödie als privilegierte
theatrale Form, in der sich ökonomische Diskurse in der spanischen
Spätaufklärung kristallisieren. Die Darstellung der ‚guten‘ Ökonomie,
die dem ‚öffentlichen Glück‘ (felicidad pública) aller Individuen der Nation zugutekommen soll, und der schlechten Ökonomie, die allen gleichermaßen schadet, kommt in der sentimentalen Komödie nicht ohne
die simultane Vermittlung einer aufklärerischen Moralökonomie aus.
Der Grund dafür ist, dass Aufklärung und Reformökonomie im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts Hand in Hand gehen.30
Einerseits steht die durch das Theater vermittelte aufklärerische
Moralökonomie ganz im Einklang mit den Leitlinien einer paneuropäischen Aufklärungsbewegung und ihren Bemühungen um die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft. Diese ist im Kontext einer sich
um 1700 vollziehenden epistemologischen Wende zu verorten, infolge
derer eine Form des Wirtschaftens, deren Fundament die christliche
Morallehre ist, durch eine bürgerlich und säkular fundierte ‚Ökonomie
Luxus, Zünfte und Sitten, Feuergefahren und Bettler losgelöst hatte, erstreckt er sich
auf die Lebensbedingungen der Leute, auf die Formen des Zusammenlebens insgesamt und auf alle Gebiete des politischen Wesens, er perspektiviert diese Gebiete unter
dem Gesichtspunkt der Relationen und des Verkehrs, und er wendet die Förderung der
individuellen und allgemeinen Wohlfahrt zu einer Stärkung des Staats überhaupt.“
29
Vgl. Klein/Windmüller (2014: 9).
30
Llombart Rosa, Vicent (2006): „Economía política y reforma en la Europa mediterránea del siglo xviii”. In: Mediterráneo económico, 9, pp. 95-113, hier p. 98. Ähnlich
verhält sich dies etwa in der französischen Physiokratie, vgl. Kap. 3.2.3.
28
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Ursachen und Wirkungen‘ abgelöst wird.31 Zugleich bildet das Religiöse einen festen Referenzpunkt in der durch das spanische Theater
des ausgehenden 18. Jahrhunderts vermittelte ‚Kultur der Politischen
Ökonomie‘, die zugleich eine ‚Kultur der Reform‘ ist. Von der Religion
als symbolischem intertextuellem und performativem Referenzrahmen
nimmt die ‚neue‘ säkulare Moralökonomie des bourbonischen Reformprogramms ihren Ausgang. Die Frage, der diese Arbeit in diesem Zusammenhang nachgeht, ist erstens die nach der Funktion dieses religiösen Referenzrahmens, und zweitens die Frage danach, wie sich die
Politische Ökonomie diesen Rahmen zum Zwecke der Säkularisierung
über das Theater als Vermittlungsinstanz zunutze macht.
Von Sattelzeiten und Epochenschwellen: Neue Menschenbilder im Licht
und Schatten der Aufklärung
Der europäischen Aufklärung geht es um nichts weniger als um den
Entwurf einer neuen Gesellschaftsordnung, in deren Verlauf die Meriten des Berufsbürgertums und, damit einhergehend, Geld als neue
soziale Währung, ein feudales System abzulösen beginnen, in dem
sich die gesellschaftliche Bedeutung vor allem nach dem Adelstitel bemisst. Mit dem neuen Gesellschaftsentwurf sind neue Menschenbilder
verbunden. Damit stehen zugleich tradierte Geschlechterbilder auf
31
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2003): „Industrialismo antes de la revolución industrial: la visión de los ilustrados“. In: Cuadernos de Estudios del Siglo xviii, 1213, pp. 93-115, hier pp. 97f.: „La producción de alimentos, al subordinarse a la dotación
de tierras y ganado, requería mantener un delicado equilibrio entre suelo cultivable
(ager), áreas de pasto (saltus) y superficies forestales (silva). Sobre tales premisas, se
entiende que la riqueza se asociase al orden físico-natural, a los valores inmobiliarios y
de uso. Epistemológicamente, la asunción de tales restricciones desde el aristotelismo
y tomismo acabaría por cristalizar en un paradigma teológico-organicista del orden
natural. Admitiendo tal orden y la oferta de recursos en él disponible como dados, la
actividad económica, en un juego de suma cero, se cifraba en las operaciones de recolectar, acumular e inter-cambiar. [...] Desde el siglo xvii, el citado modelo fue sustituido
por otro mecánico-causal. La idea de progreso sustituye a la de estabilidad, el precio
de equilibrio al precio justo, los valores de cambios a los de uso. El orden natural se
replantea y pasa a concebirse como un mecanismo sujeto a regularidades predecibles,
susceptible de manipulación y de intervenciones capaces de ampliar su capacidad productiva. Era una cosmovisión más ajustada a un mundo modelado por la burguesía,
por la máquina de vapor y por fuentes de riqueza que se alejaban de la tierra [...].”
1. Einleitung
29
dem Spiel, denn mit einer zunehmenden Ökonomisierung der Rolle
des Individuums im Staat, das sich vom feudalen Vasallen und Untertan zum ökonomisch nützlichen Staatsbürger wandelt, werden auch
die Rollen von Mann und Frau neu definiert. Dies zeigt sich anschaulich anhand von Jean-Jacques Rousseaus „Discours sur l’Économie
Politique“(1755)32. Dort skizziert Rousseau die Unterschiede zwischen
dem ökonomischen Makrokosmos des Staates und dem Mikrokosmos
des oikos, der unter der Vormundschaft des Vaters als oberstem Familienoberhaupt steht. Dabei verdeutlicht Rousseau, dass der Ehemann
und die Ehefrau im kleinsten wirtschaftlichen Gefüge der Familie nicht
über dieselben Rechte verfügen: Während er über ihre Treue wacht,
hat die seine für sie unerheblich zu sein.33 Obgleich Rousseau der familiäre oikos vor allem dazu dient, die Unterschiede zwischen Staatswirtschaft und Familienwirtschaft zu markieren, ähneln beide sich in
ihrer patriarchalen Grundstruktur. Der Souverän hat im Staat die Rolle eines „premier magistrat“34 (‚oberster Verwaltungsbeamter‘, meine
Übersetzung) des Makrokosmos der Nation inne. Als die Schnittstelle,
an der die Fäden der Politischen Ökonomie zusammenlaufen, ist sein
Gegenbild im familiären Mikrokosmos das autoritäre Leitbild des pater
familias. Der Souverän operiert seinerseits an der Spitze des Staates als
‚Vater der Nation‘, der die Leitlinien der Politischen Ökonomie in wohlwollender paternalistischer Absicht durch ein patriarchales System der
Stellvertretungen in alle Lebensbereiche hineinzutragen sucht, so auch
in das System der Familie. Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht nicht nur, wie sich dieses Bestreben in der Struktur des Staatsapparates selbst manifestiert (vgl. Kap. 3), sondern auch, wie es sich in
der Darstellung des Souveräns in spanischen Komödien der Spätaufklärung niederschlägt (vgl. Kap. 7.4ff.).
Während Rousseau die Analogie von Hauswirtschaft und Staatswirtschaft nur benennt, um „sie unter dem Titel der ‚politischen
32
Rousseau, Jean-Jacques (1780-1789 [1755]): „Discours sur l’Économie Politique“.
In: idem. Collection complète des œuvres, vol. I. Genève: ohne Verlagsangabe, pp. 361-414.
Quelle: www.rousseauonline.ch, version du 7 octobre 2012, Zugriff: 22.02.2022.
33
Vgl. Rousseau (1780: 363f.): „[...] le mari doit avoir inspection sur la conduite de
sa femme; parce quʼil lui importe de sʼassurer que les enfans, quʼil est forcé de reconnôitre & de nourrir, nʼappartiennent pas à dʼautres quʼà lui. La femme qui nʼa rien de
semblable à craindre, nʼa pas le même droit sur le mari.“
34
Rousseau (1780: 364).
30
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Ökonomie‘ sogleich hinter sich zu lassen“35, während das Haus und
die Familie für ihn also gerade „nicht mehr als Leitbild der komplexen ökonomischen Beziehungen figurieren“36, verhält es sich im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch nicht so: Dort
ist die ökonomisch funktionale bürgerliche Familie mit dem beruflichen Horizont des Familienvaters der ideale Ort, um in dem von Klein
und Windmüller skizzierten Sinne Volkswirtschaft nicht nur zu metaphorisieren,37 sondern auch zu metonymisieren. Anders als Vogl38 dies
für das Theater des französischen und deutschen Raums skizziert,
lässt die Familie ihre ökonomische Modellfunktion im spanischen
Theater nicht zugunsten ihrer Instrumentenfunktion hinter sich. Vielmehr ist sie Modell und Instrument zugleich: Sie ist sowohl ein Ort, an
dem sich ökonomische Tugenden und Laster ideal abbilden lassen, als
auch ein funktionales Rad im wirtschaftlichen Getriebe des Staates.
Auf den spanischen Bühnen der Spätaufklärung fungiert das häusliche Innere als Metonymie der spanischen Nation, eine Welt im Kleinen, in der sich gutes und schlechtes Wirtschaften verdichten. Dies
geschieht nicht nur durch einen auf das häusliche Innere reduzierten
Handlungsraum, sondern auch dadurch, dass das gute Wirtschaften
anhand von figural verkörperten Tugenden, das schlechte hingegen
anhand von Lastern vorgeführt wird. Vernunft und die Fähigkeit zu
differenzierten Empfindungen zeichnen das aufstrebende Berufsbürgertum aus, das sich durch seine nationalökonomische Nützlichkeit
in Form einer produktiven Tätigkeit in Handel, Industrie, Landwirtschaft oder Handwerk von einem lasterhaften, da untätigen und daher
unproduktiven Adel unterscheidet. Bereits an dieser Stelle offenbart
sich nicht allein die volkswirtschaftliche, sondern zugleich die zivilisatorische Kraft, die der Arbeit in einem Diskurssystem zukommt, in
dem die wirtschaftstheoretischen Überlegungen der Reformökonomie
35
Vogl (2002: 55).
Vogl (2002: 55).
37
Klein/Windmüller (2014: 9).
38
Vgl. Vogl (2002: 55f.): „[...] die Familie [ist] nicht länger Modell, sondern Instrument: ein privilegiertes Instrument zur Verwaltung der Bevölkerung und kein trügerisches Vorbild einer guten Politik.“ Vogl bezieht sich hierbei auf Rousseaus Definition
der politischen Ökonomie, auf Foucaults Ausführungen zur „gouvernementalité“ sowie auf das politische Programm Colberts zu einer steuerlichen Entlastung von Familienvätern. Vgl. Foucault, Michel (32017): „La gouvernementalité“. In: Dits et écrits, vol.
II: 1976-1988, pp. 635-657.
36
1. Einleitung
31
Eingang in den didaktisch-ökonomischen ‚Belehrungsdiskurs‘ eines
aufklärerischen und zugleich ‚aufklärenden‘ Theaters halten.
Den figuralen Dreh- und Angelpunkt eines solchen Theaters bildet nicht nur in Spanien, sondern auf den Bühnen ganz Europas, der
berufstätige Familienvater mit seinen geschäftlichen Besorgnissen,
die mit dem oikos auch das private Wohl der Familienmitglieder gefährden. Schicksale dieser Art inszenieren George Lillo in The London
Merchant (1731) und Denis Diderot in Le fils naturel (1757), dem dramatischen Prototyp des genre sérieux. Auch in Spanien kommt es im
Zuge der wechselseitigen Rezeptionsprozesse in dem ‚sentimentalen
Dreieck‘39, das Spanien zusammen mit England und Frankreich bildet, zu einer regelrechten Schwemme sentimentaler Komödien, die
das berufstätige Bürgertum in den Blick nehmen. Dabei gilt für die
spanische Dramenkultur der Aufklärung, anders als in Frankreich
und England, die ungeschriebene Regel, dass sich die redlichen Berufstätigen am Ende als heimliche Adelige erweisen müssen. Trotz
aller Adelskritik, die im spätaufklärerischen Spanien ebenso wie im
Rest Europas40 an der Tagesordnung ist, hält sich zumindest das soziale Prestige des Adelsstandes hartnäckig. Die heimlichen Adeligen
des spanischen sentimentalen Theaters sind insofern bürgerlich ‚akkulturiert‘, als sie protobürgerliche Tugenden wie Mäßigung, Fleiß,
Philanthropie und Nächstenliebe vertreten, Werte, die zum Teil mit
dem antiken und christlichen Tugendkanon zur Deckung kommen.
Kennzeichnet die bourbonischen Reformpolitik einerseits das Bemühen, sich von der Vormachtstellung der katholischen Kirche zu emanzipieren und strebt sie nach Säkularisierung, sieht sie sich andererseits
mit dem Umstand konfrontiert, dass das Religiöse ein unverrückbarer
Bestandteil der Alltags- und Volkskultur ist, weshalb der aufklärerische Tugendkanon auf das Religiöse Bezug nimmt. In Spanien kann
es im Zuge der staatlich vorangetriebenen Säkularisierung also nicht
39
Meine Übersetzung. Vgl. Fuentes, Yvonne (1999): El triángulo sentimental en el
drama del Dieciocho (Inglaterra, Francia, España). Kassel: Reichenberger sowie García
Garrosa, María Jesús (1990): La retórica de las lágrimas. La comedia sentimental española, 1751-1802. Valladolid: Secretario de Publicaciones, Universidad de Valladolid. In
diesem ‚sentimentalen Dreieck‘ kommt es zu Rezeptionsprozessen zwischen der englischen sentimental novel und der französischen comédie larmoyante, die wiederum Einfluss auf die spanische comedia lacrimosa nehmen.
40
Man denke dabei etwa an die Adelskritik in Lessings Emilia Galotti. Vgl. Lessing,
Gotthold Ephraim (2001 [1772]): Emilia Galotti, ed. Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam.
32
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
um eine völlige Verabschiedung des Religiösen gehen, sondern vielmehr darum, auf die religiösen Praktiken selbst Einfluss zu nehmen,
etwa, indem sie vom öffentlichen Raum in den Bereich des Privaten
verlagert werden.41
Das ausgehende europäische 18. Jahrhundert ist nicht nur die Phase,
in der sich eine zunehmende Verbürgerlichung der öffentlichen Sphäre
vollzieht, die sich zum einen politisch, etwa durch Umstürze wie die
Französische Revolution, zum anderen medial – das heißt in Presse und
Literatur – niederschlägt. Es ist auch der Moment, in dem sich die Politische Ökonomie von einer staatlichen Praxis in eine zunehmend institutionalisierte Wissenschaft wandelt. Vicent Llombart Rosa veranschlagt
das Jahr 1776 als Schwellenjahr, in dem Adam Smiths The Wealth of Nations42 erscheint, Étienne Bonnot de Condillac seinen Traktat Le Commerce43 verfasst und Anne Robert Jacques Turgot seine Réflexions sur la formation et la distribution des richesses in Buchform veröffentlicht. Zugleich
ist dies die Phase, in der der spanische Minister Pedro Rodríguez Conde
de Campomanes die Apéndices zu seinen reformökonomischen Discursos von 1774 und 1775 über die spanische Industrie und das Handwerk
redigiert, aber auch die, in der Campomanes‘ Schützling, der Reformökonom Pablo de Olavide (1725-1803), von der Heiligen Inquisition
festgenommen wird.44 Ähnliches widerfährt Jovellanos, seines Zeichens
Reformökonom, Aufklärer und Minister unter Carlos IV. (1788-1808).
Mit Bezug auf Vorfälle wie diese fragt Llombart Rosa zu Recht, ob die
41
Im Zuge dieses Prozesses erweckt die öffentlich zur Schau gestellte Religiosität
nun den Anschein von Oberflächlichkeit. Vgl. López, Roberto J. (2017): „Religiosidad
y comportamientos religiosos en la España moderna“. In: Cuadernos del Estudio del Siglo
xviii, 27, pp. 81-112, hier p. 108: „En el siglo xviii, y de manera más acentuada en la segunda mitad, [...] la religiosidad externa – o al menos sus excesos – fue puesta en cuestión,
para llamar la atención sobre la necesidad de una piedad y una religiosidad más interior,
vinculada a una moral más rigorista, al tiempo que desde algunas instancias se criticaba
el despilfarro de medios, tiempo y dinero que generaban algunas prácticas religiosas. Se
trataba, en pocas palabras, de introducir criterios de racionalidad en las creencias y en las
prácticas religiosas, como así lo propusieron autores como Feijoo, Jovellanos, Mayans,
Arroyal, entre otros muchos. Frente a la herencia del barroco, parecía recuperarse así el
influjo erasmiano con su insistencia en una religiosidad más interior.”
42
Vgl. Smith, Adam (1976 [1776]): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth
of Nations, ed. Roy H. Campbell. Oxford: Clarendon.
43
Condillac, Étienne Bonnot de (1776): Le Commerce et le gouvernement considérés
relativement l’un à l’autre. Amsterdam: Jobert & Cellot.
44
Llombart Rosa (2006: 96).
1. Einleitung
33
Aufklärung, die in nahezu allen europäischen Sprachen mit der Lichtmetapher einer intellektuellen und moralischen ‚Erhellung‘45 bezeichnet wird, angesichts der diese Epoche ebenfalls kennzeichnenden blutigen Umstürze und einer fortwährenden politischen und kirchlichen
Repression nicht besser als ein „claroscuro“46 zu bezeichnen wäre, als
eine Epoche der Hell-Dunkel-Kontraste, die neben viel Licht mindestens ebenso viel Schatten birgt; von ihren Orientalismen, Rassismen47
und Androzentrismen ganz zu schweigen, ist die Aufklärung doch auch
die Zeit, in der der koloniale Sklavenhandel sich intensiviert und bis
dato nicht gekannte Ausmaße annimmt.48 Wenn Llombart Rosa die Gemälde Goyas mit ihren Licht- und Schattenspielen, ihren Gegensätzen
und grotesken Körpern49 zu Recht als besonders geeignet erachtet, um
das Helle im Widerstreit mit dem Dunkel dieser Epoche zu metaphorisieren, spart er diese Aspekte jedoch aus.
Die Rede von der Anthropologisierung des Ökonomischen
Neben dem Theater künden auch die Presse und der Roman der europäischen Aufklärung von einer zunehmenden ‚Verbürgerlichung‘, die
45
So etwa die Begriffe Enlightenment, Lumières, Ilustración, Illuminismo, Aufklärung.
Llombart Rosa (2006: 96).
47
Vgl. Struve, Karen (2020): Wildes Wissen in der Encyclopédie. Koloniale Alterität,
Wissen und Narration in der französischen Aufklärung. Berlin: De Gruyter.
48
Im aufklärerischen Spanien werden zwischen 1700 und 1800 mehr als 570.000
schwarze Afrikaner ihren Heimatländern entrissen und in die spanischen Kolonien
deportiert. Vgl. Perdices de Blas, Luis/Ramos-Gorostiza, José Luis (2015): „Slavery and
Slave Trade in Spanish Economic Thought, Seventeenth to Eighteenth Centuries“. In:
History of Economic Ideas, 23, 2, pp. 12-40, hier p. 11 mit Bezug auf The Trans-Atlantic Slave
Database. Eltis, David (dir.): The Trans-Atlantic Slave Database. Cambridge: Hutchins
Centre for African and Afro-American Research. Quelle: https://hutchinscenter.fas.
harvard.edu/trans-atlantic-slave-trade-database, Zugriff: 01.06.2022. Der direkte
Vergleich mit der Phase zwischen 1595 und 1640, in dem es um die 270.000 sind
(vgl. Serna, Juan M. [2004]: „Periodos, cifras y debates sobre el comercio de esclavos
novohispanos, 1540-1820“. In: América Latina en la Historia Económica, 1, pp. 49-58,
hier p. 52), illustriert den Anstieg im 18. Jahrhundert. Insgesamt schätzt Serna (2004:
54), dass zwischen 1450 und 1867 12 000 000 Sklaven in die Amerikas verbracht
werden, 15 % sterben bei der Überfahrt durch Krankheiten wie Skorbut, anderen
Infektionskrankheiten sowie an drakonischen Strafen.
49
Zu Ästhetik Goyas vgl. Schlünder, Susanne (2002): Karnevaleske Körperwelten
Francisco Goyas – Zur Intermedialität der ,Caprichos’. Tübingen: Stauffenburg.
46
34
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ein direktes Resultat des Einflusses der Politischen Ökonomie auf den
Kulturbetrieb ist. Dieser Einfluss wird in Spanien von staatlicher Seite
bewusst forciert. Die Leitlinien des Reformprogramms der bourbonischen Politischen Ökonomie spiegeln sich etwa in den Moralischen
Wochenschriften, Presseerzeugnissen mit ideologischer Nähe zum
aufklärerischen Reformdiskurs der bourbonischen Politik, in deren
Redaktionen Minister wie Jovellanos tätig sind. Im politisch-institutionellen und intellektuellen Bereich kennzeichnet die Politische Ökonomie als neu entstehende Wissenschaft die Prägung durch aufklärerische Wissensformen, allen voran die enzyklopädische50, für die
paradigmatisch die Encyclopédie (1751-1772) Diderots und D’Alemberts steht. Speziell in Spanien ist die Entstehung der Politischen Ökonomie, die Marti auf Jovellanos zurückführt und auf 1777 datiert, an
die statistische Erhebung demographischer Daten durch Zensus gekoppelt.51 Auch hier schlägt mit der Geburtsstunde der Politischen
Ökonomie zugleich die der Biopolitik, der aktiven politischen Steuerung von Geburtenzahlen und Sterberaten.52 Grundvoraussetzung für
eine solche Steuerung ist das ökonomisch fundierte ‚Staatswissen‘ als
ein Wissen über das Leben der Bevölkerung, das zugleich eine neue
politisch-ökonomische Epistemologie auf den Plan ruft:
Dieses positive Wissen um das Leben des Staates als Leben der Bevölkerung verlangt nicht nur ein expansives Aufsammeln unterschiedlicher
Gegenstände und Materien, sondern zugleich die Administration einer
bestimmten Ebene der Wirklichkeit, die man seit dem 17. Jahrhundert
„Ökonomie“ nennt. Die Kategorie des Ökonomischen [...] ist mit jener tief
greifenden Umordnung politischen Wissens, seiner Repräsentationen und
Grenzziehungen seit Ende des 17. Jahrhunderts verbunden, die neben naturrechtlichen Gründungsakten das Feld einer politischen Empirie systematisch erschließt. Das betrifft das Wissen über die Natur ebenso wie das
50
Für das enzyklopädische Wissen der Politischen Ökonomie in Spanien vgl. Astigarraga, Jesús (2009): „‚Economía Política‘ y ‚Comercio‘ en los diccionarios y la literatura enciclopédica española del siglo xviii “. In: Bulletin Hispanique, 111, 2, pp. 387-427.
51
Vgl. Marti, Marc (2012): „El concepto de la felicidad en el discurso económico de
la Ilustración“. In: Cuadernos dieciochistas, 13, pp. 251-270, hier p. 256.
52
Zugleicht betont Borsò (2013: 16), dass „Biopolitik“ mitnichten „Biomacht“ sei,
„sondern [...] vielmehr die Genealogie und Transformationen der Kunst des Regierens“.
1. Einleitung
35
Wissen über den Menschen und den sozialen Raum. Gutes Regieren ist
nun vor allem ökonomisches Regieren.53
An die neuen ökonomischen Wissensformen ist die Einführung
eines ‚reformierten Menschentyps‘54 gekoppelt, in dem die ratio der
Politischen Ökonomie, die neue Bürgerlichkeit und das Sentimentale
als Charakteristikum des Bürgertums zusammenlaufen.
In der geisteswissenschaftlichen Forschung seit den 1990er Jahren sind solch anthropologische Perspektivierungen nicht neu. Doris Bachmann-Medick hat bereits 2004 in ihrem gleichnamigen Band
„Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft“55 ausgerufen.
Aktuell scheint das Anthropologische gerade dann wieder Konjunktur
zu haben, wenn es um die literarische oder künstlerische Darstellung
des Ökonomischen geht. Dies betrifft auch das Feld der Wirtschaftsanthropologie als Teilbereich der literarischen Anthropologie, wobei der
Begriff ‚Anthropologie‘ in diesem Zusammenhang „in denkbar weitem Sinne als die ‚Lehre vom Menschen‘“56 verstanden wird. Für die
Germanistik hat Manuel Bauer mit seiner Habilitationsschrift Ökonomische Menschen (2016) eine literarische Wirtschaftsanthropologie des
19. Jahrhunderts bereitgestellt, in der er die Beteiligung literarischer
Texte an der Modellierung ökonomischer Menschenbilder untersucht.
Bauer verortet seine Studie im Feld einer „literarischen Anthropologie“57, die die Literatur als Medium der „Produktion und Verbreitung
anthropologischen ‚Wissens‘“58 begreift.
53
Vogl (2002: 54).
Vogl, Joseph (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes, p. 33.
55
Vgl. Bachmann-Medick, Doris (ed.) (2004): Kultur als Text. Die anthropologische
Wende in der Literaturwissenschaft. Tübingen: UTB.
56
Bauer, Manuel (2016): Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie
des 19. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 16.
57
Bauer (2016: 16) mit Bezug auf Riedel, Wolfgang (2007): „Literarische Anthropologie“. In: Braungart, Georg/Grubmüller, Klaus/Müller, Jan-Dirk/Vollhardt, Friedrich/
Weimar, Klaus (eds.). Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, vol. II. New York: De
Gruyter, pp. 432-434, hier p. 432.
58
Bauer (2016: 16) mit Bezug auf Riedel (2007: 432). Bauer (2016: 17) grenzt in diesem Zusammenhang die „literarische Anthropologie“ im Sinne Riedels von der „Literaturanthropologie“ ab, die ihm zufolge den Text „als bloßes Dokument“, der Kultur,
der er entspringt. Diesem Zweig rechnet Bauer (2016: 17) beispielsweise Doris Bachmann-Medicks Konzept „einer Literaturwissenschaft als historischer Kulturanthropologie“ zu. Vgl. Bachmann-Medick, Doris (2004): „Einleitung“. In: eadem (ed.), pp. 7-64,
54
36
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Für die Hispanistik hat zuletzt Urs Urban mit Die Ökonomie der
Literatur (2018) eine „literarische Genealogie des ökonomischen
Menschen“59 verfasst, die er anhand von Beispielen aus der deutschen,
französischen, spanischen und argentinischen Literatur von der frühen Neuzeit bis heute entwickelt. Ebenfalls für die Hispanistik hat
Christian von Tschilschke in seinem Aufsatz über die spätaufklärerische spanische Komödie La familia a la moda (2014) von María Rosa
Gálvez „Anzeichen für eine neue Anthropologie und Poetologie des
Ökonomischen“60 identifiziert. Eben diese „Poetik bzw. Poetologie des
Wissens“61, von der auch bei Vogl62 die Rede ist, trägt der Bedeutung
Rechnung, die die jeweilige Repräsentationsform für die Wissensproduktion hat.63 Für die ökonomische Poetologie des Wissens der
europäischen Aufklärung macht Vogl verschiedene „Programme“64
aus: die Vertragstheorien, die Repräsentationslehren der politischen
Macht, das Policeywissen, die Politische Ökonomie. Auch das Theater
nennt Vogl explizit.65 Über sein Figurenarsenal leistet es eine Rückbindung des Politischen an die Personalität, es inszeniert Reziprozitätsbeziehungen und Stellvertretungen der politischen Macht und agiert damit interpersonell.66 Diese Aspekte finden sich auch in den Analysen
der vorliegenden Studie wieder, die mit der Anthropologisierung des
Ökonomischen in Komödien der spanischen Spätaufklärung zugleich
veränderte soziale Beziehungen beobachtet, die sich im Horizont des
Sentimentalen artikulieren.
hier pp. 8ff. Dabei ist fraglich, ob Bauer Bachmann-Medicks Begriff der literarischen
Kulturanthropologie nicht zu sehr verengt.
59
Vgl. den Titel von Urban, Urs (2018): Die Ökonomie der Literatur. Zur literarischen
Genealogie des ökonomischen Menschen. Berlin: Aisthesis.
60
Tschilschke, Christian von (2014): „María Rosa Gálvez‘ neoklassizistische Komödie La familia a la moda (1805): Paradigma für eine neue Ökonomie des Theaters“.
In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und
Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 283-303, hier p. 285.
61
Vogl (2002: 86).
62
Auch Urban (2018: 14) greift mit Bezug auf Vogl auf diese Poetologie zurück
und macht sie fruchtbar, um die „Modalitäten der (ästhetischen) Diskursivierung von
Wissen zu beschreiben“.
63
Vgl. Vogl (2002: 86).
64
Vogl (2002: 86).
65
Vgl. Vogl (2002: 86).
66
Vgl. Vogl (2002: 86).
1. Einleitung
37
Man muss nicht notwendigerweise, wie Vogl dies tut, auf die von
Smith in The Theory of Moral Sentiments (1759) entwickelte Sympathielehre zurückgreifen, um das sentimentale Theater der europäischen
Aufklärung als ein „Theater der Stellvertretungen“67 zu erkennen, bei
dem Figuren auf der Bühne in Stellvertretung der sich in sie einfühlenden ZuschauerInnen gewinnen, verlieren, lieben und leiden. Schon
im antiken Theater wird die Katharsis als moralische Läuterung des
Publikums durch das Mitleiden mit den tragischen HeldInnen erreicht. Ein Theater der Stellvertretungen ist das unter dem Einfluss
der bourbonischen Reformbemühungen stehende spanische Theater
des ausgehenden 18. Jahrhunderts allerdings noch in einem weiteren
Sinne: Als ‚Regierungstheater‘ agiert es stets in Stellvertretung eines
reformorientierten Souveräns. Aus diesem Grunde muss sich unter
den auf der Bühne agierenden Figuren eine die patriarchale Autorität
verkörpernde Gestalt finden, die in Stellvertretung der gouvernementalen Macht bewertet, belehrt, verurteilt, lobt und damit für die rechte
Ordnung sorgt.
Erkenntnisinteressen: Diskursverschränkung und Vergeschlechtlichung
Das Forschungsinteresse dieser Arbeit konzentriert sich auf den Nexus zwischen dem Diskurssystem der Politischen Ökonomie des
bourbonischen aufgeklärten Absolutismus68 und dem Diskurssystem
eines ebenfalls im Fokus dieses Absolutismus stehenden spanischen
Reformtheaters, das als ‚neoklassisches Theater‘ bezeichnet wird. Das
neoklassische Theater richtet sich nach der 1737 von Ignacio de Luzán
formulierten Poetik69, die die aristotelische Regel der drei Einheiten
67
Vogl (2002: 90).
Der aufgeklärte Absolutismus mit seiner Konzeption der starken spürbar lenkenden Hand des Monarchen, bildet den institutionellen Rahmen für ein anwendungsbezogenes reformökonomisches Programm, das die Politische Ökonomie als Wissenschaft im Dienste nationalen Glücks konzipiert und unter Carlos III. zu voller Blüte
gelangt. Vgl. Anes, Gonzalo/Castrillón, Álvarez de (2000): „La economía española en el
siglo xviii”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y Economistas españoles, vol.
III: La ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 91-173, hier pp. 98ff.
69
Vgl. Luzán, Ignacio de (1974): La poética o reglas de la poesía en general y de sus principales especies. Ediciones de 1737 y 1789, ed. Isabel M. Cid de Sirgado. Madrid: Cátedra.
Zu den italienischen Einflüssen auf Luzán vgl. Michel, Karin (1983): Ignacio de Luzán:
68
38
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
als verbindlich auffasst, die auch die französische Klassik70 prägt. Je
mehr sich das 18. Jahrhundert seinem Ende nähert, desto deutlicher
vollzieht das neoklassische Theater die Wende zum Sentimentalen.
Die vorliegende Studie fragt danach, welche teils regierungskonformen, teils unerwartet widerständigen Reformdiskurse die spezifische
Regierungsstruktur des bourbonischen Staatsapparates hervorbringt
und unter welchen ökonomischen Grundbedingungen sie sich entwickeln. Sie fragt außerdem, welche ökonomischen Reformdiskurse
Eingang in das Medium Theater und in die Gattung der zunächst
neoklassischen, dann zunehmend sentimentalen, und letztlich auch
in die populär-sentimentale Komödie der spanischen Spätaufklärung
finden.
Gerade die Gattung der Komödie weist eine besondere Affinität
zur Ökonomie auf, drehen sich doch beide um das „Beziehungsgeflecht sozialer Tausch- und Verkehrsformen“71. Wenn Bernd Blaschke neben der Liebe das Geld als einen der wichtigsten Handlungsmotoren des Romans und des Theaters ausmacht,72 gilt dies für die
Komödie verstärkt, ja sogar so sehr, dass Daniel Fulda ihrem Liebesgeschehen strukturelle Homologien zum Geldmarkt attestiert.73 Die
vorliegenden Analysen sollen zeigen, wie der ökonomische Reformdiskurs das Sentimentale und das Moralische im Medium des Theaters verschränkt. Sie sondieren, wie das Diskurssystem des Theaters
ökonomische Theorien über das ‚rechte Haushalten‘ in verschiedenen
Wirtschaftssektoren mit einem sentimentalen ‚Gefühlshaushalt‘ verbindet und daraus eine aufklärerische Moralökonomie entwickelt, die
wesentlich über einen durch das Theater figural vermittelten Kanon
La poética (1737). Untersuchungen zur Frage ihrer Einordnung im Hinblick auf antike und
italienische Vorbilder. Diss. Universität zu Köln.
70
Einen direkten Vergleich zwischen der französischen Klassik und der spanischen
Neoklassik nimmt die überaus lesenswerte Studie von Jehle (2010) vor.
71
Vogl (2002: 54).
72
Vgl. Blaschke, Bernd (2004): Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline. Paderborn: Fink, p. 27.
73
Vgl. Fulda, Daniel (2005): Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung
der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing. Tübingen: Niemeyer, p. 22. Diese Strukturhomologien habe ich an anderer Stelle für französische und spanische Komödien
des 18. Jahrhunderts untersucht. Vgl. Schuchardt, Beatrice (2016): „Économies amoureuses: homologies structurales dans les comédies espagnoles et françaises du xviiie
siècle (Moratín, Iriarte, Destouches et Marivaux)“. In: L’Homme et la Société, 200, 2, pp.
171- 187.
1. Einleitung
39
der Tugenden und Laster operiert. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, welche Rolle das Säkulare und das Religiöse in diesem Kanon
jeweils spielen.
Im Hinblick darauf, wie die figurale Repräsentation von Wirtschaftsprozessen und die reformökonomische Theorie in der Komödie
diskursiv interagieren, ist dieser Studie daran gelegen zu untersuchen,
wie sich die Anthropologie des wirtschaftenden Menschen im spanischen Theater der Spätaufklärung in der Vergeschlechtlichung von
Wirtschaftsprozessen konkretisiert. In dem Moment nämlich, in dem
Wirtschaft infolge einer über das Medium des Theaters sich vollziehenden Anthropologisierung abstrakter ökonomischer Transaktionen
figurale Gestalt annimmt, gewinnt auch die Frage nach der Bedeutung
des Geschlechts dieser Figuren für ihr ökonomisches (Inter-)Agieren
an Relevanz. Insofern man davon ausgeht, dass man es bei den auf der
Bühne gut und schlecht wirtschaftenden Männern und Frauen im Sinne Judith Butlers mit ‚Körpern von Gewicht‘74 zu tun hat, dass also ihr
Geschlecht in ihr normkonformes oder nonkonformes wirtschaftliches
Handeln hineinspielt, repräsentieren die männlichen und weiblichen
Verkörperungen des Ökonomischen auf der Bühne zugleich normative und von der Norm abweichende Vorstellungen von Geschlecht.
Die vorliegende Studie geht von der These aus, dass mit dem auf der
Bühne inszenierten guten und schlechten Wirtschaften modellhafte
und wünschenswerte ebenso wie deviante und unerwünschte Geschlechtsentwürfe vorgeführt werden, die auf die Identifikation des
Publikums mit der Norm bzw. auf die Erzeugung von Ablehnung angesichts der Abweichung abzielen.
Besonders interessiert ist diese Forschungsarbeit an den seltenen
Momenten, in denen das durch den aufklärerischen ökonomischen,
sozialen und geschlechtlichen Leitdiskurs beeinflusste Theater aus
der ihm zugewiesenen politischen Rolle fällt und sich in dem scheinbar glatten Konstrukt eines durch die staatliche und kirchliche Zensur
doppelt kontrollierten Theaterbetriebs Falten, Risse und diskursive
Brüche auftun. Dies ist etwa dann der Fall, wenn progressives liberales Gedankengut und die Vorstellung sozialer Gleichheit in einen
74
Vgl. Butler, Judith (1997): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, trans. Karin Wördemann. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Die englische Originalausgabe ist 1993 unter dem Titel Bodies that Matter. On the Discursive Limits of „Sex“
bei Routledge erschienen.
40
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
monarchisch regulierten Theaterdiskurs Einzug halten oder die in der
Mehrzahl stereotype Figurenzeichnung entweder geschlechtlich oder
sozial aufgebrochen wird. Zu solchen Momenten kommt es beispielsweise, wenn die wortlastige sentimentale Komödie den Bereich der Belehrung über die Figurenrede verlässt und ihrer ureigenen Medialität,
dem Performativen75, Raum gibt; oder aber, wenn sich Vertreter eines
volksnahen Unterhaltungstheaters die Handlungsgerüste des Reformtheaters aneignen und mit ihren auf den Volksgeschmack zugeschnittenen Aktualisierungen in die oft wenig unterhaltsamen76 ‚Lehrstücke‘
intervenieren. Diese singulären Momente der Destabilisierung des
herrschenden Diskurses zu berücksichtigen, bedeutet dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass Aufklärung nicht nur eine Epoche, sondern
auch ein Prozess ist, der trotz der unbestrittenen Bedeutung seiner intellektuellen Trägerschichten nicht in allen Bereichen einer erfolgreichen Steuerung ‚von oben‘ unterliegt oder der stets linear-teleologisch
vonstattengeht, auch wenn die aufklärerischen Fortschrittsideologien
dies postulieren mögen.
Forschungsstand
Wurde Spanien lange Zeit die Existenz einer nationalen Aufklärungsbewegung mit eigener Prägung abgesprochen, ist die spanische Aufklärungsforschung spätestens seit Mitte der 1970er Jahre ein mit zunehmender Intensität und mittlerweile gut erforschtes Feld. Dies gilt
für die Wirtschaftsgeschichtsschreibung und für die ökonomische
Theoriegeschichte ebenso wie für die Literaturgeschichte. Für die
wirtschaftliche Ausgangslage sind vor allem die frühen sozialgeschichtlichen Forschungen zum spanischen 18. Jahrhundert von Jean
75
Gerade in der Performanz des Theaters sieht Vogl (2002: 86) einen „Interventionsraum von performativen Akten und einer bürgerlichen Öffentlichkeit präfiguriert“.
76
Dass gerade das strikt nach neoklassischen Vorgaben komponierte Reformtheater die ursprüngliche Funktion der Komödie – die Unterhaltung – entbehrt, liegt
auch daran, dass dort so gut wie nicht gelacht wird. Vielmehr fällt die Komik der ästhetischen und didaktischen Ökonomie der Neoklassik zum Opfer und wird gewissermaßen ‚wegrationalisiert‘. So bleibt in einem Theater, in dem, wie Vogl (2002: 97)
konstatiert, die Figuren – und mit ihnen die ZuschauerInnen – zur „Moderation ihrer
Beziehungen aufgerufen sind“, für die entgrenzende Kraft des Lachens kein Raum
mehr.
1. Einleitung
41
Sarrailh (1954)77 und der wirtschaftshistorische Überblick von Richard
Herr (1960)78 sowie die Untersuchungen von Gonzalo Anes79 und Antonio Elorza80 (beide 1970) zur ökonomischen Sozial- und Theoriegeschichte grundlegend. Einen Überblick über die Wirtschafts- und
Theoriegeschichte sowie über die einflussgebenden Persönlichkeiten
der spanischen Aufklärung hat Enrique Fuentes Quintana mit seinem
Sammelband Economía y Economistas españoles (2000) bereitgestellt.81
Neuere und neueste Untersuchungen zur Wirtschaftsgeschichte und
-theorie Spaniens haben mit Blick auf die europäischen Zusammenhänge und in Bezug auf die Forschungsfelder Handel, Industrie und
Arbeit u.a. Joaquín Ocampo Suárez-Valdés und Patricia Suárez Cano
(2021; 2022)82, Ocampo Suárez-Valdés (2017)83, Fernando Díez Rodríguez (2014)84, Guillermo Pérez Sarrión (2012)85 und Manuel PérezGarcía (2013)86 vorgelegt.
Das Panorama der Geistesgeschichte der spanischen Aufklärung
entrollen (mit Seitenblicken auf das Theater Moratíns) die seit den
späten 1960er Jahren in Aufsatzform erschienenen Studien Antonio
Vgl. Sarrailh, Jean (21964): L’Espagne éclairée de la seconde moitié du xviiie siècle. Paris: Klingsieck.
78
Vgl. Herr, Richard (11988 [1960]): España y la revolución del siglo xviii, trans. Elena
Fernández Mel. Madrid: Aguilar.
79
Vgl. u.a. Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en la España moderna. Madrid:
Taurus.
80
Vgl. u.a. Elorza, Antonio (1970): La ideología liberal en la Ilustración española. Madrid: Tecnos.
81
Vgl. Fuentes Quintana, Enrique (ed.): Economía y Economistas españoles, vol. III: La
ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg.
82
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín/Suárez Cano, Patricia (2021): „Del otium al
nec-otium: oficios viles, negocios bajo sospecha, empresarios sin honra”. In: Historia
Social, 100, pp. 21-48; iidem (2022): „From otium to nec-otium: Vile Trades, Dishonorable
Entrepreneurs. The Case of Spain“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von
(eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and
Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 33-56.
83
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2017): „Economía política, desigualdad y
liberalismo, 1750-1850”. In: Revista de Historia Constitucional, 18, pp. 1-19.
84
Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo,
1675-1945. Madrid: Siglo XXI.
85
Vgl. Pérez Sarrión, Guillermo (2012): La península comercial. Mercado, redes sociales
y Estado en España en el siglo xviii. Madrid: Marcial Pons.
86
Vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers. Trans-National Meetings
between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808). Farnham: Ashgate.
77
42
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Maravalls, die 199187 in einem Sammelband neu ediert worden sind.
Für die Zwecke dieser Arbeit besonders interessant sind Maravalls
Betrachtungen zur Herausbildung einer bürgerlichen Mentalität im
Spanien des 18. Jahrhunderts.88 Neuere Werke zu Literatur und Gesellschaft der Epoche mit Überblickscharakter haben zuletzt Joaquín
Álvarez Barrientos (2005)89 und Jesús Astigarraga (2015) herausgebracht, wobei vor allem der letztgenannte Sammelband erhellende
Einsichten in den Zusammenhang zwischen Wirtschaftstheorie, Politik, Literaturbetrieb und Kultur gibt.
Zum Theater der spanischen Spätaufklärung hat Jorge Campos
(1969)90 eine frühe und erkenntnisreiche Monographie verfasst. René
Andioc veröffentlicht Ender der 1980er Jahre91 eine Topographie des
Madrider Theatergeschehens des 18. Jahrhunderts. Emilio Palacios
Fernández nimmt eine Dekade später92 eine systematische Untersuchung der AutorInnen, Stücke und Subgattungen des populären
Theaters und seiner Themen vor. Grundlegende Forschungen zur
Kurzgattung des sainete, eines theatralen Zwischenstücks, und seinen
ökonomischen Bezügen (Geld, Luxus, Mode) stellt Mireille Coulon
199393 bereit. Russel P. Sebold und John Dowling haben seit den 1970er
Jahren kommentierte Neueditionen der Stücke einzelner Dramatiker
des spanischen 18. Jahrhunderts wie Tomás de Iriarte und Ramón
de la Cruz herausgegeben, die wertvolle Hintergrundinformationen
und Detailsichten enthalten. Mit Beginn der 1970er Jahre und den
Forschungen Ivy McClellands94, verstärkt aber ab den 1990er Jahren,
87
Vgl. Maravall, José Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento español
(siglo xviii). Madrid: Mondadori.
88
Vgl. Maravall, José Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración española”. In: Hispanic Review 47, 3, pp. 291-325.
89
Vgl. Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españolas. Madrid: Síntesis.
90
Vgl. Campos, Jorge (1969): Teatro y sociedad en España (1780-1820). Madrid: Moneda y Crédito.
91
Vgl. Andioc, René (1987): Teatro y Sociedad en el Madrid del siglo xviii. Madrid:
Castalia.
92
Vgl. Palacios Fernández, Emilio (1998): El teatro popular del siglo xviii. Lleida: Milenio.
93
Coulon, Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz.
Pau: Publications de l’Université de Pau.
94
Vgl. u.a. McClelland, Ivy (1970): Spanish Drama of Pathos 1750-1808, vol. I: High
tragedy. Toronto: Toronto University Press.
1. Einleitung
43
wird der Entwicklung der sentimentalen Komödie in Spanien und den
einflussgebenden Rezeptionswegen zwischen England, Spanien und
Frankreich durch die Forschungen von María Jesús García Garrosa
(1990ff.), Jesús Cañas Murillo (1994) und Yvonne Fuentes (1999) Aufmerksamkeit zuteil.
Die Untersuchung der Beeinflussung des Dramendiskurses durch
wirtschaftliche Theorie hat sich seit Ende der 1990er Jahre vor allem
auf das Thema Mode, die spanischen Textilimporte und die Luxusdebatte konzentriert. Diese drei zusammenhängenden Themenbereiche
stehen im Kontext merkantilistischer Theorien und kondensieren sich
in Spanien im Figurentypus des petimetre bzw. der petimetra, d.h. des
Stutzers oder der Stutzerin, die in der Presse und im Theater ebenso
vorkommen wie im Roman und in der Essayistik. Mit ihrem Fokus
auf den Zusammenhängen zwischen merkantilistischen Besorgnissen,
dem nationalen Modemarkt, der Luxusdebatte und dem erwähnten literarischen Typ haben Ana María Díaz Marcos (2006), Ana Hontanilla
(2008; 2022), und Rebecca Haidt (1998ff.) wertvolle Forschungsbeiträge
geleistet.95 Vor einigen Jahren hat Manuel Pérez García (2013)96 diesen
Figurentypus im Hinblick auf den Merkantilismus und die Handelsbeziehungen im Mittelmeerraum einer Neubetrachtung unterzogen.
Zusammenhänge zwischen dem wirtschaftlichen Reformdiskurs
und dem Theater haben bisher vor allem einzelne Aufsätze thematisiert,
95
Vgl. Díaz Marcos, Ana María (2006): La edad de seda. Cádiz: Servicio de Publicaciones de la Universidad de Cádiz; Hontanilla, Ana (2022): „Maja’s Labors Lost in Ramón
de la Cruz’s sainetes“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female
Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 195-206; eadem (2008): „The
Airy and the Irrational. Elaborating on the Meanings of the Petimetra from a Selection of
Goyas Caprichos and the Spanish Periodical El Censor.“ In: Decimonónica 5, 1, pp. 48-64;
Haidt, Rebecca (2011): Women, Work and Clothing in Eighteenth-Century Spain. Oxford:
Voltaire Foundation; eadem (2003): „A Well-Dressed Woman Who will not Work: Petimetras, Economics, and Eighteenth-Century Fashion-Plates“. In: Revista Canadiense de
Estudios Hispánicos 28, 1, pp. 137-157; eadem (1999): „Luxury, Consumption and Desire:
Theorizing the Petimetra“. In: Arizona Journal of Hispanic Studies, 3, pp. 33-50 sowie
eadem (1998): Embodying Enlightenment. Knowing the Body in Eighteenth-Century Spanish
Literature and Culture. New York: Macmillan.
96
Vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers. Trans-National Meetings
between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808). Farnham: Ashgate, pp.
42ff.
44
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
darunter David T. Gies‘ Beiträge (1996ff.)97 über die Umsetzung des industriellen Programms des Ministers Campomanes in Francisco Duráns Komödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789) sowie María Jesús García Garrosa mit ihren
Studien (1990ff.)98 zum Zusammenhang zwischen der bourbonischen
Gesetzgebung und der theatralen Darstellung bestimmter Berufe und
Berufsgruppen. Yvonne Fuentes‘ Aufsatz (2014) untersucht dieses Phänomen für das Handwerk.99
Intensiv erforscht worden sind mit den wegweisenden Studien
der spanischen Historikerin Mónica Bolufer Peruga100 die männlichen
97
Vgl. Gies, David T. (2022): „Two Women, Two Ways: Economy and Theater in
Enlightenment Spain”. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female
Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 181-194; idem (2016): „María
Rosa Gálvez de Cabrera, La familia a la moda (1805), and the Multiple Anxieties of Late
Nineteenth-Century Spain“. In: Anales de Literatura Española Contemporánea 41, 4, pp.
153-172; idem (2015): „Gustos and gastos: Anxiety, Economy, Nation and the Theatre
in Nineteenth-Century Spain.” In: Bulletin of Spanish Studies XCII, 8-10, pp. 387-410;
idem (1996): „Sentencias y buenas máximas: Francisco Durán, dramaturgo y poeta ilustrado“. In: Álvarez Barrientos, Joaquín/Checa Beltrán, José (ed.). El siglo que llaman ilustrado. Homenaje a Francisco Aguilar Piñal. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones
Científicas, pp. 451-457.
98
Vgl. García Garrosa, María Jesús (2022): „Business and Businessmen in Eighteenth-Century Spanish Drama”, trans. Philip Deacon. In: Schuchardt, Beatrice/
Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European
Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin:
Lang, pp. 131-147; eadem (1996): „Algunas observaciones sobre la evolución de la comedia sentimental en España”. In: Sala Valldaura, María Josep (ed.). Teatro español del
siglo xviii, vol. II. Lleida: Universitat de Lleida, pp. 427-446; eadem (1993): „La Real
Cédula de 1783 y el teatro de la Ilustración“. In: Bulletin Hispanique 95, 2, pp. 673-692.
García Garrosa behandelt den Einfluss der Gesetzgebung auch in ihrer Monographie
La retórica de las lágrimas (1990).
99
Vgl. Fuentes, Yvonne (2014): „Urban and Labor Identities: Madrid’s menestrales
in Eighteenth-Century Sainetes and Plays“. In: Dieciocho 37, 2, pp. 211-232.
100
Vgl. u.a. Bolufer Peruga, Mónica (2016): „§13. Höhepunkte der öffentlichen Geschlechterdebatte”. In: Rohrbeck, Johannes/Rother, Wolfgang (eds.). Die Philosophie des
18. Jahrhunderts, vol. IV: Spanien, Portugal, Lateinamerika. Basel: Schwabe, pp. 157-166;
eadem (2011): „Femmes et hommes dans la société idéale: les Sociétés Economiques des
Amis du Pays dans l’Espagne des Lumières“. In: La Découverte: dix-huitième siècle, 43,
1, pp. 487-504; eadem (2007): „‚Hombres de bien‘: modelos de masculinidad y expectativas femeninas, entre la ficción y la realidad“. In: Cuadernos de Ilustración y Romanticismo, 15, pp. 7-31; eadem (1998): Mujeres e ilustración. La construcción de la feminidad
1. Einleitung
45
und weiblichen Geschlechterbilder des spanischen 18. Jahrhunderts.
Kristina Heße hat 2008 mit ihrer Dissertation Männlichkeiten in der
spanischen Aufklärung101 eine systematische Untersuchung der in der
Presse entworfenen Männlichkeitsideale und der davon abweichenden Männlichkeiten veröffentlicht. Auch Claudia Gronemann hat mit
ihrer Habilitationsschrift Polyphone Aufklärung (2014)102 einen wesentlichen Beitrag zur systematischen Aufarbeitung der essayistischen
und literarischen Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe geleistet.
Victoria López Barahona hat in ihrer soziohistorischen Dissertation
(2015) die Arbeitsbedingungen von Handwerkerinnen im Madrid
des 18. Jahrhunderts untersucht.103 Die Zusammenhänge zwischen
dem Haushalten mit Gütern und dem Haushalten mit Gefühlen im
europäischen 18. und 19. Jahrhundert haben Susanne Schlünder und
Andrea Stahl in ihrem Sammelband Affektökonomien (2018)104 erhellt.
Was bislang aussteht, ist eine Studie, die die Bezüge zwischen der
reformökonomischen Theorie und den durch das Theater inszenierten
Figuren aus dem Wirtschaftsleben systematisch und geordnet nach
Berufsfeldern in ihren theorie- und wirtschaftsgeschichtlichen Bezügen untersucht. Dies bedeutet, Figuren aus dem Wirtschaftsleben, wie
etwa den Kaufmann, den Fabrikanten, den Bauern bzw. die Bäuerin
und den/die HandwerkerIn, als figurale Verkörperungen nicht nur
von Ökonomie allgemein, sondern eines ganz konkreten Wirtschaftsgeschehens zu begreifen, wie es der autoritäre und androzentrische
Diskurs der Politischen Ökonomie idealtypisch imaginiert und zur
sozialen Norm erklärt. Ebenso fehlt es an einer Untersuchung, die
die in der Gattung der Komödie erfolgende figurale Repräsentation
en la ilustración española. Valencia: Institució Alfons el Magnànim; eadem (1995): „La
construcción de la identidad femenina. Reformismo e Ilustración“. In: Estudis. Revista
de historia moderna, 21, pp. 249-265.
101
Heße, Kristina (2008): Männlichkeiten in der spanischen Aufklärung. Der Diskurs der
moralischen Wochenschriften El Pensador, La Pensadora gaditana und El Censor. Berlin:
Logos.
102
Gronemann, Claudia (2014): Polyphone Aufklärung. Zur Textualität und Performativität der spanischen Geschlechterdebatten im 18. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Vervuert.
103
López Barahona, Victoria (2015): Las trabajadoras madrileñas del siglo xviii: familias,
talleres y mercados. Diss. Departamento de Historia Moderna, Facultad de Filosofía y
Letras, Universidad Autónoma de Madrid. Junio de 2015.
104
Vgl. Schlünder, Susanne/Stahl, Andrea (eds.) (2018). Affektökonomien. Konzepte
und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink.
46
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eines idealisierten aufklärerischen und reformierten Wirtschaftsgeschehens mit einer Reform nicht nur der Theaterverhältnisse, sondern
auch anderer Gesellschaftsbereiche in Bezug setzt, durch die Männerebenso wie Frauenbilder in Bewegung geraten. An eben diesen neuralgischen Punkten setzen die vorliegenden Forschungen an, wenn sie
die genannten Elemente zusammendenken und in spanischen Komödien der Spätaufklärung Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften identifizieren, die das männliche und weibliche Wirtschaften ebenso wie die Tätigkeit in verschiedenen Wirtschaftssektoren zu
Facetten ein und derselben menschlichen Grundbedingung erklären
und Wirtschaft damit ganz im Sinne des Reformgeistes der Politischen
Ökonomie anthropologisieren. Insbesondere in der Figurenrede lassen sich dabei konkrete Bezüge zu den reformökonomischen Diskursen der spanischen Spätaufklärung identifizieren, denen diese Arbeit
nachspürt.
Methode(n)
Methodisch verortet sich diese Studie im interdisziplinären Feld einer kulturwissenschaftlich fundierten Hispanistik, der europäischen
Aufklärungsforschung – weshalb ihr stets daran gelegen ist, Bezüge
zwischen dem spanischen und dem europäischen Kontext herzustellen –, und der wirtschaftlichen Theoriegeschichte. Dabei kann es der
Verfasserin, die selbst Hispanistin und Frankoromanistin ist, nicht
um einen innovativen Beitrag zur wirtschaftlichen Theoriegeschichte
gehen. Vielmehr geht es darum, die Grundzüge des reformökonomischen Denkens des spanischen 18. Jahrhunderts in ihrer Entwicklung
sowie in ihren innereuropäischen Bezügen nachzuzeichnen und sie
unter Berücksichtigung aktueller Forschungen neu zu perspektivieren. Dadurch wird die spanische Wirtschaftstheorie der Epoche nicht
nur als Ausgangspunkt und Grundlage für die hier angestellten Textanalysen zusammenfassend dargestellt, vielmehr wird sie erstmals
seit der deutschen Übersetzung von Joseph A. Schumpeters History of
Economic Analysis (1954) für nachfolgende Forschungen aus dem germanophonen Bereich zur Verfügung gestellt.
Das innovative Potenzial dieser Arbeit gründet sich auf die Analyse der diskursiven Interferenzen zwischen der Politischen Ökonomie
als neu entstehender Wissenschaft, ihrer Anthropologisierung durch
1. Einleitung
47
das Theater, den damit verbundenen Geschlechterentwürfen und den
immer wieder aufscheinenden religiösen Bezügen. Diskurs wird dabei immer auch als Machtdiskurs im foucaultschen Verständnis aufgefasst. Zugleich ist er ein Interdiskurs im Sinne Links, ein Diskurs, der
seine Inhalte über ihm fremde Formen und Medien vermittelt. Indem
diese Monographie den ‚wirtschaftenden Menschen‘ im Kontext der
Politischen Ökonomie der spanischen Aufklärung als ‚wirtschaftenden
Mann‘ erkennt, der sich durch sein spezifisch männliches Wirtschaften von der weiblichen Ökonomie der femina oeconomica unterscheidet,
hinterfragt und vergeschlechtlicht diese Studie das inzwischen zum
Allgemeinplatz der kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschungen gewordene Konstrukt des homo oeconomicus in seinen machtdiskursiven und genderbezogenen Implikationen (vgl. Kap. 4.3). Indem
diese Forschungsarbeit dem als vir oeconomicus – und damit als Mann
– identifizierbaren ökonomischen Menschen weitere geschlechtlich
kodierte Figurentypen an die Seite stellt, etwa den vir faber und den
vir rusticus als Repräsentanten von Handwerk und Landwirtschaft
(vgl. Kap. 7), nimmt sie eine geschlechtliche und sektorspezifische
Ausdifferenzierung dieses Konzeptes vor. Das gilt auch für die Untersuchung des weiblichen Figurentypus der femina fabra als die im Sinne
der Reformökonomie handwerklich tätige oder handarbeitende Frau
im Unterschied zur femina oeconomica als ‚Kopfarbeiterin‘ (vgl. Kap. 8).
Eine methodische Herausforderung, mit der sich diese Studie
ebenso konfrontiert sieht wie alle Forschungen, die das Theater in
gegenwartsfernen Epochen erkunden, ist der Zugriff auf die spezifische
Medialität des Theaters, d.h. auf die konkrete Aufführungssituation.
Musik, Gesang und Tanz sowie teils intendierte, teils nichtintendierte
Unterbrechungen bestimmen das spanische Theatergeschehen der
Frühen Neuzeit. Mit der Bedeutung, die das Musikalische sowie das
Erbe der barocken Festkultur in der nationalen Theaterkultur Spaniens
einnehmen, steht diese eher der englischen als der französischen
Dramenpraxis nahe.105 Zwar weiß man inzwischen Einiges über den
Theaterbetrieb der spanischen Aufklärung und seine materiellen
105
Zu den Gemeinsamkeiten des englischen und spanischen Theaters des 17. Jahrhunderts vgl. Cañadas, Ivan (2005): The Public Theater in Golden Age Madrid and Tudor-Stuart London. Class, Gender, and Festive Community. Aldershot: Ashgate. Vgl. auch
Cohen, Walter (1985): Drama of a Nation. Public Theatre in Renaissance England and Spain.
Ithaca: Cornell University Press.
48
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Bedingungen, die zuletzt Judith Hoffmann in ihrer Dissertation
Theater in Bedrängnis (2017)106 mit Blick auf die staatlicherseits
unternommene Theaterreform gewinnbringend untersucht hat. Was
die konkrete Aufführungssituation einzelner Stücke anbelangt, stehen
außer den in Zeitschriften wie dem Memorial literario veröffentlichten
Kritiken heute hingegen nur beschränkt Informationsquellen zur
Verfügung.107 Damit geht einiges von der (Inter-)Medialität, vor allem
aber von der theatralen Performanz als einer einmalig stattfindenden,
so nicht wiederholbaren auditiven, visuellen, haptischen und
olfaktorischen108 Erfahrung verloren. Dass gerade das sentimentale
Theater der spanischen Spätaufklärung ein wortlastiges und daher
aktionsarmes Schauspiel darstellt, ist für diese Untersuchung, die
ihren Fokus auf das Diskursive – und damit auf den Dramentext –
legt, von Vorteil. Dennoch muss betont werden, dass eine sich allein
auf den Dramentext konzentrierende Analyse notwendigerweise die
Besonderheiten der einzelnen Aufführungen außer Acht lassen muss,
sofern sie nicht über Theaterkritiken in zeitgenössischen Periodika
erschließbar sind. Vor diesem Hintergrund ist es umso bedeutsamer,
den Nebentexten die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Dass
die Bühnenanweisungen im Laufe der Entwicklung des Theaters der
Spätaufklärung immer länger werden, deutet auf deren wachsende
Bedeutung hin: Kommt beispielsweise ein neoklassisches Stück wie
Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra 1762 noch ganz ohne sie aus,
nehmen sie zu Beginn von Luciano Francisco Comellas sentimentaler
Komödie El pueblo feliz (1789) schon eine Viertelseite ein (vgl. Kap.
8.2.3). Der Bühnenraum und seine Ausstattungsgegenstände werden
so zum ökonomischen Symbolraum, in dem sich wirtschaftliche
106
Vgl. Hoffmann, Judith (2017): Theater in Bedrängnis. Politische, soziale und ästhetische Vereinnahmungen des Madrider Theatergeschehens im späten 18. Jahrhundert. Dissertation an der Universität Wien. Quelle: https://utheses.univie.ac.at/detail/43482#, Zugriff: 11.09.2022.
107
Zur Theaterkritik im Memorial literario als Quelle für die damaligen Aufführungssituationen vgl. Hoffmann (2017: 261ff.).
108
Das Erlebnis des Theaters als Spektakel und gesellschaftliches Ereignis umfasste
auch die haptische Erfahrung des Gedränges der Menge sowie den obligatorischen
Kniefall, wenn der als Zensor abgestellte Priester mit der „Hostie im Gepäck“ durch
das Publikum zur Bühne ging. Jehle (2010: 137). Sie umfasste aber auch olfaktorische
Reize wie die mit der Menge verbundenen Gerüche und ebenso Geschmäcker, etwa
die der während der Aufführung zum Verzehr angebotenen Früchte (vgl. Kap. 4).
1. Einleitung
49
Missverhältnisse manifestieren, noch bevor sie in den Dialogen zur
Sprache kommen. Utensilien wie die Uhr gewinnen als theatrale
Requisiten im Zuge der neuen Zeitökonomie des Handels eine zuvor
nicht gekannte Relevanz (vgl. Kap. 5.2). Diesen Details tragen die
Analysen ebenso Rechnung wie der Figurenrede, auf die sich das
Hauptaugenmerk der Textanalysen richtet, bilden die Repliken doch
das vorrangige Mittel, über das die Elemente des ökonomischen
Reformdiskurses Eingang in das theatrale Diskurssystem halten.
Der vorliegenden Arbeit kommt es darauf an, Elemente des reformökonomischen Diskurses im theatralen Diskurs nachzuweisen,
aber auch darauf, den Mehrwert eines theatral vermittelten
idealen Wirtschaftsgeschehens gegenüber einer in Traktaten und
Denkschriften formulierten Wirtschaftstheorie herauszustellen. Dieser
Aspekt betrifft das dem Theater eigene ökonomische Wissen.109
Der homo oeconomicus – ein Auslaufmodell?
Das kulturwissenschaftlich fundierte wachsende Interesse der
Geisteswissenschaften an anthropologischen Fragestellungen,
das kurz nach dem Millennium einsetzt, scheint sowohl mit einer
‚Entgeschlechtlichung‘ als auch mit einem Verzicht auf heuristische
Konstrukte wie den homo oeconomicus einherzugehen. Manuel Bauer
jedenfalls erklärt den wirtschaftenden Menschen in seiner bereichernden wirtschaftsanthropologischen Studie Ökonomische Menschen für
passé. Dass die für seine Studie titelgebenden ökonomischen Menschen allesamt wirtschaftende Männer sind, während die Frau als
wirtschaftliche Akteurin allenfalls in Bauers drei Seiten umfassenden
Epilog einen Kurzauftritt hat, erscheint als Selbstverständlichkeit. Die
in den Literatur- und Kulturwissenschaften vielfach untersuchte110
109
Dem ökonomischen Wissen der Literatur widmet sich auch die Studie von Urban, vgl. (2018: 15) und insbesondere pp. 23ff.
110
Zum homo oeconomicus vgl. u.a. Maschewski, Felix (2019): „Homo oeconomicus“.
In: Vogl, Joseph/Wolf, Burckhardt. Handbuch Literatur & Ökonomie. Berlin/Boston: De
Gruyter, pp. 160-163; Witthaus (2017); Habermann, Friederike (2008): Der homo oeconomicus und das Andere: Hegemonie, Identität und Emanzipation. Baden-Baden: Nomos;
Wunderlich, Werner (2007): „Geld im Sack und nimmer Not.“ Betrachtungen zum literarischen Homo oeconomicus. Zürich: Versus sowie idem (1989): „Der literarische Homo
oeconomicus. Allegorie und Figur“. In: idem. (ed.). Der literarische Homo oeconomicus.
50
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Gestalt des homo oeconomicus weist Bauer deshalb als simplifizierende
Konstruktion der Wirtschaftswissenschaften und „anthropologische
Fiktion“111 zurück, weil sie nicht für die Analyse von Narrativen tauge.
Das sei deshalb der Fall, weil sich ökonomische Menschen – wie Bauer
treffend beobachtet – in ein breites Spektrum von Tätigkeiten und Typen auffächern ließen, es also eine Pluralität ökonomischer Menschen
gebe, die es zu differenzieren gelte.112
Als Ausgangspunkt für die hier unternommenen Untersuchungen
ist das mitnichten unproblematische, ja spektrale Konzept des homo oeconomicus jedoch gerade aus den Gründen geeignet, aus denen Bauer
es zurückweist. Als heuristisches Konstrukt und Fiktion der klassischen Nationalökonomie, als das Bauer113 dieses Konzept ausweist,
meint es den Typus des aus der Perspektive Adam Smiths ideal, da
gewinnmaximierend und im eigenen Interesse wirtschaftenden Menschen. In diesem Zusammenhang hat Friederike Habermann bereits
auf den dem Konzept inhärenten Widerspruch hingewiesen, der darin besteht, dass es von einem perfektem Egoismus des ökonomischen
Menschen „auf dem Markt“114 ausgeht, „aber gleichzeitig perfekten
Altruismus gegenüber den eigenen Familie“115 postuliert. Produktiv ist
das Konzept des homo oeconomicus für die Zwecke der hier angestellten
Analysen deshalb, weil es aus dem bereits skizzierten Schwellenjahr
um 1776, und somit aus der Geburtsphase der Politischen Ökonomie
stammt. Daher nimmt es genau die heuristische Konstruktion und
Fiktionalisierung vor, die auch die durch die staatlichen Reformdiskurse beeinflussten spanischen Komödien der Spätaufklärung kennzeichnet. Diese Komödien sind Teil einer Dramenproduktion, deren
Vom Märchenhelden zum Manager. Beiträge zum Ökonomieverständnis in der Literatur. Bern
u.a.: Paul Haupt, pp. 9-21; Blaschke (2004); Volkmann, Laurenz (2003): Homo oeconomicus: Studien zur Modellierung eines neuen Menschenbilds in der englischen Literatur vom
Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Heidelberg: Winter.
111
Bauer (2016: 28) auf der Basis von Richter, Sandra (2012): Mensch und Markt.
Warum wir den Wettbewerb fürchten und ihn trotzdem brauchen. Hamburg: Murmann, p. 7.
112
Vgl. Bauer (2016: 28; 54).
113
Vgl. Bauer (2016: 28).
114
Habermann (2008: 14).
115
Habermann (2008: 14), die überdies darauf hinweist, dass das Konzept schon
im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts auf Kritik stößt: „Bereits 1825 wies William
Thompson zusammen mit Anna Wheeler auf den Widerspruch einer politischen Ökonomie hin, nach welcher Männer sich vollkommen egoistisch untereinander, aber völlig altruistisch gegenüber ihren Frauen und Kindern verhielten.“
1. Einleitung
51
Hochphase mit der Entstehung der klassischen Nationalökonomie zusammenfällt. Auch deshalb spielt die Politische Ökonomie in diesem
Theater eine entscheidende Rolle. Eingang in das Medium des Theaters halten die Diskurselemente der Politischen Ökonomie über die
figurale Anthropologisierung und Vergeschlechtlichung. Die durch
spanische Komödien der Spätaufklärung inszenierten wirtschaftenden Männer und Frauen stimmen allerdings nicht mit dem von Manfred Pirsching bezeichneten Typus des raffgierigen Einkommensmaximierers und gefühllosen Egozentrikers116 überein, zu dem der homo
oeconomicus im deutschen Sprachraum erklärt worden ist.117 Dass diese Figuren des spätaufklärerischen spanischen Theaters ihr Eigeninteresse verfolgen, stellt sie zwar in die Nähe von Smiths Konzept des
ökonomischen Menschen.118 Doch anders als von Smith in The Wealth
of Nations beschrieben, verfolgen die im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts entworfenen ökonomischen Modellmenschen und ihre Negativfolien ihr Eigeninteresse nicht ungehindert,
sondern in dem politischen und moralökonomischen Rahmen, den ihnen die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus steckt. So
muss das Streben nach Gewinn zumindest rhetorisch stets im Dienst
des Gemeinwohls der spanischen Nation stehen. Bezeichnend ist in
diesem Zusammenhang, dass das Selbstinteresse der Figuren zuallererst auf den moralischen Zugewinn und erst dann auf den finanziellen
Vorteil gerichtet ist, was damit zusammenhängt, dass nach der aufklärerischen Moralökonomie nur moralisches Handeln materiellen
Gewinn verspricht. Auch an dieser Stelle erweist sich der arbeitende
Mensch als besonders zivilisiert.
Den Ausgangspunkt und das Zentrum der hier unternommenen
Analysen bilden also kultur- und epochenspezifische theatrale Figurentypen des wirtschaftenden Mannes und der wirtschaftenden
Frau, die sich aus den Basisannahmen der nationalen spanischen
Reformökonomie speisen. Diese wiederum ist im Rahmen des europäischen aufklärerischen Reformdenkens zu verorten, weist jedoch
116
Vgl. Pirsching, Manfred (1985): Über die Karriere einer Handlungstheorie. p. 257,
zitiert in Bauer (2010: 27).
117
Vgl. Bauer (2016: 29).
118
Vgl. Bauer (2016: 30) mit Bezug auf Hirshman, Albert O. (1987): Leidenschaften
und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, trans. Sabine
Offe. Frankfurt/Main: Suhrkamp, p. 109.
52
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eigene kulturelle, soziale, ökonomische, politische, aber auch religiöse Spezifika auf. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegenden Studie
ebenfalls an der von Bauer völlig zu Recht geforderten Ausdifferenzierung verschiedener Typen des wirtschaftenden Menschen gelegen. Während Bauer das Konzept des homo oeconomicus als für eine
solche Ausdifferenzierung hinderlich erachtet, nimmt diese Studie
ihren Ausgang ganz bewusst vom Begriff des ‚wirtschaftenden Menschen‘ als einem Konzept mit offensichtlichen machtdiskursiven und
geschlechtsspezifischen Implikationen (vgl. Kap. 4.3). Es ist daher gerade der gespenstische Charakter des homo oeconomicus als einem artifiziellen und patriarchalen Typus des implizit männlich gedachten
wirtschaftenden Menschen, der sich für die Zwecke der vorliegenden
Untersuchung als besonders fruchtbar erweist, zeugt diese Spektralität doch zugleich von den Heimsuchungen durch das von dem Konzept Ausgeschlossene: das Weibliche, Queere, den People of Colour etc.
Gerade die für den homo oeconomicus charakteristische heuristische
Stilisierung und Typisierung konvergiert mit den in spanischen Komödien der Spätaufklärung gezeichneten idealisierten oder abschreckenden Figurentypen. Dies erstaunt schon deshalb wenig, weil diese
Figuren im Nachgang der besagten Sattelzeit der Politischen Ökonomie um 1776 entstanden sind. Über eine geschlechtliche und nach
Wirtschaftssektoren geordnete Ausdifferenzierung des Konzepts des
homo oeconomicus ist dieser Studie daran gelegen, die männlichen und
weiblichen Typisierungen guten und schlechten Wirtschaftens sowohl
in ihren moralökonomischen Implikationen als auch in ihren spektralen Ausschlüssen offenzulegen.
Korpus
Erkenntnisse über die Anthropologisierung und die geschlechtliche
Kodierung von Wirtschaftsdiskursen im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts verspricht insbesondere die detaillierte
Analyse des Genres der Komödie und seiner gattungsspezifischen
wirtschaftlichen Bezüge. Untersucht werden ausschließlich solche Komödien, die als comedias de teatro das Zentrum der sich über mehrere
Stunden erstreckenden Theaterabende der Epoche bildeten. Gerade
auf diese Hauptstücke konzentrierte sich auch die bourbonische Theaterreform, weshalb behauptet werden kann, dass der ökonomische
1. Einleitung
53
Reformdiskurs sich in diesen Komödien an der Schnittstelle von Theater-, Gesellschafts- und Wirtschaftsreform am deutlichsten niederschlägt. Kurzgattungen wie den sainete und (musikalische) Zwischenspiele wie die tonadilla lässt die vorliegende Studie bewusst außer
Acht, wobei auch deren systematische Untersuchung im Hinblick auf
ihre Bezüge zu und etwaigen Abgrenzungen von aufklärerischen ökonomischen Reformdiskursen ein fruchtbarer Boden für künftige Studien zu sein verspricht, wie dies Rebecca Haidts bereichernde Studie
Women, Work and Clothing in Eighteenth-Century Spain (2011) gezeigt
hat, die die Repräsentation weiblicher Berufe aus den Bereichen der
Produktion, Auf- und Umarbeitung von Kleidung in den genannten
theatralen Kurzgattungen analysiert.
Untersucht werden hier Komödien aus dem Zeitraum zwischen
1762 und 1805, also der Phase, in der die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Reformbemühungen zunächst unter der Regentschaft des bourbonischen Souveräns Carlos III. ihren Höhepunkt
erreichen, bevor sie dann unter Carlos IV. und unter dem Eindruck
der revolutionären Ereignisse in Frankreich stagnieren. Herzstück
der bourbonischen Theaterreform im Sinne eines aufklärerischen
Modelltheaters ist die ab der Jahrhundertmitte entstehende neoklassische Komödie. Ab den 1770er Jahren ist eine zunehmende Ausrichtung dieser Gattung auf das Sentimentale zu beobachten, aber auch
eine populäre Vereinnahmung der Neoklassik durch Dramatiker wie
Luciano Francisco Comella, Gaspar Zavala y Zamora oder Antonio
Valladares de Sotomayor. Das ursprüngliche Betätigungsfeld dieser
Autoren ist zunächst nicht das regierungsnahe und wortlastige didaktische Aufklärungstheater, sondern ein publikumsnahes Theater
des Spektakels. Infolge der Rezeption und Übersetzung französischer
und englischer Dramen verfassen die genannten Vertreter des populären Theaters Stücke, denen die Neoklassik als formale Folie und
das Wirtschaftsleben thematisch als Inspirationsquelle dient. Dieses
Phänomen ergibt sich zum einen aus dem Druck, stetig neue Stücke
produzieren zu müssen, zum anderen aber auch daraus, dass die
Autoren einer immer rigoroseren staatlichen und kirchlichen Zensur
gegenüber standen. Ihre Komödien richten sich zunehmend auf einen
sentimentalen und berufsbürgerlichen Wertehorizont aus, sodass seit
dem Ende der 1770er Jahre sowohl sentimentale Komödien neoklassischer als auch publikumsnaher populärer Prägung neben vereinzelten
noch strikt neoklassisch gehaltenen Stücken stehen. Die vorliegende
54
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Monographie untersucht alle drei Subgattungen der Komödie und die
dort vorhandenen Verkörperungen und Vergeschlechtlichungen der
spanischen Reformökonomie.
Etappen der Analyse
In einem ersten Schritt wenden sich die Betrachtungen dieser Studie
der wirtschaftlichen Ausgangslage in Spanien vom ausgehenden 17.
bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zu (vgl. Kap. 2), wobei die Betrachtungen nach Wirtschaftssektoren gegliedert sind, beginnend mit
dem Primärsektor, der Landwirtschaft, gefolgt vom Sekundärsektor,
der Industrie, und endend mit dem Handel als Teil des Tertiärsektors.
Dieser einleitende Teil dient zum einen als Erklärung für die im Verlauf des 18. Jahrhunderts von der bourbonischen Regierung unternommenen Wirtschaftsreformen, illustriert zum anderen aber auch
die Abweichungen zwischen den von den Reformern vermuteten
Ursachen und Wirkungen für den von ihnen beobachteten wirtschaftlichen Niedergang und den nach heutigem wirtschaftshistorischen
Stand tatsächlich wirksamen Kausalbeziehungen.
In einem zweiten Schritt widmet sich diese Studie den Leitlinien
der wirtschaftlichen Reformpolitik in Theorie und Praxis (vgl. Kap.
3) und unterscheidet diesbezüglich die Diskurs- von der Handlungsebene. Den Ausgangspunkt hierfür bilden die mit dem Dynastiewechsel von den Habsburgern zu den Bourbonen einhergehenden
Veränderungen in der Administration und im strategischen Aufbau
des Staates, mit dem sich auch das Verständnis des Königtums selbst,
seiner Aufgaben ebenso wie seiner Stellung im Staat wandelt. Bei der
anschließenden Darstellung der wesentlichen Diskurselemente der
reformökonomischen Theoriebildung geht es darum, die Besonderheiten der spanischen Theorien in ihren historischen Bezügen und
ihrer Genealogie aufzuzeigen. Auch werden die spanischen Reformideen im Kontext sowohl der europäischen Aufklärung als auch im
Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Theoriebildung der Epoche
und ihrer jeweiligen Rezeption in Spanien betrachtet. Im Rahmen der
Darstellung der Handlungsebene wird untersucht, in welche konkreten Projekte die spanischen Reformdiskurse münden. Der letzte
Abschnitt dieses Teils wendet sich drei ausgewählten theoretischen
Abhandlungen spanischer Reformökonomen zu, die von Ministern
1. Einleitung
55
oder hohen Beamten im Dienst der Krone verfasst werden und sich in
paradigmatischer Art und Weise jeweils einem der drei Wirtschaftssektoren zuwenden. Behandelt werden in diesem Zusammenhang
die Vorschläge des Ministers Jovellanos zur Reform des Agrarsektors,
die Empfehlungen des ebenfalls als Minister tätigen Campomanes
zur Reform der Industrie und ein Traktat des Diplomaten Valentín de
Foronda über den Handel.
In einem dritten Schritt fokussieren die Analysen den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Theater, die bourbonische Theaterreform, die Aufführungssituation ab 1750 sowie die Gattung der sentimentalen Komödie im spanischen und europäischen Kontext (vgl.
Kap. 4). In diesem Teil der Arbeit geht es außerdem um die Frage, wie
die Literatur im Allgemeinen sowie das Theater im Besonderen wirtschaftliche Prozesse repräsentieren, und welchen besonderen Bezug
zu ökonomischen Themen die Komödie aufweist. Dies führt uns anschließend zum homo oeconomicus als literarischer Figur und dem vir
oeconomicus als seiner geschlechtlichen Verkörperung.
Ausgehend vom Konzept des vir oeconomicus, das ein aufklärerisches Modell des versiert wirtschaftenden Mannes repräsentiert, mit
dem zugleich bestimmte Idealvorstellungen aufklärerischer Männlichkeit verbunden sind, unterscheidet die vorliegende Studie anhand
detaillierter Analysen einzelner Theaterstücke verschiedene theatrale
Figurentypen des im Sinne der Reformökonomie gut wirtschaftenden
Mannes. Zu diesen Figurentypen zählen neben dem vir oeconomicus
als Verkörperung idealen männlichen Verhaltens in Handel (vgl. Kap.
5) und Industrie (vgl. Kap. 6) auch der vir faber als idealer handwerklich tätiger und körperlich arbeitender Mann sowie der vir rusticus als
idealer Bauer (vgl. Kap. 7). Die Kapitel 5 bis 7 untersuchen außerdem,
inwiefern über diese Figuren ein Kanon wiederkehrender Tugenden
entworfen wird. Den in diesen Kapiteln unternommenen Analysen
ist daran gelegen, die in den untersuchten Stücken aufscheinenden
Bezüge zu den Diskursen und Maßnahmen der Reformökonomie zu
beleuchten und zu zeigen, wie der Reformdiskurs Einzug in das Medium des Theaters hält.
Kapitel 8 nimmt anhand ausgewählter Textanalysen den Figurentypus der im Haushalt versiert wirtschaftenden Frau, der femina oeconomica, und der handwerklich tätigen bzw. handarbeitenden
Frau, der femina fabra in den Blick, wobei diese in den comedias de teatro des 18. Jahrhunderts im Vergleich zu ihren männlichen Pendants
56
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in bedeutend geringerer Zahl zu finden sind. Wie schon im Falle der
männlichen Verkörperungen guten Wirtschaftens geht auch die Untersuchung der figuralen Erscheinungsformen der versierten Wirtschafterinnen der Frage nach, inwiefern sie Idealbilder eines spezifisch weiblichen Wirtschaftens entwerfen und mit welchen Tugenden
diese im Zusammenhang stehen. Auch hier bilden die in den jeweiligen Stücken hergestellten Bezüge zu den Diskursen und Maßnahmen
der bourbonischen Wirtschaftsreform den Schwerpunkt der Analysen.
Abschließend thematisiert Kapitel 9 anhand der Figurentypen des
vir profusus und der femina profusa die geschlechtsspezifischen Ausprägungen schlechten Wirtschaftens vor dem Hintergrund des Leitdiskurses der Reformökonomie. Gerade in der Darstellung des nonkonformen Wirtschaftens werden Brüche im reformökonomischen
Machtdiskurs sichtbar. Wird mit Blick auf die guten Wirtschaftenden
die Frage erörtert, welche Tugenden sie verkörpern, untersucht dieser Abschnitt die durch die schlecht Haushaltenden repräsentierten
Laster und fragt, inwiefern diese dem Publikum von der aufklärerischen Norm abweichende Geschlechterbilder vermitteln, von denen
sich die ZuschauerInnen distanzieren sollen. Die jeweils am Ende der
Kapitel 6 bis 9 erfolgenden Zwischenbilanzen bündeln die zentralen
Erkenntnisse der Dramentextanalysen zu den einzelnen Figurentypen
und stellen diese in komprimierter Form für die LeserInnen bereit.
Alle Analysekapitel richten ihr Augenmerk zudem auf etwaige Bezüge zum Religiösen.
2.
DIE WIRTSCHAFTLICHE AUSGANGSLAGE
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts sind in Spanien ein Anstieg in der
Bevölkerungszahl und ein Aufschwung in den Bereichen der agrarischen und industriellen Produktion sowie im Handel zu verzeichnen.
Zumindest quantitativ attestiert Pietschmann der Epoche von 17001800 ein ansehnliches Wirtschaftswachstum, das auf qualitativer Ebene allerdings zu wünschen übrig lässt,1 da es zu keinen grundlegenden sozialen, technischen und legislativen Neuerungen kommt. Die
wirtschaftliche Wiederbelebung Spaniens setzt schon im ausgehenden
17. Jahrhundert und unter der Herrschaft des siechen Monarchen Carlos II. ein.2 Nach einer Reihe von Missernten, Epidemien und einer hohen Beschäftigungslosigkeit, die sich vor allem im geographisch und
infrastrukturell benachteiligten Kastilien niederschlägt, kommt die
Inflation zum Stillstand.3 Zugleich begründet der Verkauf von ganzen
Ortschaften, Bodenrechten und Ämtern neue Abhängigkeiten der ärmeren Teile der Bevölkerung von den (land-)besitzenden Schichten,
die nunmehr darin bestehen, dass die (Kleinst-)Pächter weltlichen
statt kirchlichen Herren ihre Abgaben zahlen.4
Als die spanische Nationalökonomie um 1700 beginnt, sich nach einer langen Phase des Niedergangs zu regenerieren, geht damit ähnlich
1
Pietschmann, Horst (42005): „Von der Gründung der spanischen Monarchie bis
zum Ausgang des Ancien Régime”. In: idem/Bernecker, Walther L. Geschichte Spaniens.
Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer, pp. 13-237, hier p. 200.
2
Vgl. Pietschmann (2005: 175), demzufolge sich die in der Geschichtsschreibung
lange in einem negativen Lichte betrachtete Regentschaft Carlos‘ II. (1665-1700) positiver darstellt als gemeinhin angenommen.
3
Vgl. Pietschmann (2005: 170).
4
Domínguez Ortiz, Antonio (1999): „El siglo xvii español. El trasmundo del arbitrismo”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De
los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 403-424, hier p. 411.
58
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
wie im Nachbarland Frankreich5 eine wachsende soziale Mobilität einher,6 die durch die während der Regentschaft Carlos‘ III. (1759-1788)
unternommenen wirtschaftlichen Reformen begünstigt wird. Die Bemühungen um die Abschaffung der Preisbindung für Getreide, der
tasa de granos7, die schließlich 1765 vollzogen wird, die 1778 erfolgende
Aufhebung des zuvor den Häfen von Cádiz und Sevilla vorbehaltenen Monopols, mit den Kolonien in Übersee Handel zu treiben,8 sowie
eine ganze Reihe von Erlassen, die – wie etwa die Real Cédula von 1783
– die Ehrbarkeit körperlicher Arbeit erklären, führen zu einem sich
in der zweiten Jahrhunderthälfte herausbildenden Bürgertum,9 haben
aber nicht die gewünschten wirtschaftsfördernden Effekte. Anders
als in England und Frankreich ist der tatsächliche Einfluss des spanischen Bürgertums auf die politischen Entscheidungen der Regierung
aus der Perspektive gegenwärtiger Forschungen als „inexistente o,
siempre, minoritaria“10 einzustufen. Nichtsdestotrotz begünstigt die
Möglichkeit des Amtserwerbs durch Geldmittel die Entstehung neuer
urbaner Eliten.11 Dies führt dazu, dass eine Gruppe von durch den
5
Vgl. Hinrichs, Ernst (1994): „Absolute Monarchie und Ancien Régime (16611789)“. In: idem (ed.). Kleine Geschichte Frankreichs. Stuttgart: Reclam, pp. 187-253, hier
pp. 222ff.
6
Pietschmann (2005: 175).
7
Die tasa de granos legt den Getreidepreis auf ein von der Regierung bestimmtes
Maximum fest, um Lebensmittel für die größtmögliche Anzahl von Menschen erschwinglich zu machen und dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken. Wesentlich vorangetrieben hat deren Abschaffung und die Liberalisierung des spanischen
Getreidemarktes Gittermann zufolge (2008: 231) Bernardo Tanucci (1698-1783), der
Carlos III. schon in Neapel beratend zur Seite gestanden hatte und ihm nach Spanien
folgt. Tanucci wurde seinerseits wesentlich durch Antonio Genovesis Übersetzung von
Claude-Jacques Herberts Essai sur la police générale des grains (1755) beeinflusst.
8
Maßgeblich hierfür verantwortlich ist eine Initiative des spanischen Reformökonomen Pedro Rodríguez y Pérez, Conde de Campomanes (1723-1803). Vgl. MacLachlan,
Colin (1991): Spain’s Empire in the New World. The Role of Ideas in Institutional and Social
Change. Berkeley: University of California Press, p. 79.
9
Vgl. Anes, Gonzalo (31981): Economía e „Ilustración“ en la España del siglo xviii. Barcelona: Ariel, p. 18.
10
Anes (1981: 20).
11
Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 411). In diesem Zusammenhang betont Domínguez Ortiz allerdings, dass im Spanien des 17. Jahrhunderts trotz des Verkaufs öffentlicher Ämter keine mit Frankreich vergleichbare noblesse de robe und deshalb auch keine
vergleichbare Elite mit reaktionären Ambitionen existiert: „Hay que hacer constar, sin
embargo, que se procuró no enojar los altos cargos militares y judiciales, por lo que no
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
59
Handel zu Reichtum gekommenen Hochadeligen nun dem alten Adel
gegenübersteht, der diese Parvenüs teils ignoriert, teils boykottiert.12
Der Lebenswandel des neuen, aus Großkaufleuten und Unternehmern bestehenden Patriziats gleicht sich dem des Adels an,13 ein Umstand, der den Wunsch des alten Hochadels nach sozialer Distinktion
verstärkt, während er beim Bürgertum dazu führt, dass die Nachfrage
nach prestigeträchtigen Waren wie luxuriöser und modischer Kleidung sowie teuren Inneneinrichtungsgegenständen steigt.
Historikern14 wie Domínguez Ortiz zufolge ist die sich in Kastilien
am deutlichsten manifestierende geringe Einwohnerzahl Spaniens für
die im direkten Vergleich mit Frankreich und England hervortretende
wirtschaftliche Unterlegenheit Spaniens im 17. Jahrhundert verantwortlich. In der Tat ist zwischen 1500 und 1700 ein starker Rückgang
der Einwohnerzahl zu verzeichnen, für den Faktoren wie Kriege, Epidemien, die durch die sogenannte ‚kleine Eiszeit‘ zwischen 1570 und
1715 hervorgerufenen Missernten und die Vertreibung der Morisken
verantwortlich sind.15 Ein Faktor, der die geringe Bevölkerungsdichte
Spaniens im 17. Jahrhundert mitbegründet, ist Domínguez Ortiz zufolge auch eine desaströse und von Korruption geprägte Wirtschaftspolitik.16 Die Zahlen im direkten Vergleich mit den Nachbarländern
sprechen eine deutliche Sprache: Während Frankreich im anbrechenden 18. Jahrhundert über achtzehn Millionen Einwohner zählt, sind es
hubo, como en Francia, coroneles propietarios de su cargo, ni una noblesse de robe cuyo
papel perturbador en el vecino país es bien conocido.“
12
Pietschmann (2005: 195).
13
Pietschmann (2005: 198).
14
Die Betreffenden sind ausschließlich Männer. In diesem Fall wird hier auf die
Nennung der weiblichen Form verzichtet.
15
Diese erfolgt 1609 unter Felipe III. Dadurch büßt Spanien ca. 4 % seiner damaligen Bevölkerung ein. Vgl. Barceló, Pedro (2001): „Das spanische 17. Jahrhundert – eine
Epoche der Dekadenz?”. In: Schmidt, Peer (ed.). Kleine Geschichte Spaniens. Stuttgart:
Reclam, pp. 180-207, hier p. 185. Zur Moriskenvertreibung im Kontext des Bevölkerungsrückgangs vgl. auch Domínguez Ortiz, Antonio (1999): „El siglo xvii español. Es
trasmundo del arbitrismo”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg,
pp. 403-424. Die Auswirkung der Abwanderung in die überseeischen Kolonien schätzt
Barceló (2002: 185) mit um die 100.000 Personen für das gesamte 17. Jahrhundert eher
gering ein.
16
Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 406ff.).
60
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in Spanien zirka acht Millionen.17 Der Bevölkerungsschwund des 17.
Jahrhunderts macht sich in den ländlichen Gebieten Spaniens deutlicher bemerkbar als in den Städten.18 Um 1700 herum stagniert der
Rückgang und schlägt mit Beginn des neuen Säkulums in ein Wiederanwachsen um.19 Anes zufolge ist hierfür die Finanzreform von 1680
ursächlich, die eine Wende von der wirtschaftlichen Dekadenz des 16.
und 17. Jahrhundert zu einem wenn auch langsam erfolgenden wirtschaftlichen Aufschwung im 18. Jahrhundert markiert.20 Dieser macht
sich auch in der Einwohnerzahl Spaniens bemerkbar, die bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts auf 14 Millionen steigt.21 Der größte Anstieg ist
dabei in den Jahren zwischen den Anfangsjahren der Regierungszeit
Fernandos VI. (1746-1759) um 1748 und der Regentschaft Carlos‘ III.
(1759-1788) zu verzeichnen.22 Sieht man von den Ereignissen um den
17
Zur Verlässlichkeit und Wahrscheinlichkeit der auf Basis der Zensus der Minister
Aranda (1768), Floridablanca (1787) und Godoy-Larruga (1797) ermittelten demographischen Zahlen sowie zu der diesbezüglich von Historikern geführten Debatte vgl.
Marcos Martín, Alberto (2000): España en los siglos xvi, xvii y xviii. Economía y sociedad.
Barcelona: Crítica pp. 555ff.
18
Konkrete Zahlen für den Norden, das Landesinnere und die Levanteküste liefert
Marcos Martín (2000: 565ff.).
19
Vgl. Anes (1981: 14). Vgl. auch Mercader Riba, Juan/Domínguez Ortiz, Alonso
(31979): La época del despotismo ilustrado. Barcelona: Vicens. Diese konstatieren allein für
die Zeit von 1715 bis 1725 einen Zuwachs von 3 %, der auch auf die Remigration von
Soldaten und deren Familien aus Flandern und Italien zurückzuführen ist. Bis 1750
wächst die Population der iberischen Halbinsel um eine halbe Million Menschen.
20
Vgl. Anes (1981: 14) sowie Marcos Martín (2000: 529), der von einem „momento
renovador a finales del siglo xvii“ spricht.
21
Vgl. Pietschmann (2005: 194). Diese Zahl zeigt abermals die nicht nur von Marcos
Martín, sondern bereits von Jaume Vicens Vives nahegelegte Unzuverlässigkeit der
Daten, die im Rahmen der unter Carlos III. initiierten Volkszählungen erhoben werden.
Der Zensus von 1797 etwa verzeichnet lediglich 10.541.221 Einwohner. Vgl. Vicens Vives, Jaume (1979): Historia social y económica de España y América. Barcelona: Vicens, pp.
4f. Im Gegensatz zu Pietschmann schätzen Marcos Martín (2000: 560ff.) und Livi Bacci,
Bustelo, Nadal und Eiras Roel den Bevölkerungszuwachs Spaniens zwischen 1700 und
1800 einhellig auf 3 Millionen und gelangen so für das Ende des 18. Jahrhunderts zu
einer Einwohnerzahl von 11 Millionen. Vgl. Marcos Martín (2000: 560ff.).
22
Damit verzeichnet Spanien im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit einem Bevölkerungszuwachs von 57,14 % den zwar größten Anstieg, der allerdings von deutlich
niedrigeren Zahlen seinen Ausgang nimmt als im Nachbarland Frankreich, wo sich
dieser Wert zwischen 1700 und 1790 auf 28 % (von 21,5 auf 26 Millionen Einwohner)
im Vergleich zu 39 % in England (von 5,1 auf 7 Millionen Einwohner) beläuft. Vgl.
Pérez Sarrión, Guillermo (2012): La península comercial. Mercado, redes sociales y Estado
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
61
motín de Esquilache von 1766 einmal ab,23 wird gerade diese zweite
Phase von Historikern wie beispielsweise Vicens Vives als eine Periode des relativen Friedens und der inneren Stabilität betrachtet.24 Wie
Guillermo Pérez Sarrión gezeigt hat, ist das wirtschaftliche Nachsehen,
das Spanien gegenüber anderen europäischen Ländern wie England,
Frankreich und Holland hat, nicht allein auf den Aspekt der Bevölkerungszahlen zurückzuführen. Das Beispiel England veranschaulicht,
dass politische und soziale Veränderungen notwendige Voraussetzungen für das wirtschaftliche Gedeihen eines Staates sind. Kann in
England im Zuge des Bürgerkriegs (1642-1649) bzw. der sogenannten
‚Kriege der drei Königreiche‘ England, Schottland und Irland (16391651) ein Staat entstehen, der an die Interessen des landbesitzenden
Adels und die des handeltreibenden Bürgertums angepasst ist, halten
sich im absolutistischen Spanien hartnäckig die feudalen Strukturen.
Während in England niedrige Zölle und Steuern das Prosperieren von
Handel und Industrie sowie den Export bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts begünstigen und zudem ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen besteht, der das Privateigentum schützt, verschieben sich diese
Maßnahmen in Spanien auf das erste Drittel des 19. Jahrhunderts.25
2.1. Der Primärsektor: Landwirtschaft
Obwohl sich vor allem ab 1750 die Anzeichen für ein Bürgertum häufen, das sich nicht nur gegen den Adel und seine Privilegien, sondern auch gegen das „von adeligem Gepränge [...] geprägte höfische
en España en el siglo xviii. Madrid: Marcial Pons, p. 95. Pérez Sarrión bezieht diese Zahlen seinerseits von Crozet, François (1985): De la supériorité de l’Angleterre sur la France.
L’économique et l’imaginaire xviie-xxe siècles. Paris: Perrin, pp. 254ff.
23
Vgl. dazu Gittermann (2008: 235f.), die den Aufstand nicht nur als „Aufstand von
Interessengruppen“ gegen die Politik des „ungeliebten Ministers“ Leopoldo de Gregorio Marqués de Esquilache (ital.: Squillace), betrachtet, sondern vor allem als Reaktion
auf die Herabstufung des Kastilienrats (Consejo de Castilla) als „Repräsentativorgan des
spanischen Volkes“. Lange Zeit ist die Revolte allein als spontane Reaktion auf „eine
der letzten unpopulären Maßnahmen“ Esquilaches angesehen worden: „das Verbot
des breitkrempigen Huts und des langen Mantels, die oft genug das Ergreifen von Verbrechern erschwerten“. Gittermann (2008: 234).
24
Vgl. Vicens Vives (1979: 5).
25
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 81; 88).
62
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Zeremoniell“26 wendet, bleibt Spanien im Verlauf des 18. Jahrhunderts
ein durch das Feudalsystem und die Interessen der landbesitzenden
Schichten geprägter Agrarstaat.27 70 % des Bruttosozialproduktes entfallen auf den Agrarsektor, desgleichen zwei Drittel der Arbeitsplätze
und der Großteil der Einkünfte, auf die auch die Krone nur schwerlich
verzichten kann. Was seine Erträge im Agrarsektor betrifft, kann sich
Spanien im 17. und 18. Jahrhundert zwar durchaus mit anderen europäischen Staaten wie England und Holland messen.28 Gegen Ende des
18. Jahrhunderts allerdings macht sich angesichts wiederholter Missernten eine „stark spekulativ geprägte Konjunktur“29 bemerkbar, die
durch große Preisschwankungen und Teuerungsraten von bis zu 300 %
gekennzeichnet ist und sich vor allem auf den Handel mit Getreidesorten wie Weizen und Gerste im Landesinneren auswirkt. Während die
küstennahen Regionen Missernten durch Importe aus Übersee ausgleichen können, behindern schlechte, zuweilen gänzlich fehlende Infrastrukturen Getreidetransporte in die Provinzen des Landesinneren.
Infolgedessen bewegen sich die Preise für Cerealien in Zentralspanien
26
Pietschmann (2005: 215). Dieses Bürgertum ist zu dieser Zeit „freilich noch ohne
kohärente politische Vorstellungen“ und dementsprechend noch keine soziale ‚Klasse‘
mit einem dezidierten Klassenbewusstsein. Diese These vertritt auch Maravall, José
Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración
española“. In: Hispanic Review 47, 3, pp. 291-325, hier p. 299, auf dessen Bewertung des
sozialen Status des Bürgertums im spanischen 18. Jahrhundert diese Arbeit an späterer
Stelle ausführlich zu sprechen kommt.
27
Vgl. Llombart Rosa, Vicent (2000): „El pensamiento económico de la Ilustración
española”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y Economistas españoles, vol.
III: La Ilustración, Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 7-89, hier p. 10.
28
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94). Vgl. auch Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en
la España moderna. Madrid: Taurus.
29
Vgl. Pietschmann (2005: 229) sowie bezüglich der Teuerungsraten Anes/Castrillón (2000: 107). Die Zahlen beziehen sich auf die extremen Jahre 1796-1800. Besonders
starke Schwankungen bei den Getreidepreisen beobachten Anes/Castrillón (2000: 108)
ab 1765, also ausgerechnet im Jahr der Abschaffung der tasa de granos. Marcos Martín
(2000: 672) führt diesbezüglich erklärend an: „En los años críticos la caída de la producción engendraba carestías; la subida de los precios, empero, era tanto el resultado
de la disminución de la oferta como del aumento de la demanda, ya que a la demanda
de los consumidores tradicionales (habitantes de las villas y ciudades [...]) se sumaba
la de los propios campesinos productores cuya producción resultaba insuficiente para
atender a sus necesidades.“ Dabei ist zu berücksichtigen, dass zudem Reserven für die
Wiederaussaat zurückgehalten werden müssen, was die Verknappung forciert.
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
63
konstant auf einem höheren Niveau als an den Küsten.30 Die Teuerungsrate für Getreideprodukte wird durch die allgemein übliche und
gerade deshalb durch Regierungsvertreter gerügte Praxis befeuert,
Feldfrüchte von der Ernte bis zum Ende des Ackerjahres im Winter
zu horten, um dann bei zunehmender Knappheit die größtmöglichen
Preise zu erzielen.31 Überdies werden die Preisschwankungen durch
eine Politik begünstigt, die die Initiativen von Händlern und Transportunternehmern behindert. Hinsichtlich der Spekulationen mit den
Preisen von Cerealien führt die Aufhebung der tasa de granos im Zuge
der Real Pragmática von 1765 eher zu einer Verschärfung der Situation
als zu einer Milderung.32
Was die beteiligten Akteure anbelangt, stehen Großgrundbesitzer
aus Adel und Klerus neben „unternehmerisch handelnden“33 Pächtern, die für die immensen Preissteigerungen gegen Jahresende mitverantwortlich sind, während am unteren Ende der sozialen Skala
Unterpächter, Minifundisten und ländliche Tagelöhner um das nackte
Überleben kämpfen.34 Parallel zu einem Anstieg der Getreidepreise ab
1750 sinken die Löhne der Landarbeiter. Damit gestaltet sich deren
ökonomische Situation ähnlich prekär wie die der Minifundisten.35 Um
beiden Gruppen ein überlebensnotwendiges Mindestauskommen zu
30
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 106).
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 106).
32
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 107). Zu den Gründen dafür, dass die Aufhebung der
Getreidepreisdeckelung kaum positive Effekte zeigt, vgl. Marcos Martín (2000: 678).
Ihm zufolge spielt diese den gegenüber den Pächtern ohnehin im Vorteil befindlichen
Großgrundbesitzern in die Hände, weil die Abschaffung der tasa de granos nicht mit einer Reform der (feudalen) agrarischen Produktions- und Distributionsprozesse einhergeht. Wie Anes/Castrillón (2000: 107) mit Bezug auf die Gesetze VI und VII in Abschnitt
19, Band III, Buch VII der Novísima Recopilación de las Leyes de España von 1805, pp. 452ff.
nachgewiesen haben, stellt die Real Pragmática weltliche Händler kirchlichen gleich, die
bis dato Privilegien beim Kauf, Verkauf und Transport von Getreide genossen hatten.
Zudem schreibt sie vor, dass über Käufe und Verkäufe Buch zu führen sei und dass
die von den Landbesitzern betriebenen Kornkammern der Öffentlichkeit Getreide zu
marktüblichen Preisen zur Verfügung zu stellen hätten, lässt aber außer Acht, dass die
marktüblichen Preise sich infolge der Spekulationen ohnehin auf einem hohen Niveau
bewegen. Zu einer völligen Liberalisierung des Getreidehandels kommt es 1813.
33
Dass sich auch die Kirche an den Spekulationen beteiligt und damit die Preise
zum Nachteil der ärmeren Teile der Bevölkerung in die Höhe treibt, zeigt Anes (1981:
73).
34
Pietschmann (2005: 199).
35
Vgl. Anes (1981: 101).
31
64
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ermöglichen, existieren seit dem Mittelalter die so genannten Pósitos,
die ab 1751 einheitlich der staatlichen Verwaltung unterstehen,36 nach
1808 aber abgeschafft werden, als sie sich aufgrund von in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgenden Versorgungskrisen als finanziell nicht mehr tragbar erweisen.37 Bei den Pósitos handelt es sich um
eine auf kommunaler Ebene operierende Einrichtung, die Kornkammern unterhält und den Bauern in Krisenzeiten gegen einen in Cerealien zu leistenden Zins von 4,1 % Saatgut zur Verfügung stellt, Vorräte
für die Brotproduktion bereithält und die erwirtschafteten Gewinne
in den Unterhalt von Infrastruktur investiert.38 Gerade für die Unterpächter, die kaum in der Lage sind, genügend Getreide für den eigenen Bedarf zu erwirtschaften, stellen die Pósitos eine notwendige Existenzsicherung dar.39 Die desolate Lage der Unter- und Kleinstpächter
ist nicht zuletzt auch dadurch begründet, dass kirchliche und weltliche Großgrundbesitzer Böden verpachten, die nur bedingt ertragreich
sind, während sie fruchtbare Flächen selbst bewirtschaften. Besonders
karge Parzellen werden von den Pächtern wiederum unterverpachtet. Diese Praxis erklärt die geringen Erträge der Minifundisten. Sie ist
königlichen Verwaltungsorganen wie dem Consejo Real auch deshalb
ein Dorn im Auge, weil viele Pächter die Unterverpachtung und die
damit verbundene Kleinstparzellierung der ihnen zur Verfügung stehenden Flächen zur Aufbesserung ihrer Einkünfte nutzen.40 Die prekäre Lage der Kleinbauern und Landarbeiter, von deren Vagabundentum und elendem Zugrundegehen an den Wegesrändern der Region
La Mancha auch die Cartas von Francisco Cabarrús Lalanne, Conde
de Cabarrús (1752-1810) zeugen,41 hat einen regelrechten Exodus der
36
Die zuvor teils unter Leitung des Gemeinderats, teils unter der Aufsicht Einzelner, teils unter der kirchlicher Verbände stehenden Pósitos unterliegen ab 1751 dem
Ersten Staatssekretariat, dem Secretario de Estado y del Despacho universal de Gracia y
Justicia und werden mit der Real Cédula von 1792 dem Kastilienrat (Consejo de Castilla)
unterstellt. Vgl. Anes (1981: 76f.).
37
Vgl. Anes (1981: 94).
38
Die Investitionen fließen beispielsweise in den Unterhalt von Ärzten, Lehrern, in
öffentliche Gebäude sowie in den Straßenbau. Vgl. Anes (1981: 75).
39
Vgl. Anes (1981: 73ff.).
40
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 108).
41
Vgl. Cabarrús, Francisco de (1813 [1795]): Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública. Madrid: Imprenta de Collado, p. 171.
Vgl. hierzu auch Vicens Vives (1979: 13f.).
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
65
ländlichen Bevölkerung zwischen 1787 und 1797 zur Folge, die in den
Städten auf Arbeit und eine bessere Existenz hofft.
Noch in den 1750er und 1760er Jahren und bevor es 1798 infolge der
staatlichen Finanzkrise unter Manuel de Godoy (1767-1851) zur Säkularisierung und Desamortisation zahlreicher kirchlicher Besitzungen
kommt,42 befindet sich der Großteil des spanischen Bodenbesitzes in
den Händen einzelner Großgrundbesitzer aus Klerus und Adel. Rund
14,8 % des landwirtschaftlich nutzbaren Landes liegen um 1750 in
den Händen der Kirche, die durch fromme Schenkungen beträchtliche Mengen an Land- und Immobilienbesitz ansammeln kann.43 Die
zahlreichen Besitzungen der ‚Toten Hand‘44 (span.: manos muertas),
d.h. nicht veräußerbare Liegenschaften aus kirchlichem und adeligem
Besitz, sowie die ebenfalls an die Erbfolge innerhalb der Adelsgeschlechter gebundenen Flächen der Majoratsgüter (mayorazgos), sind
in den Augen aufgeklärter Reformökonomen45 wie Campomanes für
die agrarwirtschaftliche Rückständigkeit Spaniens ursächlich.46 Auch
Jovellanos macht sie in seinem Informe sobre la Ley Agraria für geringe Erträge verantwortlich, wenngleich die Datenlage keinen Hinweis
darauf gibt, dass verpachtete Flächen aus Großgrundbesitz weniger
42
Vgl. Pietschmann (2005: 233). Im Zuge dieser Enteignungen „dekretierte die Krone den Verkauf des Liegenschaftsbesitzes aller religiösen Bruderschaften, kirchlichen
Hospitäler und frommen Stiftungen zugunsten einer staatlichen Finanzkasse – Caja de
Amortización –, die zur Bedienung und Tilgung der Staatsschuld eingerichtet wurde“.
Die Maßnahme wird „1804 auch auf Amerika ausgedehnt“.
43
Pietschmann (2005: 197).
44
Der im Deutschen gebräuchliche Begriff ‚Tote Hand‘ steht im Singular, seine spanische Entsprechung hingegen im Plural.
45
Wenn die Verfasser ökonomischer Traktate und Vertreter der bourbonischen
politischen Ökonomie hier antizipatorisch und mit Llombart Rosa (2006: 96) als ‚Ökonomen‘ bezeichnet werden, muss darauf hingewiesen werden, dass die Politische
Ökonomie, wie Witthaus (2012: 267) treffend formuliert, im 18. Jahrhundert „erst noch
im Begriff ist, ihre Eigengesetzlichkeit als Wissenschaft auszubilden“. Auch Llombart
Rosa (2006: 96) führt aus: „Por simplicidad y por la calidad de sus obras les denominaremos economistas, aunque en el sentido estricto no lo eran.” Er (ibid.) verweist zugleich darauf, dass die Verfasser ökonomischer Schriften im 18. Jahrhundert zumeist
aus ‚fachfremden’ Disziplinen wie der Philosophie, dem Militär, den religiösen Orden oder aus der Geschäftswelt kommen. Eine Institutionalisierung der Ökonomie als
Disziplin ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht vollzogen, weshalb es keine
Institutionen gibt, in denen die Grundzüge einer ‚Wirtschaftslehre‘ vermittelt werden.
46
Vgl. dazu Campomanes’ Tratado de la regalía de amortización (1765).
66
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
intensiv bewirtschaftet werden als andere, liegen große Erträge doch
im Interesse der Pächter.47
Kennzeichnend für die spanische Agrarwirtschaft des 18. Jahrhunderts ist also die Unverhältnismäßigkeit zwischen einem geringen Anteil an Privateigentum – für dessen Schutz sich Cabarrús in
seinen Cartas48 vehement ausspricht – und Großgrundbesitz in adliger und kirchlicher Hand. In der Provinz Ávila beispielsweise stehen
um das Jahr 1750 herum 957.092 fanegas49 an Latifundien, von denen
sich knapp ein Viertel in kirchlichem Besitz befindet, 8.160 fanegas in
bäuerlichem Privatbesitz gegenüber, was einem Verhältnis von 117
zu 1 entspricht. Die feudalen Besitzverhältnisse haben gravierende
Folgen für die zahlenmäßige Relation der arbeitenden zur nichtarbeitenden und ihre Einkünfte aus Landbesitz beziehenden Bevölkerung. Sie begründen auch die Frequenz, mit der sich die Kritik an
der Untätigkeit des Adels in Verbindung mit dem Lob der arbeitenden Schichten ab 1750 in ökonomischen Traktaten und in der Presse,
aber auch im Theater findet. Angesichts der Tatsache, dass 30 % der
männlichen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt um 1768 allein mit
Einkünften aus Liegenschaften bestreiten und somit keinen Beitrag
zur Erhöhung der wirtschaftlichen Produktivität Spaniens leisten,
vermag diese Kritik kaum zu verwundern. An Berufstätigen stehen
den untätigen Landbesitzern 60 % Bauern, aber nur 10 % HandwerkerInnen und Kaufleute gegenüber. Die im Primärsektor Beschäftigten repräsentieren damit sowohl die größte als auch die dem größten
Armutsrisiko ausgesetzte Bevölkerungsgruppe. Die Zahl der männlichen Adeligen liegt bei 15 % der männlichen Gesamtbevölkerung,
die der Kleriker bei 5 %. Insgesamt ist die Zahl der Adeligen zwischen 1768 und 1787 rückläufig,50 was dadurch begründet ist, dass
47
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 113f.).
Vgl. Cabarrús (1813: 5ff.). Er (1813: 7) spricht zudem von den „derechos sacrosantos de seguridad y propiedad“.
49
Die fanega ist ebenso Hohl- wie Flächenmaß und bemisst die Fläche, deren Bewirtschaftung für einen Ertrag von ca. 55,5 Litern Getreide notwendig ist. Da die Böden
Spaniens unterschiedlich fruchtbar sind, variiert die Quadratmeterzahl pro fanega von
Region zu Region. Eine fanega entspricht etwa 64 Ar oder 6.400 m2. Wie das Flächenmaß variiert auch das Hohlmaß der fanega von 22,5 bis 55,5 Liter. Die hier genannten
Werte beziehen sich auf Kastilien. Vgl. „FANEGA“, in: Sánchez Pérez, Aquilino (dir.)
(81996): Gran Diccionario de la lengua española. Madrid: SGEL, p. 911.
50
Der Anteil der Adeligen an der Gesamtbevölkerung sinkt von 7,2 auf 3,8 %.
48
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
67
der Anteil der Nichtadeligen im Zuge des Bevölkerungswachstums
des 18. Jahrhunderts steigt.51
Auch die am Jahrhundertende unter dem Minister Godoy vollzogene Enteignung der Kirche als Großeigentümerin landwirtschaftlicher
Flächen ändert wenig an den althergebrachten Besitzverhältnissen,
führt sie doch nicht etwa zu einer Verringerung, sondern vielmehr zu
einem Anstieg der Latifundien. Es sind die ruralen und urbanen, aus
Funktionären, Kaufleuten, Angehörigen des Militärs und Handwerkern bestehenden Mittelschichten, die nun auch im Primärsektor in
Konkurrenz zum landbesitzenden Adel treten und insgesamt ein Drittel der ehemals in kirchlichem Besitz befindlichen Ländereien erwerben.52 Joaquín Ocampo Suárez-Valdés illustriert die Verquickung von
Landbesitz und Handel am Beispiel asturischer Leinenimporteure,
die den durch die Agrarkrise der ausgehenden 1790er Jahre begründeten Rückgang in der Nachfrage dieses Stoffes unter anderem durch
den Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen kompensieren, sodass
die Grenzen zwischen „hidalguía rural“ und „comercio“ durchlässig
werden.53 Diese Entwicklung steht parallel zu den bereits skizzierten
Entwicklungen in den Städten. Eine zunehmende Durchbrechung
der Standesschranken kennzeichnet das ausgehende 18. Jahrhundert
in Spanien auch modisch54 und zeigt sich daran, dass sich Teile des
Hochadels in der volkstümlichen Tracht der majos und majas unter das
einfache Volk zu mischen pflegen.55 Wie Peter Jehle ausführt, gründet
51
Zu allen genannten Zahlen vgl. Vicens Vives (1979: 9).
Pietschmann (2005: 234). Zum Landerwerb durch spanische Kaufleute im 16.
Jahrhundert bemerkt Grice-Hutchinson, Marjorie (1978): Early Economic Thought in
Spain, 1177-1740. London: Allen & Unwin, p. 92: „Spanish merchant families, once their
fortunes were established, showed in succeeding generations a tendency to sell their
businesses, buy land with the proceeds and retire to the tranquil pleasures of their
estates”. Dass Kaufleute Ländereien aufkaufen, ist also kein Phänomen des 18. Jahrhunderts. Neu ist vielmehr, dass die Zahl der Kaufmannsfamilien steigt, die sich dies
leisten können. Damit wachsen Anzahl und Größe der in bürgerlichem Besitz befindlichen Flächen auf ein bis dato nicht gekanntes Maß.
53
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2012): „Asturias: minifundismo empresarial, comerciantes-fabricantes y manufacturas estatales“. In: idem (ed.). Empresas y empresarios en el norte de España (siglo xviii). Gijón: Trea, pp. 91-122, hier p. 96.
54
Vgl. Pietschmann (2005: 229f.).
55
Herr (1988: 127) definiert den majo als Idol der unteren Schichten mit folgenden
optischen Charakteristika: „[...] matones que lucían pomposamente la capa, el pelo
largo y el sombrero chambergo y fumaban cigarros puros; en vez de llevar casaca,
52
68
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
sich das Prestige, das das Populäre in Form des majismo beim Adel genießt, auf die Faszination, die populäre Schauspielerinnen wie María
Antonia de la Caramba, María del Rosario Fernández alias ‚die Tirana‘
oder María Ladvenant auf das Publikum ausüben, bringen sie doch
beim Volk beliebte Tänze und Gesänge (Fandangos, Boleros und seguidillas) auf die Theaterbühne.56
Dass die landwirtschaftliche Produktion Spaniens im 18. Jahrhundert insgesamt unter ihren Möglichkeiten bleibt und den steigenden
Nahrungsmittelbedarf einer wachsenden Bevölkerung nicht zu decken vermag, ist den feudalen Besitzverhältnissen geschuldet, an die
auch Reformökonomen wie Campomanes57 und Jovellanos58 nicht zu
rühren wagen. Aus der Sicht heutiger wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen ist es maßgeblich das Fortbestehen dieser jahrhundertealten sozialen Strukturen, das im 18. Jahrhundert für die Rückständigkeit der spanischen Wirtschaft in jener Zeit verantwortlich ist.59 Ein
calarse la peluca y el sombrero de tres picos y tomar rapé como hacían las personas
distinguidas.”
56
Vgl. Jehle (2010: 190). Mit Bezug auf Martín Gaite, Carmen (21987): Usos amorosos del dieciocho en España. Barcelona: Anagrama, p. 106 schildert Jehle (2010: 191)
die Begeisterung der von Goya vielfach proträtierten Duquesa de Alba für den majismo. Jehle (ibid.) zufolge verspricht dieser „einen neuen Distinktionswert [...], nachdem der durch die clase media vielfach nachgeahmte cortejo [das Hofieren verheirateter
Damen durch ‚Hausfreunde‘] zur bloßen ‚cursilería‘ herabgesunken war“. Zu den im
ausgehenden spanischen 18. Jahrhundert beliebten Tänzen und Gesängen vgl. Jacobs,
Helmut C. (2015): „Die Faszination spanischer Musik: Der Fandango und Bolero der
Epoche Goyas“. In: Hispanorama, 149, pp. 43-48.
57
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 119f.).
58
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2015): „Economía política y desigualdad
en España”. In: Llopis, Enrique/San Román, Elena (eds.). El legado de Gonzalo Anes,
alumnos y discípulos. Sant Vicent de Raspeig: Publicacions de la Universidad d’Alacant,
pp. 101-112, hier p. 109. Zwar verweist Möller (2019: 140) darauf, dass Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria ein „Schlüssel zur ökonomischen Reform“ in der Veräußerung
gebundener Besitztümer und ebendarum in der „Auflösung der überlieferten feudalen
Besitztümer“ ist. Demgegenüber betont Ocampo Suárez-Valdés das überaus vorsichtige, wenn nicht zögerliche Vorgehen Jovellanos‘ sowie den in den letzten Absätzen seiner Carta sobre la agricultura y propiedades geäußerten Zweifel daran, dass es überhaupt
möglich sei, aus dem Inneren des absolutistischen Regimes heraus eine ausgeglichene
soziale Ordnung anzustoßen.
59
Vgl. auch Marcos Martín (2000: 703): „Ello es claro que en lo que atañe a la estructura social, que, en lo sustancial, permaneció incontestada o, por lo menos, no experimentó cambios que demandaban las necesidades de un progreso económico que
rebasara con holgura el listón de lo conseguido en épocas anteriores de expansión.
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
69
weiteres Hemmnis für ein nennenswertes Wachstum des Primärsektors sind die weitreichenden Privilegien der Mesta, der Vereinigung
spanischer Schafzüchter.60 Sie genießen das Sonderrecht, landwirtschaftliche Flächen während der transhumancia, dem jährlichen Schafsabtrieb von den Sommerweiden des Nordens zu den Winterweiden
Andalusiens, als Weideland zu nutzen. Von ähnlichen Privilegien
profitiert die Cabaña Real, der Verbund der spanischen Ochsenzüchter.61 Der Schaden, den die Viehherden an jungen Bäumen anrichten,
beschleunigen den im 18. Jahrhundert in Spanien dramatisch voranschreitenden Schwund von Waldflächen.
2.2. Der Sekundärsektor: Manufakturwesen und Industrie
Das gegen Ende des 17. Jahrhunderts einsetzende Bevölkerungswachstum führt zwischen 1750 und 1808 zu einer steigenden Nachfrage nach
Produkten aus Agrarwirtschaft, Handwerk und dem Manufakturwesen, und damit zu einer höheren Produktion.62 Zugleich behindern
innerspanische Zölle und die bereits in Bezug auf Kastilien erwähnte
schlechte Infrastruktur vor allem im Landesinneren die Zufuhr von
Rohstoffen und den Transport heimischer Produkte.63 Beide Faktoren
sind dafür mitverantwortlich, dass sich in Spanien auch gegen Ende
Nada cambió, por ejemplo, durante la dicha centuria en lo relativo a la estructura de
propiedad de la tierra como no fuese en el sentido de acentuar su concentración en
manos privilegiadas, de la misma manera que tampoco cambiaron las relaciones sociales de producción que a partir de ella se establecían, ni el aparato de distribución
del producto que estas propiciaban y que condicionaban en un sentido negativo el
desenvolvimiento de la economía.“
60
Dass die Privilegien der Mesta die landwirtschaftliche Produktion hemmen, erkennen Reformökonomen wie Campomanes, der dies am Beispiel des Dorfes Espinar
veranschaulicht. Vgl. MacLachlan (1991: 79).
61
Vgl. Anes (1981: 106) sowie Marcos Martín (2000: 707).
62
Vgl. Anes (1981: 16) sowie Pietschmann (2005: 199).
63
Das Problem mangelnder bzw. schlecht instand gehaltener Transportwege in
Form von Straßen und Kanälen verschärft im anbrechenden 19. Jahrhundert den erheblichen Rückstand Spaniens gegenüber dem übrigen Westeuropa. Vgl. Anes/Castrillón
(1999: 125). Hatten die Reyes Católicos Ende des 15. Jahrhunderts damit begonnen, das
kastilische Straßennetz auszubauen, werden diese Wege von den nachfolgenden Regenten kaum gepflegt, geschweige denn erweitert. Vgl. Herr (1998: 111f.). Zum „deterioro perceptible de la red caminera” und seiner „elementos más característicos, [...]
tales como puentes, pasos de montaña, ventas...“ vgl. Marcos Martín (2000: 531f.).
70
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des 18. Jahrhunderts noch kein landesweit präsentes Manufakturwesen entwickeln kann. Großgewerbe an der Schwelle zur industriellen
Produktion konzentrieren sich auf einzelne städtische Zentren an der
Levanteküste.64 Es sind in Barcelona, Vich, Olot und Reus beheimatete
katalanische Textilfabriken, die ab der zweiten Jahrhunderthälfte als
erste zur industriellen Fertigung übergehen.65 Die dortige Baumwollindustrie zeigt bereits früh Anzeichen kapitalistischer Produktionsformen. Dies geschieht in dem Maße, in dem das System einer zunftgebundenen Handwerkerschaft allmählich einer Lohnarbeiterschaft
weicht66 und die maschinelle Verarbeitung zunehmend Anwendung
findet, etwa der Einsatz von Spinnmaschinen nach dem Vorbild der
1769 durch Richard Arkwright patentierten Waterframes (1732-1792),
die in der Herstellung von Seiden-, Woll- und Baumwollstoffen eingesetzt werden.67 Katalonien ist in dieser Zeit als einzige Region in
der Lage, nicht nur den spanischen Binnenhandel, sondern auch die
64
Vgl. Pietschmann (2005: 198).
Vgl. Herr (1988: 115).
66
Vgl. Herr (1988: 115). Zum enormen Wachstum der Textilindustrie von Barcelona
ab den 1730er Jahren, die Herr anhand der Produktion der indianas, der ursprünglich
aus den Kolonien importierten bedruckten Leinen- und Baumwollstoffen aufgezeigt
hat, vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2004): „Campomanes: un programa
industrial en tiempos de la Ilustración”. In: Revista de Historia Económica, 1, pp. 111-145,
hier p. 128: „Entre 1736 y 1767, el número de fábricas de indianas en la ciudad pasó de
3 a 38, agrupando más de 1.000 telares y 4.000 operarios; en 1778 se censaban 71 establecimientos y 6.500 trabajadores.”
67
Zu vergleichbaren maschinellen Innovationen des 18. Jahrhunderts vgl. Pérez
Sarrión (2012: 98f.). Zur Waterframe vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 113) und Herr
(1988: 118f.), die sich bei der Erwähnung dieser Technik auf Townsend, Joseph (21792):
A Journey to Spain in the Years 1786 and 1787. With Particular Attention to the Agriculture,
Manufactures, Commerce, Taxes and Revenue of that Country and Remarks in Passing Through a Part of France, vol. I. London: C. Dilly, pp. 138ff. berufen. Den Eindruck von Barcelona als einer geschäftigen Metropole der Textilindustrie, wie er sich bei Townsend
findet, bestätigt auch sein Landsmann Arthur Young, zitiert in Herr (1988: 119). Bei
Young wird zugleich die Allgegenwart von Maschinen deutlich, die zu jener Zeit noch
größtenteils handbetrieben werden: „No se puede ir en ninguna parte [de Barcelona]
sin oír el chirrido de las máquinas de hacer medias.“ Young, Arthur (1792): Travels in
France during the Years 1787, 1788, 1789, vol. I. London: W. Richardson, p. 635. Zum
potenziellen Nutzen der Beobachtungen Youngs für die ökonomische Analyse vgl.
Schumpeter, Joseph A. (22007): Geschichte der ökonomischen Analyse, vol. I, trans. Gottfried & Johanna Frenzel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 215.
65
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
71
überseeischen Kolonien mit Waren zu versorgen.68 Die geringen Kapazitäten der spanischen Manufakturen insgesamt und ihre bereits seit
dem 16. Jahrhundert bestehende Unfähigkeit, den Binnenmarkt zu bedienen, sind laut Marcos Martín der Hauptgrund für die bereits im 17.
Jahrhundert einsetzende Krise des nationalen Manufakturwesens, begründen sie doch eine Abhängigkeit von Importen, die europäischen
Händlern und den durch sie feilgebotenen Konkurrenzprodukten Tür
und Tor öffnet.69 Zwar gibt es in wirtschaftlich weniger prosperierenden Gebieten wie Asturien Versuche, das katalanische Erfolgsmodell
nachzuahmen und ebenfalls Baumwollfabriken zu errichten, diese
scheitern allerdings am Fehlen des für Investitionen in Anlagen, Technik und Infrastruktur nötigen Kapitals, werden doch die Finanzgesuche lokal ansässiger comerciantes-fabricantes,70 die sich dem Handel
ebenso widmen wie der Produktion, von der Junta de Comercio aufgrund leerer Kassen abgelehnt. 71
68
Vgl. Pietschmann (2005: 200). Dass die Industrie in dieser Region besser gedeiht
als anderswo in Spanien, schreibt Marcos Martín (2000: 303f.) der Geschäftsstrategie
der dortigen Kaufmannschaft zu, der es gelingt, durch die Konzentration auf einige
wenige Geschäftsbereiche und durch den systematischen Ankauf von Ländereien
Kapital zu akkumulieren, das wiederum in die heimische Industrie investiert wird.
Anders als andere landbesitzende Handelsgesellschaften (Compañías) legt die katalanische steigende Abgaben für Verpachtungen auf die Landbesitzer und nicht auf die
Bauernschaft um, um die Expansion des Primärsektors nicht zu gefährden und damit
eine Grundlage für das Gedeihen von Handel und Manufakturwesen zu schaffen.
69
Vgl. Marcos Martín (2000: 521f.). Ein wesentlicher Grund für die nicht ausreichende Produktivität Spaniens zur Bedienung des Binnenmarktes sind für Marcos
Martín die stetig steigenden Abgaben der Landbevölkerung, die die leeren Staatskassen angesichts der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts füllen sollen, zugleich aber die Grundnahrungsmittel und damit auch die Löhne
sowie die Produktion insgesamt verteuern. Als zusätzlichen Faktor erachtet Marcos
Martín die „agresión mercantilista“ (ibid.) von Ländern wie England, Frankreich, Holland und Flandern im 17. Jahrhundert.
70
Ocampo Suárez-Valdés (2012: 100ff.) veranschaulicht das Phänomen der comerciantes-fabricantes am Beispiel asturischer Kaufleute, die ebenso in die Leinenproduktion einsteigen, wie sie ab 1760 Kupferschmieden betreiben und gewinnbringend an
Gesellen unterverpachten.
71
Vgl. Marcos Martín (2000: 526f.). Die 1679 gegründete und ab 1682 umstrukturierte Real y General Junta de Comercio richtet ab 1683 in kommerziellen und industriellen Zentren wie Granada, Sevilla, Valencia und Barcelona lokale Dependancen ein, die
sich u.a. der Förderung individueller Initiativen zur Gründung von Manufakturen und
Handelshäusern widmen. Die Förderung besteht etwa in steuerlichen Vergünstigungen.
72
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Abseits der Levanteküste gelegene traditionelle Zentren des spanischen Textilgewerbes sind kastilische Städte wie Segovia und Cuenca.
Dort sind in erster Linie königliche Manufakturen angesiedelt, während sich private Unternehmen nur vereinzelt finden.72 Die Einrichtung von Betrieben in Kronbesitz ist ein im 18. Jahrhundert in ganz
Europa verbreitetes Phänomen, das im Zeichen des Colbertismus und
den von Jean-Baptiste Colbert (1619-1689) vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erhöhung der nationalen Produktion im Rahmen einer merkantilistisch orientierten protektionistischen Wirtschaftspolitik steht.73
Die erste königliche Manufaktur Spaniens, eine Textilfabrik, öffnet
1718 in Guadalajara ihre Pforten.74 Zwischen 1780 und 1790 sind dort
um die 4.000 Weber beschäftigt. Eine größere Anlage wird im Real Sitio de San Fernando in der Nähe von Madrid errichtet und 1768 nach
Brihuega verlagert. Dort arbeiten zuletzt bis zu 40.000 Weber, die aus
dem Großraum Madrid und der Mancha stammen.75 Obwohl in den
königlichen Textilmanufakturen Wollstoffe guter bis sehr guter Qualität entstehen,76 sind die Betriebe nicht wirtschaftlich. Ein Grund hierfür ist der in Kastilien und Zentralspanien mangels Alternativen erforderliche Transport über Eselsrücken und Ochsenkarren, der ebenso
zeitaufwändig wie teuer ist. Als hinderlich erweist sich daher auch
die Distanz zwischen den Manufakturen und den Herden der Mesta,
72
Vgl. Pietschmann (2005: 200).
Vgl. Herr (1988: 104) sowie Farr (2000: 79f.), der als Beispiel für das königliche
Manufakturwesen in Europa die Porzellanbetriebe in Berlin und Wien nennt, zugleich
aber betont, dass die auf Colbert zurückgehende und 1661 in Frankreich ihren Anfang
nehmende Gründung von Fabriken dieser Art sich vor allem auf die Textilbranche als
den größten Zweig der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Produktion konzentriert. Für ein Kurzporträt des Colbertismus als einer spezifischen Ausprägung des
Merkantilismus vgl. Gömmel, Rainer/Klump, Rainer (1994): Merkantilisten und Physiokraten in Frankreich. Darmstadt: WBG, pp. 54ff.
74
Zur königlichen Fabrik von Guadalajara vgl. auch González Enciso, Agustín
(1975): Inversión pública e industrial textil en el siglo xviii: la Real Fábrica de Guadalajara:
notas para su estudio. Madrid: Fundación Universitaria Española. MacLachlan (1991: 83)
zufolge ist die Anlage bis 1820 in Betrieb.
75
Vgl. Herr (1988: 104).
76
Vgl. Herr (1988: 104) mit Bezug auf den französischen Spanienreisenden Bourgoing, der hinsichtlich der Reales Fábricas anmerkt, „que sus productos eran tan buenos
como los de Julienne y más baratos“. Vgl. Bourgoing, Jean-François de (1789): Nouveau
voyage en Espagne, ou tableau de l’état actuel de cette monarchie, vol. I. Paris: Regnault, pp.
49ff.
73
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
73
von denen die Betriebe Merinowolle in Rohform beziehen. Das Scheitern der 1763 in Segovia gegründeten königlichen Textilmanufaktur
im Jahre 1779 illustriert die Kurzlebigkeit der königlichen Produktionsstätten, die aufgrund ihrer nachteiligen geographischen Lage von
staatlichen Subventionen abhängig sind.77
Maßnahmen, die zur Verringerung der Importe ausländischer
Konkurrenzprodukte getroffen werden, etwa die Erhebung von Zöllen, der Beschluss von Einfuhrbeschränkungen oder das ab 1788 verhängte Importverbot ausländischer Textilien aller Art,78 sind nur bedingt in der Lage, die Durchsetzungsfähigkeit fremder Waren auf dem
heimischen Markt einzudämmen. Dabei wird die infrastrukturelle Benachteiligung Zentralspaniens von der Krone durchaus erkannt. Bereits unter Carlos III. werden mehrere Kanalbauprojekte geplant und
initiiert, von denen einer Segovia und Altkastilien über Valladolid mit
Santander und der Biskaya verbindet. Ein weiteres, bereits von Carlos
I. ersonnenes Kanalbauprojekt wird 1771 unter Federführung von Pedro Pablo Abarca de Bolea, Conde de Aranda (1719-1798) beschlossen
und 1776 in Angriff genommen: Der Canal Imperial de Aragón verläuft
von Tudela ausgehend parallel zum Ebro bis zu dessen Quellen, soll
schließlich über einen weiteren Kanal bis zum Mittelmeer reichen und
so den Regionen Navarra und Aragón eine Verbindung zu diesem bedeutenden Handelsraum verschaffen.79 In den 1750er Jahren entstehen zudem neue Straßen, u.a. eine Verbindung von der nahe der kantabrischen Küste und in Reichweite Santanders gelegenen Ortschaft
Reinosa nach Kastilien.80 Nicht nur ihre geographische Lage bereitet
den kastilischen Gebieten allerdings wirtschaftliche Nachteile gegenüber den Küstenstädten: Als zusätzliches Hindernis erweist sich ein
veraltetes Abgaben- und Steuersystem, das Kastilien durch die dort
77
Vgl. Herr (1988: 120).
Vgl. Herr (1988: 107). Zu den im Laufe des 18. Jahrhunderts verhängten Zöllen
und Verboten vgl. auch Anes/Castrillón (2000: 135ff.). Dabei ist anzumerken, dass Importverbote für Textilien keine Erfindung des 18. Jahrhunderts sind, sondern bereits
im 17. Jahrhundert zur Anwendung kommen, so etwa in den Beschlüssen der Cortes de
Aragón von 1626, 1675 und 1678. Vgl. Perdices Blas, Luis (1997): „La restauración de la
riqueza de España por la industria. Reflexiones sobre el industrialismo de los arbitristas del siglo xvii“. In: Bel, Germà/Estruch, Alejandro (eds.). Industrialización en España:
Entusiasmos, desencantos y rechazos. Madrid: Civitas, pp. 31-59, hier p. 51f.
79
Zu beiden Kanälen vgl. Herr (1988: 112).
80
Vgl. Marcos Martín (2000: 703).
78
74
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
anfallenden rentas provinciales im Vergleich zu Aragón, Navarra, Valencia und vor allem Katalonien ins Hintertreffen geraten lässt.81 Hinzu kommen die bei Überquerung der kastilischen Grenzen anfallenden Binnenzölle, die dort höher als in anderen Regionen ausfallen.82
Es sind vor allem verarbeitete Waren83 aus Spanien, die auf dem
Binnenmarkt wie im Außenhandel mit Absatzschwierigkeiten kämpfen und gegenüber ausländischen Konkurrenzprodukten das Nachsehen haben. Demgegenüber ist spanische Merinowolle in Rohform
aufgrund ihrer exzellenten Qualität ein begehrtes Handelsgut, auf
das insbesondere englische Tuchmanufakturen gerne und in großer
Menge zurückgreifen.84 Gleiches gilt für spanisches Eisenerz, das als
Rohstoff ein beliebtes Exportgut ist, während verarbeitete Eisenwaren seit dem 17. Jahrhundert importiert werden müssen.85 Was die
mangelnde Wettbewerbsfähigkeit spanischer Textilien anbelangt, ist
diese nicht zuletzt auf ein Defizit im Bereich des Knowhows und der
technischen Möglichkeiten zurückzuführen. Von beiden Faktoren
hängt die Flexibilität ab, mit der ProduzentInnen auf die Bedürfnisse
einer in erster Linie weiblichen, nach neuen und modischen Stoffen
verlangenden Kundschaft reagieren. Der bereits im 17. Jahrhundert
zu verzeichnende Niedergang der spanischen Textilindustrie insgesamt,86 darunter auch der auf die Produktion von Luxusartikeln
spezialisierten Fertigungsstätten in Kastilien, Aragón und Navarra,87
wurzelt teils in nicht vorhandenen Kenntnissen im Bereich der Fertigungstechnik, teils aber auch in Einschränkungen und Vorschriften
seitens der Zünfte. All dies behindert die Herstellung begehrter Stoffe
81
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 91).
Vgl. Herr (1988: 108ff.).
83
Dies sind u.a. Tuchwaren, vgl. Herr (1988: 117; 121), und Metallprodukte, vgl.
Anes/Castrillón (2000: 95).
84
Anes/Castrillón (2000: 120f.) schätzen den Anteil der aus Spanien importierten
Wolle noch zwischen 1815 und 1819 auf 40 % und konstatieren vor allem gegen Ende
des 18. Jahrhunderts eine verstärkte Nachfrage von englischer Seite. Um die Abhängigkeit von Lieferungen aus Spanien zu minimieren, kaufen Frankreich und England, begünstigt durch die napoleonischen Kriege, ganze Merinoherden auf, um eigene Zuchten aufzubauen. Zu einer Minderung der spanischen Exporte führt dies erst im Laufe
des 19. Jahrhunderts.
85
Vgl. Marcos Martín (2000: 515).
86
Konkrete Zahlen hierzu liefert Marcos Martín (2000: 514f.).
87
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 127). Ocampo Suárez-Valdés (2012: 99ff.) zeichnet für
die asturische Leinenproduktion ein ähnliches Bild.
82
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
75
wie Kamelott,88 Mamparella89 oder moirierte Seide90, die im Heimtextilbereich ebenso zum Einsatz kommen wie in der Damenkonfektion.
Demgegenüber bieten französische, englische und vor allem holländische ProduzentInnen das Gewünschte in einer breiten Farbpalette
und in verschiedenen Texturen an.91. Als regelrechter Exportschlager
erweisen sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts die so genannten new draperies, feine, leichte und entsprechend auch für warme Klimazonen
geeignete Mischgewebe aus Wolle, Leinen und Seide, die zwar weniger langlebig sind als die traditionellen Stoffe, dafür aber preislich
erschwinglicher.92 Die in den Textilmanufakturen Kastiliens, Aragóns,
Navarras und Asturiens produzierten schweren und robusten Woll-,
Leinen- und Seidenstoffe93 sowie die noch im 16. Jahrhundert stark
nachgefragten, da günstigeren tafetanes geraten aus der Mode. Stattdessen halten leichte Gewebe wie Musselin, Cambray-Tuch und Batist
88
Kamelott ist ein Stoff auf Angora-Basis, der teils mit Leinen-, teils mit Seidengewebe gemischt ist.
89
Bei der Mamparella handelt es sich um einen vor allem für die Inneneinrichtung
gebräuchlichen hochwertigen und feinen Stoff, der dem Damast ähnlich ist. Vgl. hierzu Sahelly i Sabi, Àngels M. (2009): „Els capítols matrimonials a la Vall d’Aran (segles
xvii-xix): algunes aportacions per a l’estudi de la casa“. In: Estudis d’Història Agrària, 22,
pp. 61-90, hier p. 70.
90
Das für die Moiré-Produktion nötige Knowhow gelangt erst 1790 mit der Instrucción metódica sobre los muarés des valencianischen Seidenfabrikanten Joaquín Manuel
Fos nach Spanien, der während seiner Reisen gezielt englische und französische Fabriken aufsucht, um mehr über die dortigen Produktionsverfahren zu erfahren. Vgl.
Fos, Joaquín Manuel (1790): Instrucción metódica sobre los muarés. Madrid: Imprenta de
la viuda de D. Joaquín Ibarra. Zu Fos vgl. auch Herr (1988: 114).
91
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94; 127).
92
Zu den new draperies vgl. Pérez Sarrión (2012: 89; 96f.) sowie Farr (2000: 80). Diese
werden ursprünglich in Flandern und der Wallonie gefertigt und ab 1560 im Zuge
der Flucht und gleichzeitigen Anwerbung protestantischer WeberInnen im Kontext
der Religionskriege auch in Ostengland produziert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts
wird dieses Tuch durch holländische, ab 1700 durch französische Manufakturen imitiert. Zum Begriff der new draperies vgl. auch Hey, David (ed.) (22009): „New Draperies“. In: The Oxford Companion to Family and Local History. Oxford: Oxford University Press, ohne Paginierung. Quelle: https://www.oxfordreference.com/view/10.1093/
acref/9780199532988.001.0001/acref-9780199532988-e-1283?rskey=H4agst&result=1294,
Zugriff: 03.08.2022.
93
Vgl. hierzu auch Farr (2000: 80), der anmerkt, dass die leichten neuen Mischgewebe englischer, französischer und holländischer Provenienz „destroyed the textile
sector of the economies of the towns that had geared their capacities to heavy woolen
broadcloth“.
76
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Einzug auf den spanischen Handelsplätzen und erfreuen sich großer
Beliebtheit.94 Als ein zusätzliches Handicap spanischer Erzeugnisse
erweisen sich hohe Produktionskosten, die nicht nur im Textilsektor
durch veraltete und zeitaufwändige95 Fertigungsmethoden entstehen,
hohe Lohnkosten verursachen und das Endprodukt verteuern:96 Auch
in der Stahlproduktion hatten englische Hütten schon zu Beginn des
17. Jahrhunderts auf Steinkohle sowie auf effiziente Hochöfen umgestellt, und damit aufgrund eines höheren Hitzegrades billiger produzieren können. In Spanien verzögert sich dieser Prozess bis zum Ende
des Säkulums,97 wird dort mangels adäquater Förderungstechniken
doch zumeist Holzkohle verwendet.98
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Leistungsfähigkeit des
spanischen Sekundärsektors im 18. Jahrhundert insgesamt gering ausfällt und sich regional äußerst heterogen gestaltet. Richard Herr spricht
diesbezüglich von einem Gefälle zwischen dem prosperierenden
94
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 137). Zu Material und Textur dieser aus Frankreich
stammenden Tuchwaren vgl. auch die linguistische Analyse von Höfler, Manfred
(1967): Untersuchungen zur Tuch- und Stoffbenennung in der französischen Urkundensprache. Tübingen: Niemeyer, hier insbesondere zu den Cambray-Stoffen pp. 29f. Ein Zeitzeuge bezeichnet diese 1664 als „aussi fines et a aussi desliées [sic] que l’araignée fait
la sienne“.
95
Die aufwändigen und technisch rückständigen Produktionsmechanismen jenseits der industriellen Zentren der Levanteküste veranschaulicht Ocampo Suárez-Valdés (2012: 95) exemplarisch anhand der asturischen Leinenmanufakturen: „Tras el laborioso proceso de preparación de la fibra, el ciclo productivo (hilado, blanqueado,
tisaje) se verá secularmente afectado por limitaciones técnicas – empleo de la rueca y
del uso, blanqueo ‚en crudo’, arcaísmo de los telares ... – responsables tanto de la baja
productividad del trabajo como de la escasa competitividad final de los lienzos.“ Die
hohen Preise der heimischen Leinenstoffe machen Importe aus dem Baltikum, etwa
aus Riga, für die lokalen Handelshäuser rentabel. Vgl. ebenda.
96
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 95). Mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen laut
Marcos Martín (2000: 516) bereits im 17. Jahrhundert die im Baskenland angesiedelten
Werften, deren Schiffe nicht mit den leichteren und wendigeren Modellen der europäischen und überseeischen Konkurrenz mithalten können. Hinzu kommt die Abhängigkeit der baskischen Werften von Importwaren wie Holz, Segeltuch und Teer, deren
kostspielige Einfuhr das Endprodukt verteuert.
97
Vgl. Marcos Martín (2000: 523).
98
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 110. Es ist der Minister Jovellanos, der in seinen zahlreichen Informes zur Förderung von Mineralkohle (v.a. in der Region Asturien)
die Notwendigkeit hervorhebt, in (englische) Techniken der Rohstoffgewinnung, in
die Vermittlung des dafür nötigen Knowhows und in Transportwege (Straßen, Kanäle,
Häfen) zu investieren.
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
77
Norden99 und Osten und den industriell nahezu brachliegenden Gebieten im Zentrum und Süden Spaniens.100 Eine Fertigung, die vor
allem in kleinen Handwerksbetrieben, Manufakturen sowie in Heimarbeit stattfindet und nur an der Levanteküste Anzeichen einer maschinellen industriellen Produktion in größerem Stil aufweist, kennzeichnet Spanien bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein
als protoindustriellen Staat.101 Auch im Sekundärsektor sind es die
sich hartnäckig haltenden feudalen Besitzverhältnisse, die eine nachhaltige Verbesserung der produktiven Kapazitäten verhindern und an
denen auch die ökonomischen Reformen des 18. Jahrhunderts nichts
zu ändern vermögen.102
2.3. Der Tertiärsektor: Binnen- und Aussenhandel
Die auf breiter nationaler Ebene geringe industrielle Produktivität
Spaniens bleibt für den Außenhandel nicht ohne Folgen.103 Im transatlantischen wie im europäischen Warenverkehr dominieren bereits
seit dem 17. Jahrhundert ausländische Großkaufleute,104 die Teil der
99
Im Baskenland etwa siedelt sich eine prosperierende metallverarbeitende Industrie an. Vgl. Herr (1988: 115). Diese hat aufgrund der Verteuerung der Holzkohle im
Zuge der voranschreitenden Abholzungen der Waldgebiete gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Produktionsschwierigkeiten zu kämpfen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés
(2012: 105).
100
Vgl. Herr (1988: 128).
101
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 96): „El industrialismo como programa de
crecimiento y como expresión de un nuevo orden social, se retrasará hasta bien entrado
el primer tercio del siglo xix.“ Zum Begriff der Protoindustrialisierung vgl. Mendels,
Franklin F. (1972): „Protoindustrialization. The First Phase of the Industrialization
Process”. In: The Journal of Economic History, 32, 1, pp. 241-261, hier p. 241. Mendels
versteht die von ihm als Protoindustrialisierung bezeichnete präindustrielle Phase
als Vorform der Industrialisierung, die dieser den Weg bereitet. Als Beispiel für eine
protoindustrielle Produktionsform führt er etwa das flämische Manufakturwesen an.
102
Vgl. Marcos Martín (2000: 677): „[...] el crecimiento de los intercambios [comerciales] – y, primero, de la producción – precisaba, antes que nada, de unas nuevas relaciones sociales y de la abolición del marco legal que amparaba a las antiguas. Y esto es
precisamente lo que los ilustrados no quisieron o no pudieron hacer.“
103
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 94f.).
104
Vgl. Pietschmann (2005: 175). Marcos Martín (2000: 537) illustriert dies am Beispiel Alicantes, wo in sich schon der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 82 % des
78
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
städtischen Eliten sind.105 Das Hauptgeschäft der spanischen Kaufmannschaft besteht darin, der ausländischen Konkurrenz bei ihren
Geschäften als Mittler zu dienen.106 Sind in der Mittelmeerregion um
Barcelona, Valencia und das Königreich Murcia noch im 17. Jahrhundert italienische Handelshäuser federführend, werden diese im 18.
Jahrhundert durch französische Kaufleute abgelöst,107 in deren Hand
sich große Teile des spanischen Kreditwesens befinden.108 Besonderen Einfluss auf den spanischen Markt üben international vernetzte
Handelsgesellschaften wie die Compagnie Roux-Frères aus.109 Über
Außenhandelsmarktplätze wie Marseille und Bordeaux sowie über in
Cádiz und in anderen spanischen Hafenstädten ansässige Niederlassungen bedienen sie den spanischen Markt ebenso wie den französischen und überseeischen. Die in Spanien in geringerer Anzahl vertretenen englischen Kaufleute sind auf den Handel mit dem Fernen
Osten und Brasilien spezialisiert, wobei sie die meisten Geschäfte über
Portugal abwickeln.110 Infolge des Siebenjährigen Krieges (1756-1763)
und Spaniens Engagement im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg
(1775-1783) nimmt ihre Präsenz jedoch kontinuierlich ab.111
Ein blühendes Geschäft angesichts der protektionistischen Wirtschaftspolitik, die die meisten europäischen Staaten des 17. und frühen
18. Jahrhunderts im Zuge des Merkantilismus betreiben und die zu
einer steten Erhöhung der Zölle und Abgaben auf ausländische Waren
Importgeschäftes in der Hand englischer, holländischer und französischer Kaufleute
befinden.
105
Vgl. Herr (1988: 125f.), der dies am Beispiel der Stadt Cádiz belegt, wo im Jahre
1772 ganze 79 Lagerstätten französischer Handelshäuser angesiedelt sind. Die Zahl der
vormals ebenfalls in Cádiz vertretenen englischen Kaufleute hatte bereits nach ihrer
Ausweisung im Zuge des Siebenjährigen Krieges (1754-1763) beträchtlich abgenommen.
106
Vgl. Marcos Martín (2000: 7000), der die Kaufmannschaft von Cádiz als in ihrer
Mittlerfunktion für ausländische Handelskompagnien besonders aktiv einschätzt.
107
Vgl. Pérez-García (2013: 94).
108
Vgl. Marcos Martín (2000: 678).
109
Zum Einfluss der Compagnie Roux-Frères auf den Handelsraum des Mittelmeeres und insbesondere Spaniens vgl. Pérez-García, Manuel (2013): Vicarious Consumers.
Trans-National Meetings between the West and East in the Mediterranean World (1730-1808).
Farnham: Ashgate, pp. 77ff.
110
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 93f.).
111
Vgl. Herr (1988: 125f.). Ursächlich hierfür ist der Siebenjährige Krieg, der die
Ausweisung englischer Kaufleute zur Folge hat.
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
79
führt, ist der Schmuggel, der über die englisch-französische, die französisch-spanische Grenze und über den Seeweg betrieben wird.112 Zu
besonderer fama in diesem Geschäftsbereich gelangen englische und
holländische Kaufleute, die sich auf den Schmuggel von Waren aus
den spanischen Besitzungen in Übersee spezialisieren. Auch für die
spanische Kaufmannschaft ist der Schmuggel vor allem in Zeiten, in
denen ihre sonstigen Geschäftsbereiche rückläufig sind, eine willkommene Einnahmequelle.113
Seit Beginn des 17. Jahrhunderts gehört Spanien aufgrund seiner
überseeischen Besitzungen zwar noch zu den weltweit größten Handelsplätzen, importiert aber bereits zu diesem Zeitpunkt und sehr zu
Lasten seiner Außenhandelsbilanz bedeutend mehr Produkte, als es
exportiert.114 Infolgedessen erreicht sein Außenhandelsdefizit zwischen 1786 und 1796 ganze 3.877 Millionen reales. Auffällig ist der
große Anteil französischer Produkte unter den importierten Waren,
112
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 94). So werden im 18. Jahrhundert zwischen Kent und
Dünkirchen Seide, Bänder und Brandy geschmuggelt. ‚Offizielle‘ Handelsbeziehungen
nehmen England und Frankreich erst im 19. Jahrhundert auf. Dass der Schmuggel ein
blühendes Geschäft ist, bleibt auch der spanischen Krone nicht verborgen. Diese möchte im 16. und 17. Jahrhundert vom Schmuggel verbotener Waren in das eigene Hoheitsgebiet profitieren, indem sie Schmuggellizenzen (licencias de contrabando) verkauft, um
damit u.a. den Krieg mit Frankreich zu finanzieren. Vgl. Marcos Martín (2000: 535).
Zur Beteiligung spanischer Händler am Schmuggel vgl. Marcos Martín (2000: 701f.).
113
Den Schätzungen des Abate de Gándara (1719-1783) zufolge werden Waren im
Wert von 38 Millionen Pesos aus den kolonialen Besitzungen eingeführt. Davon gelangen Güter im Wert von 23 Millionen via Schmuggel ins Ausland. Dies bedeutet für
die spanische Krone einen hohen Verlust an Ein- und Ausfuhrzöllen. Obgleich diese
Zahlen Marcos Martín (2000: 687ff.) zufolge übertrieben sind, veranschaulichen sie
doch die Ersthaftigkeit des Problems. Zur Eindämmung des Schmuggels werden seitens der Krone ab 1714 Handelsgesellschaften von kurzer Lebensdauer gegründet, die
das jeweilige Handelsmonopol mit ihren titelgebenden Vizekönigtümern innehaben,
z.B. die Compañía de Cuba oder die Compañía de Venezuela. 1785 werden sie in der Compañía de Filipinas gebündelt. Für eine Liberalisierung des Amerikahandels setzen sich
ab 1765 Reformpolitiker wie Campomanes und Francisco de Craywinckel y Hunneus
(1713-1772) ein.
114
Beispielsweise im Jahr 1786 belaufen sich die spanischen Importe auf 710 Millionen reales de vellón, die Exporte hingegen auf nur 291 Millionen. Vgl. Marcos Martin
(2000: 680f.). 1791 haben die exportierten Waren nur 10 % des Wertes der importierten
Waren.
80
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die vor allem Textilien und Luxusartikel sind.115 Politikgeschichtlich
ist die Dominanz französischer Kaufleute und der durch sie auf den
spanischen Märkten feilgebotenen Waren auf den Ausgang des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) und den Sieg der Bourbonen
zurückzuführen, der dazu führt, dass 1731, 1743 und 1761 drei Familienpakte zwischen der französischen und der spanischen Linie geschlossen werden, die sich für Spanien als ökonomisch nachteilig erweisen, da sie den französischen Kaufleuten langfristig niedrige Zölle
zusichern.116
Von einer kleinen Palette an Rohstoffen (Wolle, Eisenerz), Agrarerzeugnissen (Wein, Olivenöl, Trockenfrüchte) und ebenfalls in Rohform eingeführten Kolonialwaren aus Amerika (Tabak, Zucker, Kakao)
einmal abgesehen, die nur geringe Gewinnmargen versprechen, führe
Spanien vor allem teure und verarbeitete Güter wie Luxus-, Tuch- und
Eisenwaren ein.117 Dass diese Praxis paradoxale und für die spanische
Wirtschaft nachteilige Effekte nach sich zieht, zeigt sich am Beispiel
des Textilsektors am deutlichsten, wo kastilische Rohwolle zu günstigen Preisen ausgeführt, in südfranzösischen Manufakturen verarbeitet und dann teuer wieder nach Spanien eingeführt wird.118 Von spanischer Seite besteht Importbedarf mit temporären Schwankungen und
in Abhängigkeit von den eigenen Ernten zudem an Grundnahrungsmitteln wie Getreide, aber auch an Papier und Schiffsbaustoffen. Ein
großer Teil dieser Waren wird nach der Einfuhr in die überseeischen
Kolonien reexportiert. Aus den Kolonien eingeführte Handelsgüter wie Getreide, Kakao, Tabak, Kaffee und Zucker werden durch
115
Vgl. Marcos Martín (2000: 683). 1792 haben französische Produkte einen Anteil
von 25 % am Gesamtvolumen der insgesamt nach Spanien importierten Waren, gefolgt
von deutschen (24,2 %) und englischen (20,6 %) Gütern. Die 30 verbleibenden Prozent
verteilen sich auf Importe aus den übrigen Ländern, darunter die baltischen Staaten.
116
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 104) sowie Marcos Martín (2000: 683f.). Was England
anbelangt, schlägt die Handelsbilanz beider Länder zumindest im ersten Drittel des
18. Jahrhunderts zugunsten Spaniens aus, verlagert sich aber zwischen 1730 und 1780
zugunsten Englands. Nach Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges 1783
gleichen sich die Zahlen der Im- und Exporte langsam wieder aus, im weiteren Verlauf
kommt es zu einer allmählichen Angleichung der englischen und spanischen Ein- und
Ausfuhren, wovon insbesondere Spanien profitiert.
117
Marcos Martín (2000: 674; 680) macht diesbezüglich das Argument des Preises
pro Gewichtseinheit des betreffenden Produktes geltend, der bei den ausgeführten
Rohwaren geringer ausfällt als bei den eingeführten verarbeiteten Produkten.
118
Vgl. Pérez-García (2013: 88).
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
81
ausländische Großkaufleute über die Häfen des Baskenlandes (Bilbao,
San Sebastián) und Kantabriens (Santander) u.a. nach Nordeuropa
und in das Baltikum verschifft.119 In Spanien nachgefragte Importwaren aus Asien und dem Vorderen Orient sind Webwaren wie Musselin
und Kattun, aber auch chinesische Rohseide, die in der europäischen
Textilproduktion Verwendung findet. Eine regelrechte Schwemme
asiatischer Rohmaterialen hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Folge, dass kastilische Wolle mit steigenden Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat.120 Die Nachfrage nach diesem bedeutendsten spanischen Handelsgut war bereits ab 1670 mit der wachsenden
Popularität der new draperies auf dem europäischen Textilmarkt zurückgegangen, da die neuen Mischgewebe einen geringeren Wollanteil aufweisen. Erst mit dem Erstarken der Textilindustrien in England, Frankreich und Holland um 1700 steigt auch die Nachfrage nach
spanischer Merinowolle wieder an.121
Haben die spanischen Handelsaktivitäten seit 1570 aufgrund der
in Europa grassierenden Epidemien und Kriege einen Niedergang zu
verzeichnen, nehmen sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
wieder an Fahrt auf, wobei es allerdings dabei bleibt, dass die Zahl
der Importe die der Exporte deutlich übersteigt. Haupthandelsplätze
für den Import und Export sind im 17. Jahrhundert der Hafen von
Bilbao, wo vor allem kastilische Wolle verschifft wird, sowie die Häfen von Cádiz und Sevilla, wobei Sevilla seine Bedeutung als führender Außenhandelsplatz noch im 17. Jahrhundert an Cádiz abzutreten
119
Vgl. Marcos Martín (2000: 702f.).
Vgl. Pérez-García (2013: 88). Aus diesem Grund spricht sich auch Campomanes,
der von 1760 bis 1789 Finanzminister ist, vehement gegen den Import von Stoffen aus
Asien aus. Vgl. Campomanes, Pedro de (1975 [1774]): Discurso sobre el fomento de la
industria popular / Discurso sobre la educación popular de los artesanos, ed. J. Reeder. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 88: „De donde es presumible que nunca pueden
concurrir con ellas las de Europa en aquellos países donde se permita la introducción
de las telas de algodón asiáticas, a pesar de los mayores esfuerzos. Por esta reflexión
es indispensable subsista la prohibición para que pueda tener lugar nuestra industria
en esta parte. La España podría sacar de tales fábricas notables ventajas, supliendo
con las telas de algodón mucha parte de los lienzos que necesitará tomar siempre del
extranjero.“
121
Vgl. Marcos Martín (2000: 239f.) Es ist insbesondere die Entwicklung neuer Produktionsmethoden und Innovationen im Bereich der Webwaren, die den Bedarf an
qualitativ hochwertigen Rohstoffen wie der spanischen Merinowolle wieder ansteigen
lässt.
120
82
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
hat.122 Beide Städte hatten das Monopol für den Handel mit den Kolonien seit 1503 inne, 1778 wird es mit Inkrafttreten des Reglamento
de Libre Comercio aufgehoben.123 Am Beispiel des Hafens von Cádiz
lässt sich illustrieren, dass schon im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts 88 %, der Handelsaktivitäten von ausländischen Kaufleuten aus
Holland124, Frankreich, England, Flandern und Genua abgewickelt
werden, die Waren nach Nordeuropa und in die Kolonien verschiffen.125 Ähnlich wie in Cádiz stellt sich die Situation in anderen spanischen Häfen, beispielsweise in Cartagena dar, das als Tor zum Handel
mit Waren aus dem fernen und mittleren Osten sowie aus Nordafrika fungiert. Maghrebinische Hafenstädte wie Algier sind bedeutende
122
85 % des Warenverkehrs mit den Kolonien werden zwischen 1707 und 1777
über Cádiz abgewickelt. Noch 1792 werden über diesen Hafen Waren im Wert von
270 Millionen reales exportiert und im Wert von über 700 Millionen importiert. Vgl.
García León, José María (2013): „Del monopolio de Sevilla al puerto franco de Cádiz“.
In: Diario de Cádiz. Quelle: https://www.diariodecadiz.es/opinion/articulos/monopolioSevilla-Puerto-Franco-Cadiz_0_724127786.html, Zugriff: 08.08.2022. Als „home-port of
the treasure fleet“ übt Sevilla von 1535 an eine große Anziehungskraft auf Kaufleute
aus ganz Europa aus. Vgl. Grice-Hutchinson (1978: 92). Diese Ära endet, als Cádiz im
Verlauf des 17. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt.
123
Vgl. Marcos Martín (2000: 542). Von den über Cádiz in die Amerikas verschifften
Handelswaren sind allerdings nur 5 % spanischen Ursprungs, ein Umstand, der in
der Unfähigkeit der spanischen Produktion bedingt ist, sowohl dem Bedarf des heimischen Marktes als auch der großen Nachfrage seitens der Kolonien nachzukommen.
Vgl. Marcos Martín (2000: 549). Von der Liberalisierung des Amerikahandels ausgeschlossen bleibt der Hafen von Bilbao, der stattdessen sein Hauptgeschäft weiterverfolgt: den geringeren Schwankungen und Risiken unterworfenen Handel mit Nordeuropa. Das Privileg des Handels mit Kolonialwaren und der Export von Öl, Wein,
Branntwein und Getreide obliegt San Sebastián und Santander. Von Santander aus
wird v.a. Mehl in die Kolonien exportiert. Vgl. Marcos Martín (2000: 702ff.).
124
Wie Ocampo Suárez-Valdés (2010: 95) zeigt, führt die wirtschaftliche Vormachtstellung Hollands in den „manuales y diccionarios de comercio“ im beginnenden 17.
Jahrhunderts zu einer regelrechten Hollandbegeisterung, die sich etwa bei Savary manifestiert. Zu Savarys Dictionnaire universel de commerce (1723) vgl. Strosetzki, Christoph
(2017): „Der Kaufmann von der Patristik zum honnête homme bei Savary“. In: Lütge,
Christoph/idem (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im
Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 5-20. Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhundert fällt die wirtschaftliche Vorreiterrolle in Europa dann England zu, wo eine Liberalisierung der Besitzverhältnisse im Zuge eines veränderten institutionellen Rahmens in
dem auch von Pérez Sarrión (2012) skizzierten Sinne zu idealen Bedingungen für eine
florierende Wirtschaft führt.
125
Vgl. Marcos Martín (2000: 542).
2. Die wirtschaftliche Ausgangslage
83
Umschlagplätze für Wolle aus Kastilien, Granada und Murcia. Zusammen mit den Häfen der Levanteküste und Italiens bilden sie die
Stützpunkte eines durch Kaufleute aus Frankreich, Italien, Malta, England, dem Maghreb und dem Maschrek errichteten transnationalen
Handelsnetzwerks.126
Ein Umstand, der bewirkt, dass der spanische Markt von ausländischen Waren regelrecht überrollt wird, sind die infolge der Familienpakte konstant niedrigen Einfuhrzölle, die sich im 18. Jahrhundert
zwischen 5 % und 15 % bewegen und sich nicht am Wert, sondern am
Volumen der Ware bemessen. Dies bietet den französischen, holländischen, englischen und maltesischen Kaufleuten Anreize, möglichst
viele verarbeitete Güter nach Spanien einzuführen, mit denen sich
höhere Gewinnmargen erwirtschaften lassen. Die Tatsache, dass der
heimische Markt von diesen Gütern in großen Teilen abhängig ist,127
lässt die spanische Krone zunächst zögern, entschieden gegen Importwaren vorzugehen. Eine erste protektionistische Zollreform greift erst
1782: Mit einer empfindlichen Erhöhung der Ein- und Ausfuhrzölle
soll dem Export von Rohstoffen und dem Import verarbeiteter Güter
Einhalt geboten und die Ausfuhr verarbeiteter Waren aus heimischer
Produktion gefördert werden.128
In den Handelszentren an den Küsten Andalusiens, Kataloniens
und des Baskenlandes kommt es insbesondere im letzten Drittel des
18. Jahrhunderts zu einer Überkreuzung der Warenströme des Außenund Binnenhandels.129 Eine Besonderheit des spanischen Binnenhandels ist, dass es dort – ähnlich wie im deutschen Raum – bis in das 19.
Jahrhundert hinein keinen einheitlichen nationalen Markt gibt. Auch
wenn die innerspanischen Grenzen zwischen 1708 und 1717 sukzessive aufgehoben werden, bietet sich aufgrund der Aufrechterhaltung
der bereits erwähnten Binnenzölle, aber auch aufgrund einer Fülle
126
Vgl. Pérez-García (2013: 89) sowie Marcos Martín (2000: 685). Letzterer weist darauf hin, dass „los contactos comerciales con algunas plazas norteafricanas (Oran, Argel, Túnez) y con el Magreb en general debieron ser más intensos y fluidos de lo que las
fuentes oficiales dan a entender; además, éste fue un comercio que la Administración
trató de impulsar [...].“ Eine nicht unbedeutende Rolle auf dem spanischen Textilmarkt
spielen Stoffe aus Ländern des Maschrek wie Ägypten und Smyrna.
127
Vgl. Marcos Martín (2000: 679).
128
Vgl. Marcos Martín (2000: 780).
129
Vgl. Marcos Martín (2000: 674). Für die Regionen des Baskenlandes und Kataloniens ist dies ab 1778, dem Jahr der Liberalisierung des Amerikahandels, der Fall.
84
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
verschiedener Hohl-, Gewichtsmaße und Währungen das Bild einer
Vielzahl regionaler Märkte.130 An spanischen Produkten werden neben Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Frisch- oder Salzfisch, Wein
aus dem Duero-Tal oder La Rioja, Früchten, Oliven und Salz auch verarbeitete Produkte gehandelt, darunter baskische Eisenwaren, das in
Kastilien Absatz findende katalanische Baumwolltuch, galizische Leinenstoffe, Wollwaren aus Kastilien, die nach Nordspanien gehen, und
Seide aus Valencia. In welcher Weise ausländische Textilien zunehmend in Konkurrenz zu heimischen Produkten treten, wurde bereits
im Abschnitt zum Sekundärsektor skizziert. Größter Absatzmarkt für
Mode, Luxusartikel und Accessoires ist Madrid, dessen Bevölkerung
aufgrund des dort ansässigen Hofes und der dort ebenfalls beheimateten, sich aus adeligen Landbesitzern und Großkaufleuten zusammensetzenden urbanen Eliten über eine große Kaufkraft verfügt. Dieser
Umstand wiederum verleiht den seit 1763 in der Compañía General y de
Comercio de los Cinco Gremios de Mayores de Madrid131 organisierten comerciantes-fabricantes eine in Spanien beispiellose Finanzmacht.132 Dass
das lokale Manufakturwesen so gut wie nicht von dem in Madrid
akkumulierten Kapital profitiert, liegt daran, dass die Einkünfte der
Cinco Gremios aus Finanzspekulationen, Kreditvergaben und Landbesitz derart hoch sind, dass von ihrer Seite kaum Anreize bestehen, in
Produktionsstätten oder Technologien zu investieren.
130
Vgl. Marcos Martín (2000: 671) sowie das Beispiel des Hohl- und Flächenmaßes
der fanega, s.o.
131
Vgl. Marcos Martín (2000: 699). Die Cinco Gremios setzen sich aus Händlern und
(männlichen) Produzenten zusammen, die sich auf die fünf Warensegmente Textilien,
Kurzwaren, Schmuck, Gewürze und Drogerieartikel spezialisiert haben.
132
Vgl. Marcos Martín (2000: 698f.). Die ab 1763 nach dem Prinzip einer Aktiengesellschaft organisierten Madrider Zünfte, die Cinco Gremios, besitzen und verpachten
Ländereien. Ihre Niederlassungen fungieren sowohl für ihre Teilhaber als auch für die
Krone als Kreditinstitute. Sie betreiben königliche Manufakturen wie die Real Fábrica
von Guadalajara, treiben bis in die zu Madrid gehörenden Provinzen hinein Steuern
und Abgaben für die Krone ein und besitzen bei den lokalen Adeligen, den Hofbeamten und Kirchenvertretern einen hohen Kredit. Das in Madrid akkumulierte und
in Umlauf befindliche Kapital der Compañía de los Cinco Gremios beläuft sich 1777 auf
210 Millionen reales (zum Vergleich: die in Bilbao ansässigen Kompagnien besitzen zusammen 22,4 Millionen) und zieht entsprechend das Kapital von Kaufleuten aus dem
Baskenland und Kantabrien an.
3.
REFORMÖKONOMISCHE DISKURSE
VOR DEM HINTERGRUND EINES VERÄNDERTEN
STAATSAPPARATES UND DES BOURBONISCHEN
‚WILLENS ZUM WISSEN‘
Wie im vorausgehenden Abschnitt gezeigt wurde, begründet eine
zwar nicht absolut gesehen schwache, aber mit vielerlei Hemmnissen konfrontierte landwirtschaftliche und industrielle Produktion in
Spanien ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber konkurrierenden
Staaten wie Frankreich, England und Holland. Vom Primärsektor,
d.h. vom feudalen Prinzip des agrarischen Großgrundbesitzes ausgehend, wirken sich die skizzierten Hindernisse auch auf den Sekundär- und Tertiärsektor aus. Die Abhängigkeit der übrigen beiden Wirtschaftssektoren von der Landwirtschaft fasst Ocampo Suárez-Valdés
treffend zusammen: „El peso de la agricultura en la producción, en
la ocupación, en la industria y el comercio era muy elevado, y lo era
también en la mentalidad y en los movimientos sociales de protesta.
Si la agricultura estornudaba, la economía se constipaba y la sociedad enfermaba.“1 Für den spanischen Sekundärsektor ist in diesem
Zusammenhang eine passive Außenhandelsbilanz prägend, die unter
anderem durch eine geringe industrielle Produktion und marktführende Konkurrenzprodukte aus dem Ausland bedingt ist. Alle drei
Sektoren sehen sich durch mangelnde Transportwege gleichermaßen
behindert. Aus alledem resultiert ein Krisendiskurs, der dazu führt,
dass der durch die ökonomische Traktatliteratur des 17. Jahrhunderts begründete Dekadenztopos auch in der spanischen Aufklärung
in einer Vielzahl wirtschaftsbezogener Publikationsformen, darunter
1
Vgl. Llombart, Vicent/Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2012): „Para leer el Informe de ley agraria de Jovellanos”. In: Revista Asturiana de Economía, 45, pp. 119-143, hier
p. 120.
86
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Discursos, Cartas, Memorias, Informes, Dictámenes und Reflexiones, fortgeschrieben wird.2
Infolge des Dynastiewechsels von den Habsburgern zu den Bourbonen im Jahre 1700, der durch den Ausgang des Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714) zugunsten der Linie der Bourbonen konsolidiert
wird, führt die Rede über die spanische Dekadenz in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und insbesondere unter Carlos III. verstärkt zu
Reformbemühungen auf administrativer, ökonomischer und kultureller Ebene. Während der Regentschaft von Carlos IV. kommt es demgegenüber zu einer Art ‚Gegen-Aufklärung‘, für die unter anderem
die Kriege mit dem postrevolutionären Frankreich und Großbritannien ursächlich sind. Diese Phase kennzeichnet die Instrumentalisierung der kirchlichen Inquisition durch die Krone, was der Eindämmung aufklärerischer und insbesondere liberalistischer Ideen dienen
soll.3 Ein wesentliches Merkmal der Reformökonomie von Carlos III.
ist, dass sich diese auf der Diskursebene als produktiver als auf der
Handlungsebene erweist. Zugleich zeugt die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften, Akademien und Werksschulen von der pragmatisch-praktischen Orientierung der Reformpolitik. Zu erklären ist
dieser paradoxal anmutende Umstand unter anderem dadurch, dass
insbesondere die zahlreich angeregten Maßnahmen zur Erhöhung der
Produktivität von Ackerbau und Industrie nur selten von Praktikern
ersonnen werden. Als hemmend erweisen sich für die Ebene des Primärsektors auch die großen regionalen Unterschiede, die sich durch
unterschiedliche Klimazonen und Bodenqualitäten ergeben. Nicht
zuletzt ist der Überhang der Diskursproduktion über die ergriffenen
Maßnahmen auf die pyramidal-hierarchische Organisationsstruktur des bourbonischen Hofes selbst zurückzuführen. Der Umstand,
dass die Regierung und ihre Organe mehr über die Krise sinnieren,
als konkrete Maßnahmen zu ergreifen, gründet sich auf die feudale
Struktur des spanischen Staates und seines agrarischen Wirtschaftssystems.4 Die Krone als oberste Spitze der feudalen Pyramide kann
2
Zum Dekadenztopos in der spanischen Aufklärung vgl. auch Tschilschke, Christian von (2009): Identität der Aufklärung / Aufklärung der Identität. Literatur und Identitätsdiskurs im Spanien des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 43.
3
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123).
4
Zu dieser pyramidalen Hierarchie vgl. López-Cordón Cortezo, María Victoria
(2015): „The merits of good gobierno: culture and politics in the Bourbon Court”. In:
3. Reformökonomische Diskurse
87
schwerlich an die Fundamente des politischen Systems rühren, auf
dem sie selbst ruht, zählen Abgaben für Großgrundbesitz doch neben
den Edelmetallimporten aus den Kolonien zu den Haupteinnahmequellen des feudalen Agrarstaates. Infolge des aus dem Erbfolgekrieg
resultierenden Dynastiewechsels und der damit verbundenen Reorganisation des Regierungssystems,5 im Zuge derer ein alternder Stab
von Kronberatern durch ein Kabinett aus jüngeren Sekretären ersetzt
wird,6 richtet sich die Politik bis ca. 1750 zunächst an den Leitlinien
von ‚Einheit‘, ‚Stabilisierung‘ und ‚Beständigkeit‘ aus. Notwendig erscheint dies deshalb, weil Felipe V. (1700-17467) als erster spanischer
König aus dem Hause Bourbon von weiten Teilen des einfachen Volkes als ‚französisch‘, und damit illegitim, wahrgenommen wird.8 Eine
grundlegende Veränderung der bestehenden Gesellschaftsordnung
und der Verteilung des Landbesitzes ist daher weder im Interesse der
Krone noch liegt sie in ihrer Macht.9 Dies bleibt in Bezug auf die Wirtschaftssektoren, auf die sich das Augenmerk des bourbonischen Reformdiskurses richtet, nicht ohne Folgen: Dieser nimmt vor allem den
Handel und die Industrie in den Blick, während er sich auf der Ebene
Astigarraga, Jesús (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 19-40, hier p. 26.
5
Zu den bourbonischen Reformen zählt auch die Eingliederung der zuvor unabhängigen Regionen Aragóns und Valencias (1707) sowie Kataloniens (1716) in das kastilische Verwaltungssystem. Obgleich Navarra und Aragón ihre Privilegien behalten,
wird der Einfluss der Krone auch dort gestärkt. Vgl. MacLachlan (1991: 84).
6
Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26). Vgl. auch MacLachlan (1991: 85): „By 1714
the conciliar system began to give way to a ministerial structure.“
7
Die Jahreszahlen beziehen sich jeweils auf die Dauer der Regentschaft.
8
Vgl. hierzu Egido López, Teofanes (1971): Opinión pública y oposición al poder en la
España del siglo xviii (1713-1759). Valladolid: Sever-Cuesta, pp. 107ff.
9
Dies gilt umso mehr für die Regierung Carlos’ IV. Vgl. Llombart/Ocampo SuárezValdés (2012: 134): „[...] no existían condiciones políticas ni voluntad para una reforma
agraria de ese calado por parte de una Monarquía crecientemente endeudada desde
1793.“ Auch der Umstand, dass das 1718 eingeführte und nach französischem Vorbild
modellierte System der intendantes, das das alte Verwaltungssystem der corregidores
ablösen soll, erst nach großen Widerständen und zwei Anläufen durchgesetzt werden
kann, illustriert, dass die konservativen Kräfte im Staat einen großen Einfluss ausüben.
Muss das Intendantensystem kurz nach seiner Einführung aufgrund von Protesten innerhalb des bürokratischen Apparats wieder abgeschafft werden, setzt es sich 1749 unter Fernando VI. schließlich doch durch. Vgl. MacLachlan (1991: 84f.). Zur Einführung
des Intendantensystems in Spanien vgl. auch Ozanam, Didier (2002): Les intendants
espagnols du xviiie siècle. Madrid: Casa de Velázquez.
88
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des Ackerbaus darauf beschränkt, die Frage nach geeigneten Agrartechniken zu erörtern. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im
Kontext des Liberalismus wird die eigentlich drängende Frage nach
einer Reform der Besitzverhältnisse zum Gegenstand des ökonomischen Diskurses, zeitigt auf der Handlungsebene jedoch nur geringe
Auswirkungen.
Eine durch den Dynastiewechsel von den Habsburgern zu den
Bourbonen bedingte wesentliche Neuerung auf administrativer Ebene
ist das veränderte (Selbst-)Verständnis der Sekretäre und Minister im
Dienste des bourbonischen Staates. Hier vollzieht sich eine Ökonomisierung im Sinne einer Straffung des vormaligen Staatsapparates, die
sich von den höchsten Regierungsorganen auf die untergeordneten
Ebenen auswirkt und in deren Verlauf die neu eingesetzten Kronbeamten von bloßen Schreibern, d.h. von Erfüllungsgehilfen des Willens
des Monarchen, zu Verantwortlichen für ihren jeweiligen Kompetenzbereich werden.10 Pérez Sarrión bezeichnet diese Phase, die auch
nichtadeligen Beamten mit dem entsprechenden Ehrgeiz erstmalig
die Möglichkeit einer administrativen Karriere einräumt, als Beginn
der ‚administrativen Monarchie‘ in Spanien.11 1714 werden die Verwaltungskompetenzen auf fünf Staatssekretariate (span.: secretarios de
despacho) verteilt: 1) das für Angelegenheiten des Inneren und Außenpolitik; 2) das für Rechtswesen und kirchliche Angelegenheiten; 3) das
für Kriegswesen; 4) das für Schatzmeisterei; 5) das für Marine und
die Kolonien.12 Die in Blöcken zusammengefassten Staatssekretariate
unterstehen jeweils der Leitung eines Verantwortlichen,13 dem allein
10
Vgl. auch Gittermann (2008: 205-235). Eine allgemeine, sich im Verlauf des 18.
Jahrhunderts auch in Spanien vollziehende Verschiebung von der Erudition (der Gelehrtenrepublik) hin zur Kompetenz im Sinne des – nicht nur ökonomischen – Fachwissens beobachtet auch Witthaus (2012: 313).
11
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 234).
12
Vgl. MacLachlan (1991: 85). 1787 wird unter Carlos III. das Sekretariat für Marine
und die Kolonien zweigeteilt; hinzu kommt das Sekretariat für Handel und Seefahrt.
13
Vgl. Pérez Sarrión (2015: 234). José Patiño steht 1726-1736 den Sekretariaten für
Finanzen, Staat und Krieg, José del Campillo y Cossio von 1741-1743 den Sekretariaten für Finanzen, Krieg, Marine und die Kolonien vor. Er wird 1742 von Zenón de
Somodevilla y Bengoechea, Marqués de la Ensenada (1702-1781) abgelöst, der diese
Funktion bis 1754 innehat. Pérez Sarrión bescheinigt diesen drei Ministern, für eine
größere administrative Einheit gesorgt und die zuvor tonangebenden und durch den
Hochadel dominierten consejos politisch an den Rand gedrängt zu haben. Gittermann
(2008: 207f.) bestätigt, dass das vorrangige Ziel von Carlos III. nach seiner Ankunft aus
3. Reformökonomische Diskurse
89
die Ernennung der in dem betreffenden Sekretariat tätigen Staatsbediensteten obliegt, was den für den bourbonischen Staatsapparat charakteristischen Klientelismus14 sowie eine Neigung zur Korruption15
begünstigt.
Eine weitere wesentliche Neuerung im Zuge des Dynastiewechsels
ist auch, dass die Gliederung der Sekretariate in Ressorts den für die
einzelnen secretarios16 verantwortlichen Ministern17 ein gewisses Maß
an Sachkunde abverlangt, eine Einstellungsvoraussetzung, die sich
aus dem aufklärerischen Bildungsideal speist. Anders als noch unter
den Habsburgern finden sich daher in den Reihen der unter Carlos III.
und IV. tätigen hohen Beamten nur noch wenige Hochadlige.18 Stattdessen dominieren in den secretarías del despacho universitär gebildete
Vertreter des mittleren Adels und des gehobenen Bürgertums,19 die
zumeist aus den Provinzen stammen und mittels ihrer sozialen und
Neapel, wo er zuvor regiert hatte, die „Umgestaltung des Kastilienrats“ war, war ihm
doch die enge Allianz dieser Instanz mit den Jesuiten ein Dorn im Auge, zumal der
consejo eigentlich die Interessen der Krone vertreten sollte.
14
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 235f.). Solche klientilistischen Strukturen identifiziert
Pérez Sarrión auch im Consejo de Castilla, wo Posten zuvorderst an Verwandte und
Freunde der Ratsmitglieder vergeben werden.
15
Von korrupten Praktiken und politischen Intrigen während der Regierungszeit Ensenadas, denen 1755 auch der Minister selbst zum Opfer fällt, zeugen Graefs
Discursos mercuriales (1754-1755 und 1755-1756), in denen von der „Inkompetenz und
Korruption“ die Rede ist, die den Blick der in den Augen des Verfassers durchaus
kompetenten Minister auf die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten Spaniens trübt,
und die Graef unter Rückgriff auf die Metaphorik des Glücksspiels als ‚Kartenspieler‘
bezeichnet. Witthaus (2012: 279) mit Bezug auf Graef, Juan Enrique (1752): Discursos
mercuriales económico-políticos (1752-1756), I, ed. Francisco Sánchez. Sevilla: Fundación
El Monte, p. 12.
16
Die vollständige Bezeichnung lautet: Secretario de Estado y del Despacho Universal
de..., gefolgt von der Bezeichnung des bzw. der jeweiligen Ressorts, dem oder denen
der einzelne Sekretär vorsteht. Nach 1787 gründet Carlos III. die Junta de Estado als das
Organ, indem sich die einzelnen Ressorts austauschen und kooperieren. Die Junta hat
Kabinettsfunktion. Vgl. MacLachlan (1991: 85).
17
MacLachlan (1991: 85) zufolge ist es insofern korrekt, die Staatssekretäre als „Minister“ zu bezeichnen, als einer Person oft mehrere Sekretariate unterstehen. Dies zeigen die Beispiele Patiños, Campillos und Ensenadas, s.o.
18
Dass und inwiefern deren Macht empfindlich beschnitten wird, zeigt Pérez Sarrión (2012: 241).
19
Aus dem Hochadel stammen López-Cordón Cortezo (2015: 26) zufolge allein
Aranda und José de Carvajal y Lancaster (1698-1754), der von 1746-1754 unter Fernando VI. als Ministro decano de Estado und Außenminister fungiert.
90
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
familiären Netzwerke20 den ‚neuen Adel‘21 bilden. Der gesellschaftliche Aufstieg dieser Schichten läutet zugleich eine Krise des tradierten
adeligen Ehrbegriffs (span.: „honor“) ein, demzufolge sich Ehre in erster Linie an der ‚Reinheit des Blutsadels‘ bemisst, ein Wert, der sich
nun durch das Leistungsprinzip ersetzt sieht:
El honor, consustancial a la sangre o linaje, fuente de preeminencia social y
principio discriminador de estados y privilegios, comienza a difuminarse
a media que el reformismo borbónico da entrada en la administración a
grupos sociales de provincias ennoblecidos por los servicios prestados a
la Corona.22
Zum bourbonischen Ideal der Bildung und eines daraus sich ableitenden gouvernementalen ‚Willens zum Wissen‘23, der unter anderem
in Maßnahmen wie den wiederholt stattfindenden Volkszählungen24
(censos) zum Ausdruck kommt, zählt auch, dass Fremdsprachenkompetenz nun zu einer notwendigen Voraussetzung für den Staatsdienst wird, betrachtet sich der Großteil der Beamten doch als Teil
einer aufgeklärten europäischen Gelehrtenrepublik.25 Ein prominenter
20
Ein Beispiel für solche Netzwerke ist etwa der von Ensenada ins Leben gerufene
partido riojano, ein politisches Netzwerk, dessen Mitglieder allesamt aus der Region La
Rioja stammen. Vgl. Pérez Sarrión (2012: 244).
21
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 241), meine Übersetzung. Im Gegensatz zur französischen noblesse de robe setzt sich der neue spanische Adel allerdings nicht ausschließlich
aus in den Adelsstand erhobenen Bürgern zusammen, sondern auch aus berufstätigen
Adeligen.
22
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2021: 13).
23
Vgl. Foucault, Michel (1976): Histoire de la sexualité 1: La volonté de savoir. Paris:
Gallimard.
24
Die schon im 16. und 17. Jahrhundert abgehaltenen Volkszählungen dienen neben dem Zweck der Besteuerung auch der Sondierung von Möglichkeiten der militärischen Rekrutierung. Auch der Zensus von Ensenada von 1753 zählt noch zu dieser
herkömmlichen Art der Volkszählung. Zensus im modernen Sinne, d.h. solche, die
im Dienste der Politischen Ökonomie den Anteil der vasallos útiles ermitteln, werden
ab 1768 mit dem Zensus des Conde de Aranda erstmals erhoben. Weitere folgen 1767
unter dem Grafen von José Moñino y Redondo, Conde de Floridablanca (1728-1808)
und 1797 unter Godoy weitere. Vgl. Instituto de Estadística (2019): „Los censos de población en España“. Quelle: https://www.ine.es/explica/docs/historia_censos.pdf, Zugriff: 13.08.2022.
25
Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26) sowie Witthaus (2012: 14ff.). Witthaus
verdeutlicht, dass die aufklärerischen „Kritikdiskurse zwischen Gelehrtenkultur,
3. Reformökonomische Diskurse
91
Repräsentant dieses universell gebildeten und nach Europa ausgerichteten neuen Adels, dessen Karriere im bourbonischen Verwaltungsapparat geradezu beispielhaft ist, ist Jovellanos, Spross einer niederen
Adelsfamilie von hidalgos aus Gijón. Jovellanos ist ab 1768 zunächst
Richter in Sevilla, wird dann richtendes Mitglieder der dortigen Real
Audiencia, tritt 1778 in der Hauptstadt ein höchstrichterliches Amt an
und wird im selben Jahr ein aktives und aufgrund seiner zahlreichen
Reden zur wirtschaftlichen Lage der Nation viel beachtetes Mitglied
der dortigen Ökonomischen Gesellschaft.26 Er steigt sodann in den
Consejo de las Órdenes auf, ein militärisches Administrationsorgan.
1783 wird er in die Junta de Comercio, Moneda y Minas berufen, 1797
avanciert er zum Justizminister. Bekannt ist Jovellanos heute nicht
nur als einer der laut Schumpeter besten und weitsichtigsten Ökonomen seiner Zeit mit zahlreichen Beiträgen zum zeitgenössischen Wirtschaftsdiskurs,27 sondern auch als Verfasser von Gedichten und zweier Dramen,28 darunter die sentimentale Komödie El delincuente honrado
(1774), in der sich Jovellanos kritisch mit dem spanischen Justizsystem
auseinandersetzt.
Literaturkritik, literarischem Engagement und Nationalisierung“ allerdings nicht mit
der neuhumanistischen Gelehrtenrepublik zur Deckung kommen, und zwar deshalb,
weil in der Aufklärung die neuen Herausforderungen des Nationalstaats und der Ausdifferenzierung des Wissens mit dem ‚holistischen Selbstverständnis des Neuhumanismus‘ in Konflikt geraten. Witthaus prägt für die spezifische literarische Wissenskultur
der spanischen Aufklärung den Begriff der „Sozialisation der Kritik“, der eine „schriftstellerische Intervention“ vor allem des Literaten in die Erscheinungsbereiche der Soziabilität (etwa in der Presse) und in die Ökonomie als neu entstehende Wissenschaft
(z.B. in der ökonomischen Traktatliteratur) bezeichnet. Diese Form der Intervention ist
in den neuen Rahmen der Nation eingebettet und steht mit den spanischen Reformbemühungen im Zusammenhang. Daher zeugt die Sozialisation der Kritik auch von der
durch López-Cordón Cortezo beschriebenen Verschränkung zwischen Kulturbereich,
Staatsmacht und Politischer Ökonomie, der stets ein Moment der Selbstinszenierung
der Autoren in dem und mittels des öffentlichen medialen Raum(s) eingeschrieben ist.
26
Zuvor war Jovellanos bereits Mitglied der Ökonomischen Gesellschaft von Sevilla. Vgl. Anes y Álvarez de Castrillón, Rafael (2000): „De las ideas de Jovellanos sobre
la economía y actividad económica“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y
economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 315-329,
hier p. 320.
27
Vgl. Schumpeter (2007: 231).
28
Vgl. Carnero, Guillermo (21998): „Introducción“. In: idem (ed.). Memoria sobre
espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, pp. 13-109, hier pp. 36ff.
92
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Eine Besonderheit des bourbonischen Staatsapparates mit zentralen Auswirkungen auf den Kulturbetrieb ist auch die von López-Cordón Cortezo beobachtete Kombination einer pyramidalen mit einer
horizontalen Herrschaftsstruktur: Die hierarchisch-pyramidale Organisation der staatlichen Verwaltung, an dessen Spitze der Souverän
steht, gefolgt von den Ministern der secretarías sowie der nächsttieferen Ebene, den ihnen unterstehenden Beamten, setzt sich horizontal in die Ebene gelehrter Kreise fort, so auch in die tertulias,29 deren
Gastgeber prominente Staatsbedienstete wie Olavide und Pedro Pablo
Abarca de Bolea, Conde de Aranda (1719-1798) sind. Diese spezifische
Staatsstruktur ermöglicht eine direkte Einflussnahme der Krone nicht
nur auf das Bildungswesen, etwa durch die Reform der Universitäten, die unter bourbonischer Herrschaft von kirchlicher in staatliche
Hand übergehen,30 sondern auch auf den Kulturbereich, was sich etwa
in der von Aranda durchgesetzten Theaterreform zeigt. Gittermann
konstatiert, dass Carlos III. eine Einflussnahme auf weite Teile des
gesellschaftlichen Lebens nicht zuletzt deshalb möglich war, weil er
„bewusst die Diskurse förderte, die dem von ihm gewünschten Modell entsprachen. Ihm gelang [...] dadurch [...], dass seine Reformziele
mit dem politischen Denken der spanischen Reformer so sehr übereinstimmten, eine weitgehende Instrumentalisierung der politischen Literatur seiner Zeit“31. Im Zusammenhang mit unseren Analysen kann
dies neben dem kulturellen Feld auch für das Ökonomische postuliert werden. Auch die ab 1750 erfolgende Gründung zahlreicher
29
Die tertulias sind gelehrte Zirkel, in der Männer und, wie das Beispiel der tertulia María Francisca de Sales Portocarrero, Condesa de Montijo (1754-1808) zeigt, auch
Frauen, über Literatur, Philosophie und Politik debattieren. Die tertulias sind zudem
Artikulationsorte der aufklärerischen Geselligkeit. Vgl. hierzu Gelz, Andreas (2006):
Tertulia. Literatur und Soziabilität im Spanien des 18. und 19. Jahrhunderts. Frankfurt/Main:
Vervuert, pp. 33ff.
30
Zur spanischen Universitätsreform, zu deren Hauptakteuren Gregorio de Mayans y Siscar (1699-1781), Juan Sempere y Guarinos (1754-1830) und Olavide zählen
und zu deren Maßnahmen u.a. die Ausweisung der Jesuiten 1767 gehört, vgl. Onaindía, Mario (2002): La construcción de la nación española. Republicanismo y nacionalismo
en la Ilustración. Barcelona: Ediciones B, pp. 139ff., zu diesen drei Hauptakteuren vgl.
Onaindía (2002: 140). Vgl. auch Perrupato, Sebastián (2014): „Antiguos y modernos en
la universidad española de la segunda mitad del siglo xviii. Avances de secularización
en el plan de reforma universitaria elaborado por Gregorio Mayans y Siscar (1767)“. In:
Historia y Sociedad, 27, pp. 165-188.
31
Gittermann (2008: 27).
3. Reformökonomische Diskurse
93
Akademien, darunter die der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando (1744), bedeutet eine Ausdehnung der staatlichen Macht auf den
Bildungsbereich, die über das Instrument der Institutionalisierung von
Wissensstrukturen erfolgt. Damit kommt es zu einer Allianz, mehr
noch, zu einer Einswerdung von Staatsmacht und Wissen, die für die
Politische Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts charakteristisch ist und auch den deutschen Kameralismus kennzeichnet.32 Als
die drei für die bourbonische Reformökonomie charakteristischen Elemente können also festgehalten werden:
a) die Fortschreibung des Dekadenztopos, der zugleich Movens und
Ausganspunkt des ökonomischen Reformprogramms ist;
b) die Allianz von nach Kompetenzbereichen gegliederter staatlicher
Administration und statistischer Wissenserhebung;
c) die Ausdehnung eines pyramidal und hierarchisch organisierten
Staatsapparats in die horizontale Struktur der aufgeklärten Gelehrtenrepublik hinein, die Foucaults Konzept der Gouvernementalität
und ihrem Fortwirken in verschiedene Gesellschaftsbereiche hinein entspricht.
Letztere tangiert das Bildungswesen im gleichen Maße wie den Unterhaltungsbereich und wirkt sich entsprechend auf das regierungsnahe
32
Vgl. Vogl (2002: 61; 85). Ihm zufolge formiert sich im deutschen Kameralismus
das Ökonomische „nicht bloß als ein eigenes Gegenstandsfeld, sondern als eine Regierungsmentalität, in der sich Regierungswissen und politische Steuerung zu einer neuen
Einheit fügen“. Ähnliche Tendenzen prägen die wirtschaftliche Reformpolitik in Spanien. Zum Einfluss des deutschen Kameralismus auf die ökonomische Theoriebildung
des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. Lluch Martín, Ernest (2000): „El cameralismo en
España“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II:
De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 721-728. Deutsche
Kameralisten wie Jakob Friedrich von Bielfeld (1717-1770) und Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720-1771) legen den Schwerpunkt ihres reformökonomischen Denkens
deshalb auf steuerliche Maßnahmen, weil sie – wie die Bezeichnung ‚Kameralismus‘
nahelegt – in der königlichen Schatzkammer tätig sind. Vgl. Lluch Martín (2000: 723).
Ihre Ideen werden in Spanien hauptsächlich durch das Organ der Presse, allen voran
durch Francisco Mariano Nipho verbreitet, der u.a. Gründer der Zeitschrift Diario noticioso, curioso-erudito y comercial, público y económico (1758) ist. Vgl. MacLachlan (1991:
81). Als Übersetzer kameralistischer Schriften ins Spanische betätigt sich der spanische
Reformökonom Foronda, der sich für die liberalistischen Aspekte der Doktrin und
Bielfelds Kritik an Spanien und Portugal interessiert. Vgl. Lluch Martín (2000: 725f.).
94
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
neoklassische Theater und die sentimentale Komödie aus, die als Unterhaltungsformen ebenso wie als Mittel der ökonomischen Erziehung
und moralischen Belehrung fungieren.33
Das weite Feld der spanischen Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus in Spanien lässt sich in drei Bereiche gliedern: die
Konzept-, die Diskurs- und die Handlungsebene. Das für den spanischen Reformdiskurs zentrale Konzept der felicidad pública und seine
Verschränkung mit einer veränderten Wahrnehmung der Figur des
Souveräns behandelt der nächste Abschnitt. In Bezug auf die Diskursebene widmen wir uns sodann den unterschiedlichen Phasen und
Ausprägungen der ökonomischen Theoriebildung im 18. Jahrhundert
in Spanien: dem Arbitrismus, der Projektemacherei, den unterschiedlichen Etappen des Merkantilismus, die aufgrund ihrer verschiedenen
Ausprägungen hier als ‚Merkantilismen‘ bezeichnet werden, dem Einfluss der französischen Physiokratie, der zur Herausbildung des spanischen Agrarismus führt, und nicht zuletzt dem Liberalismus. Daran schließt sich die Darstellung der Handlungsebene an. In diesem
Zusammenhang fokussiert diese Studie exemplarisch die königlichen
Erlasse (Reales Cédulas) zur Erhöhung des Anteils der arbeitenden Bevölkerung. Überdies behandelt das Kapitel die Gründung von Institutionen zur theoretischen (Ökonomische Gesellschaften) und praktischen (Werksschulen) Wissensvermittlung, deren Ziel zum einen
die Verbesserung der Produktionsprozesse, zum anderen die volle
Ausschöpfung potenziell produktiver Teile der Bevölkerung ist. Die
Ökonomischen Gesellschaften und die Werksschulen sind mit dafür
ursächlich, dass der spanischen Aufklärung insgesamt, aber auch den
ökonomischen Diskursen, die sie hervorgebracht hat, heute ein einzigartiger Pragmatismus attestiert wird.34 Diese praktische Orientierung zeigt sich auch daran, dass die Schriften spanischer Reformökonomen des 18. Jahrhunderts stets die Interdependenz des von ihnen
untersuchten Sektors zu den anderen beiden Sektoren betrachten.
33
Damit steht das spanische Reformtheater des 18. Jahrhunderts nicht allein. Eine
Studie zum nach den Modellen Gottscheds und Lessings reformierten deutschen Theater als ‚pädagogischer Anstalt‘ hat Alexander Weinstock vorgelegt. Vgl. Weinstock,
Alexander (2019): Das Maß und die Nützlichkeit. Zum Verhältnis von Theater und Erziehung im 18. Jahrhundert. Bielefeld: transcript, insbesondere pp. 70-93.
34
Vgl. Bolufer Peruga (2016: 166), die den „gemäßigten und pragmatischen Charakter der spanischen Aufklärung“ betont.
3. Reformökonomische Diskurse
95
Dass beispielsweise der Ackerbau auch dann mitberücksichtigt werden muss, wenn der Handel und/oder die Industrie als Mittel zur
Abhilfe empfohlen werden, ist in der agrarischen Struktur Spaniens
begründet. Den letzten Teil dieses Abschnittes bildet die Darstellung
und Analyse dreier paradigmatischer Schriften der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts zu Ackerbau, Industrie und Handel, von denen die ersten beiden von Mitgliedern des Regierungsapparates verfasst worden sind: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria
(1794), Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la industria popular
(1774) und Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del
Comercio (1778). Relevant sind diese einführenden Darstellungen der
in Spanien im 18. Jahrhundert zirkulierenden Wirtschaftsdiskurse im
Hinblick auf die Frage nach ihrem Eingang in und ihrer medialen und
diskursiven Transformation durch das Medium des Theaters im Allgemeinen und die Form der sentimentalen Komödie der spanischen
Spätaufklärung im Besonderen.
3.1. Die Konzeptebene: Der Souverän als Manager der felicidad pública
Zwei Schlüsselbegriffe der europäischen Aufklärung tauchen auch im
Kontext der absolutistischen Reformpolitik der bourbonischen Herrscher immer wieder auf: der des „Gemeinwohls“, des bien común,
und der des „öffentlichen Glücks“, der felicidad pública. Schumpeter
zufolge wurzelt die felicidad pública konzeptuell im scholastischen
Verständnis des bien común, das der italienische Ökonom Antonio
Genovesi (1712-1769) für das 18. Jahrhundert aktualisiert und unter
der Bezeichnung felicità pubblica erneut in den Wirtschaftsdiskurs einbringt. Die aufklärerische Aktualisierung des scholastischen Konzepts
besteht darin, dass es ab 1780 eine Allianz mit einer „spezifisch utilitaristischen Glückseligkeit“35 eingeht. Ab diesem Moment werden
beide Konzepte, die felicidad pública und der bien común, nahezu synonym verwendet. Jovellanos definiert die felicidad pública in seinem
Discurso económico sobre los medios para promover la felicidad pública de
Asturias (1781) explizit nicht im moralischen Sinne („no [...] en sentido
35
Vgl. Schumpeter (2007: 216).
96
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
moral“36), sondern als „aquel estado de abundancia y comodidades
que debe procurar todo bien gobierno a sus ciudadanos“37. Während
die Rhetorik der spanischen Reformökonomie immer wieder betont,
dass das vorrangige Ziel die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage
der Nation zum Wohle aller sei, geht es doch im Grunde um die Auffüllung der chronisch leeren Staatskassen angesichts sinkender Einnahmen aus den kolonialen Edelmetallimporten und steigender Ausgaben für die Kriege mit Frankreich und England.38 Dies deutet sich
etwa bei Jovellanos an, wenn er zu dem Schluss kommt: „la nación
más rica será la más feliz“39. Öffentliches Glück ist also gleichbedeutend mit materiellem Reichtum, und wo es wohlhabende Untertanen
gibt, steigen die Einnahmen der Krone. Der Begriff der felicidad pública schließt seinerseits an das Konzept der riqueza de la nación, des nationalen Reichtums an, das seit den Anfängen des Merkantilismus im
16. Jahrhundert ebenso als Gegenkonzept wie als Heilmittel zur Verschuldung der spanischen Krone fungiert.40 Damit erweist sich die felicidad pública als eine Aktualisierung des merkantilistischen Konzepts
der riqueza de la nación durch die Politische Ökonomie der spanischen
Spätaufklärung, die Ocampo Suárez-Valdés zufolge ab ca. 1780 einsetzt. Auf der Ebene des ökonomischen Diskurses zeichnet sich die
ilustración tardía, die spanische Spätaufklärung, dadurch aus, dass das
Staatswissen als Instrument der Gouvernementalität dort zumindest
rhetorisch in den Dienst des öffentlichen Glücks gestellt wird.41 Wenn
also Jovellanos die Politische Ökonomie in seinem Elogio de Carlos III
(1788) als „verdadera ciencia que enseña a gobernar a los hombres
y hacerlos felices“42 bezeichnet, so tritt darin genau jene rhetorische
36
Vgl. Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008a): Discurso económico sobre los medios
de promover la felicidad de Asturias dirigido a su Real Sociedad por Don Gaspar de Jovellanos
(1781). In: idem. Obras completas, vol. X: Escritos económicos, eds. Vicent Llombart i
Rosa & Joaquín Ocampo Suárez-Valdés. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo
xviii, pp. 267-304, hier p. 279.
37
Vgl. Jovellanos (2008a: 279).
38
Vgl. Marcos Martín (2000: 711).
39
Jovellanos (2008a: 279).
40
Vgl. Marti (2012: 256).
41
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97).
42
Vgl. Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008b): Elogio de Carlos III, leído en la Real
Sociedad Económica de Madrid el día 8 de noviembre 1788. In: idem. Obras completas, vol.
X: Escritos económicos, ed. Vicent Llombart i Rosa & Joaquín Ocampo Suárez-Valdés.
Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii, pp. 659-667.
3. Reformökonomische Diskurse
97
Kopplung des öffentlichen Glücks an die bourbonischen Regierungstechniken hervor.
Indem staatliche Reformdiskurse die Individuen des Staates dazu
aufrufen, in Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht aktiv zur Mehrung des Gemeinwohls beizutragen, wird der einzelne Untertan zu
einer funktionalen Einheit innerhalb des staatlichen Systems. Die
Reformökonomen, die den Beitrag des Einzelnen zum Gemeinwohl
und seine produktive Funktion im Gesamtgefüge des Staates in ihren
Schriften immer wieder hervorheben, fungieren ihrerseits als sachkompetente Unterstützer der finanziellen Interessen des absolutistischen Herrschers, dessen Willen sie von den Staatssekretariaten bis
in die Lokalbehörden hineintragen. Der bourbonische Staat basiert
also wesentlich auf dem Stellvertreterprinzip: Leitende Beamte werden in ihren jeweiligen administrativen Organen, aber auch dann,
wenn sie öffentlich auftreten, zu Repräsentanten des Monarchen. Mit
dem Stellvertreterprinzip einher geht eine Säkularisierung der Figur
des Souveräns, die einer Profanisierung gleichkommt und durchaus
krisenhafte Züge aufweist. Im Laufe dieses Prozesses büßt der König seine unbestrittene Rolle als von Gott eingesetzter Herrscher ein,
als der er über eine quasi-göttliche Autorität verfügt. An die Stelle
dieser Autorität tritt das Leistungsprinzip, bemessen sich Ansehen
und Macht der Krone doch im 18. Jahrhundert zunehmend an ihrem
Vermögen, für das Wohl der Nation zu sorgen. Wenn der Souverän
und sein Staatsapparat also Handel, Industrie und Agrarwirtschaft
zu größeren Leistungen antreiben, um mit Hilfe der steigenden Wirtschaftsleistung die bestehenden Haushaltslöcher zu stopfen, leisten
sie damit überdies einer ‚Professionalisierung‘ und ‚Funktionalisierung‘ nicht nur des königlichen Verwaltungsapparates und der
königlichen Untertanen Vorschub, sondern auch der Krone selbst.43
Von einer Herrschergestalt, die der irdischen Sphäre gewissermaßen
enthoben ist,44 wird der Monarch selbst zum funktionalen Element
im Getriebe des Staates.45
43
Ganz ähnlich stellen sich die Motive der von Colbert vertretenen Doktrin des
Merkantilismus in Frankreich dar, deren Ziel es ist, „die wirtschaftliche Entwicklung
Frankreichs zu verbessern, um die königlichen Einkünfte zu erhöhen“. Gömmel/
Klump (1994: 54).
44
Ein Indiz für die seit dem Mittelalter bestehende, quasi-sakrale Position des
Monarchen im Staat ist die „Zweiheit“ des königlichen Körpers, die Kantorowicz
98
Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Bei Melchor Rafael de Macanaz (1670-1760), zunächst Intendant in
Aragón und später Generalstaatsanwalt im Consejo de Castilla, offenbart sich die besagte ‚Professionalisierung des Souveräns‘ in einem
Brief an Felipe V., in dem es heißt, die Hauptaufgabe des Monarchen
sei es, der oberste Kaufmann (comerciante principal) seiner Nation zu
sein.46 Dies ist nicht allein in dem Sinne zu verstehen, dass der Souverän als Leit- und Vorbild des Tertiärsektors fungieren soll. Vielmehr ist
die dem Monarchen zugewiesene Berufstätigkeit zugleich Ausdruck
einer Ökonomisierung der staatlichen Verwaltung durch die Gouvernementalität, die nach dem Bumerangprinzip zum Souverän zurückkehrt und dazu führt, dass sich seine Macht nun nach dem ökonomischen Gesichtspunkt seiner kaufmännischen Kompetenz bemisst. Für
diese verantwortlich ist MacLachlan zufolge eine „ideology based on
economic criteria“,47 die wiederum durch das Konzept des Selbstinteresses48 beeinflusst ist und ihren Höhepunkt mit Jovellanos‘ Informe
sobre la Ley Agraria (1795) erreicht.
Für diese Studie fruchtbar ist MacLachlans These, dass der Monarch ab Mitte des 18. Jahrhunderts von einer mystischen Instanz zum
Haupt eines ökonomisierten und damit durch und durch kaufmännisch orientierten Staatsapparates wird, insofern, als sie den Blick fort
von der oft postulierten Allmacht des absolutistischen Herrschers hin
zu dem Moment lenkt, in dem diese Macht brüchig zu werden beginnt. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist die aufklärerische Reformökonomie nicht allein Ausdruck des absolutistischen Willens,
den wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben, um im Wettstreit der
Mächte verlorenen Boden zurückzugewinnen, vielmehr zeugen die
Diskurse und Maßnahmen des bourbonischen Staates zugleich von
45
unter dem Konzept der „zwei Körper des Königs“ fasst. Da ist zum einen der politische (body politic), zum anderen der natürliche Körper (body natural) des Monarchen.
Während der natürliche Körper sterblich ist, erweist sich der politische als unsterblich.
Nichtsdestotrotz bilden beide „eine unteilbare Einheit“. Vgl. Kantorowicz, Ernst
(1990): Die zwei Körper des Königs. München: dtv, p. 37.
45
Vom Staat als einer Maschine spricht auch Francisco Romá i Rosell (1710-1784).
Vgl. idem (1768): Las señales de la felicidad de España, y medios de hacerlas eficaces. Madrid:
Antonio Muñóz del Valle, p. 58. Vgl. hierzu auch MacLachlan (1991: 75).
46
Vgl. MacLachlan (1991: 71) mit Bezug auf Macanaz, Melchor de (1787): „Auxilios
para bien gobernar una monarquía católica“. In: Semanario erudito, vol. 5, p. 235.
47
MacLachlan (1991: 86).
48
Vgl. Marti (2012: 269).
3. Reformökonomische Diskurse
99
einem Aktionismus, der offenbart, dass das Herrscherhaus durch eine
ökonomische Ideologie, die verstärkt die Leistung des Einzelnen für
den Staat einfordert, nun selbst unter den Druck dieser ökonomischen
Bringschuld gerät.
Ein anschauliches Beispiel für eine durch die Reformökonomie unwillentlich herbeigeführte Entmystifizierung der Figur des Souveräns
ist die Aufhebung der seit 1502 erhobenen tasa de granos im Sommer
1765. Zu den negativen Auswirkungen dieser Maßnahme zählt nicht
nur die bereits erwähnte Befeuerung der Spekulationspraxis, sondern
auch eine deutliche Verschlechterung der Lebensumstände weiter Teile der Bevölkerung, die Anes zufolge für den Ausbruch des motín de
Esquilache im Folgejahr ursächlich ist.49 Vor allem aber führt die Abschaffung der staatlichen Regulierung des Getreidepreises den Bruch
mit einer über zwei Jahrhunderte betriebenen Symbolpolitik herbei,
die über das Stellrädchen der Versorgung mit dem ‚täglichen Brot‘
eine soziale Hierarchie stabilisiert hatte, an deren Spitze der Monarch
als väterlich-wohlwollende, gottgleiche Instanz das Überleben seiner
Untertanen kontinuierlich sicherte:
Le monarque assure le pain quotidien de ses sujets, à l’image de Dieu:
„Donne-nous aujourd’hui notre pain quotidien.“ C’est un système de pouvoir paternaliste qui s’appuie sur cette institution de la taxe. [...] Le Roi est
un père omnipotent; on fait appel à sa bienveillance, à sa justice, à son aide
lorsque les prix flambent [...].50
Mit der Aufhebung der tasa im Zuge der aufklärerischen Reformökonomie büßt der Souverän seine hochsymbolische Funktion als
Statthalter des brotgebenden Gottes ein. Stattdessen sieht er sich mit
der Erwartungshaltung konfrontiert, möglichst gewinnbringend mit
dem symbolischen Kapital des Volkswohls zu haushalten, d.h. er
wird von einer existenzsichernden göttlichen Instanz zum Manager
49
Vgl. Anes, Gonzalo (1970): Las crisis agrarias en la España moderna. Madrid: Taurus,
pp. 351f. Auch die zwischen 1789 und 1790 in Barcelona ausbrechenden Unruhen, die
auf Katalanisch als „rebomboris del pa“ und im Spanischen als „alborotos del pan“
bezeichnet werden, sind auf die erhöhten Getreidepreise mit Steigerungen um 50 %
zurückzuführen. Vgl. hierzu Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123).
50
Marti, Marc (1997): Ville et campagne dans l’Espagne des Lumières (1747-1808). SaintÉtienne: Université de Saint-Étienne, p. 120.
100 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der felicidad pública degradiert.51 In den Schriften von Reformökonomen wie dem Grafen von Campomanes wird die Profanisierung und
Professionalisierung des Souveräns insofern ins Positive gewendet,
als dieser dort vom bloßen Verwalter der felicidad pública zum „Protagonisten“ öffentlichen Wohlstandes avanciert.52 Auch in den Schriften Floridablancas figuriert der König als „principal responsable de
la felicidad del país”53, was dem Monarchen mit der entsprechenden
Verantwortung auch die Gravität einer für das Kollektiv lebenserhaltenden Rolle zuweist.
Einen durch die wachsende Bedeutung des Ökonomischen ab der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeleiteten Säkularisierungsprozess beobachtet neben MacLachlan auch Marti, der daraus eine
zunehmende Entkopplung von (religiöser) Moral und (säkularer)
51
Castellano weist seinerseits darauf hin, dass die ökonomische Reformpolitik den
Bourbonen auch dazu dient, den Absolutismus als eine besonders rigide Form der
Monarchie zu legitimieren, da – wie Bernardo Ward in seinem Proyecto económico ausführt – die reformpolitischen Maßnahmen die ‚starke Hand‘ eines autoritären Monarchen erfordern. An diesem ‚Willen zur Macht‘ hatte es den Habsburgern Ward zufolge
gemangelt. Vgl. Castellano Castellano [sic], Luis (2000): „Bernardo Ward“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La Ilustración.
Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 185-201, hier p. 189 mit Bezug auf Ward, Bernardo
(1982 [1779]): Proyecto económico en que proponen varias providencias dirigidas a promover
los intereses de España, con los medios y fondos necesarios para su planificación, ed. J. L. Castellano. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 327. Marti betont im Gegensatz zu
MacLachlan, dass die Verbindung zwischen Monarchie und öffentlichem Wohl kein
Phänomen des 18. Jahrhunderts sei, sondern sich bereits im 16. Jahrhundert und in
Pedro de Ribadeneyras Tratado de la religión y virtudes que debe tener el príncipe cristiano
para gobernar y conservar sus estados (1595) manifestiere, das 1788 neu ediert wird. Ein
durch die bourbonische Politik herbeigeführtes Novum sei allerdings, wie Marti überzeugend darlegt, die reformökonomische Umdeutung des Begriffs der felicidad pública
zu einem säkularen Konzept. Marti identifiziert auch die zentrale Rolle, die etwa in
den Schriften Jovellanos‘ aufklärerischen Eliten wie den Mitgliedern der Sociedades Económicas de Amigos del País eingeräumt wird, als eine neue Entwicklung, die der reformökonomische Diskurs der spanischen Aufklärung herbeiführt. Vgl. Marti (2012: 267f.).
52
Vgl. Marti (2012: 266f.) mit Bezug auf Campomanes’ Discurso sobre la educación
popular de los artesanos y su fomento, Cap. XIX: „Campomanes hace del soberano el protagonista principal de la felicidad económica del país: ‚Tiene nuestra nación la fortuna,
que desde el ingreso al trono de la augusta casa de Borbón, han mejorado notablemente
las fábricas, y la felicidad pública.‘“
53
Marti (2012: 267) mit Bezug auf Floridablanca, José de (1952): Obras originales del
Conde de Floridablanca, y escritos referentes a su persona, ed. Antonio Ferrer del Río. In:
Biblioteca de autores españoles (BAE), vol. LIX. Madrid: Atlas, p. 7b.
3. Reformökonomische Diskurse
101
Ökonomie ableitet. War der Begriff der felicidad seit dem 13. Jahrhundert vor allem religiös konnotiert, wird er mit dem Aufkommen der
Politischen Ökonomie in Spanien ab 1750 zunehmend säkularisiert
und schließlich zum Synonym für wirtschaftliches Gedeihen im Sinne von Wohlstand (prosperidad).54 Das führt dazu, dass das Konzept
der prosperidad pública ab den 1780er Jahren das der felicidad pública
ablöst. Damit ist zugleich die Entkopplung des Wohlstands vom zuvor religiös konnotierten Begriff der felicidad vollzogen. Hatte die mittelalterliche Scholastik, so auch die Schule von Salamanca, versucht,
Wirtschaft im Sinne von Reichtum mit der christlichen Moral in Einklang zu bringen,55 fallen im Zuge der Politischen Ökonomie des 18.
Jahrhunderts religiöse und ökonomische Moral auseinander.56 In den
in dieser Studie angestellten Textanalysen gilt es zu prüfen, ob sentimentale Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung diese Tendenz
fortschreiben oder ob sie stattdessen an die scholastisch-katholische
Tradition anknüpfen und versuchten, Moral, Ökonomie und Religion
wieder aneinander zu koppeln, um so an den Katholizismus als eine
in der spanischen Alltagskultur tief verwurzelte Praxis anzuschließen,
was es erleichtern würde, die dem Geiste der Aufklärung entsprungenen ‚neuen‘ Ideen einem tendenziell konservativen und sich mit der
spanischen Volkskultur identifizierendem Publikum schmackhaft zu
machen.
Im Zuge der von MacLachlan skizzierten und das Königtum unter Druck setzenden „ökonomischen Ideologie“, die durch die Krone selbst initiiert und von den seit 1711 agierenden Intendanten57 des
Staates verbreitet wird, kommt dem Staatshaushalt eine entscheidende Rolle zu, wird er doch zum Indikator eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts in allen Bereichen: Geringe Staatseinkünfte stehen
hohen Ausgaben gegenüber; die Außenhandelsbilanz ist durch einen
Überhang der Importe gegenüber den Exporten defizitär; eine erhöhte Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Gütern kann durch die
54
Vgl. Marti (2012: 255).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 95).
56
Vgl. Marti (2012: 261). Auf den Umstand, dass das ökonomische Denken im 18.
Jahrhundert in Spanien Gefahr läuft, mit den Vorgaben und Institutionen der Religion
im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen in Konflikt zu geraten,
verweist auch Witthaus (2012: 268).
57
Ihnen obliegt es, den Willen des Königs (im Sinne seiner Politischen Ökonomie)
in den Provinzen um- und durchzusetzen. Vgl. Pérez Sarrión (2012: 237).
55
102 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
geringe landwirtschaftliche und industrielle Produktion nicht gedeckt
werden. Literarisch und in der Gattung der sentimentalen Komödie
manifestiert sich dieser aus den Fugen geratene Haushalt im Topos
der domus perversa, des auf den Kopf gestellten Hauses, während das
Ungleichgewicht durch die geometrische Figur des Dreiecks metaphorisiert wird, die für die Komödie gattungsprägend ist und auf der
Ebene der Figurenkonstellationen zum Tragen kommt. Die klassische
Figur eines triangulären Ungleichgewichts entsteht dann, wenn – das
ist der in der Literaturgeschichte mithin am häufigsten anzutreffende
Fall – zwei Männer um eine Frau konkurrieren und in diesem ménage
à trois einer von beiden ‚zu viel‘ ist.58
Für die spanische Spätaufklärung erweist sich die felicidad pública
als das Rettung verheißende Schlüsselkonzept, mit dessen Hilfe die
bourbonische Reformökonomie die paradoxale Rolle des Monarchen
als Herrscher und Manager auf diskursiver Ebene aufzulösen versucht: Dient das öffentliche Glück dem Souverän einerseits als Argument, die geplanten Reformen unter Verweis auf das Volkswohl voranzutreiben, gibt die Krone damit andererseits den ‚schwarzen Peter‘
dieser neu gewonnenen Verantwortung für den öffentlichen Wohlstand wieder an das Volk zurück. Es gilt nicht nur die Devise, dass
jeder seines Glückes Schmied ist, sondern auch, dass sich der Einzelne
in patriotischer Dienstbarkeit als Schmied am opus magnum des nationalen Glücks beteiligen müsse, wenn das von der Krone präsentierte
Ziel der Reformökonomie – der Wohlstand aller – erreicht werden solle. Mit dem Konzept der felicidad pública geht also die Behauptung einer säkularen Reziprozitätsbeziehung zwischen Herrscher und StaatsbürgerInnen einher, in der der Souverän das Glück seiner Untertanen
zwar verwaltet, aber nicht mehr verantwortet.
3.2. Die Diskursebene: Phasen, Einflüsse, Strömungen
Die Diskurse der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts
lassen sich mit Ocampo Valdés-Suárez in drei Phasen einteilen, von
denen jede durch ein konkretes Problem umgetrieben wird und sich
58
Zur Dreiecksstruktur spanischer Komödien ab 1750 im Vergleich zur Vierecksstruktur der eher spielerisch angelegten Komödien eines Marivaux vgl. Schuchardt
(2016).
3. Reformökonomische Diskurse
103
durch eine bestimmte Herangehensweise an die ökonomischen Herausforderungen ihrer Zeit auszeichnet.59 Die erste Phase, deren Leitfigur Jerónimo de Uztáriz (1670-1732) ist, reicht von 1700 bis 1760. In ihr
sind die Projektemacherei (proyectismo) sowie der Früh- und Spätmerkantilismus zu verorten. Hier ist die dem Geiste Colberts verpflichtete Überzeugung vorherrschend, dass die heimische Wirtschaft durch
protektionistische staatliche Maßnahmen geschützt und gestärkt werden muss. Paradigmatisch für den Einfluss Colberts ist Gerónimo de
Uztáriz Theórica, y Práctica de Comercio, y de Marina (1724).60 Als geeignete Stellschrauben erscheinen diesem Autor legislative Maßnahmen
in den Bereichen der Besteuerung, des Außenhandels und der kolonialen Rohstoffförderung. Weitere Vertreter dieser Generation von
Ökonomen sind Campillo y Cossio, Gándara und Bernardo de Ulloa
(1682-1740).
Die zweite Phase, die von 1760-1780 reicht, und für die paradigmatisch die Texte Campomanes‘ stehen, markiert den Beginn der Politischen Ökonomie in Spanien, der aus der Rezeption ökonomischer
Schriften ausländischer Autoren wie Sir William Petty (1623-1687),
Vincent de Gournay (1712-1759), Honoré Gabriel de Riqueti, Comte
Mirabeau (1749-1791), Richard Cantillon (1680-1734), Anne Robert
Jacques Turgot (1727-1781) und französischer Enzyklopädisten wie Denis Diderot (1713-1784) oder Jean-Baptiste le Rond, genannt D’Alembert (1717-1783), resultiert. Neue Konzepte wie das Naturrecht oder
das Selbstinteresse halten Einzug in den ökonomischen Diskurs, was
zu einer Abkehr von der merkantilistischen Regulierungswut und zu
der Überzeugung führt, dass das ökonomische Heil der Nation vielmehr in der Liberalisierung zu suchen sei. Entsprechend groß ist die
Skepsis gegenüber Instanzen, die – wie etwa die Zünfte – für Traditionen stehen. Auch Privilegien und Monopolstellungen, z.B. denen
der Seehäfen Cádiz und Sevilla, begegnen die Vertreter dieser Gruppe
von Ökonomen mit Misstrauen. Gleiches gilt für gesetzliche Eingriffe
in Preise und Märkte. Verfasser ökonomischer Traktate, die in diese
59
Für alle vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97f.).
Vgl. hierzu, insbesondere hinsichtlich des Bezuges der Theórica auf den Handel
mit den Kolonien, Bitar Letayf (1968: 75ff.). Vgl. außerdem Grice-Hutchinson (1978:
160ff.) und Witthaus (2012: 267).
60
104 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Phase fallen, sind Nicolás de Arriquíbar61 (1714-1779), Olavide, Enrique Ramos62 (1738-1801), Bernardo Ward, von dem nur das Todesjahr
(1779) bekannt ist, und Romá i Rosell.
Die dritte und letzte Phase reformökonomischer Theoriebildung
in Spanien, die Spätaufklärung (Ilustración tardía), setzt 1780 ein und
reicht bis weit in das 19. Jahrhundert (ca. 1830). Für sie paradigmatisch
sind die Texte Jovellanos‘, aber auch die Schriften Forondas, des Conde de Cabarrús (1752-1810) und Antonio Alcalá Galianos (1798-1865).
In dieser Phase erfolgt die Konsolidierung der Politischen Ökonomie
durch das Konzept des in erster Linie männlich gedachten ‚Staatsbürgers‘: Dieser steht deshalb notwendigerweise im Dienst der felicidad
pública, weil er seinem Selbstinteresse und damit seinem freien Willen folgt. In dieser letzten Phase, in der sich liberalistische, vereinzelt
auch radikal-liberale Überzeugungen finden, werden nicht nur die
Traktate französischer Physiokraten wie u.a. François Quesnay (16941774) rezipiert, sondern auch Schriften zu Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus Italien (u.a. Antonio Genovesi, 1712-176963; Gaetano Filangieri, 1752-1788), aus der Schweiz (Jacques Necker, 1732-1804), aus
Deutschland (u.a. Bielfeld) sowie aus dem anglophonen Raum (u.a.
Smith; Hume; Francis Hutcheson, 1694-1746).
Was den Topos der decadencia española anbelangt, herrschen unter
den zeitgenössischen Ökonomen zweierlei Haltungen vor: Während
die erste Generation der spanischen Reformökonomen des 18. Jahrhunderts die Dekadenzthese unter Zuhilfenahme der Statistik und
Arithmetik genauer analysiert und teils kritisch revidiert, leistet die
zweite eine Reformulierung der Dekadenzthese, die nun unter dem Topos der spanischen Rückständigkeit gegenüber anderen Großmächten
61
Zu Arriquíbar, der selbst dem Kaufmannsstand angehört, vgl. auch Elorza (1970:
52ff.).
62
Für Elorza (1970: 48) hingegen erweist sich Ramos, der 1760 unter dem Pseudonym Antonio Muñoz seinen Discurso sobre economía política bei Joaquín Ibarra in
Madrid veröffentlicht, als ein später Merkantilist. Im Gegensatz zu Gándara plädiert
Ramos nicht für die wirtschaftliche Autarkie Spaniens, sondern für die Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen mit anderen Staaten, vgl. ibid. Ramos ist stark von Cantillons Essai sur la nature du commerce en général (1755) beeinflusst, plädieren doch beide
dafür, dass das Verhältnis zwischen den produzierten Gütern und dem im Umlauf
befindlichen Geld ausgeglichen sein müsse. Vgl. Elorza (1979: 49f.). Zudem finden sich
in Ramos‘ Werk physiokratische Einflüsse. Vgl. Elorza (1979: 51).
63
Zu Genovesi vgl. Gittermann (2008: 188-202).
3. Reformökonomische Diskurse
105
weiterlebt. Reformökonomen wie Campomanes entwickeln ihre reformtheoretischen Modelle aus dem Krisendiskurs heraus, der ihnen
als Antrieb zur Entwicklung wirtschaftsfördernder Konzepte und Institutionen dient, darunter die Sociedades económicas und die Werksschulen. Jovellanos hingegen versucht in seinem Informe sobre la Ley
Agraria (1795) bewusst mit der Dekadenzthese zu brechen,64 die durch
die Vertreter des frühen Merkantilismus begründet worden war. In
diesem Zusammenhang muss allerdings eingeräumt werden, dass
auch frühe Merkantilisten wie Luis Ortiz, Martín Gonzales de Cellorigo, Sancho de Moncada oder Pedro Fernández de Navarrete bemüht
sind, nicht in der Klage über den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens zu verharren, sondern konkrete Vorschläge zu unterbreiten, um
der negativen Entwicklung Einhalt zu gebieten.65
Inwieweit die Rede von der wirtschaftlichen Krise insbesondere
der Presse des spanischen 18. Jahrhunderts – allen voran der Gattung
der nach dem Vorbild der englischen Spectators modellierten Moralischen Wochenschriften (prensa moral) – als „récit fondateur“66 und
Legitimation der eigenen Existenz dient, hat Christian von Tschilschke
untersucht. Die spanischen Spectatores belassen es nicht dabei, die Krise nur zu konstatieren, vielmehr empfehlen sie sich selbst als Mittel zur
Abhilfe.67 Bezeichnend ist dabei die Art und Weise, in der der Begriff
64
Vgl. Jovellanos (1998: 233). Im Namen der Matritense, der Ökonomischen Gesellschaft von Madrid, räumt Jovellanos hier einerseits ein, dass die spanische Landwirtschaft dringend einer Reform, insbesondere der sie betreffenden Gesetzgebung,
bedürfe. Zugleich spricht er sich gegen die Dekadenzthese aus: „La Sociedad, Señor,
más convencida que nadie de lo mucho que falta a la agricultura española para llegar al
grado de prosperidad a que puede ser levantada, [...] lo está también de la notoria equivocación con que se asiente a una decadencia que, a ser cierta, supondría la caída de
nuestro cultivo desde un estado próspero y floreciente a otro de atraso y desaliento.“
65
Vgl. Perdices Blas, Luis (1999): „El florecimiento de la economía aplicada en
España: arbitristas y proyectistas“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 451-497, hier p. 459.
66
Tschilschke, Christian von (2012a): „Conscience de crise et ‚proyectismo‘ dans
les ‚spectateurs‘ espagnols“. In: Ertler, Klaus-Dieter/Lévrier, Alexis/Fischer, Michaela
(eds.). Regards sur les ‚spectateurs‘. Periodical Essay – Feuilles volantes – Moralische Wochenschriften – Fogli moralistici – Prensa moral. New York et al.: Lang, pp. 197-211, hier
p. 202.
67
Vgl. Tschilschke (2012a: 202). Die Krankheitsmetapher und die Selbstempfehlung
der Presse als Arzt der patria sind auch in Graefs Discursos mercuriales sowie in Feijoos
106 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der ‚Krise‘ in seiner ursprünglichen medizinischen Bedeutung, nämlich als Wende zur Heilung oder zum Tod, metaphorisch zum Einsatz
kommt: In den Moralischen Wochenschriften ist die Rede von Spanien
als einem Patienten, den es von einer Krankheit – der Rückständigkeit
– zu heilen gilt.68 Die These von der Rückständigkeit Spaniens verbreiten im europäischen 18. Jahrhundert vor allem französische Spanienreisende und Aufklärer, die philosophes, die in diesem Zusammenhang
die frühneuzeitliche leyenda negra wiederbeleben.69 Die spanischen
Repliken lassen auch auf reformökonomischer Ebene nicht lange auf
sich warten: Begegnen die Einen den französischen Invektiven, indem
sie konkrete Vorschläge für Maßnahmen gegen die von Fremden wie
Einheimischen beklagte schlechte Infrastruktur unterbreiten, bekennen sich die Anderen, darunter Gándara in seinen Apuntes sobre el bien
y mal de España (1762), offen zum „atraso cultural“70 Spaniens, freilich
nicht ohne in patriotischer Manier die vielen Vorzüge des Vaterlandes
zu benennen. Ähnlich verfährt Campomanes: In seinem Discurso sobre
el fomento de la industria popular (1774) greift er die Vorurteile auf, die
Teatro crítico universal und im Diario de los literatos de España vorhanden. Vgl. hierzu
Witthaus (2012: 284ff.): „Ein angemessener allegorischer Ausdruck dieser Zusammenhänge findet sich [bei Graef] im Motiv der Krankheit des Vaterlandes, das es dem Kritiker erlaubt, sich durch die traditionellen semantischen Überschneidungen der Kritik
mit dem medizinischen Vokabular als Arzt zu präsentieren, der die Mittel zur Heilung
der spanischen Nation bereitzustellen vermag.“
68
Vgl. López-Cordón Cortezo (2015: 26) sowie Tschilschke (2012a: 200ff.).
69
Zu den französischen Invektiven und ihren spanischen Repliken vgl. Gelz, Andreas
(2022): „The Nation as Economic Agent in Spanish Eighteenth-Century Apologetic
Texts“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of
Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs,
Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 85-102; Tschilschke (2009); Floeck, Wilfried
(1981): „Das Spanienbild der französischen Aufklärer und seine Auswirkungen auf
die spanische Ilustración“. In: Iberoromania 13, pp. 62-95; Tietz, Manfred (1980): „Das
französische Spanienbild zwischen Aufklärung und Romantik: Inhalte, Funktionen
und Repliken“. In: Komparatistische Hefte, 2, pp. 25-41. Die Leitfigur der französischen
Sticheleien ist Nicolas Masson de Morvilliers mit seiner provokanten Frage nach dem
Beitrag Spaniens zur europäischen Aufklärung („Que doit-on à l’Espagne?“)“, den er
in dem Artikel „L’Espagne“ seiner Encyclopédie méthodique (1782) formuliert. Vgl. dazu
Tschilschke (2009: 59). Auch Montesquieu stimmt im 78. Brief seiner Lettres persanes in
die Invektiven gegen Spanien ein. Darauf antwortet Cadalso mit seiner Defensa de la
nación española (1768/1771). Vgl. Tschilschke (2009: 185ff.).
70
Vgl. Elorza, Antonio (1970): La ideología liberal en la Ilustración española. Madrid:
Tecnos, p. 43.
3. Reformökonomische Diskurse
107
im europäischen Ausland über Spanien kursieren, etwa die den Spaniern nachgesagte Trägheit71 oder den Topos von Spanien als dem ‚Afrika Europas‘. Diesen verbindet der Minister mit der merkantilistischen
Thematik der passiven Handelsbilanz Spaniens, in der die Importe die
Exporte überwiegen. Campomanes führt aus, dass das Ausland die
Überschüsse seiner landwirtschaftlichen Produktion in Spanien absetze.72 Wie Gándara benennt auch Campomanes die Rückständigkeit
Spaniens, wenn er explizit vom „gran atraso“73 seines Heimatlandes
spricht. Noch im selben Satz unterbreitet er jedoch einen Vorschlag
zur Abhilfe: die staatliche Förderung einer „industria bien establecida“74. So schlägt Campomanes die Brücke zur Politischen Ökonomie,
die er als Allheilmittel gegen die spanischen Gebrechen präsentiert.
3.2.1. Vom arbitrismo zum proyectismo
Nicht nur der ökonomische Reformdiskurs des 18. Jahrhunderts, sondern das konzeptuelle Gerüst der spanischen Aufklärung insgesamt,
fußt auf dem arbitrismo des 16. und 17. Jahrhunderts, der seinerseits
bereits eine „ökonomische und politische Reformbewegung“75 ist und
den Grundstein für das merkantilistische Denken in Spanien legt. Vor
diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass viele der in diesem Abschnitt genannten Arbitristen später als prominente Vertreter des frühen Merkantilismus figurieren. Der Begriff arbitrista bezeichnet einen
intellektuellen Typus, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich den
ökonomischen Herausforderungen, mit denen Spanien im 16. und 17.
Jahrhundert zu kämpfen hat, auf eine bestimmte Art und Weise nähert. Mit dem arbitrismo genealogisch verwandt ist der proyectismo, d.i.
die Projektemacherei des 18. Jahrhunderts. Arbitristas und proyectistas
71
Vgl. Campomanes (1975: 52): „[...] que los Españoles son perezosos.”
Vgl. Campomanes (1975: 79f.): „[...] las Naciones confinantes de Europa donde
se escribe de estas materias Las de África ganan sobre nuestra balanza las sumas que
reciben por el sobrante de su agricultura que nos venden.” Zum Topos von Spanien als
dem ‚Afrika Europas‘, das durch französische Schriftsteller und Aufklärer von Charles
de Saint-Évrement (1610-1703) bis hin zu Voltaire in seinem Essai sur les mœurs et l’esprit
des nations (1756) verbreitet worden war, vgl. Tschilschke (2009: 80ff.).
73
Vgl. Campomanes (1975: 79).
74
Vgl. Campomanes (1975: 79).
75
Vgl. Bolufer Peruga (2016: 166).
72
108 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
entwerfen in ihrem Versuch, den Schwächen der spanischen Wirtschaft
beizukommen, ein ähnliches Programm, das sich aus drei Aspekten
zusammensetzt: a) die (zahlenmäßige) Stärkung der Bevölkerung, b)
die Förderung der produzierenden Sektoren Ackerbau und Manufakturwesen und c) die Stabilisierung der Kronfinanzen.76 Während
der arbitrista nach kurzfristig wirksamen Mitteln zu Bekämpfung des
wirtschaftlichen Niedergangs sucht, hat der proyectista, der zumeist
ein Verwaltungsbeamter im Dienste der Krone ist, Zugang zu einer
Fülle von Daten über das sich ihm stellende Problem, weshalb seine
Lösungsansätze mehrschrittig und auf lange Sicht gedacht sind.77
Von der Warte der literarischen Erzeugnisse des 17. und 18. Jahrhunderts aus betrachtet, sind sowohl der arbitrista als auch der proyectista Verkörperungen des Scheiterns der ökonomischen Theorie an der
wirtschaftlichen Praxis, werden doch die meisten der arbitristischen
Schiedssprüche (arbitrios) ebenso wie die Mehrzahl der entworfenen
Projekte (proyectos) dem Anspruch, probate Mittel gegen das Darniederliegen der spanischen Ökonomie zu sein, nicht gerecht. Als eine
grundsätzliche Crux des Arbitrismus führt etwa MacLachlan dessen
Unvermögen an, verschiedene Problemfelder in ihrer Interdependenz
zu erkennen. Stattdessen konzentrieren sich die Arbitristen auf ein,
maximal zwei ökonomische Aspekte, die sie jeweils isoliert betrachten.78 Dass viele arbitristische Empfehlungen mit den realen historischen und ökonomischen Gegebenheiten unvereinbar sind, hat zur
Folge, dass der arbitrista in der Wahrnehmung seiner Zeitgenossen
eine lächerliche Figur ist, was seine literarische Ausgestaltung als Zielscheibe der Satire etwa bei Cervantes nach sich zieht:
Novelists and dramatists portray the projector79 as an elderly, dowdy, pretentious bore and busybody, at once a failure and a menace. Above all, he
is that stock figure of fun, an intellectual, so deeply absorbed in his frantic
76
Vgl. Perdices Blas (1999: 487).
Vgl. Perdices Blas (1999: 460).
78
Als Ausnahme von dieser Regel führt MacLachlan, vgl. (1991: 68), Miguel Álvarez de Osorio an, der zwar der Strömung des Merkantilismus zugerechnet wird (s.u.),
in Bezug auf seine Ansichten zu staatlichen Interventionen aber deutlich über diesen
hinausgeht.
79
Wenn hier vom „projector“ die Rede ist, meint Grice-Hutchinson (1978: 139) tatsächlich den arbitrista. Sie begründet dies damit, dass „projector“ der von den meisten
englischen ÜbersetzerInnen bevorzugte Begriff für das spanische Wort „arbitrista“ sei.
77
3. Reformökonomische Diskurse
109
scribblings that he is capable of putting out his own eye with a goose-quill,
almost without noticing the fact.80
Die Lächerlichkeit des Arbitristen wird durch das dem Begriff zugrunde liegende Lexem „arbitrio“ fundiert, das sich aus dem lateinischen Substantiv ‚arbitrium‘ (‚Wille‘, aber auch ‚Willkür‘) herleitet,
im damaligen Spanisch so viel wie ‚Rat‘, ‚Meinung‘ oder ‚Maßnahme‘ bedeutet,81 später aber zum Synonym für absurde und lächerliche Vorschläge wird.82 Zu einem ähnlich angelegten satirischen Typus
mutiert auch der Projektemacher: Auch die von ihm vorgeschlagenen
Mittel zur Krisenbewältigung sind oft nicht realisierbar, nicht immer
zeugen sie von Sachverstand der Ideengeber, was sich insbesondere
im Bereich des Ackerbaus niederschlägt.83 Daher bleibt es auch dem
proyectista des 18. Jahrhunderts nicht erspart, zur Zielscheibe literarischer Spötteleien zu werden, etwa in Luciano Comellas Saynete nuevo: El alcalde proyectista (1800-1815). Bezeichnenderweise ist der titelgebende projektemachende Bürgermeister des Stückes nicht etwa ein
aufgeklärter Reformökonom, sondern er repräsentiert die durch die
Reformökonomie verurteilte unaufgeklärte, sprunghafte und unreflektierte Geisteshaltung.84
80
Grice-Hutchinson (1978: 139f.). Ihr zufolge ist der Figurentypus des lächerlichen
Arbitristen auf Cervantes‘ El Coloquio de los Perros (1613) zurückzuführen. Cervantes
führt seine Satire in den Novelas ejemplares (1613) sowie im zweiten Band des Quijote,
Kap. I (1615) fort. Mehr Beispiele für satirische Darstellungen des Arbitristen liefert
Vilar Berrogain, Jean (1973): Literatura y economía. La figura satírica del arbitrista en el Siglo
de Oro. Madrid: Selecta de Revista de Occidente. Zur Figur des arbitrista vgl. auch Fuente Merás, Manuel de la (2005): „Una aproximación a los ‚arbitristas‘ del siglo xvii desde
la teoría de las tres capas del poder político“. In: El Catoblepas. Revista crítica del presente,
35, p. 9. Quelle: https://www.nodulo.org/ec/2005/n035p09.htm, Zugriff: 03.03.22.
81
Vgl. Grice-Hutchinson (1978: 139).
82
Perdices Blas (1999: 458). Vgl. auch Tschilschke (2012a: 203): „Le sens originel
de ‚arbitrio‘ [...] a vite pris un ton le plus souvent dépréciatif, satirique, dénonçant le
caractère impraticable et chimérique de la plupart des projets.“
83
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 102).
84
Vgl. Comella, Luciano (o.J.): El alcalde proyectista. Ohne Orts- und Verlagsangabe.
Quelle: http://www.cervantesvirtual.com/obra/saynete-nuevo-el-alcalde-proyectista,
Zugriff: 20.05.2022. Der titelgebende Projektemacher in diesem Stück ist der zweite
Bürgermeister („Alcalde 2“) einer kleinen Ortschaft. Er steht als Pars pro Toto für diejenigen, die sich unreflektiert von den neuesten Moden leiten lassen. Die Arbeit ebenso
wie den Kirchgang befindet er für überflüssig. Stattdessen beruft der proyectista falsche Gelehrte, modische Gecken, italienische Sängerinnen, Friseure und Modisten zu
110 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Auf der Ebene der historisch verbürgten Projektisten des 18. Jahrhunderts ist neben Ward und seinem Proyecto económico (1765)85, in dem
die Bedeutung des Geldes als Instrument der Warenzirkulation und
des Kredits hervorgehoben wird,86 der Abate de Gándara zu nennen,
der ein ausgewiesener Kenner der französischen Aufklärungsliteratur
und im Besitz zahlreicher von der Inquisition verbotener Bücher ist.87
Ward wird uns im Folgenden als Vertreter des Spätmerkantilismus
wiederbegegnen, und auch sein Beispiel zeigt, dass die Bezeichnung
„Projektismus“ zwar eine bestimmte Methodik, jedoch nicht notwendigerweise eine einheitliche doktrinäre Ausrichtung meint. Was Gándara anbelangt, bezieht dieser einen Großteil seines Wissens teils aus
französischen Quellen, darunter die Schriften Colberts und Jean François Melons (1675-1738), aber auch von spanischen Arbitristen des 17.
Jahrhunderts wie Luis Ortiz, Sancho de Moncada und Fernández de
Navarrete. Zu den zeitgenössischen Referenzen des Abtes zählen Jerónimo de Uztáriz und Bernardo de Ulloa.88 Der wiederholt anzutreffende Bezug spanischer Projektisten der Ilustración auf die Arbitristen
des vorausgehenden Jahrhunderts bietet Anlass, den proyectismo des
18. Jahrhunderts als eine aufklärerische Aktualisierung des arbitrismo
des 17. Jahrhunderts zu begreifen.89
Dass unter den Projektemachern viele Kronbeamte und Minister
zu finden sind, zeigt nicht nur, dass ein florierendes wirtschaftliches
System zunehmend als Staatsaufgabe wahrgenommen wird, sondern
LehrmeisterInnen für die Dörfler. Sein Gegenspieler, der „Alcalde 1“, der mit dieser
Nummerierung zugleich als der Vernünftige und Überlegene ausgewiesen wird, ruft
den Projektemacher zur Ordnung. Wenn der erste Bürgermeister die Frauen ermutigt,
sich daheim in der Textilproduktion zu betätigen, und die Männer anleitet, sich besser
bei der Feldarbeit zu verausgaben als in der Taverne dem Müßiggang zu frönen, erweist er sich als leuchtendes Beispiel reformökonomischen Denkens und Handelns.
85
Vgl. Ward, Bernardo (1982 [1779]): Proyecto económico en que proponen varias providencias dirigidas a promover los intereses de España, con los medios y fondos necesarios para su
planificación, ed. de Juan Luis Castellano. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales.
86
Vgl. MacLachlan (1991: 75).
87
Vgl. Macías Delgado, Jacinta (1988): „La cultura de un ‚proyectista‘ del siglo xviii“. In: Moneda y crédito. Revista de economía, 185, pp. 39-59.
88
Vgl. Macías Delgado (1988: 40).
89
Ähnliches formuliert Tschilschke, vgl. (2012a: 203): „Mais il convient de rappeler
qu’ils [les projecteurs] prennent la relève du tandem antérieur de ‚arbitrio‘ et ‚arbitrista‘, profondément ancré dans l’Espagne des Habsbourg, au moins depuis la fin du xvie
siècle.“
3. Reformökonomische Diskurse
111
auch, dass der mit der Reformökonomie verbundene Aktionismus,
der sich u.a. in einer großen Anzahl königlicher Erlasse (span.: „Reales
Cédulas“) niederschlägt, mehr und mehr der Selbstlegitimation des
absolutistischen Staates dient. Tschilschke zufolge ist der proyectismo
des 18. Jahrhunderts sowohl ein Ausdruck für als auch eine Maßnahme gegen ein Krisenbewusstsein, das in Moralischen Wochenschriften
wie dem Pensador und dem Censor zum Ausdruck kommt, d.h. in aufklärerischen Periodika, in deren Redaktionen Staatsbedienstete wie Jovellanos aktiv sind.90 Diese Interdependenz zwischen administrativer
Struktur und ökonomischer Theorie erklärt den Umstand, dass weder
der Arbitrismus des 17. Jahrhunderts noch die Projektemacherei des
18. die bestehende soziale Ordnung in Frage stellen, und dies, obwohl
sie die in Spanien bestehenden Missstände durchaus benennen, sei es
die weit verbreitete Armut und die Beschäftigungslosigkeit der unteren Schichten, sei es die Untätigkeit des Adels am oberen Ende der
Gesellschaft.91
Gerade weil die agrarischen Besitzverhältnisse im absolutistischen
Staat so unabänderlich feststehen, gerät das rurale und urbane Manufakturwesen als scheinbar leichter zu verändernder Wirtschaftssektor
in den Fokus der Reformökonomen.92 Davon zeugen mehrere Schriften des Conde de Campomanes, etwa sein Discurso sobre la industria
popular (1774) und sein Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775).93 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erscheinen die
Neuauflagen der Werke spanischer Arbitristen von Sancho de Moncada (1746) über Miguel Caxa de Leruela (1773) bis hin zu Martín
Fernández de Navarrete (1792; 1805). Auch hier erweist sich Campomanes als federführend, wenn er arbitristische Schriften der Vertreter
der so genannten „Gruppe von Toledo“94 um Moncada, Olivares und
90
Vgl. Tschilschke (2012a).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 102).
92
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103).
93
Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103). Fuente Merás, vgl. (2005: 9), konstatiert Ähnliches in Bezug auf Campomanes‘ vierbändigen Apéndice a la educación popular (17751777).
94
Für eine Definition dieser sich aus Theoretikern und Praktikern zusammensetzenden Gruppe vgl. Perdices Blas (1997: 41f.): „El ‚grupo de Toledo‘ es un conjunto de
universitarios, comerciantes y empleados de la administración local que escribieron en
esa ciudad con la intención de proponer medidas contra la decadencia de la industria
local, en particular de la segoviana, la manchega y la toledana.“ Als weitere Vertreter
91
112 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
González de Cellorigo im Anhang seines Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento neu ediert.95 Die Toledaner Arbitristen
hatten sich mit Themen wie der Inflation aufgrund von Edelmetallimporten, dem Bevölkerungsschwund, den Herausforderungen des
Ackerbaus angesichts hoher Abgaben sowie mit den Privilegien der
Mesta und dem Brachliegen der einheimischen Produktion von Waren
und Gütern befasst.96 Sie bringen die geringe Produktivität der verarbeitenden Gewerbe mit der seit dem Mittelalter bestehenden und sich
auch im 18. Jahrhundert fortsetzenden gesellschaftlichen Ächtung der
arbeitenden Schichten in unmittelbaren Zusammenhang (vgl. Kap.
7.1), die wiederum der Untätigkeit weiter Teile des landbesitzenden
Adels gegenübersteht. Den Fokus, den diese Gruppe von Ökonomen
auf den Sekundärsektor richtet, veranlasst Perdices Blas, ihnen einen
frühen ‚Industrialismus‘97 zu attestieren, da ihre Schriften von der Erkenntnis geleitet seien, dass Produktivität allein zu Reichtum führe.
Die Einnahmen aus den Edelmetallimporten hingegen brächten einen
nur scheinbaren Wohlstand, weil es Frankreich, Flandern, Holland
und England seien, die letzten Endes von diesen Importen profitierten, jene Länder also, in denen Rohware aus Spanien und seinen Kolonien verarbeitet und dann zu hohen Preisen wieder nach Spanien
eingeführt werde. Gleiches gelte für die italienische Seidenproduktion
in Genua und Venedig, Städte, die zugleich bedeutende Handelsplätze für diese Produkte seien.98 González de Cellorigo etwa beklagt 1618
die „flojedad de los nuestros y la sobrada diligencia de los extranjeros,
dieser Gruppe nennt er García Herrera y Contreras, Baltasar de Medinilla, Alonso und
Eugenio de Narbona, Juan Vázquez, Juan Belluga de Moncada, Garcés de Molina und
Pedro Hurtado de Alcocer sowie das Ratsmitglied Jerónimo de Ceballos. Damián de
Olivares ist selbst Kaufmann.
95
Vgl. Marti (2012: 264).
96
Vgl. Fuente Merás (2005: 9).
97
Vgl. Perdices Blas (1997: 35).
98
Dies konstatiert auch der italienische Gelehrte Giovanni Botero (1540-1617) in
seiner Descripción de todas las Provincias, Reynos, Estados, Ciudades principales del Mundo,
die 1748 neu ediert wird und deren italienische Originalfassung Perdices Blas (1997:
48ff.) zufolge großen Einfluss auf die Gruppe von Toledo und andere spanische Arbitristen hat. Botero vertritt bereits früh die Auffassung, dass das Agrarwesen ein notwendiger, aber nicht der wichtigste Wirtschaftssektor sei. Dies obliege der Industrie.
Die Bedeutung des Werks Boteros für die spanischen Arbitristen sieht Perdices Blas
(1997: 50) darin, dass sie erst durch Botero erkannt hätten, dass die Industrie imstande
sei, das Problem der passiven Außenhandelsbilanz Spaniens zu lösen.
3. Reformökonomische Diskurse
113
por cuya industria se saca diez tanto más que las órdenes del Consejo
de Guerra y Estado”.99 Damit widerspricht er jenen, die in den hohen
Kriegsausgaben die Hauptursache für die spanische Wirtschaftskrise
sehen. Königreiche mit potenter Industrie betrachtet er in ihrer Ambivalenz, gleichzeitig für und wider die Interessen Spaniens zu handeln:
[...] por ellos en las contrataciones de las Indias, en las cuales con las cosas
naturales e industriales que allá faltan atraen a España el oro y la plata que
allá hay, y contra ellos porque por medio de las cosas que en estos Reinos
podrían gozar por sus manufacturas hechas y labradas por no las querer
hacer, aplicándose a ello.100
Damit identifiziert González de Cellorigo ebenso wie andere Toledaner Arbitristen, darunter Fernández de Navarrete und Ortiz, die
Vernachlässigung des Sekundärsektors als Hauptursache der spanischen Dekadenz.101 González de Cellorigo und Fernández de Navarrete zählen zu den ersten spanischen Ökonomen, die den Wert der
Arbeit und der Warenproduktion für die heimische Wirtschaft erkennen und schätzen.102 Der Gruppe von Toledo ist daran gelegen, den
paradoxalen Umstand zu erklären, dass ein an Rohstoffen und Feldfrüchten so reiches Land wie Spanien mit seinen Kolonien gegenüber
weniger rohstoffreichen Ländern wie Italien, Holland und Flandern
99
Vgl. González de Cellorigo, Martín de (1991 [1600]): Memorial de la política necesaria y útil restauración a la república de España y estados de ella y del desempeño universal de
estos reinos, ed. José l. Pérez de Ayala. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, pp. 69f.
100
González de Cellorigo (1991: 69).
101
Vgl. Perdices Blas (1997: 37ff.) mit Bezug auf Ortiz, Luis de (1970 [1558]): Memorial del contador Luis de Ortiz a Felipe II, ed. J. Larraz. Madrid: Instituto de España, pp.
30f.
102
So bemerkt auch Eberhard Geisler in Bezug auf Cellorigo: „Erkannt zu haben,
dass Wert hauptsächlich durch die auf die Warenproduktion verwendete Arbeit geschaffen wird, ist Leistung der arbitristas“. Geisler, Eberhard (2014): „Reziprozität und
Gabe im spanischen Theater des Siglo de Oro“. In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs
(eds.). Handel – Handlung – Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in
Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 59-93, hier p. 61. Vgl. auch Geisler, Eberhard (1981):
Geld bei Quevedo. Zur Identitätskrise der spanischen Feudalgesellschaft im frühen 17. Jahrhundert. Frankfurt/Main u.a.: Lang, p. 52ff. Die spanische Übersetzung dieser Monographie ist 2013 erschienen, vgl. idem: El dinero en la obra de Quevedo. La crisis de identidad
en la sociedad feudal española a principios del siglo xvii, trans. Elvira Gómez Hernández.
Kassel: Reichenberger.
114 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
das Nachsehen hat. Für Arbitristen wie Caxa de Leruela (†1631) und
Lope de Deza (1546-1525) hingegen gilt der Primärsektor als besonders förderungswürdig,103 während dieser für Moncada allenfalls bedingt in der Lage ist, den Wohlstand der Bevölkerung eines Landes zu
garantieren.104
Die hier genannten Aspekte des frühen Industrialismus der Gruppe von Toledo sind deshalb relevant, weil Campomanes als Staatsmann und prominenter spanischer Reformökonom diese in seinem
Discurso sobre la industria popular aufgreift: Wie Moncada schlägt auch
er vor, Fabriken zu errichten, um die Arbeitslosen und Untätigen („la
gente ociosa“) zu beschäftigen.105 Der in den Schriften der Gruppe
von Toledo zutage tretende Industrialismus im Sinne eines Plädoyers für die Notwendigkeit der Förderung des Primärsektors avanciert mit Campomanes und seiner Rezeption der Arbitristen des 17.
Jahrhunderts zu einer der Säulen der spanischen Reformökonomie.
Der spezifische Beitrag Campomanes‘ besteht darin, dass er die wirtschaftstheoretischen Beiträge der Toledaner Arbitristen unter Einbeziehung des neuen Geistes der Politischen Ökonomie aktualisiert. Auf
der Handlungsebene mündet dies, wie Kapitel 3.3.1 zeigen wird, in
Erlasse zur Erweiterung des für Handwerksberufe infrage kommenden Personenkreises und in Bemühungen um die Professionalisierung
der Heimarbeit durch die Schaffung geeigneter Institutionen. Damit
wird der ökonomische Diskurs der Arbitristen mittels seiner Rezeption durch den Staatsmann Campomanes um das aufklärerische Ideal
der Bildung (instrucción) erweitert und im Sinne der bourbonischen
Politischen Ökonomie institutionalisiert.
3.2.2. Merkantilismen
Wie gezeigt werden konnte, führen die Reformüberlegungen, die in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Belebung der spanischen
Wirtschaft angestellt werden, keine radikale Zäsur mit den Gedanken
herbei, die das vorherige Säkulum zur Erhöhung der Produktivität
103
Vgl. Perdices Blas (1997: 40).
Vgl. Perdices Blas (1997: 45).
105
Vgl. Moncada, Sancho de (1974): Restauración política de España, ed. Jean Vilar.
Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 109.
104
3. Reformökonomische Diskurse
115
in Ackerbau, Handel und Handwerk hervorgebracht hatte. Vielmehr
baut der reformökonomische Diskurs auf diesen auf und schreibt sie
unter dem Einfluss der bourbonischen Politischen Ökonomie ebenso
fort, wie er sie weiterentwickelt. Dementsprechend weist auch der
Merkantilismus des 18. Jahrhunderts Kontinuitäten zum merkantilistischen Gedankengut des 17. Jahrhunderts auf.106 Was seine zeitliche
Einordnung anbelangt, ist der Terminus „Merkantilismus“ ebenso uneindeutig wie umstritten. Begrifflich kann er sowohl eine wirtschaftstheoretische Richtung als auch praktische Maßnahmen des Staates
bezeichnen,107 die in Spanien vor allem durch die Herausforderung
der bereits skizzierten passiven Außenhandelsbilanz motiviert sind.108
Den spanischen Merkantilismus kennzeichnet nicht nur dessen praxisund lösungsorientiertes Denken, sondern auch die Art und Weise, in
der die Berücksichtigung der kulturellen und religiösen Besonderheiten den wirtschaftlichen Diskurs beeinflusst.109 Dass der Merkantilismus im 16. und 17. Jahrhundert in ganz Europa zu finden ist, ist durch
den Wettstreit der europäischen Großmächte um die militärische und
wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa begründet, ein Faktor,
der in der Politischen Ökonomie des späten 17. und anbrechenden 18.
Jahrhunderts von zunehmender Bedeutung ist.110 So richten England
und Frankreich ihre Begehrlichkeiten auf Spanien, das sich ab dem
16. Jahrhundert von einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen Konkurrenten in einen florierenden Absatzmarkt für ausländische Güter
verwandelt.111
106
Vgl. Pietschmann (2005: 176).
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 104).
108
Rolf Walter hingegen betont, dass der Merkantilismus gerade „kein Lehrgebäude“ sei, sondern vielmehr der „Inbegriff“ bestimmter wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die die meisten europäischen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert vor dem
Hintergrund einer als schwach empfundenen Wirtschaftsleistung vornähmen, und die
je nach Land unterschiedlich ausgeprägt seien. Vgl. Walter, Rolf (42003): Wirtschaftsgeschichte. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. Köln: Böhlau, p. 22.
109
Vgl. Martín-Rodríguez, Manuel (1999a): „Subdesarrollo y desarrollo económico
en el mercantilismo español“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg,
pp. 359-402, hier p. 368.
110
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 80ff.).
111
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 88).
107
116 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Als die ‚lange Epoche‘112 des spanischen Merkantilismus im Sinne
einer theoretischen Strömung identifiziert Manuel Martín Rodríguez
den Zeitraum von 1479, dem Beginn der Regentschaft der Reyes Católicos, bis 1812 als dem Moment, an dem der Liberalismus mit den
Cortes de Cádiz seinen vorläufigen Kulminationspunkt erreicht. Gängig ist die Unterteilung in Früh- und Spätmerkantilismus. Werden die
Frühmerkantilisten durch die Probleme der vermeintlichen Dekadenz
und der Entvölkerung umgetrieben, ist der Spätmerkantilismus durch
die Auffassung geprägt, dass eine aktive Handelsbilanz die Hauptquelle staatlichen Wohlstands bilde.113 Diese Auffassung kondensiert
sich in der Überzeugung, dass es den heimischen Markt unter allen
Umständen vor Importen aus anderen europäischen Staaten zu schützen gelte, eine Reaktion auf die bereits skizzierte Überschwemmung
der spanischen und kolonialen Märkte durch die Waren europäischer
Konkurrenzmächte. Anstelle der Unterscheidung zwischen Früh- und
Spätmerkantilismus plädiert Luis Perdices Blas unter Rückgriff auf
Jacob Viner für eine Aufteilung der merkantilistischen Strömungen
nach Ländern. So unterscheidet er beispielsweise den für Frankreich
charakteristischen Colbertismus von dem für den deutschen Raum
prägenden Kameralismus, während der Handel den Fokus des englischen Merkantilismus bildet.114
Ausgehend von der Differenzierung zwischen Früh- und Spätmerkantilismus unterscheidet Manuel Martín Rodríguez zwei Etappen merkantilistischer Theoriebildung. Da wäre zunächst der primer
mercantilismo, der mit Luis Ortiz‘ Memorial (1558) beginnt und 1700
mit der Regentschaft Carlos II. als dem letzten spanischen Herrscher
aus dem Hause Habsburg endet.115 Mit dieser ersten Phase einher geht
die im Spanischen mit dem Begriff des poblacionismo bezeichnete Sorge
um einen Bevölkerungsschwund und den Möglichkeiten, diesem beizukommen. Obwohl ein Rückgang der spanischen Bevölkerung im 18.
Jahrhundert aus heutiger Sicht statistisch nicht mehr nachweisbar ist,
112
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 359), der vom „largo período” des spanischen
Merkantilismus spricht.
113
Vgl. Perdices Blas (1999: 452).
114
Vgl. Perdices Blas (1999: 453) mit Bezug auf Viner, Jacob (1937): Studies of the
Theories of International Trade. New York: Harper & Bros.
115
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362). In einem anderen Artikel, vgl. idem (1999b),
modifiziert er diese Datierung und setzt den primer mercantilismo von 1600-1724 an.
3. Reformökonomische Diskurse
117
was vor allem die zahlreichen Zensus belegen, zieht sich die Sorge um
einen etwaigen Rückgang der Einwohnerzahl auch noch lange nach
Ende dieser ersten Phase wie ein roter Faden durch die Schriften der
Epoche, und treibt Reformökonomen wie Jovellanos116 und Campomanes ebenso um wie Literaten, darunter José Cadalso (1741-1782),
den Autor der Cartas marrruecas (1789). Die Omnipräsenz des Themas
der Entvölkerung fußt auf der in Giovanni Boteros Schrift Della ragion
di Stato (1589)117 vertretenen Überzeugung, dass allein ein an EinwohnerInnen reicher Staat auch ein mächtiger sei, eine Haltung, die bis
weit in das 18. Jahrhundert hinein fortwirkt.118 Allgegenwärtig ist der
poblacionismo bereits in den Schriften der Arbitristen, die zugleich die
bekanntesten Merkantilisten ihrer Epoche sind, und findet sich bei
González de Cellorigo und Sancho de Moncada ebenso wie bei Saavedra Fajardo und Martínez de Mata.119
Die zweite große Etappe des Merkantilismus ist Martín Rodríguez zufolge die des ‚aufgeklärten Merkantilismus‘, der wiederum in
verschiedene Zwischenetappen und Unterströmungen unterteilt ist,
beginnend mit einer Phase des Übergangs („etapa de transición“120)
zwischen dem ‚Frühmerkantilismus‘ (primer mercantilismo) und der
Aufklärung. Während Martín Rodríguez zunächst geneigt ist, diese
Zwischenetappe mit der Thronbesteigung Carlos‘ II. im Jahre 1665 anzusetzen und sie mit Bernardo de Ulloas Restablecimiento de las fábricas
y comercio español121 aus dem Jahre 1740 zu beschließen,122 setzt er diese
Phase andernorts mit der zweiten Regentschaft Felipes V. von 1724 bis
116
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 501).
Botero, Giovanni (1593 [1589]): Della ragion di Stato / Razón de Estado. Diez libros de
la razón de estado, con tres libros de las causas de la grandeza, y magnificencia de las ciudades,
trans. Antonio de Herrera. Madrid: Luys Sánchez.
118
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 501f.).
119
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 503) mit Bezug auf Saavedra Fajardo, Diego de
(1946 [1640]): Idea de un príncipe político cristiano representada en cien empresas. Madrid:
Aguilar, p. 508; González de Cellorigo (1600), fol. 4; Moncada, Sancho de (1974 [1619]):
Restauración política de España, ed. Jean Vilar. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales,
p. 134; Martínez de Mata, Francisco (1971): Memoriales y discursos. Madrid: Moneda y
Crédito, p. 287.
120
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362).
121
Nach Ansicht von Martín Rodríguez (1999a: 362) und Grice-Hutchinson (1978:
143) bildet Ulloas Schrift den Schlusspunkt des merkantilistischen Denkens in Spanien.
122
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362).
117
118 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
1746 gleich.123 Erweist sich in diesem Zeitraum einerseits die Vorstellung von der spanischen Dekadenz als hartnäckig, ist man andererseits zu der Einsicht gelangt, dass es nicht mehr darum gehen könne,
die spanische Hegemonie wiederherzustellen. Stattdessen sucht man
in europäischen Ländern, die sich durch ihren ökonomischen Erfolg
auf den Gebieten des Handels und der Industrie auszeichnen, nach
Modellen und Lösungsansätzen, die auf Spanien übertragbar sind,
beispielsweise in England.124 Auch nach dem Ende dieser Übergangsphase wirkt die Orientierung an wirtschaftlichen Vorbildern aus
dem Ausland fort, etwa in den von Fernando VI. beauftragten Reisen
Wards, die den spanischen Ökonomen irischen Ursprungs zwischen
1750 und 1754 nach Nordeuropa führen: nach Frankreich, in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, nach Skandinavien, in das Baltikum und nach Russland.125
Die Phase einer auf wirtschaftstheoretischer und -politischer Ebene
als merkantilistisch zu charakterisierenden Aufklärung, die 1740 beginnt und gegen Ende des 18. Jahrhunderts abebbt,126 ist durch deutliche Veränderungen in den traditionellen spanischen Gesellschaftsstrukturen gekennzeichnet. In dem eingangs bereits dargestellten
Sinne machen sich hier Einflüsse schottischer, englischer und französischer Wirtschaftstheoretiker – z.B. Smiths Überlegungen zu Selbstinteresse und Arbeitsteilung oder Cantillons Ausführungen zum Unternehmertum – auf das merkantilistische Denken bemerkbar.127 Diese
prägen wiederum den Neomerkantilismus, der von der Überzeugung
geleitet ist, dass der Anteil der arbeitenden Bevölkerung erhöht werden müsse, wenn man die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit der
spanischen Wirtschaft insgesamt steigern wolle.128 In diese Phase fallen die bereits zur Sprache gekommenen Erlasse zur Erhöhung der
Zahl der HandwerkerInnen. Zu den neomerkantilistischen Schriften
zählen neben Wards Proyecto económico (1779) auch Campomanes’
123
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 506).
Vgl. beispielsweise zum englischen Konstitutionalismus als Vorbild für Spanien
Varela Suanzes-Carpegna, Joaquín (2015): „The Reception of the British Constitutional
Model in Eighteenth-Century Spain (1759-1814)”. In: Astigarraga, Jesús (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 193-211.
125
Vgl. Castellano (2000: 185).
126
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362).
127
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 362).
128
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 512).
124
3. Reformökonomische Diskurse
119
Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774), der als Gründerschrift des Neomerkantilismus gilt, sowie Romá i Rosells Las señales
de la felicidad en España y medios de hacerlos eficaces (1768), Normante
y Carcavillas Proposiciones de economía cívil y comercio (1795) und Miguel Dámaso Generés’ Reflexiones políticas y económicas (1793).129 Eine
dritte und letzte Unterströmung des aufgeklärten Merkantilismus
bildet die liberale Variante, die dafür plädiert, sich von einer Politik
des staatlichen Interventionismus zu verabschieden und stattdessen
den Selbstregulierungsmechanismen des Marktes zu vertrauen.130
Den doktrinären Leitgedanken bildet hier das Individualinteresse als
Motor wirtschaftlichen Wachstums, getreu dem Smith‘schen Leitsatz,
dass öffentlicher Wohlstand automatisch erreicht werde, wenn jedes
Individuum sein Interesse verfolge.131
Wirft man einen Blick auf merkantilistische Schriften des 16. und
17. Jahrhunderts, weisen die dort behandelten Themen und die unterbreiteten Vorschläge trotz der unterschiedlichen demographischen
und ökonomischen Gegebenheiten Parallelen zum reformökonomischen Diskurs des 18. Jahrhunderts auf. Cristóbal Pérez de Herrera
etwa plädiert bereits im 16. Jahrhundert für ein Umdenken, wenn er
anregt, dass sich der Wert eines Menschen mehr an seinem ökonomischen Nutzen als an seinem Adelstitel bemessen solle.132 Auch die Debatte um die aus den Krisen des 17. Jahrhunderts resultierende Armut,
das damit einhergehende Bettlertum und die Beschäftigungslosigkeit
findet sich als Thema gleichermaßen in ökonomischen Schriften des
17. wie in denen des 18. Jahrhunderts.133 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzt sich die Auffassung durch, dass die vom christlichen
129
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 513).
Vgl. Martín Rodríguez (1999b: 515).
131
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103). Ihm zufolge setzt sich dieser liberale
Merkantilismus bis weit in das 19. Jahrhundert hinein fort.
132
Vgl. Martín Rodríguez (1999a: 371) mit Bezug auf Pérez de Herrera, Cristóbal
(1975 [1598]): Discurso del amparo de los legítimos pobres y reducción de los fingidos, y de la
fundación y principio de los alberques destos Reynos y amparo de la milicia dellos. Madrid:
Espasa Calpe.
133
Vgl. hierzu Tietz, Manfred (2022): „Poverty Between Dignity and Criminalization in Early-Modern France and Spain: Attempts to Include and Exclude the Poor“.
In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in
Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople,
and Workers. Berlin: Lang, pp. 57-83.
130
120 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Caritasgedanken getragene Selbstverpflichtung der Wohlhabenden,
sich durch Almosen einen Platz an der Tafel des Herrn zu sichern, die
Untätigkeit der Armen fördere. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wird der Caritasgedanke durch eine ‚neue Arbeitsethik‘ ersetzt,
an deren Verbreitung die Presse als Ort der Artikulation eines veränderten öffentlichen Bewusstseins maßgeblich beteiligt ist.134 Journalisten wie Francisco Mariano Nipho schlagen in diesem Kontext den
Arbeitslohn und das Sparen als probate Mittel der Existenzsicherung
vor.135 Auch die Diskussion um den wirtschaftlichen Schaden oder
Nutzen von Luxusgütern und um die Frage nach den Folgen des ausgedehnten adeligen und kirchlichen Großgrundbesitzes für die einfache Landbevölkerung beschäftigt die Merkantilisten des 17. und 18.
Jahrhunderts gleichermaßen. Angesichts der drängenden Finanznot
der Krone mündet diese Debatte 1798 unter dem ersten Staatsminister
Manuel de Godoy y Álvarez de Faria Rios Sanchez Zarzosa (1767-1851)
in die Pfändung und Versteigerung kirchlicher Besitztümer (desamortización). Der bei der Bevölkerung äußerst unbeliebte und für einen
luxuriösen Lebenswandel und Vetternwirtschaft berüchtigte Godoy,
der nicht zuletzt durch seine Liebschaft mit Maria Luise von Bourbon-Parma (1751-1819), der Gattin Carlos‘ IV., zu politischem Einfluss
gelangt, ist ein Paradebeispiel für die klientilistischen Strukturen des
bourbonischen Verwaltungsapparates.
134
Vgl. Gelz (2006: 143ff.). In diesem Zusammenhang muss allerdings einschränkend eingeräumt werden, dass die Presse des spanischen 18. Jahrhunderts auch ab der
zweiten Hälfte des Säkulums weniger ein freies Organ öffentlicher Meinungsbildung
ist, als sie, wie Witthaus (2012: 23) anmerkt, „im Kontext eines Reformwillens steht,
der stets aufs Neue und unter dem Wandel der jeweiligen Prämissen von ‚oben‘ initiiert wird“, sich also nach der jeweiligen Staatsmacht und ihrem Souverän richtet. Zur
Herausbildung einer öffentlichen Meinung im Raum der Presse v.a. gegen Ende des
18. Jahrhunderts vgl. auch Fernández Sebastián, Javier (2015): „From the ‚Voice of the
People‘ to the Freedom of the Press: the Birth of Public Opinion”. In: Astigarraga, Jesús
(ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 213-233.
135
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 104). Dies geschieht etwa 1786 in Niphos Zeitschrift La Estafeta de Londres, die der Gattung der Spectators zuzurechnen und nach dem
englischen Vorbild von Joseph Addisons und Richard Steeles The Tatler modelliert ist.
Zu dieser Zeitschrift vgl. u.a. Villamediana González, Leticia (2012): „La Estafeta de Londres de Francisco Mariano Nifo, otro precedente de las Cartas marruecas de Cadalso“. In:
Cuadernos de Estudios del Siglo xviii, 22, pp. 165-177. Zu Nipho vgl. auch Kamecke, Gernot (2015): Die Prosa der spanischen Aufklärung. Beiträge zur Philosophie der Literatur im 18.
Jahrhundert (Feijoo – Torres Villaroel – Isla – Cadalso). Frankfurt/Main: Vervuert, pp. 348ff.
3. Reformökonomische Diskurse
121
Bedeutsam sind die hier skizzierten Merkantilismen für die Zwecke dieser Studie erstens aufgrund ihrer Bemühungen, Arbeit anstelle
des Adelstitels als neuen gesellschaftlichen Wert zu etablieren. Damit
ist die Forderung verbunden, die vom reformökonomischen Diskurs
als vasallos útiles bezeichneten arbeitenden Schichten in ihrem Nutzen
für den Staat, d.h. als neue wirtschaftliche Ressource, zu erkennen,136
wie dies die Neomerkantilisten vorschlagen. Mit der Einsicht in den
wirtschaftlichen Nutzen des Humankapitals einher geht 1783 der königliche Erlass, dass den zuvor der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzten HandwerkerInnen, Tagelöhnern137 und Landarbeitern nunmehr soziale Anerkennung zuteilwerden soll. Für die Zwecke dieser
Studie sind die Merkantilismen zweitens hinsichtlich ihrer Bemühungen relevant, politisch auf den Konsum und die Konsumenten, vor
allem aber auf Konsumentinnen einzuwirken. In colbertistischer Tradition gilt es, den Verbraucherinnen, denen merkantilistisch inspirierte Traktate einen besonderen Hang zum Kauf ausländischer Modeartikel und zur Verschwendung unterstellen, zu überzeugen, dass der
Kauf von Gütern aus dem Ausland durch die Tugend der Mäßigung,
der Kauf von Gütern aus dem Inland hingegen durch die Wertschätzung der heimischen Tradition geleitet sein soll. Dies läuft darauf hinaus, die Käuferinnen dazu zu bewegen, in einem Akt patriotischen
Verzichts die teuren, schweren und weniger haltbaren spanischen
Wollstoffe zu erwerben, statt der ebenso günstigen wie strapazierfähigen new draperies aus England oder die modisch-leichten Gazestoffe
aus Frankreich. In diesem Sinne fußt der Merkantilismus nicht nur
auf einer nationalistischen Grundhaltung, wie Elorza am Beispiel von
Gándaras Apuntes veranschaulicht;138 er erweist sich überdies als das
136
Dieser Gedanke ist an Adams Smiths Theorie über den durch die Arbeitsteilung
erreichten ‚Mehrwert‘ angelehnt, wie Smith ihn in The Wealth of Nations entwickelt.
Heute würde man von ‚Humankapital‘ sprechen. Vgl. Smith, Adam (1976 [1776]): An
Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, ed. Roy H. Campbell. Oxford:
Clarendon.
137
Sofern in dieser Arbeit die männliche Form verwendet wird, handelt es sich bei
der betreffenden Gruppe nach heutigem Forschungsstand nahezu ausschließlich um
Männer.
138
Vgl. Elorza (1970: 45): „[...] en un pensamiento económico rigurosamente mercantilista [...] la competencia económica es considerada, a escala internacional, como
estricta relación de poder entre las naciones.” In diesem Zusammenhang spricht Elorza
(ibid.) auch vom „radical nacionalismo económico“ Gándaras.
122 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
doktrinäre Produkt einer Zeit, in der Kriege an der Tagesordnung
sind, was dazu führt, dass auch „die Politik der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu einer Politik des Wirtschaftskrieges“139 gerät,
und so zu einer Waffe im „endlosen Spiel der Machtpolitik“140 wird.
Wirtschaft als Waffe im Kampf der Großmächte einzusetzen bedeutet,
Importe und Exporte staatlich zu regulieren, indem man die Quoten
der Exporte gemäß dem Credo einer aktiven Handelsbilanz141 möglichst hoch, die Importe dagegen durch Zölle und Einfuhrbeschränkungen und -verbote möglichst niedrig hält. Letztlich trägt das wirtschaftliche Konkurrenzverhältnis der europäischen Großmächte dazu
bei, dass das Konzept der Nation zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Dies geschieht wesentlich über das Instrument der Politischen Ökonomie, die bewirkt, dass
kaum andere Wissensformen als die ökonomischen und die militärischen
unter politischen Rahmenbedingungen eines fortwährenden Ausbalancierens der europäischen Machtverhältnisse so sehr dem Bewusstsein konkurrierender Nationen und in diesem Sinne einer Nationalisierung der
Kulturen Vorschub leisten.142
Handelskriege zu führen bedeutet, die Kontrolle nicht nur über den
Markt, sondern auch über jede einzelne Transaktion zu erlangen.143
Während Schumpeter dabei vor allem den Kaufmann als Wirtschaftsakteur im Blick hat, dessen Geschäfte etwa durch Stapelrechte144 der
politischen Kontrolle unterstellt werden können, nimmt Pérez-García
die VerbraucherInnen in den Blick, geht es bei einer konsequent betriebenen merkantilistischen Politik doch wesentlich darum, auf die
139
Schumpeter (2007: 430). Schumpeter bezieht diese ‚wirtschaftspolitische Kriegsführung‘ ausschließlich auf die merkantilistische Devisenwirtschaft, während Pérez
Sarrión (2012: 121ff.) die von England und Frankreich gegenüber Spanien ergriffenen
wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Kontext des Handelsimperialismus‘ betrachtet.
140
Schumpeter (2007: 430).
141
Schumpeter (2007: 435).
142
Witthaus (2012: 267).
143
Vgl. Schumpeter (2007: 431).
144
Zum Stapelrecht vgl. Schumpeter (2007: 431). Das Stapelrecht unterstellt die
Händler dem Zwang, ihre Waren bei der Durchreise durch eine der Stapelstädte in
genau dieser Stadt zum Kauf anzubieten, d.h. sie auf dem dortigen Markt „zu stapeln“.
Gegen Zahlung des so genannten „Stapelgeldes“ können sich die Kaufleute von dieser
Pflicht freikaufen.
3. Reformökonomische Diskurse
123
Entscheidungen des Einzelnen einzuwirken.145 Dies erklärt die im
europäischen 17. und 18. Jahrhundert mit großer Polemik geführte
Debatte über den Nutzen und Schaden von Luxusgütern, in deren Zusammenhang die Frage nach der Herkunft dieser Güter ganz entscheidend ist. Dass der primer mercantilismo ebenso wie seine aufklärerische
Variante den bzw. die VerbraucherIn dazu zu bewegen versucht, eine
im Grunde irrationale Kaufentscheidung zu treffen, wenn er ihn/sie
ermutigt, heimische Produkte den im Ausland gefertigten selbst dann
vorzuziehen, wenn diese in Bezug auf Qualität, Auswahl und Preisgestaltung attraktiver sind, wird durch die reformökonomische Rhetorik
als eine rationale Handlung präsentiert, indem man unter Rückgriff
auf das patriotische Argument erklärt, der Kauf der spanischen Waren diene dem Wohle aller, und zwar umso mehr, je mehr Individuen
diesem Beispiel folgten.
In den wirtschaftlichen Traktaten, aber auch in der Literatur und
Presse der spanischen Aufklärung, führt die Konsumsteuerung als
Instrument einer merkantilistisch inspirierten Wirtschaftspolitik zum
Konstrukt des ‚ehrbaren Kaufmanns’, der erkannt hat, dass er den
eigenen Profit am ehesten steigert, wenn er seine Handelsgeschäfte
danach auswählt, ob sie eine Investition in das Wohl der patria, ihre
Wirtschaft und ihre Individuen sind. Mit dem ehrbaren Kaufmann
wird ein männlicher Idealtypus und eine Personifikation des Handels fernab der Realität konstruiert, eine fiktive Figur also, die sich
stets patriotisch, in ihren (Ver-)Handlungen umsichtig und klug, aber
dennoch aufrichtig und philanthrop verhält. Der Einfluss merkantilistischen Gedankenguts führt auf der Ebene der literarischen und
journalistischen Produktionen des spanischen 18. Jahrhunderts aber
auch zur Kreation eines aus merkantilistischer Perspektive durch und
durch abschreckenden Typus. Wenn der ehrbare Kaufmann die verklärte Vermenschlichung, aber auch die Vermännlichung des Handels
ist (vgl. Kap. 5), verkörpern der petimetre und sein weibliches Pendant,
die petimetra146 (vgl. Kap. 9), die negative geschlechtliche Typisierung
145
Vgl. Pérez-García (2013: 31).
Zur Figur des petimetre vgl. einführend Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españoles, Madrid: Síntesis, pp. 235ff. sowie, für den
Bezug dieses Typs zum wirtschaftshistorischen Kontext, Hontanilla (2008) sowie Haidt
(2011; 2003; 1999; 1998). Zur Figur des petimetre in der Kurzgattung des sainete vgl.
Coulon, Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz. Pau:
146
124 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
exzessiven Konsums, die ebenso abschreckend wie komisch ist und
eine Variante modischen Stutzertums aufs Korn nimmt, die durch den
verschwenderischen Konsum ausländischer Waren bei gleichzeitiger
Mittellosigkeit gekennzeichnet ist. Dies führt notwendigerweise dazu,
dass die petimetres und petimetras ihren Mitbürgern im Allgemeinen
und ihrer Familie im Besonderen finanziell zur Last fallen. Im Hinblick auf den seitens des merkantilistischen Zweiges der bourbonischen Reformökonomie unternommenen Versuch, insbesondere auf
Verbraucherinnen einzuwirken, ist der Umstand bezeichnend, dass in
der Literatur und Presse des spanischen 18. Jahrhunderts die Zahl der
petimetras die der petimetres bei weitem übersteigt. Dies werden auch
die hier angestellten literaturwissenschaftlichen Analysen spiegeln.
3.2.3. Französische Physiokratie und spanischer Agrarismus
Während Rolf Walter als gängiges Hauptmerkmal der Physiokratie
herausstellt, dass diese unter den „Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden“147 einzig den Agrarsektor als produktiv betrachtet,148
weil dieser die alleinige Quelle des Reichtums eines Staates sei,149
weisen Lluch und Argemí Definitionen dieser Art als Allgemeinplatz
zurück.150 Stattdessen identifizieren sie – nicht weniger allgemein
– einen rigiden konzeptuellen und begrifflichen Apparat als Erkennungszeichen dieser Schule. Dieses theoretische Fundament wird von
Université de Pau, pp. 419ff. Zu petimetre und petimetra im spanischen Theater des 18.
Jahrhunderts vgl. Schuchardt, Beatrice (2014): „Von petimetres und petimetras. Strukturen von Ökonomie und Verschwendung in Moratíns La petimetra (1762) und Iriartes El
señorito mimado (1787)“. In: eadem/Urban, Urs (eds.). Handel, Handlung, Verhandlung.
Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 269-282.
147
Walter (2003: 35).
148
Der Grund dafür ist ebenso simpel wie einleuchtend und wird von Marti (1997:
197) auf die Formel gebracht, dass der Bauer eben mehr ernte als er sähe, da aus jedem
Korn eine Ähre mit mehreren Körnern entstehe. Sowohl im Handwerk als auch in der
Rohstoffförderung bringt der Arbeitsprozess selbst hingegen keine Vermehrung des
an sich schon vorhandenen (Roh-)Materials hervor.
149
Vgl. Schumpeter (2007: 313).
150
Vgl. Lluch Martín, Ernest/Argemí d‘Abadal, Lluís (2000): „La fisiocracia en España”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III: La
Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 709-719, hier p. 709.
3. Reformökonomische Diskurse
125
den Physiokraten in nahezu „sektiererischer“151 Manier verteidigt, ein
Vorwurf, den sich die Gruppe schon von ihren zeitgenössischen Kritikern gefallen lassen muss, und der sich entsprechend auch in der Forschungsliteratur wiederfindet.152 Konkreter als die Definition Lluchs
und Argemís ist Jesús Astigarragas Zusammenfassung der prägnantesten Merkmale der Physiokratie: die Dreiteilung der Gesellschaft in
eine produktive Klasse (Pächter) sowie in eine sterile (Handel; Handwerk; Industrie) und eine landbesitzende (propriétaires);153 ein Verständnis von landwirtschaftlichen Erträgen als Nettoerlös (produit net),
was zur Folge hat, dass nach Auffassung der Physiokraten allein die
reine Bodenrente, d.h. die Einnahmen der Pächter und Großgrundbesitzer, besteuert werden sollen (impôt unique), nicht aber Einkommen
oder Umsätze aus Verkäufen.154 Wenn sich die physiokratischen Überlegungen ausschließlich am landwirtschaftlichen Großbetrieb (grande
culture) orientieren,155 dann deshalb, weil sie diesen im Vergleich zu
den Minifundien als effizienter betrachten und die Erträge größer sind.
Dem Merkantilismus steht die Physiokratie ebenso kritisch gegenüber
wie Monopolen in Handel und Industrie,156 weshalb sie für den Freihandel plädiert und insgesamt einer Wirtschaftspolitik des laissez faire
den Vorzug gibt. Wenn die Gesetzgebung einschreiten muss, darf dies
allein zum Wohl der Landwirtschaft geschehen. Um deren Erträge zu
erhöhen, sprechen sich die Physiokraten außerdem für die Vermittlung agrartechnischen Wissens an die Pächter aus, befürworten aber
auch, dass diese insgesamt über eine solide Allgemeinbildung verfügen sollten. Auch die gesellschaftliche Wertschätzung körperlicher
Arbeit ist den Physiokraten, wie schon den Merkantilisten vor ihnen,
151
Lluch/Argemí (2000: 709), meine Übersetzung.
Vgl. Marti (1997: 186).
153
Die Arbeiterschaft kann, wie Schumpeter (2007: 308) ausführt, entweder als vierte Klasse betrachtet oder der zweiten und dritten Klasse zugeordnet werden. Wichtig für das Verständnis der „Klassen“ im physiokratischen Sinne ist, dass diese keine
soziologischen „Entitäten“ sind, sondern vielmehr ökonomische Gruppen im statistischen Sinne.
154
Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 490).
155
Dabei gehen die Physiokraten, allen voran Quesnay, nicht etwa von einem ausgebeuteten ländlichen Proletariat, sondern von einem intelligenten und unternehmerisch aktiven Pächterstand aus. Vgl. Schumpeter (2007: 303).
156
Schumpeter (2007: 297) spricht diesbezüglich von der „Feindschaft der Physiokraten gegenüber jeglicher Art von Privilegien“.
152
126 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ein Anliegen.157 Ein weiteres wichtiges Element der französischen
Physiokratie, das spanische Liberalisten wie Cabarrús aufgreifen, ist
ihr Plädoyer für den Schutz des Privateigentums, das sie aus dem Naturrecht herleiten.158 Diese Forderung macht sich Cabarrús in seinen
Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a
la felicidad pública (1795) zu eigen.
Die meisten der hier genannten Prämissen der physiokratischen
Lehre gehen auf Richard Cantillon (1680-1734) und François Quesnay
(1694-1774) zurück, die beiden Hauptbegründer der Physiokratie in
Frankreich, wobei insbesondere Quesnay hier als Referenzpunkt dienen soll, der Autor des Tableau économique ist (31758).159 Ihm attestiert
Schumpeter einen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der
ökonomischen Analyse.160 Quesnay ist überdies Autor der Encyclopédie-Artikel „Fermiers“ (1756) und „Grains“ (1757) sowie der Abhandlung Despotisme de la Chine (1767)161, in der er das chinesische Staatsund Wirtschaftssystem mit der Begründung zum Vorbild für Europa
erklärt, dass die chinesischen Kaiser in exemplarischer Art und Weise naturrechtlichen Prinzipien folgten.162 Für unsere Untersuchung
157
Vgl. Perdices Blas, Luis (2000): „Agronomía y fisiocracia en la obra de Pablo de
Olavide”. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y economistas españoles, vol. III:
La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 275-302, hier p. 277.
158
Vgl. Cabarrús (1813). Für das Privateigentum als zentraler Aspekt der physiokratischen Lehre vgl. Chevalier, Marie Jean (1984): Introduction à l‘analyse économique.
Paris: La Découverte.
159
Quesnay veröffentlicht zwischen 1758 und 1759 drei Fassungen des Tableau économique, von denen hier auf die letzte von 1759 verwiesen werden soll.
160
Vgl. Schumpeter (2007: 310f.). Auch Gömmel/Klump (1994: 65) betonen, dass
Quesnays Modell den ersten einheitlichen Analyserahmen zur Erfassung des Wirtschaftskreislaufes und der wirtschaftlichen Entwicklung bereitstellt. Kernaussage
des Tableau ist, dass alles, was die Pächter an Kapital erhalten, verdoppelt wird. Vgl.
Schumpeter (2007: 306f.). Mit dem Tableau untermauert Quesnay seine These, dass die
Bodenrente den einzigen Nettoertrag darstelle.
161
Dieses Werk ist seinerseits ein Plagiat des mit La Chine betitelten vierten und
fünfte Bandes von Jacques Philibert Rousselot de Surgys Mélanges intéressants et curieux, X vols (1763-1765). Paris: Durand.
162
Vgl. Shi, Zhan (2007): „L’image de la Chine dans la pensée européenne du xviiie
siècle: de l’apologie à la philosophie pratique“. In: Annales historiques de la Révolution
française, 347, pp. 93-111, hier p. 103. Voltaire wendet sich gegen die Despotismuskritik
Charles de Secondat, Baron de Montesquieus (1689-1755), die dieser in L’esprit des lois
(1748) am Beispiel Chinas dargelegt hatte. In China herrscht für Montesquieu eine besonders rigide Form des Despotismus vor, die es in Frankreich zu verhindern gelte.
3. Reformökonomische Diskurse
127
literarischer Verkörperungen einzelner Wirtschaftssektoren in Komödien der spanischen Spätaufklärung ist China als Referenzpunkt und
Topos der physiokratischen Lehre deshalb relevant, weil es den Mythos vom ackerbauenden Monarchen begründet, den Comellas Theaterstück El buen labrador (1791) aufgreift (vgl. Kapitel 7.7.1).163
Prägend für die Idealisierung der chinesischen Kultur durch die europäische Aufklärung insgesamt ist die Sinophilie Gottfried Wilhelm
Leibniz‘ (1646-1716) und Pierre Bayles (1647-1706) sowie der 1756 mit
dem Essai sur les moeurs et l’esprit des Nations unternommene Versuch
Voltaires, seinen Deismus mithilfe des Konfuzianismus zu untermauern, eine Religion, der er eine besondere Rationalität zuschreibt.164 Das
positive Chinabild, das unter französischen und englischen Intellektuellen schon im 17. Jahrhundert kursiert, nimmt seinen Ausgang von
Berichten spanischer und portugiesischer Jesuiten.165 Die jesuitische
Schule des Figurismus, die von nach China entsandten katholischen
Montesquieu stützt sich im Gegensatz zu Voltaire auf Informationen aus erster Hand,
die er u.a. von dem Chinesen Huang Jialue erhält, den er 1713 in Paris kennenlernt.
Überdies konsultiert er im Handel mit China erfahrene Kaufleute, die das Land durch
ihre Reisen kennen. Vgl. Shi (2007: 105ff.) mit Bezug auf Montesquieu, Louis Sécondat de (1951): De l’esprit des lois. In: Œuvres complètes, vol. II., ed. Roger Caillois. Paris:
Gallimard, p. 239. Obgleich Montesquieu das positive Chinabild seiner Zeitgenossen
kritisch hinterfragt, konstruiert auch er ‚sein China‘, wenn er sein Gedankengerüst okzidentaler Prägung auf die fremde Kultur überträgt.
163
Der Umstand, dass nur eine der hier untersuchten Komödien auf China als einen Topos rekurriert, der vor allem in physiokratischen Schriften zu finden ist (vgl.
Kapitel 7.7.), scheint Martis Eindruck von der geringen Verbreitung der Physiokratie
in Spanien einmal mehr zu bestätigen. Vgl. Marti (1997: 187f.): „[...] il semble que lest
textes des physiocrates furent [...] peu diffusés.“
164
Vgl. Shi (2007: 98f.) mit Bezug auf Voltaire (2009 [1756]): Essai sur les mœurs et
l’esprit des Nations. In: The Complete Works of Voltaire, vol. XXII, 2. Oxford: Voltaire Foundation, Kapitel 1 und 2: „De la Chine“.
165
Der erste euphemistische jesuitische Bericht über China ist die Historia del gran
reyno de la China (1585) von Juan González de Mendoza (1545-1615). Es folgen die zunächst lateinische, später die französische Fassung De Christiana Expeditione apud Sinas
(1615) von Pater Nicolas Trigault (1577-1628) sowie die Histoire universelle de la Chine
(1667) des portugiesischen Paters Álvarez Semedo (1585-1658), ein Werk, das erstmalig
1742 auf Spanisch erscheint. Louis XIV entsendet 1684 eine jesuitische Expedition nach
China, was das Interesse des französischen Adels und der Kronbeamten an der chinesischen Kultur und der politischen Struktur dieses Staates steigert. Eine weite Verbreitung in gebildeten Kreisen findet das Kollektivwerk Confucius Sinarum Philosophus
(1687) unter der Leitung von Philippe Couplet, das ins Französische (1688) und Englische (1691) übersetzt wird. Einsichten in das wirtschaftliche und politische System
128 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Missionaren begründet worden war, unterstellt der chinesischen Kultur christliche Wurzeln.166 Ganz im Sinne der Fremdheitstheorie Bernard Waldenfels‘ macht sie das Fremde damit zum Suchbild des Eigenen,167 was zu einer euphemistischen Darstellung von Land, Leuten,
Politik und Religion führt. Diesem Prinzip folgen Quesnay und die
Physiokraten168, wenn sie den chinesischen Despotismus zu einer aufgeklärten und besonders rationalen Form des europäischen Absolutismus erheben.169
Dass Quesnay den monarchistischen Absolutismus in „unkritischer und unhistorischer Weise“170 zum Dreh- und Angelpunkt seiner
Staatstheorie macht, bietet den durch die absolutistische Monarchie
beauftragten spanischen Reformökonomen willkommene Anknüpfungspunkte.171 Dennoch ist anzumerken, dass das physiokratische
Gedankengut in Spanien vergleichsweise spät und nicht auf breiter
Ebene rezipiert wird, sodass sich in Spanien kaum Reformökonomen finden, die dieser Lehre in ihrer ursprünglichen Form anhängen.
Physiokratisches Gedankengut in Reinform identifiziert Astigarraga allenthalben im Discurso zu J. Álvarez Guerras Übersetzung des
Discours complet d’agriculture, einem Traktat aus der Feder des französischen Agronomen François Rozier (1734-1793).172 Der mit den
Chinas vermitteln überdies die Nouveaux mémoires sur l’état présent de la Chine (1696) des
Paters Louis Lecomte (1655-1728). Vgl. für alle Shi (2007: 95).
166
Vgl. Shi (2007: 98f.). Sehen die Figuristen den Konfuzianismus als eine Form des
christlichen Glaubens, ist er für Voltaire (1694-1778) eine Variante des Deismus. Dabei
interpretiert Voltaire die Werte der französischen Aufklärung in China und den Konfuzianismus hinein. Vgl. Shi (2007: 101f.).
167
Vgl. Waldenfels, Bernhard (2006): Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden.
Frankfurt/Main: Suhrkamp.
168
So auch Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Comte de Mirabeau (1715-1789), der
das Tableau économique in seiner Totenrede auf Quesnay als eine Veranschaulichung
konfuzianischen Denkens preist. Vgl. Shi (2007: 104) mit Bezug auf Zhu, Qianzhi (1999):
The Influence of Chinese Philosophies on Europe. Hubei: People’s Press of Hubei, p. 325.
169
Vgl. Shi (2007: 102).
170
Schumpeter (2007: 296).
171
Auch für Marti (1997: 185ff.) ist unbestritten, dass Quesnay einen gewissen Einfluss auf die spanische Reformökonomie hat, den er allerdings als nicht allzu groß
bewertet.
172
Vgl. Astigarraga, Jesús/Usoz, Javier (2008): „Algunas puntualizaciones en torno
a la fisiocracia en la Ilustración tardía española“. In: Revista de Historia Económica / Journal of Iberian and Latin American Economic History, 3, pp. 489-498, hier p. 489.
3. Reformökonomische Diskurse
129
Machado-Brüdern entfernt verwandte Politiker Álvarez Guerra (17701845), der ebenso wie Foronda, Cabarrús und Salas Verfechter einer
späten und radikaleren Variante der spanischen Aufklärung ist,173 teilt
mit den Physiokraten immerhin die Basiselemente ihrer Lehre. Die
vergleichsweise geringe Resonanz, auf die die Physiokratie in Spanien trifft, ist auch den mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgenden Übersetzungen geschuldet: Zwar erscheint Serafín Trigueros‘
auf einem Text von Quesnay basierende Disertación sobre el cultivo de
trigos bereits 1764,174 und damit in der Hochphase der Physiokratie
in Frankreich, die Perdices Blas auf den Zeitraum zwischen 1763 und
1770 datiert.175 Allerdings lässt die Übersetzung der Maximes générales
du gouvernement d’un royaume agricole (1759), einer gemeinsamen Arbeit Quesnays und Mirabeaus, die durch den argentinischstämmigen
Manuel Belgrano ins Spanische übertragen wird, auf sich warten und
erscheint erst 1794 unter dem Titel Máximas generales del gobierno de
un reino agricultor.176 Pedro Dabout, ein Gefolgsmann Campomanes‘,
trägt durch seine 1774 erfolgende Übersetzung des Essai sur l’améloriation des terres (1765) des Agronomen Henry Pattullo177, der seinerseits
Ideen aus Quesnays Encyclopédie-Artikel „Hommes“ aufgreift, mittelbar zur Verbreitung des Gedankenguts Quesnays in Spanien bei.178
Dabouts Übersetzung veranlasst wiederum Campomanes, von der
Veröffentlichung seines eigenen Discurso sobre la agricultura abzusehen. Campomanes selbst ist kein Adept der physiokratischen Schule,
vielmehr übernimmt er von ihr einzelne Elemente, während er andere
kritisiert, so in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular
173
Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 495).
Vgl. Marti (1997: 187). Der vollständige Titel des Werkes lautet Disertación sobre
el cultivo de trigos que la Academia de Agricultura de la ciudad de Berna premió en el año 1760.
Das Original ist zwar von Mirabeau unterzeichnet, stammt aber wahrscheinlich von
Quesnay.
175
Vgl. Perdices Blas (2000: 283).
176
Vgl. Marti (1997: 187). Belgrano ist es auch, der Quesnays „Analyse du gouvernement des Incas du Perou“ (1767) in einer Rede vor dem Kongress von Tucumán
plagiiert. Vgl. Lluch/Argemí (2000: 710f.).
177
Dieser ist, wie Lluch Martín & Argemí d’Abadal (2000: 711) mutmaßen, irischer
Herkunft. Marti (1997: 196) hingegen bezeichnet ihn als Franzosen mit schottischen
Wurzeln.
178
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 711).
174
130 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
(1774).179 Dort erhebt er zwar den Ackerbau zur Basis der felicidad pública, räumt aber unter Rückgriff auf Moncada ein, der Primärsektor
allein sei nicht in der Lage, ein ganzes Volk zu ernähren.180 Während
Lluch und Argemí die physiokratischen Einflüsse auf die spanische
Reformökonomie als nur partiell einstufen,181 weist Llombart Rosa
darauf hin, dass Bekanntheitsgrad und Einfluss der Physiokratie auf
die spanische Reformökonomie größer seien, als gemeinhin angenommen.182 Dieser Ansicht widerspricht Astigarraga mit Verweis auf den
Umstand, dass zwischen 1764 und 1823 von den zahlreichen französischen und englischen Physiokraten nur fünfzehn ins Spanische übersetzt worden seien.183 Unbestritten ist, dass der komplexe theoretische
Apparat der französischen Physiokratie, den Lluch und Argemí als
Hauptmerkmal der Schule identifizieren, die spanische Rezeption erschwert: Zum einen kann die Physiokratie in Spanien auf keine doktrinäre Tradition zurückgreifen, zum anderen läuft ihre theoretische
Schwerpunktsetzung dem pragmatischen Charakter der spanischen
Aufklärung entgegen.184 Elemente physiokratischer Theoriebildung,
die in Spanien Anklang finden, sind daher konkrete Vorschläge zur
Lösung einzelner Probleme, wie sie bereits der Arbitrismus des 17.
Jahrhunderts bereitgestellt hatte. Marti plädiert mit Lluch und Argemí185 dafür, die anwendungsbezogene und auf die konkreten spanischen Verhältnisse übertragene Rezeption der Physiokratie in Spanien als „agrarismo“ zu bezeichnen und diesen als ein staatliches
Maßnahmenpaket zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge
179
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 711). Die Übersetzung des Werks des französischen
Agronomen Henri-Louis Duhamel du Monceau (1700-1782) ins Spanische wird durch
Campomanes veranlasst.
180
Vgl. Campomanes (1975: 50).
181
Vgl. Lluch/Argemí d (2000: 715). Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Marti
(1997: 188; 191).
182
Vgl. Llombart Rosa, Vicent (1995): „Market for ideas and reception of Physiocracy in Spain: some analytical and historical suggestions“. In: European Journal of the
History of Economic Thought, 1, pp. 29-51.
183
Vgl. Astigarraga, Jesús (2005): „La Fisiocracia en España: los Principes de la législation universelle (1776) de G. L. Schmid d’Avenstein”. In: Historia Agraria, 37, pp.
545-571, hier p. 547.
184
Vgl. hierzu auch Perdices Blas (2000: 279): „[...] los españoles no utilizaron ni
comprendieron la teoría económica ni las herramientas analíticas de los fisiócratas.”
185
Vgl. Argemí, Lluis/Lluch, Ernesto (1985): Agronomía y fisiocracia en España (17501820). Valencia: Instituto Alfons el Magnànim, p. 97.
3. Reformökonomische Diskurse
131
zu definieren.186 Mit Moncada und Campomanes geht der Agrarismus von der Annahme aus, dass der Ackerbau ein bedeutsamer, aber
nicht der wichtigste Wirtschaftssektor sei.187 Während Marti der Regierungszeit Carlos III. einen „interventionistischen Agrarismus“ attestiert, der durch Maßnahmen wie die Abschaffung der tasa de granos
gekennzeichnet sei, sieht er mit der Thronbesteigung Carlos IV. den
Beginn einer liberalistischen Phase eingeläutet, die durch das physiokratische laissez faire beeinflusst sei, was wiederum die Ausbreitung
liberalistischen Gedankenguts in Spanien begünstigt habe.188 Während Marti die Physiokratie als abstraktes, theoretisches und dogmatisches Konstrukt französischer Intellektueller ausweist, identifiziert
er den „merkantilistischen Agrarismus“189 in Spanien als eine auf
186
Zum Unterschied zwischen „Agrarismus” (frz.: agrarisme, meine Übersetzung),
ein Terminus, den Marti für Spanien dem Begriff der „Physiokratie“ vorzieht, und
„Agronomie“ (frz.: agronomie, meine Übersetzung) vgl. Marti (1997: 193): „Si l’on devait utiliser des catégories modernes de classification, l’agronomie appartiendrait aux
sciences exactes, puisqu’elle utilise la physique, la chimie, la biologie, la météorologie, etc. L’agrarisme serait classé dans les sciences humaines, comme l’économie, car
c’est avant tout une perspective de l’analyse des faits et des mécanismes économiques.
L’agronome est un technicien alors que l’agrariste est un penseur pragmatique.“ Lluch/
Argemí (2000: 717) zufolge verhalten sich Agronomie und Physiokratie zueinander
komplementär, da beide eine neue, im Grund kapitalistische Ordnung errichten wollen, deren Basis die Landwirtschaft ist. Kapitalistisch ist diese deshalb, weil sie auf dem
Prinzip des landwirtschaftlichen Großbetriebs basiert. Während sich die Physiokratie
mit der theoretischen und rechtlichen Basis als Voraussetzung für die Instaurierung
dieses System befasst, geht es in der Agronomie um die technische Komponente, d.h.
um konkrete Anbaupraktiken. Einer der mithin bekanntesten französischen Agronomen ist Monceau, einer der prominentesten anglophonen Henry Jethro William Tull
(1674-1741), zugleich Namensgeber der gleichnamigen britischen Rockband. Tulls
Überlegungen beeinflussen ihrerseits Monceau. Zu den Agronomen zählt auch Thomas Hale, von dem allein das Todesjahr (1759) bekannt ist. Auf Resonanz im spanischen Agrarismus stoßen Monceau und Tull insbesondere bei Olavide, der die von
ihnen vorgeschlagenen Techniken zur Verfeinerung der Erde, zur Parzellierung und
zur Pflanzung in Saatreihen in seinem Projekt zur Besiedelung der Sierra Morena umsetzt. Vgl. Perdices Blas (2000: 291f.).
187
Vgl. Marti (1997: 192), der anhand von Zitaten aus konkreten Werken darlegt, inwiefern Reformökonomen von Ward über Floridablanca bis hin zu Campomanes und
Jovellanos diese Auffassung teilen.
188
Vgl. Marti (1997: 192) auf der Basis von Argemí/Luch (1985: 47f.).
189
Auch diesen Begriff bezieht Marti von Argemí/Lluch (1985). Auch Perdices
Blas (2000: 275) plädiert für den Begriff des „agrarismo mercantilista“ und rückt
damit ebenfalls den Protektionismus in den Vordergrund, durch den die spanische
132 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
den Primärsektor ausgerichtete und empirisch basierte Praxis spanischer Regierungsbeamter.190 Wie für die spanische Reformökonomie
insgesamt typisch, gehe es auch bei dieser politischen Praxis darum,
die übrigen Wirtschaftssektoren in die reformökonomischen Überlegungen einzubeziehen, ein Ansatz, der auf Wards Proyecto económico
zurückgehe.191 Von der Überzeugung, dass sich die verschiedenen
Wirtschaftszweige komplementär zueinander verhalten, zeugt auch
der von Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de la industria
popular (1774) gemachte Vorschlag, die Feldarbeit und die Produktion
von Textilien dergestalt in Einklang zu bringen, dass die Fertigung in
Heimarbeit und im Winter als der Phase des Jahres stattfinde, in der
der Ackerbau ruht.192
Ähnlich wie Marti unterscheidet auch Jesús Astigarraga eine erste,
in den 1760er und 1770er Jahren angesiedelte Phase der partiellen Rezeption analytischer und normativer Ansätze der Physiokratie in Spanien, in der Ökonomen wie Xavier María de Munibe e Idiáquez, Conde de Peñaflorida (1729-1785), Arriquíbar, Olavide und Campomanes
das eigene Reformprogramm durch Versatzstücke physiokratischen
Gedankenguts argumentativ zu stützen suchen.193 Die Rezeption der
Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft im 17. und 18. Jahrhundert wirtschaftstheoretisch und politisch geprägt ist.
190
Vgl. Marti (1997: 191). Merkantilistisch ist der spanische Agrarismus deshalb,
weil sich die reformökonomischen Maßnahmen eben auf eine Regulierung des Handels mit Cerealien beschränken.
191
Vgl. hierzu Llombart Rosa (2000: 21). In Wards Proyecto económico ist die Rede
davon, dass Ackerbau, Industrie und Handel Hand in Hand gehen („se dan la mano“).
Vgl. hierzu den „Discurso preliminar“, p. XVII. Die bibliographische Angabe bezieht
sich auf die Originalausgabe von 1779.
192
Vgl. Campomanes (1975: 55). Auch Arriquíbar spricht in seiner Recreación política
(1779) von einer Interdependenz von Ackerbau, Kirche, Staat und den „artes personales“, das sind das Handwerk und die Industrie, wobei der Industrie insofern die größte
Bedeutung zukommt, als die ersten drei von ihr abhängen. Arriquíbar spricht wörtlich
von einer „cadena de dependencias, consumos y ocupaciones“. Vgl. Elorza (1970: 53f.)
mit Verweis auf Arriquíbar, Nicolás (1779): Recreación política. Primera parte. Vitoria:
Tomás de Robles y Navarro, p. 47.
193
In dieser Phase wird laut Astigarraga (2005: 566) vor allem Mirabeaus L’ami des
hommes ou traité de la population (1759) rezipiert, dessen großen Einfluss auf Olavide
Perdices Blas (2000: 286f.) nachweist. Ihm zufolge wurde Mirabeaus Schrift ihrerseits
stark von Cantillons Essai beeinflusst. Auch Jovellanos gibt in seinem Elogio a Carlos
III Mirabeaus L’ami des hommes als eine seiner Quellen an. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés
(2010: 100).
3. Reformökonomische Diskurse
133
Physiokratie ab den 1780er Jahren zeichnet sich hingegen durch Debatten über die Frage nach dem für das Reformprogramm geeigneten
politischen Rahmen aus.194 Die Rezeption des britischen Konstitutionalismus, der Schriften Montesquieus und der republikanischen Ideen
Filangieris und Gabriel Bonnot de Mablys (1709-1785) leitet jene liberalisierenden Prozesse ein, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den
Cortes de Cádiz führen,195 bildet doch das Naturrecht die gemeinsame
Grundlage der spanischen Vertreter des Liberalismus.196 Diese naturrechtliche Basis der Physiokratie mit den Aspekten Privateigentum,
Sicherheit und Freiheit instrumentalisieren die Regierungsbeamten
des aufgeklärten Absolutismus ihrerseits, um Ökonomie und Politik
aneinander zu koppeln und so die Politische Ökonomie als Regierungstechnik zu etablieren.197
Aufgrund der unterschiedlichen klimatischen und geographischen
Herausforderungen, mit denen sich die spanische Landwirtschaft im
Gegensatz zur französischen konfrontiert sieht,198 sind die meisten
in Spanien aufgegriffenen praktischen Vorschläge der französischen
Physiokraten auf das teils aride, teils mediterrane Klima der Iberischen Halbinsel nicht übertragbar und können allenfalls in Kantabrien
Anwendung finden.199 Der Vorschlag französischer Physiokraten, das
Pflügen sei mit Pferden zeitsparender zu bewältigen als von Hand,
wird für den spanischen Kontext angepasst, indem man Ochsen
194
Vgl. Astigarraga (2005: 566).
Vgl. Astigarraga (2005: 567).
196
Zu Foronda und seiner partiellen Rezeption des Werks des späten Physiokraten Guillaume Grivel, der eine Brücke zwischen der absolutistischen Basis der physiokratischen Lehre und dem antiabsolutistischen Liberalismus Forondas schlägt, vgl.
Lluch/Argemí (2000: 712). In eine liberalistische Richtung weist auch eine 1820 von
Juan del Castillo y Carroz übertragene Abhandlung Paul-Pierre Mercier de la Rivières
(1720~1793/94), die unter dem spanischen Titel El orden natural y esencial de las sociedades
políticas erscheint und basierend auf Locke den Schutz des Privateigentums und die
Freiheit als Basis für eine blühende Gesellschaft preist. Vgl. Lluch/Argemí (2000: 716).
Auch hier dient der chinesische Despotismus als Vorbild, dem ein System autonomer
Magistraturen zugeschrieben wird, die zwar durch den König bestimmt werden, aber
letztlich eigenständig handeln.
197
Vgl. Astigarraga (2005: 567).
198
Dies betrifft die Gegebenheit von trockenen und feuchten Klimazonen, den zonas áridas und den zonas húmedas.
199
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 712f.).
195
134 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vorschlägt, die billiger und leichter verfügbar sind.200 Des Weiteren
werden vor allem im ausgehenden 18. Jahrhundert der Vorschlag
einer Reform zur Einheitssteuer und die Einführung neuer Agrartechniken diskutiert.201
Auch wenn Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria (1795),202 in dem
wiederholt auf die Bedeutung des Primärsektors verwiesen wird, zuweilen eine gewisse Nähe zur Physiokratie unterstellt wurde, weil
Jovellanos empfiehlt, sich mit der technischen, d.h. mit der agronomischen Seite der Landwirtschaft zu befassen,203 teilt die Schrift weder die physiokratische Überzeugung von der Überlegenheit des
Agrarsektors über die übrigen Wirtschaftszweige noch die Vorliebe
der Physiokraten für Latifundien.204 Aus dem Geiste seiner Kritik an
den kirchlichen Majoratsgütern heraus, die es in den Augen des asturischen Reformökonomen abzuschaffen gilt, argumentiert Jovellanos
vielmehr, dass von den Großgrundbesitzern selbst bewirtschaftete
Flächen in der Regel weniger ertragreich seien als die von Pächtern
beackerten. Seine Präferenz für kleine, durch Kleinbauern und Tagelöhner bewirtschaftete Parzellen, teilt Jovellanos mit Campomanes
200
Möller verweist in diesem Zusammenhang auf den 1781 in der Moralischen
Wochenschrift El Censor abgedruckten zweiundzwanzigsten Diskurs. Dabei handelt
es sich um den fiktiven Leserbrief eines englischen Spanienreisenden, der unter anderem kolportiert, dass die Spanier zum Pflügen Maultiere statt der effizienteren Bullen
einsetzen. Vgl. Möller (2019: 135) mit Bezug auf Anonymus (2011 [1781]): „Discurso
Vigesimosegundo“. In: El Censor, 1, 22, pp. 333-348, eds. Klaus-Dieter Ertler & Elisabeth
Hobisch. Die „Spectators“ im internationalen Kontext. Digitale Edition. Graz: Universität
Graz. Quelle: http://gams.uni-graz.at/archive/get/o:mws-096-343/sdef:TEI/get, Zugriff:
24.05.2022.
201
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 713f.).
202
Der vollständige Titel der Abhandlung lautet Informe de la sociedad económica de
Madrid al Real y Supremo Consejo de Castilla en el expediente de ley agraria, extendido por su
individuo de número el señor don Gaspar Melchor de Jovellanos, a nombre de la junta encargada
de su formación, de Gaspar Melchor de Jovellanos. Empfehlenswert ist neben der von Guillermo Carnero herausgegebenen Cátedra-Ausgaben des Informe von 21998 und 32007
auch die hier vielfach zitierte, von Vicent Llombart Rosa und Joaquín Ocampo SuárezValdés (2008) edierte Gesamtausgabe der ökonomischen Schriften Jovellanos‘ als Teil
der Obras completas, vol. X: Escritos económicos. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del
Siglo xviii.
203
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714).
204
Dies zeigt auch Ocampo Suárez-Valdés (2010: 105).
3. Reformökonomische Diskurse
135
und Olavide.205 Zudem ist eine gedeihende Landwirtschaft für Jovellanos lediglich die Voraussetzung für die Entwicklung erst der Industrie und dann des Handels.206 Auch wenn Jovellanos die aus den
Latifundien erwachsenden ökonomischen Hindernisse deutlich benennt, wagt, wie vor ihm bereits Campomanes, auch er es nicht, eine
Änderung der Besitzverhältnisse in Betracht zu ziehen.207 Anders gestaltet sich dies in den Cartas político-económicas (1786-1790) von León
de Arroyal (1755-1813),208 der sich für den in Spanien weitverbreiteten
gebundenen Besitz ausspricht und dafür plädiert, dass der Boden dem
gehören solle, der ihn beackere.209 Kennzeichnend für die spanische
Reformökonomie, in der progressive Stimmen wie Arroyal die Ausnahme bilden, ist der widersprüchlich anmutende Umstand, dass sie
einerseits in Bezug auf den Handel mit Getreide liberalisierende Maßnahmen ergreift, so durch die schon erwähnte Real Pragmática vom
11. Juli 1765 zur Aufhebung der Getreidepreisdeckelung, andererseits
aber die Strukturen des Antiguo Régimen beibehält und so die Spekulationen landbesitzender Monopolisten begünstigt.210 Zu Beginn des
205
Zu Olavide vgl. Perdices Blas (2000: 278; 281). Zu Campomanes und Jovellanos
vgl. Marti (1997: 190f.).
206
Vgl. Jovellanos (1998: 302ff.). Vgl. hierzu auch Marti (1997: 189f.).
207
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714). Vgl. auch Llombart/Ocampo Suárez-Valdés
(2012: 127f.), der auf die ambivalente Haltung Jovellanos‘ zum kirchlichen und adeligen Großgrundbesitz verweist. So zieht Jovellanos nicht etwa die Pfändung kirchlichen Besitzes in Betracht, vielmehr setzt er auf Freiwilligkeit und, sollte dies nicht
fruchten, auf Pfändungen in der fernen Zukunft. Diese Maßnahme wird Godoy drei
Jahre später angesichts leerer Staatskassen umsetzen. Was den adeligen Landbesitz
anbelangt, sind Jovellanos‘ Reformvorschläge ähnlich prospektiv ausgerichtet und fallen mehr als moderat aus, wenn er die künftige Einschränkung der Bindung dieser
Flächen an adelige Familien und gesetzliche Maßnahmen zu einer Flexibilisierung der
Verpachtung dieser Böden anregt.
208
Zur Urheberschaft dieser Briefe, die auch Campomanes zugerechnet wird, vgl.
López, François (1967): „León de Arroyal, auteur des Cartas político-económicas al Conde
de Lerena“. In: Bulletin Hispanique, 69, 1-2, pp. 26-55.
209
Vgl. Marti (1997: 191) mit Bezug auf Arroyal, León de (1971 [1795]): Cartas político-económicas al Conde de Lerena, ed. José Caso González. Oviedo: Centro de Estudios
del siglo xviii, p. 254. Zu Arroyal vgl. auch Gittermann (2008: 371ff.).
210
Vgl. Marti (1997: 125). Ähnlich verhält es sich Marti zufolge mit der 1774 von
dem Physiokraten Anne Robert Jacques Turgot vorgenommenen Liberalisierung des
Getreidehandels in Frankreich. Turgot ist zu diesem Zeitpunkt Generalkontrolleur der
Finanzen. Vgl. Gömmel/Klump (1994: 73). Den Gedanken der Notwendigkeit dieser
Maßnahme formuliert Quesnay bereits 1765 in seiner Abhandlung Liberté du commerce
136 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
19. Jahrhunderts geht das Bewusstsein spanischer Ökonomen für die
Notwendigkeit einer Änderung der bestehenden Aufteilung des ländlichen Besitzes nahezu gänzlich verloren.211
Ein Verdienst der Physiokratie, das sich nicht nur in der spanischen
Reformökonomie, sondern auch in kulturellen Artefakten der europäischen Aufklärung niederschlägt, die den Ackerbau bildlich oder
literarisch repräsentieren, ist eine aus einem „gepriesenen primitiven
Stadium der Gesellschaft“212 resultierende Aufwertung des Primärsektors, mit der auch eine positivere Wahrnehmung der seit Jahrhunderten gering geschätzten Tätigkeit der Landarbeit einhergeht,
die nun als beachtenswerte, weil besonders ertragreiche Form der
Produktion wahrgenommen wird. Dies bleibt auch für die Literatur
nicht ohne Folgen, führt der Einfluss der physiokratischen Lehre doch
zu einer Aufwertung des Ländlichen im Allgemeinen und der Figur
des Bauern im Besonderen. In der französischen und spanischen Aufklärungsliteratur beispielsweise avancieren das Landleben und seine
ProtagonistInnen zu idealisierten Gegenbildern einer korrumpierten Urbanität.213 Den Physiokraten selbst ist allerdings nicht an dem
des grains (1765). Vgl. Schumpeter (2007: 292). Dass die Aufhebung der tasa de granos
Monopolisten Vorschub leistet, ist ein Verstoß gegen die physiokratische Kritik an
Monopolstellungen in Handel und Industrie. Zur Monopolkritik der Physiokraten vgl.
Astigarraga/Usoz (2008: 490).
211
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 714): „La forma y el tamaño de la propiedad, las formas de tenencia y la legislación sobre comercio desaparecen las más de las veces o,
en su caso, se da por propuesta una organización clásica. Ésta sería la de la gran propiedad latifundista o, en algunos casos, la de aparcería, pero generalmente el tema no
se menciona, y mucho menos se menciona ninguna ley agraria que modifique las estructuras.” Lluch/Argemí beziehen das schwindende Bewusstsein für das Problem des
Großgrundbesitzes namentlich auf Arias, Antonio Sandalio de (1808): Cartilla elemental
de agricultura, acomodada a nuestro suelo y clima. Madrid: Gómez Fuentenebro; Botelou,
Claude (1817): Elementos de agricultura, vol. I. Madrid: Martínez Dávila; Quinto, Agustín de (1818): Curso de agricultura práctica, conforme a los últimos adelantamientos hechos en
esta ciencia, y las mejoras prácticas agrarias de Europa. Madrid: Collado.
212
Schumpeter (2007: 296).
213
Für die französische Aufklärung zeigt dies Wyngaard, Amy S. (2004): From Savage to Citizen. The Invention of the Peasant in the French Enlightenment. Cranbury: University of Delaware Press, für die spanische Ilustración illustriert dies Marti, vgl. (1997:
207ff.) sowie idem (2001): „Menosprecio de corte y alabanza de aldea en la novela de
finales del siglo xviii“. In: Revista de Literatura, 63, 125, pp. 197-206. Wyngaard (2004: 15)
stellt explizite Bezüge zwischen der Aufwertung des Bauern in der Physiokratie und
ähnlichen Entwicklungen in der Literatur (Marivaux, Rétif de la Brétonne) und Malerei
3. Reformökonomische Diskurse
137
gelegen, was Schumpeter als die „Klasseninteressen des Agrariers“214
bezeichnet hat.
Als mit dem reformökonomischen Denken der spanischen Aufklärung deckungsgleich erweist sich hingegen die von Schumpeter
identifizierte Losung der Physiokraten, dass das Interesse des Individuums Diener des öffentlichen Interesses sei,215 begründet sie doch
ein Konzept des Staatsbürgers (ciudadano), der sich dadurch auszeichnet, dass er sein eigenes Interesse in einem patriotischen Gestus dem
Wohl der Nation unterordnet. Ein solches Konzept vom Einzelnen
als funktionalem und dienstbarem Bestandteil des ‚Staatskörpers‘ ist
schon in Bernardo Wards Proyecto económico angelegt.216 Interessanterweise führt die Rezeption des Gedankenguts der Physiokraten durch
die Politik in den unterschiedlichen politischen Kontexten Frankreichs und Spaniens zu völlig konträren Effekten: Ist in Frankreich
das erwachende Bürgertum der Hauptprofiteur des physiokratischen
Einflusses auf die Politik, weil gesetzliche Hindernisse für Landwirtschaft und Handel durch die starke Hand des staatlichen Despotismus leichter aus dem Weg geräumt werden können und die Bourgeoisie so von steigenden Erträgen profitieren kann, begünstigt der
spanische Agrarismus im Gegenteil die Aristokratie, da die höheren
(Greuze, Fragonard, Watteau) der französischen Aufklärung her: „The peasant embodied philosophical and aesthetic ideals of nature and sentiment, reflected the growing
interest in agriculture generated by the writing of the physiocrats and agronomists,
and served as the basis for the nostalgic reveries of moralists concerned about rural
exodus and community breakdown.“ Der Bauer, der in Philosophie und Kulturbetrieb
der französischen Aufklärung vom barfüßigen, in Lumpen gekleideten und lächerlichen Anderen zur tugendhaften Quintessenz des französischen Staatsbürgers schlechthin avanciert, ist ähnlich wie der bon sauvage eine Erfindung aufklärerischen Denkens
mit kompensatorischer Funktion: Dient, mit Ausnahme der Schriften Diderots, das
exotistisch verklärte Zerrbild des edlen Wilden zumeist der Rechtfertigung der Kolonialisierung und der Sklaverei, soll der Mythos vom glücklichen, empfindsamen und
tugendhaften Bauern als Hüter eines ländlichen Idylls über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Landbevölkerung wie schon im 16. und 17. Jahrhundert auch im 18. ein
karges Dasein fristet. Vgl. Wyngaard (2004: 13ff.). Diese Tatsache treibt französische
und spanische Pächter gleichermaßen dazu, vom Land in die Städte zu fliehen. Dieses
realökonomische Problem wird im Kulturbetrieb durch die Idealisierung des Landlebens und seiner Bevölkerung kompensiert.
214
Schumpeter (2007: 297).
215
Vgl. Schumpeter (2007: 301).
216
Vgl. Castellano (2000: 199).
138 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
landwirtschaftlichen Erträge die Einkünfte des Adels aus Bodenrenten steigen lassen. Führt also die Umsetzung physiokratischer Ideen in
Frankreich zu einer letztlich in die Französische Revolution mündenden Destabilisierung des Feudalsystems, untermauert sie in Spanien
die bereits bestehenden feudalen Strukturen.217 Nichtsdestotrotz ist es
die Physiokratie, die den Grundstein für den ökonomischen und politischen Liberalismus der spanischen Spätaufklärung legt, dem sich
das folgende Kapitel widmet.218
3.2.4. Der Liberalismus
Der politische Umsturz in Frankreich 1789 und das Ende des englischen Kolonialismus in Nordamerika läuten im Europa der Spätaufklärung die Epoche des Liberalismus ein. Gleichzeitig verursacht
die Französische Revolution ein Schockmoment, das seitens der spanischen Monarchie Ängste auslöst und beim alten ebenso wie beim
neuen Adel Widerstände produziert, die die spanische Aufklärung
hemmen und ihre Entwicklung nicht nur verlangsamen, sondern in
Teilen sogar umkehren. Im Zuge des erwachenden Liberalismus werden Eigentum und Besitz zur Bedingung für den Zugang zum Staatsbürgertum und zur politischen Teilhabe,219 was das wohlhabende und
besitzende Bürgertum ebenso wie den Adel begünstigt. Während moderate Reformökonomen wie Jovellanos mit seinem Informe sobre la Ley
Agraria versuchen, private Eigentumsrechte mit den Interessen des absolutistischen Staates in Einklang zu bringen, bewerten progressivere
Stimmen, darunter Cabarrús, dies als Herablassung.220 Dieser greift in
seinen Cartas Rousseaus Konzept des contrat social221 auf und spricht
217
Vgl. Lluch/Argemí (2000: 717).
Vgl. Astigarraga/Usoz (2008: 496).
219
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín (2017): „Economía política, desigualdad y
liberalismo, 1750-1850”. In: Revista de Historia Constitucional, 18, pp. 1-19, hier p. 2.
220
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 105). Im vierten Brief seiner Cartas (1792)
spricht Cabarrús mit Bezug auf Jovellanos wörtlich von der „condescendencia lamentable“ der Mächtigen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 6) mit Bezug auf Cabarrús,
Francisco (1973): Cartas, ed. José Maravall. Madrid: Castellote, p. 223.
221
Als Rousseaus Schrift Du contrat social ou Principes du droit politique (1762) in
den letzten Tagen des 18. Jahrhunderts ins Spanische übertragen wird, ist die Verbreitung so gering, dass Jovellanos kein einziges Exemplar aufzutreiben im Stande ist.
218
3. Reformökonomische Diskurse
139
vom ‚sozialen Pakt‘222 der gesellschaftlichen Schichten zum Wohle des
Eigentums sowie von den „derechos sacrosantos de seguridad y propiedad“, „á cuya conservación conspiraban pacto y leyes”223.
Einigkeit herrscht wiederum hinsichtlich der Erkenntnis, dass es
die Besitzverhältnisse sind, die den Rückstand Spaniens gegenüber
anderen europäischen Wirtschaftsmächten begründen. Befinden Liberalisten wie Alcalá Galiano224 die feudale Gesellschaftsordnung
unter Berufung auf die Naturgesetze für notwendig, prangern radikalere Vertreter der spanischen Aufklärung wie Manuel de Aguirre
und León de Arroyal225 (1755-1813) die aus den Besitzverhältnissen
erwachsende soziale Ungleichheit an226 und sprechen sich für eine
von den Großgrundbesitzern unabhängige Bauernschaft aus.227 Wenn
also Arroyal in seinen Cartas político-económicas als Einziger der spanischen Reformökonomen den Primärsektor als alleinige Quelle des
Reichtums eines Staates bezeichnet, geschieht dies nicht etwa im Geiste der physiokratischen Doktrin, sondern im Dienste der Kritik an den
Eine offizielle spanische Ausgabe wird erst 1820 gedruckt. Ab 1800 zirkulieren einzelne
Exemplare klandestin. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Cabarrús die Schrift Du
contrat social in seiner Eigenschaft als Geschäftsmann französischen Ursprungs und
aufgrund seiner Beziehungen nach Frankreich bekannt war. Dass Cabarrús es überhaupt wagt, sich auf Rousseau zu beziehen, zeigt seine progressive Ausrichtung, denn
insgesamt stoßen Rousseaus Schriften in Spanien auf harsche Kritik, die zuvor Feijoo
in seinen Cartas eruditas (1742-1760), Pérez y López‘ in seinen Principios del Orden (1785)
und Jovellanos in seinen Diarios (1794) formuliert hatten. Vgl. Sánchez-Agesta, Luis
(1979): El pensamiento político del despotismo ilustrado. Sevilla: Universidad de Sevilla,
p. 93 mit Bezug auf Feijoo, Benito Jerónimo (1753): Cartas eruditas y curiosas, vol. IV.
Madrid: Pedro Marín, p. 18; Pérez y López, Antonio Xavier (1785): Principios del orden
esencial de la naturaleza, establecidos por fundamento de la moral y política, y por prueba de
la religión: nuevo sistema filosófico. Madrid: Imprenta Real, p. 173 [Fußnote]; Jovellanos,
Gaspar Melchor de (1915 [1790-1801]): Diarios: memorias íntimas, 9.-24. August 1794.
Madrid: Imprenta de los Sucesores de Hernando.
222
Vgl. Cabarrús (1813: 5f.): „[...] tal es aun y tal fué y será siempre el pacto social:
se dirige á proteger la seguridad y la propiedad individual, y por consiguiente la sociedad nada puede contra estos derechos que la son anteriores.“
223
Cabarrús (1813: 7).
224
Vgl. Elorza, Antonio (1968a): „El liberalismo económico de Vicente Alcalá Galiano”. In: Moneda y Crédito, 106, pp. 65-87, hier p. 87.
225
Zu Arroyal vgl. Andújar Castillo, Francisco (1990): „Militares e Ilustración. El
pensamiento militar de Manuel de Aguirre”. In: Chrónica Nova, 18, pp. 37-49.
226
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 105).
227
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 106).
140 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in Spanien vorherrschenden Latifundien,228 weshalb Arroyal für eine
konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild plädiert.229 Ähnlich argumentiert Pedro Antonio Sánchez, wenn er anführt, in einer
Republik gebe es bedeutend weniger Arme als in einer Monarchie.230
3.3. Die Handlungsebene
Den reformökonomischen Kurs auf Handlungsebene konsequent und
effektiv zu verfolgen, hätte also bedeutet, an die ungleiche Verteilung
von Besitz, und damit an die Privilegien des Adels und des Klerus,
zu rühren.231 Nicht umsonst spricht Gittermann in ihrer Studie über
die Ökonomisierung des politischen Denkens unter Carlos III. von einer
„ökonomische[n] Erneuerung ohne politische Reform“232. In Bezug
auf die Latifundien der Kirche erfolgt eine Umverteilung mit der 1798
durch Godoy initiierten und bis 1808 andauernden Pfändung von
Ländereien vergleichsweise spät. In Bezug auf den Adel bleibt eine
grundlegende Beschneidung seiner Privilegien gänzlich aus.233 Erst
228
Vgl. Marti (1997: 191).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 5).
230
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2017: 5) mit Bezug auf, Sánchez, Pedro Antonio
(1973): „Memoria sobre la mendicidad”. In: Beiras, José M. (ed.). La economía gallega en
los escritos de Pedro Antonio Sánchez. Vigo: Galaxia, pp. 58-113 hier p. 62.
231
Marcos Martín (2000: 711).
232
Gittermann (2008: 287).
233
Selbst als es im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu grundlegenden Reformen
kommt, erweist sich der Adel im Gegensatz zur Kirche als Gewinner, führt die Gesetzesänderung zur Veräußerbarkeit der zuvor gebundenen kirchlichen Güter doch
zu einer Vermehrung des adeligen Kapitals, da es Adelige sind, die den Großteil der
kirchlichen Güter erwerben. Marcos Martín (2000: 713) spricht sogar von einer regelrechten „alianza entre la emergente burguesía y la vieja nobleza terrateniente“, die in
Europa insofern einmalig ist, als es in Spanien nicht zum Bruch zwischen dem neuen
(bürgerlichen) Gesellschaftssystem und dem alten (feudalen) kommt, sondern sich die
feudalen Strukturen vielmehr in einer Gesellschaft fortschreiben, deren Politische Ökonomie auch im 19. Jahrhundert bürgerlichen und adeligen Landbesitzern verpflichtet
ist und sich erneut protektionistisch ausrichtet. Die Fortschreibung dieser Strukturen
wird Marcos Martín (2000: 714) zufolge durch ein insgesamt politisch schwaches Bürgertum erleichtert, das nicht Motor, sondern vielmehr Profiteur der Liberalisierungsund Modernisierungsprozesse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist. Auch Ocampo Suárez-Valdés (2015: 108) spricht in Bezug auf die Periode zwischen 1810 und 1813,
jener Phase der Cortes de Cádiz also, in der die erste spanische Verfassung verabschiedet
229
3. Reformökonomische Diskurse
141
mit dem spanischen Unabhängigkeitskrieg (1808-1814), den Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien (1813-1814) und dem Ausbruch
des ersten Karlistenkrieges (1833-1840) sieht sich die Krone zu tiefgreifenden Veränderungen des institutionellen und juristischen Rahmens
veranlasst.234 Wirtschaftlich bedeutet dies, dass der Entwicklung kapitalistischer Produktionsformen und der Industrialisierung in Spanien
erst ab den 1830er Jahren der Weg bereitet wird, und auch dann vollzieht sich dieser Prozess vergleichsweise langsam. Dass die Schaffung
eines stabilen rechtlichen und institutionellen Rahmens, der privates
Eigentum schützt und damit Investoren zur Erprobung neuer Technologien ermutigt, der spanischen Wirtschaft schon früher zu neuer Blüte hätte verhelfen können, zeigt Pérez Sarrión am Beispiel Englands,
wo es zwischen 1641 und 1689 zu einer Einschränkung der Macht des
Souveräns und zu einer dadurch begünstigten Stärkung von Individualrechten kommt, die in absolutistischen Staaten wie Spanien und
Frankreich ausbleibt. Der in England geschaffene politische Rahmen
führt dazu, dass das dortige Manufakturwesen früher als in anderen
europäischen Staaten prosperiert und technische Innovationen begünstigt werden.235
Die spanische Reformpolitik dagegen beschränkt sich ab 1750 auf
drei Handlungsfelder: Erstens eine merkantilistisch inspirierte und
protektionistische Handelspolitik, die sich vor allem in Importverboten und der Erhöhung von Zöllen niederschlägt. Zweitens eine auf das
Industrie- und das Handwerk ausgerichtete Politik, die die Vermittlung von handwerklichen Fertigkeiten in den Blick nimmt, konkretes institutionalisiertes Wissen einer größeren Menge von Menschen
wird, von dem paradoxalen Effekt, dass eine theoretisch revolutionär eingestellte und
pro-republikanische Bourgeoisie, die dem französischen Konstitutionalismus zugeneigt sei, am Ende zur Stärkung der Macht des Adels beitrage, und zwar zu Lasten
einer zunehmend verarmenden Landbevölkerung. Den Grund dafür sieht Ocampo
Suárez-Valdés darin, dass das spanische Bürgertum – der feudalen Tradition folgend
– Wohlstand eher mit dem agrarischen als dem industriellen Kapitalismus in Verbindung bringe. Vgl. für alles ibid.
234
Vgl. Marcos Martín (2000: 711f.). So wird beispielsweise der Zehnt (diezmo) zugunsten einer direkten Besteuerung der Pächter durch die Krone abgeschafft. Von den
im Feudalsystem gebräuchlichen Abgaben wie dem tercio (dt.: „Drittel“) oder dem excusado, der Abgabe des der Kirche geschuldeten Zehnts an die Krone, weshalb der
Latifundist gegenüber der Kirche ‚entschuldigt‘ (span.: „excusado“) ist, hatten vor der
Reform ausschließlich die Großgrundbesitzer profitiert.
235
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 111).
142 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zugänglich macht und das gesellschaftliche Ansehen der Werkarbeit
insgesamt verbessern will. Zugleich geht es mit dem wachsenden
Einfluss physiokratischer und liberalistischer Ideen immer mehr darum, die Privilegien der Zünfte aus Furcht vor Monopolstellungen
zu beschneiden. Drittens betreiben die Krone und ihre Minister eine
Agrarpolitik, die auf eine Aufrechterhaltung der bestehenden Besitzverhältnisse und der Ständegesellschaft ausgerichtet ist und sich daher auf Maßnahmen zur Regulierung des Getreidehandels beschränkt.
Da eine Vielzahl von Maßnahmen zu den drei Aktionsfeldern bereits
in den Kapiteln zur Lage des spanischen Primär-, Sekundär- und Tertiärsektors im 18. Jahrhundert zur Sprache gekommen ist, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen zum einen auf königliche Erlasse zur Erhöhung der Produktivität des Handwerks, zum anderen
auf eine staatlich vorangetriebene Institutionalisierung theoretischen
und praktischen ökonomischen Wissens, die durch die Gründung von
ökonomischen Gesellschaften und Werksschulen erfolgt.236
3.3.1. Erlasse zur Steigerung der Produktivität des Handwerks
Mit der Real Cédula von 1783 werden zuvor gering geschätzte und
verachtete berufliche Tätigkeiten, die körperliche Arbeit involvieren
– insbesondere die Handwerksberufe – als „honestos y honrados“
deklariert.237 Ziel des Erlasses ist es, eine ganze Reihe von Professionen „consideradas como deshonrosas [...] que se dedicaban [...]
a la fabricación o al trabajo manual“238, darunter Schuster, Gerber
236
Eine solche Institutionalisierung fordert Graef bereits 1755 in seinen Discursos
mercuriales. Vgl. Witthaus (2012: 292). Seine Forderung erfüllt sich 1765 mit der Gründung der ersten Ökonomischen Gesellschaft Spaniens, der Baskischen (span.: Bascongada oder Vascongada).
237
García Garrosa (1993: 675) zitiert die relevanten Passagen aus der Real Cédula
und verweist auf vorausgehende Schriften von Antonio Pérez y López (Discurso sobre la
honra y deshonra legal), Antonio Arteta de Monteseguro (Disertación sobre el aprecio de las
artes prácticas) und Pedro A. Sánchez (Memoria sobre el modo de fomentar entre los labradores de Galicia las fábricas de curtidos) aus dem Jahre 1781. Vgl. zu diesem Erlass auch die
Untersuchungen von Elorza, Antonio (1968b): „La polémica sobre los oficios viles en la
España del siglo xviii “. In: Revista de Trabajo, 22 (1968), pp. 69-96 und Álvarez y Guillamón, Javier (1981): Honor y honra en la España del siglo xviii. Madrid: Departamento de
Historia Moderna sowie Ocampo Suárez-Valdés (2021: 24ff.).
238
García Garrosa (1993: 674).
3. Reformökonomische Diskurse
143
und RepräsentantInnen des Textilgewerbes wie WollkämmerInnen,
SchneiderInnen und Tuchfabrikanten, zu rehabilitieren und ihnen zu
neuem gesellschaftlichem Ansehen zu verhelfen. Das historisch geringe Ansehen dieser Berufsstände führt García Garrosa auf die seit der
Reconquista im kollektiven Bewusstsein verankerte Doktrin der limpieza de sangre zurück, der zufolge gesellschaftliche Wertschätzung allein
dem Adelsstand vorbehalten und nicht mit körperlicher Arbeit vereinbar gewesen sei.239 Dies hatte nicht nur Folgen für HandwerkerInnen, sondern auch für Bauern, Bäuerinnen und in der Landwirtschaft
tätige Tagelöhner, alle Arbeitsformen also, die körperlichen Einsatz erfordern. Dazu kommt, dass Handwerksberufe seit dem Mittelalter in
Spanien traditionell von marginalisierten sozialen Gruppen wie Juden
und moriscos ausgeübt wurden.240 Anders als mit dem Handwerk verhält es sich mit dem Stand der Kaufleute, der zwar ebenfalls, aber in
bescheidenerem Maße, Geringschätzung erfährt.241
Die Real Cédula von 1783 geht auf die Initiative Campomanes‘ zurück. Schon in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular
verweist der Minister auf die Notwendigkeit der öffentlichen Anerkennung der Handwerksberufe, und bezieht sich dabei auf das Vorbild Kataloniens sowie auf ein in Portugal erlassenes Gesetz, das für
Spanien Modellcharakter haben könne:
239
Vgl. auch García Garrosa (1990: 168): „El descrédito de los trabajos manuales era
ya patente desde principios del siglo. Para ser miembro de un concejo o tener un cargo
público, además de probar la limpieza de sangre y de no haberla manchado por un
matrimonio desigual, había de justificar que no se ejercía un ‚oficio mecánico’.“ García Garrosa verweist in diesem Zusammenhang auch auf Domínguez Ortiz, Antonio
(1976): Sociedad y Estado en el siglo xviii. Barcelona: Ariel, p. 460, der eine Statute des Gemeinderats von Cádiz aus dem Jahr 1732 anführt. Dort werden handwerkliche Tätigkeiten als eines Amtsträgers unwürdig bezeichnet: „[...] ni de oficio ni artificio mecánico tuviese dignidad ni honra pública en Gobierno Pomposo y de gran autoridad [...].”
240
Vgl. García Garrosa (1993: 674).
241
Vgl. García Garrosa (1993: 688): „El ejercicio de la actividad mercantil no llevaba
aparejado el mismo grado de deshonra que los trabajos viles. La prueba es que eran
muchos los comerciantes, los burgueses por excelencia, que se enriquecían con sus
negocios y llegaban a gozar de una envidiable posición económica [...]. Sin embargo, a
esta posibilidad de un rápido y fácil ascenso social, se unía el hecho de que comerciantes y negociantes en general gozaban de mala reputación, heredera también, como sucedía con ciertos oficios viles, de los tiempos en que los judíos vivían en la península.“
Der (nicht erst) mit den Reyes Católicos begründete Antisemitismus setzt sich also auch
noch im 18. Jahrhundert in der Geringschätzung des Kaufmannsstandes fort.
144 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Una de las causas principales del fomento de las artes en Cataluña consiste
en que los oficios se miran en el pueblo con el mismo honor que la labranza y es muy del caso esta opinión razonable para sostener la industria
popular, uniendo las ideas honradas a todo lo que favorece el trabajo de la
gente. En las demás Provincias de España se miran los oficios con desprecio por la mayor parte, de modo que la idea y voz de artesano o menestral
está en oposición con el aprecio común y aún obsta para entrar en ciertos
cuerpos, que no son tan ventajosos a la riqueza nacional. Los Portugueses,
para honrar al Pueblo y quitar odiosas distinciones contra los Cristianos
nuevos, publicaron poco ha una Pragmática. En España convendría poner
en aprecio los oficios y desterrar toda vulgaridad y preocupación en esta
parte, de manera que la ociosidad y holgazanería o los verdaderos delitos
sea lo que deshonre y jamás la honesta profesión de los oficios.242
Hatte die Ausübung eines Handwerks oder eines anderen mit
körperlicher Arbeit in Verbindung stehenden Berufes zuvor die soziale Ächtung nach sich gezogen, dreht Campomanes den Spieß hier
um, wenn er die Faulen und Untätigen als die wahren Delinquenten
brandmarkt. Die Erhöhung des sozialen Prestiges der Handwerksberufe betrachtet der Minister als probates Mittel, um der Untätigkeit
weiter Teile der Bevölkerung entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist er bemüht, möglichen Besorgnissen des Adels um seine Vormachtstellung
zuvorzukommen, wenn er darauf hinweist, dass die Ehrbarmachung
körperlicher Arbeit nicht notwendigerweise einer Schmälerung des
Ansehens des Adelsstandes gleichkomme.243
Campomanes‘ bereits 1774 gemachter Vorschlag wird mit der Real
Cédula von 1783, das heißt mit neunjähriger Verzögerung, zum Gesetz. Der Erlass steht im Kontext einer ganzen Reihe von Vorschriften,
die darauf abzielen, den im Handwerk tätigen Personenkreis zu vergrößern und damit die Produktivität des Sekundarsektors zu steigern.
Ab 1773 wird es auch dem niederen Adel gestattet, einen Handwerksberuf oder eine sonstige gewerbliche Tätigkeit auszuüben. 1777 werden die Zünfte mit der Real Cédula vom 24. März verpflichtet, auch
Nicht-Ortsansässige und Ausländer in ihren Reihen zu dulden, sofern
242
Campomanes (1975: 75).
Vgl. Campomanes (1975: 75): „Esto no deroga a la distinción que la nobleza y
las dignidades, o la eminente sabiduría y servicios a la patria, traen consigo, guardada
justa proporción.“
243
3. Reformökonomische Diskurse
145
diese katholisch244 sind und nachweisen können, dass sie über die zur
Berufsausübung nötigen handwerklichen Fähigkeiten verfügen. Die
Real Resolución vom 21. Juli 1780 erlaubt es nun auch unehelichen
männlichen Nachkommen eines Meisters, ein Handwerk auszuüben.
Mit den Erlassen vom 12. Januar 1779 und 2. September 1784 können
auch Frauen (textil-)gewerbliche Tätigkeiten ausüben, sofern diese mit
ihrem Geschlecht – d.h. den Maßgaben der Sittsamkeit, denen Frauen
historisch in besonderer Weise unterworfen sind – vereinbar sind.245
Den Regularien der Zünfte gemäß war dies zuvor allein Meisterswitwen vorbehalten.246 Das Handwerk für möglichst viele gesellschaftliche
Gruppen zu öffnen, erscheint nicht nur angesichts einer zunehmenden
Handwerksflucht notwendig, ist es doch das Bestreben aller Stände,
auch der Kaufleute, in den Adel aufzusteigen, sondern auch deshalb,
weil im Zuge des politischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs der
europäischen Großmächte seit Ende des 17. Jahrhunderts ein regelrechter brain drain erfolgt: HandwerkerInnen aus Nordeuropa,247 die
mit der Anwendung neuer Technologien vertraut sind, erweisen sich
in Frankreich als ebenso gefragt wie in Spanien. Pérez Sarrión spricht
diesbezüglich von regelrechten ‚Migrationsnetzwerken‘ („redes
migratorias“248) und handwerklichen ‚Produktionsgemeinschaften‘
244
Diese Anforderung versperrt Meistern aus dem protestantischen Ausland, beispielsweise aus England und Flandern, den Weg nach Spanien, wenn sie nicht konvertieren. Dagegen öffnet sie Personen aus dem französischen Textilhandwerk ebenso den
Weg wie irischen Werktätigen.
245
Für alle vgl. Herr (1988: 106).
246
Vgl. Farr (2000: 108). Eine erhellende Studie zu Frauen, darunter auch Witwen,
im deutschen Zunfthandwerk hat Christine Werkstätter vorgelegt. Vgl. Werkstätter,
Christine (2001): Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und
Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert. Berlin: Akademie-Verlag. Zu Frauen im französischen Handwerk vgl. auch Musgrave, Elizabeth (1997): „Women and the Craft Guilds in Eighteenth-Century Nantes“. In: Crossick, Geoffrey (ed.). The Artisan and the European Town 1500-1900. New York: Routledge, pp. 151-171. Zu Madrider Arbeiterinnen
im 18. Jahrhundert vgl. auch die Studie von Barahona (2015).
247
Vgl. auch Marcos Martín, vgl. (2000: 527f.), der auf der Basis von Kamen, Henry
(1978): „The Decline of Spain. A Historical Myth“. In: Past and Present, 81, pp. 24-50
konkrete Namen u.a. flämischer Weber nennt, die ab den 1680er Jahren durch die Junta
de Comercio angeworben werden, um spanische Produzenten in neue Fertigungstechniken einzuführen. Katalanische Fabrikanten wie Feliu de la Penya schicken schon im
ausgehenden 17. Jahrhundert Gesellen ins europäische Ausland, damit diese dort die
neuesten Herstellungsverfahren erlernen mögen.
248
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100).
146 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
(„comunidades de producción“249), die in großen Verbünden von England nach Frankreich migrieren, um dort die neuesten Fertigungstechniken anzuwenden. Die dafür nötigen Maschinen und Verfahren
hatte man zuvor mittels der seit dem 18. Jahrhundert florierenden
Industriespionage250 ausfindig gemacht und im eigenen Land nachgeahmt.251 Hinsichtlich seines technologischen Knowhows ist Spanien
gegenüber anderen Staaten deshalb deutlich im Nachteil, weil es mit
der Vertreibung der Juden und Morisken zwei für die wirtschaftliche
Entwicklung maßgebliche Minderheiten ausgewiesen hatte.252 Im 16.,
17. und 18. Jahrhundert erweist sich vor allem die in der Gegenreformation wurzelnde Praxis, keine protestantischen HandwerkerInnen
in Spanien zu dulden, als nachteilig, zumal die meisten maschinellen
und produktbezogenen Innovationen aus protestantisch dominierten
Gebieten wie England und den Niederlanden kommen.253
Ein entsprechend großes Anliegen ist die Anwerbung von in innovativen Web- und Färbetechniken sowie im Umgang mit den neuesten Maschinen erfahrenen HandwerkerInnen aus dem Ausland. In
seinem Discurso von 1774 verweist Campomanes explizit auf die bereits von Carlos III. unternommenen Erlasse, die frühere Regelungen
außer Kraft setzen, nach denen es Werktätigen aus dem Ausland nicht
249
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100).
Dass Industriespionage im 18. Jahrhundert gang und gäbe ist, veranschaulicht
Pérez Sarrión (2012: 97ff.) ebenfalls am Beispiel Frankreichs, wo diese Praxis seitens
der Regierung systematisch betrieben und gefördert wird, nicht zuletzt deshalb, weil
man gegenüber Holland und England technologisch ins Hintertreffen geraten war. Zu
der u.a. durch den Conde de Aranda initiierten spanischen Industriespionage vgl. Pérez Sarrión (2012: 103).
251
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 100).
252
Für Marcos Martín (2000: 537) ist die Vertreibung der Morisken beispielsweise
für den Niedergang des valencianischen Handels ursächlich, der zwischen 1592 und
1598 sowie zwischen 1634 und 1638 um 38 % zurückgeht. Auch Campomanes macht
in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular die Vertreibung der Morisken
für den Verfall der Wollverarbeitung in Kastilien, der Extremadura und in Andalusien
verantwortlich. Vgl. Campomanes (1975: 86f.): „Si se examina con cuidado el número
de fábricas de lana que había en Castilla, Extremadura y Andalucía, de que no ha quedado casi vestigios causaría admiración la decadencia que se toca y la industria antigua
que se ha perdido en nuestros días o en los de nuestros abuelos. La expulsión de los
Moriscos trajo consigo en gran parte la ruina de esta especie de fábricas y de otras.“
253
Vgl. Pérez Sarrión (2012: 103), der hierin eine Bestätigung von Webers These
sieht.
250
3. Reformökonomische Diskurse
147
gestattet war, ihr Metier in Spanien auszuüben.254 Campomanes erweist sich ganz als Vertreter des Neomerkantilismus und spricht sich
zum einen vehement gegen die Monopolstellung der Zünfte und Privilegien jeglicher Art aus,255 die verhindern, dass sich beispielsweise
die Landbevölkerung durch die nebenerwerbliche Produktion von
Textilien ein notwendiges Zubrot sichern kann. Zum anderen erkennt
er in der Anwerbung kompetenter Meister aus dem Ausland ein geeignetes Instrument im Wirtschaftskrieg der Großmächte:
La introducción de artífices extranjeros es uno de los fomentos más seguros de la industria. Con ellos se puede tener maestros idóneos en las
Provincias para propagar la enseñanza, sujetando a ella a los individuos
actuales de los mismos Gremios que necesiten de este auxilio, por faltarles
a muchos dibujo, el aprendizaje necesario y un riguroso examen público
que acredite su suficiencia.256
Insbesondere der letzte Satz des Discurso lässt keinen Zweifel daran, dass das grundlegende Movens der Schrift ist, Spaniens Stellung
im nicht mehr nur militärischen, sondern nunmehr auch ökonomischen Wettstreit mit England, Frankreich, Deutschland, Holland und
dem Baltikum eine bessere Ausgangslage zu verschaffen: „Una Nación vigilante y despierta, cuyo pueblo todo esté ocupado e instruido en las artes de la guerra y de la paz, mientras permanezca unida
a tales máximas no tiene que recelar de sus enemigos.“257 Zugleich
zeugt Campomanes‘ Werk von der für den Übergang zwischen dem
frühen Merkantilismus und dem Neomerkantilismus charakteristischen Haltung, im Ausland nach wirtschaftlichen Vorbildern für das
254
Vgl. Campomanes (1975: 94): „Carlos III ha confirmado a favor de los artífices
extranjeros todo lo que las leyes disponen en cuanto a ellos, sin exceptuar los que residen en las costas de mar, despachándose Real Cédula en el año de 1771, y les ha
eximido y a sus hijos del sorteo y servicio militar en las Ordenanzas de reemplazos.“
255
Vgl. Campomanes (1975: 90): „Nada es más contrario a la industria popular que
la erección de gremios y fueros privilegiados, dividiendo en unas sociedades pequeñas al pueblo y eximiéndolas de la justicia ordinaria en muchos casos. Si este método
se repite demasiado son de temer consecuencias desagradables contra la extensión y
bondad de las manufacturas.“
256
Campomanes (1975: 94).
257
Campomanes (1975: 124).
148 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eigene Land zu forschen.258 In diesem Sinne werden Pommern, Schlesien, England und Frankreich wiederholt als Beispiele herangezogen,
von denen Spanien lernen kann.259 Der spanische Minister erweist sich
als überaus pragmatisch, wenn er einräumt, dass es auch deshalb notwendig sei, Handwerkermeister aus dem Ausland anzuwerben, weil
die Attraktivität von Stoffen wesentlich von der jeweiligen Mode abhänge:
Varían los caprichos y las modas, de suerte que en esta parte es necesaria
la mayor diligencia para acomodarse al gusto dominante. Es mucho que
las Naciones industriosas no hayan traído a Europa de la Asia fabricantes
que enseñasen los secretos que allí son tan antiguos y comunes y nosotros
en parte aún los ignoramos.260
Auch der faktisch gegebenen höheren Qualität französischer
Weberzeugnisse im Vergleich zu den spanischen Produkten verschließt Campomanes sich nicht, vielmehr hebt er sie anerkennend
hervor: „Los Franceses, por la gran variedad y primor de su diseño
aventajan a las demás Naciones en el gusto de sus manufacturas finas y aun ordinarias. Este gusto todavía nos es algo forastero y sin
él harán cortos progresos las fábricas finas de España.“261 Erachtet
Campomanes es also als legitim, auf das Knowhow des Auslands zurückzugreifen, plädiert er zugleich dafür, Auslandsreisen heimischer
(männlicher) Handwerker von staatlicher Seite zu finanzieren, damit
diese dort die neuesten Techniken erlernen mögen. Dabei setzt Campomanes auf das Prinzip der Verbreitung und Prämierung von Wissen, das darauf beruht, dass auslandserfahrene und in den Provinzhauptstädten angesiedelte Meister Lehrlinge unterrichten, die das so
258
Wie bereits dargelegt, hatte Martín Rodríguez (1999a: 362) diese Orientierung
am Ausland als für diese „etapa de transición“ zwischen frühem und aufklärerischem
Merkantilismus prägend ausgewiesen.
259
Zum Vorbildcharakter der Textilindustrien Englands, Frankreichs und Deutschlands vgl. Campomanes (1975: 56). Zu Frankreich und insbesondere dem Pariser
Handwerk vgl. ibid., p. 99 sowie, zum Vorrang der französischen Stoffe vor den spanischen, p. 89. Zu England und Pommern, wo der Export von Rohware im Gegensatz zu
Spanien mit der Todesstrafe geahndet wird, vgl. pp. 85f.
260
Campomanes (1975: 88).
261
Campomanes (1975: 89).
3. Reformökonomische Diskurse
149
Erlernte wiederum an die Landbevölkerung weitergeben sollen.262
So wird die für den bourbonischen Absolutismus charakteristische
pyramidale Struktur in Form einer zunächst vertikalen Weitergabe von Wissen vom Meister zum Lehrling in die Ebene des Handwerks hineingetragen; in einem weiteren Schritt sollen diese Kenntnisse dann auf horizontaler Ebene von Lehrling zu Lehrling tradiert
werden. Eine solche Verbreitung soll zum einen durch eine höhere
Entlohnung dieser Meister angeregt werden, zum anderen durch die
Auszeichnung der Lehrlinge in Form von Medaillen und öffentlichen
Ehrungen gesichert sein, was den positiven Effekt mit sich bringt,
dass die im Handwerk Unterwiesenen mittels der Prämierung ausgezeichneter Arbeiten lernen, gute Handwerkskunst von schlechter zu
unterscheiden.263 Dass dies in der bisherigen Ausbildungspraxis nach
Maßgabe der Zünfte nicht der Fall sei, bemängelt Campomanes, erlernten die Lehrlinge das Handwerk doch durch reine Nachahmung
und ohne ein tiefgreifenderes Verständnis der Prozesse und Techniken zu entwickeln.264 Eben hier sollen die in Kooperation mit Joaquín
Cester eingerichteten Werksschulen Abhilfe schaffen, die zusammen
mit den Ökonomischen Gesellschaften im nächsten Abschnitt thematisiert werden.
3.3.2. Die Gründung von Ökonomischen Gesellschaften und Werksschulen
In ähnlicher Weise, wie sich in der Presse und in der tertulia eine neue
aufklärerische Form der Soziabilität manifestiert, ist für Jesús Astigarraga auch die Gründung Ökonomischer Gesellschaften in Spanien,
der Sociedades Económicas de Amigos del País, ein Ausdruck aufklärerischer Geselligkeit.265 Gleichzeitig kommt in der Gründung dieser
Gesellschaften, die im 18. Jahrhundert in ganz Europa entstehen,
262
Vgl. Campomanes (1975: 97).
Vgl. Campomanes (1975: 93).
264
Vgl. Campomanes (1975: 93): „La enseñanza y leyes del aprendizaje es lo que
menos se cuida en los Gremios. Ni los Maestros saben dibujo, ni tienen premios los
discípulos, ni pruebas públicas de sus maniobras, y todo va por un mecanismo de pura
imitación de unos en otros, sin regla, gusto ni dirección.“
265
Vgl. Astigarraga, Jesús (2015b): „Economic Societies and the politicization of the
Spanish Enlightenment“. In: idem (ed.). The Spanish Enlightenment Revisited. Oxford:
Voltaire Foundation, pp. 63-81, hier p. 65.
263
150 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der absolutistische Wille zum Ausdruck, die Politische Ökonomie als
Strategie der Gouvernementalität zu konsolidieren und zu institutionalisieren.266 Obgleich die Gründung der Sociedades Económicas de
Amigos del País in Spanien auf keinen konkreten königlichen Erlass
zurückgeht, können staatliche Instanzen wie der Consejo de Castilla als
Impulsgeber identifiziert werden, die einzelne Personen gezielt ansprechen und zur Gründung solcher Gesellschaften ermuntern.267 In
Regierungskreisen erkennt man in den Ökonomischen Gesellschaften
schon früh ein adäquates Instrument, um die wirtschaftliche Entwicklung Spaniens zu fördern, die Reformökonomie auf nationaler und
lokaler Ebene institutionell zu verankern und reformökonomisches
Gedankengut zu vermitteln:268 Für Campomanes bilden die Sociedades Económicas ein geeignetes Gegengewicht zum Einfluss der Zünfte,
die der Minister als ein Haupthemmnis für Innovationen im Bereich
der Fertigungstechnik erachtet.269 Diesem Wissensrückstand sollen die
Sociedades Económicas durch die Erarbeitung von Vorschlägen zur Entwicklung neuer Technologien beikommen.
Wie das Beispiel der der Sociedad Bascongada zeigt, die 1765 unter Mitwirkung des Conde de Peñaflorida als Erste ins Leben gerufen wird und in der sich führende Politiker der Provinzverwaltung
engagieren,270 sehen die Ökonomischen Gesellschaften ihren Auftrag nicht allein auf das Wirtschaftliche, also auf die Förderung von
Ackerbau, Industrie, Handwerk und Handel, beschränkt. Vielmehr
verstehen sie sich als Bildungseinrichtungen, die ein breit angelegtes
266
Die erste in Europa gegründete Ökonomische Gesellschaft ist die von Dublin
(1731), gefolgt von der Bretonischen (1757) und der von Bern (1758). Vgl. Astigarraga
(2005: 549) sowie idem (2015b: 68).
267
Anes (1981: 23f.). Astigarraga (2015b: 74) wiederum nennt drei mögliche Wege
zur Gründung einer Ökonomischen Gesellschaft: 1) durch die Initiative von Privatleuten; 2) auf Anraten des Consejo de Castilla v.a. in den Regionen, in denen es an reformökonomischen Initiativen fehlt; 3) durch Umwandlung einer bereits bestehenden
aufklärerischen Instanz wie einer tertulia oder einer Akademie in eine Ökonomische
Gesellschaft.
268
Vgl. Anes (1981: 22f.).
269
Vgl. MacLachlan (1991: 79).
270
Campomanes verweist in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular auf den Vorbildcharakter der Bascongada für später gegründete Ökonomische Gesellschaften. Vgl. Campomanes (1975: 71). Die Mitglieder der Ökonomischen Gesellschaften weist Campomanes (ibid.) als „las personas dinstinguidas y celosas de cada
provincia“ aus.
3. Reformökonomische Diskurse
151
wissenschaftliches und kulturelles Programm zur Schulung und Aufklärung der spanischen Gesellschaft ausarbeiten und das damit verbundene Wissen vermitteln. Zu dieser Wissensvermittlung zählt auch
die Publikation von Handbüchern und ökonomischen Traktaten sowie einer jährlichen Ausgabe von Extractos (1772-1793), das sind Resümees zu wirtschaftlichen, ethischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen, die beispielsweise um die Tugend der Ehrbarkeit im
Handel oder um das Wohl bzw. Übel von Luxusartikeln kreisen. Allein diese Themenauswahl zeigt, in welchem Maße die Ökonomischen
Gesellschaften Moral und Ökonomie zu einer eigenen Moralökonomie verbinden, die sie dem geneigten Leser über ihre Publikationen
zu vermitteln suchen. Da es den Veröffentlichungen der Baskischen
Ökonomischen Gesellschaft in ganz besonderem Maße gelingt, der
strengen kirchlichen Zensur zu entgehen, fördern ihre Schriften die
Verbreitung auch unkonventioneller aufklärerischer Ideen.271 Nicht
zuletzt zählen daher ihre Mitglieder, darunter Arriquíbar, Foronda
und Félix María Samaniego (1745-1801), zu den führenden Köpfen der
spanischen Aufklärung.272 Mónica Bolufer Peruga macht gerade in der
Bascongada eine allmähliche Loslösung von der dirigistischen Politik
des aufgeklärten Absolutismus und erste Schritte hin zum Liberalismus aus.273
Anes zufolge ist die Gründung Ökonomischer Gesellschaften wie
der Baskischen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung der produzierenden Sektoren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückzuführen, weshalb die meisten Sociedades in urbanen Zentren angesiedelt
sind,274 wo sich Handel und Industrie aufgrund der dort vorhandenen Absatzmärkte bevorzugt ansiedeln. Dies veranschaulichen die
271
Vgl. Astigarraga (2015b: 68f.). Die europäische Dimension der Gründung der
Sociedad Bascongada de Amigos del País offenbart sich darin, dass diese nach dem Vorbild
der irischen, bretonischen und Berner Ökonomischen Gesellschaft organisiert ist.
272
Vgl. Astigarraga (2015b: 70).
273
Vgl. Bolufer Peruga (2011: 489). „Alors qu’elles avaient été conçues par le ministre Pedro Rodríguez de Campomanes comme un relais des Lumières officielles, on vit
cependant se développer dans quelques cas (et particulièrement au sein de la Société
Basque) des manières de concevoir l’activité et la représentation politique qui s’éloignèrent petit à petit de la monarchie absolue pour jeter les bases du premier libéralisme
espagnol.“
274
Vgl. Anes (1981: 25).
152 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Beispiele Madrids, Barcelonas und Bilbaos.275 Die Ansiedlung der Ökonomischen Gesellschaften in urbanen Zentren ist aber auch darauf zurückzuführen, dass der Consejo de Castilla als das für die Lizenzierung
der Gesellschaften zuständige Regierungsorgan dazu tendiert, Gründungsgesuche aus kleineren Städten und Ortschaften abzulehnen.276
Die antragsstellenden Personen kommen zumeist aus den Rängen
des Adels und der Kirche.277 In Teilen sind die Antragssteller selbst
im Handel oder in der Industrie aktiv, unter ihnen finden sich aber
auch zahlreiche Amtsträger und Kronbedienstete, was neuerlich auf
die Nähe der Ökonomischen Gesellschaften zu den administrativen
Organen des bourbonischen Staates hindeutet, auch wenn diese nicht
offiziell als Initiatoren auftreten.278
Bezeichnend ist, dass die Zahl der Gründungen ab 1775 und als
Reaktion auf Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la historia de la
industria popular (1774), seinen Discurso sobre la educación de los artesanos
y su fomento (1775) und die dazu gehörenden vierbändigen Apéndices
(1775-1777) sprunghaft ansteigt,279 was, wie Astigarraga betont, auch
darauf zurückzuführen sei, dass öffentliche Stellen die Verbreitung
dieser Schriften aktiv vorantrieben, indem sie insgesamt 30.000 Exemplare drucken ließen, eine für damalige Verhältnisse hohe Auflage.
Begleitet werden die Schriften von einem Dekret, das zur konkreten
Umsetzung der dargelegten Ideen aufruft und zusammen mit Campomanes‘ Schriften gezielt an Verwaltungsorgane und einzelne Beamte
verteilt wird.280 Auch die von Campomanes vorangetriebene Gründung der Sociedad Matritense, die im Juni 1775 und damit volle zehn
Jahre nach der Baskischen ins Leben gerufen wird, kann als Vorbild
und Anstoß für weitere Gründungen angesehen werden.281
Das vorrangige Ziel der Sociedades Económicas ist die Erhöhung der
Wirtschaftsleistung Spaniens durch den Erwerb und die Verbreitung
eines praxisorientierten und bis dato kaum vorhandenen Wissens
275
Vgl. Anes (1981: 23f.).
Vgl. Anes (1981: 23f.).
277
Vgl. Anes (1981: 23).
278
Vgl. Astigarraga (2015b: 73).
279
Vgl. Marti, Marc (1996): „Emblèmes et devises des Sociétés Économiques des
Amis du Pays: analyse d’un discours d’intention“. In: Bulletin Hispanique, 98, 1, pp.
97-120, hier p. 99.
280
Vgl. Astigarraga (2015b: 72).
281
Vgl. Astigarraga (2015b: 72).
276
3. Reformökonomische Diskurse
153
über Innovationen in den Bereichen Landwirtschaft, Produktion und
Handel, was dazu führt, dass viele Gesellschaften ihre eigenen Werksschulen gründen.282 Ihr Selbstverständnis ist das einer Institution im
Dienste der utilidad pública. Schon rhetorisch wird in den Statuten
und in Anlehnung an das Konzept der felicidad pública der öffentliche
Nutzen in den Vordergrund gestellt.283 In den Gesellschaften selbst
ist man bemüht, konkrete Lösungsvorschläge etwa zur qualitativen
Verbesserung der heimischen Warenpalette zu erarbeiten,284 wobei ein
starker Regionalbezug spürbar ist: Während sich etwa die baskische
Gesellschaft auf die Förderung der für die Region typischen Eisenund Stahlindustrie konzentriert, richtet sich die Sociedad Matritense
mehr auf den die kastilische Wirtschaft dominierenden Ackerbau und
das in der Region heimische Manufakturwesen aus.285 Den dezidierten
Regionalbezug der Ökonomischen Gesellschaften hebt auch Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular hervor.
Im dreizehnten Abschnitt seines fünfundzwanzig Punkte umfassenden Programms zu den Aufgaben der Sociedades Económicas286 ist von
der Notwendigkeit die Rede, die Präsenz der Gesellschaften nicht nur
in den Provinzhauptstädten zu garantieren, sondern sie in der gesamten Provinz zu sichern:
XIII. Los individuos de estas Sociedades no sólo deben existir en la capital;
serán muy útiles los dispersos para mantener correspondencia con la misma Sociedad en todas las partes de la Provincia. Los párrocos, aunque no
sean socios, pueden informar con mucho conocimiento y más facilidad lo
que se desee saber.287
Überdies formuliert Campomanes als explizite Aufgabe der Ökonomischen Gesellschaften, das von ihnen jeweils erarbeitete reformökonomische Programm auf die individuellen Gegebenheiten ihrer
282
Vgl. Marti (1996: 108): „[...] la majorité des Sociétés, après avoir obtenu leur approbation, s’empressèrent d’établir des écoles spécialisées (surtout dans le travail du
textile et le dessin).“
283
Vgl. Anes (1981: 36).
284
Vgl. Anes/Castrillón (2000: 95) sowie, in Bezug auf Asturien, Ocampo SuárezValdés (2012: 199).
285
Vgl. Astigarraga (2015b: 69; 77).
286
Vgl. Campomanes (1975: 104-109).
287
Campomanes (1975: 108).
154 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
jeweiligen Provinz zuzuschneiden.288 In Astigarragas Deutung manifestiert sich in diesem Lokalbezug der Wille der Monarchie, das
Land wirtschaftlich zu dezentralisieren. Im Gegensatz dazu kann die
regionale Ausrichtung der Ökonomischen Gesellschaften aber auch
als Versuch der Krone gesehen werden, die Präsenz einer stets gleich
aufgebauten Institution im ganzen Land und daher auch in den Provinzen sicherzustellen, und damit die eigene pyramidal organisierte
Herrschaft in dem eingangs skizzierten Sinne horizontal auszuweiten.
Dass die Gesellschaften selbst sich als lokale Institutionen sehen, ist
für die Krone nur von Vorteil, verschleiert es doch ihre Funktion als
institutionelles Instrument der bourbonischen Politischen Ökonomie,
deren grundlegendes Bestreben letztlich Ausübung und Sicherung
von Macht ist.
Wenn die Ökonomischen Gesellschaften überdies einen Beitrag
zur ökonomischen Theoriebildung leisten, wie etwa die Sociedad Aragonesa, die 1784 einen Lehrstuhl für Ökonomie und Handel ins Leben
ruft,289 offenbart sich darin die bereits skizzierte Kopplung von Politischer Ökonomie, aufklärerischem Bildungsideal und institutionalisiertem Wirtschaftswissen, eine Verzahnung, die für die Regentschaft
Carlos III. kennzeichnend ist290 und die Campomanes bereits in seinem Discurso explizit angeregt hatte:
En Nápoles y en Milán se establecieron cátedras para enseñar las verdaderas reglas del comercio general. Otra cátedra convendría instituir en cada
una de nuestras Universidades para conocer los abusos y estorbos que impidieron la industria hasta estos últimos tiempos en que nuestros Soberanos, llenos de amor a sus vasallos, dan todo el auxilio posible a la felicidad
y prosperidad general de la Nación a medida que sus celosos Magistrados
disipan las tinieblas y abusos que la escasa noticia de las máximas económicas había introducido en España.291
288
Vgl. Campomanes (1975: 103).
Vgl. Anes (1981: 35).
290
Vgl. hierzu Astigarraga (2015b: 74f.): „The emergence of economic societies in
Spain was a central phenomenon during the last period of the reign of Charles III and
seems to have weakened with the death of the king.”
291
Vgl. Campomanes (1975: 92).
289
3. Reformökonomische Diskurse
155
Sollen hier einerseits die nach dem Vorbild Mailands und Neapels292 in Spanien einzurichtenden Lehrstühle praktisches ökonomisches Wissen vermitteln, ist andererseits der Bezug auf die ihrem
Volk in Liebe zugeneigten spanischen Könige und ihre Magistrate
aussagekräftig, denen, wie hier rhetorisch bekräftigt wird, das Gedeihen und das Glück ihrer Nation am Herzen liegen. Dabei obliegt
es den eifrigen Regierungsbeamten zu garantieren, dass das von der
Krone gewünschte wirtschaftliche Wissen im Volk verbreitet und
so die ökonomische Aufklärung erreicht wird. Wie Anes betont, gelingt es den Mitgliedern der Ökonomischen Gesellschaften allerdings
nicht immer, bei ihren Zeitgenossen den gewünschten Sinneswandel
herbeizuführen.293 Auch von inneren Spannungen sind die Sociedades
Económicas nicht frei.294 Ab Mitte der 1780er Jahre machen sich erste
lähmende Tendenzen bemerkbar: Zunächst nimmt das Interesse der
Mitglieder an den Sitzungen deutlich ab, was zum einen mit den
zähen Entscheidungsprozessen, zum anderen aber auch mit fehlenden finanziellen Mitteln zusammenhängt, sodass von vielen guten
Ideen erstens nur wenige in einen Mehrheitsbeschluss münden und
zweitens überhaupt umgesetzt werden. Auch wenn die Gründungen
der Ökonomischen Gesellschaften selbst auf Impulse zurückgehen,
die aus dem Geist der Politischen Ökonomie geboren sind, und sie
demnach bereits eine Form der Umsetzung ökonomischer Theorie in
die wirtschaftliche Praxis sind, ist die geringe Zahl der von den Gesellschaften realisierten Maßnahmen im Vergleich zu den vielen zur
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Nation ersonnenen Vorschläge ein anschauliches Beispiel dafür, dass der von der spanischen
Reformökonomie produzierte konzeptuelle und diskursive Apparat
einen größeren Raum einnimmt als die von ihm tatsächlich realisierten Reformen. Dies veranlasst Astigarraga zu dem ernüchternden Fazit: „Without a doubt, in general terms, their practical results did not
match their enormous financial outlay.“295 Auch José Antonio Azpiazu
292
Den Einfluss italienischer Ökonomen wie Genovesi auf Carlos III., der vor seiner
Regentschaft in Spanien König von Neapel und Sizilien (1735-1759) war, sowie auf die
Leitlinien der spanischen Reformökonomie, hat Gittermann (2008) ausführlich untersucht. Zur Regentschaft des Monarchen in Italien und den italienischen Einflüssen vgl.
eadem (2008: 93-203).
293
Vgl. Anes (1981: 34).
294
Vgl. Anes (1981: 31).
295
Astigarraga (2015b: 76).
156 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
resümiert in Bezug auf die Bascongada, eine der ambitioniertesten
Sociedades Económicas: „Si inicialmente la Real Sociedad Vascongada
había pretendido cambiar la sociedad vasca ayudando a imponer distintas estructuras productivas, este intento fracasa [...].“296 Als für die
Ökonomischen Gesellschaften verheerend erweist sich der Umstand,
dass die Regierung ihnen und ihrer Funktion als Forum öffentlicher
Meinungsbildung seit dem Ausbruch der französischen Revolution
zunehmend skeptisch gegenübersteht.297 Mit dem Spanischen Unabhängigkeitskrieg verschwinden sie 1808 schließlich ganz von der Bildfläche. Die letzte in Spanien gegründete Gesellschaft ist die Sociedad
Económica de Villafranca de los Barros, die 1807 ins Leben gerufen und
kurz darauf wieder aufgelöst wird.298
In größerem Maße als die Institution der Sociedades Económicas, deren Beitrag zur Reformökonomie in erster Linie theoretisch-konzeptuell ist, leistet das 1774 von Campomanes und Joaquín Cester299 initiierte Modellprojekt der escuelas-fábrica bzw. casas-fábrica einen Beitrag
zur Vermittlung konkreter Fertigungstechniken,300 ein reformökonomischer Impuls, der zugleich den Anstoß dafür gibt, dass die meisten Ökonomischen Gesellschaften solche Werksschulen einrichten.
Das Besondere am Projekt der escuelas-fábrica ist, dass es den Versuch
darstellt, eine wirtschaftliche Praxis zu etablieren, die im Privaten angesiedelt und damit in den familiären Alltag der zahlenmäßig recht
großen Gruppe der Landarbeiter und Tagelöhner integrierbar ist. Dieses Projekt skizziert Campomanes in seinem Discurso sobre la industria
popular (1774), einer Schrift, in der es darum geht, ein bis dato brachliegendes ökonomisches Potenzial zu aktivieren und die nationale Wirtschaft als Betätigungsfeld in die Wohnstätten der mittellosen Teile der
Landbevölkerung hineinzutragen. Mit seinem im Folgejahr veröffentlichten Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775) stellt
296
Azpiazu, José Antonio (1984): „El comercio según Foronda“. In: Vasconia: Cuadernos de historia-geografía, 2, pp. 25-42, hier p. 32.
297
Vgl. Anes (1981: 39ff.).
298
Vgl. Anes (1981: 30).
299
Joaquín Cester ist ehemaliger Direktor der Keramikfabrik von Talavera und wird
schließlich von Campomanes zum Leiter der in den Provinzen Asturien und Galizien
eingerichteten Schulen für Leinenweberei („Escuelas de Lienzos“) ernannt. Vgl. Bas
Ordóñez, Guillermo (2009-2010): „La arquitectura de la Real Fábrica de Sargadelos“.
In: Espacio, Tiempo y Forma, serie VII: Historia del Arte, 22-23, pp. 275-301, hier p. 277.
300
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 129) und (2012: 99).
3. Reformökonomische Diskurse
157
Campomanes sodann das reformökonomische Pendant für die Stadtbevölkerung vor.301
Die von Campomanes ins Leben gerufenen Werksschulen sind ein
weiteres Beispiel für die horizontale Ausweitung der Politischen Ökonomie, die sich hier ins Private und Familiäre hinein ausbreitet, wobei
anzumerken ist, dass die Trennung von Arbeitsräumen und Privaträumen, wie wir sie heute kennen, dem 18. Jahrhundert noch fremd ist.
Dies zeigt sich darin, dass in jener Zeit Werkstätten und Wohnräume
der Handwerkerfamilien noch nicht räumlich getrennt sind und ineinander übergehen.302 Von der Warte der foucault‘schen Gouvernementalität aus betrachtet, ist das von einem Vertreter des absolutistischen
Verwaltungsapparats vorangetriebene Projekt der Werksschulen insofern interessant, als es darauf abzielt, das Geschäft des Nebenerwerbs
unter Berufung auf das utilitaristisch inspirierte Konzept der felicidad
pública zu professionalisieren, indem die Produktionsprozesse selbst
effizienter gestaltet und die Sachkunde der zuvor laienhaft agierenden ProduzentInnen erhöht wird.
In den unter anderem in Oviedo, Ribadeo und Santiago gegründeten Schulen geht es weniger um die Einführung maschineller Innovationen. Vielmehr soll eine soziale Gruppe, die über ein eher geringes
professionelles Wissen im Bereich der Textilproduktion verfügt, in
textilen Fertigungstechniken wie der Bleiche und der Weberei unterwiesen werden. Auch sollen Beschäftigungslose für die Produktion
akquiriert werden. Vorbild für die escuelas-fábrica sind die an die königlichen Fabriken angegliederten ‚Spinnschulen‘ (span.: „escuelas de
hilar“), die Campomanes auch in den Regionen jenseits von Kastilien
301
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2015: 103): „El Discurso sobre la industria popular
(1774) debe leerse como un programa que, a través de la industria rural dispersa, pretendía ‚arraigar’ la población rural y estimular la pluriactividad de la familia campesina. En el marco urbano, el Discurso sobre la educación popular de los artesanos (1775) se
dirigía a estimular la industria doméstica y las escuelas-fábrica con vistas a explotar las
externalidades de las manufacturas reales o concentradas.“ Fuente Merás, vgl. (2005: 9)
konstatiert Ähnliches in Bezug auf Campomanes‘ vierbändigen Apéndice a la educación
popular (1775-1777).
302
Vgl. García-Fernández, Máximo (2011): „Home and Outdoors: Personal Clothing and House Comfort: Evolution and Significance in Castile between 1650 and
1850“. In: Santos, Carlota (ed.). Família, espaço y patromónio. Porto: CITCEM, pp. 403418, hier p. 409.
158 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
verankern möchte und die vor allem Wissen über die Verarbeitung
von Leinen vermitteln sollen:
[...] la formación profesional a través de ‚escuelas-fábrica‘ y ‚casas de enseñanza‘ tenía un perfil más profiláctico y selectivo. Campomanes partía
de la experiencia proporcionada por las más de 125 escuelas de hilar que,
desde 1754, figuraban adscritas a las Reales Fábricas de Guadalajara, San
Fernando y Brihuega. Explotar las economías externas de aquellas manufacturas concentradas permitiría a las escuelas satisfacer el doble objetivo
de educar y emplear. Con esas intenciones promovía en 1774 las ‚casasfábrica‘ de Oviedo, Ribadeo y Santiago, destinadas a la elaboración de
lienzos.303
Mittels der escuelas-fábrica soll überdies die Praxis der Heimarbeit
im familiären Alltag verankert, der Output an Waren erhöht, die Qualität der entstandenen Stoffe verbessert, und nicht zuletzt die nationale Produktpalette erweitert werden.304 Das merkantilistisch inspirierte Movens dieser reformökonomischen Maßnahme ist es, spanische
Webwaren mit Blick auf den heimischen Markt attraktiver zu gestalten. Die Fertigung von Textilien in Heimarbeit durch Pächter- und
Landarbeiterfamilien stellt für Campomanes einen wichtigen Pfeiler
seines Programms zur Steigerung der nationalen Produktivität insgesamt dar und verschafft dem von Armut bedrohten ländlichen Prekariat zudem ein notwendiges Zubrot. Deshalb plädiert der Minister
entschieden dafür, dass sich die ganze Familie – insbesondere Frauen
und Kinder, die ebenfalls ein brachliegendes ökonomisches Potenzial
darstellen – an der Herstellung von Stoffen in Heimarbeit beteiligen
sollen.305
303
Ocampo Suárez-Valdés (2004: 129).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 99). Den Gedanken, dass die Verbesserung
und Verbilligung der eigenen Waren ein probates Mittel zur Verdrängung der ausländischen Waren ist, formuliert schon Diego Jorge Dormer in seinen Discursos históricos-políticos (1684), vgl. Perdices Blas (1997: 52), was die intensive Rezeption arbitristischer Schriften durch die Reformökonomen des 18. Jahrhunderts einmal mehr
vor Augen führt. Auch Perdices Blas (1997: 55) merkt an: „Estas ideas industrialistas
pasarán al siglo xviii. Uztáriz y sus discípulos Bernardo de Ulloa y el marqués de Santa
Cruz de Marcenado, entre otros, expusieron viejas ideas del siglo xvii y del grupo de
Toledo sobre el atraso de España. [...] Insistieron en la capacidad de la industria para
sacar a España del atraso económico.“
305
Vgl. Campomanes (1975: I; V).
304
3. Reformökonomische Diskurse
159
Inwiefern Campomanes‘ reformökonomische Bemühungen, nicht
nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder als Arbeitskräfte zu rekrutieren, tatsächlich ‚Schule macht‘, illustriert die durch die Sociedad
Économica von Córdoba initiierte Gründung einer Bildungseinrichtung für Mädchen, in der diese mit der Textilverarbeitung vertraut
gemacht werden.306 Dass die Gesetzgebung solche Initiativen anzustoßen versucht, zeigt sich etwa anhand der Real Cédula vom 22. Mai 1786,
die verfügt, dass in geeignet erscheinenden Dörfern Schulen einzurichten seien, in denen die Landbevölkerung im Spinnen unterrichtet
werden solle. Die Real Cédula vom 27. Juni 1787 wiederum legt fest,
dass auch Kinder und Insassen von Waisen- und Armenhäusern im
Textilgewerbe zu unterweisen seien,307 um sie zum einen für die Nationalwirtschaft nutzbar zu machen und zum anderen zu vermeiden,
dass die Kinder der in der Landwirtschaft tätigen Tagelöhner von der
Tätigkeit des Ackerbaus ferngehalten würden. Beide Gesetze stehen
mit Campomanes‘ Konzept der escuelas-fábrica in unmittelbarem Zusammenhang. Dass Bernardo Ward noch 1762 in seinem Proyecto Económico moniert „[...] el método que seguimos en España de tener edificios grandes aparte para una fábrica es contrario a la buena economía
y al estilo de Inglaterra, donde los operarios tienen los telares en sus
respectivas casas,“308 kann auch als Reaktion auf die zwischen 1700
und 1740 zu beobachtende Tendenz angesehen werden, dass Textilunternehmer ihre Produktion von den urbanen Zentren auf das Land
verlagern, wo die Löhne niedriger sind und Produktionsstätten mit
geringerem finanziellem Aufwand errichtet werden können. Dass das
Modell der Landfabriken sich am Ende nicht durchsetzt,309 liegt auch
an den infrastrukturellen Herausforderungen, die sich in Spanien
insbesondere dann stellen, wenn Waren nicht auf dem Seeweg transportiert werden können.310 Insofern erweist sich Campomanes‘ Idee
306
Vgl. Marti (1996: 108).
Dies regt Campomanes bereits in seinem Discurso sobre el fomento de la industria
popular (1774) an und bezieht sich dabei insbesondere auf das Färben von Textilien.
Vgl. Campomanes (1975: 82): „Esta enseñanza, a que por de contado debían aplicarse
expósitos y niños abandonados, por no sacar hijos de labradores a los oficios (lo que se
ha de evitar por regla general) [...].“
308
Ward, Bernardo (1982: 130f.).
309
Vgl. Marcos Martín (2000: 518).
310
Demgegenüber betrachtet Marcos Martín (2000: 523) „el translado al campo
de la producción manufacturera“ in Ländern wie England, Holland, Flandern und
307
160 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der kostengünstigen lokalen Fertigung im Kleinen nur dann als ein erfolgsversprechendes Modell, wenn es auf lokale Märkte ausgerichtet
ist und die ProduzentInnen ihre Waren selbst vertreiben – ein System,
das WirtschaftshistorikerInnen als „Kaufsystem“ bezeichnen.311
3.4. Paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie
Betrachten wir nun drei hier schon zur Sprache gekommene paradigmatische Texte der spanischen Reformökonomie im Detail. Zwei von
ihnen sind von Staatsmännern verfasst worden. Es handelt sich dabei
um den Discurso sobre el fomento de la industria popular (1774) des Ministers Campomanes und den Informe sobre la Ley Agraria des ebenfalls
als Minister tätigen Jovellanos. Schumpeter attestiert beiden, einen
„großen Teil der kontinentalen Wirtschaftslehre des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts“312 zu enthalten und daher Smiths Wealth of
Nations in keiner Weise nachzustehen.313 In gleichem Maße wie Campomanes‘ Discurso, der von einem Hand-in-Hand-Gehen von Monarchie und politischer Ökonomie gekennzeichnet ist, zeugt auch Jovellanos‘ Informe von aufklärerischem Optimismus und dem Glauben
daran, dass die staatliche Gesetzgebung den bestehenden Missständen beizukommen vermag, und dies trotz der unter Carlos IV. vorherrschenden gegenaufklärerischen Tendenzen314, die auch Jovellanos
Frankreich als erfolgreiche Strategie zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Er widerspricht damit der Diagnose Wards.
311
Zum Unterschied zwischen dem hier genannten „Kaufsystem“, bei dem die
Produzenten weitestgehend unabhängig sind und sich das zu verarbeitende Material selbst beschaffen, sodass kaum Kapital im Spiel ist, und dem „Verlagssystem“ als
einer eher für den urbanen Bereich geeigneten Produktions- und Vertriebsweise, bei
der Händler ihr Kapital in die Produktion investieren und das Erzeugte dann weiterverkaufen. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 125ff.) sowie García Sanz, Ángel (1996):
„Verlagssystem y concentración productiva en la industria pañera de Segovia durante
el siglo xviii“. In: Revista de Historia Industrial, 10, pp. 11-37.
312
Schumpeter (2007: 231).
313
Die physiokratischen Aspekte in Smiths The Wealth of Nations werden ihrerseits
von José Alonso in seiner Übersetzung dieses Werks ins Spanische hervorgehoben.
Alonso übernimmt diese Elemente von Smiths französischem Übersetzer Germain
Garnier, der selbst ein überzeugter Physiokrat ist. Vgl. Lluch Martín/Argemí d‘Abadal
(2000: 712).
314
Vgl. Gittermann (2008: 287-374). Zu Cabarrús vgl. 334ff. und 364ff.
3. Reformökonomische Diskurse
161
selbst durch seine Anklage seitens der Inquisition (1795 und 1800) und
seine Gefangenschaft auf Mallorca (1801-1808) zu spüren bekommt.315
Der dritte hier betrachtete Text stammt aus der Feder Valentín de Forondas, der den progressiven Stimmen der spanischen Aufklärung zuzurechnen ist. Es handelt sich dabei um die Disertación sobre lo honrosa
que es la profesión del Comercio (1778), in der Foronda den seit der Antike
dem Verdacht des Wuchers und der Unehrenhaftigkeit ausgesetzten
Handel mit dem Topos der Ehrbarkeit verknüpft. Während sich Jovellanos dem Primärsektor und Campomanes dem Sekundärsektor zuwendet, nimmt Forondas „Disertación“ den Tertiärsektor in den Blick.
Jovellanos‘ Informe ist ganz von dem Glauben an die heilende Kraft
der Gesetze beherrscht und fußt auf der Überzeugung, dass das Verhältnis zwischen Staat und (dem vorwiegend männlich imaginierten)
Staatsbürger auf dem Reziprozitätsprinzip beruht, d.h. auf dem Einklang von Individual- und Staatsinteresse, wobei der Begriff des Staates bei Jovellanos nicht allein die politische Elite, sondern tatsächlich
das Kollektiv aller Bürger meint. Jovellanos‘ grundlegende Hypothese
lautet, dass der Staatsbürger seine Arbeitsleistung gerne in den Dienst
der Regierung stellt, insofern das politische System den passenden gesetzlichen Rahmen dafür schafft, dass der Einzelne sein Selbstinteresse
verfolgen kann.316 Hier macht sich der Einfluss der englischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts bemerkbar,317 wobei anzumerken
ist, dass bei Jovellanos das öffentliche Interesse stets Vorrang vor dem
Individualinteresse hat. Anders als oft vermutet, ist es allerdings nicht
Adam Smith, von dem Jovellanos sein Verständnis des Selbstinteresses
bezieht. Llombart & Ocampo Suárez-Valdés verweisen vielmehr darauf, dass Jovellanos und der schottische Ökonom das Selbstinteresse
unterschiedlich auffassen: Gilt es für Jovellanos, diejenigen Gesetze zu
beseitigen, die das Selbstinteresse behindern, triumphiert es bei Smith
über die Gesetze, die es zu beschränken suchen. Smith vertraut in
dieser Hinsicht also mehr auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes, während Jovellanos das Selbstinteresse eher in der Tradition die
antiken Stoiker konzipiert. Damit folgt er der Haltung Shaftesburys,
315
Vgl. Carnero (1998: 29f.).
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 125).
317
Vgl. hierzu auch Lara Nieto, María del Carmen (2008): Ilustración española y pensamiento inglés: Jovellanos. Granada: Universidad de Granada.
316
162 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Hutchesons und Rousseaus.318 Den Glauben in die ‚heilende Kraft‘ der
Gesetze bezieht der asturische Reformökonom in direkter Linie von
seinem politischen Vorbild Campomanes, in dessen Discurso sobre el
fomento de la industria popular (1774) es heißt: „La mala inteligencia de
las leyes agrarias daña en una Nación tanto como las malas cosechas,
y acaso más.“319 Jovellanos setzt mit seinem Informe sobre la Ley Agraria ein von Campomanes in seinem Discurso von 1774 wie folgt angedachtes Projekt um: „Resérvase a otro discurso proponer a la Nación
las reflexiones tocantes a la agricultura y a la población, porque están
en una íntima correspondencia con la industria bien organizada e injerta, por decirlo así, en la labranza.“320 Sowohl bei Campomanes als
auch bei Jovellanos ist die Sorge um den Bevölkerungsschwund das
Movens der vorgeschlagenen reformökonomischen Maßnahmen, und
somit poblationistisch motiviert.321
Campomanes geht es in seinem Discurso um die maximale Ausschöpfung der Möglichkeiten der nebenerwerblichen textilen Produktion durch Kleinbauern in Verbindung mit einer optimierten Nutzung
der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit. Damit überführt er den
schon von Ward formulierten Gedanken, dass alle drei Wirtschaftssektoren notwendigerweise Hand in Hand gehen, in ein konkretes
Projekt, das Landwirtschaft und industrielle Produktion idealtypisch
318
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 125): „[...] no existe ninguna evidencia de que Jovellanos la tomase de Adam Smith y menos de que fuese un nexo
de unión que convirtiera a Jovellanos en ‚economista smithiano’, como a menudo se
afirma.“ Auch der Umstand, dass das Konzept im europäischen 18. Jahrhundert weit
verbreitet sei, lasse es zweifelhaft erscheinen, automatisch auf Smith als Quelle des
Begriffes des Selbstinteresses zu schließen, wann immer dieser in den Schriften der
spanischen Reformökonomen auftauche. Zu Rousseau als Quelle Jovellanos’ vgl. auch
Force, Pierre (2003): Self-Interest before Adam Smith. A Genealogy of Economic Science:
Cambridge: Cambridge University Press. Wie Ocampo-Suárez-Valdés unter Bezugnahme auf Force argumentiert, war es wiederum Rousseau, der Smith zu seiner Elaboration des Konzepts des Selbstinteresses inspiriert hatte.
319
Campomanes (1975: 81).
320
Campomanes (1975: 81).
321
Bei Campomanes (1975: 81) wird dies etwa in dem Satz deutlich: „Donde escasean las cosechas y la tierra se mantiene inculta, faltan los hombres, y sin éstos en gran
número y bien mantenidos, desfallece la industria.“ Vgl. auch Campomanes (1975:
100): „La población numerosa y destinada es el mayor bien de un Estado y el fundamento de su verdadero poder.”
3. Reformökonomische Diskurse
163
aneinanderkoppelt.322 Dieses Projekt nimmt seinen Ausgang von den
Kleinstparzellen und der prekären wirtschaftlichen Lage der zahlreichen Minifundisten. Der Minister formuliert als Ziel seines Projektes
ausdrücklich die Maximierung der felicidad pública unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren zur Ermittlung der wirtschaftlichen Ausgangslage in den jeweiligen Provinzen: „El modo de venir al logro de
establecer la felicidad pública de una Provincia es averiguar profundamente las causas físicas o políticas de su decadencia o del aumento de
los ramos que se hallan en buen estado.323 Damit schreibt er sich nicht
nur in die Politische Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts
ein, als deren Charakteristikum Vogl eben jene Erhebung von Daten
identifiziert hat,324 die auch Campomanes vorschwebt. Darüber hinaus folgt der Minister der durch die Arbitristen des 17. Jahrhunderts
begründeten Dekadenzthese und führt diese mit seinem eigenen Text
fort. Augenfällig ist in Campomanes‘ Programm zur ‚Heilung‘ der
spanischen Dekadenz die Verbindung von Moral und Ökonomie, deren Leitsatz ist, dass nur wer arbeite ebenso glücklich wie wohlhabend
sei.325 Das industrielle Programm Campomanes‘, das auf das Motto
‚aus Tagelöhnern werden Weber‘ („el jornalero se hace tejedor”326)
heruntergebrochen werden kann, verschreibt sich ganz dem Gebot
der aufklärerischen Vernunft: Wenn Campomanes in seinem Discurso
programmatisch formuliert, es ginge um die prosperidad nacional, der
zuliebe es gelte, politische Irrtümer zu vermeiden und die geplanten
Reformen mit Besonnenheit voranzutreiben („reformar con prudencia),327 koppelt er die bereits bei Ambrosius von Mailand als christliche
Kardinaltugend bezeichnete prudentia an das säkularisierte Konzept
der prosperidad pública, und wendet sich mit dieser Rückbindung eines
aufklärerischen an ein genuin kirchliches Konzept in rhetorisch geschickter Weise gleichermaßen an die konservativen und progressiven
Kräfte seiner Nation.
322
Vgl. Campomanes (1975: 53): „[...] todo el sistema de este discurso se encamina
a auxiliar al labrador y su familia por medio de la industria, uniéndola en todo cuanto
sea posible con la labranza.”
323
Campomanes (1975: 115).
324
Vgl. Vogl (2002: 54).
325
So gibt Campomanes (1975: 53) an, es gehe darum, „de establecer una industria
continua con la que las gentes vivirían ocupadas, contentas y pudientes”.
326
Campomanes (1975: 67).
327
Campomanes (1975: 95).
164 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Foronda seinerseits erkennt im Handel ein Instrument, das einerseits der Völkerverständigung und der Verbreitung von Wohlstand
und Frieden dient, und andererseits ein Zeichen von Zivilisation und
Kultiviertheit ist. Als primäre Inspirationsquelle erweist sich dabei
David Humes (1711-1776) Traktat „Of Commerce“, der in seinen Political Discourses (1752) erschienen ist.328 Ocampo Suárez-Valdés zufolge
führt Forondas Disertación einen Bruch mit vorausgehenden spanischen Schriften des 18. Jahrhunderts herbei, die den Nutzen des Handels thematisieren. Demnach geht es bei Foronda, anders als in Narros
Ensayo (1766) oder Heros Discursos sobre el comercio (1775), nicht mehr
um die Frage, ob der Blutsadel mit einer kaufmännischen Tätigkeit
vereinbar sei. Während Narros und Heros Schriften, die auf französischen Quellen wie dem Traktat La noblesse commercante (1756) des
Abbé de Coyer beruhen, die Ständegesellschaft nicht hinterfragen,
führt die Lektüre Humes bei Foronda dazu, am ökonomischen und
politischen Nutzen des Feudalsystems zu zweifeln.329
3.4.1. Über den Primärsektor: Jovellanos‘ Informe sobre la Ley Agraria
(1795)
Jovellanos ist als Regierungsbeamter und späterer Minister der Real
Junta de Comercio, Moneda y Minas sowie als Literat, etwa als Redakteur und Beiträger des Censor, als Verfasser von Satiren und als Autor
der sentimentalen Komödie El delincuente honrado (1787), ein anschauliches Beispiel für die von López-Cordón Cortezo beschriebene Verbindung zwischen einer pyramidal angeordneten politischen Herrschaftsstruktur und ihrem horizontalen Fortwirken im Kulturbereich.
Im Hinblick auf seinen ökonomischen Theoriehorizont ist Jovellanos
328
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31): „En ‚Of commerce‘ (Political Discourses,
1752), Hume mantenía que el orden institucional debía apoyarse en principios nuevos
que proporcionasen reglas seguras para proteger el interés privado y asegurar una
distribución equilibrada de la riqueza: ‚una gran desproporción de riquezas entre los
ciudadanos debilita al Estado [...]. Se hace necesario gobernar a los hombres mediante
otras pasiones e inspirarles un espíritu de avaricia y laboriosidad, de artes y lujo‘.”
Ocampo Suárez-Valdés zitiert hier Hume, David (2011 [1752]): „Of Commerce”. In:
idem. Ensayos morales, políticos y literarios, ed. Eugène F. Miller, trans. Carlos Martín
Ramírez. Madrid: Trotta, pp. 249-251.
329
3. Reformökonomische Diskurse
165
ein pragmatisch orientierter Eklektizist, der keiner bestimmten Denkrichtung in Reinform anhängt, weder dem Merkantilismus noch der
Physiokratie oder dem Liberalismus. Dies entspricht der allgemeinen
Diagnose Grice-Hutchinsons bezüglich der theoretischen Ausrichtung
der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts ab der Jahrhundertmitte:
So far as economic literature is concerned, there is no well-defined boundary dividing mercantilism from physiocracy or economic liberalism. In
the second half of the eighteenth century, many writers still held mercantilist views on certain aspects of the economy, while they repudiated them
on others.330
Wie Campomanes geht es auch Jovellanos um eine ‚praktische
Ökonomie‘ und nicht um eine Wirtschaftstheorie oder gar -ideologie,331 weshalb sich sein ökonomischer Diskurs aus Aspekten verschiedener Ansätze zusammensetzt.
Lluch Martín attestiert Jovellanos zumindest mit Blick auf den Sekundärsektor eine starke ideologische Ausrichtung an der industria
popular im Landesinnern bei gleichzeitiger Ignoranz der sehr unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten,332 und kontrastiert dies etwa
mit dem Beispiel Lorenzo Normante y Carcavillas (1759-1813), der
kleine Werkstätten und Textilfabriken (fábricas) sowie deren unterschiedlichen Bedarf an staatlicher Förderung unterscheidet,333 während Jovellanos in seinem Informe ausschließlich von familiär betriebenen Heimarbeitsstätten ausgeht.334 Nicht haltbar ist Lluch Martíns
330
Grice-Hutchinson (1978: 160).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 117).
332
Vgl. Lluch Martín, Ernest (2000): „El industrialismo en la Corona de Aragón y
en la Corona de Castilla (siglo xviii)“. In: Fuentes Quintana, Enrique (ed.). Economía y
economistas españoles, vol. III: La Ilustración. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 577-581,
hier p. 578.
333
Normante y Carcavilla, Lorenzo (1785): Proposiciones de economía civil y comercio.
Zaragoza, pp. 55f. ‚Fabriken‘ definiert er als Arbeitsstätten, in denen eine größere Zahl
von Arbeitern unterschiedlicher Qualifizierung mit mehrschrittigen Produktionsprozessen befasst ist.
334
Vgl. Lluch Martín (2000: 580). Damit lässt Jovellanos Lluch Martín zufolge die
weit entwickelte, sich an der Schwelle zur großindustriellen Produktion befindliche
katalanische Textilproduktion nahezu gänzlich außer Acht. Stattdessen propagiert
Jovellanos Maßnahmen, die Anspruch auf Universalität haben, wohingegen andere
331
166 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Vorwurf, dass Jovellanos den regionalen Unterschieden nicht genügend Rechnung trage, in Bezug auf den Primärsektor. Dies offenbaren bereits die ersten Kapitel des Informe, wo Jovellanos angesichts
des Problems der vielen Brachflächen (span: baldíos) zwischen unterschiedlichen strukturellen Bedingungen in Andalusien, Alt- und Neukastilien und den nördlichen Provinzen unterscheidet.335 Insbesondere die intensive Lektüre von Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de
la industria popular veranlasst Jovellanos, das galizische Heimmanufakturwesen ebenfalls als idealtypisches Wirtschaftsmodell heranzuziehen und es auf andere Regionen zu übertragen.336
Jovellanos‘ 1794 verfasster und 1795 publizierter Informe zeugt von
dem Bewusstsein um den sozialen Sprengstoff, den eine Krise des Primärsektors für die spanische Nationalwirtschaft mit sich bringt, die
ihren Ursprung in der nach wie vor einseitigen Aufteilung des Landbesitzes hat. Da ein großer Teil des Ackerlandes im Besitz der ‚toten
Hand‘ von Adel und Kirche liegt und nicht veräußerbar ist, verteuern
sich mit dem steigenden Grundnahrungsmittelbedarf einer wachsenden Bevölkerung ab 1750 die Anbauflächen immens. Das wiederum
hat Folgen für die Getreide- und Brotpreise. Unter zusätzlicher Einwirkung der Privilegien der Mesta, d.h. der Weiderechte der Vereinigung
der Schafzüchter, die dazu führen, dass weite Flächen nicht für den
Reformökonomen, darunter Arriquíbar, Ibáñez de la Rentería und die Mitglieder der
baskischen Sociedad de Amigos del País, für eine regionale Form des Industrialismus plädieren, und damit auf Anregungen europäischer Ökonomen wie Jacques Necker (17321804), Gaetano Filangieri (1752-1788) oder Antonio Genovesi (1712-1769) aufbauen, die
ebenfalls für die Berücksichtigung regionaler Unterschiede plädieren. Zu Filangieris
Einfluss auf die spanische Reformökonomie der 1780er Jahre vgl. Gittermann (2008:
346-364).
335
Einen detaillierten Nachweis des dezidierten Regionalbezuges der durch Jovellanos vorgeschlagenen Agrarreform liefert Möller (2019: 138ff.). Hier untersucht die
Verfasserin die unterschiedlichen Vorschläge Jovellanos‘ zur Besitzreform in Anbetracht der jeweils verschiedenen Gegebenheiten in Andalusien, Kastilien und Extremadura sowie in den nördlichen Provinzen. Diesbezüglich kommt Möller (2019: 139)
zu dem Schluss: „In Zusammenhang mit der Diskussion über die Agrarreform betont
Jovellanos für den Agrarsektor die Notwendigkeit, dass die ökonomische Reform von
den Provinzen ausgehen muss und die erforderlichen Maßnahmen an die jeweiligen
Bedürfnisse jeder einzelnen Provinz angepasst werden müssen.“
336
Vgl. Möller (2019: 139). Anders als Campomanes zieht Jovellanos in diesem Zusammenhang das Beispiel des Baskenlandes heran, das für ihn ebenfalls Vorbildcharakter hat. Vgl. Möller (2019: 142).
3. Reformökonomische Diskurse
167
Getreideanbau genutzt werden können, entsteht eine hochkonfliktive
Situation, in der die beteiligten Akteure – Pächter und Landbesitzer,
Landwirte und Viehtreiber, Bauern und Getreidehändler – einander
als Gegner im Kampf um Pachten, Weiderechte und Preisgestaltung
gegenüberstehen.337 Das dem Primärsektor innewohnende Potenzial,
soziale Unruhen auszulösen, das man in Spanien in Anbetracht der
revolutionären Ereignisse in Frankreich mit äußerster Sorge betrachtet, veranlasst Physiokraten und Agronomen in ganz Europa zur Abfassung ihrer Schriften.338
Schon Bernardo Ward hatte in seinem Proyecto económico dargelegt,
dass Geld zwar ein Indikator von Reichtum sei, wahrer Reichtum aber
im Fleiß, in den daraus entstehenden Erzeugnissen, in den Manufakturen und in den Früchten des Ackerbaus bestehe. Diesen Gedanken
greift Campomanes auf,339 wenn er den Consejo de Castilla 1766 zum
Expediente de Ley Agraria veranlasst, einer Untersuchung, deren Ziel
es ist, die Ursachen für die angesichts des Bevölkerungswachstums
zu geringen Produktivität der Landwirtschaft zu ermitteln und nach
den Gründen für die zahlreichen Ernteausfälle zu forschen, um daran
anschließend Gesetzesvorschläge zur Förderung der Landwirtschaft
zu erarbeiten.340 Der noch unter Carlos III. veranlasste Expediente, den
Ocampo Suárez-Valdés als „uno de los proyectos económicos más notables del gobierno”341 bezeichnet, bildet die Basis von Jovellanos‘ Informe. Zehn Jahre dauert es, bis der Expediente von Campomanes 1777
zur Begutachtung an die Sociedad Matritense weitergeleitet wird, erst
1787 gelangt er in die Hände von Jovellanos, dem die Aufgabe übertragen wird, das Werk zu redigieren. Nach weiteren sieben Jahren Bearbeitungszeit erfolgt schließlich die Drucklegung der Schrift durch
337
Vgl. für alle Ocampo Suárez-Valdés (2012: 123).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 124).
339
Vgl. Perdices Blas (1999: 464).
340
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2012: 121). Er verweist darauf, dass es im Grunde
zwei Expedientes sind, einer zur Ermittlung der Ursachen und Hindernisse, mit denen
sich die Landwirtschaft konfrontiert sieht („Expediente sobre los daños y decadencia
de la Agricultura”), und ein zweiter zur Erarbeitung konkreter Gesetze zur Beseitigung
dieser Hindernisse („Expediente sobre el Establecimiento de una Ley Agraria“). Beide
werden 1784 in Form eines Memorial Ajustado zusammengefasst. Ocampo Suárez-Valdés beruft sich hierbei auf Gonzalo Anes (1969): Economía e Ilustración. Barcelona: Ariel,
pp. 102ff. und idem (1995): La Ley Agraria. Madrid: Alianza, pp. 29ff.
341
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 121).
338
168 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Antonio Sancha in Madrid. Das Werk ist zugleich Höhe- und Schlusspunkt der bourbonischen Reformökonomie.342
Bemerkenswert an Jovellanos‘ Informe ist nicht allein dessen analytische Leistung, sondern auch die Rückkopplung der ökonomischen
Herausforderungen an in der Bevölkerung vorherrschende „gesellschaftliche Hindernisse“ („estorbos morales“ 343), etwa das Fehlen
praktischer Kenntnisse. Dass der agrartechnische Wissensstand gering ist, liegt unter anderem daran, dass ungelernte Arbeitskräfte, vor
allem Söldner, in die Landwirtschaft abwandern.344 Dem allgemein
vorherrschenden Unwissen beikommen sollen Jovellanos zufolge die
sogenannten cartillas rústicas345, Fibeln mit Basisinformationen zu geeigneten Agrartechniken, etwa zum Anbau von Feldfrüchten:
La vía más eficaz para la divulgación serían las cartillas agrarias o rústicas,
con lenguaje y estilo sencillos, y preparadas para la comprensión de los
labradores. En estas cartillas se enseñarían los métodos de preparación
de las tierras y las semillas, las labores de siembra, coger, escardar, trillar
y aventar los granos, de guardar y conservar los frutos y reducirlos a caldos y harinas, la descripción somera de aperos y máquinas de cultivo, así
como sus aplicaciones prácticas y, por fin, los modernos adelantos para
mejorar la producción agrícola. La idea de las cartillas se convirtió en todo
un leitmotiv sobre la enseñanza de la agricultura en España durante casi
todo el siglo siguiente.346
Zeugen die cartillas einerseits vom pragmatischen Geist Jovellanos‘, der unter Berücksichtigung der bäuerlichen Zeitökonomie davon absieht, Schulen einzurichten, um das entsprechende Wissen zu
vermitteln, gehen sie andererseits insofern an der Realität vorbei, als
die meisten Bauern nicht lesen können, weshalb die cartillas erst im
19. Jahrhundert und mit der flächendeckenden Einführung von Schulen den ihnen zugedachten Zweck erfüllen. Wenn Jovellanos also
342
Vgl. für alle Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 119ff.).
„Estorbos morales“ meint hier dem im 18. Jahrhundert gängigen Verständnis
zufolge: ‚die Sitten, das Verhalten, die Handlungsweise betreffend‘.
344
Vgl. Möller (2019: 128ff.).
345
Zu den cartillas vgl. Jovellanos (1998: 403ff.).
346
Montagut Contreras, Eduardo (2014): „Jovellanos y la enseñanza de la agricultura“.
In: Los Ojos de Hipatia. Quelle: https://www.reeditor.com/columna/10241/16/historia/
jovellanos/la/ensenanza/la/agricultura, Zugriff: 20.08.2022, ohne Paginierung.
343
3. Reformökonomische Diskurse
169
wirtschaftliche Hindernisse auf ‚gesellschaftliche‘ zurückführt, soll
deren Beseitigung im Umkehrschluss nicht nur in wirtschaftlichem
Wohlstand münden, sondern auch eine Verbesserung der Sitten herbeiführen, ein Gedanke, der ganz und gar vom aufklärerischen Fortschrittsglauben inspiriert ist. Entsprechend heißt es bei Jovellanos:
una inmensa población rústica derramada sobre los campos, no sólo promete al Estado un pueblo laborioso y rico, sino también sencillo y virtuoso.
[...] Entonces no sólo se podrá esperar de los labradores la aplicación, la
frugalidad y la abundancia hija de entrambas, sino que reynarán en sus familias el amor conyugal, paterno, filial y fraternal; reynarán la concordia,
la caridad y la hospitalidad, y nuestros colonos poseerán aquellas virtudes
sociales y domésticas, que constituyen la felicidad de las familias, y la verdadera gloria de los Estados.347
An dieser Stelle wird deutlich, dass die felicidad pública bei Jovellanos nicht nur ein säkular-ökonomisches, sondern auch ein moralökonomisches Konzept ist, das die Abhängigkeit des moralischen
Fortschritts einer Nation vom wirtschaftlichen postuliert. Vernünftig
(„sencillo“) und tugendhaft („virtuoso“) zu sein, bedeutet dabei, die
eigene Arbeitsleistung in den Dienst des staatlichen Ganzen zu stellen.
Die Grundbedingung für das Funktionieren des Reziprozitätsprinzips als einem Geben und Nehmen zwischen Staat und Individuum,
auf dem das Konzept eines als funktionales Rädchen im Getriebe des
Staates verstandenen Staatsbürgers fußt, ist der Zugang zu Eigentum.
Der Erwerb von Eigentum wiederum schafft laut Jovellanos die Möglichkeit sozialer Gleichheit, für die metonymisch der vom Feudalherrn
unabhängige Bauer steht, der seine Parzellen deshalb mit größerer
Energie und Sorgfalt bewirtschaftet als der Großgrundbesitzer, weil
es seinem Eigeninteresse und dem seiner Familie dient, trägt er doch
selbst den Gewinn davon. Diesbezüglich resümieren Llombart und
Ocampo Suárez-Valdés:
En síntesis, los objetivos del Informe pretendían obtener „la extensión,
la perfección, y la utilidad del cultivo” y, al mismo tiempo, una mayor
equidad en el mundo rural así como el fomento de la figura del labrador
347
Vgl. Jovellanos (1998: 272) sowie, zu dieser Passage, Llombart/Ocampo SuárezValdés (2012: 129).
170 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
independiente. Jovellanos pensaba que el avance de la agricultura era
perfectamente compatible con la mayor igualdad; es más, que crecimiento y equidad formaban parte del mismo proceso y se ayudaban mutuamente. A ello se dirigían el conjunto de medidas reformistas que hemos
indicado.348
Die Verbesserung der Grundbedingungen der Landwirtschaft und
ihrer körperlich schwer arbeitenden Akteure dient also letztlich dem
Wohle aller.
Der Regierung Carlos‘ IV. (1788-1808)349 und seines Ministers Manuel de Godoy (1792-1798) hingegen ist nicht an der Umsetzung einer
Agrarreform gelegen, zumal diese den landbesitzenden Eliten zum
Nachteil gereichen und das ländliche Prekariat stärken würde. Dafür
ist nicht nur die als immense Bedrohung empfundene Französische
Revolution ursächlich, es sind auch die Kriege mit Frankreich, die Spanien über zwei Jahrzehnte in Atem halten.350 Die im Informe gemachten
Vorschläge zur Landwirtschaftsreform beurteilt die durch die Regierung instrumentalisierte kirchliche Zensur als so gewagt und den ‚heiligen‘ Privilegien von Adel und Kirche gegenüber derart häretisch,351
dass sie die siebenjährige Inhaftierung des aufgeklärten Reformökonomen zur Folge haben. Der Informe selbst wird 1825 verboten und
steht dann für weitere 52 Jahre auf dem Index.352 In Anbetracht des
gemäßigten und protektionistischen Reformgeistes der Schrift, der liberalistische Maßnahmen wie der Freihandel fremd sind,353 zeugt das
348
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134), ohne Angabe der genauen
Seitenzahl bei Jovellanos.
349
Die an dieser Stelle gemachten Jahresangaben beziehen sich auf die jeweilige
Regierungszeit.
350
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134).
351
Hier ist wörtlich de Rede von „falsas indistintamente e injuriosas a los dos Estados: Eclesiástico y Nobleza, y por lo mismo aversivas de la Monarquía e inductivas a la
Anarquía”, zitiert in Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134).
352
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 134) unter Bezugnahme auf García
Sánchez, Justo (1802): Asturianos en el Índice. Tratado de la regalía de amortización. Oviedo:
Real Instituto de Estudios Asturianos.
353
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 128), die darauf hinweisen, dass
Jovellanos‘ Bemühungen um eine Liberalisierung des Handels allein den Binnenmarkt
betreffen und aus einem dem merkantilistischen Denken verpflichteten protektionistischen Impetus heraus den Außenhandel aussparen: „Jovellanos fue proteccionista
en términos económicos. No sólo en la reglamentación del importante comercio de
3. Reformökonomische Diskurse
171
rigide Vorgehen von Staat und Kirche gegen den ehemaligen Minister
Jovellanos von der antireformistischen Haltung der Regierung Carlos‘ IV.354 Vor diesem Hintergrund leuchten auch das Bemühen des
Autors des Informe um einen gemäßigten Ton sowie die Vorsicht ein,
mit der er seine Reformvorschläge unterbreitet. Was die Auswirkungen des Informe auf die Handlungsebene betrifft, vermag es angesichts
der konservativen Haltung der Krone kaum zu erstaunen, dass die
von Jovellanos gemachten Vorschläge zur Agrarreform nie umgesetzt
werden. Sie sind ein weiteres Beispiel für das Überwiegen der Diskurs- über die Handlungsebene in der spanischen Reformökonomie.355
Während Jovellanos‘ Informe in Spanien auf keinen fruchtbaren Boden
fällt, ist das Echo im europäischen Ausland groß: Zwischen 1806 und
1816 erscheinen fünf Übersetzungen, deren Rezensenten sich in den
in der Edinburgh Review erschienenen Besprechungen über das rigide
Vorgehen der spanischen Regierung gegen ihren ehemaligen Minister
empören.356
cereales – recomendaba prohibir la exportación y limitar la importación – sino que en el
caso de los restantes productos agrícolas abogaba por la libertad de exportación, pero
se abstenía de proponer la libertad de importación. El librecambio está ausente del
Informe, tanto en las argumentaciones analíticas como en el programa de reformas.”
354
Auch Kamecke (2015: 497) betont, dass „die Diskurspolizei am Ende der Epoche – von den 1790er Jahren bis zum Beginn des Bürgerkriegs 1808 – immer deutlicher
die Oberhand über das Spiel der literarischen Versuche der Selbstbehauptung“ erlangt
habe. Möller (2019: 19; 43) spricht ihrerseits vom „System der doppelten Zensur“, einer
staatlichen vor Drucklegung und einer kirchlichen danach, sowie die Verschärfung
dieser Zensur unter Carlos IV. Auf das entsprechende Kapitel bei Gittermann (2008:
287ff.), die dort von einer „Auflösung des Konsenses zwischen Krone und Aufklärung“
spricht, wurde bereits verwiesen (s.o.).
355
Vgl. Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 135): „La primera, de indiferencia
u hostilidad hacia el conjunto del proyecto, pues no existían condiciones políticas ni
voluntad para una reforma agraria de ese calado por parte de una Monarquía crecientemente endeudada desde 1793.”
356
Vgl. zu allen Übersetzungen Llombart/Ocampo Suárez-Valdés (2012: 136f.). Die
erste Übersetzung des Informe ist eine französische von M. Rouvier (1806), die in Sankt
Petersburg erscheint, gefolgt von einer vermutlich von James Mill stammenden Rezension in der prestigeträchtigen Edinburgh Review (1809). Vgl. Mill, James (1809): „Jovellanos on Agriculture and Legislation”. In: The Edinburgh Review, or Critical Journal, 14, pp.
20-39. Eine zweite französische Fassung stammt von André Laborde (1808/09). Sie wird
1809 ins Englische übertragen, gibt aber, eben weil sie nicht auf dem spanischen Originaltext basiert, den Inhalt des Informe nur verzerrt wieder. Ein wesentlicher Bestandteil
der Rezension dieser Übersetzung, die ebenfalls in der Edinburgh Review erscheint, ist
172 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
3.4.2. Über den Sekundärsektor: Campomanes‘ Discurso sobre
el fomento de la industria popular (1774)
Das reformökonomische Denken von Campomanes, ist, ähnlich wie
die Überlegungen des durch ihn inspirierten Jovellanos, praxisorientiert, bezüglich seiner theoretischen Einflüsse eklektisch und ganz auf
den Grad der Nützlichkeit der gemachten Vorschläge für das große
Ganze des Staates und dessen Untertanen ausgerichtet, die auch Campomanes als vasallos útiles, und damit in gleicher Weise wie später Jovellanos, als funktionale Elemente im Getriebe des Staates konzipiert.
Beide Schriften zeichnen sich durch einen dezidierten Regionalbezug aus, der für Campomanes Discurso von 1774 bereits am Beispiel
der Sociedades Económicas verdeutlicht wurde. Den praktisch-pragmatischen, nicht akademischen Charakter seiner Schrift verdeutlicht
Campomanes in autoreferenzieller Manier, wenn er betont, dass sein
Reformprogramm auf Beobachtung und Erfahrung beruhe und sich
damit von einem universitären Wissen alter Schule unterscheide, das
mit der Berufspraxis unvereinbar sei:
No se han usado en este discurso sistemas abstractos y pomposos; se ha
procurado seguir el cálculo y la natural inclinación de las cosas para venir
a la demostración de lo que conviene. Estas reglas las dicta la experiencia
y la aplicación, no se aprenden en las escuelas públicas. Y ojalá que en ellas
se enseñasen las observaciones practicables y convenientes a la industria.
Tiempo ha que los varones sabios se dolían de las vanísimas cuestiones
que los jóvenes agitan en las aulas, las cuales, en llegando a los empleos, en
nada les eran acomodables a la utilidad y beneficio del público.357
In ähnlicher Weise wie Campomanes sich von einer alltagsfernen Academia distanziert, hebt er sich und seine Schrift von der
die Empörung über die Inhaftierung und die Geringschätzung, die das beachtenswerte
Werk des asturischen Ökonomen in Spanien erfährt, und die die Verfechter eines ökonomisch und philosophisch aufgeklärten Europas als skandalös empfinden. Die beiden letzten Übersetzungen erfolgen 1815 und 1816: Battista Nicolosi überträgt den Informe, dessen Vorschläge auf das in spanischem Besitz befindliche Sizilien angewandt
werden sollen, ins Italienische. Ein Jahr später erscheint die deutsche Übersetzung von
Heinrich von Béguelin mit dem Titel: Gutachten der Ökonomischen Gesellschaft zu Madrid
über die ihr vorgelegten Entwürfe zu einer landwirtschaftlichen Gesetzgebung.
357
Vgl. Campomanes (1975: 90).
3. Reformökonomische Diskurse
173
Projektemacherei und ihren teils ‚monströsen‘ Auswüchsen ab. Damit
verwahrt er sich zugleich gegen den Hohn, dem die proyectistas ausgesetzt sind.358 Der mögliche Spott über die Reformökonomie und die
durch sie eingeführten Produktionstechniken stellt für Campomanes
angesichts der konservativen Haltung weiter Teile der Bevölkerung
und insbesondere der Zünfte eine ernsthafte Besorgnis dar. So betont
der Minister, dass dort, wo man sich über die neuen Herstellungsverfahren lustig mache, nicht mit staatlicher Unterstützung zu rechnen
sei: „Donde se burlen y desprecien los nuevos descubrimientos no es
dable que se adelanten las manufacturas, a pesar de los mejores deseos de los que gobiernan.“359 Wo sich das Volk störrisch zeige, betont
Campomanes, könne auch der gute Wille der Lokalbehörden nichts
ausrichten. Die zitierte Passage offenbart den belehrenden Gestus des
Discurso, in dem der Wortführer die patriarchalische Rolle eines Lehrers einnimmt, während dem Volk die Rolle eines – zuweilen störrischen – Kindes zugewiesen wird, das nicht einsehen möchte, dass die
neuen Methoden zu seinem eigenen Besten sind. Im Folgenden geht
Campomanes noch einen Schritt weiter, wenn er die Uneinsichtigen,
die die Reformökonomie zu kritisieren und den aufklärerischen Elan
zu bremsen wagen, kriminalisiert: „Es una especie de crimen contra
el Estado desalentar la aplicación; censurando lo que no se entiende y
desanimando la aplicación.“360
Gemäß den empirisch-mathematischen Leitlinien der Politischen
Ökonomie, die sich aus den Elementen Datenerhebung, Beobachtung
und Arithmetik zusammensetzen, verschreibt sich der Discurso ganz
der Entwicklung konkreter politischer Leitlinien anhand detaillierter
Analysen der wirtschaftlichen Gegebenheiten und scheut sich nicht,
dabei auf das ein oder andere Rechenexempel zurückzugreifen, etwa,
als Campomanes ausführt, wieviel mehr Gewinn die Landarbeiterfamilien für die Nation – und für sich selbst – erwirtschaften könnten,
wenn sie das bislang ungenutzte ökonomische Potenzial der zahlreichen Frauen und Mädchen nutzen würden, die in Heimarbeit eine
358
Vgl. Campomanes (1975: 107): „Los monstruosos yerros de los proyectos han
hecho odiosa esta especie de escritos, que se miran con el aspecto de unos sistemas mal
digeridos de imposiciones nuevas.“
359
Vgl. Campomanes (1975: 83).
360
Campomanes (1975: 83).
174 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
beträchtliche Menge an Leinengarn und -stoff produzieren könnten.361
Das von Campomanes vorgestellte Programm besteht wesentlich in
der Ausweitung und Förderung der so genannten industria rural dispersa, ein Begriff, den Campomanes von den französischen Enzyklopädisten bezieht,362 und der eine von Städten und großen Manufakturen dezentrierte ländliche Produktion in Heimarbeit meint, wie sie in
Kapitel 3.3.2. bereits skizziert wurde.
361
Konkret rechnet Campomanes (1975: 66ff.) minutiös vor, was vier Millionen
arbeitsfähiger Frauen und Mädchen über sieben Jahren volkswirtschaftlich zu leisten
imstande wären. Diese könnten am Tag und pro Kopf 11 Unzen (onzas) Garn spinnen,
was sich auf anderthalb reales Verdienst am Tag beliefe. Die Summe des täglich auf nationaler Ebene produzierten Garns läge dann bei zwei Millionen Pfund (libras) am Tag.
Da aus je fünf Unzen Garn eine Elle (vara) Leinenstoff gewebt werden könnte, bedeutet dies eine spanienweite tägliche Produktionsmenge von bis zu vier Millionen Ellen
Leinenstoff. Hochgerechnet auf zweihundert Arbeitstage im Jahr addiert sich dies zu
einem Warenwert von dreihundert reales de vellón, nicht eingerechnet den Verdienst,
den die im Haushalt lebenden Dienstmägde zusätzlich beitragen könnten, wenn sie sich
ebenfalls der Leinenspinnerei widmen würden. So könnten allein durch Einbeziehung
der Frauen und Mädchen in die nebenerwerbliche heimische Textilproduktion achtzig
Millionen Pesos im Jahr erwirtschaftet werden, das macht einen Nettoerlös von vierzig
Millionen Pesos. Die Idee, Frauen und Mädchen als produktive Kräfte heranzuziehen,
findet sich bereits im Discurso preliminar von Wards Proyecto económico. Auch dort werden konkrete Zahlen zur Veranschaulichung herangezogen. Vgl. Ward (1779: XVII): „Si
hay en España, como no lo dudo, un millón de mugeres, entre grandes y chicas, que hilan con rueca, múdese solamente la rueca en torno, é hilarán quatro, ó cinco veces mas, y
el aumento de su ganancia ascenderá á cerca de veinte millones de escudos al año, quasi
tres veces tanto como saca el Rey de todas sus Indias, y mas de lo que le tributa de renta
anual la Corona de Castilla.” Ähnlich argumentiert auch Olavide, der sich ebenfalls
dafür ausspricht, dass die Frauen von Pächtern und Landarbeitern sich in der Rohstoffverarbeitung betätigen sollen, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Zu Olavide vgl.
Perdices Blas (2000: 283) sowie ders. (1988): La agricultura de la segunda mitad del siglo xviii
en la obra colonizadora de Pablo de Olavide. Madrid: Universidad Complutense, pp. 254ff.
362
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 124f.): „Que la industria rural era un tema de
actualidad y debate lo prueba el artículo ‚Manufacture réunie, dispersée’, incluido en
la Encyclopédie, en el que se reiteraban las tesis de Marcandier y de los agraristas del
grupo de Gournay, defensores de la industria rural como elemento de cohesión para
las economías campesinas. La temprana traducción de Duhamel y, desde 1755, la de las
obras de Forbonnais y Plumard avalan las raíces agraristas francesas del Discurso sobre
la industria popular.” Campomanes (1975: 49; 55f.; 70; 75) selbst nimmt in seinem Discurso wiederholt Bezug auf Marcandier. Perdices Blas (2000: 284) zufolge bezieht auch
Olavide seine Idee, Frauen und Kinder in die Produktionsprozesse einzubinden, aus
dem Encyclopédie-Artikel. Zu diesem Artikel vgl. auch Proust, Jacques (2013): Diderot et
l‘Encyclopédie. Paris: Albin Michel, pp. 227ff.
3. Reformökonomische Diskurse
175
Die Vorteile einer solchen Herstellungsweise im Kleinen verknüpft Campomanes sowohl mit poblationistischen Argumenten als
auch mit der Biopolitik im Sinne Foucaults, die auf die Kontrolle von
Geburten- und Sterberaten abzielt.363 Poblationistisch argumentiert
Campomanes, wenn er darauf hinweist, dass mit der Betätigung von
Mädchen in der Textilproduktion die überzähligen (weiblichen) Nachkommen, die den Pächtern mit ihrem ohnehin geringen Verdienst von
vier bis viereinhalb reales am Tag sonst nur zur Last fielen, nun zur
Erhöhung des Familieneinkommens beitragen könnten.364 In diesem
Zusammenhang kommt auch eine biopolitische Argumentation zum
Tragen, die darin besteht, dass nur dann genügend Ehen geschlossen
und Nachkommen gezeugt würden, wenn deren Ernährung und spätere Beschäftigung sichergestellt sei: „La población crece a medida que
se aumentan los matrimonios y éstos se contraen prontamente siempre que es segura la fácil manutención, ocupación y alimento de los
hijos.“365 An dieser Stelle wird die Verwobenheit des poblacionismo mit
der Biopolitik deutlich, drehen sich beide doch um den Aspekt des
Bevölkerungswachstums und die Möglichkeiten, dieses durch Maßnahmen der Politischen Ökonomie gezielt zu fördern. Der Discurso
von 1774 präsentiert die industria rural dispersa als Programm, das die
für steigende Geburten notwendigen Anreize schaffen kann. Überdies
ist sie geeignet, die Zahl der Bettler und Faulen zu verringern, was in
den Augen des Ministers eine notwendige Voraussetzung ist, um das
große Projekt maximalen öffentlichen Wohlstands zu verwirklichen.
In diesem Zusammenhang flicht Campomanes das säkulare Konzept
der prosperidad in seine Argumentationslinie ein:
La prosperidad y la abundancia se seguirían como fruto de esta vigilante policía; no habría vagos, ni mendigos; el pueblo crecería y estaría bien
alimentado; las rentas del Rey se aumentarían y la pujanza de la Nación
363
Vgl. Foucault, Michel (22006): Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Vorlesungen am Collège de France 1978/1979. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Foucaults Konzept der Biopolitik vertieft und auf das (Konzentrations-)Lager übertragen hat Agamben, Giorgio (2002): Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben.
Frankfurt/ Main: Suhrkamp.
364
Vgl. Campomanes (1975: 67).
365
Vgl. Campomanes (1975: 67). Dass das der Reformökonomie zugrundeliegende
Ziel stets der Bevölkerungszuwachs ist, unterstreicht Perdices Blas (2000: 283) auch in
Bezug auf Olavides Vorschlag der Beschäftigung von Frauen und Mädchen.
176 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
daría confianza para resistir o combatir ventajosamente a los enemigos y,
en fin, el contento general reuniría a todos, para afianzar el disfrute de una
policía comparable a la que imaginaron en sus mejores meditaciones los
hombres más respetables de todas las Naciones.366
In dieser Passage tritt sowohl das eigentlich im Vordergrund der
Reformökonomie stehende Bestreben zutage, die Staatseinnahmen zu
erhöhen („las rentas del Rey se aumentarían“), als auch das Ziel, im
Wettstreit der Mächte verlorenen Boden aufzuholen („combatir ventajosamente a los enemigos“). Auch bei Campomanes wird Wirtschaftspolitik also im merkantilistischen Sinne als Mittel zur Kriegsführung
verstanden. Die bei Campomanes formulierten Ziele der Erhöhung
der Staatseinnahmen und der Einwohnerzahl sind es, die Foucault als
die Säulen der Politischen Ökonomie des europäischen 18. Jahrhunderts identifiziert.
[...] car après tout, l’économie politique, elle se propose quels objectifs? Eh
bien, elle se propose comme objectif l’enrichissement de l’État. Elle se propose pour objectif la croissance simultanée, corrélative et convenablement
ajustée de la population d’une part et des subsistances de l’autre. L’économie politique, elle se propose quoi? Eh bien, d’assurer de façon convenable
et ajustée et toujours gagnante la concurrence entre les États.367
Im Hinblick auf die Frage, wie sehr Campomanes‘ Discurso mit den
Beobachtungen Foucaults zu Politischen Ökonomie des europäischen
18. Jahrhunderts zur Deckung kommt, ist bemerkenswert, dass dort
von einer „vigilante policía“ (s.o.) die Rede ist, die Foucaults „policey“
entspricht, ein Konzept, das im Kontext des Pastoratsprinzips (vgl.
auch Kap. 6.3.3) steht.368 Die „policey“ bezeichnet eine politische Rationalität, die auf die Biopolitik ausgerichtet ist und die physischen Bedingungen der Untertanen im Sinne des ‚Sozialkörpers‘ zu verbessern
366
Vgl. Campomanes (1975: 72).
Foucault, Michel (2004): Naissance de la biopolitique. Cours au Collège de France
(1978-1979), eds. François Ewald & Alessandro Fontana. Paris: Gallimard, p. 22.
368
Zur „policey“ vgl. Foucault, Michel (1994): „Omnes et singulatim: vers une critique de la raison politique“. In: Dits et écrits, eds. Daniel Défert & François Ewald, vol.
IV, pp. 134-161.
367
3. Reformökonomische Diskurse
177
sucht.369 Eben dies ist zumindest das rhetorische Ziel des Discurso,
wird dort doch explizit auf die prekäre Lage der Tagelöhner und auf
die signifikante Verbesserung verwiesen, die durch die flächendeckende Einführung der industria rural dispersa zu erreichen wäre.370
Der merkantilistische Impetus der Ausführungen Campomanes‘
bestätigt seinerseits die These Foucaults, dass der Merkantilismus
dem Ziel der Politischen Ökonomie dient, „ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Staaten zu erreichen, damit genau dieser Wettstreit stattfinden kann“371. Der spanische Minister wiederum macht
keinen Hehl daraus, dass ihm an der Wiederherstellung der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit Spaniens mit europäischen Großmächten
wie England und Frankreich gelegen ist,372 deren (Wirtschafts-)Politik
er als vorbildlich betrachtet.373 Seine offensichtlich merkantilistische
Grundhaltung offenbart der Discurso dort, wo von protektionistischen
Maßnahmen gegen Stoffimporte aus Asien374 oder einer „pérdida de
la balanza nacional“375 die Rede ist. Sie offenbart sich aber auch, wenn
Campomanes das erneute Inkrafttreten des unter Felipe V. erlassenen
Verbots von Rohstoffexporten mit der Begründung befürwortet, dass
369
Vgl. Gehring, Petra (2014): „Vorlesungen zu Staat / Gouvernementalität“. In:
Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich Johannes (eds.). Foucault Handbuch.
Stuttgart: Metzler, pp. 149-158, hier p. 151.
370
Vgl. Campomanes (1975: 51): „El jornalero [...] vive una gran parte del año sin
auxilio. [...] ¿Cómo podrá mantener su familia? [...] ¿Qué diferencia, en la mayor parte
del año, se encuentra de estas familias a los mendigos?” Mit dem Begriff „auxilio“ ist
sowohl die fehlende zusätzliche Arbeitskraft als auch die mangelnde finanzielle Unterstützung gemeint, an der es vor allem dann fehlt, wenn der Landarbeiter das zur Textilproduktion notwenige Rohmaterial erwerben möchte. Daher schlägt Campomanes
(1975: 53) Rohstofflager nach dem Modell der Getreidespeicher der pósitos vor.
371
Foucault (2006: 31).
372
Dass es bei der Reformökonomie am Ende um die Wiederherstellung des im
Zuge zahlreicher Kriege verloren gegangenen alten Glanzes des nun trotz bester klimatischer und geografischer Gegebenheiten ins ökonomische Hintertreffen geratenen
Spaniens geht, offenbart diese Passage: „Es pues natural que aprovechando la actual
constitución pacífica y la protección de tan gran Rey recobre la nación su industria y
población anterior, disipada en los dos siglos inmediatos con las guerras y conquistas.“
Campomanes (1975: 118).
373
Vgl. u.a. Campomanes (1975: 56).
374
Vgl. Campomanes (1975: 88).
375
Campomanes (1975: 65).
178 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
dies den in der Textilverarbeitung tätigen Frauen und Mädchen das
nötige Rohmaterial für ihre Spinn- und Webarbeiten sichere.376
Beachtlich ist, wie konkret Campomanes Smiths Überlegungen zur
Arbeitsteilung vorausdenkt:377 So stellt er sein Konzept zur maximalen Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, der zur
Verfügung stehenden Arbeitszeit und zum zusätzlichen Anreiz vor,
den das Arbeiten auf eigene Rechnung schaffe. Dass Campomanes
dem Kaufsystem den Vorzug vor dem Verlagssystem gibt und in diesem Sinne die ländliche Produktion grober Stoffe im familiären Rahmen (fábricas bastas) präferiert, während er die großbetriebliche Herstellung von feinen Seiden- und Wollstoffen (fábricas finas) ablehnt, ist
damit zu erklären, dass die dezentrale ländliche Fertigung im Kleinen
und auf der Basis einfacher lokal zur Verfügung stehender Materialien für einen infrastrukturarmen Agrarstaat wie Spanien die bessere
Lösung darstellt.378 Was also bei Jovellanos die von ihm kritisierten
376
Vgl. Campomanes (1975 83): „Es un gran perjuicio de la industria popular permitir la extracción en rama de las primeras materias de las artes que sean necesarias
para ocupar las mujeres y niñas Españolas, ahora ociosas. En el Reinado anterior se
prohibió la saca del esparto en rama, por ser un fruto casi especial de la España y que
fuera sólo se coge en Cerdeña y en algunos parajes de la África litoral.“
377
So kommt auch Schumpeter (2007: 231) zu dem Schluss, dass Campomanes angesichts seiner elaborierten und differenzierten wirtschaftlichen Überlegungen „nur
noch wenig, falls überhaupt etwas, aus dem Wealth of Nations hätte lernen können“.
Auch Ocampo Suárez Valdés (2004: 117) betont, dass Campomanes Smith vorgreift,
wenn er dem später auch durch Smith formulierten Leitsatz folgt, dass es darum gehe,
den Monarchen und die Bevölkerung gleichermaßen zu bereichern. Ocampo SuárezValdés bezieht sich dabei insbesondere auf Campomanes, Pedro de (1976 [1763]): „Idea
segura para extender los conocimientos de la agricultura“. In: Información Comercial
Española, 512, ed. Vicent Llombart, pp. 68-74, hier p. 69.
378
Den Vorzug der fábricas bastas sieht Campomanes (1975: 59) unter anderem
hierin: „[...] emplean a los aldeanos en el tiempo que les sobra”. Die fábricas finas beanspruchten dagegen größere Kapitalmengen, die sie damit der Nationalwirtschaft
entzögen. Darüber hinaus raubten sie der Landwirtschaft dringend benötigte Arbeitskräfte, zumal die gutverdienenden Arbeiter der fábricas finas nur noch schwer zu überzeugen seien, in der Landwirtschaft härter zu arbeiten und weniger zu verdienen. Vgl.
Campomanes (1975: 69). Dass es essenziell sei, Rohstoffe von lokalen Märkten zu beziehen, erläutert Campomanes (1975: 73f.) explizit: „Los gorros, medias, calcetas, guantes y otras manufacturas menores se pueden hacer en las aldeas de las referidas hilazas
de lana, seda, lino, cáñamo y algodón, aprovechando en las Provincias tales productos
cuando los tienen de propia cosecha o introduciéndose estas primeras materias de fuera en el caso de que falten o escaseen en algunas Provincias, eximiéndose los simples
de todos los derechos en nuestras aduanas.“
3. Reformökonomische Diskurse
179
Latifundien sind, sind bei Campomanes die großen Fabriken. Beide
behindern eine effiziente Produktion, was dem Minister zufolge in
den fábricas finas auch deshalb der Fall ist, weil in ihnen nicht in jeder
verfügbaren Minute gearbeitet werde, sondern nach festen Arbeitszeiten, was letztlich zu einer verteuerten Produktion führe.379 Auch
hier erweist sich der Aspekt der Zeitökonomie als zentraler Punkt des
Discurso. Die Beobachtungen, die Campomanes am Beispiel des für
ihn vorbildlichen Galizien380 macht, nehmen die Einschätzung Smiths
379
Vgl. Campomanes (1975: 55). Anders als bislang betont, ist Campomanes kein
entschiedener Gegner städtischer Produktionsanlagen. Vielmehr distanziert er sich
von jenen, die, wie die Junta de Comercio von Barcelona, dafür plädieren, große Fabriken und Manufakturen jenseits der wohlhabenden städtischen Zentren anzusiedeln.
Vgl. dazu Ocampo Suárez-Valdés (2004: 132). Campomanes ist also weder ‚antiurban‘
noch ‚antikapitalistisch‘, wie es ihm wirtschaftshistorische Forschungen zuweilen unterstellt haben. Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 114), der in überzeugender Art und
Weise argumentiert, dass man auch Smith diesem Vorwurf nicht ausgesetzt habe, nur
weil sein Werk – ebenso wie das Campomanes‘ – Anleihen an den Agrarismus aufweise. Wohl aber spricht sich Campomanes dezidiert gegen den Colbertismus und die
unwirtschaftlichen königlichen Fabriken aus und plädiert dafür, ihre Anzahl radikal
zu reduzieren und ihnen eine rigide Sparpolitik aufzuerlegen. Vgl. Ocampo SuárezValdés (2004: 133). Auch Campomanes (1975: 87; 89) selbst betont in seinem Discurso
explizit, dass ihm nicht daran gelegen sei, die „fábricas finas“ zu schmähen, sondern
dass die „fábricas bastas y groseras” eher in der Lage seien, die Hälfte der Bevölkerung
in Lohn und Brot zu bringen.
380
Dass Campomanes Galizien und nicht Katalonien zum Vorbild für die spanische Textilproduktion erklärt, liegt daran, dass er über das immense Prosperieren der
Textilproduktion in der Region um Barcelona nicht richtig informiert ist, sodass er zu
dem Schluss kommt, Galizien stünde im Hinblick auf seine textile Fertigung besser da.
Für Campomanes ist Katalonien immer noch eine bevölkerungsarme Region, in der
es von Banditen nur so wimmelt. Dabei übersieht er den hohen Standard der industriellen Produktion, die dort in größeren Anlagen und im Stadtzentrum angesiedelt
ist. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 134) spricht diesbezüglich vom „fragmentario de su
información respecto a la industria catalana”. Ein Blick in den Discurso offenbart, dass
Campomanes (1975: 76) sein Wissen über Katalonien aus einer mehr als zweihundert
Jahre alten Quelle bezieht: „Andrés Navagero, Embajador de Venecia, refiere en su
Viaje de España que en el año 1523, en que pasó por Cataluña, estaba casi despoblada y
llena de delincuentes y bandidos, por el abuso de sus leyes municipales. Y en la misma
constitución permaneció hasta el presente siglo, en que la nueva planta de gobierno
que la dio Felipe V restableció la justicia, animó la industria y, con el acantonamiento
de las tropas, se fomentaron insensiblemente las manufacturas.“ Dafür, dass Campomanes’ falsche Einschätzung Kataloniens weniger auf etwaigen Vorbehalten gegenüber der Region, als vielmehr auf veralteten Informationen beruhen, plädiert auch
Ocampo Suárez-Valdés (2004: 134f.).
180 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vorweg, dass der Arbeiter, insofern er für jemand anderen tätig sei,
geringeren Einsatz zeige, als wenn er dies auf eigene Rechnung tue:
Si un número de comerciantes o una compañía redujese, por ejemplo, en
Galicia las fábricas de lienzo a su discreción, de modo que los Gallegos trabajasen de cuenta de tales emprendedores, el género se malearía, se estancaría a arbitrio de ellos y los Gallegos sólo sacarían el jornal que les quisiesen dar. Y como éste menguaría cada día, al cabo la fábrica se arruinaría,
porque los naturales habrían olvidado su industria antigua y la compañía
no tendría quien trabajase de cuenta de ella, con la economía que es fácil
lograr al presente en aquella Provincia frugal y laboriosa.381
Was die optimale Ausschöpfung der Arbeitszeit, also die Zeitökonomie, betrifft, schlägt Campomanes vor, dass Frauen und Kinder die
Zeit, in der sie ihre Herden hüten, zum Spinnen nutzen sollten. Auch
Nonnen empfiehlt er diese Tätigkeit und verweist mit Rücksicht auf
die in den Konventen zur inneren Einkehr gebotene Stille auf spezielle, besonders lautlose Spindeln, die in der Ortschaft Marimon in der
Region Haynault hergestellt werden.382
In ähnlicher Weise wie der durch ihn inspirierte Jovellanos verbindet auch Campomanes Wirtschaft und Moral. Dies geschieht über die
dialektische Gegenüberstellung des bien público, des Gemeinwohls,
und des ocio383, der freien, nicht zur Arbeit genutzten Zeit. Während
Campomanes das Gemeinwohl mit der Ordnung gleichsetzt, führt die
Untätigkeit aus seiner Sicht notwendigerweise zur Unordnung und
damit zum moralischen Verfall, bedeutet untätig zu sein doch zugleich, den Leidenschaften nachzugeben: „Es imposible amar el bien
público y adular las pasiones desordenadas del ocio.”384 In diesem Zusammenhang greift die Rhetorik des Discurso einmal mehr auf die Religion zurück, wenn sie die christliche caritas in den Dienst des Staates
381
Vgl. Campomanes (1975: 95).
Vgl. Campomanes (1975: 56f.).
383
Zum Begriff des ocio bzw. ozio im 18. Jahrhundert in Spanien und Italien vgl. Fajen, Robert/Gelz, Andreas (eds.) (2017): Ocio y ociosidad en el siglo xviii español e italiano /
Ozio e oziosità nel Settecento italiano e spagnolo. Frankfurt/Main: Klostermann sowie, für
den Bereich des Theaters, Tschilschke, Christian von (2018): „Aspectos del ocio y de la
ociosidad en el teatro y en el discurso sobre el teatro dieciochesco español“. In: Cuadernos dieciochistas, 19, pp. 245-260.
384
Campomanes (1975: 45).
382
3. Reformökonomische Diskurse
181
stellt wird, um den Fleiß der Bevölkerung ebenso wie die industrielle
Kleinproduktion zu fördern:385 „La caridad con el prójimo, muy recomendada en la moral cristiana, tendrá un seguro método de ayudar
al Estado.“386 Damit erfolgt eine Rückbindung des Progressiv-Ökonomischen an das Traditionell-Religiöse. Bemerkenswert ist auch, dass
in Campomanes‘ Discurso von einer „Zivilgesellschaft“ („sociedad civil“) statt von einer feudalen die Rede ist, deren Gedeihen – und hier
kommt das säkulare Konzept der felicidad pública zum Tragen – starke
Arme in großer Zahl ebenso benötige wie eine Politik, die ihr Augenmerk auf die Interdependenz aller Wirtschaftszweige richte: „La felicidad pública se ha de conseguir por una atención universal a todos los
ramos. Su fundamento está en la gran población, porque sin hombres
faltan brazos a las diferentes operaciones que necesita la sociedad civil.”387 Wie Graef dies bereits in seinen Discursos mercuriales angeregt
hatte,388 spricht auch Campomanes nicht mehr von den negativ konnotierten „artes mecánicas“, sondern nur noch von „las artes“, etwa
wenn es heißt, dass die Landwirtschaft ohne die Unterstützung des
Handwerks, d.h. der Textilproduktion in Heimarbeit, kraftlos sei.389
Als Wächter über die Politische Ökonomie und Schirmherr seiner eigenen Reformvorschläge präsentiert Campomanes schließlich den Reformen zugeneigten Souverän Carlos III., dem an der Förderung des
385
Wenn bei Campomanes (1975: 44) davon die Rede ist, die Nächstenliebe handle
„en benificio de la industria común”, ist mit „industria“ ebenso der Fleiß wie die Industrie gemeint. Zu Etymologie und Bedeutungswandel des Begriffes „industria“ in
Spanien vgl. auch Maravall, José Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento
español (siglo xviii), Madrid: Mondadori, hier pp. 139ff. Das moderne Verständnis im
Sinne der „industria“ als Bezeichnung für ‚Industrie‘ entsteht erst im letzten Viertel des
18. Jahrhunderts. Vgl. Maravall (1991: 151). Zuvor bezeichnete „industria“ eine „actividad económica transformadora“, also den Arbeitsprozess selbst. Dieser leitet sich ab
aus dem zuvor dominierenden Verständnis der „industria“ als Bezeichnung für eine
‚Befleißigung‘, ‚Betätigung‘ oder ‚Geschäftigkeit‘. Vgl. Maravall (1991: 149).
386
Campomanes (1975: 44).
387
Campomanes (1975: 123).
388
Vgl. Graef (1755, I: 36). Witthaus (2012: 298) zufolge treibt Graef damit die „Einschreibung der Mechanischen in den Katalog der Freien Künste“ voran.
389
Vgl. Campomanes (1975: 50): „La agricultura sin artes es lánguida [...].“ An anderer Stelle spricht Campomanes (1975: 63) von der Notwendigkeit der „propagación
de las artes e industria común en España”.
182 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Fleißes seiner Untertanen gelegen sei.390 Damit fungiert Campomanes
als Sprachrohr des Souveräns, wodurch das Stellvertreterprinzip zum
Tragen kommt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der
Minister dort, wo in seinem Discurso vom König als oberster staatlicher Autorität die Rede ist, von aufklärerischen Begriffen wie dem
der ‚Zivilgesellschaft‘ oder des ‚Staatsbürgers‘ („ciudadano“) Abstand
nimmt und stattdessen auf das feudale Konzept des Vasallen („vasallo“) zurückgreift, um keinerlei Zweifel an der im absolutistischen
Staat herrschenden Hierarchie aufkommen zu lassen.
3.4.3. Über den Tertiärsektor: Valentín de Forondas Disertación sobre
lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778)
Valentín de Foronda (1751-1821), von 1801-1809 spanischer Generalkonsul und abgesandter Minister in Philadelphia und mit Thomas
Jefferson (1743-1826) befreundet,391 zählt als Diplomat und führender
Intellektueller zu den liberalistischen Stimmen der spanischen Spätaufklärung. Aufgrund seines Studiums in Frankreich ist er mit den
prominenten Schriften der französischen Aufklärung bestens vertraut,
zeigt großes Interesse am deutschen Kameralismus und überträgt
Bielfelds zweibändige Institutions politiques (1760) ins Spanische.392 Vor
allem aber wird sein ökonomisches Denken durch anglophone Schriften geprägt. Foronda ist ein glühender Verfechter der Politischen Ökonomie, die er nicht nur als analytisches Instrument schätzt, sondern
als Mittel der ökonomischen und politischen Aufklärung schlechthin,
mit dessen Hilfe er gegen das weit verbreitete Unwissen seiner Zeitgenossen angehen möchte. Dieses Unwissen sieht Foronda vor allem
seitens der konservativen Kräfte gegeben.393
390
Vgl. Campomanes (1975: 57): „Deseoso el Rey de fomentar la industria de sus
vasallos [...].“
391
Vgl. Azpiazu (1984: 27).
392
Vgl. Bielfeld, Jakob Friedrich von (1781): Instituciones políticas: Obra en que se trata
de los reynos de Portugal, y España, de su situacion local, de sus posesiones, de sus vecinos,
y limites, de su clima, y producciones, de sus manufacturas, y fabricas, de su Comercio, de los
habitantes, y de su numero, de la nobleza, de la forma de su gobierno, trans. Valentín de Foronda. Bordeaux: Francisco Mor.
393
Vgl. Benavides, Manuel/Rollán, Cristina (eds.) (1984): Valentín de Foronda: Los
suenõs de la razón. Madrid: Editora Nacional, p. 218 unter Bezugnahme auf Forondas
Rede vor der Sociedad Química im Jahre 1802.
3. Reformökonomische Diskurse
183
In einer Rede vor der Baskischen Ökonomischen Gesellschaft im
Jahre 1778 mit dem Titel Disertación sobre lo honrosa que es la profesión
del Comercio stellt Foronda sein Rezept gegen die ökonomischen Gebrechen der spanischen Nation vor: Die Bedeutung, die Jovellanos
dem Ackerbau und Campomanes der textilen Kleinproduktion auf
dem Land beimisst, hat für Foronda der Handel. Er allein ist in den
Augen des navarresischen Ökonomen in der Lage, eine große Anzahl
von Menschen zu beschäftigen und das im Adel wie im Volk verbreitete Laster der Faulheit zu bekämpfen. Foronda hatte dies bereits 1779
in seiner Ansprache vor der baskischen Ökonomischen Gesellschaft
ausgeführt:
El comercio nos trae lo necesario y lleva, en cambio, lo superfluo. Hace
florecer fábricas y así da ocupación a muchas familias, que faltándoles este
recurso se mantendrían en la inacción y no harían sino aumentar aquel
tropel confuso de vagos que importa la Península.394
Wie vor ihm Campomanes greift auch Foronda die Dekadenzthese
auf, und wie der Minister verwendet auch Foronda poblationistische
und biopolitische Argumente. Auch für ihn ist die Vertreibung der
Morisken unter Felipe III. ursächlich für den Bevölkerungsrückgang,
aus dem der Niedergang des spanischen Handels und der Industrie
resultiere395 Von dieser in ökonomischer ebenso wie in machtpolitischer Hinsicht unbedachten Politik hebt Foronda die der Monarchen
Felipe V., Fernando VI. und Carlos III. positiv ab: „[...] en sus reynados
394
Foronda, Valentín de (1793b): „Paralelo de la Sociedad de San Sulpicio de Paris
con la Casa de Misericordia, ó sociedad caritativa de la Ciudad de Victoria, destinado
para leer en las Juntas generales que celebró en Bergara la Real Sociedad Bascongada
en el año de 1779“. In: idem. Miscelanea, ó coleccion de varios discursos en que se trata de
los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión del comercio. Madrid: Manuel
González, pp. 24-30, hier p. 30.
395
Foronda, Valentín de (1793a): „Disertación sobre lo honrosa que es la profesión
del Comercio, leída en las Juntas generales que celebró la Sociedad Bascongada en
Bilbao el año de 1778“. In: idem. Miscelanea, ó coleccion de varios discursos en que se trata
de los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión del comercio. Madrid: Manuel
González, pp. 1-23, hier p. 7. Auch zu hohe Steuern und Abgaben haben laut Foronda
dazu geführt, dass viele HandwerkerInnen ihre Werkstätten schließen mussten. Über
die negativen Auswirkungen der Vertreibung der Juden und Mauren äußert sich auch
Graef in seinen Discursos Mercuriales. Vgl. Witthaus (2012: 301) mit Bezug auf Graef
(1996: 28f.).
184 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
empezó á rayar la luz, y disiparse aquella confusa y melancólica obscuridad mercantil en que yacia la Península. Estos tres Monarcas,
pero con especialidad el amable Carlos, se han esmerado en fomentar la agricultura, el comercio, y las artes [...].“396 Als Merkmal einer
zur ökonomischen und gesellschaftlichen Verbesserung beitragenden
Politischen Ökonomie wird, wie für die spanische Reformökonomie
typisch, auch hier die Förderung aller drei Wirtschaftssektoren betrachtet. Wie Graef dies bereits angeregt hatte, ist auch bei Foronda
nicht mehr von den artes mecánicas die Rede, die entsprechend auch
nicht als ‚niedere Fertigkeiten‘ von den höherwertigen artes liberales
abgegrenzt werden, sondern nur noch von „las artes“.
Ähnlich poblationistisch wie Campomanes argumentiert Foronda
dann, wenn er ausführt, die Bedeutung einer Nation bemesse sich nicht
an ihrer räumlichen Ausdehnung, sondern an der Größe ihrer Bevölkerung,397 an ihrer Arbeit („trabajo“), das bedeutet: am Grad der Beschäftigung der StaatsbürgerInnen und an ihrem Fleiß („industria“),398
wobei Foronda keinen Zweifel daran lässt, dass es in erster Linie der
Handel ist, der den EinwohnerInnen Spaniens die für das Gedeihen
der Nation nötige Arbeit verschaffen könne. Das biopolitische Argument wird herangezogen, um die jahrhundertelang gering geschätzte
Arbeit als neuen sozialen und ökonomischen Wert zu etablieren: In
prosperierenden Ländern, in denen körperliche Arbeit an der Tagesordnung stehe, seien die Frauen gesünder und fruchtbarer und ihre
Nachkommen widerstandsfähiger.399 Eine zahlenmäßig starke Bevölkerung wiederum sei nötig, um – hier argumentiert Foronda punktuell
merkantilistisch – den Aktivhandel („comercio activo“400) voranzutreiben, der nur mit einer zahlenmäßig starken Bevölkerung möglich sei
und der allein es vermöge, die Warenüberschüsse zu erwirtschaften,
mit denen nicht nur der heimische Markt bedient, sondern auch der
396
Foronda (1793a: 9).
Das poblationistische Argument vertieft Foronda (1793a: 4f.) unter Rückgriff auf
das Beispiel eines Kriegsfalls.
398
Foronda (1793a: 2): „Una Nacion no es poderosa por el espacio que ocupa en el
globo sino por su poblacion por su trabajo y por su industria.“
399
Vgl. Foronda (1793: 3): „Faltando la indigencia con las labores industriales resulta que las mugeres de los artesanos mas sanas y fecundas, sus hijos mas robustos, y por
consiguiente de mas larga vida. La tiene demostrado que en los Paises son las mugeres
mas estériles, y los casamientos menos repetidos [...].“
400
Foronda (1793a: 4).
397
3. Reformökonomische Diskurse
185
Auslandshandel vorangetrieben werden könne. Der Handel („tráfico“) seinerseits führe zum Bevölkerungswachstum und komme daher
einer wundertätigen göttlichen Macht gleich, die nun – das ist die Folge – an die Stelle des vormals brotgebenden Königs als Stellvertreter
Gottes auf Erden tritt: „Esta deidad hace milagros: donde hay gran comercio hay mucha opulencia, y donde hay muchas riquezas hay una
gran población.“401 Handel und Bevölkerungswachstum stehen also in
einer Reziprozitätsbeziehung, wie Foronda dies am Beispiel Hollands
und der am Persischen Golf gelegenen Stadt Hormus illustriert. Diese
sei, obwohl sie auf einer kargen Felseninsel liege, dank des Handels
zu einer bevölkerungsstarken Metropole geworden.402 Mit diesem Beispiel schränkt Foronda zugleich die Bedeutung günstiger klimatischer
Bedingungen für eine florierende Wirtschaft ein, um gleich darauf zu
betonen, dass der Handel als einziger Sektor auch in den ariden Zonen
Spaniens in der Lage sei, ‚blühende Landschaften‘ zu schaffen. Entsprechend sei der Handel die ‚Säule der Staaten‘ und das allein geeignete Instrument zur Erlangung der felicidad pública.403
Ocampo Suárez-Valdés führt Forondas Lob des Handels in erster
Linie auf Humes Traktat Of Commerce zurück.404 Es finden sich jedoch
auch Bezüge zu Montesquieu, den Foronda in seiner Disertación explizit im militärischen Kontext erwähnt und in einem Satz mit Bielfeld („Wielfeld“) nennt. Von Montesquieu bezieht Foronda das in
L´Esprit des lois entwickelte Konzept des doux commerce405 und führt
aus, dass Handel Frieden bedeute, werde durch eine ausgeglichene
Handelsbilanz zugleich ein Ausgleich der Kräfte in Europa erreicht.
Ein ähnliches Konzept vom Handel als Motor des Friedens findet sich
in früheren französischen Traktaten, etwa in Jacques Savarys Le parfait
négociant (1675).406 In diesem Sinne spricht Foronda von der „balanza
mercantil, como la única y verdadera balanza del poder”.407 Er stellt
401
Foronda (1793a: 5).
Foronda (1793a: 5).
403
Foronda (1793a: 19).
404
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 31).
405
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30) mit Bezug auf Montesquieu (1951), Buch
III, Kap. 7.
406
Vgl. Strosetzki, Christoph (2017): „Der Kaufmann von der Patristik zum honnête
homme bei Savary“. In: idem/Lütge, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko.
Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 5-20, hier pp. 12ff.
407
Foronda (1793a: 9).
402
186 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
den neuen Handelsadel gegen den alten, nun wertlos gewordenen
Blutsadel408 und hebt die moralökonomische Bedeutung des Handels
für ein tugendhaftes Dasein hervor. In diesem Sinne führt der Handel
mit dem durch ihn erreichten Wohlstand zugleich eine ‚Besänftigung
der Sitten‘ herbei:
Las glorias, poder, lustre y felicidades del Monarca son el primer requisito
que debe concurrir en cualquiera profesión para captarse la benevolencia,
el respeto y la atención del público, que es en lo que se cifra la nobleza; y
precisamente en el comercio es donde se verifican prodigiosamente todas
estas qualidades, pues aumenta la población, destierra la ociosidad, suaviza las costumbres, mitiga los trabajos inseparables de la humanidad y derrama la opulencia ó por mejor decir, el manantial de las prosperidades.409
Foronda argumentiert also wie zuvor Campomanes und später
Jovellanos moralökonomisch, wenn er den Handel als eine zivilisierende Kraft identifiziert, die imstande sei, zwischen den Nationen
das zarte Band der Freundschaft zu knüpfen,410 das dem Kriegsdrang
408
In diesem Zusammenhang verweist Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30, Fußnote
5) darauf, dass das Konzept des ‚Handelsadels‘ bereits schon vor Coyer in England entwickelt wurde. Er führt dies auf Richard Steeles sentimentale Komödie The Conscious
Lovers (1721) zurück, in der einer der dem Kaufmannsstand angehörigen Charaktere,
Mr. Sealand, verlautbaren lässt „[...] that we merchants are a species of gentry that
have grown into the world this last century“. Steele, Richard (1805 [1721]): The Conscious Lovers. Paris: Parsons & Galignani, p. 58. In Spanien findet diese Replik Ocampo
Suárez-Valdés zufolge etwa in Antonio Vila y Camps‘ (1747-1809) Lehrfibel El noble
bien educado (1776) ihr Echo. Dort heißt es im vierten Kapitel: „De la verdadera nobleza,
y sus efectos“: „La nobleza verdadera debe, amado Discípulo, tener por fundamento
la virtud [...]”, wobei der somit bezeichnete ‚Tugend-‘ bzw. ‚Seelenadel’ dezidiert vom
Blutsadel unterschieden wird. Vila y Camps, Antonio de (1776): El noble bien educado:
Instrucción político-moral den un Maestro a su Discípulo, en que en un compendio de la moral
cristiana se dan solidísimos documentos para la perfecta educación de un caballero, con muchas
máximas importantes y utilísimas reflexiones, Madrid: Miguél Escribano, p. 189. Alle zitiert in Ocampo Suárez-Valdés (2021: 30). Zum Konzept des Seelenadels im spanischen
Komödien des 18. Jahrhunderts vgl. Kap. 7.4.2.
409
Foronda (1793a: 3).
410
Foronda (1793a: 12f.): „El comercio nos obliga tanto á una comunicacion recíproca como á formar aquellos estrechos vínculos de amistad, que refrenan la violencia
de nuestras pasiones, las que nos inducirian al odio y destruccion de nuestra especie,
como se ve entre los Otentotes de Africa entre los Salvages de la Siveria, entre los Iroqueses del Canadá, y entre otros varios linagés de gentes feroces [...].“ Im weiteren
3. Reformökonomische Diskurse
187
wilder Stämme wie den afrikanischen Hottentotten, den kanadischen
Irokesen oder den Bewohnern der sibirischen Steppe entgegenstünde, eine Passage, die einmal mehr den eurozentristischen Impetus so
mancher Schrift der europäischen Aufklärung offenbart, auf den sich
der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts gründen wird.411
Der Einfluss der englischen Wissenschaftler und Philosophen auf
Foronda zeigt sich nicht nur anhand seiner Bezugnahme auf Hume
(s.o.) und Newton412, sondern auch, wenn er gleich zu Beginn seiner
Disertación Francis Bacon (1561-1626) zitiert und ihm diese Referenz
dazu dient, die Meriten des Blutsadels – und damit das feudale System – in Frage zu stellen, eine Textstelle, in der die liberalistische Gesinnung des navarresischen Ökonomen offen zutage tritt:
Señores: Si la nobleza de las profesiones se debe medir por las utilidades
que de su exercicio resultan al Rey, a la Humanidad y a la Patria, ¿quién
será tan alucinado que se niegue a tributar los primeros respetos al comercio, que, según el Chanciller Bacón, es la sangre que vivifica todos los
miembros de un Estado? ¿Quién tan necio que no conceda los más altos
honores a este resorte que comunica el mas vigoroso impulso a la felicidad
de los Reinos? ¿Y quién tan orgulloso que lo califique de indecoroso e indigno de los primeros hombres? 413
Foronda betont also, dass denjenigen, die zum Wohlstand („felicidad“, s.o.) der Staaten beitragen, mehr Ehre gebühre als den untätigen Blaublütigen und scheut sich nicht, sodann unter intertextuellem
Rückgriff auf Cervantes‘ ‚Ritter von der traurigen Gestalt‘ zu einer
Adelsschelte anzusetzen im Zuge derer er diejenigen scharf rügt, die
ihren Stolz auf einen ‚Haufen vergilbter Pergamente‘ gründeten und
daher all jene mit Verachtung straften, die einer ehrbaren Arbeit nachgingen:
Verlauf seiner Disertación spricht Foronda (1793a: 14) dann auch von Handelsgütern
wie feinen Gewürzen und Kaffee als ‚Kulturgütern‘, aber auch von dem Umstand, dass
über den Handel lebensrettende Medizinprodukte aus anderen Teilen der Welt bezogen werden könnten. Vgl. zum letzten Aspekt Foronda (1793a: 17).
411
Zu den Ausschlussmechanismen und Rassismen der ökonomiebezogenen Diskurse der französischen Enzyklopädisten vgl. die Studie von Struve (2020).
412
Vgl. Foronda (1793a: 5).
413
Foronda (1793a: 1f.).
188 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
A los ojos de la razón parece que ninguno, pero, por desgracia de España,
se cuentan muchos Quixotes en su recinto que, contemplando el valor de
la nobleza adherido a unos pergaminos viejos o a cuatro casas derruidas,
desprecian todos los demás ejercicios por ilustres y fructuosos que sean.414
Aussagekräftig ist Forondas Vergleich des Staates mit einem Uhrwerk, dessen Antriebsrad der Handel sei, ein Verständnis, das an
Romá i Rosells Konzept vom Staat als Maschine erinnert und das hier
um den Aspekt des Wohlstands erweitert wird:
[...] con que si éstas [profesiones] son nobilísimas por los beneficios que
producen al reino, no debe ser menos honrosa, atendida y estimable la del
comercio, influyendo tanto sobre el incremento de la prosperidad de un
Estado como la rueda catalina de un reloj para que adquiera movimiento.415
Der etwaigen Sorge der Konservativen, dass der durch den Handel entstehende Reichtum zu einer ‚Verweiblichung‘ des spanischen
Mannes führen könnte, greift Foronda vor und tut sie als Hirngespinst
ab.416 Indem er diesen Aspekt erwähnt, sucht er den Einwürfen der
konservativen Mehrheit der Bevölkerung zuvorzukommen, für die
die männliche Ehre (honor) ein durch und durch feudales Ideal ist,
nach dem sich Männlichkeit an den heroischen Kriegstaten des Ritters
bemisst.417 Wie die hier angestellten Dramenanalysen zeigen werden
(vgl. Kap. 5ff.), wird der effeminierte Mann im wirtschaftsbezogenen
Komödien der spanischen Spätaufklärung ganz im Sinne des reformökonomischen Diskurses gerade nicht durch Berufstätige wie den
wohlhabenden Kaufmann verkörpert, sondern durch nichtsnutzige
Verschwender und petimetres, wohingegen Kaufleute und Fabrikanten
als Patriarchen – und damit dezidiert männlich – ausgewiesen werden
414
Foronda (1793a: 1f.).
Foronda (1793a: 1f.).
416
Vgl. Foronda (1793a: 11f.): „Ya se ve que el temor de que se enerven los ánimos
que aparentan los contrarios del comercio, es un fantasma sin realidad, que solo puede
asustar á quien no tenga las noticias que dexo expuestas, las quales demuestran que
lejos de afeminar á los hombres las riquezas los llenan de corage y energía quando se
trata de defender sus derechos.“
417
Frauen können dieser Vorstellung gemäß keine Ehre haben. Ehrbar sind sie
selbst nur mittels der Ehrbarkeit ihres Ehegatten oder, insofern sie unverheiratet sind,
durch die des männlichen Familienoberhauptes.
415
3. Reformökonomische Diskurse
189
(vgl. Kap. 6.5). Auch bei Foronda ist der Kaufmann jemand, der sich
durch Mut auszeichnet und seine Rechte zu verteidigen weiß. Diese
Betonung der Männlichkeit des Händlers und die Negation seiner
Effeminiertheit zeugen von einem gewissen Rechtfertigungsdrang
gegenüber den Vertretern des casticismo, den Repräsentanten des
Volkstümlich-Traditionellen.418 Die negative Sicht des Adels auf den
Handel verdeutlicht Foronda wiederum mittels der Metapher eines
grünstichigen Fernrohrs, das sozusagen das Gegenteil der heutzutage
sprichwörtlichen ‚rosaroten Brille‘ ist: „[...] miran el comercio todos
los demas nobles con un anteojo verde, y que por eso les parece de este
color por todos sus aspectos.“419 Eben diese Haltung bewirke, dass die
meisten Kaufleute nach einem Adelstitel strebten und ihren Beruf aufgäben, sobald sie einen Grad finanziellen Wohlstands erwürben, der
ihnen den Kauf eines Adelstitels und der zugehörigen Ländereien ermögliche. Dass diese Diagnose der Realität des ausgehenden 18. und
anbrechenden 19. Jahrhunderts entspricht, konnte in den einleitenden
Kapiteln zur wirtschaftlichen Ausgangslage gezeigt werden.
Die Vereinbarkeit von Adel und Handel ist für Foronda keine Fra420
ge. Wenn er den Handel im öffentlichen Bewusstsein als eine ehrbare Tätigkeit zu verankern sucht und dementsprechend von der
„honrosa profesión del comercio“421 spricht, ist der Weg für den virilen Typus des ehrbaren Kaufmanns geebnet. Damit hält ein neuer
ökonomischer Figurentypus Einzug in den spanischen Wirtschaftsdiskurs, dessen primäre Attribute, Ehrbarkeit und Männlichkeit, im Anschluss an Foronda auch auf andere Berufsfelder wie das Handwerk
übertragen werden, etwa durch Arteta de Monteseguro (1745-1813) in
418
Wie man sich diese Vertreter des casticismo vorzustellen hat, konkretisiert Jehle
(2010: 130): „Die Vertreter der Aufklärung sehen sich einer doppelten Front gegenüber:
einem Volk, das nicht lesen und schreiben kann und gezwungen ist, die Lebensmittel
für eine ungeheure Masse von adligen und klerikalen Müßiggängern zu produzieren,
und einer Bildungsschicht, die von den klerikalen traditionellen Intellektuellen dominiert wird. Ihre Orte, die Universitäten und die zahlreichen über das ganze Land verstreuten Klöster, sind ebensolche Festungen aus Gewohnheiten und Routinen wie die
Dörfer der ans Land gefesselten Männer und Frauen.“
419
Vgl. Foronda (1793a: 22).
420
Vgl. Foronda (1793a: 12): „Díganme, ¿si una profesion de que resultan tantos
bienes al Estado, será indecoroso exercicio, y derogatorio de la Nobleza? Yo creo que
nadie imaginará tal chimera [...].”
421
Foronda (1793a: 12).
190 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Disertación sobre el aprecio y estimación que se debe hacer de las artes prácticas y de los que las ejercen con honradez, inteligencia y aplicación
(1781) (vgl. Kap. 7.1). Mit der in der Folgezeit stattfindenden zusätzlichen Kodierung des ehrbaren Kaufmanns als Patriarch (vgl. Kap.
5) vollzieht sich eine Anthropologisierung des Ökonomischen, die in
eine ganze Palette figuraler geschlechtlicher Verkörperungen einzelner Wirtschaftszweige mündet. Das Modell des ehrbaren Kaufmanns
wird dabei in abgewandelter Form auf andere Sektoren wie die Industrie und den Ackerbau übertragen. Im literarischen Feld geschieht dies
beispielsweise, wenn die sentimentale Komödie der spanischen Spätaufklärung analog zum ehrbaren Kaufmann die männlichen Figurentypen des ehrbaren Fabrikanten (vgl. Kap. 6), des ehrbaren Bauern sowie des ehrbaren Handwerkers und Kleingewerbetreibenden entwirft
(vgl. Kap. 7).
Bei Foronda löst der unternehmerisch tätige Händler und Patriarch
nicht nur den brotgebenden Monarchen als Ernährer der Bevölkerung
ab;422 der gesellschaftliche Nutzen („utilidad“) dieses vir oeconomicus
(vgl. Kap. 4.3) leitet sich überdies aus seiner Bedeutung für andere
Wirtschaftszweige ab und, wie Foronda nicht müde wird zu betonen,
aus seinem Beitrag zur moralischen Verbesserung der Gesellschaft:
Si no hay comercio, no puede haber una agricultura é industria pujante;
y no habiendo agricultura, industria, ni comercio, los hombres vivirán en
la ociosidad, en cuyo caso las pasiones adquieren fuerzas, se chocan entre
sí con mas violencia, y turban la armonía general que debe reynar en un
Estado.423
Wie vor ihm Campomanes scheut auch Foronda sich nicht, auf
konkrete Zahlen zurückzugreifen, um zu zeigen, dass die Majoratsgüter und die, die ihre Einkünfte allein aus Landbesitz beziehen, vom
Handel abhängen, ist es doch der Handel, der das nötige Kapital zur
Gründung eines Gutshofes bereitstellt.424 Seine Ausführungen schließt
er mit einem Appell an die Mitglieder der Baskischen Ökonomischen
422
Foronda (1793a: 20): „¿Será acaso mas glorioso tener un gran número de criados,
que una fábrica en que se proporcione ganar el alimento á cien familias? No creo que
haya alguno que lo diga.”
423
Foronda (1793a: 18).
424
Vgl. Foronda (1793a: 20f.).
3. Reformökonomische Diskurse
191
Gesellschaft, der zugleich ein Weckruf ist, gehe es doch darum „de
despertar del letargo mercantil que nos cogió ha cerca de dos siglos,
[...] adoptando, apreciando, y distinguiendo la honrosa profesion del
comercio“.425 Noch vor Jovellanos‘ Informe, der ja mit der Rede über
die spanische Dekadenz zu brechen sucht, vollzieht Foronda mit seiner Disertación eine Wende, wenn er die Rede vom Niedergang Spaniens in eine konkrete Anleitung zum Handel(n) überführt und nicht
mehr nostalgisch auf die Vergangenheit blickt, sondern seinen Zuhörern die Gegenwart als Chance eröffnet, um eine bessere Zukunft
zu schaffen.426 Dieses Denken ist gänzlich vom aufklärerischen Fortschrittglauben durchdrungen – ein Merkmal, das Foronda mit den
französischen Enzyklopädisten teilt.
425
Foronda (1793a: 23).
Campomanes‘ Diskurs kennzeichnet demgegenüber der Versuch, aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen. Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996b): Schönheit und
Geschmack. Die Theorie der Künste in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 886. 2001 ist ebenfalls im Vervuert-Verlag die spanische Übersetzung von Jacobs‘ Studie mit dem Titel Belleza y buen gusto. Las teorías de las artes en la
literatura española del siglo xviii erschienen, vgl. dort p. 66.
426
4.
DIE ÖKONOMISIERUNG DES THEATRALEN
IM 18. JAHRHUNDERT IN SPANIEN
Die für diese Studie zentralen Fragen lauten: In welchen Punkten korrelieren die bourbonische Reformökonomie und die gleichzeitig von
bourbonischen Regierungsbeamten wie Jovellanos angestrebte Theaterreform, die heute vor allem mit dem Namen des Conde de Aranda1
verbunden wird? Warum und in welcher medialen und materiellen
Form halten die eingangs skizzierten Diskurselemente der ökonomischen Theoriegeschichte Eingang in das Theater im Allgemeinen
und in Komödien der spanischen Spätaufklärung im Besonderen?
Und wie sind die ökonomischen Bedingungen des Theaterbetriebs
selbst? Während ZuschauerInnen die Aufführung heutzutage zumeist
schweigend verfolgen – es sei denn, es handelt sich um ein bewusst interaktives Theater mit Performance-Charakter –, ist das Theaterspektakel von der frühen Neuzeit bis in das anbrechende 19. Jahrhundert
hinein ein durch die ständige Intervention des Publikums gekennzeichnetes Spektakel, das Musik, Tanz und Unterhaltung verspricht,
bei dem aber nicht nur das auf der Bühne Gezeigte im Fokus der Aufmerksamkeit des Publikums steht, sondern auch das Sehen und Gesehen-Werden, das aufgrund des einfallenden Tageslichts2 auch während der Aufführung möglich ist. Die Popularität des Theaters im 17.
und 18. Jahrhundert vergleicht Jehle mit der des Kinos.3 Das Theater,
1
Auf Veranlassung des Conde de Aranda arbeitet Bernardo de Iriarte (1735-1814),
ein Beamter in dem von Aranda geführten Staatssekretariat, 1767 eine Theaterreform
aus. Vgl. Jehle (2010: 140). Zur ausführlichen Darstellung der theaterbezogenen und
sonstigen durch den Conde de Aranda initiierten Reformen vgl. Onaindía (2002:134ff.).
2
Auf die Lichtverhältnisse geht dieses Kapitel im weiteren Verlauf näher ein.
3
Vgl. Jehle (2010: 137) mit Bezug auf Moir, Duncan W. (1985): „Das spanische Theater im 18. Jahrhundert“. In: Pörtl, Karl (ed.). Das spanische Theater. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, pp. 349-391, hier p. 356.
194 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
insbesondere die Tragödie, ist seit der Antike und der aristotelischen
Poetik aber auch ein Ort der Belehrung der gehobenen Schichten, die
dort mittels der Katharsis geläutert und erbaut werden sollen. Die
bourbonischen Reformbemühungen des 18. Jahrhunderts in Spanien,
die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Kulturbereich im Visier
haben, versuchen das Theater von dem Unterhaltungsmedium für alle
Bevölkerungsschichten, das es im 17. Jahrhundert und insbesondere
in den comedias4 Lope de Vegas vor allem war, zu einer moralischen
Lehranstalt für den Adel und das gehobene Bürgertum zu machen;
ein Unterfangen, aus dem das einfache Volk ausgeklammert bleibt.5
Anders als im Theater eines Lope de Vega greift im Reformtheater
der spanischen Aufklärung keine „populäre Ökonomie“6. Die Sprache der Aufklärung wird schon allein deshalb nicht in die Sprache des
vulgo übersetzt, weil dieser aus der Sicht der Regierenden aufgrund
seiner begrenzten Bildung unbelehrbar und daher kein geeigneter
Akteur im Aufklärungsprozess ist. Eine „Aufklärung, die in Gestalt
des bourbonischen Königs auf dem spanischen Thron sitzt“7 und die
sich für den Bereich des Theaters durch den Neoklassizismus8 und
4
Die neue Gattung der comedia als eine für alle Volksschichten geeignete Form der
Unterhaltung skizziert Lope de Vega in seiner Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo
(1609). Das Genre kennzeichnet unter anderem die Aufhebung der Unterscheidung
zwischen Komödie und Tragödie. Vgl. Lope, Vega de (2016 [1609]): Arte nuevo de hacer
comedias, eds. Felipe B. Pedraza Jiménez und Pedro Conde Parrado. Cuenca: Ediciones
de la Universidad de Castilla-La Mancha.
5
So bemerkt Hoffmann (2017: 43) in Bezug auf die von Jovellanos vorangetriebene
Theaterreform, dass dieser zufolge „ein adeliges Publikum als Multiplikator der aufklärerischen Ideen herangezogen werden [müsse], damit es [deren] Implementierung
[...] vorantreibe“.
6
Vgl. Jehle (2010: 133). Ihm zufolge verweigert die neoklassische Theaterreform
dem Volk jene Form der Erziehung, die im geschichtlichen Handeln selbst entsteht,
also die Selbsterziehung durch Erfahrung. Den Begriff einer „kulturellen Ökonomie
des Volkes“ bezieht Jehle (2010: 132) von Thompson, Edward P. (1980): „Die ‚moralische Ökonomie‘ der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert“. In: idem. Plebeische [sic] Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des
18. und 19. Jahrhunderts, ed. Dieter Groth, trans. Günther Lottes. Frankfurt/Main: Ullstein, pp. 67-130, hier p. 70. Thompson definiert den Begriff dort als nicht notwendig
politische, aber auch nicht unpolitische Vorstellungen vom Gemeinwohl, die auf das
politische Denken und die Herrschaftspraxis einwirken.
7
Jehle (2010: 128).
8
Begriffe wie „Neoklassik“ und „Neoklassizismus“ sind insofern missverständlich, weil es, wie Jehle (2010: 178) betont, nicht mehr um den legendären adeligen
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
195
seine an der Poetik des Aristoteles orientierte Ästhetik repräsentiert
sieht, ist nicht primär deshalb von der volkstümlichen Tradition abgeschnitten, weil seine Ästhetik „antipopular“9 wäre, sondern weil ihr
schlichtweg nicht daran gelegen ist, ihr aufklärerisches Verständnis
vom Popular-Nationalen ‚an den Mann‘ (bzw. die Frau) des Volkes
zu bringen.10 Die bei der Mehrzahl der SpanierInnen beliebten und
von den Reformern verachteten Theatergenres, darunter die 1765 verbotenen Fronleichnamsspiele (autos sacramentales), das nicht immer
durch ein gutes Ende gekennzeichnete ‚Zauberspiel‘11 (comedia de magia) oder das schlachtenreiche Heldendrama (drama heróico)12 sind mit
dem neoklassischen Aufklärungstheater der Regierung nicht vereinbar. Daher sind sie für die reformorientierten Minister, Verwaltungsbeamten und Literaten allenfalls als Objekt der Schelte von Interesse,
nicht aber als dramatische Formen, deren immer gleiche ästhetische
und inhaltliche Versatzstücke in Teilen dafür nutzbar gemacht werden
könnten, um zu den Massen durchzudringen. Was die aufklärerische
Reformbewegung möchte, will und kann sie dem Volk nicht mit den
bei ihm wirksamen theatralen Mitteln beibringen: Komik, action in
Form von Kampfhandlungen und Kanonendonner, die in der comedia
Lopes praktizierte Vermischung der Gattungen und Geschlechter und
die Begegnung der sozialen Klassen. Dieses Unvermögen ist nicht zuletzt dadurch begründet, dass es sich um eine Reform ‚von oben‘ und
‚von außen‘ handelt, d.h. ohne Einbeziehung der das System Theater
gestaltenden AkteurInnen: der VorsteherInnen der Schauspieltruppen
Helden geht, sondern – wie in den bürgerlichen Dramen Diderots – um Menschen
aus der Alltagsgegenwart. Diese sind nicht dem vulgo gleichzusetzen, der bis 1797 den
Großteil der TheaterzuschauerInnen auf den billigen Stehplätzen stellt. Vielmehr handelt es sich um ProtagonistInnen aus der clase media, d.h. um Berufstätige aus dem
gehobenen Bürgertum und niederen Adel.
9
Jehle (2010: 128).
10
Vgl. Jehle (2010: 128).
11
Die Übersetzung des Gattungsbegriffs comedia de magia als ‚Zauberspiel‘ entnehme ich der aktuell (2022) in Arbeit befindlichen Habilitationsschrift Echtes Hexenwerk
und falscher Zauber: Die Inszenierung von Magie im spanischen und französischen Theater des
17. Jahrhunderts von Anna Wörsdörfer.
12
Diese Gattungen werden nach und nach von der Bühne verbannt. 1788 trifft
es nach den comedias de magia auch die comedias de santo. Vgl. hierzu auch Hoffmann
(2017: 44).
196 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
(der autores bzw. autoras de compañía)13, der Darstellenden und nicht
zuletzt des Publikums.14 Auch die Theaterreform ist also durch die
Crux der ökonomischen Reform gekennzeichnet: Da die verantwortlichen Regierungsbeamten nicht dem System entstammen, das sie zu
erneuern suchen, scheitert der diskursiv errichtete Reformapparat an
der Praxis.15 Entsprechend schwer tut sich das aufgeklärte neoklassische Reformtheater mit seiner Mittlerfunktion für die aufgeklärten
Trägerschichten, das gehobene Berufsbürgertum und den berufstätigen Adel, was unter anderem daran liegt, dass es auf Komik nahezu
gänzlich verzichtet. Statt der entgrenzenden und befreienden Kraft
des schallenden Lachens („risa“) bevorzugt es das sanfte Lächeln
(„sonrisa“),16 statt der Vermischung der Gattungen, Geschlechter und
sozialen Schichten betreibt es die Trennung, die Begrenzung und Normierung. Dies geschieht durch eine Reglementierung
13
Mit María Hidalgo und María Ladvenant hatten die beiden Madrider Theaterhäuser, das Teatro del Príncipe (Hidalgo) und das Teatro de la Cruz (Ladvenant), zwei
weibliche Oberhäupter. Vgl. Hoffmann (2017: 73).
14
Entsprechend bezeichnet Hoffmann (2017: 60) das neoklassische Theater als
„neues Subsystem“ im luhmannschen Sinne, das „erst langsam Kopplungen zu anderen Systemen“, d.h. dem etablierten spanischen Theaterapparat, aufbauen kann.
15
Vgl. hierzu Álvarez Barrientos, Joaquín (2003): „El arte escénico en el siglo xviii“.
In: Huerta Calvo, Javier/Doménech Rico, Fernando/Peral Vega, Emilio (eds.). Historia
del teatro español II. Del siglo xviii a la época actual. Madrid: Gredos, pp. 1473-1517, hier
p. 1493, zitiert in Hoffmann (2017: 62): „Seguramente no tener en cuenta la opinión de
los afectados fue una de las causas del fracaso de las reformas, a menudo propuestas
por personas que sólo conocían el teatro desde fuera o que valoraban más al autor que
al actor.“
16
Zum Misstrauen der Neoklassiker gegenüber dem Lachen vgl. Sala Valldaura,
Josep (2009): „La lengua y el gesto de la sonrisa: el ethos burgués de las comedias neoclásicas. In: Lorenzo Álvarez, Elena de (ed.). La época de Carlos IV, 1788-1808. Actas del IV
Congreso Internacional de la Sociedad Española de Estudios del Siglo xviii. Oviedo: Trea, pp.
55-86, hier p. 56. Dass das sanfte Lächeln das laute Lachen ersetzt, ist auf das neoklassische Ideal der Mäßigung (span.: „moderación“) und den bürgerlichen Wert des ‚rechten Maßes‘ zurückzuführen. Dazu gesellen sich der Einfluss der englischen sentimental
novel, des französischen drame bourgeois nach Diderot und der comédie larmoyante nach
Nivelle de la Chaussée. Zum Einfluss Nivelle de la Chaussées auf Ignacio de Luzán als
dem Begründer der neoklassischen Poetik vgl. Jehle (2010: 169). Zum Lachen im Theater des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. auch Álvarez Barrientos, Joaquín (1999): „Risa
e ‚ilusión‘ escénica. Más sobre el actor en el siglo xviii “. In: Scriptura, 15, pp. 29-50.
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
197
a) des Zuschauerraums z.B. durch die räumliche Trennung der Geschlechter sowie mittels der Separierung und Lenkung der das
Theater frequentierenden sozialen Schichten, etwa durch die von
Jovellanos angeregte und zwischen 1798 und 1800 umgesetzte Erhöhung der Eintrittsgelder;17
b) der aufgeführten Gattungen, beispielsweise durch die mit der Poética (1737)18 Ignacio de Luzáns (1702-1754) eingeführten neoklassischen Regeln der drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung sowie
der Trennung von Tragödie und Komödie; letztere möchte Jovellanos, da sie beim Volk beliebt ist, sogar gänzlich von den Bühnen
verbannen;19
c) der Dramenproduktion durch Auszeichnungen für die im Sinne
der Reform besten Stücke und deren Auswahl durch eine Akademie, damit nicht – wie es gängige Praxis ist – die Theatertruppen
(compañías) gemäß der beim Volk beliebten Themen und Formen
den Spielplan bestimmen, sondern rein neoklassische Werke.20
17
Vgl. Jehle (2010: 144). Vgl. auch Hoffmann (2017: 48), Fußnote 44.
Vgl. Luzán, Ignacio de (2008): La poética o reglas de la poesía en general, y de sus principales especies, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra. Zu den italienischen Einflüssen
auf Luzán vgl. Michel, Karin (1984): Ignacio de Luzán: La poética (1737). Untersuchungen
zur Frage ihrer Einordnung im Hinblick auf antike u. italienische Vorbilder. Köln, Diss. 1983.
19
Auch das angedachte Komödienverbot steht im Dienste der sozialen Trennung,
vgl. Hoffmann (2017: 52), die davon spricht, dass dies einem „Ausschluss der niederen
Gesellschaftsschichten“ gleichkomme. Dabei bezieht sie sich auf MS 9327 der Biblioteca
Nacional de España (BNE): Jovellanos, Gaspar Melchor de (o. J.): „Ynforme dado por
Dn. Gaspar Melchor de Jovellanos à Peticion de la Academia encargada por el Consejo
sobre La reforma y mejor arreglo de los teatros y Espectaculos a España“. In: Papeles
tocantes al teatro español del siglo xviii, pp. 1-72, hier p. 59.
20
Vgl. Jovellanos (o.J.: 60f.), MS 9327 zitiert in Hoffmann (2017: 53): „[...] fuera del
concurso escriva è imprima el que quisiere sus produciones; pero ningun drama, sea
el que fuere, pueda presentarse a la scena en Madrid, ni en las Provincias, sin las aprovaciones de la misma Academias assi se cerrara de una vez la puerta a la licencia que
ha reynado hasta aqui en materia tan enalasada con las ideas y costumbres publicas.“
Hoffmann (2017: 53f.) spricht diesbezüglich von einer dreifachen Vertauschung: 1.
„des ‚Innen‘ gegen das ‚Außen‘“, weil nun nicht mehr aus dem Inneren des Systems
Theater heraus bestimmt wird, was gespielt werden soll, sondern von einer neu gegründeten Akademie als einer Regierungsinstanz, die von außen auf das System einwirkt; 2. des „Oben“ der staatlichen Institution gegen das „Unten“ der Theatertruppen
und des Publikums; 3. des Gehobenen der Neoklassik gegen das „Triviale“ der populären Dramen. Eine vierte Vertauschung identifiziert sie (2017: 57) in der Präferenz von
Sitz- gegenüber Stehplätzen.
18
198 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Ohnehin soll das einfache Volk, so fordert es Jovellanos in seiner
Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas21 (1790), im neuen Theater keine Rolle mehr spielen, vor allem nicht als jener laute, dazwischenrufende und das Schauspiel störende Mob, den der mosquetero22
verkörpert. Wie bereits angedeutet, verfolgen die ZuschauerInnen des
18. Jahrhunderts die Darbietung nicht in andachtsvoller Stille, vielmehr herrscht im Gegenteil ein beträchtlicher Lärm, der nicht zuletzt
von der Bühnenmaschinerie, den tramoyas, herrührt.23 Auf den zahlreichen Stehplätzen im Innenraum, dem patio, wird zudem gestritten
und gerempelt, während manch einer auf den Rängen ein Schläfchen
hält; man verzehrt die durch Händler lautstark angepriesenen Orangen, trinkt und bedenkt die Rede der SchauspielerInnen mit Zwischenrufen.24 Nicht nur der ungebildete ‚Pöbel‘, auch Vertreter des
Klerus versuchen, die Darsteller mit Witzen aus der Fassung zu bringen und treten damit in Konkurrenz zur Darbietung selbst.25 Neben
den stimmlich entsprechend strapazierten SchauspielerInnen26 muss
sich, wie Jovellanos anmerkt, auch der Souffleur (apuntador) gegen
diese Geräuschkulisse lautstark durchsetzen, was, wie der Minister
kritisiert, der theatralen Illusion kaum zuträglich sei.27
21
Einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Textfassungen, den Inhalt
und die Argumentationslinien von Jovellanos‘ Memoria sowie ihren Bezügen zu bzw.
Divergenzen von aufklärerischen Ideen zur Reformierung des Theaters in Deutschland
(Schiller) und Frankreich (Rousseau) gibt Hoffmann (2017: 38-65). Auch eine Kritik der
Reform nimmt Hoffmann (2017: 60ff.) vor, die eben in ihrer mangelnden Ausrichtung
an der Theaterpraxis besteht.
22
Die auf den preislich günstigen Stehplätzen im Innenraum beheimateten mosqueteros sind Männer aus dem einfachen Volk, die die Darbietungen auf der Bühne durch
Pöbeleien, laute Buh- und Zwischenrufe, aber auch durch Beifallsbekundungen zu
unterbrechen pflegen. Reformpolitiker wie Jovellanos erachten sie deshalb als so störend, weil durch sie das didaktische Unterfangen des neoklassischen Reformtheaters
zum Scheitern verurteilt ist, muss der „Lehrer-Schauspieler“ doch ständig mit den „Inszenierungen der Schüler“, also denen des Publikums, konkurrieren. Jehle (2010: 141).
23
Vgl. Hoffmann (2017: 166).
24
Vgl. Jehle (2010: 160).
25
Für alle vgl. Jehle (2010: 135ff.). In Bezug auf feixende Vertreter des Klerus nennt
Jehle (2010: 137) unter Berufung auf Moratín den Jüngeren den Franziskanerpater Marco Ocaño.
26
Vgl. Hoffmann (2017: 167).
27
Jovellanos (o.J.: 63), MS 9327 zitiert in Hoffmann (2017: 55): „[E]l soplo y acento
del apuntador tan cansados como contrarios a la ilusion teatral, el tono bajo e insignificante, los gritos y ahullidos descompuestos, las violentas contorsiones y desplantes,
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
199
Was die soziale und geschlechtliche Verteilung des Publikums auf
den theatralen Raum anbelangt, verfolgen die anwesenden Frauen aus
dem Volk das Geschehen von einem abgetrennten Bereich im hinteren Teil des Saals aus, der cazuela. Der Adel nimmt gemeinsam mit
EhepartnerInnen und Verwandten in den teuren aposentos und lunetas
im Oberrang Platz und betrachtet das turbulente Geschehen im Innenraum aus sicherer Distanz. Bis zum allmählichen Umbau und der
Überdachung der Theater ab dem Jahre 1713,28 als aus den offenen
corrales mit Innenhofcharakter nach und nach coliseos werden, findet
das Geschehen weitgehend unter freiem Himmel und im Tageslicht
der Nachmittagsstunden29 statt. Das Publikum jedenfalls interessiert
sich mehr füreinander und für das parallel zur Vorstellung ablaufende gesellschaftliche Schauspiel als für das auf der Bühne Gezeigte.
Nicht das Hauptstück, die comedia de teatro, ist die eigentliche Attraktion, sondern die unterhaltsamen Zwischenspiele mit ihren teils folkloristischen Elementen: die der Komödie vorgeschaltete loa (Lobrede),
der kurzweilige und volkstümliche sainete30, der vor dem letzten Akt
eingeschoben wird, die am Ende aufgeführte tonadilla31, die hauptsächlich aus Gesangselementen besteht, und die den Abend abschließenden Tänze (bailes).32 Nicht umsonst bezeichnet Jehle die Theaterabende des spanischen 18. Jahrhunderts daher als eine „Show“33 mit
los gestos y ademanes descompasados que son alternativamente la risa y el tormento
de los espectadores. finalmente aquella perenne destracion, aquel impudente descaro, aquellas miradas libres aquellos meneos indecentes, aquellos enfasis maliciosos,
aquella falta de propiedad, y de aire noble, que se avierte en casi todos los comicos,
que tanto excita el relincho de la gente desmandada, y procaz, y tanto tedio causa a las
personas cuerdas, y bien criadas.“
28
Vgl. Jehle (2010: 136).
29
Vgl. Jehle (2010: 135): „Die Vorstellungen beginnen im Winter nach wie vor um
drei Uhr, im Sommer um vier Uhr nachmittags.“
30
Der sainete löst im Verlauf des 18. Jahrhunderts das entremés („Zwischenspiel“)
des 17. Jahrhunderts ab. Zum sainete ab 1750 vgl. Sala Valldaura, Josep María (1994): El
sainete en la segunda mitad del siglo xviii. La Mueca de Talía. Lleida: Universitat de Lleida.
31
Zur Aufführungspraxis der tonadilla vgl. Le Guin, Elisabeth (2014): The Tonadilla
in Performance: Lyric Comedy in Enlightenment Spain. Berkeley: University of California
Press.
32
Vgl. Jehle (2010: 162). Die Beliebtheit dieser Zwischenspiele beim Publikum erklärt Hoffmann (2017: 73) mit ihren kabarettistischen Bezügen zum „Alltags- und Theatergeschehen“ sowie durch die „Unmittelbarkeit ihrer Thematiken“.
33
Jehle (2010: 164).
200 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
„Nummernstruktur“34, bei der – ähnlich wie beim Variété – ein ‚Act‘
den anderen ablöst.35
In diesem lauten, aktionsreichen und ausstattungsarmen36 Raum,
in dem es vor der Entwicklung der quinqués, der ab 1800 zum Einsatz kommenden Petroleumlampen, noch keine Saal- oder Bühnenbeleuchtung gibt, die den Beginn der Aufführung einleiten und die
Darbietung atmosphärisch unterstützen würde,37 versucht sich das
neoklassische Theater als ein aktionsarmes Deklamationsschauspiel
zu etablieren, das im Raum des Häuslichen38 angesiedelt und gemäß der von der neoklassischen Poetik geforderten drei Einheiten
auf einen einzigen Ort und einen einzigen Handlungsstrang begrenzt
ist (vgl. Kap. 5.3). Damit vollzieht sich eine dem französischen théâtre classique ähnliche „Literarisierung der Theaterverhältnisse“39, bei
der der gesprochene Text in den Vordergrund und die dynamische,
komische und aktionsbetonte Bühnenhandlung in den Hintergrund
tritt. Das durch die Neoklassik beeinflusste, aber nicht strikt neoklassische Aufklärungstheater eines Luciano Francisco Comella (1751-1812)
etwa bezeichnet María Angulo Egea als ein ‚Theater des Wortes‘40 und
verweist darauf, dass es sich beim Großteil der neoklassischen Stücke
34
Jehle (2010: 165).
Darauf, dass eine Theateraufführung seit dem Siglo de Oro „weit eher einem Jahrmarktsfest als einer gleichsam pseudosakralen Veranstaltung“ gleicht, verweist Tietz
(2014: 37). So verhält es sich bis 1798, dem Zeitpunkt, als sich die materiellen Bedingungen der Aufführung durch die Regulierung des Zugangs über die Eintrittspreise und
die Einführung der Bestuhlung ändern.
36
Hoffmann (2017: 55), Fußnote 53 verweist diesbezüglich auf Francisco Barbieris
Papeles referentes a los teatros de Madrid (BNE: MS 14016/1-3 und MS 14076/1-5), in denen
die ärmliche Ausstattung etwa der Madrider Spielstätten über „40 Jahre hinweg“ ein
Dauerthema ist. Diesbezüglich merkt Hoffmann an, dass nach dem Theaterbrand von
Zaragoza, das seit dem 16. Jahrhundert neben Madrid, Sevilla und Valencia zu den
großen Spielstätten des spanischen Theatergeschehens zählt, der Verlust der (raren)
Ausstattung mindestens ebenso sehr beklagt wird wie der von Menschenleben.
37
Vgl. Jehle (2010: 168) unter Bezugnahme auf Kany, Charles E. (1932): Life and
Manners in Madrid (1750-1800). Berkeley: University of California Press, p. 174.
38
Zur Darstellung des Häuslichen in der Literatur der Frühen Neuzeit vgl. auch
Schaefer, Christina/Zeisberg, Simon (eds.) (2018): Das Haus schreiben. Bewegungen ökonomischen Wissens in der Literatur der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz.
39
Jehle (2010: 9).
40
Vgl. Angulo Egea, María (2006): Luciano Francisco Comella (1751-1812). Otra cara
del teatro de la Ilustración. San Vicente: Universidad de Alicante, p. 68.
35
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
201
eher um ein „teatro para ser leído“41 handele, während in Stücken barocker und populärer Tradition das beim Publikum weitaus beliebtere
Spektakel dominiere.42 Wurden Stücke noch im 17. Jahrhundert nahezu ausschließlich gespielt und nicht im häuslichen Raum gelesen,43
und wenn überhaupt, dann nur nach zahlreichen erfolgreichen Aufführungen gedruckt, tritt im Verlauf des 18. Jahrhunderts das laute
Vorlesen, seltener das individuelle Lesen, gedruckter Dramentexte in
Cafés, tertulias oder Zuhause auf den gesellschaftlichen und literarischen Plan.44 Ab diesem Moment wird auch die zuvor kaum eine Rolle
spielende Autorschaft45 relevant, auch wenn der Begriff des ‚geistigen
Eigentums‘ zu diesem Zeitpunkt noch keine juristische oder praktische Relevanz hat. Obgleich dem lauten Vorlesen ein performatives
Moment innewohnt, klaffen die unterschiedlichen Rezeptionssituationen einer erlebten Intermedialität des Theaters im Gegensatz zu
einem (nur) gelesenen Dramentext weit auseinander. Während der
Dramentext in Frankreich mit dem Aufkommen des klassischen Theaters schon im 17. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt, ist die in der
spanischen Neoklassik des 18. Jahrhunderts zunehmende Relevanz
des Textes zugleich Ausdruck einer diskursiven Vereinnahmung der
Theaterkultur durch die intellektuellen Trägerschichten:
Bühne und Literatur sind getrennte Kontinente, die Überordnung des Textes über die Aufführung mithin kein Ausgangspunkt, sondern Ausdruck
von Kräfteverhältnissen, in denen die ‚Gebildeten‘ mit der ihnen eigentümlichen Aneignungsform der Lektüre auch über Wert und Unwert eines
Theaterstücks bestimmen.46
41
Angulo Egea (2006: 68).
Vgl. Angulo Egea (2006: 68): „Los populares entendían el teatro como espectáculo, mientras que los neoclásicos lo concebían más como una manifestación literaria
centrada en el texto, en la palabra”, deren Zielpublikum mit der „clase media-alta”,
also der „emergente burguesía de las nuevas ciudades“, eher gehoben und urban sei.
43
Vgl. Jehle (2010: 120).
44
Vgl. Gelz (2006: 35ff.).
45
Vgl. Jehle (2010: 121), der in Bezug auf das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts konstatiert: „Die Autoren bleiben auch dort, wo ihre Stücke gedruckt werden,
meist anonym und treten unter dem generischen Namen ‚ingenio de esta corte‘ auf.“
Diese Praxis hat es der Literaturgeschichtsschreibung erschwert, Lope de Vega die
zahlreichen von ihm verfassten Komödien eindeutig zuzuordnen.
46
Jehle (2010: 204).
42
202 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Während Álvarez Barrientos das neoklassische bourbonische Reformtheater analog zu dessen didaktischem Impetus als eine „escuela del pueblo“47 bezeichnet, d.h. als eine wortlastige ‚Schule des Volkes‘, zeigt ein Blick in Jovellanos‘ Memoria, dass es die höheren und
insbesondere die vermögenden Schichten sind, die hier mittels einer
‚Professionalisierung‘ des heimischen Theaterbetriebs belehrt werden sollen. Der vulgo seinerseits ist nicht über das Theater, sondern
nur mittels der Gesetze zu erziehen.48 Im Zuge dieser Reform werden
nicht nur die ZuschauerInnen, sondern auch die SchauspielerInnen zu
SchülerInnen,49 und auch hier muss man, wie schon im Falle des ökonomischen Knowhows, das nötige Wissen notfalls aus dem Ausland
beziehen:
No sería tampoco, a mi juicio, cuidado indigno del celo y la previsión del
gobierno el buscar maestros extranjeros o enviar jóvenes a viajar e instruirse fuera del reino, y establecer después una escuela práctica para la educación de nuestros comediantes; porque al fin, si el teatro ha de ser lo que
debe, esto es una escuela de educación para la gente rica y acomodada,
¿qué objeto merecería más su desvelo que el de perfeccionar los instrumentos y arcaduces que deben comunicarla y difundirla?50
Das Theater führt aber nicht nur auf der Bühne vor, wie eine im
neoklassischen Sinne ‚gute Dramenpraxis‘ auszusehen hat, vielmehr
ist das Theater eine moralische, politische und ökonomische Lehranstalt zur Lenkung des Alltagsverhaltens der ZuschauerInnen.51 Was
im Gewand einer Theaterreform daherkommt, ist im Grunde eine
47
Álvarez Barrientos, Joaquín (2005): Ilustración y Neoclasicismo en las letras españoles, Madrid: Síntesis, p. 189.
48
Vgl. Jehle (2010: 183) mit Bezug auf Fernández de Moratín, Leandro (1944): Obras
póstumas, 3 vols., hier vol. 2. In: Biblioteca de autores españoles (BAE), vol. II, Madrid:
Atlas, p. 322.
49
Entsprechend vergleicht Jehle (2010: 141) das spanische neoklassische Theater
mit einem „Klassenzimmer“.
50
Jovellanos, Gaspar Melchor de (21998): Memoria sobre espectáculos y diversiones públicas / Informe sobre la Ley Agraria, ed. Guillermo Carnero. Madrid: Cátedra, pp. 206f.
51
Vgl. Urzainqui, Inmaculada (1992): „Crítica teatral y secularización: el Memorial
literario (1784-1797)“. In: Tietz, Manfred/Briesemeister, Dietrich (eds.). La secularización
de la cultural española en el Siglo de las Luces. Actas del congreso de Wolfenbüttel. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 247-286, hier p. 266. Urzainqui spricht hier vom Theater als
einer „escuela de moral, política y economía”
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
203
Gesellschaftsreform, bei der es einer „gefährlichen Vermischung“52
von Bühnen- und Zuschauerraum sowie der anwesenden gesellschaftlichen Klassen53 und Geschlechter54 zugunsten einer normativ verordneten ‚Entmischung‘55 beizukommen gilt.
Wie schon im Falle der ökonomischen greift auch bei der sozialen
Reform, die die Neuerung des Theaterwesens darstellt, das bourbonische System der Stellvertretungen: Die Theaterreformer, die analog
zu der Mehrheit der Reformökonomen als „kleine Gruppe fortschrittlicher Intellektueller und als Inhaber hoher Staatsämter im Bündnis
mit dem Reformdespotismus“56 identifizierbar sind, bilden den verlängerten Arm der Monarchie. Beispielhaft kann Jovellanos angeführt
werden, in dessen Person Wirtschafts- und Theaterreform zusammenlaufen. Was von den Ministern und Verwaltungsbeamten auf der Ebene der wirtschaftlichen Reformen erwartet wird – die Bereitschaft, mit
lokalen Institutionen und wirtschaftlich erfolgreichen Individuen zu
kooperieren und diese für ihre Zwecke einzuspannen –, gilt auch für
die Reform des Kulturbetriebs. Auch in diesem Bereich kommt es zu
einer Verzahnung der politischen Theorie mit der dramatischen Praxis,
weshalb die für das Theater zuständigen Reformer gerne mit Mittelsmännern57 aus dem Literaturbetrieb arbeiten, um ihre ‚Omnipräsenz‘
52
Jehle (2010: 139).
Vgl. Jehle (2010: 150f.). Die Vermischung der sozialen Klassen im Theater erfolgt
etwa dann, wenn sich Adelige als majos, also als Männer aus dem einfachen Volk, verkleiden, und sich unter das im Innenraum befindliche Publikum mischen. Diese Maskerade ermöglicht den zumeist jungen Männern eine Entgrenzung des Benehmens,
wie sie sonst nur den Vertretern der Unterschichten, den mosqueteros, zugestanden
wird.
54
Jehle (2010: 144f.) berichtet von den im 17. und 18. Jahrhundert gern genutzten
Möglichkeiten, die Trennung der Geschlechter in den Spielstätten – den nach oben
offenen corrales des 17. und den überdachten coliseos des 18. Jahrhunderts – zu umgehen. Diese reichen von als Frauen verkleideten Männern in der cazuela über heimliche
Begegnungen in den Gängen und hinter Wänden bis hin zu der natürlichen Mischung
der Geschlechter in den vom Adel abonnierten aposentos. Vgl. Jehle (2010: 145).
55
Vgl. Jehle (2010: 133). Gleichzeitig veranschaulicht Jehle (2010: 138), dass die
Mehrzahl der Verordnungen zur geschlechtsbezogenen und sozialen ‚Entmischung‘
im theatralen Raum wirkungslos bleiben.
56
Jehle (2010: 131).
57
Diese Mittelsmänner identifiziert López-Cordón Cortezo (2015: 19) als „artists
and writers, who diffused their actions“. In Bezug auf die Reformer selbst bemerkt sie
(ibid.): „[...] they initiated a policy of collective representation of the crown, identified
as a royal family, which adopted a relevant institutional role.“
53
204 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – Wirtschaft, Kultur, Institutionen des Wissens – zu gewährleisten. Die Frage, ob das spanische kulturelle Feld des 18. Jahrhunderts aktiv von der bourbonischen
Dynastie gesteuert wird, bejaht López-Cordón Cortezo:
A directed culture? Certainly, if we take into account not only the prominent role of royalty, but also that of ministers, advisors and publicists
who supported a policy that sought to transform the arts, humanities and
sciences into efficient instruments for reforming the monarchy and glory
of the sovereign.58
Auch das Theater steht also im Dienst der hier erwähnten ‚Erhöhung des Ruhms des Monarchen‘, was das in den nachfolgend
analysierten spanischen Komödien der Spätaufklärung wiederholt
anzutreffende Königslob erklärt. Überdies lässt die pragmatische Gesinnung der bourbonischen Regenten, die für den bereits konstatierten anwendungsbezogenen Charakter der spanischen Aufklärung insgesamt ursächlich ist, sie erkennen, dass die Wissenschaft, vor allem
aber die Künste, prestigeträchtige Propagandainstrumente und daher
geeignet sind, den Zusammenhalt der Nation zu fördern. Das bei allen
sozialen Schichten beliebte Theater und die Komödie als die im 18.
Jahrhundert beliebteste59 Gattung bieten sich aufgrund ihrer Breitenwirkung besonders dafür an.
Zugleich ist mit Jehle anzumerken, dass die Aufklärung „indes
auch in Spanien ein zugleich europäisches und nationales Programm,
keineswegs nur ein Kulturprogramm von oben“60 ist. Auf der Ebene der Reformökonomie zeigen dies liberalistische und progressive
Stimmen wie die eines Foronda oder eines Cabarrús. Für den Bereich
des Theaters veranschaulichen es Dramatiker wie Comella, Antonio
Valladares y Sotomayor (1737-1820) und Gaspar Zavala y Zamora
(1762~1814), die das neoklassische Regelwerk mit Versatzstücken des
populären Theaters, z.B. mit beim Volk beliebten Plot-Strukturen oder
religiösen Elementen, verbinden und so Publikumserfolge feiern, die
strikt neoklassischen Autoren der ersten Stunde wie Nicolás Fernández
58
López-Cordón Cortezo (2015: 37).
Vgl. Luzán, Ignacio de (2008): La poética o reglas de la poesía en general, y de sus
principales especies, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra, pp. 564f.
60
Jehle (2010: 118).
59
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
205
de Moratín (1737-1780) verwehrt bleiben.61 Beobachtet Hoffmann für
das spanische Theater des 18. Jahrhunderts gerade eine Entkopplung
programmatisch aufklärerischer Themen wie ‚Freundschaft‘, ‚Vernunft- vs. Neigungsehe‘, ‚Arbeitsleben und Berufsbürgertum‘ sowie
‚Staatsbürgerschaft‘ von der theatralen Neoklassik,62 deuten die nicht
selten an den neoklassischen drei Einheiten orientierten Stücke der
genannten Autoren insbesondere in Verbindung mit den darin aufscheinenden Diskurselementen der ökonomischen Reform darauf hin,
dass die angedachten Neuerungen, motiviert durch staatliche Anreize
und Zensur, auf anderen als den vorgesehenen Wegen auf die Bühnen
gelangen und dort nicht zwangsläufig so umgesetzt werden, wie von
Regierungsseite intendiert. Gerade das Theater Comellas wird sich in
dieser Studie als Sprachrohr eines reformökonomischen Liberalismus
erweisen, der nicht nur angesichts der im Vorfeld der Aufführung
erfolgenden staatlichen und kirchlichen Zensur, sondern auch angesichts von auf der Bühne selbst platzierten Zensoren, nur in einzelnen
Momenten und im Tarngewand der Allegorie aufscheinen kann (vgl.
Kap. 7.7.4).
4.1. Merkmale eines ‚Theaters der Ökonomie‘63: Vermenschlichung
und Strukturhomologie
Christine Baron macht in Bezug auf das Verhältnis von Literatur und
Ökonomie zwei Achsen der Auseinandersetzung aus: Erstens die Repräsentation des Ökonomischen durch das Literarische (das ‚Was?‘)
und zweitens die Ökonomie der Darstellung (das ‚Wie?‘), also die
strukturelle und poetische Ebene.64 Der Literatur weist sie die Kraft
61
Manches Bühnenwerk Nicolás Fernández de Moratíns wird nicht einmal zur
Aufführung gebracht, wie u.a. das Beispiel der Komödie La petimetra (1762) zeigt. Sein
ebenfalls zu den Neoklassikern zählender Sohn Leandro Fernández de Moratín (17601828) dagegen kreiert gegen Ende des 18. Jahrhunderts Stücke, die sich lange auf den
Spielplänen halten und sich großen Zulaufs erfreuen.
62
Vgl. Hoffmann (2017: 69).
63
Den Chiasmus „Ökonomie des Theaters“ – „Theater der Ökonomie“ prägt
Tschilschke (2014) in seinem Aufsatz über die femina oeconomica in María Rosa Gálvez‘
Komödie La familia a la moda.
64
Vgl. Baron, Christine (2013): „Introduction. Economie et littérature: contacts,
conflits, perspectives“. In: Épistémocritique, vol. XXII: Economie et littérature vom 28.
206 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zu, ein Gegengewicht, eine Art „contre-pouvoir“65 zur rationalen
Logik der Ökonomie zu bilden. Infolge der industriellen Revolutionen im Europa des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer literarischen
Gegenbewegung: den ästhetischen Avantgarden, die die Kunst als
Antithese zur Marktgesellschaft konzipieren. Je mehr die Gesellschaft
der Logik des Wirtschaftlichen folge, konstatiert Baron, umso mehr
ziehe sich die Literatur zurück, indem ihre Sprache opak, ihre Texturen sichtbar würden und sie sich der Musikalität der Sprache und der
Sichtbarwerdung der Form hingebe. Ganz anders verhält es sich in
der protoindustriellen Literatur: Diese bevorzugt das Alltägliche, das
allerdings nicht so dargestellt wird, wie es ist, sondern wie es sein soll.
Auch die vorindustrielle Literatur ist in dreifacher Hinsicht dem Ökonomischen verschrieben.66 Zum Ersten muss sie angesichts der im 18.
Jahrhundert wachsenden Alphabetisierung und der damit verbundenen Entstehung eines literarischen Marktes selbst wirtschaftlich sein,
was zuvorderst für das Theater als Unternehmen gilt, das durch seine Einnahmen nicht nur den die SchauspielerInnen und den als autor
bezeichneten Leiter und Regisseur der Truppe ernähren muss; auch
den Spielort gilt es zu unterhalten. Überdies entrichten die autores in
Spanien Abgaben an die Städte und ihre Hospize.67 Zum Zweiten ist
die Literatur des 18. Jahrhunderts erstmalig und für die kurze Phase
bis zum Beginn der Industrialisierung durch das Lob wirtschaftlicher
Akteure gekennzeichnet, was für England (Richardson, Steele) Frankreich (Beaumarchais, Mercier), Italien (Goldoni) und Spanien (u.a.
Moratín, Iriarte) gleichermaßen gilt und sich insbesondere in der Gattung des Dramas und der Untergattung der sentimentalen Komödie
Juni 2013. Quelle: https://epistemocritique.org/introduction-economie-et-litteraturecontacts-conflits-perspectives/, Zugriff: 09.08.2022, ohne Paginierung.
65
Baron (2013: o.P.).
66
Auch Hoffmann (2017: 304) konstatiert „das enorme Gewicht der ökonomischen
Komponente, die als Fundament nahezu aller Entscheidungsprozesse kontinuierlich
präsent war und wesentliche Auswirkung hatte auf den bestehenden Theaterbetrieb
ebenso wie auf sämtliche Reformvorhaben“.
67
Vgl. Tietz, Manfred (2014): „Das spanische Theater des Siglo de Oro: Ein sich
selbst organisierendes ökonomisches System“. In: Schuchardt, Beatrice/Urban, Urs
(eds.). Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in
Spanien. Bielefeld: transcript, pp. 35-58. Darauf, dass sich die materiellen und ökonomischen Bedingungen des Theaters vom 17. zum 18. Jahrhundert kaum ändern, verweist
Jehle (2010: 199ff.).
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
207
niederschlägt. Zum Dritten ist die beim Publikum beliebteste Dramengattung, die Komödie, ganz und gar vom Ökonomischen durchdrungen: Zum einen sind ihre ProtagonistInnen im Gegensatz zu den
adeligen AkteurInnen der Tragödie aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft zum Broterwerb gezwungen, weshalb die Gattung „weit stärker
auf die von materiellen Interessen geprägte Lebensrealität eingelassen”68 ist. Zum anderen bilden der Ehehandel und die Verhandlungen,
die um den oder die ideale/n PartnerIn geführt werden, den Motor
der Handlung. Der sich in deren Verlauf beschleunigende und zunehmend verwickelt gestaltende Liebesplot basiert auf „schnellen Glückswechseln“69, der „Umverteilung von Gütern“70 und dem „Ausgleich
von Interessen“71.
Dass die Komödie nicht nur thematisch, sondern auch strukturell
durch das Ökonomische affiziert ist, hat Daniel Fulda mit dem Begriff
der „Strukturhomologie“72 bezeichnet, der nicht nur eine „punktuelle
Vergleichbarkeit“73 meint, sondern eine „Parallelität von Relationen“74
bezeichnet. Besonders deutlich sind die Parallelen der Komödienstrukturen zur Wirtschaft im direkten Vergleich mit dem Geldmarkt.75
Strukturhomologien von Komödie und Geldwesen ergeben sich aus
der Spannung zwischen den Polen von Bewegung und Stabilisierung, die beide Systeme kennzeichnet.76 Wie die Komödienhandlung
zeichnet sich auch die Wirtschaft durch „ein besonders hohes Tempo der [...] Transaktionen“77 aus, und wie die Komödie kommt auch
das Geldwesen ohne ein „Stabilisierungsmoment“78 nicht aus. Was in
der Ökonomie dem wertbildenden Sparen entspricht, ist in der Komödie die Heirat:79 Ist Geld nicht nur ein in steter Bewegung befindliches Tauschmittel, sondern auch ein Medium der Aufbewahrung
68
Fulda (2005: 21).
Fulda (2005: 22).
70
Fulda (2005: 22).
71
Fulda (2005: 22).
72
Vgl. Fulda (2005: V).
73
Fulda (2005: 25).
74
Fulda (2005: 25).
75
Vgl. Fulda (2005: 56).
76
Vgl. Fulda (2005: 24).
77
Fulda (2005: 24).
78
Fulda (2005: 23).
79
Fulda (2005: 24).
69
208 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
von Werten, findet sich die Wertbewahrung in der Komödie des 18.
Jahrhunderts in der am Ende durch männliche Autoritäten gestifteten
Ehe, mit der eine zuvor aus den Fugen geratene Ordnung wiederhergestellt wird.80
Thematische Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Wirtschaft,
und insbesondere zwischen Literatur und Ökonomik, konstatieren
Claire Pignol und Çinla Akdere: „Il existe certes des objets communs à
la littérature et à l’économie: théories économiques et textes littéraires
partagent l’ambition de représenter les crises et la monnaie, le travail
et les besoins, les désirs et le bonheur, l’individu et l’organisation sociale.“81 Beide Diskurssysteme unterscheiden sich jedoch deutlich in
der Art und Weise, wie sie Wirtschaft repräsentieren. Während die
Narrative der Wirtschaftswissenschaften zur Abstraktion neigen, was
die Verallgemeinerung wirtschaftlicher Vorgänge zu Gesetzmäßigkeiten erlaubt,82 tendiert die Literatur zu einer Form der Konkretisierung
und Veranschaulichung, die sich über die figurale Verkörperung des
Wirtschaftlichen vollzieht. Die Literatur erzählt nicht von Wirtschaft
im Allgemeinen, sie entrollt die Schicksale einzelner literarischer Figuren, ProtagonistInnen und AntagonistInnen, die zumeist Typen sind
und Identifikation oder Abscheu, Mitleid oder Lachen hervorrufen
und Wirtschaft damit emotional erfahrbar machen. Ein anschauliches
Beispiel dafür ist die von Honoré de Balzac virtuos erdachte und an
historische Persönlichkeiten angelehnte Verkörperung des Finanzsektors durch den Baron de Nucingen.83 Mit Figuren dieser Art vollzieht
80
Vgl. Fulda (2005: 25).
Pignol, Claire/Akdere, Çinla (2016): „Économie et littérature“. In: Revue d’Histoire
de la Pensée Économique, 2, 2, pp. 75-91, hier p. 76.
82
Vgl. Pignol/Akdere (2016: 77): „Les récits qu’offre la littérature ne proposent pas
des concepts théoriques dont l’abstraction garantirait la généralité.“
83
Vgl. Balzac, Honoré de (1989): La Maison Nucingen, précédé de Melmoth reconcilié,
ed. Anne-Marie Meininger. Paris: Gallimard. Der Baron de Nucingen ist eine wiederkehrende Figur der Comédie Humaine. Meininger verweist in ihrem Vorwort zu der
Novelle darauf, dass Balzac mit den Rothschilds befreundet war und den Finanzsektor
aus der Innensicht kannte und versucht nachzuvollziehen, welche historischen Figuren Balzac mutmaßlich zu seiner Figur Nucingen inspiriert haben. Balzacs literarische
Darstellungen des Finanzsektors haben wiederum Marx als Ausgangspunkt für seine
Kritik des Kapitalismus gedient. Dies veranlasst Pignol und Akdere (2016: 76) zu der
provokanten Frage, ob es die Wirtschaft sei, die der Literatur als Inspirationsquelle für
ihre Fiktionen diene, oder ob nicht auch umgekehrt die Literatur imstande sei, uns ein
‚anderes‘, quer zu den Wirtschaftswissenschaften stehendes ökonomisches Wissen zu
81
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
209
sich zugleich eine Typisierung einzelner Wirtschaftssektoren, z.B.
eines auf Bereicherung ausgelegten Bankensektors, der durch den Typus des raffgierigen Bankiers repräsentiert wird. Solche Typisierungen
begegnen uns im Verlauf dieser Studie und im Kontext des aufklärerischen Theaters vor allem in Form von modelhaften Idealisierungen.
Dabei wird mit der Typisierung zugleich eine Vergeschlechtlichung
vorgenommen. Aber auch das schlechte Wirtschaften wird in den hier
analysierten Komödien figural-geschlechtlich verkörpert.
Die Rückbindung des Ökonomischen an menschliche Schicksale ist
also ein genuines Merkmal des Umgangs von Literatur mit wirtschaftlichen Themen. Indem Wirtschaft ein Gesicht und überdies einen performativ agierenden und geschlechtlich markierten Körper erhält, materialisiert sie sich im intermedialen Medium des Theaters, das Licht,
Raum, Klang, Musik und Tanz umfasst,84 und wird dadurch visuell,
klanglich sowie emotional erleb- und erfahrbar. Zur Erfahrung und
zum Erlebnis wird Wirtschaft in der Literatur im Allgemeinen und
im bourbonischen Reformtheater im Besonderen vor allem durch
Identifikationsangebote: Über diese werden das ‚gute‘, aber auch das
‚schlechte Wirtschaften‘ im Sinne der bourbonischen Reformökonomie anschaulich gemacht und didaktisch vermittelt. Ein Gesicht erhalten das abstrakte Wirtschaftssystem und seine Sektoren, indem sich
beispielsweise der Handel in dem Figurentypus des ehrbaren Kaufmanns kondensiert, der Pars pro Toto seiner Berufsgruppe und seines Standes ist. In den auf der Bühne vorgeführten Geschichten erlebt
dieser theatrale Typus Höhen und Tiefen, wie sie auch dem Publikum
geläufig sein dürften. Beide Parteien, der auf der Bühne repräsentierte
vermitteln, indem sie uns ‚alternative Repräsentationen des Ökonomischen‘ anbiete
(ibid., meine Übersetzung): „Faut-il dire que Balzac plus que les économistes classiques ou même Marx nous instruirait des réalités du capitalisme, que Dos Passos et
Steinbeck mieux que Veblen ou Keynes auraient fait le récit de la grande dépression,
que Perec mieux que Galbraith aurait su décrire l‘émergence de la consommation de
masse?“ Zur Bedeutung dieses Textes für Themen, die durch die Wirtschaftswissenschaften vernachlässigt werden, vgl. auch Piketty, Thomas (2014): Capital in the Twenty-First Century. Cambridge: Harvard University Press, 2014.
84
Zur Intermedialität des Theaters und dem Körper im Medium des Theaters vgl.
Brandstetter, Gabriele (2005): Bild-Sprung: Tanz, Theater, Bewegung im Wechsel der Medien. Berlin: Theater der Zeit; eadem (ed.) (1998): Grenzgänge: das Theater und die anderen
Künste. Tübingen: Narr sowie Fischer-Lichte, Erika (1995): Theater-Avantgarde: Wahrnehmung, Körper, Sprache. Tübingen: Francke.
210 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Figurentypus und das mit ihm fühlende Publikum, erleben Schicksalsschläge, familiäre Streitigkeiten, Affekte und Gefühle. Medium
der Darstellung dieses identifikationsaffinen Wirtschaftstheaters, das
wiederum an die Gefühle der ZuschauerInnen appelliert, ist die sentimentale Komödie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Allianz
mit der neoklassischen eingeht. Die Verschränkung zwischen den im
18. Jahrhundert in ganz Europa beliebten sentimentalen Gattungen,
dem spanischen Reformtheater und der Handlungsebene der bourbonischen Reformökonomie beleuchtet der nachfolgende Abschnitt.
4.2. Zur Verschränkung des europäischen Sentimentalen mit dem
spanischen Reformtheater und der Reformökonomie
Wie das Beispiel von Forondas Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio (1778) zeigt, ist eine der frühesten figuralen Verkörperungen des Ökonomischen, die sich infolge der spanischen Reformökonomie des 18. Jahrhunderts vollzieht, die des Handels durch
die Figur des ehrbaren Kaufmanns. Diese verläuft nicht nur analog
zu ähnlichen Entwicklungen in der französischen Traktatliteratur,85
sondern weist überdies Parallelen zum Verlauf der westeuropäischen
Theatergeschichte auf. Dort ist die frühe Verkörperung des Handels
durch den Kaufmann eng mit dem in Spanien als género sentimental86
bezeichneten sentimentalen Drama verbunden. 1730 verfasst George
Lillo mit The London Merchant, or the History of George Barnwell87 eine
„bourgeois tragedy“88, die mit mehreren Adaptationen in Frankreich
und Spanien die Kaufmannsthematik auf den Bühnen des Kontinents
verankert. Deirdre McCloskey und Joseph Vogl zufolge ist es Lillos
Stück, das ein Vierteljahrhundert später sowohl dem deutschen bürgerlichen Trauerspiel als auch dem französischen drame bourgeois als
85
Vgl. hierzu die bereits erwähnten Schriften von Montesquieu und Coyer.
Dieser Oberbegriff für verschiedene Subgattungen des sentimentalen Theaters
fällt bei García Garrosa (1990: 45) und (1991): „El comerciante inglés y El fabricante de
paños: de la traducción a la adaptación“. In: Anales de Literatura Española, 7, pp. 85-95.
87
Vgl. Lillo, George (1965): The London Merchant [1731], ed. William H. McBurney.
London: Arnold.
88
McCloskey, Deirdre (2016): Bourgeois Equality. How Ideas, not Capital or Institutions, enriched the World. Chicago: The University of Chicago Press, p. 267.
86
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
211
Folie dient.89 Die Studien von María García Garrosa (1990) und Yvonne
Fuentes (1999) haben die komplexen Rezeptionswege nachgezeichnet,
die das Stück zwischen England, Frankreich, Deutschland und Spanien genommen hat.
Die Bedeutung des London Merchant ist laut Vogl in engem Zusammenhang mit einer ökonomischen „Poetologie des Wissens“90 zu
betrachten. Von besonderer Relevanz ist dieses Stück deshalb, weil
es nicht nur den von Adam Smith in The Theory of Moral Sentiments
(1759)91 entwickelten Begriff der „Sympathie“92 vorwegnimmt, sondern weil die im Zentrum stehende väterliche Kaufmannsfigur „eine
mittlere und vermittelnde Instanz“93 zwischen ökonomischem und
literarischem Diskurs ist. Als solche ist sie in der Lage, mit dem ‚neuen‘ ökonomischen Wissen der europäischen Aufklärung zugleich eine
neue ‚Ökonomie der Affekte‘ zu transportieren, die ihrerseits mit der
aufklärerischen Moralökonomie im Zusammenhang steht. Nicht nur
vermittelt der Kaufmann zwischen vier affektiven Extremen, die Vogl
durch die Figuren repräsentiert sieht und die er mit „Kälte, Hitze,
Maske und Blöße“ 94 als das quadratische Gerüst des London Merchant
umreißt. In deren diagonalem Schnittpunkt steht die Kaufmannsfigur als „regulierende und moderierende Instanz“ 95, die so die Rolle
des „apathischen Beobachters“ aus der smithschen Sympathielehre
einnimmt. Dieser Beobachter etabliert seinerseits „ein Kriterium der
Rechtmäßigkeit“ 96, das moralische Urteile überhaupt erst ermöglicht.
Überdies leistet Lillos Vorlage den Transfer des Wissens der Politischen Ökonomie in den Bereich des Theaters, das sich so von einem
‚Feudaltheater‘ in ein ‚Bürgertheater‘ wandelt. Lillos Kaufmann erscheint als „Apologet des Welthandels“97, an die Stelle der zuvor noch
89
Vgl. McCloskey (2016: 267). Vgl. auch Vogl (2002: 98): „Man mag innerhalb dieser
Koordinaten die Entstehung einer neuen Gattung – des bürgerlichen Trauerspiels – erkennen.“
90
Vogl (2002: 98).
91
Smith, Adam (2007 [1759]): The Theory of Moral Sentiments. New York: Cosimo.
92
Vogl (2002: 98).
93
Vogl (2002: 98).
94
Vogl (2002: 98).
95
Vogl (2002: 98).
96
Vogl (2002: 98).
97
Vogl (2002: 99).
212 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
erstrebenswerten „Freundschaft zum Monarchen“98 treten nun die
freundschaftlichen Bande zwischen der genuesischen und der Londoner Kaufmannschaft. Das Personal und die Schauplätze des barocken
Theaters werden durch die Sphäre des Bürgertums und seine emsig
wirtschaftenden Stellvertreter ersetzt. Auch das noch im barocken
Theater omnipräsente Motiv des Krieges muss also den Finanzgeschäften weichen, die Staatsaktion dem Handelsverkehr, das höfische
Personal gleichberechtigten VertragspartnerInnen und die ‚Bühne‘
dem Kontor.99 Auf der Ebene des Affekts siegt Zweckmäßigkeit über
Begehrlichkeit, Zügelung über Schwächen.100 Damit ist der Schritt zu
einem Wirtschaftstheater getan, indem neben dem Wissen um die
Ökonomie der Dinge auch das Wissen um die Ökonomie der Affekte
in didaktischer Manier präsentiert wird. Beide, Smiths Sympathielehre und Lillos bürgerliches Drama, setzt Vogl zu den Regulierungsbestrebungen der Politischen Ökonomie in Bezug und identifiziert sie
als „unterschiedliche Manifestationen eines Programms indirekter
Regulationstypen“101. Die in Lillos bürgerlicher Tragödie vorgeführte
Moralökonomie erweist sich damit ebenso wie das dort repräsentierte
ökonomische Wissen als Ausdruck eines staatlichen Willens zur Normierung, der sich in der Gouvernementalität kondensiert.
Die Handlung des London Merchant lässt sich folgendermaßen umreißen: Der unbescholtene Lehrling Barnwell, der bei dem philanthropen Kaufmann und titelgebenden Helden Thorowgood angestellt
ist, wird durch seine Leidenschaft für die zwielichtige Lebedame Millwood manipulierbar. Das geht so weit, dass er im Liebeswahn nicht
nur seinen Lehrherren bestiehlt, sondern sogar seinen Onkel ersticht,
um Millwoods unstillbare Habgier zu befriedigen. Beide enden am
Galgen, wobei der achtzehnjährige Barnwell im Gegensatz zu Millwood wahre Reue zeigt. Auch bevor und während er seine durch Leidenschaft motivierten Verbrechen begeht, äußert Barnwell wiederholt
Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns. Dennoch überwiegt die
Leidenschaft im entscheidenden Moment alle Zweifel.
Die komplexen innereuropäischen Rezeptionswege des London Merchant verlaufen zunächst über Frankreich, wo die ersten
98
Vogl (2002: 99).
Vgl. Vogl (2002: 99).
100
Vgl. Vogl (2002: 99).
101
Vogl (2002: 100).
99
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
213
Übersetzungen ab 1750 erscheinen.102 Hierzu zählen die Adaptationen
Jenneval, ou le Barnevelt Français (1769) von Louis Sébastien Mercier,
Pierre Augustin Caron de Beaumarchais‘ Les deux amis, ou le négociant
de Lyon (1770) und Charles-Georges Fenouillot de Falbaire de Quingeys Le Fabricant de Londres (1771).103 Yvonne Fuentes macht in ihrer Studie über die von ihr als triángulo sentimental bezeichneten Rezeptionsprozesse des sentimentalen Theaters zwischen England, Frankreich
und Spanien weitere Stücke aus und identifiziert zusätzlich sowie als
direkte Übersetzung des englischen Originals Pierre Clément de Genèves Le Marchand de Londres, ou l’Histoire de George Barnwell (1751),
ein Stück, das von Genève um zwei Szenen am Galgen erweitert wird,
während Verweise des englischen Originals auf die Königin des Inselreichs und die Religion in der französischen Fassung getilgt werden.104
Eine Auflistung weiterer Adaptationen des London Merchant findet
sich in Robert Niklaus‘ Studie über den Kaufmann als Figur des französischen Theaters des 18. Jahrhunderts, darunter Louis Anseaumes
L’école de la jeunesse ou le Barnevelt français (1765) und Jean François de
La Harpes Barneveldt (1778). Die Grundlage dieser und aller auf sie
folgenden Adaptationen bildet Cléments Übersetzung von 1748.105
Für den Anklang, den die französischen Fassungen des London
Merchant in Spanien finden, macht auch Ivy McClelland die Real Cédula von 1783 verantwortlich, durch die soziale und wirtschaftsbezogene
Themen vor allem im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts Einzug in
die spanische Theaterlandschaft halten.106 Erhellend ist diesbezüglich
García Garrosas Untersuchung zum Einfluss des Erlasses auf Autoren und Produktionen sentimentaler Komödien des ausgehenden
18. Jahrhunderts. García Garrosa identifiziert eine ganze Reihe sentimentaler Komödien, die unmittelbar von dem königlichen Dekret
beeinflusst sind. Mit den von García Garrosa ausgemachten Stücken
setzt sich die literaturhistorisch bereits fundierte Vorherrschaft männlicher Protagonisten im spanischen Theater fort. Diese mündet in die
102
Vgl. McClelland, Ivy (2009): „The London Merchant y sus relaciones con la experimentación dramática en la España del siglo xviii“, ed. Fernando Huerta Viñas. In:
Bulletin of Spanish Studies, 86, 7-8 (2009), pp. 170-179, hier p. 175. Der Aufsatz wurde
posthum veröffentlicht.
103
Vgl. McClelland (2009: 175).
104
Vgl. Fuentes (1999: 225).
105
Vgl. Niklaus (1978: 150).
106
Vgl. McClelland (2009: 175).
214 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Inaugurierung des Kaufmanns als theatralem Typ, der zugleich eine
Stellvertreterfigur erfolgreichen männlichen Wirtschaftens ist. Aber
auch Textilfabrikanten und mit körperlicher Arbeit befasste Figuren,
wie die zunächst von Antonio Valladares y Sotomayor und später von
Cándido María Trigueros skizzierten Handwerker, figurieren als ökonomische Prototypen in metonymischer Funktion. Den von der Real
Cédula unmittelbar beeinflussten Theaterproduktionen ist eine Plotstruktur gemein, der zufolge die Protagonisten unschuldig in Verruf
geraten und/oder schuldlos Bankrott erleiden, am guten Ende aber zu
ihrem wohlverdienten Recht kommen, wenn sie nicht nur finanziell
gewinnen, sondern auch ihr ökonomisch und moralisch vorteilhaftes,
da wohlhabendes und tugendhaftes weibliches Pendant ehelichen
dürfen. Dieser der Moral der Stücke zufolge ‚gerechte Lohn‘ in Form
eines moralischen und materiellen ehelichen Zugewinns wird den
männlichen Figuren deshalb zuteil, weil sie – ebenso wie die ihnen
am Ende zugewiesene Ehefrau – bürgerliche Tugenden verkörpern,
die zugleich wirtschaftliche Tugenden sind. Den Zusammenhang
zwischen dem Topos der ‚verfolgten Tugend‘, der sich vor allem in
denjenigen sentimentalen Komödien als wiederkehrend erweist, die
von der Real Cédula von 1783 beeinflusst sind, und den auf der Bühne inszenierten Figurentypen aus dem Wirtschaftsleben, fasst García
Garrosa treffend zusammen, sodass ihren Ausführungen hier der gebotene Raum gegeben werden soll:
Junto con el muy dieciochesco tópico filantrópico de la amistad (La amistad
es de primero, Los dos amigos, Cómo ha de ser la amistad, el bueno y el mal amigo,
El perfecto amigo, La fuerza de la amistad), el tema único de estas comedias
sigue siendo la virtud perseguida y su triunfo final, pero con matices nuevos. En esencia, lo que todas estas comedias vienen a plantear es la lucha
de la virtud del honrado burgués o el laborioso pechero frente a los privilegios irrenunciables y a veces muy poco virtuosas de la aristocracia. Las
variantes son múltiples y con frecuencia combinadas en una misma obra:
trabajador manual al que se desprecia por su oficio (El trapero de Madrid, El
vinatero de Madrid, El carbonero de Londres), burgueses emprendedores que
ven quebrar su negocio por intrigas o acusaciones falsas (El fabricante de
paños, La industriosa madrileña o [sic] el fabricante de Olot, El triunfo del amor
y la amistad), plebeyo/as desechados de virtudes que no pueden casarse
con el ser amado por ser desiguales sus condiciones (El trapero de Madrid,
El vinatero de Madrid, El inocente culpado, El preso por amor o el real encuentro,
La Justina, Las víctimas del amor, Ana y Sindhám), humildes campesinos o
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
215
ciudadanos ejemplos de virtud y dignidad acosados por nobles depravados (La Cecilia, El amor perseguido y la virtud triunfante, La familia indigente).
Y ahora sí aparece ya el maniqueísmo de los caracteres: el bueno, el virtuoso, el honrado plebeyo, y el tirano, ocioso, envanecido aristócrata, que
a veces, en una vuelta de tuerca al maniqueísmo, tiene su contrapunto en
el noble sensato, justo, ilustrado. 107
In den besagten Stücken wird also der arbeitsame Berufstätige teils
mit seinem untätigen und arroganten adeligen Widersacher kontrastiert, teils erweisen sich – dies gilt vor allem für das populäre Theater
und insbesondere für die Stücke Gaspar Zavala y Zamoras – die fleißigen Bürgersleute als gefallene Adelige, die am guten Ende im Ansehen
rehabilitiert werden und ihre verlorenen Güter zurückerhalten. Eben
jener Verlust dieser Güter als Einkommensquelle hatte ihre kaufmännische oder handwerkliche Tätigkeit überhaupt erst notwendig gemacht. Dass die im Kontext der Schürzung des dramatischen Knotens
sich ereignende unglückliche Wende, die zumeist im finanziellen und/
oder sozialen Bankrott besteht und den vir oeconomicus unverschuldet, durch schieres Pech, eine Intrige sowie trotz seiner Aufrichtigkeit
trifft, offenbart Parallelen zur Plotstruktur französischer sentimentaler Komödien, darunter Nivelle de la Chaussées L’Homme de fortune
(1751), Dampierre de la Salles Le bienfait rendu ou le négociant (1763)
oder Louis Sébastien Merciers La brouette du vinaigrier (1774). Diese
Parallele bestätigt ein weiteres Mal den Einfluss französischer Autoren
auf spanische Dramatiker, teilen die französischen Figuren doch mit
ihren spanischen Pendants den Topos der kaufmännischen Ehrbarkeit
und den schuldlosen Bankrott:
All these négociants are taken from varying backgrounds, but they
are all honest. If they are rich, they have acquainted their fortune legitimately. If they become ruined it is owing to unforeseen circumstances or to unscrupulous dealer whom le drame leaves in the wings so as
not to tarnish the glorious image of le commerce.108
Der Einfluss der Real Cédula von 1783 auf die spanische Theaterproduktion des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist insgesamt nicht zu unterschätzen. Angesichts der bereits skizzierten Fülle an ökonomischen
Traktaten über den Handel und die Industrie ist jedoch anzunehmen,
107
108
García Garrosa (1996: 433f.).
Niklaus (1978: 149).
216 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
dass nicht allein der königliche Erlass, sondern eine ganze Reihe von
Texten aus dem Kontext des ökonomischen Reformdiskurses des aufgeklärten Absolutismus einen Beitrag zu der bei spanischen DramatikerInnen wachsenden Popularität von ProtagonistInnen aus dem
Wirtschaftsleben leisten. Zu denken ist bei diesen einflussgebenden
Texten beispielsweise an die Beiträge spanischer Reformökonomen
wie Campomanes, Foronda und Ramos, die den Beitrag des arbeitenden Menschen, und, wie das Beispiel von Campomanes‘ Discurso sobre
el fomento de la industria popular zeigt, nicht nur den des arbeitenden
Mannes, sondern auch den der arbeitenden Frau zum Gemeinwohl
in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Ähnliche Gedanken
formulieren anglophone Ökonomen wie Adam Smith und John Stuart Mill. Auf die sich aus dem spanischen Reformdiskurs ergebenden
politischen Bemühungen zur Förderung insbesondere der Textilindustrie verweist auch García Garrosa in ihrer Analyse.109 Die Wege,
über die das in diesen reformökonomischen Schriften verbreitete Bild
des arbeitsamen Berufstätigen im Kontrast zum untätigen Adeligen
Eingang in das Theater findet, kann als das Ergebnis einer Reihe diskursiver Verschränkungen betrachtet werden, die auf eine gezielte
Einflussnahme der Krone auf das Theater zurückzuführen ist. Damit
wird das Theater zu einem propagandistischen Mittel der Verbreitung
des reformökonomischen Idealbildes vom aufgeklärt wirtschaftenden
Menschen.
Entsprechend zahlreich sind die spanischen Adaptationen französischer und englischer Stücke, die um die Gestalt des Kaufmanns
kreisen. Als durch die französischen Adaptationen von Lillos London
Merchant inspirierte Stücke betrachtet McClelland etwa Las ceguedades
del vicio y peligros del rigor (1776)110 von Manuel de Ascagorta sowie
Antonio Valladares de Sotomayors Komödien Los perfectos comerciantes (1782) und El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784)111. Das
109
Vgl. García Garrosa (1996: 683f.).
Dieses Stück trägt den Untertitel El joven Carlos. Vgl. hierzu Fuentes (1999: 228).
Bei McClelland hingegen wird El joven Carlos als eigenständiges Stück aufgeführt. Zuzustimmen ist in diesem Fall Fuentes, die anhand von diesbezüglichen Vermerken im
Diario de Madrid nachweist, dass das Stück 1803 im Teatro de los Caños drei Mal in
Folge uraufgeführt wurde.
111
Bei der Datierung des ohne Angabe von Ort, Jahr und Verlag erschienenen Stückes bezieht sich García Garrosa (1991: 86) auf die Madrider Aufführung von 1784.
Fuentes (1999: 212) verweist in ihrer Studie zum género lacrimógeno auf eine Rezension
110
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
217
Letztgenannte basiert McClelland zufolge ebenso wie das anonym
und undatiert erschienene Werk El comerciante de Burdeos auf Falbaire
de Quingeys Version des London Merchant.112 Darüber hinaus macht
McClelland José Conchas El buen criado (1775) und Gaspar Zavala y
Zamoras El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793) als
vom London Merchant und seinen französischen Fassungen inspirierte spanische Adaptationen aus.113 Als Vorlage für El triunfo del amor
y la amistad, das das Stück sei, das von allen spanischen Adaptationen Lillos Originaltext am nächsten stehe, identifiziert McClelland
Merciers Jenneval. Parallelen zwischen Lillos Merchant und dem spanischen Jenwal finden sich vor allem in der in beiden Dramen zentralen Rolle der Freundschaft zwischen den Lehrlingen George Barnwell
und Trueman (Lillo) bzw. Jenwal und Smirn (Zavala y Zamora) sowie
in der Konstruktion des Liebesplots um die Figurenkonstellation des
wohlhabenden Kaufmanns, seines (mittellosen) Angestellten und der
Kaufmannstochter. Die Gemeinsamkeiten der übrigen spanischen Adaptationen des London Merchant mit der englischen Vorlage beschränken sich darauf, dass ihnen allen der Kaufmann als Protagonist gemeinsam ist.
Von den Untergattungen der Komödie weist die sentimentale eine
besondere Affinität zur Darstellung des kaufmännischen Kosmos auf.
Ein möglicher Grund für diese Affinität ist der gesellschaftliche Auftrag des Genres, als moralische Lehranstalt114 zu fungieren. Dieses
geht im England der Restaurationszeit zunächst auf das Stück Love’s
Last Shift (1696) von Colley Cibber zurück, der auch das Vorwort zu
Lillos London Merchant verfasst hat.115 Im aufklärerischen Frankreich
verbindet sich das sentimentale Theater mit Namen wie Diderot für
das drame bourgeois sowie Phillippe Néricault Destouches und PierreClaude Nivelle de la Chaussée für die comédie larmoyante.116 In den
des El fabricante de paños im Madrider Memorial Literario, welche auf das Jahr 1785 zurückgeht.
112
Diese Sichtweise teilt García Garrosa (1991: 86).
113
Vgl. McClelland (2009: 176f.).
114
Vgl. hierzu Álvarez Barrientos (2005: 189) sowie Llanos Mardones, Bernadita
(1989): „Integración de la mujer al proyecto de la Ilustración en España“. In: Ideologies
and Literature, 4, 1, pp. 199-223.
115
Vgl. Fuentes (1999: 29).
116
Vgl. Fuentes (1999: 58ff.) und García Garrosa (1990: 15ff.). André Lagarde und
Michel Michard differenzieren das Genre weiter aus, wenn sie zwischen comédie de
218 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
moralischen Lektionen der weniger komödiantisch als tragisch anmutenden sentimentalen Komödien manifestieren sich das Wertesystem und Familienbild des Bürgertums als aufstrebender sozialer
Schicht.117 Für die spanischen Verhältnisse konstatiert Antonio Maravall vor allem ab der zweiten Jahrhunderthälfte eine neue moralische
Orientierung säkularen Typs,118 die sich von traditionellen religiösen
und sozialen Wertvorstellungen unterscheidet und in der Skizzierung
eines geschäftlichen Ethos sowie in der Person des hombre de negocios
ihren Niederschlag findet.119 In Anbetracht dessen vermag die große
Zahl der in spanischen Komödien der Spätaufklärung anzutreffenden
Kaufmannsfiguren kaum zu erstaunen.120
Das Aufkommen der sentimentalen Komödie zunächst in England
und Frankreich und dann in Spanien geht mit der Veränderung der
jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen in diesen Ländern einher.
Die Gattung trägt einem zunehmend bürgerlichen Theaterpublikum
Rechnung, das sich selbst mit seinen beruflichen und familiären Nöten auf der Bühne repräsentiert sehen möchte.121 Wird dieser Wiederkennungseffekt im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts noch über
Identifikationsangebote erreicht, die etwa den symbolischen Raum
caractères und comédie attendrissante et moralisante unterscheiden. Vgl. Lagarde, André/
Michard, Michel (eds.) (2003): Les grands auteurs: xviiie siècle, vol. II. Paris: Bordas, pp.
32f. Die comédie attendrissante et moralisante findet sich bei Stackelberg, Jürgen von
(1992): Das Theater der Aufklärung in Frankreich. Ein Abriss. München: Fink, pp. 43ff.
auch unter der Bezeichnung der comédie sérieuse.
117
Vgl. hierzu in Bezug auf Spanien auch Antonio Maravall (1991: 113ff.; 245ff.)
sowie – mit Bezug auf England – Rommel, Thomas (2006): Das Selbstinteresse von Mandeville bis Smith. Ökonomisches Denken in ausgewählten Schriften des 18. Jahrhunderts.
Winter: Heidelberg, p. 8: „Der merchant als Kaufmann und Unternehmer grenzte sich
gegenüber adeligen Kreisen ab und war gleichzeitig bemüht, mit dem Wertewandel
auch einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.“ Mit dem Begriff des ‚Wertewandels‘ ist hier das Maß gemeint, in dem „sich die Vorstellungen vom Selbstinteresse
als Synonym für Egoismus hin zum ökonomisch und moralisch problemlos legitimierten, natürlichen und damit gesellschaftsförderlichen positiven Streben entwickelten“.
Rommel (2006: 14). Eben diesem Wertewandel widmet sich Rommel in seiner Studie
ökonomischer, philosophischer, politischer und literarischer Texte aus England.
118
Vgl. Maravall (1979: 302) mit Verweis auf E.G. Barber (1975: 19ff.), s.o.
119
Vgl. Maravall (1979: 302).
120
Zu konkreten Stücken vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (1996): „El mundo del
trabajo en la comedia sentimental de Gaspar Zavala Y Zamora”. In: Sala Valldaura,
Josep (ed.). Teatro Español del siglo xviii, vol. I. Lleida: Universitat de Lleida, pp. 337-361.
121
Vgl. Angulo Egea (2006: 328).
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
219
des bürgerlichen oikos122 und das dort beherbergte Geschäft betreffen,
führt eine holzschnittartige Figurengestaltung doch gleichzeitig dazu,
dass die ausschließlich tugendhaften bzw. die ausschließlich verwerflichen Figuren dieses Wirtschaftstheaters wenig glaubwürdig sind.123
Eine differenzierte Figurenpsychologie der Akteure wirtschaftsbezogener Dramen entwickelt sich David T. Gies zufolge erst ab den 1850er
Jahren. Die inneren Konflikte der Mittelklasse werden erst in der alta
comedia auf glaubwürdige und alltagsnahe Weise auf die Bühne gebracht. 124
122
Wenn hier vom ‚oikos‘ die Rede ist, ist ein bürgerlicher Haushalt gemeint, der
sich auf der Schwelle vom Konzept des ‚ganzen Haus‘ hin zum Modell der ‚bürgerlichen Kernfamilie‘ befindet. Zum Konzept des ‚ganzen Hauses‘ vgl. Stollberg-Rillinger,
Barbara (2000): „Ein Jahrhundert der Weiblichkeit? Familienstrukturen, Geschlechterrollen, Erziehung“. In: eadem (ed.). Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart:
Reclam, pp. 145-164, hier p. 146: „Diese Lebensumstände unterliegen seit dem 18.
Jahrhundert einem signifikanten Wandel, der sich – sehr vereinfacht – als Wandel des
‚ganzen Hauses‘ zur ‚bürgerlichen Familie‘ beschreiben lässt. Der Begriff des ‚ganzen
Hauses‘ (griech. oikos) ist von dem Historiker Otto Brunner geprägt worden, um die
vormoderne Einheit von Leben und Wirtschaften idealtypisch zu fassen. Demnach
kennzeichnet das ‚ganze Haus‘ im Gegensatz zur modernen Familie, dass es die primäre soziale, rechtliche, politische und wirtschaftliche Einheit zugleich darstellt. Das
heißt: Die im Haus zusammenlebenden Menschen erwirtschaften gemeinsam ihren
Lebensunterhalt.“ Der hier bezeichnete oikos ist also nicht identisch mit dem oikos nach
Brunner, denn in den durch das spanische Theater ab 1750 skizzierten Haushalten erwirtschaften die Familienmitglieder die Einkünfte teils noch gemeinsam, teils zeichnet
sich dort über die betonte ‚Häuslichkeit‘ der vorbildlichen weiblichen Haushaltsmitglieder eine Wende zur Kernfamilie ab, die aber noch nicht vollzogen ist.
123
Diese These vertritt auch García Garrosa (1991: 93f.). Hoffmann (2017: 50) bemerkt analog dazu, dass die „Dichotomie Protagonist – Antagonist [...] in hohem Maße
die Taxonomie des 18. Jahrhunderts“ repräsentiere und „lediglich bipolare semantische Oppositionen, aber keine Zwischenstufen“ zulasse.
124
Vgl. Gies (1994: 232f.), hier p. 233: „With the alta comedia we begin to see what
has been called the modern comedy in Spain. Audiences which previously were asked
to identify with the symbolic space of the characters are now asked to witness their
own lives on stage, and to contemplate the actions and reactions of characters which
mirrored their more immediate concerns.“ Die Gattung der alta comedia selbst definiert
Gies als moralisierendes Genre, das sich psychologischen ebenso wie ökonomischen
Besorgnissen annimmt und diese über die Figurenpsychologie und Polyloge transportiert, die sich einem gewissen sprachlichem ‚Realismus‘ verpflichten. Vgl. ebenda.
Vertreter der Gattung sind Gies zufolge Tomás Rodríguez Rubí, Manuel Tamayo y
Baús, Adelardo López de Ayala, Luis de Eguílaz, Narciso Serra und Enrique Zumel.
Insgesamt ist die alta comedia durch starke ökonomische Bezüge gekennzeichnet, die
allerdings – und dies erwähnt Gies hier (1994: 249) nicht explizit – bereits im Theater
220 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Was die sprachliche Gestaltung der sentimentalen Komödie anbelangt, vollzieht sich in England ab dem 17. und in Spanien ab dem
ausgehenden 18. Jahrhundert eine stilistische Verschiebung vom Verszum Prosastil.125 Diese Verschiebung beobachtet Joan Pataky-Kosove126
auch in Moratíns El viejo y la niña (1786), ein Stück, das in dieser Studie
einer näheren Betrachtung unterzogen wird und das von der Sekundärliteratur mit Gattungsbezeichnungen wie der „comedia lacrimosa“127 oder der „comedia de costumbres“128 belegt wird. Obwohl die
Autoren Moratín und Comella zeitlebens eine offene Feindschaft129
des spanischen 18. Jahrhunderts gegeben sind: „In fact, where previously dramatic
tension hinged on problems of honor and the appearance of honor (as the plays of the
golden age, for example) or on issues of power and love (as in romantic plays), by the
second half of the nineteenth century it came to pivot around money and financial
gain.” Wie die Beiträge von Eberhard Geisler, Christian Grünnagel, Kurt Hahn und
Saskia Wiedner in Schuchardt/Urban (2014) sowie Geislers Studie über Geld bei Quevedo (1984) jedoch zeigen, sind ökonomische Sachverhalte schon im Theater der Siglos
de Oro ein wesentlicher Bezugspunkt. Vgl. Geisler, Eberhard (2014): „Reziprozität und
Gabe im spanischen Theater des Siglo de Oro“. In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 59-93;
Grünnagel, Christian: „Dineros son calidad. Eine comedia des 17. Jahrhunderts: Antizipation der ökonomischen Moderne oder konzeptistisches Verwirrspiel?“. In: Schuchardt/
Urban (eds.), pp. 137-154; Hahn, Kurt (2014): „Soziales Kalkül, symbolisches Kapital
und theatrale An-Ökonomie“. In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 155-174; Wiedner, Saskia (2014): „Ansätze ökonomischen Handelns in Lope de Vegas La dama boba (1613)”.
In: Schuchardt/Urban (eds.), pp. 113-135.
125
Vgl. Fuentes (1999: 37): „El uso de la prosa será una constante en los dramas
sentimentales ingleses, pues entienden que si para llegar al público es menester representar las penas de personajes de su misma clase social, éstos han de hablar el mismo
lenguaje y en la misma forma. Comprendieron los dramaturgos sentimentales [ingleses] que no se puede conmover a un comerciante mostrando las penas de un rey lejano
[...].“
126
Vgl. Pataky-Kosove, Joan L. (1979): „The Influence of Lachrymose Comedy on
Moratíns El viejo y la niña“. In: Hispanic Review, 47, 3, pp. 379-391, hier p. 379.
127
Vgl. Dowling, John: „El comerciante gaditano: El Don Roque de Moratín“. In:
Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 16, 1-2, pp. 67-76, hier p. 67.
128
Vgl. Dowling (1993: 67).
129
Dies liegt nicht zuletzt an Comellas unter Pseudonym veröffentlichter vernichtender Kritik an Moratíns Stück El viejo y la niña, infolge derer sich Moratín und Comella
eine regelrechte Querelle liefern. Vgl. Angulo Egea (2006: 67). Mario di Pinto mutmaßt
ihn diesem Zusammenhang, dass der Grund für die über Jahre andauernde „enemistad“ zwischen Moratín und Comella der Erfolg gewesen sein könnte, den Comellas
Stück La Jacoba (1789) bei den staatlichen Autoritäten und bei den SchauspielerInnen
gleichermaßen genoss. Moratíns eigene Komödie El viejo y la niña (1786) weist zwar
einen ähnlichen Handlungsstrang auf, war aber weitaus weniger erfolgreich. Zu der
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
221
hegen und von der Forschung entsprechend als antagonistische Dramatiker gezeichnet werden, von denen der eine das unter Einfluss
des Hofes stehende neoklassische, der andere hingegen eine volksnahe Variante des Theaters vertritt,130 eint sie doch die Tatsache, dass
beide in ihren Stücken aufklärerisches Gedankengut reflektieren.131
Der Unterschied zwischen ihnen besteht Angulo Egea zufolge darin,
dass Moratín ein kaufmännisch-bürgerliches, Comella hingegen mit
der ‚arbeitenden Volksmasse‘ ein breiteres Publikum im Blick habe.132
Auch Rosalía Fernández Cabezón charakterisiert Comella als einen
„dramaturgo de gran popularidad”133, der unter anderem deshalb zu
großer Bekanntheit gelangt sei, weil es ihm gelungen sei, die beim Publikum beliebtesten Tendenzen des Theaters des 18. Jahrhunderts zu
bündeln.134 Auch Comellas heroische Dramen erhalten daher in einem
dem neoklassischen Theater verbundenen Presseorgan wie dem Memorial literario zuweilen positive Kritiken.135 Interessant ist der in den
Querelle zwischen Moratín und Comella und ihrer ‚Feindschaft‘ vgl. Pinto, Mario di
(1988): „En defensa de Comella“. In: Ínsula, 504, pp. 16-17, hier p. 16. Moratíns La comedia nueva o El café (1792) parodiert wiederum Comellas comedias heróicas. Comella
verfasst daraufhin den sainete El violeto universal o Café (1793) als eine Persiflage auf La
comedia nueva. Überdies liefern sich beide Dramatiker in der Presse, beispielsweise im
Diario de las Musas (1790), schriftliche Gefechte.
130
Angulo Egea (2006: 68) spricht in diesem Zusammenhang von der „reiterada
separación dramática del siglo xviii entre ‚populares‘ y ‚neoclásicos‘”. Den Unterschied
zwischen beiden sieht sie darin gegeben, „[que] [l]os populares entendían el teatro
como espectáculo, mientras que los neoclásicos lo concebían más como una manifestación literaria centrada en el texto, la palabra.“
131
Vgl. Angulo Egea (2006: 67). Ähnliches konstatiert Jehle (2010: 117). Eine ausführlichere Darstellung des Theaters Moratíns und Comellas als zwei Facetten der spanischen Aufklärung liefert Kap. 6.5.
132
Vgl. Angulo Egea (2006: 64), meine Übersetzung. Im spanischen Originaltext ist
von Comellas Zielpublikum als der „masa laboriosa“ die Rede.
133
Fernández Cabezón, Rosalía (2002): „El teatro de Luciano Comella a la luz de la
prensa periódica”. In: Dieciocho 25, 1, pp. 105-120, hier p. 105.
134
Vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (2002: 106).
135
Vgl. Fernández Cabezón, Rosalía (2002: 106ff.). Zu den im Memorial literario im
Sinne der neoklassischen Doktrin positiv rezensierten Stücken Comellas zählen etwa
Luis XIV. El Grande (1789), Siquis y Cupido (1793), La moscovita sensible (1794) und Federico II, Rey de Prusia (1789b), während die Kritik der letztgenannten heroischen Komödie im Diario de Madrid und durch Cándido María Trigueros recht scharf ist. Andere
Stücke Comellas fallen hingegen im Memorial literario durch. Begründet wird dies mit
der Nichtberücksichtigung neoklassischer Elemente wie der Wahrscheinlichkeit, der
drei Einheiten, der Moral und der Angemessenheit der Sprache. Der harschen Kritik
222 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Stücken beider Dramatiker zentrale Stellenwert des Gefühls. Diese
Sentimentalität betrachtet Maravall als kennzeichnend für die ‚bürgerliche Mentalität‘136 der spanischen Aufklärung.137 Sie prägt entsprechend auch Stücke, die mit dem Unternehmer eine weitere zentrale
Figur aus dem Wirtschaftsleben inszenieren, so etwa in Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788) oder Francisco Duráns La industriosa
madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789). Beide
Stücke werden nachfolgend ebenfalls Gegenstand der Analyse sein
(vgl. Kap. 6.1ff.). Wirtschaftsbezogene Komödien, in denen Kaufleute und Unternehmer, aber auch HandwerkerInnen und Bauern bzw.
Bäuerinnen als ProtagonistInnen sowie verschwenderische petimetres
und geldgierige BetrügerInnen als AntagonistInnen fungieren, rücken
die berufliche Sphäre des Bürgertums in den Fokus des Interesses,
während ihr sentimentaler Horizont auf das Private gerichtet ist. Interessant ist in Bezug auf die durch die Neoklassiker ursprünglich angestrebten „Entmischungen“138, dass die sentimentale Komödie, der sich
neoklassische wie populäre Autoren gegen Ende des 18. Jahrhunderts
verstärkt zuwenden, die strikte Trennung der Gattungen dadurch aufhebt, dass sie auf der Schwelle von Komödie und Tragödie steht, und
somit einen generischen Raum des Dazwischen eröffnet.
des Memorial an seiner Komödie Cristóbal Colón (1790) begegnet Comella in El hombre
agradecido (179, Akt II, pp. 16f.) mittels einer Replik der Figur Blasa: Diese schlägt vor,
die Herren Kritiker mögen doch selbst Stücke schreiben, in denen sie ihre eigenen, teils
absurden Forderungen umsetzen sollten. Vgl. Fernández Cabezón (2002: 110f.).
136
Vgl. Maravall (1979: 299). Maravall fasst das Bürgertum weniger als eine gesellschaftliche ‚Klasse‘ mit einem eigenen ‚Klassenbewusstsein‘ auf, sondern vielmehr als
eine ‚Gruppe von Bürgern‘, die sich durch eine ihnen gemeinsame Mentalität auszeichnet. Meine Übersetzungen. Maravalls These vom „espíritu burgués“ der spanischen
Aufklärung betrachtet Witthaus (2012: 26) seinerseits mit Zurückhaltung und vermutet
als ‚Strippenzieher‘ dieser nur simulierten bürgerlichen Mentalität eher den bourbonischen Staatsapparat. Dem ist angesichts der hier vielfach konstatierten Analogien
zwischen dem wirtschaftlichen Reformdiskurs der Bourbonen und dem theatralen
Diskurs zuzustimmen.
137
Maravall (1979: 269ff.).
138
Jehle (2010: 133).
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
223
4.3. Die Vergeschlechtlichung des Ökonomischen oder: Warum
der Begriff homo oeconomicus den vir oeconomicus meint
Die in der Literatur und Literaturwissenschaft, aber auch in der Ökonomik meistbehandelte Verkörperung des Ökonomischen ist der homo
oeconomicus. Wie Esther Schomacher zu Recht anmerkt, bilden die in
diesem Begriff „zusammengefassten ökonomisch-anthropologischen
Vorstellungen heute zweifellos das prominenteste der ökonomischen
Menschenbilder“.139 Das Konzept steht mit der Politischen Ökonomie
und der Gouvernementalität in enger Verbindung, denn die in der
Gouvernementalität zu Tage tretende Allianz von Wissen und staatlicher Macht, die sich stets auch auf Diskursebene manifestiert, begründet die machtdiskursiven Implikationen, die auch dem Konzept des
homo oeconomicus zu eigen sind. Gemeinhin verstanden als „dogmengeschichtliche Denkfigur“140 der „Nationalökonomie und der Staatswissenschaften“141 und durchaus umstrittenes „Modell allgemeiner
Handlungstheorie, Philosophie und Soziologie“142, das spätestens seit
Bernd Blaschkes grundlegender Studie (2004) zum Schlüsselkonzept
einer interdisziplinären Literatur- und Kulturwissenschaft avanciert
ist, bildet dieses Modell ein Spektrum vom wirtschaftenden Menschen
ab, das vom „Idealtypus eines Entscheidungsträgers“143 bis zum „eigennützig und prinzipiell ungesättigt nach Nutzenmaximierung strebenden Prototyp“144 reicht und damit die Handlungsspielräume des
wirtschaftenden Menschen zwischen gesellschaftlichem Nutzen und
Eigeninteresse veranschaulicht. Der homo oeconomicus als „polarer Idealtypus“145 erweist sich Blaschke zufolge deshalb als ein „produktives
heuristisches Mittel“146 literaturwissenschaftlicher Analysen, weil er
selbst eine Fiktion darstellt. Im gleichen Maße wie dieses Konzept allerdings die „theoretische Gelenkstelle zwischen den abstrakten Wertbegriffen, [...] ökonomischen Gesetzen und ihrer Übersetzung (oder
139
Schomacher, Esther (2021): Schrift und Geld um 1900. Italo Svevos Medien. Paderborn: Brill Fink, p. 248.
140
Wunderlich (2007: 11).
141
Wunderlich (2007: 11).
142
Blaschke (2004: 17).
143
Wunderlich (1989: 9).
144
Wunderlich (1989: 9).
145
Blaschke (2004: 20).
146
Blaschke (2004: 20).
224 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
auch ihrem Ausdruck) in ökonomischen Handlungen“147 bildet, zeugt
es Schomacher zufolge von den „Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten“148 der darin zum Ausdruck kommenden Wertebegriffe.
Zum Zeitpunkt der Entstehung des Narrativs vom homo oeconomicus
und seiner ‚Erfindung‘ durch Ökonomen wie Adam Smith, Jeremy
Bentham und John Stuart Mill149 verleiht diese Fiktion einer Gouvernementalität Ausdruck, die die Verhaltensmuster einer patriarchalischmännlichen und weißen europäischen Identität, inkarniert in der Figur des bürgerlichen Familienvaters, als Norm setzt und alle Subjekte
dieser Norm unterwirft.150 Eben diese ebenso andro- wie eurozentrische Codierung des homo oeconomicus hat Friederike Habermann in
ihrer Dissertation einer kritischen Betrachtung unterzogen.151 Ihre Diagnose lautet, dass von den ‚klassischen Ökonomen‘ einzig der durch
das Denken Benthams stark beeinflusste Mill Frauen in sein Konzept
des arbeitenden Menschen einschließt und damit die Ausweitung „des
universalistischen Diskurses auf Frauen“152 vorwegnimmt.
147
Schomacher (2021: 250).
Schomacher (2021: 250).
149
Vgl. Habermann (2008: 132). Sie bezeichnet Smith als „geistige[n] Vater der liberalen Ökonomie“, der die „entscheidende Grundlage für die Entstehung des homo
oeconomicus“ gelegt habe. Bentham betrachtet sie als von Smith beeinflusst. „Zumeist
jedoch“, betont Habermann, „wird John Stuart Mill die Urheberschaft des homo oeconomicus zugesprochen, entweder direkt [...] oder mit Verweis auf Smith und den Utilitarismus Benthams“.
150
Vgl. Habermann (2008: Klappentext).
151
Zur wirtschaftsheoretischen Kritik an dem Konzept des homo oeconomicus vgl.
Schomacher (2021: 250), Fußnote 151, wo sie u.a. auf Veblen, Thorstein (1918): The
Theory of the Leisure Class. An Economic Study of Institutions. New York: B.W. Huebsch
sowie Anderson, Benjamin M. (1917): The Value of Money. New York u. a.: Macmillan
verweist. Als von der nachfolgenden Wirtschaftstheorie kritisierte Crux der klassischen Modelle des homo oeconomicus beschreibt Schomacher (2021: 252) die Annahme,
dass „alle Handelnden in der gleichen Situation in gleicher Weise nutzenmaximierend
agieren und deshalb in der gleichen Situation auch identische Wünsche und Bedürfnisse haben“, was zur (falschen) Vorstellung eines für alle Menschen gleichen Warenwerts führe. Ökonomische Akteure würden damit als „physikalische Größen“ statt als
Individuen betrachtet. Schomacher (2021: 253). Für eine ausführliche Darstellung von
Veblens Position vgl. Schomacher (2021: 272-278).
152
Vgl. Habermann (2008: 159). Mill selbst spricht noch nicht vom homo oeconomicus, leistet aber ebenso wie Smith einen Beitrag zur Fundierung des auf seinen Vorteil
bedachten Typus des wirtschaftenden Menschen.
148
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
225
Bis weit in das 21. Jahrhundert hinein handelt es sich bei der Mehrzahl der homines oeconomici, wie sie nicht nur die Ökonomie als wissenschaftliche Disziplin, sondern seit den 1990er Jahren auch eine kulturwissenschaftlich fundierte Literaturwissenschaft in fiktionalen Texten
seit der Frühen Neuzeit ausgemacht hat, nahezu ausschließlich um
Männer,153 die in Gestalt von Kaufleuten, Händlern, Unternehmern
und Handwerkern, aber auch als Schelme, Räuber, Banditen154 und
Taugenichtse155 auftreten.156 Weibliche Figuren übernehmen in literarischen Texten, so scheint es, vor allem die Funktion, als Unterpfand
im Rahmen eines von Männern verhandelten Tauschgeschäfts zu
fungieren.157 Sie erscheinen in der Literatur, aber auch in den meisten
153
So zum Beispiel in: Schuhen, Gregor (2017): Vir inversus. Männlichkeiten im spanischen Schelmenroman. Bielefeld: transcript; Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph
(eds.) (2017). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer; Cavillac, Michel (1983): Gueux et marchands dans le Guzmán
de Alfarache (1599-1604). Roman picaresque et mentalité bourgeoise dans l’Espagne du Siècle
d’Or. Bordeaux: Institut d’Études ibériques et ibéro-américaines de l’Université de Bordeaux. Die spanische Übersetzung ist 1994 unter dem Titel Pícaros y mercaderes en el
Guzmán de Alfarache. Reformismo burgués y mentalidad aristocrática en la España del Siglo
de Oro erschienen. In dem von Urs Urban und der Verfasserin herausgegebenen Band
zu Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien widmet sich allein Christian
von Tschilschke mit seiner Untersuchung über die Figur der Doña Guiomar aus María
Rosa Gálvez La familia a la moda der femina oeconomica als wirtschaftlicher Protagonistin.
154
Wie Jehle (2010: 158) bemerkt, kann literarisch betrachtet die Stunde der Verbrecher, Räuber, Geächteten und Narren erst dann wieder schlagen, wenn die bürgerliche
Ordnung etabliert und damit selbstverständlich geworden ist.
155
Die Figur des Taugenichts untersucht Bauer (2016: 263ff.) für die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.
156
Zum pícaro als homo oeconomicus vgl. Cavillac (1994); Urban, Urs (2014): „Tausch
und Täuschung. Performative Kompetenz als Grundlage ökonomisch erfolgreichen
Handelns im spanischen Picaro-Roman“. In: idem/Schuchardt, Beatrice (eds.). Handel,
Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in der Frühen Neuzeit in Spanien. Bielefeld:
transcript, pp. 195-216; idem: (2018): Die Ökonomie der Literatur. Berlin: Aisthesis, pp.
37-49 sowie Urbans 2022 abgeschlossene Habilitationsschrift Konflikt und Vermittlung.
Die Ökonomie des Romans in der Frühen Neuzeit (Spanien und Frankreich). Vgl. außerdem
Schuhen (2017) sowie Zeisberg, Simon (2019): Das Handeln des Anderen. Pikarischer Roman und Ökonomie im 17. Jahrhundert. Berlin et al.: De Gruyter.
157
Diese ökonomische Funktion von Frauenfiguren als Ware und Objekt eines
Geschäfts konstatiert Susanne Schlünder für die sainetes Ramón de la Cruz‘. Vgl.
Schlünder, Susanne (2018b): „Figuren spanischer Affektökonomien im 18. Jahrhundert: Petrarkistische Galanterie und sentimentalismo ilustrado“. In: eadem/Stahl, Andrea
(eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn:
226 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
literaturwissenschaftlichen Studien über Literatur und Ökonomie, als
Randgestalten und nur selten in der Rolle eines autark und kompetent handelnden Subjekts, wie es der homo oeconomicus repräsentiert.
Umso häufiger sind sie Objekte männlicher Begierden. Dies gilt insbesondere für die traditionsreiche Gattung der Komödie und das ihre
Handlung motivierende Geschäft des ‚Ehehandels‘.158 Ökonomische
Akteurinnen, die den aktiven Status eines seine eigenen Interessen verfolgenden homo oeconomicus einnehmen, scheinen eher die Ausnahme
als die Regel zu sein159 und finden sich, wie Franziska Schößler in ihrer
Auseinandersetzung mit literarischen Darstellungen wirtschaftender
Frauen in der französischen, englischen und deutschen Literatur von
der Aufklärung bis in die Gegenwart hinein gezeigt hat, beispielsweise
in Deutschland erst im anbrechenden 21. Jahrhundert.160
Die Kritik an der ausschließlich männlichen Kodierung des homo
oeconomicus ist kein Novum.161 Donald McCloskey ist der erste, der
Fink, pp. 321- 343, hier p. 335. Schlünder zufolge affirmiert gerade der sainete „bestehende Eigentumsverhältnisse – zeitgenössisch wird die Gattin als Besitz betrachtet,
dessen Nießbrauch beim Ehemann liegt [...].“ Zur Frau als Tauschobjekt männlicher
Transaktionen vgl. auch Heße (2008: 73). Heße argumentiert mit Bourdieu, Männlichkeit zeichne sich im 18. Jahrhundert in Spanien durch das „Streben nach der Akkumulation symbolischen Kapitals“ aus; Frauen fungierten „in dieser Ökonomie des symbolischen Kapitals lediglich als Tauschobjekte, um zur Reproduktion des symbolischen
Kapitals der Männer beizutragen“.
158
Vgl. Fulda (2005: 25).
159
Ein frühes Beispiel aus dem italienischen Theater des 18. Jahrhunderts hat Schomacher untersucht. Vgl. Schomacher, Esther (2022): „Work It, Baby! Economics and
Emotions on the Marriage Market in Goldoni’s La Locandiera and Trilogia della villeggiatura“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs,
Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp. 207-225.
160
Vgl. Schößler, Franziska (2017): Femina oeconomica. Arbeit, Konsum und Geschlecht
in der Literatur von Goethe bis Händler. Frankfurt/Main: Lang, pp. 263ff. Schößler (2017:
285) betont, dass die wenigen deutschsprachigen Romane, die die Unternehmerin
in Szene setzten und herkömmliche Geschlechterrollen, nämlich „die Kopplung von
Weiblichkeit und Empathie bzw. Sozialem, dadurch in Frage“ stellten, erst zu Beginn
des 21. Jahrhunderts zu finden seien.
161
Vgl. Habermann (2008: 15), die unter anderem McCloskey, Donald (1993):
„Some Consequences of a Conjective Economics”. In: Ferber, Marianne A./Nelson,
Julie (eds.). Beyond Economic Man. Feminist Theory and Economics. Chicago: The University of Chicago Press, pp. 67-93 als einen der vehementesten Kritiker auf Seiten
der WirtschaftswissenschaftlerInnen anführt. Des weiteren nennt Habermann (2008:
131) die Untersuchungen von Bergmann, Barbara: The Economic Emergence of Women.
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
227
schon 1993 darauf hinweist, das der seit der klassischen Ökonomie
gemeinhin als Mann imaginierte homo oeconomicus den ‚ökonomischen
Menschen‘ meint: „homo oeconomicus literally means ‚economic
human’, not ‚economic man’.”162 Ein über die reine Kritik hinausgehender, produktiver konzeptueller Wandel eines Diskurses, der vom
‚wirtschaftenden Menschen‘ spricht, aber den ‚wirtschaftenden Mann‘
meint, vollzieht sich erst in jüngerer Zeit.163 Bezeichnend ist in diesem
Zusammenhang zum einen die Konjunktur, die das Konzept der femina oeconomica in den USA seit den 1990er Jahren und in Deutschland
mit Beginn des neuen Millenniums erlebt.164 Die Forschungen zur Thematik im deutschsprachigen Raum verdanken sich in erster Linie Friederike Habermann und Franziska Schößler.165 Für den anglo-amerikanischen Bereich haben Deirdre (bzw. Donald) McCloskey, Marianne
New York: Basic Book (1986); Folbre, Nancy/Hartmann, Heidi (1988): „The Rhetoric
of Self-Interest: Ideology of Gender in Economic Theory“. In: Klamer, Arjo/McCloskey, Donald/Solow, Robert M. (eds.). The Consequences of Economic Rhetoric. Cambridge:
Cambridge University Press; Ferber, Marianne A./Nelson, Julie A. (eds.) (1994): Beyond
Economic Man. Feminist Theory and Economics. Chicago: The University of Chicago Press
und eaedem (eds.) (2003): Feminist Economics Today: Beyond Economic Man. Chicago:
The University of Chicago Press.
162
Vgl. McCloskey (1993: 79, Fußnote 4). Auf diesen Umstand verweist McCloskey
im Kontext seines Konzepts der „konjektiven Ökonomik“ („conjective economics“),
der es nicht darum gehe, die Unterschiede männlichen und weiblichen ökonomischen
Wissens zu betonen, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Vgl. McCloskey (1993: 76): „It is
neither the circle nor the square, neither objective nor subjective. It is what we know
together, by virtue of a common life and language. It is what economists know about
the definition of the money supply or the prevalence of marginal cost pricing. It is what
men and women know together in their conversations, together or apart.“
163
Dennoch werden die geschlechts- und rassenspezifischen Ausschlussmechanismen des Begriffs des homo oeconomicus auch in einem der jüngeren Handbücher für
Literatur und Ökonomie unter dem entsprechenden Eintrag nicht thematisiert. Die
femina oeconomica kommt gar nicht erst vor. Vgl. Maschewski, Felix (2019): „Homo oeconomicus“. In: Vogl, Joseph/Wolf, Burkhardt (eds.). Handbuch Literatur & Ökonomie.
Berlin: De Gruyter, pp. 160-163. Das mag dadurch begründet sein, dass die ökonomische Theorie den Typus des ‚wirtschaftenden Menschen‘ eher als heuristische Kategorie denn als verkörpertes Geschlecht konzipiert. Paradoxerweise dominiert dennoch
– wie eben auch McCloskey (1993: 79, Fußnote 4) gezeigt hat (s.o.) – die Wahrnehmung
dieser Gestalt als männlich.
164
Vgl. Schößler (2017).
165
Erhellende Einsichten liefert auch der Sammelband von Lemke, Meike/Ruhe,
Cornelia/Woelki, Marion/Ziegler, Béatrice (eds.) (2006): Genus Oeconomicum. Ökonomie
– Macht – Geschlechterverhältnisse. Konstanz: UVK.
228 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
A. Ferber und Julie Nelson die notwendigen Impulse gegeben.166 Bezeichnend ist zum anderen aber auch, dass das Konzept der ökonomischen Frau (femina oeconomica) als weibliches Pendant zum homo
oeconomicus gehandelt worden ist, ohne dass das Konzept des „ökonomischen Menschen“ dahingehend hinterfragt worden wäre, ob es sich
im Falle dieses Menschen nicht eher um einen „ökonomischen Mann“
handelt. Dabei impliziert allein schon das Begriffspaar ‚homo oeconomicus – femina oeconomica‘, dass das Konzept des ‚wirtschaftenden Menschen‘ (verstanden als Mann) Frauen die Fähigkeit zu ökonomisch rationalem Handeln abspricht.167 Der Terminus ist also seit seiner noch
„ungetauften“ Einführung im Kontext des Begriffs des Selbstinteresses
166
So steht dem weiten Feld der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen
zum Begriff des homo oeconomicus eine einzige, organisationsökonomisch ausgerichtete
Studie zur femina oeconomica gegenüber. Vgl. Fabel, Oliver (ed.) (2002): Femina oeconomica. München: Hampp. In Form von Monographien, die den Begriff des homo oeconomicus kritisch hinterfragen und etwa um Begriffe wie den der femina oeconomica oder den
des Queeren erweitern, liegen neben der Kritik von McCloskey die schon genannten
Studien von Habermann (2008) und Schößler (2017) vor. Entsprechend bemerkt Habermann (2008: 130f.): „[...] die [neoklassische] Wirtschaftstheorie blendet Geschlecht,
Ethnie etc. als strukturelle Tatsachen nicht nur aus und setzt implizit den Idealtypus
des weißen Mannes mit dem [...] homo oeconomicus gleich, sondern nimmt diesen als
Ausgangspunkt und Grundlage aller Überlegungen.“ Dem weiten Feld weiblichen
Konsums hingegen widmen sich zahlreiche Studien aus den Bereichen der Wirtschafts- und Sozial-, aber auch der Literatur- und Kulturwissenschaften. Um nur einige ausgewählte zu nennen, vgl. etwa Walker, Susannah (2007): Style & Status: Selling
Beauty to African American Women, 1920-1975. Lexington: University Press of Kentucky;
Brown, Mary/Orsborn, Carol (2006): Boom: Marketing to the Ultimate Power Consumer
- The Baby Boomer Woman. New York: AMACOM; Heilmann, Ann (ed.) (2004): New
Woman Hybridities: Femininity, Feminism, and International Consumer Culture, 1880-1930.
London: Routledge; Bartos, Rena (1991): Die Rolle der Frau als Konsumentin: spezielle
Marketingtrends. Wien: Ueberreuter; Maccall, Suzanne Hefner (1974): An Investigation of
the Differential in Consumer Behavior of the Working Woman as Opposed to the Non-Working
Woman and the Resulting Impact on the Performance of Marketing Functions and Institutions.
Dissertation North Texas State University. Mikrofiche. Auch für das spanische 18. Jahrhundert liegen – insbesondere in Verbindung mit dem Konzept der petimetra – zunehmend Studien zum weiblichen Konsumverhalten vor. Vgl. dazu die Kapitel zum Haus
als Raum bürgerlicher Innerlichkeit (Kap. 5.3) und zur petimetra (Kap 8.f.).
167
Der Grund für diesen Zweifel an der ökonomischen Kompetenz des weiblichen
Geschlechts hat Habermann (2008: 15) zufolge ebenfalls Smith gelegt, wenn er „implizit davon ausging, dass [...] Frauen nicht zu rationalen Entscheidungen fähig seien“.
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
229
nach Adam Smith168 und seiner nachträglichen „Taufe“ durch Vilfredo
Pareto169 und Maffeo Pantaleoni170 ein exklusiver Begriff, dessen „wissenschaftshistorische Verortung“ einerseits „nahezu unbekannt“171
ist, der andererseits aber geschlechtliche Ausgrenzungen beinhaltet,
die sich über ein Jahrhundert lang hartnäckig hielten und nicht hinterfragt wurden.172 Bezeichnend ist auch, dass zum Begriff der femina
168
Wunderlich (2007: 13). Er (2007: 12) bezeichnet Adam Smith „[vor] allem wegen
der Kapitel über die zentrale ökonomische Rolle des Eigeninteresses“ in The Wealth of
Nations (1776) als „publizistische Hebamme des Homo oeconomicus“.
169
Habermann (2008: 133) mit Verweis auf Vilfredo Paretos Manuale di economia
politica (1903). Diese Arbeit bezieht sich im Folgenden auf die von Schomacher (2021:
248) zitierte Ausgabe von 1919 (s.u.). Wunderlich (2007: 12f.) zufolge war es Eduard
Spranger, „der diesem Wirtschaftsakteur seinen Namen gab“. Der Sozialphilosoph
„gebrauchte die Bezeichnung in seinem Buch Lebensformen (1914) für den Grundtypus
des nach rein wirtschaftlichen Kriterien handelnden Menschen – und trug damit entscheidend zur Popularisierung des Begriffs gerade in Verbindung mit dem smithschen
Konzept [des Selbstinteresses] bei.“ Da Paretos Publikation einige Jahre vor Sprangers
erschien, darf vermutet werden, dass Spranger diesen Begriff seinerseits von Pareto
übernommen hat. Neben Pareto führt Habermann (2008: 163) auch Joseph Schumpeters Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie (1908) als „einen
der ersten“ Bände an, der „den Begriff des homo oeconomicus“ enthält. Im ersten Band
seiner Geschichte der ökonomischen Analyse identifiziert Schumpeter (2007: 213) Bartolomeo Frigerios (1585-1636) Ratgeber zur Haushaltsführung, L’Economo prudente (1629),
und seinen Begriff des economo als „ein[en] allgemeinverständlich ausgedrückte[n]
Vorläufer des Begriffes des homo oeconomicus“. Aus Gendergesichtspunkten interessant
ist, dass Frigeros Werk ein Kapitel zur Haushaltsführung durch die Ehefrau (governo)
enthält, ein Aspekt, den Smith ausspart. Vgl. Folbre (2009: 59): „Smith marveled at the
efficiency of specialization in the factory but never in the household. Despite his great
attention to the variety of occupations which men pursued in agriculture as well as
in manufacturing, he seldom mentioned women’s work either in the market or in the
home.“
170
Vgl. Schomacher (2021: 248) mit Verweis auf Pantaleoni, Maffeo (1889): Principii
di Economia Pura. Firenze: G. Barbèra, pp. 30f. und Pareto, Vilfredo (1919): Manuale di
economia politica con una introduzione alla scienza sociale. Milano: Società editrice Libraria,
pp. 14ff. Zur Begriffsgeschichte verweist Schomacher auf Persky, Joseph (1995): „Retrospectives. The Ethology of Homo Economicus“. In: The Journal of Economic Perspectives,
9, 2, pp. 221-231 und O’Boyle, Edward (2009): „The Origins of Homo Economicus. A
Note“. In: Storia del Pensiero Economico, 6, 1, pp. 195-204. Wie Schomacher (2021: 248f.)
anmerkt, führt O’Boyle den Begriff auf die deutsche nationalökonomische Tradition
zurück.
171
Schomacher (2021: 248).
172
Vgl. auch Folbre (2009: 59). So habe bereits Smith vergessen zu erwähnen, dass
von den durch ihn erwähnten ökonomischen Akteuren, deren Handeln durch ihr
230 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
oeconomica sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Literatur- und
Kulturwissenschaften noch vergleichsweise wenige Untersuchungen
vorliegen, während zum Themenfeld der ‚Konsumentin‘ zahlreiche,
auch genderkritische Studien existieren. Dies deckt sich mit der von
Schößler in literarischen Texten seit dem 19. Jahrhundert beobachteten
„Verknüpfung von Weiblichkeit und Konsum“.173 Aus traditioneller
Warte betrachtet, erscheint die wirtschaftende Frau weniger als eine
wirtschaftliche ‚Macherin‘ und aktive Akteurin, denn als eine passiv
Rezipierende, die überdies zur Verschwendung neigt. Dieses Bild fußt
auf einer über Jahrhunderte tradierten Darstellung des weiblichen Geschlechts, die Irene Bandhauer-Schöffmann bestätigt174 und darauf zurückführt, dass das „Bild der verführbaren Eva in einer säkularisierten
Form in die Ökonomie“175 hineinspielt.
Blaschkes wegweisende komparatistische Untersuchung über den
„literarischen Kredit“ des homo oeconomicus leistet eine begriffshistorische Aufarbeitung des Konzepts des ökonomischen Menschen, dessen
unterschiedliche Verwendung in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen kritisch reflektiert wird. Bisherige Analysen und theoretische
Modelle zum komplexen Themenfeld von Literatur und Ökonomie
werden dort prägnant zusammengefasst. Damit stellt Blaschke das
Konzept des homo oeconomicus nicht nur für nachfolgende literaturund kulturwissenschaftliche Studien bereit, sondern begründet in
den Philologien des deutschsprachigen Raums zugleich einen economic turn, im Zuge dessen sich eine kontinuierlich steigende Anzahl
literatur- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen mit dem
Zusammenhang von Literatur und Ökonomie auseinandergesetzt
hat.176 Blaschke gibt in den einführenden Kapiteln seiner Analyse an,
Selbstinteresse bestimmt sei – dem Metzger, dem Brauer und dem Bäcker – „none [...]
actually puts dinner on the table, ignoring cooks, maids, wives, and mothers in one fell
swoop“.
173
Vgl. Schößler (2017: 283).
174
Bandhauer-Schöffmann, Irene (2006): „Unternehmerisches Handeln als Projektionsfeld moderner Männlichkeit. Eine Analyse des Schrifttums zum Unternehmer
seit dem 18. Jahrhundert“. In: Lemke, Meike/Ruhe, Cornelia/Woelki, Marion/Ziegler,
Béatrice (eds.) (2006): Genus Oeconomicum. Ökonomie – Macht – Geschlechterverhältnisse.
Konstanz: UVK, pp. 63-76, hier p. 66.
175
Bandhauer-Schöffmann (2006: 66).
176
Dirk Hempel und Christine Künzel beobachten ein deutliches Ungleichgewicht
zwischen einer „Beschäftigung mit dem Verhältnis von Literatur und Wirtschaft“, die
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
231
neben der Inszenierung der homines oeconomici gelte auch „den feminae oeconomicae“ seine Aufmerksamkeit.177 Auch hier bleibt die Frage nach den machtdiskursiven Implikationen dieses Begriffs, der sich
auf männliche Akteure beschränkt, allerdings unbehandelt. In diesem
Sinne spricht auch Christian von Tschilschke von der nur „vordergründig geschlechtsneutrale[n] Definition“ des homo oeconomicus bei
Blaschke.178 Was in Blaschkes Untersuchung fehlt, der ansonsten stets
an der präzisen Definition theoretischer Konzepte gelegen ist, ist eine
Klärung des Begriffs der femina oeconomica. Stattdessen wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass es sich bei ihr lediglich um das weibliche
Analogon des homo oeconomicus handelt.179 Die Frage, wie die femina
oeconomica begrifflich zu spezifizieren sei, ob es einen Grundtypus
weiblichen Wirtschaftens überhaupt geben kann, inwiefern dieser
epochen- und gattungsspezifisch ist, und welche diskursiven Vorannahmen der Begriff seinerseits mit sich bringt, bleibt offen.
Dass Frauenfiguren, etwa die von Blaschke untersuchte Molly
aus James Joyces Ulysses oder die der Clarisse aus Robert Musils
Der Mann ohne Eigenschaften,180 in geringerer Anzahl in literaturwissenschaftlichen Analysen über den wirtschaftenden Menschen auftauchen als Männer, ist in erster Linie ihrer geringeren Frequenz im
in den deutschsprachigen Philologien erst seit „wenigen Jahren“ erfolge, und den Forschungen in angelsächsischen Ländern, wo seit „Ende der 1960er Jahre“ ein „sich noch
immer weiter ausdifferenzierendes Forschungsgebiet“ existiere, das „neben übergreifenden Fragestellungen zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Autoren, Epochen,
Ländern, Gattungen, Genres, Motiven“ biete. Hempel, Dirk/Künzel, Christine (2009):
„Einleitung“. In: iidem (eds.). „Denn wovon lebt der Mensch?“ Literatur und Wirtschaft.
Frankfurt/Main: Lang, pp. 9-18, hier p. 9.
177
Blaschke (2004: 24).
178
Tschilschke (2014: 286).
179
Vgl. Fabel (2002); Rommel (2006); von Tschilschke (2014), Volkmann (2017;
2003). Auch Franziska Schößler definiert den Begriff der femina oeconomica nicht explizit, was allerdings daran liegt, dass es ihr darum geht, den Facettenreichtum dieses
literarischen Typus in seinen Erscheinungsformen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert
aufzuschlüsseln. Dabei unterscheidet sie die (sexuell, sozial, emotional, ästhetisch,
schöpferisch, zuhause) arbeitende, die konsumierende und die unternehmerisch tätige
Frau als historisch wandelbare Varianten der femina oeconomica.
180
Zu den genannten weiblichen wirtschaftlichen Akteuren sowie zum Topos der
Prostitution vgl. Blaschke (2004: 196ff.; 328ff.; 366).
232 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
literaturgeschichtlichen Kanon geschuldet,181 wie auch diese Studie
zeigen wird. Betrachtet man die europäische Literaturgeschichte
vom Mittelalter bis heute, ist die vergleichsweise kleine Anzahl bisher durch die Literaturgeschichtsschreibung entdeckter Autorinnen,
denen eine Masse männlicher Autoren gegenübersteht, ein Umstand,
der die Wahrnehmung der literarischen Repräsentation wirtschaftender Frauen erschwert. Auch David T. Gies konstatiert in Bezug auf die
wenigen spanischen Dramatikerinnen, deren Stücke überhaupt literaturhistorisch erfasst worden sind: „The history of women in Spanish
theatre is as much a history of absence as it is of presence, and the absence can speak very eloquently.”182
In Vorläuferstudien zu Blaschkes Analyse des literarischen homo
oeconomicus, etwa bei Werner Wunderlich, ist von einer „Feminia [sic]
oeconomica“ zwar die Rede, diese beschränkt sich aber auf die rhetorische Figur der Allegorie und ihr Genus, während ihre Weiblichkeit
keine vertiefende Betrachtung erfährt.183 Die in diesem Zusammenhang von Wunderlich erwähnte Matrone, als die die Economia in der
Iconologia (1603) von Cesare Ripa bildlich dargestellt wird, betrachtet
Wunderlich als erfahrene Lenkerin des Haushaltes.184 Eine theoretische Reflektion des Konzepts der femina oeconomica oder der männlichen Kodierung des homo oeconomicus erfolgt nicht.
Das Fehlen von wissenschaftlichen Studien nicht nur über die literarische Darstellung der femina oeconomica, sondern auch von solchen, die
zur Klärung des Begriffs selbst beitragen könnten, kann als ein langjähriger blinder Fleck angesehen werden, der sich ebenso in den Literaturund Kulturwissenschaften wie in den Wirtschaftswissenschaften hartnäckig hält, inzwischen aber zunehmend sichtbar gemacht wird. Auch
181
Holger Rust (2013) bestätigt in dem von ihm präsentierten Panorama von den
Unternehmer fokussierenden Beispielen aus der Weltliteratur Und die Moral von der
Geschicht... Fabrikanten, Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung. München: Redline, p. 243: „Bislang war es eine Geschichte der Männer.“
182
Gies, David T. (1994): The Theatre in Nineteenth Century Spain. Cambridge: Cambridge University Press, p. 230.
183
Vgl. Wunderlich (1989: 10f.). In seiner nachfolgend veröffentlichten Monographie über den homo oeconomicus widmet sich Wunderlich ebenfalls dem ‚ökonomischen
Mann‘. Vom Konzept einer femina oeconomica ist nicht die Rede, wohl aber vom Milchmädchen und deren bekanntlich ‚falscher‘ Rechnung. Vgl. Wunderlich (2007: 55ff.).
184
Zur wirtschaftenden Frau im 15. Jahrhundert vgl. auch Alberti, Leon Battista
(1906): Della famiglia, ed. Carlo Capasso. Milano: Società Ed. Sonzogno.
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
233
die vorliegende Studie möchte dazu beitragen. Aus der spektralen und
selten auftretenden Gestalt einer dem homo oeconomicus wie selbstverständlich als weibliche Entsprechung an die Seite gestellten femina
oeconomica ist ein Forschungsgegenstand geworden, dem immer größere Aufmerksamkeit zuteilwird.185 Entsprechend ist auch das Interesse der Literaturwissenschaften gewachsen, in den Archiven Texte
von AutorInnen auszumachen, die wirtschaftende Frauen und etwaige
Spezifika einer ‚weiblichen Ökonomie‘ thematisieren.186
Dass neben Frauen auch andere Subjekte, etwa Farbige und/oder
Queere, vom historischen Verständnis des homo oeconomicus ausgeschlossen sind, leitet Habermann in ihrer Dissertation aus dem patriarchalen Selbstverständnis (übrigens nicht nur) der anglophonen Aufklärungsbewegung und ihren Vertretern Adam Smith, John Stuart Mill
und Jeremy Bentham ab. Deren patriarchale Vorannahmen bezüglich
der Unterlegenheit des Weiblichen werden zunächst kritisch hinterfragt, bevor Habermann den exklusiven Begriff des wirtschaftenden
Mannes um sein Anderes erweitert. Dass das Konzept des ‚Anderen‘
selbst nicht unproblematisch ist und seinerseits Essenzialismen und
Hierarchien produziert, nämlich genau dann, wenn man dieses Andere in Umkehr der bestehenden Hierarchien auf einen Sockel stellt,
erkennt auch Habermann. Daher plädiert sie für ein poststrukturalistisches Verständnis des Anderen „als ‚Supplement‘“, als eine Identität,
die eben keine essenzialistische ist,
sondern eine durch die hegemonialen Bedingungen geformte. Damit ist
das Andere nicht automatisch gut. Es ist entnannt, es wird systematisch
nicht gesehen und nicht gehört, es ist marginalisiert, tendenziell subaltern,
und wird von Personalchefs bis heute nicht gerne eingestellt.187
185
Vgl. etwa die von Schößler (2017: 14ff.) angeführten Studien von Michalitsch,
Gabriele (2000): „Jenseits des homo oeconomicus? Geschlechtergrenzen der neoklassischen Ökonomik“. In: Krondorfer, Birge/Mostböck, Carina (eds.). Frauen und Ökonomie,
oder: Geld essen Kritik auf. Kritische Versuche feministischer Zumutungen. Wien: Promedia,
pp. 91-104; Perkins Gilman, Charlotte (2005): Frauen und Arbeit, trans. Petra AltschuhRiederer. Aachen: Ein-Fach-Verlag; Süssenbach, Christina (1999): Frauen in der Ökonomie. Kiel: Institut für Weltwirtschaft.
186
Vgl. beispielsweise für die Hispanistik neben der bereits erwähnten Studie von
Gies (1994) den Aufsatz von Fuentes (2014), in dem sie weibliche Figuren aus der Feder
von Dramatikerinnen wie María Cabañas untersucht.
187
Habermann (2008: 18).
234 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Schomacher hingegen relativiert die Bedeutung des Konzepts des
homo oeconomicus für neo-klassische Ökonomen wie Mill im Zuge ihrer Betrachtung des theoriegeschichtlichen Kontextes und betont, dass
der Begriff zum einen gar nicht für sich in Anspruch nehme, das gesamte Wirtschaftsverhalten des Menschen umfassend zu beschreiben.
Zum anderen verweist sie darauf, dass insbesondere die „englische
[....] Formel ‚economic man‘ in der zeitgenössischen Debatte nahezu
ausschließlich ironisch und pejorativ“188 verwendet werde.
Was das spanische Theater des 18. Jahrhunderts anbelangt, bestätigt sich für die femina oeconomica teils, aber nicht gänzlich das,
was Habermann in Bezug auf die Genealogie des homo oeconomicus
seit Smith, Bentham und Mill beobachtet: Dort treten exklusiv weiße
bürgerliche Subjekte auf, von denen nur die Minderzahl der autark
und kompetent wirtschaftenden Figuren weiblich ist. Dass feminae
oeconomicae im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle spielen, zeigt sich auch daran, dass sie mehrheitlich in
Nebenrollen auftreten. Es bleibt im Zuge der nachfolgenden Analysen
zu klären, ob ihre wirtschaftliche Vorbildlichkeit in den seltenen Momenten, in denen sie in tragender Rolle agieren, im Kern rhetorisch
bleibt und dazu dient, ein bestimmtes menschliches Fehlverhalten zu
skandalisieren,189 oder ob diese Figuren im Gegenteil eine spezifische
Form weiblichen Wirtschaftens an den Tag legen, das sich durch den
gekonnten Umgang mit Finanzen und Ressourcen auszeichnet. Steht
also der Einsatz der Geschlechterrollen innerhalb eines unverändert
androzentrischen Rahmens letztlich im Dienste der rhetorischen Dramatisierung eines geschlechtlich unmarkierten moralischen Fehlverhaltens? Oder figurieren weibliche Charaktere vereinzelt tatsächlich
als Repräsentantinnen einer geschlechtlich kodierten, genuin weiblichen Form des Wirtschaftens? Treten sie in erster Linie als auf den
oikos beschränkte Haushälterinnen auf? Oder agieren sie auch außerhalb des Hauses als wirtschaftende und/oder körperlich arbeitende
Akteurinnen?
Betrachtet man die Vielzahl der Theaterproduktionen des spanischen 18. Jahrhunderts, bleibt jedenfalls die geringe Anzahl wirtschaftender, handwerklich oder im Ackerbau tätiger Frauenfiguren
zu verzeichnen. Diese Minderheit steht einer großen Mehrheit von
188
189
Schomacher (2021: 249).
Vgl. hierzu die Analyse von Tschilschke (2014: 286).
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
235
Frauenfiguren gegenüber, die nicht umsichtig haushalten, fleißig
arbeiten oder erfolgreich Geschäfte betreiben, sondern im Gegenteil
durch exzessive Verschwendung auffallen. Dies verdeutlicht, inwiefern die theatrale Inszenierung wirtschaftender Frauen und Männer
Geschlechterbilder produziert, die ihrerseits Projektionen von Idealvorstellungen sind, aber auch Ängsten, Heimsuchungen und Unterlegenheitsgefühlen Ausdruck verleihen. Den männlichen Stellvertreterfiguren eines guten Wirtschaftens, die sich durch ein Personal von
im Gegensatz dazu nicht immer idealtypisch konzipierten Vertretern
des Handwerks ergänzt sehen, werden in diesem ‚Wirtschaftstheater‘
allerdings nicht nur vorbildlich agierende PartnerInnen an die Seite
gestellt. Auch die männlichen und weiblichen Negativfolien, die RepräsentantInnen schlechten Wirtschaftens haben einen Platz in den
Wirtschaftskomödien der spanischen Spätaufklärung. Dabei handelt
es sich um männliche und weibliche VerschwenderInnen, deren prominenteste Vertreter der petimetre und die petimetra sind. Insbesondere
die Mehrzahl der petimetras gegenüber der Minderzahl an petimetres
im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts ist ein Anzeichen für den
Argwohn, der der Frau als ökonomischer Akteurin entgegengebracht
wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Konsumentin auftritt
(vgl. Kap. 9.2f.).
Angesichts der von Habermann nachgewiesenen Verengung des
Konzeptes des homo oeconomicus auf den Mann, die durch britische
Ökonomen des 18. Jahrhunderts begründet wurde und die sich in
jüngeren Forschungen190 fortsetzt, vermag auch die Dominanz männlicher Wirtschaftsakteure in den ökonomischen Traktaten und literarischen Erzeugnissen der französischen und spanischen Aufklärung
nicht zu erstaunen. Gleiches gilt für das spanische Theater des 18.
Jahrhunderts. Bei der Mehrzahl der dort in tragenden Rollen agierenden wirtschaftenden Figuren handelt es sich um Männer im heiratsfähigen, zum Teil fortgeschrittenen Alter aus dem Adel und gehobenem Bürgertum, die als modellhafte Figuren das ‚gute Wirtschaften‘
personifizieren.
Wenn in den Analysen dieser Studie vom vir oeconomicus die Rede ist,
ist damit ein für das spanische Wirtschaftstheater der Spätaufklärung
190
Gregor Schuhen (2017: 247ff.) spricht in seiner Studie über vormoderne Männlichkeiten im spanischen Schelmenroman zwar vom vir inversus, behält den Terminus
des homo oeconomicus jedoch unhinterfragt bei.
236 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
charakteristischer Figurentypus gemeint, der ein kompetenter Ökonom im Sinne des reformökonomischen Diskurses des ausgehenden
18. Jahrhunderts in Spanien ist und dessen wirtschaftliches Verhalten
sich am Konzept der felicidad pública als moralischer und ökonomischer
Größe orientiert. Der vir oeconomicus als ein in spanischen Komödien
wiederkehrender Figurentypus ist also gerade nicht durch die von
Adam Smith konstatierte „Disposition des Selbstnutzes, des Egoismus“191 gekennzeichnet, wie sie dem homo oeconomicus zugeschrieben
wird, sondern durch seine dezidierte Ausrichtung auf den bien común.
In Analogie zu Blaschkes Definition des homo oeconomicus ist dieser
epochen- und gattungsspezifische vir oeconomicus als versierter Ökonom zwar ein „Individuum, das seine knappen Mittel in gegebenen
Umständen“ durchaus „zum Erreichen seiner Interessen kalkuliert
einzusetzen vermag“.192 Gleichzeitig kennzeichnet aber unseren ‚ökonomischen Mann‘ im Gegensatz zum ‚ökonomischen Menschen‘, dass
sein Eigeninteresse stets mit dem bien común zur Deckung kommt. Das
von Habermann als Hauptmerkmal des homo oeconomicus bezeichnete
„rationale Handeln“193 steht beim vir oeconomicus im Dienste der spanischen Nation. Als deren Pars pro Toto fungieren im spanischen Theater der Spätaufklärung zumeist der Mikrokosmos der Familie und der
oikos als Schnittstelle von Arbeits- und Sozialleben, über die der pater
familias entweder sorgsam wacht oder die er – im Gegenteil – sträflich
vernachlässigt.194 Im zweiten Fall ist das Einschreiten eines von außen
zu Hilfe eilenden Ordnungsstifters vonnöten (vgl. Kap. 5.2).
Das geschlechtsspezifische ökonomische Agieren des vir oeconomicus ist vor dem Hintergrund des im spanischen 18. Jahrhundert
vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftssystems zu betrachten,
191
Volkmann (2017: 62).
Blaschke (2004: 20). Hierzu merkt Habermann (2008: 14) allerdings an, dass der
homo oeconomicus „nicht per se mit Egoismus gleichgesetzt werden“ sollte, sei er doch
„theoretisch durchaus fähig, Altruismus als individuelle Präferenz einzubeziehen“.
193
Habermann (2008: 14).
194
Auch Witthaus (2012: 293f.) verweist für die Zeit um 1750 und im Kontext seiner
Analyse der Discursos mercuriales (1755) Graefs darauf, dass das Haus ein „traditioneller Holismus ökonomischen Denkens“ ist, der sich allerdings ebenso wie der Topos
patriarchalischer Kontrolle im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts und im Zuge der
Ausdifferenzierung der Ökonomie als Wissenschaft auflöst. Paradigmatisch für diesen
Bruch ist Witthaus zufolge Rousseaus im fünften Band der Encyclopédie veröffentlichter
Artikel „Économie“ (1755).
192
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
237
das allerdings, wie Kristina Heße betont, durch eine „Verunsicherung
unter den Angehörigen der gesellschaftlichen Oberschicht“195 gekennzeichnet ist. Dies hat „Strategien und Hegemonien“196 zur Aufrechterhaltung der vorherrschenden patriarchalen Strukturen zur Folge.
Auch der idealisierte theatrale Figurentypus des vir oeconomicus ist
Teil einer solchen Strategie, die eine figurale Verkörperung des Ökonomischen, konkret gesprochen: des Sekundär- und Tertiärsektors im
literarischen Feld und auf den spanischen Bühnen des ausgehenden
18. Jahrhunderts vornimmt. Das genderspezifische ökonomische Handeln dieses fiktionalen theatralen Typus ist durch vier Merkmale gekennzeichnet: Durch
1. die Fähigkeit zur Durchsetzung der eigenen männlichen Autorität
in dem aus den Fugen geratenen sozialen Mikrokosmos des oikos.
Diese Art autoritärer Männlichkeit bezeichnet Heße in Anlehnung
an Raewyn Connell als „hegemoniale Männlichkeit“197;
2. seine Fähigkeit zur Erwirtschaftung von monetären und moralischen Gewinnen im Angesicht einer existenziell bedrohlichen Situation; diese Gewinne bestehen, so die Hypothese
a) in der Belehrung der schlechten ÖkonomInnen und/oder
b) in dem Eingehen einer Ehe mit einer Partnerin, die eine moralische
und ökonomische (d.h. eine finanzielle, produktive, haushälterische) Bereicherung darstellt;
3. einen guten Ruf im Öffentlichen wie im Privaten als ‚soziales Kapital‘;
4. eine berufliche Tätigkeit als Kaufmann oder Fabrikant, die sich
nicht durch körperliche, sondern durch Kopfarbeit auszeichnet.
195
Heße (2008: 12f.).
Heße (2008: 12f.).
197
Vgl. Heße (2008: 63ff.) mit Bezug auf Connell, Raewyn (1995): Masculinities. Cambridge: Cambridge University Press. Der Band wurde 1999 von Ursula Müller & Christian Stahl unter dem Titel: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit.
Wiesbaden: Springer ins Deutsche übersetzt. Unter „hegemonialer Männlichkeit“ versteht Connell unter Bezugnahme auf Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie
„jene Form von Männlichkeit, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als kulturelles Ideal
hervorgehoben wird und dominierend gegenüber anderen Männlichkeiten ist“, etwa
der „untergeordneten“, da effeminierten, der komplizenhaften oder der marginalisierten Männlichkeit. Vgl. Heße (2008: 65f.).
196
238 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dass analog zum Kaufmann auch der Unternehmer in der Wirtschaftstheorie des 18. und 19. Jahrhunderts als dezidiert männlich
und als Patriarch konzipiert ist, beobachtet Bandhauer-Schöffmann.198
Während die Traktate dieser Zeit Frauen als Unternehmerinnen
schlichtweg nicht vorsehen, werden sie von Schriften späterer Ökonomen, beispielsweise von Werner Sombart (1863-1942) oder Joseph
Schumpeter (1883-1950), explizit von den Unternehmerpersönlichkeiten ausgenommen, etwa, wenn bei Sombart davon die Rede ist,
dass „Unternehmernaturen“199 keinesfalls über Eigenschaften verfügen dürften, die als weiblich gälten, etwa „leidenschaftliche Affekte;
übermäßige Sinnlichkeit; [...] Gutmütigkeit oder Sentimentalität“200.
An späterer Stelle heißt es bei Sombart sogar explizit: „Will man mit
ein paar Strichen den Gesamthabitus der idealen Unternehmernatur
zeichnen, so wird man sagen müssen: Es sind Männer (keine Weiber!).“201
Für die sich im nächsten Abschnitt (vgl. Kap. 5ff.) anschließenden
Untersuchungen der theatralen Inszenierung des vir oeconomicus besonders interessant sind nicht nur seine Erscheinungsformen, d.h. die
Art und Weise, wie über diesen Figurentypus eine finanziell potente
sowie handlungsfähige Verkörperung und Vergeschlechtlichung bestimmter Wirtschaftszweige erreicht wird. Von besonderer Relevanz
ist auch die spezifische Funktion des vir oeconomicus, im Kontext des
bourbonischen aufgeklärten Absolutismus als Stellvertreterfigur patriarchaler königlicher Autorität zu fungieren. Diese Rolle rekurriert
auf das reformökonomische Desiderat der Funktionalität des Einzelnen für das wirtschaftliche Prosperieren der Nation, antwortet aber
auch auf die ‚Krise der Monarchie‘ infolge der eingangs skizzierten
ökonomischen Säkularisierungsprozesse, indem sie gerade die Handlungskompetenz dieser den König symbolisch repräsentierenden
Männerfiguren betont. Die hier erfolgenden Analysen werden zeigen,
198
Vgl. Bandhauer-Schöffmann (2006: 66). Sie bezieht sich dabei auf Jacques Savarys Handbuch Le parfait négociant (1675) und Jean Gustave Courcelle-Seneuils Manuel
des Affaires, ou traité théorique et pratique des Entreprises industrielles, commerciales et agricoles (1855).
199
Sombart, Werner (1909): „Der kapitalistische Unternehmer“. In: Archiv für
Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, vol. 29, pp. 689-758, hier p. 740, zitiert in BandhauerSchöffmann (2006: 68).
200
Sombart (1909: 743), zitiert in Bandhauer-Schöffmann (2006: 68).
201
Sombart (1909: 747), zitiert in Bandhauer Schöffmann (2006: 68).
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
239
in welchen spezifischen Momenten der vir oeconomicus als das Produkt
eines gouvernementalen Diskurses über Wirtschaft erkennbar wird,
dessen propagandistisches Wirken zunehmend auf ein beruflich aktives bürgerliches und adeliges Publikum ausgerichtet ist und damit ein
neues Menschen- und Männerbild modelliert, in dem das Moralische
und das Ökonomische zur Deckung kommen. Die Deckungsgleichheit von Wirtschaft und Moral in den protoindustriellen Entwürfen
des wirtschaftenden Menschen ist insofern bemerkenswert, als mit der
Industrialisierung nur noch moralisch korrumpierte oder gar amoralische Entwürfe des homo oeconomicus denkbar scheinen, die – wie Balzacs Baron de Nucingen – moralisch umso verwerflicher agieren, je
(finanziell) erfolgreicher sie sind (vgl. Kap. 6).
In unseren Analysen wird es auch darum gehen, die Verschränkungen zwischen ökonomischem Reformdiskurs und theatralem Diskurs zu beleuchten und damit die Momente zu markieren, in denen
theoretische Konzepte der aufgeklärten Reformökonomie sich in Figurenrede oder in Bühnenaktionen kristallisieren. Die vorliegende
Studie untersucht zudem, inwieweit dem vir oeconomicus als einem
‚Kopfarbeiter‘ ähnlich modellhafte Figurentypen an die Seite gestellt
werden, die die Palette wirtschaftender Menschen um das Feld der
körperlichen Arbeit erweitern. Desgleichen sondiert sie, welche singulären weiblichen Figuren oder Typen im ökonomischen Feld dieses
Theater entwirft und welche politischen oder gesellschaftlichen Zwecke diese Entwürfe erfüllen. Die Unterscheidung von Kopfarbeit und
körperlicher Arbeit führt uns zu Jehles Begriff des „zivilen Helden“
als einer das neoklassische Theater prägenden Figur. Wie der vir oeconomicus übt der zivile Held einen mit Kopfarbeit verbundenen Beruf
aus, der, so unsere Hypothese, mit der Entwicklung der sentimentalen
Komödie der Spätaufklärung nach und nach durch neue Figurentypen abgelöst wird, die Berufsfelder repräsentieren, die mit körperlicher Arbeit in Zusammenhang stehen. Diesen Figurentypen widmet
sich der nachfolgende Abschnitt.
240 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
4.4. Von ‚zivilen Helden‘ zu ProtagonistInnen der Produktion
Inmaculada Urzainqui beobachtet für das spanische 18. Jahrhundert
eine ‚Durchdringung’ der Theaterkritik durch die politische Ideologie der Regierung,202 die sich in einer leidenschaftlichen Apologie des
Fleißes, des Handels und der Kaufmannschaft niederschlägt und ganz
im Sinne der Real Cédula von 1783 für eine stärkere gesellschaftliche
Anerkennung dieser Berufsgruppen wirbt.203 Dies gilt vor allem für
das neoklassische Theater als ‚offizielles‘ Regierungstheater.204 Demgegenüber spielen Díez Borque zufolge berufstätige Bürger wie der
Kaufmann im Theater des 17. Jahrhunderts noch keine Rolle. Vielmehr konstatiert er in Bezug auf die comedia der Siglos de Oro deren
ganz und gar adeligen Wertehorizont, eine Einschätzung, die die zum
Zeitpunkt des Erscheinens dieser Studie noch nicht verfügbare Habilitationsschrift von Agnieszka Komorowska205 zu revidieren verspricht:
La comedia está regida por un espíritu aristocrático, y no por un espíritu
burgués y, por ello, todas las actividades basadas en actuaciones monetarias quedarán fuera de las preocupaciones de la comedia, donde no cuentan virtudes burguesas como ahorro, prudencia, trabajo. La no adaptación
de la nobleza tradicional a los valores modernos del negocio del dinero,
que fue una de las causas de la decadencia española, nunca se cuestiona ni
aparece como problemática de la comedia [...].206
Der im 17. Jahrhundert dominierende ‚Aristokratismus’, auf den
sich auch das Wertesystem der comedia gründet207 und deren vorrangiger Heldentypus der Eroberer, der Conquistador und Kriegsheld
ist,208 wird mit den neoklassischen Dramen eines Leandro Fernández de Moratín oder eines Tomás de Iriarte allmählich durch einen
bürgerlichen Heldentypus abgelöst, den Jehle als „zivilen Helden“209
202
Vgl. Urzainqui (1992: 271).
Vgl. Urzainqui (1992: 270).
204
Vgl. Urzainqui (1992: 271).
205
Vgl. Komorowska (im Druck).
206
Díez Borque (1976: 228).
207
Vgl. Díez Borque (1976: 229).
208
Vgl. Jehle (2010: 175).
209
Jehle (2010: 176).
203
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
241
bezeichnet. Mit ihm wird das Theater zu einer „Schule der Zivilität“210.
Als theatrales Produkt des Neoklassizismus verkörpert der zivile Held
das staatsbürgerliche Subjekt der Zivilgesellschaft,211 was insofern paradoxal ist, als das neoklassische Theater (etwa eines Trigueros) das
feudale System affirmiert statt es in Frage zu stellen, wie diese Studie
anhand von detaillierten Analysen nachweisen wird. Der zivile Held
ist ein Individuum, das sich „von den überkommenen Gestalten des
‚vasallo‘ und des ‚súbdito‘ zu emanzipieren beginnt, um als Glied der
clase media [sic] brauchbar zu werden“212. Dies geschieht innerhalb
eines im Aufbau begriffenen Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung.213 Jehle beschreibt den zivilen Helden außerdem als eine Figur,
die, – wie hier angemerkt werden muss – zumeist männlich ist und
sich durch ihre Berufstätigkeit von Adel und Klerus unterscheidet. Als
ein weiteres Merkmal des zivilen Helden macht Jehle dessen soziale
Mobilität aus.214 Typische Repräsentanten zivilen Heldentums sind
der Kaufmann und der Unternehmer, diejenigen Figurentypen also,
die diese Studie als viri oeconomici im Sinne von idealtypischen männlichen ‚Kopfarbeitern‘ und Patriarchen im Dienste der bourbonischen
Reformökonomie ausweist.
Jehles fruchtbaren Begriff des ‚zivilen Helden‘ differenziert diese
Studie weiter aus, indem sie ihn um den Begriff der sogenannten ‚ProtagonistInnen der Produktion‘215 erweitert. Unter diesen produzierenden ProtagonistInnen finden sich also nicht ausschließlich männliche
ökonomische Akteure, sondern auch Akteurinnen, wenngleich diese in
dem bereits skizzierten Sinne in beträchtlich geringerer Anzahl vertreten sind. Was die ProtagonistInnen der Produktion anbelangt, lassen
sich diese, erstens, als wirtschaftende Männer und Frauen definieren,
die der ökonomischen Traktatliteratur, der Presse oder der Literatur
entspringen und insofern der Politischen Ökonomie unterworfen
210
Jehle (2010: 202).
Vgl. Jehle (2010: 176).
212
Jehle (2010: 183).
213
Jehle (2010: 183).
214
Vgl. Jehle (2010: 184).
215
Zu den Facetten dieses Typus in der europäischen Ökonomie, Literatur und
Presse vgl. Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.) (2022): Protagonists
of Production in Preindustrial European Literature (1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, mit einem Nachwort von Deirdre
McCloskey.
211
242 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
sind, als sie sich im reformökonomischen und biopolitischen Sinne als
‚produktiv‘ erweisen müssen: Aus biopolitischer Perspektive sollen sie
sich im bürgerlichen Rahmen der Ehe vermehren und gute Staatsbürger ‚produzieren‘, die ihrem guten Beispiel folgen, weshalb die Ehe
in der Mehrzahl der hier untersuchten Stücke und ganz in der Tradition der Gattung Komödie den glücklichen Schlusspunkt bildet. Von
reformökonomischer Warte aus sollen die ProtagonistInnen der Produktion erfolgreich einer beruflichen Tätigkeit in Handel, Industrie,
Landwirtschaft oder Handwerk nachgehen.
Während der zivile Held dem gehobenen Bürgertum angehört
und zuallererst Kopfarbeit leistet, sich also nicht ‚die Hände schmutzig macht‘, schließen die ProtagonistInnen der Produktion, zweitens,
wohlhabende Berufstätige wie Kaufleute und Unternehmer ebenso
ein wie mit körperlicher und/oder schmutziger Arbeit befasste Werktätige: den bzw. die HandwerkerIn, den Bauern bzw. die Bäuerin und
Kleingewerbetreibende wie den/die LumpensammlerIn.
Drittens repräsentieren die ProtagonistInnen der Produktion einen
protoindustrielle Literaturen kennzeichnenden geschlechtlich kodierten Typus des wirtschaftenden Menschen mit wiederkehrenden
Eigenschaften, bei dem verschiedene Subtypen zu unterscheiden sind.
Diese Studie untergliedert sie für das Theater in:
a) die RepräsentantInnen guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie, das sind der vir faber, der vir rusticus sowie die femina
oeconomica und die femina fabra;
b) die RepräsentantInnen der Misswirtschaft, wie die Reformökonomie sie versteht, das sind der vir profusus und die femina profusa.
Eine detaillierte Entwicklung der Begriffe aus dem wirtschaftshistorischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext heraus sowie die
konkrete Nennung ihrer Eigenschaften erfolgt zu Beginn der jeweiligen Abschnitte zu den einzelnen Figurentypen.
Viertens bezeichnet der Terminus der ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ geschlechtlich verkörperte Anthropologisierungen verschiedener Wirtschaftssektoren, die in der Mehrzahl männlich sind: Der vir
oeconomicus verkörpert Handel und Industrie, der vir faber das Handwerk und der vir rusticus die Landwirtschaft. Während sich in diesen
männlichen Idealtypen ein patriarchalisches aufgeklärtes Männlichkeitsideal niederschlägt, das in seiner ökonomischen Kompetenz und
4. Die Ökonomisierung des Theatralen
243
betonten Virilität die Bedrohungen kompensiert, denen Spanien im
politischen und wirtschaftlichen Wettstreit mit seinen europäischen
Konkurrenzmächten ausgesetzt ist, kondensieren sich in den weiblichen Idealtypen, d.h. in der femina oeconomica und femina fabra, von
den Aufklärern gewünschte weibliche Tugenden und Kompetenzen in
den Bereichen Häuslichkeit und haushälterische Fähigkeiten, sexuelle Normativität, aber – wie das Beispiel der femina fabra zeigt – auch
handwerkliches Geschick und Fleiß. Trotz der biopolitischen Implikationen dieses Figurentypus finden sich unter seinen Repräsentantinnen – mit einer Ausnahme216 – so gut wie keine Mütter. Während Kinderfiguren nahezu keine Rolle spielen, treten Heranwachsende, wie
etwa der Lehrling Blas aus Francisco Duráns La industriosa madrileña
(1789), durchaus auf. Beide Gruppen, die männlichen wie die weiblichen ProtagonistInnen der Produktion, stehen, wie fünftens und abschließend festgehalten werden kann, im Dienste der Erhöhung der
nationalen Produktivität, weshalb sie weniger als Indikatoren einer
faktischen Aufwertung des Zivilen relevant sind, denn als funktionale
didaktische Instrumente, die die zentralen Ideen der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus der Bourbonen im Medium des
Theaters vermitteln.
216
Diese Ausnahme ist die Figur der Madama Sambrig aus Valladares de Sotomayors sentimentaler Komödie El fabricante de paños (1784).
5.
VIR OECONOMICUS I:
DIE MÄNNLICHE TYPISIERUNG DES HANDELS
Der Kaufmann ist eine seit dem Mittelalter prominente und in der Literatur vergleichsweise häufig anzutreffende Variante des wirtschaftenden Mannes, der den Handel als einen Wirtschaftssektor repräsentiert, der ebenso wie Ackerbau und Industrie männlich kodiert ist.
Auch in spanischen Komödien der Spätaufklärung fungiert der Kaufmann als virile und wirtschaftlich kompetente Personifikation des
Handels. Diese zeichnet sich ebenso durch Philanthropie wie durch
ein ökonomisch umsichtiges und kluges Verhalten aus. Eine solch
positive Zeichnung des Kaufmanns ist in Anbetracht des Verlaufs der
europäischen Literaturgeschichte seit dem Mittelalter ein vergleichsweise kurzlebiges Phänomen und auf das 18. Jahrhundert beschränkt.
Dient die Kaufmannsfigur seit dem Mittelalter als abschreckendes
Beispiel christlicher Morallehren und wird sie zumeist als raffgieriger
Betrüger dargestellt, gelangt sie in der europäischen Aufklärung vorübergehend zu Ruhm, bevor sie infolge der Industrialisierung und
der sich daraus ergebenden ‚Heimsuchungen‘ durch das „Gespenst
des Kapitals“1 neuerlich Spott und Kritik ausgesetzt ist. Ab dem 19.
Jahrhundert wird der Kaufmann dann entweder als satirischer Typus2
oder als selbstsüchtiger und sich auf Kosten der Schwachen bereichernder Bösewicht3 gezeichnet. Allerdings sind die aufklärerischen
Skizzen des Kaufmanns als ehrbare und moralisch wie ökonomisch
1
Vgl. Vogl, Joseph (2010): Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes.
Vgl. Hohl, Peter (1988): Der Kaufmann als satirischer Typus. Untersuchung zu Prosawerken von Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht. Wittlich: Gressnich.
3
Vgl. Rust (2013), der auf den widersprüchlichen Umstand hinweist, dass in den
meisten literarischen Werken seit dem 18. Jahrhundert dem erarbeiteten Reichtum weit
größeres Misstrauen, ja Unmut entgegengebracht wird, als dem beim Glücksspiel –
etwa beim Lotto – gewonnenen Reichtum.
2
246 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vorbildliche Person, wie sie englische, französische und spanische
Dramen der Aufklärung ihrem Publikum präsentieren, kaum weniger
holzschnittartig und stereotyp als ihre modernen und postmodernen
Gegenbilder, wie unsere Analysen zeigen werden.
Betrachtet man den Kaufmann als wirtschaftlichen Akteur und
seine literarische Repräsentation in verschiedenen Gattungen, gilt es
dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei diesem Berufsstand um keine homogene Gruppe handelt. Vielmehr umfasst der
recht weit gefasste Begriff des ‚Kaufmanns‘ den Großfinancier ebenso
wie den einfachen Krämer.4 Stücke wie Antonio Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid (1784)5 und Luciano Comellas El hombre
agradecido (1796)6 veranschaulichen, dass die soziale Bandbreite der
Kaufmannsfiguren auch im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts
vom einfachen Weinhändler bis zum international tätigen Großkaufmann reicht.7 Schon Aristoteles hatte den Kaufmann als jemanden
4
Vgl. Niklaus, Robert (1978): „The Merchant on the French Stage in the 18th Century, or the Rise and Fall of an 18th Century Myth”. In: Mossop, Deryk/Rodmell, Graham/
Wilson, Dudley (eds.). Studies in the French Eighteenth Century. Durham: University of
Durham 1978, p. 141-156, hier p. 142 mit Bezug auf Perry, Norma: „French and English
Merchants in the Eighteenth Century: Voltaire revisited”. In: Studies in Eighteenth Century French Literature (1975), pp. 193-213, ohne Seitenangabe.
5
Valladares de Sotomayor, Antonio (1784): El vinatero de Madrid: en dos actos. Comedia nueva original. Madrid: Hilario Santos Alonso. Quelle: http://www.cervantesvirtual.
com/obra-visor/el-vinatero-de-madrid-en-dos-actos-comedia-nueva-original–0/html,
Zugriff: 01.08.2022.
6
Comella, Luciano Francisco (1796 [1790]): El hombre agradecido, ed. Ministerio de
Cultura, 2009. de los Hermanos de Orga. Quelle: https://bvpb.mcu.es/es/catalogo_
imagenes/grupo.do?path=150708, Zugriff: 12.08.2022.
7
Für eine Übersicht der Repräsentation des Kaufmanns im spanischen Theater der
Spätaufklärung vgl. García Garrosa (2022: 131ff.). Sie untersucht dort unter anderem
die Stücke Los franceses generosos (o.J.) und das anonym erschienene El comerciante de
Burdeos (o.J.) von Antonio Valladares de Sotomayor sowie El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina von Gaspar Zavala y Zamora. Desweiteren erwähnt García Garrosa eine Adaptation von Jean-Michel Sedaines (1719-1797) Le Philosophe sans le savoir
(1765) mit dem Titel El filósofo sin saberlo (o.J.) sowie eine Übersetzung von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ (1732–1799) Les deux amis ou Le négociant de Lyon (1770),
die spanisch wortgetreu mit Los dos amigos ó sea El negociante de León (1795) übersetzt ist
und von Domingo Botti stammt. Da es sich bei den Übertragungen der französischen
Stücke ins Spanische mehr um Adaptationen als um detailgetreue Übersetzungen handelt, was auch die nachfolgenden Analysen zeigen werden, figurieren die (für unsere
Beispiele ausschließlich männlichen) Übersetzer in unserer Bibliographie als Autoren,
so auch Botti.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
247
definiert, der entweder im Groß- oder im Kleingewerbe kauft und verkauft,8 und schon dort dominiert, wie Strosetzki betont, die negative
Sichtweise des Kaufmanns.9
In der spanischen Bühnenlandschaft manifestiert sich im Zusammenhang mit der Kaufmannsthematik eine „Anglomanie“10, die mit
der durch George Lillos Drama The London Merchant fundierten Beliebtheit der Kaufmannsthematik in Verbindung steht und insbesondere bei Autoren des populären Theaters wie Valladares und Gaspar
Zavala y Zamora hervortritt.11 Die Vorliebe für englische Settings geht
mit der Gepflogenheit spanischer DramatikerInnen einher, auf englische und französische Vorlagen zurückzugreifen. Diese Praxis ist der
auch aus ökonomischen Zwängen gegebenen Notwendigkeit geschuldet, in kurzer Zeit möglichst viele neue Stücke zu produzieren. Für
den Umstand, dass sich die Kaufmannsthematik von England ausgehend auch auf französischen Bühnen und zumindest bei den gebildeten Schichten des Publikums einer wachsenden Beliebtheit erfreut,
erweist sich der Einfluss Voltaires als maßgeblich. Mit seinen Lettres
philosophiques (1734)12 fundiert er den Mythos des ehrbaren englischen
Kaufmanns, der nicht nur ein aufrichtiger und verlässlicher Geschäftspartner, sondern auch ein aufgeklärter philosophe ist.13 Das von Voltaire
8
Vgl. Strosetzki, Christoph (2018b): „Sobre el mercader en Aristóteles, Tomás de
Mercado y Martín de Azpilcueta“. In: idem (ed.). El poder de la economía. La imagen de los
mercaderes y el comercio en el mundo hispánico de la Edad Moderna. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert, pp. 169-179, hier p. 172.
9
Vgl. Strosetzki (20018b: 172): „En resumidas cuentas, cabe considerar que si bien
el mercader es un elemento necesario en la teoría aristotélica de la sociedad, en muchas
ocasiones aparece retratado de un modo negativo.“.
10
Zu den Auswirkungen dieser Anglomanie auf das spanische Theater vgl. Guinard, Paul Jacques (1984): „Sobre el mito de Inglaterra en el teatro español de fines
del siglo xviii: Una adaptación de Valladares de Sotomayor“. In: Anales de Literatura
Española, 3, pp. 282-304.
11
Diese Autoren bezeichnet Palacios (1998: 192) auch als der so genannten „Escuela
de Comella“ zugehörig und identifiziert sie, ebenso wie ihr Vorbild Comella, als „principales cultivadores“ der populären Variante der sentimentalen Komödie.
12
Voltaire (2010 [1734]): Lettres philosophiques, ed. Olivier Ferret. Paris: Garnier.
13
Vgl. Niklaus (1978: 142ff.). Vgl. auch Régaldo, Marc (1988): „Le drame et la réhabilitation du commerce au xviiie siècle“. In: Thomasseau, Jean-Marie (ed.). Commerce
et commerçants dans la littérature. Actes du colloque organisé par le Département Techniques
[sic] de Commercialisation de l’I.U.T., 25-26 septembre 1986. Bordeaux: Presses Universitaires, pp. 69-80, hier p. 69f. Dort zitiert Régaldo Voltaires Lettres (1734) wie folgt:
„Je ne sais pourtant lequel est plus utile à l’État, ou un seigneur bien poudré qui sait
248 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
gezeichnete Ideal des Kaufmanns – das mitnichten den Realitäten der
Epoche entspricht, sondern vielmehr deren imaginäres Gegenbild
entwirft14 – hat Auswirkungen auf literarische Repräsentationen des
Kaufmanns auf den Bühnen Frankreichs, Englands und nicht zuletzt
Spaniens. Wie Niklaus subsumiert, erwächst aus Voltaires Idealbild
des Handeltreibenden zugleich ein Ideal des Bürgerlichen:
Liberal at heart, God-fearing (but no Roman Catholic), upright in all his
transactions, he was a moral man full of compassion for the unfortunate
in the world. He held a lofty view of marriage and the idea grew that to
be happily married one needed to be a bourgeois. This idealistic picture of
the bourgeois fitted in perfectly with the prevailing Anglomania and also
with the conception of the drame bourgeois.15
Der entscheidende Unterschied zwischen den spanischen Entwürfen des idealen Kaufmanns und den französischen und englischen besteht darin, dass die iberische Variante dezidiert christlich-katholisch
konturiert wird. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, tritt der
Katholizismus in Bezug auf den theatralen Typus des vir oeconomicus
précisément à quelle heure le roi se lève, à quelle heure il se couche et qui se donne des
airs de grandeur en jouant le rôle d’esclave dans l’antichambre d’un ministre, ou un
négociant qui enrichit son pays, donne de son cabinet des ordres à Surate et au Caire
et contribue au bonheur du monde.“ Voltaire (1877): „Lettre sur le commerce [1734]“.
In: Molland, Louis (ed.). Œuvres complètes de Voltaire, vol 22. Paris: Garnier, pp. 109-111,
hier p. 111. Auch hier findet sich die für die Aufklärung charakteristische Verbindung
von Adelskritik und Kaufmannslob. Erstere ist in jener Zeit, wie Krauss betont, „an
der Tagesordnung“. Krauss, Werner (1973): Die Aufklärung in Spanien, Portugal und Lateinamerika. München: Fink, pp. 87f. Als prominente Beispiele für eine weit verbreitete
Adelskritik führt Krauss (ibid.) u.a. die Briefe des Conde de Cabarrús und Cañuelos
Beiträge in der Zeitschrift El Censor an, die Müßiggang und Nutzlosigkeit des Adels
beklagen.
14
Vgl. Van Cleve, John W. (1986): The Merchant in German Literature of the Enlightenment. Chapel Hill u.a.: University of North Carolina Press, pp. 21ff. Wie Van Cleve
am Beispiel der deutschen Kaufmannschaft des 18. Jahrhunderts zeigt, war deren Bildungsstand eher gering und beschränkte sich bezüglich ihrer Fähigkeiten zu lesen und
zu schreiben auf das für das Geschäft Nötigste, sodass viele, wie Van Cleve (1986: 6)
mit Rolf Engelsing resümiert, „darauf angewiesen war[en], sich vorlesen zu lassen.“
Engelsing, Rolf (1978): Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, pp. 26ff. und 112ff. Van Cleve (1986: 23) zeichnet das
Bild eines Kaufmanns, „whose education was humble at best“.
15
Niklaus (1978: 145).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
249
in der Figur des Fabrikanten am deutlichsten zutage, dessen Idealisierung wiederum auf modellhaften Skizzen des ‚ehrbaren Kaufmanns‘
fußt, wie sie in Spanien ab Mitte, verstärkt jedoch gegen Ende des 18.
Jahrhunderts auftreten.
5.1. Der Kaufmann in der spanischen Literatur (1500-1700):
Eine persona non grata?
In seiner Studie über das literarische und theologische Bild des Kaufmanns in Spanien vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wirft
Manfred Tietz die Frage auf, „ob und in welchem Maße [vor] dem
Hintergrund der neuen rationalistischen Konzeption von Wirtschaft
und Handel im spanischen 18. Jahrhundert“ nicht auch ein „neues,
eventuell ein säkularisiertes Bild des Kaufmanns“16 entstanden sei.
Eben dieser Frage spüren die folgenden Kapitel nicht nur vor dem
Hintergrund der über den Kaufmann im spanischen 18. Jahrhundert
kursierenden und eingangs bereits skizzierten ökonomischen Diskurse nach, sondern auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass
das Bild des unter dem stetigen Verdacht des Wuchers – und damit
der Sünde – stehenden Kaufmanns in der spanischen Literatur seit
dem Mittelalter ein negatives war. Wie Michel Cavillac in seiner Monographie zu Guzmán de Alfarache (1599-1604)17 und Eberhard Geisler
in seiner Habilitationsschrift Geld bei Quevedo (1981)18 gleichermaßen
nachgewiesen haben, überwiegt im 16. und 17. Jahrhundert in den
Gattungen des Romans und des Theaters das Bild des unehrenhaften,
betrügerischen und auf den eigenen Vorteil bedachten Kaufmanns,
auch wenn sich, wie Tietz anmerkt, „das ein oder andere positive Bild
Tietz, Manfred: „Der lange Weg vom ‚Täuscher und Betrüger‘ zum ‚ehrbaren
Kaufmann‘. Das Bild des Kaufmanns in der spanischen Literatur und ihren Kontexten
vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 99-124, hier p. 114.
17
Vgl. Cavillac (1994).
18
Vgl. Geisler, Eberhardt (1981): Geld bei Quevedo. Zur Identitätskrise der spanischen
Feudalgesellschaft im frühen 17. Jahrhundert. Frankfurt/Main u.a.: Lang, übersetzt ins Spanische von Elvira Gómez Hernández und 2013 erschienen unter dem Titel: El dinero en
la obra de Quevedo. La crisis de identidad en la sociedad feudal española a principios del siglo
xvii. Kassel: Reichenberger.
16
250 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eines Kaufmanns in spanischen literarischen Texten findet“19. Für das
Theater attestiert auch Díez Borque insbesondere dem „pequeño comerciante“ eine „consideración negativa“ und eine „descalificación
social (tratándolo incluso de judaizante) nacidas de prejuicios éticos,
reforzados prejuicios hidalguistas en contra de la actividad económica”20. Scheint es also, dass vor allem die kleinen Kaufleute in den Momenten, in denen sie im 17. Jahrhundert auf der Bühne präsent sind,
als entweder in ihrem Streben nach Reichtum lächerliche oder grundsätzlich betrügerische Figuren gezeichnet werden,21 nuanciert Agnieszka Komorowska dieses tradierte Bild sowohl in Einzelstudien22 als
auch in ihrer Habilitationsschrift anhand von Darstellungen kaufmännischer Figuren im Theater des Siglo de Oro.23 Dass deren diskursive
Aufwertung sich schon vor dem 18. Jahrhundert vollzieht, steht nicht
zuletzt mit dem ökonomischen Diskurs im Zusammenhang: Während
der Einfluss des Scholastikers Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert
19
Tietz (2017: 101).
Für beide Zitate: Díez Borque, José María (1976): Sociología de la comedia española
del siglo xvii. Madrid: Cátedra, p. 228.
21
Vgl. Díez Borque (1976: 229f.). Für eine aktuellere und differenziertere Sichtweise
auf die Figur des Kaufmanns, ihren Status und ihre literarische Repräsentation im 16.,
17. und 18. Jahrhundert in Spanien vgl. Strosetzki, Christoph (ed.) (2018a): El poder de la
economía. La imagen de los mercaderes y el comercio en el mundo hispánico de la Edad Moderna. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert.
22
Vgl. Komorowska, Agnieszka (2018a): „‚Saber usar de los amigos‘. Von der Ökonomie der Freundschaft und ihrem Scheitern im Siglo de Oro“. In: eadem/Nickenig,
Annika (eds.). Poetiken des Scheiterns. Formen und Funktionen unökonomischen Erzählens.
Paderborn: Fink, pp. 95-108 sowie eadem (2018b): „El arte de negociar el iustum pretium. Mercaderes, amigos y amantes en El amigo hasta la muerte de Lope de Vega“. In:
Strosetzki, Christoph (ed.). El poder de la economía, pp. 247-268.
23
Vgl. Komorowska, Agnieszka (im Druck): Arte nuevo de hacer amigos en este tiempo.
Transformationen des Freundschaftsdiskurses in der spanischen Literatur des 17.Jahrhunderts.
Habilitationsschrift, eingereicht 2021. Hier untersucht Komorowska das Phänomen
der Freundschaft in ihrem Bezug zum Feld der Ökonomien, ihren AkteurInnen sowie
ökonomischen Theorien der Epoche. Zum Zeitpunkt des Verfassens unserer Studie
war diese Arbeit noch nicht verfügbar, sie verspricht jedoch neue und differenzierte
Einsichten in die Darstellung von Kaufleuten und Kaufmannsfamilien im Theater des
Siglo de Oro. Zu Freundschaftsdiskursen und Geschlecht im 17. und 18. Jahrhundert in
Spanien vgl. auch Gronemann, Claudia/Komorowska, Agnieszka (im Druck): Fe/Male
Friends. Staging Gender and Friendship in 17th- and 18th-Century Spanish Literature. Madrid:
Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert.
20
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
251
für die „gesellschaftliche Abwertung“24 des Kaufmannstandes in
Spanien seit dem Mittelalter mitverantwortlich ist, erfährt das durch
ihn begründete negative Bild des Kaufmanns im 16. Jahrhundert mit
Tomás de Mercado und der Schule von Salamanca eine auf „antikheidnischen Autoritäten“25 wie Solon, Hesiod und Plutarch fußende
Apologie. Die von Thomas von Aquin als sündig gerügte Zinsnahme
und das Gewinnstreben des Kaufmanns werden nun mit seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit gerechtfertigt.26 Komorowska zeigt den Einfluss von Mercados Suma de tratos y contratos beispielsweise auf Lope
de Vegas El amigo hasta la muerte (1618) und die dortige Inszenierung
einer Suche nach der aristotelischen ‚goldenen Mitte‘ in Gefühls- und
Geschäftsdingen, die Lope im kaufmännischen Ambiente der Handelsmetropole Sevilla ansiedelt.27 Das Stück ist einerseits von dem Bemühen um eine Aufwertung des Kaufmannsstandes gekennzeichnet,
zeigt andererseits aber auch die „desregulación de las posiciones sociales“28 in Form einer Gefährdung der Position des Adels durch die
aufstrebenden Kaufleute. Tietz weist seinerseits darauf hin, dass bei
Mercado die Überlegungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens dieses Berufsstandes trotz aller antiken Referenzen noch stark im
theologischen Denken des Katholizismus verwurzelt sind, sodass der
Kaufmann zum Ausgleich seines sündhaften Tuns stets zu Frömmigkeit und karitativem Handeln im Sinne der Abgabe von Almosen an
die Armen verpflichtet29 und damit „nicht wirklich ‚ehrbar‘“30 sei.
24
Vgl. Tietz (2017: 104).
Vgl. Tietz (2017: 106f.), hier p. 107. Mercados Anliegen sei es, so argumentiert
Tietz (2017: 106) mit Geisler (1981: 46), „‚den Handel‘ [...] als das dem Gemeinwesen
im höchsten Maß nützliche Tätigkeitsfeld des Phänotyps ‚ehrbarer Kaufmann‘“ darzustellen. Vgl. zur Haltung Mercados dem Kaufmannsstand gegenüber auch SánchezAlbornoz y Aboín, Nicolás (1999): „Entre la tradición escolástica y la práctica mercantil:
Tomás de Mercado“. In: Fuentes Quintana, Enrique. Economía y Economistas Españoles,
vol. II: De los orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 243-248.
26
Zum gesellschaftlichen Nutzen des Kaufmanns bei Mercado vgl. auch Strosetzki
(2018b: 174) mit Bezug auf Mercado, Tomás de (1977): Suma de tratos y contratos. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 72. Schon dort findet sich der Gedanke, dass der
Kaufmann sein Selbstinteresse hinter das Gemeinwohl zurückstellen müsse.
27
Vgl. Komorowska (2018b: 266).
28
Komorowska (2018b: 253).
29
Vgl. Tietz (2017: 108f.).
30
Tietz (2017: 111).
25
252 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Eine deutliche Wende scheint sich in diesem Punkt mit den eingangs skizzierten Betrachtungen spanischer Reformökonomen abzuzeichnen, darunter die Valentín de Forondas.31 Ausgehend vom ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus kommt es
zur ‚Säkularisierung‘ des Bildes des Kaufmannsstandes, die auch Maravall für Spanien gegeben sieht, wenn er die Beobachtungen Elinor
G. Barbers zum französischen 18. Jahrhundert auf Spanien überträgt:
[...] el burgués del siglo xviii se había modelado, más o menos, una esfera
de actividades en la que una moralidad de tipo secular resultaba operante y en la que los valores que dictaban su actuación eran distintos de los
valores religiosos y sociales tradicionales. Especialmente, el hombre de
negocios [...] se las había arreglado para ordenar su sistema de valores en
compartimentos, restringiendo los nuevos, de tipo secular, a la esfera de
sus actividades profesionales y manteniendo su vida privada y familiar
en el marco de la antigua definición religiosa del significado de la vida y
la muerte. 32
Angesichts des in den Kapiteln zur wirtschaftlichen Ausgangslage
geschilderten hohen Prozentsatzes der nichtarbeitenden männlichen
Bevölkerung, darunter weite Teile eines untätigen Adels, versuchen
die Krone und ihre Minister eine zu Macanaz‘ Konzept des Monarchen als comerciante principal seiner Nation analoge Schicht zu etablieren, die an Coyers Konzept der noblesse commerçante angelehnte nobleza comerciante,33 der handeltreibende Adel also, der das herkömmliche
Bild von der Aristokratie als einer militärischen, in Friedenszeiten
funktionslosen Elite, ablösen soll.34 Grundlagen für dieses Konzept
legt Foronda mit seiner Disertación (vgl. Kap. 3.4.3). Mit der Würdigung eines berufstätigen Adels durch die Rhetorik der Reformökonomie wächst auch das Ansehen des Handel treibenden Bürgers. Schon
31
Vgl. dazu Foronda (1793a), vgl. Kap. 3.4.3.
Maravall (1979: 302) mit Bezug auf Barber, Elinor G. (1975): La burguesía en la
Francia del siglo xviii. Madrid: Biblioteca de la Revista de Occidente, pp. 17ff. Vgl. zum
Wandel des Bildes des Kaufmanns im spanischen 18. Jahrhundert außerdem Tietz
(2017: 115ff.), der die besagte Säkularisierung vor allem auf Forondas Disertación (1778)
zurückführt. Vgl. Foronda (1793a).
33
Vgl. MacLachlan (1991: 71f.).
34
Vgl. hierzu auch Callahan, William J. (1972): Honor, Commerce and Industry in
Eighteenth-Century Spain. Boston: Baker Library, p. 12, zitiert in MacLachlan (1991: 71).
32
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
253
Macanaz hatte Felipe V. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geraten, erfolgreiche Großkaufleute zumindest formell zu adeln.35 Ähnliche Gedanken hatten Uztáriz und später Foronda formuliert. Die
Krone allerdings scheut solche Maßnahmen aus Angst, die geadelten
Bürgersleute könnten ihre Berufstätigkeit nach ihrer Erhebung in den
Adelsstand aufgeben und es den vielen Untätigen gleichtun.36 Da die
meisten Kaufleute auch noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach
einem Adelstitel streben und ihr Kapital größtenteils in den Erwerb
von Ländereien investieren, weil dieser zum einen sozial immer noch
das meiste Prestige genießt und ausgedehnter Landbesitz zum anderen eine Berufstätigkeit überflüssig macht (vgl. Kap. 2.3), erscheint
diese Sorge nicht unbegründet. Statt den Kaufmannsstand also faktisch zu adeln, beschränkt sich die Krone auf die politisch sichere Variante einer rhetorischen Adelung.37 Diese Rhetorik schlägt sich auch
im Theater nieder. Im Kontext der Darstellung von Berufsgruppen,
die einen besonders niedrigen sozialen Status innehaben, weil sie körperliche Arbeit verrichten, wird der ‚Handelsadel‘ zum ‚Seelenadel‘
degradiert (vgl. Kap. 7.4).
Die im Folgenden angestellten Analysen zur Inszenierung der Figur des Kaufmanns durch das neoklassische und populäre spanische
sentimentale Theater, das Parallelen zu sentimentalen Komödien englischer und französischer Provenienz aufweist,38 verfolgen zweierlei
Ziele: Neben der zentralen Frage nach dem Wie? und dem Was? der
im Medium des Theaters skizzierten Kaufmannsbilder soll auch die
von Maravall hinsichtlich der Darstellung des Kaufmannsstandes aufgestellte und ebenfalls auf das Theater bezogene These überprüft werden, dass das geschäftliche Gebaren des Kaufmanns eher der neuen,
säkularen und ‚verbürgerlichten‘ Sphäre verpflichtet sei, während das
private Agieren sich nach wie vor vom Religiösen durchdrungen zeige. Die hier vertetene Hypothese ist, dass sich im neoklassischen sentimentalen Theater der Spätaufklärung Privates und Geschäftliches
in einem im Hause kondensierten Raum ‚bürgerlicher Innerlichkeit‘
immer wieder kreuzen. In den untersuchten Stücken schlägt sich dies
auf der Diskursebene in Form einer Kopplung des Moralischen an das
35
Vgl. MacLachlan (1991: 72).
Vgl. MacLachlan (1991: 72).
37
Vgl. MacLachlan (1991: 72) mit Bezug zu Callahan (1972: 35).
38
Dies belegen die Studien von Fuentes (1999) und García Garrosa (1990).
36
254 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Ökonomische nieder, für die das säkulare Feld bürgerlicher Tugenden in Kombination mit christlichen Werten eine wesentliche Rolle
spielt.39 Zudem ist gerade für das konservative Medium des Theaters
fraglich, ob sich die von Maravall für das spanische 18. Jahrhundert
beobachteten Säkularisierungsprozesse in einer Entkoppelung des
Ökonomischen vom Religiösen niederschlagen. Dies tangiert auch die
Frage nach den durch die Figuren jeweils verkörperten säkularen oder
christlichen Tugenden.
5.2. Luciano Comellas El hombre agradecido (1790): Kaufmann,
Zeitschere und Handelskette40
Wie Daniel Fulda anhand von Shakespeares Merchant of Venice (1600)
ausführt, ist an die zunehmende Bedeutung der so genannten „Zeitschere“ für den Handel im Europa des 17. Jahrhunderts zugleich das
Aufkommen eines neuen Kaufmannstypus‘ gekoppelt.41 Der Merchant
Adventurer, der seine Waren auf ihrem Weg noch selbst begleitete,
wird abgelöst durch den im Kontor auf das Eintreffen seiner Waren
39
Zu den christlichen und bürgerlichen Tugenden vgl. McCloskey, Deirdre (2007):
The Bourgeois Virtues. Ethics for an Age of Commerce. Chicago: The University of Chicago Press, pp. 91-252. McCloskey unterscheidet die drei christlichen Tugenden Glaube,
Liebe und Hoffnung, die sie zugleich als weiblich ausweist, von den vier bürgerlichen
Tugenden Mut (virtus), Mäßigung (temperantia), Besonnenheit (prudentia) und Gerechtigkeit (iustitia). Mut erscheint in diesem Zusammenhang als dezidiert männliche Tugend.
40
Die hier erfolgenden Analysen zu Comellas El hombre agradecido finden sich in
Grundzügen auch in dem Artikel: Schuchardt, Beatrice (2017a): „Ehrbarkeit und ökonomisches Handeln im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts: Der Kaufmann und
der Unternehmer“. In: Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer,
pp. 125-150.
41
Vgl. Fulda (2005: 82). Jacques Le Goff hatte demgegenüber zwischen „temps du
marchand“ und „temps de l’église“ unterschieden. Während die kirchliche Zeit, angezeigt durch das Läuten der Glocken, Gott allein gehört, indiziert die kaufmännische
Zeit eine sich seit dem Spätmittelalter abzeichnende Verweltlichung der öffentlichen
Sphäre. Merkmal der „temps du marchand“ ist die zeitbezogene Kalkulation, speist
sich doch der kaufmännische Gewinn wesentlich aus dem Kauf, der Hortung und der
Veräußerung von Waren zum richtigen Zeitpunkt. Vgl. Le Goff, Jacques (1960): „Au
Moyen Âge: temps de l’Église et temps du marchand“. In: Annales. Economies, sociétés,
civilisations. 15, 3, pp. 417-433, hier p. 418.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
255
wartenden Kaufmann.42 Diese Zeitschere, deren Bedeutung für den
Handel des 18. Jahrhunderts auch Gervais hervorhebt,43 führt dazu,
dass der Kaufmann „unerwartet auftretenden Gefahren nicht mehr
[...] begegnen“44 kann. Die Bedeutung der Zeitschere für den kaufmännischen Alltag wird auch gleich zu Beginn von Comellas sentimentaler Komödie El hombre agradecido45 verdeutlicht, wenn im Nebentext
Anweisungen zur Gestaltung des Bühnenraums gegeben werden und
dabei auf dem Schreibtisch als dem Arbeitsplatz des Kaufmanns eine
Uhr steht, die im Folgenden die Handlung eröffnen wird:46
La escena es en Madrid en la sala de una casa perfectamente puesta. El
Teatro representa una pieza de una alhajada con sus espejos de vestir naturales, y sus mesas, cornucopias, arañas de cristal en medio, taburetes
decentes, mesa á un lado con su recado de escribir y una papelera. En el
fondo de la pieza habrá una puerta, que introduce á un quarto decente.
Encima de la mesa habrá un relox. Sale afanada Doña Antonia, y mira que
hora es.47
Die zentrale Positionierung der Uhr im Raum zeigt nicht nur, dass
wir es bei dem für das Stück zentralen Kaufmann, der den Namen
42
North, Michael (2008): Kleine Geschichte des Geldes. München: Beck, p. 28 zufolge
vollzieht sich dieser Wandel in den italienischen Kaufmannschaften bereits im 13. Jahrhundert: „Der Fernhandelskaufmann musste seine Waren nicht mehr per Handelskarawane oder Schiff selbst zu den Messen begleiten, sondern er dirigierte von seinem
Kontor in Genua, Florenz oder Pisa die Geschäfte seiner Firma.“
43
Bei Gervais (2008: 467) ist wörtlich von einem „time lag“ die Rede.
44
Fulda (2005: 82).
45
Der Titel von Comellas sentimentaler Komödie verweist intertextuell auf Lope
de Vegas El amante agradecido (1618).
46
Die Uhr als kaufmännisches Utensil findet sich auch in französischen Wirtschaftskomödien der Aufklärung. Beispielsweise in Sedaines Le Philosophe sans le savoir
ist eine ganze Szene diesem Gegenstand gewidmet. Victorine, die Tochter eines der
Angestellten des Kaufmanns Vanderk, schenkt dessen Sohn in Szene XI des ersten Aktes eine Uhr, um Vanderk Fils die kaufmännische Tugend der Pünktlichkeit zu lehren.
Vgl. Sedaine, Michel (1996 [1765]): Le Philosophe sans le savoir, ed. Robert Garapon. Paris: Société des Textes Français Modernes, pp. 26ff.
47
Comella (1796: 1). Hier und in allen weiteren Zitaten wird die Originalschreibweise des 18. Jahrhunderts beibehalten, sofern Druckversionen aus der betreffenden
Zeit zitiert werden. Entsprechend wird bei Abweichungen zur aktuellen Orthographie
auf den Hinweis „sic“ verzichtet.
256 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Don48 Lorenzo trägt, mit einem Kaufmann neuen Typs zu tun haben.
Vielmehr illustriert die pompöse Gestaltung des häuslichen Raums
mit seinen Lüstern, beleuchteten Spiegeln und Schminktischen gegenüber dem ‚nur‘ seitlich positionierten Schreibtisch und dem ebenfalls
randständigen Aktenschrank bereits das die Handlung vorantreibende Dilemma: Die Einnahmen des hier wohnhaften Kaufmanns stehen
in keinem Verhältnis zu seinen Ausgaben, der private wie geschäftliche Haushalt ist unausgeglichen, das Soll regiert über das Haben.
Diese Unverhältnismäßigkeit zeigt sich auch in der ersten Bühnenhandlung, bei der Doña Antonia, Lorenzos Schwester, einen Blick auf
die Uhr wirft. In der folgenden Replik kommentiert sie das zu späte
Eintreffen der Dame des Hauses angesichts einer Situation, die den
kaufmännischen Haushalt so existenziell bedroht, dass sofortige Maßnahmen – und damit die Anwesenheit der Hausherrin – geboten wären. Wie man nämlich im folgenden Dialog erfährt, befindet sich der
Hausherr Lorenzo aufgrund eines Bankrotts und der damit verbundenen Schulden im Gefängnis, während sich die Hausherrin – die auf
den sprechenden Namen Doña Blasa49 hört – auf einem Ball amüsiert
und die Heimkehr trotz Kenntnis der Sachlage50 hinauszögert. Dies ist
insbesondere deshalb bemerkenswert, weil eben sie es war, die, selbst
mittellos und aus verarmtem Adel stammend, die prekäre Situation
durch horrende Ausgaben beim Schuster, der französischen Stoffhändlerin, dem Juwelier und beim Glücksspiel herbeigeführt hat.51 Im
Haushalt selbst leistet Blasa hingegen keinerlei Beitrag. Der Umstand,
dass ausgerechnet die Kaufmannsgattin als wesentliche Stütze des
kaufmännischen Haushaltes und für die Dienerschaft verantwortlicher Part – eine Person also, die aus der Perspektive des Kaufmannspatriarchen selbst ein kostbares ‚Gut‘ darstellt52 – verspätet eintrifft, und
48
Im Folgenden wird nach der Einführung der zentralen Figuren der Stücke weitgehend von der Nennung der Titel „Don“ bzw. „Doña“ abgesehen.
49
Der vom spanischen Begriff „blasón“ (dt.: ‚Wappenbild‘, aber auch ‚Ruhm‘ oder
‚Ehre‘) abgeleitete Name „Blasa“ bedeutet ‚die Aufgeblasene‘ bzw. die ‚Prahlerische‘
und bringt diese Eigenschaften zugleich mit Blasas sozialer Stellung als Adelige in Zusammenhang.
50
Antonia hatte ihr, wie man aus dem ersten Polylog erfährt, mehrere diesbezügliche Nachrichten zukommen lassen.
51
Vgl. Comella (1796: 3ff.).
52
So wird in Comellas Stück auf die Rolle der Kaufmannsgattin als eine dem kaufmännischen Haushalt zum Nutzen gereichende Person verwiesen. Vgl. die Replik
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
257
durch diese Verspätung Schaden droht, fungiert hier als symbolischer
Platzhalter für die Zeitschere. Nicht allein Blasas späte Heimkehr, sondern auch die Tatsache, dass sie sich außerhäuslichen Vergnügungen
hingibt, bedeutet einen Bruch mit dem Konzept der „mujer doméstica“53 der spanischen Aufklärung. Formulieren noch Moralisten des
16. Jahrhunderts wie Vives oder auch Fray Luis de León die häusliche Zurückgezogenheit der Frau als Imperativ, artikulieren spanische
AufklärerInnen – beispielsweise aus dem Zirkel der Junta de Damas de
Honor y Mérito de la Sociedad Matritense54 – dieses Gebot in Form einer
„descripción afirmativa“55:
Que las mujeres renunciasen a otras actividades sociales para limitarse al
ámbito doméstico y ejercieran en él las funciones económicas, morales y
sentimentales que se le encomendaban no parecía implicar ninguna tensión. En la imaginación de los ilustrados, ese estilo de vida respondía a las
exigencias de una sociedad ordenada: contribuía a conseguir una población abundante y vigorosa, una economía pujante y unas élites dignas.56
Brunos, in der er über das ungenutzte Potenzial Blasas als gewinnbringender Ehefrau
spricht: „[...] Tu muger, / que será esta segun creo, / si como tiene donayre, / tiene
discurso y talento, / te puede ser para todo / de utilidad y provecho, / [...].“ Comella
(1796: 10).
53
Bolufer Peruga (1998: 272).
54
Zur Junta de Damas vgl. Bolufer Peruga (2011: 499ff.). Mit der am 27. August 1787
durch Carlos III. per Dekret verfügten Gründung der Junta als einer der Matritense zuzurechnende Untersektion, der zunächst vierzehn Frauen angehören, setzt Carlos III.
der Debatte um die Zulassung von Frauen zu den Akademien und gelehrten Zirkeln
der spanischen Aufklärung ein Ende. Im Verlauf dieser Debatte legen ausgerechnet
progressive, liberale und antiklerikal eingestellte Reformer wie der Conde de Cabarrús
ihr Veto gegen eine aktive weibliche Beteiligung ein. Unter den männlichen Befürwortern einer weiblichen Mitsprache in den Sociedades Económicas und Akademien findet
sich hingegen León de Arroyal. In die öffentliche Debatte interveniert auch die Schriftstellerin Josefa de Amar (1749-1833), was ihr die einstimmige Aufnahme in die neu
gegründete Junta einbringt. Bis 1800 steigt die Zahl der Mitglieder auf dreiundachtzig.
Ihre Aufgaben beschränken sich auf die Förderung weiblicher Beschäftigung insbesondere bei den Mittellosen, die Gründung und Beaufsichtigung der Escuelas Patrióticas,
die Waisenfürsorge und die Betreuung von weiblichen Gefangenen. Erst im Verlauf
des 19. Jahrhunderts folgen weitere Sociedades Económicas dem Beispiel Madrids und
gründen ihrerseits weibliche Sektionen: 1820 in Murcia, Granada und Jaén, 1827 in
Cádiz, 1840-1845 in León und 1871 in Las Palmas. Zumeist beschränken sich ihre Aufgaben auch dort auf Bereiche wie Wohlfahrt und Fürsorge.
55
Vgl. Bolufer Peruga (1998: 273).
56
Bolufer Peruga (1998: 272).
258 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Eben diesem aufklärerischen Ordnungsprinzip, das den bzw. die
Einzelne/n als funktionales Element und die Familie als kleinste ökonomische Einheit auffasst, die ihrerseits als Rad im Getriebe der nationalen Ökonomie fungiert, widersetzt sich Blasa in ihrer prototypischen
Rolle als petimetra57. Damit verhält sie sich analog zu anderen Figuren
dieses Typus‘, etwa zu Jerónima als petimetra aus Nicolás Fernando de
Moratíns gleichnamiger Komödie (vgl. Kap. 9.2). Dass die späte Heimkehr, die oft erst bei Sonnenaufgang erfolgt, ein wiederkehrendes und
die geschlechtliche Norm verletzendes Merkmal der petimetra ist, illustriert Jehle anhand einer von Jovellanos‘ in der Epístola a Arnesto
erzählten Episode.58 Die bis in die frühen Morgenstunden andauernde
‚Herumtreiberei‘ der petimetra auf Bällen und in Theatern, die Aufklärer wie Clavijo y Fajardo als ihre hervorstechendste Eigenschaft ausmachen, ist letzten Endes auch eine Verweigerung der Mutterrolle.59
Daher gilt die petimetra insbesondere den poblationistisch argumentierenden Reformökonomen als Schreckgespenst renitenter Weiblichkeit,
was der Grund dafür ist, dass das neoklassische Reformtheater sie als
Typus affirmiert, um sie sodann der Lächerlichkeit und moralischen
Schelte preiszugeben (vgl. Kap. 9.2.1).
Insgesamt sind die in Comellas Stück vorliegende Figurenkonstellation und die Plotstruktur beispielhaft für ein in ökonomiebezogenen
Theaterstücken des spanischen 18. Jahrhunderts wiederkehrendes
57
Die Eigenschaften dieses Typs als femina profusa im Sinne einer Repräsentantin
der Misswirtschaft untersuchen die Kap. 9.2ff.
58
Vgl. Jehle (2010: 193) mit Bezug auf Jovellanos, Gaspar Melchor de (1951): Obras,
vol. 1, ed. Cándido Nocedal. In: Biblioteca de autores españoles, vol. XLVI. Madrid: Atlas,
p. 34a.
59
Vgl. Jehle (2010: 200) mit Bezug auf Clavijo y Fajardo, José (1762-1767): El Pensador, VI vols., hier vol. I, Kap. 12, pp. 25f. So beklagt Fajardo (1726-1806), dass die sich
herumtreibende petimetra ihre Kinder aufgrund der körperlichen Schwächung, die ihre
Eskapaden herbeiführen, nicht selbst versorgen und stillen könne. Die adelige Praxis,
dafür Ammen heranzuziehen, ist Clavijo y Fajardo ein Graus und gefährdet ihm zufolge das Kindeswohl. Vgl. Clavijo y Fajardo I/12, 21f., zitiert in Jehle (2010: 199f.).
Eine detaillierte Analyse der in spanischen Moralischen Wochenschriften wie u.a. dem
Pensador (1762-1767), dem Censor (1781-1787) und der Pensadora Gaditana (1763-1764)
entwickelten Geschlechterbilder liefert Völkl, Yvonne (2022): Spectatoriale Geschlechterkonstruktionen. Geschlechtsspezifische Wissens- und Welterzeugung in den französisch- und
spanischsprachigen Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts. Bielefeld: transcript,
pp. 227-279. Auch deutsch- und englischsprachigen sowie französischen Moralischen
Wochenschriften wendet sich Völkls Studie zu.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
259
Handlungsmuster: Ein bürgerlicher Haushalt und mit ihm das kaufmännische Geschäft befinden sich in einem Zustand der Unordnung.
Die Krise wurde durch das ökonomisch unvernünftige, da verschwenderische, egozentrische und verantwortungslose Verhalten eines im
Theater der Epoche prominenten Figurentypus‘, der petimetra, herbeigeführt, die hier durch die Figur Blasa verkörpert wird (vgl. Kap.
9.7).60 Diesem Typus steht ein Hausherr gegenüber, der angesichts der
Situation entweder ohnmächtig oder gänzlich abwesend, da verstorben oder verreist ist; ein Hausherr also, der durch die Nicht-Wahrnehmung seiner Pflichten als häusliche Autorität eine ‚Leerstelle der
Ordnung‘ bildet. Rettung naht jedoch in der Person eines Ordnungsstifters, der in der Lage ist, die Vakanz zu füllen und zumeist selbst eine
Autoritätsperson darstellt. Dies kann ein Onkel oder ein an Erfahrung
reicher Freund der Familie sein, der nicht nur eine Verkörperung der
herrschenden Normen und Gesetze ist und in diesem Sinne die Tugend der Gerechtigkeit personifiziert,61 sondern in seiner Funktion als
Repräsentant dessen, was gut und richtig ist, nicht selten auch als Ehestifter fungiert. In dieser Funktion verbindet er die Guten mit den Guten und die Schlechten mit den Schlechten und befriedet so die durch
60
Blasa weist prototypische Merkmale der petimetría auf, wie wir sie auch in Jéronima aus Nicolás Fernández de Moratíns La petimetra und Mariano aus Tomás de Iriartes
El señorito mimado o la mala educación (1787) verkörpert sehen. Vgl. Schuchardt (2014).
Sie ist egozentrisch, eitel, d.h. sie stellt Schein über Sein, was dazu führt, dass sie nicht
nur andere täuscht, sondern auch ihren eigenen Wert überschätzt. Vgl. Comella (1796:
13), wo Blasa nachträglich einen ‚Ausgleich‘ (span.: „recompensa“) dafür verlangt, Lorenzo geheiratet zu haben. Sie ist überdies exzessiv in ihren Ausgaben für französische
Luxusgüter und schätzt nicht nur den Wert der von ihr konsumierten Waren, sondern
auch ihren eigenen falsch ein, wenn sie sich selbst als „ecónoma perfecta“ bezeichnet.
Comella (1796: 16). Für den Haushalt ist sie eine Bürde, ihre Neigungen sind lasterhaft,
da sie dem Glücksspiel frönt. In dieser Eigenschaft entspricht sie der Figur des Mariano
aus Iriartes El señorito mimado (vgl. Kap. 9.3).
61
Vgl. hierzu Bollnow (2009: 269ff.). Schon bei Platon ist die Gerechtigkeit die
oberste der vier Kardinaltugenden. Die Tugend der Gerechtigkeit ist – wie auch das
Beispiel des Figurentypus des Ordnungsstifters zeigt – immer an eine Richterinstanz
gebunden, die den Streit zwischen zwei rivalisierenden Parteien beilegt, indem sie der
einen oder der anderen Recht gibt. In diesem Sinne agiert auch der Ordnungsstifter,
wenn er die für die Komödie typische Dreiecksbeziehung auflöst, indem er einen der
potenziellen EhepartnerInnen aus der Konstellation herausstreicht. Zu den Dreiecksverhältnissen in Tomás de Iriartes El señorito mimado (1787) und Nicolás Fernández
de Moratíns La petimetra vgl. Schuchardt (2016). Zur Gerechtigkeit in Verbindung mit
Mäßigung als bürgerliche Tugenden vgl. auch McCloskey (2007: 279ff.).
260 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die anfängliche(n) Dreieckskonstellation(en) ausgelösten Turbulenzen. Überdies gemahnt er den Hausherren an seine Pflichten und/
oder tritt an dessen Stelle, indem er den petimetre entweder bekehrt
oder aus dem Haushalt entfernt.62 Den ökonomisch und vernünftig
handelnden und aus diesem Grunde tugendhaften63 Mitgliedern des
Haushaltes – dabei handelt es sich meist um fleißige JunggesellInnen,
die dem petimetre oder der petimetra diametral entgegenstehen – verhilft der Ordnungsstifter zu einem aufgrund der finanziellen Schieflage der Familie zuvor nicht in Aussicht stehenden Ehepartner bzw. zu
einer Ehepartnerin. Diese/r ist deshalb eine ‚gute Partie‘, weil er bzw.
sie den Haushalt nicht nur finanziell, sondern auch moralisch bereichert. Wie der Fall von Comellas Stück zeigt, kann diese vorteilhafte
Partie auch im Ordnungsstifter selbst gegeben sein.
Die Funktion des Ordnungsstifters nimmt in El hombre agradecido
Don Bruno ein. Er ist ein ehrbarer und im Überseehandel äußerst erfolgreicher Kaufmann, der sich zudem sozial verantwortlich verhält.64
Hierin besteht eine entscheidende Parallele zum Kaufmann Thorowgood aus George Lillos London Merchant,65 wo „auf der Bühne das Bild
eines Kaufmanns entworfen [wird], der über alle Zweifel erhaben
ist“66. Ähnlich wie die ebenfalls aus der Feder Comellas stammende
Figur des Kapitän Lievens aus El hombre singular o Isabel Primera de
Rusia (1795) repräsentiert auch Bruno den Typus eines in finanziellen
62
Dies kann entweder durch rechtliche Konsequenzen – wie die Inhaftierung oder
Verbannung – geschehen oder dadurch, dass der petimetre gezwungen wird, eine für
ihn nachteilige Ehe einzugehen. Vgl. Schuchardt (2014: 280).
63
Tugendhaftes Handeln definieren Wegmann/Zeibig/Zilkens auf der Basis der
Mesotes-Lehre des Aristoteles zugleich als maßvolles Handeln im Sinne der „ausgewogene[n] Mitte zwischen zwei Untugenden, einem Zuviel und einem Zuwenig, die
vermieden werden sollen. [...] Die Mitte muss jedes Mal neu ermittelt werden. Somit
passt sich die Mitte immer der Person und der jeweils aktuellen Situation an“. Wegmann, Jürgen/Zeibig, Dieter/Zilkens, Hubertus (2009): „Die Renaissance des ehrbaren
Kaufmanns“. In: iidem. (eds.). Der ehrbare Kaufmann. Leistungsfaktor Vertrauen – Kostenfaktor Misstrauen. Köln: Bank-Verlag, pp. 7-16, hier pp. 13f.
64
Entsprechend positiv fällt die Reaktion des Memorial literario (1790: 138) auf diese
Figur aus. Vgl. hierzu Fernández Cabezón (2002: 114).
65
Vgl. Rommel (2006: 184): „George Lillo’s The London Merchant, or The History of
George Barnwell von 1731 rückt den gesellschaftlich verantwortungsvoll handelnden
Unternehmer in der Figur des Kaufmanns Thorowgood in den Vordergrund des Geschehens.“
66
Rommel (2006: 22).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
261
Belangen klug handelnden Wohltäters und aufgeklärten Menschenfreundes.67 In Jamaika zu beträchtlichem Reichtum gelangt68 und aufgrund seines Aufenthalts in dieser Kolonie bestens mit den englischen
Geschäftspraktiken vertraut,69 ist der im Außenhandel erfahrene Bruno zum Ordnungsstifter prädestiniert. So ist er nicht nur in der Lage,
Lorenzos bankrottes Geschäft zu sanieren, es gelingt ihm durch wiederholte Geldgaben an das verschuldete Kaufmannsehepaar schließlich auch, die uneinsichtige petimetra Blasa zu bekehren. Eine solche
über die englische Kolonie Jamaika erfolgende Bezugnahme des Stückes auf England ist nicht nur bei Comella zu finden, sondern auch
in wirtschaftsbezogenen sentimentalen Komödien populärer Autoren
wie Luis Antonio Moncín, Gaspar Zavala y Zamora und Antonio Valladares de Sotomayor,70 beispielsweise in El carbonero de Londres.71 Mit
der am Ende der Handlung von El hombre agradecido notwendig erfolgenden Eheschließung vermag Don Bruno zudem, die im kaufmännischen und bürgerlichen Sinne klug denkende und handelnde Antonia zu gewinnen, die mit ihrer rationalen und umsichtigen Haltung
die Tugend prudentia verkörpert, die hier als genuin kaufmännische
67
Vgl. Huerta Viñas, Fernando (1991): „El comediógrafo mal tratado. Luciano Comella y la Ilustración“. In: Bulletin of Hispanic Studies, 68, 1, pp. 183-189, hier p. 187.
Die Don Lievens durch Fernando Huerta Viñas zugeschriebenen Rollen lauten im spanischen Originaltext „bienhechor, [...] enemigo del lujo“ und „verdadero modelo de
humanitarismo ilustrado“.
68
Im Stück gibt Bruno an, „que en quince años poco ménos / he adquirido saneados
/ quatro milliones de pesos“. Comella (1796: 6).
69
Vgl. Comella (1796: 6). Mit dem Verweis auf Jamaika und die englische Kaufmannschaft nimmt Comella auf die intensiven spanisch-englischen Handelsbeziehungen Bezug. Wie Pietschmann (1993 224) herausstellt, war „England der bedeutendste
Abnehmer spanischer Waren“, weshalb „die spanische Kaufmannschaft [...] energisch
gegen einen Krieg gegen England opponierte“, der sich 1762 ankündigte. Zu Rolle von
Kaufleuten, Unternehmern und dem Raum der Amerikas als Raum der Möglichkeiten
vgl. Schuchardt, Beatrice (2017b): „Las Indias como espacio de oportunidades económicas en el teatro español del siglo xviii: de comerciantes y empresarios“. In: Heras,
Natalia/Lorenzo Álvarez, Elena de (eds.). España y el continente americano en el siglo xviii.
Madrid: Trea, pp. 197-214.
70
Vgl. Guinard (1984: 286). Anspielungen auf Jamaika finden sich auch in Valladares‘ El fabricante de paños, o el comerciante inglés und Zavala y Zamoras El triunfo del amor
y la amistad, Jenwal y Faustina.
71
Guinard (1984: 286) spricht diesbezüglich von einer „irrupción de los ingleses en
los escenarios españoles“.
262 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
und damit bürgerliche Eigenschaft erscheint. Wie Christina Schaefer
zusammenfasst, ist prudentia
[...] jene, auf die aristotelische phronēsis rückführbare praktische Lebensoder Handlungsklugheit, die den Menschen – und speziell den Haushälter – dazu befähigt, ein gutes und glückliches Leben zu führen. Aristoteles
definiert phronēsis als eine praktische Form der Klugheit, ein ‚mit richtiger
Vernunft verbundenes handelndes Verhalten [...] im Bezug auf das, was
für den Menschen gut oder schlecht ist.‘ Wer auf eine solche praktische
Weise klug ist, weiß nicht nur in der Theorie, welche Dinge vernünftig und
nützlich sind, sondern vermag sie auch in die Praxis umzusetzen.72
Klugheit im Sinne umsichtigen Handelns nach reiflicher Überlegung nimmt in Verbindung mit der Tugend der temperantia (span.: moderación), d.h. der Mäßigung, auch bei Jovellanos eine zentrale Rolle
ein. Beide Tugenden werden in seinem Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de Asturias (1781) unter der Überschrift De la
prudencia y la moderación in den Dienst des bien común gestellt und als
einanderbedingende Tugenden gefeiert, die den ‚patriotischen Geist‘
kennzeichnen:
Estas virtudes morales son las que deben refrenar los ímpetus del indiscreto celo por el bien común. El patriotismo, guiado por ellas, examinará
con reposo todos los objetos a que puede aplicarse. Se dirigirá primero a
los más útiles, y de ellos elegirá los más asequibles. No empezará empresa
alguna que no acabe y nunca pasará a la segunda sin haber perfeccionado
la primera. Sabio dispensador de los medios que el público deposite en sus
72
Schaefer, Christina (2018): „Weibliche prudentia auf der Bühne. Zur Inszenierung
ökonomischer Konzepte in Paolo Caggios Flamminia prudente (1551)“. In: eadem/Zeisberg, Simon (eds.). Das Haus schreiben. Bewegungen ökonomischen Wissens in der Literatur der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 125-150, hier p. 134 mit Bezug
auf Aristoteles (2007): Die Nikomachische Ethik: griechisch-deutsch, trans. Olof Gigon, ed.
Rainer Nickel. Düsseldorf: Artemis & Winkler, p. 247. Auch McCloskey (2007: 253) verweist darauf, dass prudentia ‚Urteilsvermögen‘ („good judgement“) ebenso einschließe
wie ‚praktische Weisheit‘ („practical wisdom“). Sie betont außerdem, dass die germanischen Sprachen den englischen Begriff ‚prudence‘ nicht durch einen einzigen Begriff
wiedergeben könnten, umfasse dieser doch neben Weisheit, Vorsicht, Besonnenheit
und Berechnung im Sinne der Fähigkeit zur Abwägung von Kosten und Nutzen, aber
auch umsichtige Fürsorge. Sie veranschaulicht dies anhand der niederländischen Begriffe voorzichtigkeit, omzichtigheid, beleid, verstandigheid und berekendheit.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
263
manos, nunca sobrará sino cuando esté seguro de recoger el fruto. Nunca
desperdiciará sus desvelos, nunca malogrará sus trabajos, y la gloria de
haber hecho algún beneficio a la patria será siempre una cierta y segura
recompensa de sus fatigas.73
Dass Bruno und Antonia sich ideal ergänzen, gemeinsam ihr moralisches und finanzielles Kapital zu mehren imstande sind und damit
ganz im Sinne Jovellanos‘ den gerechten Lohn für ihre Mühen erhalten, wird im Stück dadurch in Aussicht gestellt, dass die kluge Antonia Brunos Geschäftssinn, den sie selbst als eine „sabia economía“74
bezeichnet, zu würdigen weiß. Antonias Wertschätzung der ökonomischen Kompetenz des welterfahrenen und weitgereisten Kaufmanns
Bruno weist Parallelen zu dem in Graefs Discursos mercuriales (1755)
skizzierten Ideal des Händlers auf: Dieser soll ein „sabio Ecónomo“
sein, „[que] está obligado de buscar en Países remotos algunas cosas,
que no hay, ni produce el propio [...],“75 und als solcher weltgewandt
auftreten: „Debe tambien el Comerciante ser Estrangero; esto es, debe
conocer la vida, y costumbres de los Estrangeros.“76 Bruno weist dank
seiner Erfahrung im Amerikahandel und seiner Kontakte zu englischen Kaufleuten in Jamaika genau diese Eigenschaften auf.
Der Fokus des Stückes auf dem guten bzw. schlechten Haushalt(en),
das durch die kompetenten ÖkonomInnen Bruno und Antonia bzw.
durch die inkompetenten WirtschafterInnen Lorenzo und Blasa repräsentiert wird, veranlasst Angulo Egea dazu, diese und andere
Komödien aus der Feder Comellas als comedias sentimentales urbanas
auszuweisen.77 Der in diesem Stück bemühte Topos zweier künftiger
Ehepartner, die sich ebenso perfekt ergänzen, wie es die Tugenden der
prudentia und der temperantia laut Jovellanos tun, und sich als Ehepaar
am Ende der Komödie gegenseitig ebenso ökonomisch wie moralisch
bereichern, erweist sich als für ökonomiebezogene Komödien der
spanischen Spätaufklärung charakteristisch. Brunos kaufmännisches
73
Jovellanos (2008a: 275f.).
Vgl. Comella (1796: 24).
75
Graef (1996 [1755], III: 5), zitiert in Witthaus (2012: 290).
76
Graef (1996 [1756, IX: 197), zitiert in Witthaus (2012: 315).
77
Vgl. Agulo Egea (2006: 78). Weitere Stücke, auf die die Gattungsbezeichnung der
comedia sentimental urbana zutrifft, sind neben El hombre agradecido (1790) auch La niña
desdeñosa (1794), El ayo de su hijo (1798)), Natalia y Carolina (1799), El aburrido (1801), La
dama colérica, o la novia impaciente (1806) und El hijo reconocido (o.J.).
74
264 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Ethos zeichnet sich durch Vorsicht und Mäßigung78, Vernunft und
nicht zuletzt Ehrbarkeit aus. So zählt es zu seinen Geschäftsprinzipien, Schulden zügig zurückzuzahlen, bei geschäftlichen Transaktionen
Aufrichtigkeit zu wahren und selbst keinem Täuschungsversuch anheimzufallen79 sowie nur solche Investitionen zu tätigen, von denen
auch ein Gewinn zu erwarten ist.80 Nachdem Blasa in ihrer für die petimetra typischen Verschwendungssucht den Inhalt einer von Bruno zur
Sanierung des Haushalts geschenkten Geldbörse verprasst hatte und
Antonia nun Bruno auf das Flehen ihres Bruders hin um nochmalige
Hilfe bitten muss, verweist dieser auf das bereits erlittene, moralische
‚Verlustgeschäft‘, war doch die Börse zur Wiederherstellung der Ordnung des aus den Fugen geratenen Kaufmannshaushaltes gedacht:
Bruno
Yo lo [el dinero] dí baxo el supuesto,
de que el dinero que daba
había de ser el móvil
de la dicha de esta casa;
y así, puesto que otra ruina
mi dinero le prepara,
no quiero darlo.81
In seiner Funktion als Ratgeber und Ordnungsstifter empfiehlt
Bruno Lorenzo sodann, seine Geschäftsstrategie vom Passiv- hin
zum Aktivgeschäft zu verändern. Damit greift Comella nicht nur das
78
So ruft Bruno Lorenzo in Bezug auf seine Gattin zur Vorsicht („precaución“) und
Mäßigung ihrer Prunksucht auf. Vgl. Comella (1796: 11). Dieser Appell wurde zuvor
schon von Antonia formuliert, denn auch diese hatte Blasa aufgefordert: „[...] modera
el porte y el fausto, / vive conforme al empleo / o destino de mi hermano“. Comella
(1796: 5).
79
Vgl. Comella (1796: 18): „El bribon del Mayoral / me engañaba en dos pesetas; /
pero le cogí, y le eché una valiente pendencia [...].“
80
Entsprechend definieren auch Wegmann/Zeibig/Zilkens (2009: 13) den ehrbaren
Kaufmann dergestalt, dass er „[b]ei all seinen Handlungen [...] das rechte Maß [beachtet], wobei „Aufrichtigkeit, Vertrauen, Fleiß, Wahrhaftigkeit, Rücksichtnahme und
Glaubwürdigkeit [...] einem Gewinnstreben [nicht entgegenstehen]“. Dies bedeutet,
dass der Kaufmann bei aller Aufrichtigkeit stets seinen Gewinn im Blick haben muss,
wozu – wie das Beispiel Brunos zeigt – auch das rechte Maß an Vorsicht und Misstrauen gehört.
81
Vgl. auch die folgende Replik Brunos aus Comella (1796: 24).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
265
Hauptbesorgnis des spanischen Merkantilismus auf, nämlich den
bereits erwähnten Umstand, dass Rohwaren wie kastilische Wolle
zu günstigen Preisen ausgeführt, in Frankreich zu Garn und Stoffen
verarbeitet und dann teuer wieder nach Spanien eingeführt werden
(vgl. Kap. 2.3). Überdies bindet der katalanische Dramatiker mit der
Unterscheidung zwischen „comercio activo“ und „comercio pasivo“
zwei bei den Ökonomen des spanischen 18. Jahrhunderts verbreitete
Konzepte in sein Stück ein, die sich bereits im Testamento político (1745)
des unter Felipe V. tätigen Ministers José de Carvajal y Lancaster finden82 und die auch Campomanes in seinem Discurso sobre el fomento de
industria popular indirekt thematisiert.83 Was Bruno hier vorschlägt, ist
in der Terminologie Carvajals eine Form des Handels, die ‚passiv in
der Substanz‘ ist, da sie sich auf Rohstoffe wie Wolle, Eisen und Seide gründet, aber ‚aktiv in der Form‘, indem der Transport der Waren
aus eigenen Mitteln erfolgt.84 Mit dem aktuell betriebenen Passivhandel, argumentiert Bruno weiter, schade Lorenzo der spanischen Wirtschaft:
Bruno
[...] Vosotros,
por falta de inteligencia,
con el comercio pasivo
os contentais, cuya senda
os conduce al monopolio,
á la ruindad y baxeza,
por no daros las ganancias
82
Vgl. Artola, Miguel (1969):” América en el pensamiento español del siglo xviii”.
In: Revista de Indias, 29, pp. 51-77, hier p. 68.
83
Vgl. Campomanes (1975: 49). Auch er vertritt hier die Ansicht, dass es besser für
die nationale Wirtschaft sei, mit verarbeiteten Waren zu handeln statt mit Rohware:
„Tampoco es perfecta su constitución [del pueblo] cuando no reduce a manufacturas
sus primeras materias y les da todas las maniobras necesarias hasta su completa perfección, con la cual no reste otro aprovechamiento salvo la venta al natural o al extranjero.“
84
Artola (1969: 68), meine Übersetzungen. Artola zufolge zeigt sich in der Unterscheidung von Aktiv- und Passivhandel das Interesse Carvajals an der Förderung des
spanischen Seehandels, sollen doch Waren, die nicht nur aus den spanischen überseeischen Kolonien, sondern auch aus anderen Ländern, beispielsweise aus dem asiatischen Raum, stammen, vornehmlich durch spanische Schiffe transportiert werden und
so die passive Handelsbilanz Spaniens ausgleichen. Vgl. Artola (1969: 69).
266 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
suficientes; y quisiera
que tú y otros adopterais
el activo, y refundierais
en favor de la nacion [sic]
lo que gana la Francesa.
Las gasas, plumas, reloxes,
cintas y medias de seda,
que nos trueca por dinero,
si el comercio activo hicierais,
las trocariais por lana,
por lino, por hierro y seda,
y se quedara en España
el dinero que se llevan
los Franceses [...].85
Der versierte Kaufmann Bruno, der hier als kritischer Ratgeber auftritt, handelt ganz im Geiste der merkantilistisch inspirierten Discursos mercuriales Graefs, in denen, wie Witthaus zeigt, Kritik ebenfalls
zum Medium politisch-wirtschaftlicher Beratung avanciert und von
der Überzeugung geleitet ist, dass es gute Ratschläge sind, die, wenn
sie auch in das raue Gewand des Tadels gekleidet sind, überhaupt erst
zum Handeln ermächtigen. 86 Auch dass Bruno sich hier als ein sachkundiger Ökonom erweist, der über das für seinen Kompetenzbereich
notwendige Fachvokabular verfügt, entspricht ganz den von Graef an
den Händler herangetragenen Erfordernissen: „El Comerciante debe
poseer un theorico conocimiento del Comercio; esto es, saber las verdades geometricas que encierran los theoremas mercantiles.“87
Die zitierte Passage aus Comellas Stück veranschaulicht überdies,
dass der durch die petimetra und ihr Verlangen nach ausländischen Luxusgütern in finanzielle Turbulenzen geratene Haushalt – hier ebenso wie in vergleichbaren Stücken über diesen Figurentypus – als Pars
pro Toto der nationalen Wirtschaftslage Spaniens fungiert. Mit dem
Diskurs über die petimetra verbindet sich also der patriotische Geist
der spanischen Reformökonomie, die nationale Wirtschaft durch eine
protektionistische und merkantilistisch inspirierte Wirtschaftspolitik
85
Comella (1796: 12).
Vgl. Witthaus (2012: 276).
87
Graef (1996 [1956], IX: 194), zitiert in Witthaus (2012: 315).
86
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
267
voranzutreiben.88 Insbesondere der letzte Vers der Replik „y se quedara en España / el dinero que se llevan / los Franceses” (s.o.) erinnert
an die von Vertretern der Gruppe von Toledo wie González de Cellorigo formulierte These, die „extranjeros” – vor allem Flandern, Holland
und Italien – nähmen alles spanische ‚Gold und Silber‘ an sich („llevan
el oro y la plata y el dinero que labran“89), ein Gedanke, den Reformökonomen des 18. Jahrhunderts wie Campomanes aufgreifen. Auch
die als Bedrohung für die nationale Wirtschaft empfundene ausgeprägte Präsenz französischer Handelshäuser in Spanien, die bereits
am Beispiel der Compagnie Roux-Frères veranschaulicht wurde (vgl.
Kap. 2.3), greift Comellas Stück auf, wenn es in derselben Replik heißt:
„[...] es mengua / de la nación, que en España / haya mas casas francesas / de comercio, que Españolas.“90
Brunos Rede über Aktiv- und Passivhandel verdeutlicht auch, dass
das Vorhandensein einer Geschäftsstrategie Voraussetzung erfolgreichen kaufmännischen Handelns ist. In Bezug auf die Handelsnetzwerke des 18. Jahrhunderts verweist Pierre Gervais in seiner Studie
über die transatlantischen Handelsbeziehungen jener Epoche auf die
Bedeutung solcher Strategien für den geschäftlichen Erfolg: „[...] these
networks were highly dependent on professional strategies, and narrowly constrained by the necessities entailed by the maintenance of
those strategies“91.. Die Funktionalität jener Netzwerke, deren Relevanz Pérez García für den spanischen Handelsraum ebenfalls anhand
der Compagnie Roux Frères nachweist,92 basiert jedoch nicht nur auf
Strategien, sondern auch und vor allem auf der Verlässlichkeit und
Aufrichtigkeit ihrer Mitglieder. Analog dazu proklamiert Bruno die
Bedeutung der Ehrbarkeit, die den Einzelnen mehr adele als jener erkaufte Titel, den Lorenzo auf Betreiben seiner adeligen Gemahlin anstrebt: „La verdadera / nobleza es la honradez.“93 Diese Replik steht
88
Vgl. zur Bedeutung des durch die petimetra gefährdeten Privathaushalts als Pars
pro Toto der spanischen Nation auch Haidt (2003: 151ff.) sowie Hontanilla (2008: 52ff.).
89
Vgl. González de Cellorigo (1991: 70).
90
Comella (1796: 12).
91
Gervais, Pierre (2008): „Neither Imperial, nor Atlantic. A Merchant Perspective
on International Trade in the Eighteenth Century”. In: History of European Ideas, 34, 4,
pp. 465-473, hier p. 471.
92
Vgl. Pérez-García (2013: 85ff.).
93
Comella (1796: 11). Hier ist deutlich die Ablösung des noch im Barocktheater
zentralen Begriffs des honor, wie ihn etwa die Gattung der Ehrendramen inszeniert,
268 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ganz im Geiste von Forondas 1778 erschienener Disertación sobre lo
honrosa que es la profesión del Comercio, in der der Autor den neuen Handelsadel mit dem wertlos gewordenen Blutsadel kontrastiert und die
moralökonomische Bedeutung des Handels für ein tugendhaftes Dasein betont (vgl. Kap. 3.4.3). Der tugendhafte Lebenswandel der nobleza comerciante wird also hier im Konzept der kaufmännischen Ehrbarkeit verdichtet.
Die Ehrbarkeit, der sich Bruno im Privaten wie im Geschäftlichen
verpflichtet sieht,94 ist auch für die Struktur der Handelsbeziehungen
im 18. Jahrhundert prägend. Diese Beziehungen beschreibt Pierre
Gervais als eine „trusted chain of correspondents“95, deren einzelne
Glieder vertrauenswürdige und sich aufeinander verlassende Kaufleute bilden. Jene auf Vertrauen und Erfahrung basierende Kette von
Handelspartnern, die als Spezialisten ihres Warensegments gelten, ermöglicht den einzelnen Händlern angesichts einer unübersichtlichen
Vielfalt an Handelsgütern das ‚Outsourcing‘ von Expertise.96 Sie ermöglicht es dem einzelnen Kaufmann aber auch, das Zeitintervall zwischen Bestellung, Lieferung und Zahlungseingang zu überbrücken,
denn die meisten Handelsgeschäfte werden nicht etwa über die Barzahlung, sondern durch Wechsel abgewickelt, die für die involvierten
durch den für das Theater der Aufklärung an Bedeutung gewinnenden bürgerlichen
Wert der honradez spürbar. Diese ist wiederum an die bürgerliche Vorstellung von
Tugendhaftigkeit (virtud) gekoppelt. Im Begriffspaar von honor und virtud zeigt sich
Angulo Egea zufolge der Gegensatz zweier Gesellschaftsmodelle: der ‚neuen‘, bürgerlichen und der ‚alten‘, feudalen Ordnung, wobei die sich im Zuge des Liberalismus
des anbrechenden 19. Jahrhunderts zuspitzende Thematik der ‚Zwei Spanien’ bereits
anklingt: „Dos palabras claves enfrentan dos formas diferentes de entender el mundo:
honor y virtud. Los modernos principios ilustrados, tratando de dignificar la posición
y los trabajos de las nuevas clases acomodadas, de la clase media adinerada, dedicada
a los negocios, la industria y el comercio, difundieron ideas que establecían la calidad
y la posición de los hombres acuerdo a su conducta, no a los títulos heredados de sus
antepasados. La virtud de los individuos era determinante, y no el honor hereditario.“
Angulo Egea (2006: 118) verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine Replik aus
Comellas Stück El pueblo feliz (1789a: 3).
94
Vgl. die folgende Replik Brunos im dritten Akt der Komödie, wo er einwilligt,
Lorenzos Geschäfte auf Bitten der zu guter Letzt dann doch einsichtigen Ehefrau zu
übernehmen: „[...] de gobernar se encarga / mi honradez vuestro comercio“. Comella
(1796: 31)
95
Gervais (2008: 265).
96
Gervais (2008: 264). Auch in Bezug auf den Mittelmeerraum spricht Pérez-García
(2013: 93) von einer „interconnected community based on trust“.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
269
Kaufleute mit geringeren Risiken behaftet sind als Barzahlungen.97 Aus
diesen im europäischen, mediterranen und transatlantischen Handel
des 18. Jahrhunderts üblichen Geschäftspraktiken resultiert ein Netzwerk98 von Personen, die durch bereits geleistete Dienste und noch zu
erbringende Gegenleistungen miteinander verbunden sind. Mit dem
Begriffspaar von Leistung und Gegenleistung kommen wir im Folgenden zur Bedeutung von Gabe und Gegengabe in Comellas Stück.
5.2.1. Philanthropie und Kalkül: Grenzgänge zwischen Gabe und Investition
Dass in der von Gervais skizzierten trusted chain of correspondents Leistung und Gegenleistung nicht nur für einen funktionierenden Handel,
sondern auch für eine moralisch intakte Gesellschaft unerlässlich sind,
veranschaulicht bereits der Titel von Comellas sentimentaler Komödie
El hombre agradecido. Die dort angekündigte Thematik des ‚dankbaren Mannes‘ lässt Gabe und Gegengabe als Topoi des Stückes bereits
anklingen,99 wobei anzumerken ist, dass in Comellas sentimentaler
Komödie die Trennlinien von Gabe und Gegengabe zu Investition
und Tausch verschwimmen. Wenn der Dankbare schon im Titel des
Stückes an prominenter Stelle genannt wird, muss es auf der anderen
Seite eine Person geben, der dieser Dank gilt. Widmen wir uns also
97
Am Beispiel des Bostoner Kaufmanns Green und seines Londoner Handelspartners Lane veranschaulicht Gervais, „[that] little cash changed hands“: „Green, for instance, almost never sent any cash to Lane, but ‚remitted’ his debts by sending ‚bills’.“
Gervais (2008: 468). Ähnliches zeigt Pérez-García (2013: 85) für den Handel zwischen
Frankreich und Spanien.
98
Gervais (2008: 466) spricht in seiner Studie zwar auch von Netzwerken, plädiert
aber für die Kette als das der kaufmännischen Realität gerechter werdende Modell. Er
verweist diesbezüglich ebenso auf die Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen,
z.B. das Vertrauen in bereits dem Vater bekannte Handelspartner, wie auf die Bedeutung des guten Rufes: „[...] reputation was a decisive element, and it included non-economic ties.“ Gervais (2008: 468). Auch bei Pérez-García (2013: 93) ist in Bezug auf Spanien und die dort ansässigen ausländischen Kaufleute aus Frankreich, Italien, Malta
und England von einem „integrated trans-national network of Meditarrenean traders“
die Rede, deren Vernetzung wesentlich auf einer taktisch motivierten Heiratspolitik
basiert, die die Kaufmannsfamilien nach den Maßgaben a) gleicher Berufe der Väter
und b) Stabilisierung von nationalen und internationalen Verbindungen betreiben.
99
Zur Bedeutung von Gabe, Gegengabe und Ökonomie im spanischen Theater des
Siglo de Oro vgl. Geisler (2014: 59ff.).
270 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zunächst der Frage, wer in diesem Falle der Retter bzw. Wohltäter ist.
Aus zwei unterschiedlichen Lesarten des Stückes ergeben sich zwei
Personen, die hierfür in Betracht kommen:
Lesart 1
Geht man von der letzten, im Chor gesprochenen Replik aus,100 ist der
Wohltäter eindeutig Bruno. Seine dreifachen101 Geldgaben an Lorenzo
erfolgen, dies wird mehrfach betont,102 ohne Erwartung einer Gegenleistung und entsprechen damit auf den ersten Blick dem Prinzip der
Gabe. Wie Fulda auf der Basis von Derridas Theorie der Gabe resümiert,103 kennzeichnet diese die „Entkoppelung von Investition und
Ertrag“104:
Spezifikum der Gabe ist die Auflösung jener Wechselseitigkeit im hier und
jetzt, die den Tausch auszeichnet. Anders als dem Tausch eignet ihr ein
Moment jener Absichtslosigkeit, nach welcher der vom modernen Kalkül –
nicht allein von der Wirtschaft – erfaßte Mensch sich zurücksehnen will.105
Doch auch wenn Bruno im Moment der Schenkung selbst explizit auf eine Rückzahlung verzichtet, verschwimmt bei genauerem
100
Comella (1796: 32): „Viendo al hombre agradecido / como el beneficio paga.“
Jorge Alberto Topete zufolge manifestiert sich in dieser letzten, die Moral des Stückes
zusammenfassenden Replik eine deutliche Anleihe des Theaters Comellas an den diaktischen Impetus des Neoklassizismus. Vgl. Topete, Jorge Alberto (1981): El neoclasicismo del teatro de Comella. Ann Arbor: University Microfilms International, p. 60f.
101
Diese Gaben bestehen erstens in der Summe zur Auslösung Lorenzos aus dem
Gefängnis, vgl. Comella (1796: 8f.), zweitens in der Überreichung einer Geldbörse, deren Inhalt Blasa sogleich ausgibt, vgl. Comella (1796: 11f.), und drittens in der Zahlung
von 4.000 Pesos für den geschäftlichen Neuanfang Lorenzos, vgl. Comella (1796: 28).
102
Dabei wird nicht nur in mehreren Repliken Brunos der Verzicht auf eine Gegenleistung erwähnt, sondern in der Formulierung des Verzichtes selbst das Stilmittel der
Geminatio verwendet, die diesen zusätzlich hervorhebt. Vgl. hierzu Comella (1796: 9):
„[...] Vuelvo á decir, / que de esta casa no quiero / nada, nada“ (meine Hervorhebung).
Vgl auch Comella (1796: 20): „[...] haciendo lo que yo hago, / sin ninguna recompensa“
und Comella (1796: 19): „[...] aquí estoy yo, que ahora mismo / sin exigir recompensa, /
daré el dinero que baste / para que á comerciar vuelva [su hermano].“
103
Vgl. Derrida (1993).
104
Fulda (2005: 89).
105
Fulda (2005: 89).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
271
Hinsehen die Grenze der Gabe zu Handel und Tausch genau in dem
Moment, in dem deutlich wird, dass Brunos Gabe einem Zweck folgt
– und damit streng genommen keine Gabe mehr ist. Dieser Zweck
wiederum besteht in der moralischen Läuterung der fehlgeleiteten
Eheleute.106 Brunos Gabe wird damit zur Investition, deren erwarteter
Gewinn die Wiederherstellung der sozialen und geschäftlichen Funktionalität des Kaufmannshaushaltes ist. Dies wird am Ende durch die
geschenkten Geldsummen, die sich für Bruno als rentable Investition
erweisen, auch erreicht. Rentabel ist Brunos Investition deshalb, weil
der erzielte Gewinn die anfängliche Erwartung übersteigt: Über die
Wiederinstandsetzung der gesellschaftlichen Funktionalität von Lorenzos Haushalt gewinnt Bruno unverhofft die Hand der gemäß der
kaufmännischen ratio denkenden und handelnden Antonia. Mit ihr
kann er sein moralisches und finanzielles Kapital mehren, wird im
Stück doch die Nützlichkeit der ihren Mann im Wortsinne ‚bereichernden‘ Ehefrau explizit gemacht (s.o.). Die Sanierung des Kaufmannshaushaltes durch Finanzspritzen, die jene Bekehrung der Fehltretenden bewirken sollen, die am Ende des Stückes – ganz in der Tradition
der sentimentalen Komödie – so tränen- und gestenreich107 erfolgt, ist
also eine vernunftgeleitete Handlung. Als solche folgt sie nicht nur
den kalkulatorischen Prinzipien des Handels, sondern steht zugleich
im Dienste des aufklärerischen Utilitarismusprinzips.
106
Ich beziehe mich auf die o.g. Replik aus Comella (1796: 23).
Im Zuge seiner reuigen Bekehrung wirft sich Lorenzo Bruno zu Füßen, vgl. Comella (1796: 29). Auch an Seufzern fehlt es am Ende des Stückes nicht. Vgl. Comella
(1796: 30). Dennoch sind, wie Fuentes (1999: 229) anmerkt, spanische und englische
sentimentale Komödien an Szenenanweisungen zu gefühlsbetonten Gesten ärmer als
französische. Wie eingangs erwähnt, sind tragische Gesten und Ausrufe als Zeichen
höchster Emotionalität typisch für die sentimentale Komödie und finden sich bereits
als tragende Elemente in Denis Diderots Konzeption des drame bourgeois, das er in seinen Stücken Le fils naturel (1757) und Le père de famille (1758) anwendet und in den
Nachworten zu den betreffenden Dramentexten theoretisch reflektiert. Vgl. hierzu die
Abhandlungen „Entretiens sur le fils naturel“ (1757) und „Des genres dramatiques“
(1758). Zu Diderots theoretischer Konzeption des drame bourgeois, vgl. u.a. auch Diderot, Denis (2005 [1758]): „Des genres dramatiques“. In: idem: Le père de famille, ed. Gerhardt Stenger. Paris: Espaces, pp. 139-150 sowie Hale, Jane (1988): „Le drame bourgeois
et ses espaces“. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 256, pp. 185-193 und
Pappas, John (1981): „Diderot et le drame bourgeois“. In: Diderot Studies, 20, pp. 225244. Vgl. außerdem García Garrosa (1990: 41ff.) sowie Palacios (1998: 191).
107
272 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Lesart 2
Betrachtet man Brunos Gabe jedoch im Gesamtkontext des Stückes,
der verrät, dass Bruno nur deshalb zu Reichtum kommen konnte,
weil er als Waisenkind von Lorenzos Vater Anselmo aufgenommen,
ausgebildet und mit einem Grundkapital ausgestattet worden war,
wird deutlich, dass Brunos Geldleistungen im Grunde Gegengaben
sind, die sich auf eine einst erhaltene Gabe beziehen.108 Wie Fulda betont, kommt das Prinzip der Gabe nicht ohne eine Gegengabe aus.109
Gabe und Gegengabe sind überdies durch einen zeitlichen Abstand
gekennzeichnet,110 der auch in Comellas Stück gegeben ist. In diesem
Sinne wäre als zweite mögliche Antwort auf die Frage, wer derjenige
ist, dem der Dank des titelgebenden Dankbaren gilt, Anselmo als der
frühere Gönner des nun reich gewordenen Bruno zu nennen. Über das
Prinzip von Gabe und Gegengabe verbindet Comella ideales (d.h. moralisch richtiges) und ökonomisches (d.h. kaufmännisch gewinnbringendes) Handeln. Die zugrundeliegende Botschaft lautet: Moralisch
richtiges Handeln ist gesellschaftlich gewinnbringend, also nützlich,
da gesellschaftsverbessernd, und zahlt sich daher aus.
Diese aus der Komödie zu ziehende ‚Lehre‘ wird in einer Replik
Brunos gegen Ende der Komödie expliziert, als der spanische König
als unmittelbarer Gönner der Tugendhaften und Nützlichen ins Spiel
gebracht wird:
Bruno
[...]
pero para uno que trata
en hacerse útil al Reyno
no le es esto [el Árbol Genealógico] de importancia.
Del mérito y la virtud
es la nobleza la paga;
108
Dies wird auch deutlich, als Bruno auf eine seinerseits noch zu begleichende
‚Schuld’ verweist. Vgl. Comella (1796: 11): „[...] aunque estoy rico, y tú [Lorenzo] pobre, / me hallo en la precisa deuda de servirte [...].“ Vgl. auch Comella (1796: 28): „[...]
que tengo / en mas estima la fama / del hijo [Lorenzo] de un bienhechor [Anselmo], /
que todo el oro y la plata, que la codicia desea, / y consume la arrogancia“.
109
Vgl. Fulda (2005: 89): „Ohne einen rechtlich externalisierten Anspruch darauf zu
haben, impliziert die Gabe die Erwartung einer Gegengabe.“
110
Vgl. Fulda (2005: 90) mit Verweis auf Bourdieu (1998: 163).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
273
sé útil, sé virtuoso,
y te premiara el Monarca
con un premio que valdrá
mas que las pompas pintadas,
supuestas la mayor parte
para engañar la ignorancia.111
In dieser ‚Moral‘ des Stückes spiegelt sich der für die spanische
Aufklärung charakteristische erzieherische Auftrag des Theaters,112
der wiederum eine Verbindung mit den ebenfalls für die Epoche
prägenden Prinzipien von utilidad und felicidad113 eingeht.114 Maravall verdeutlicht, inwiefern der Begriff der ‚Nützlichkeit‘ (utilidad)
im 18. Jahrhundert an den Begriff des ‚Gutes‘ (bien) geknüpft, ja mit
ihm gleichzusetzen ist.115 Dabei löst sich das Konzept des ‚Gutes‘ aus
seinem wirtschaftlichen Bedeutungszusammenhang und tritt in einen
moralischen Kontext ein, oder, wie es Maravall mit Gusdorf116 ausdrückt: „El orden de la moral invididual se disuelve en el orden de
la utilidad social.“117 So kommt es zu einer Ineinssetzung von „fin
individual“ und „fin común“,118 die dazu führt, dass die Bemühungen des Einzelnen für die „Harmonie des Ganzen“ – gemeint ist hier
die Nation – Individuum und Gesellschaft gleichermaßen zum Glück
111
Comella (1996: 32).
Vgl. Maravall (1991: 382ff.).
113
Vgl. Maravall (1991: 161ff.).
114
Diesen von Schiller in seiner Rede Die Schaubühne als moralische Anstalt auch
für das deutsche Theater postulierten moralisch-didaktischen Auftrag hat Weinstock
(2019) untersucht. Hoffmann (2017: 38f.) hält als wesentlichen Unterschied zwischen
den von Schiller entwickelten Reformideen im Vergleich zu denen von Jovellanos fest,
dass es Letzterem um die „Unterwerfung des Individuums unter das Wohl der Gesellschaft“ gehe, während bei Schiller „die Freiheit des Menschen, die menschlichen Tugenden und besonders die Tugend der Menschlichkeit“ im Vordergrund stünden. Wie
unsere Analysen zeigen werden, ist ein bürgerlich-christlicher Tugendkanon, zu dem
auch die caritas wesentlich gehört, in den spanischen Komödien der Spätaufklärung
ganz zentral, die von den Leitlinien der absolutistischen Theater- und Wirtschaftsreform beeinflusst sind (vgl. Kap. 6.5).
115
Vgl. Maravall (1991: 251): „Las nociones de utilidad y bien se encuentran equiparadas.“
116
Vgl. Gusdorf (1972: 453).
117
Vgl. Maravall (1991: 251).
118
Maravall (1991: 261).
112
274 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
gereichen.119 Brunos Gabe an Lorenzo ist also auch eine patriotische
Investition in das spanische Gemeinwohl, und kann ihm der Moral
des Stückes gemäß nur deshalb auch zum persönlichen Profit gereichen. Dass das reformökonomische Konzept der felicidad pública ausgerechnet in der Gattung der sentimentalen Komödie an prominenter
Stelle figuriert, deutet auf eine Korrelation zwischen dem reformökonomischen Konzept und dem género sentimental hin. Marti etwa weist
zu Recht darauf hin, dass die felicidad pública erst in zweiter Linie ein
wirtschaftstheoretisches Konzept sei, während es in erster Linie dazu
diene, an Gefühle zu appellieren, um in euphemistischer Manier die
in der spanischen Spätaufklärung bestehenden sozialen Missstände
zu kaschieren.120 Auch die sentimentale Komödie appelliert an die Gefühle der ZuschauerInnen, und auch sie hat neben einer didaktischkathartischen auch eine kaschierende Funktion: Der im theatralen
Typus des vir oeconomicus verdichtete versierte Ökonom, der zugleich
ein aufgeklärter hombre de bien ist, statuiert nicht nur ein Exempel guten Wirtschaftens, sondern dient auch dazu, einen eklatanten Mangel
an aufgeklärt-kompetenten und sich vom Ausland emanzipierenden
Kaufleuten aus Fleisch und Blut auszugleichen.
Mit dem bereits zur Sprache gekommenen Aspekt des Patriotismus
kommen wir zur Bedeutung des freundschaftlichen Gefühls für die
Handlung des Stückes. Das Ideal der Freundschaft und seine Korrelation mit der Geselligkeit im Kontext aufklärerischer moralisierender
Diskurse findet sich neben El hombre agradecido in zahlreichen Stücken
der spanischen Aufklärung und an prominentester Stelle wohl im Titel
von Juan Pablo Forners (1756-1799) La escuela de la amistad o El filósofo enamorado (1796),121 aber auch in Jovellanos‘ El delincuente honrado
(1774)122 und dem bereits genannten El triunfo del amor y la amistad o
119
Maravall (1991: 261) in Bezug auf Cabarrús, meine Übersetzung. Im spanischen
Originaltext ist von einer „armonía del todo“ die Rede.
120
Vgl. Marti (2012: 269).
121
Vgl. hierzu die Analyse von Gies, David T. (1998): „Forner, la amistad y la patria:
La escuela de la amistad o El filósofo enamorado (1769)“. In: Cañas Murillo, Jesús/Lama,
Miguel Ángel (eds.): Juan Pablo Forner. Mérida: Editora Regional de Extremadura, pp.
449ff.
122
Zur Freundschaft in El delincuente honrado und El señorito mimado, vgl. Pérez Magallón (2001: 185ff.).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
275
Jenwal y Faustina von Zavala y Zamora.123 Auf die zentrale Bedeutung
der Freundschaft für das spanische 18. Jahrhundert verweist auch María Angulo Egea: Ihr zufolge ist diese im 18. Jahrhundert mit Tugend
gleichzusetzen.124 Dies erklärt zum einen die Einbettung der ökonomiebezogenen Thematik des Stückes in die Gattung der sentimentalen
Komödie, wird hier doch anhand der Figur des freundschaftlich handelnden Kaufmanns ökonomisch vorbildliches Handeln vorgeführt.
Es macht aber auch plausibel, warum Gabe und Gegengabe, Tausch
und Handel im konkreten Stück ineinanderfließen: Wenn freundschaftliches Handeln zum Wohle der Gesellschaft eine notwendige
Tugend des idealen Kaufmanns ist, ist dieser bei seinen Transaktionen
an dieses ‚soziale Mandat‘ gebunden. Handel – im Sinne des aufklärerischen Nützlichkeitsdenkens – soll daher von den Werten sensibilidad
und amistad geleitet sein. Dies entspricht im Wesentlichen Graefs in
seinen Discursos mercuriales (1752-1756) entworfenen Bild des ‚ehrbaren Kaufmanns‘, demzufolge es „für den Kaufmann eine Schwelle
[gibt], an welcher das Eigeninteresse zurückbleibt und dem Gemeinwohl des Landes, in dem er wohnt, hintenan gestellt wird“125. Demzufolge ist „[i]n der Praxis jedes wirtschaftende Individuum dem Leitbild
des ehrbaren Kaufmanns und damit – analog zum König – dem Gemeinwohl des Sozialverbundes verpflichtet“126. Die hier von Witthaus
erwähnte Analogie zwischen dem vir oeconomicus und dem König ist
insofern bedeutsam, als auch der in der hier untersuchten Komödie
wirtschaftende Protagonist Bruno als Stellvertreterfigur eines durch
die Krone propagierten idealen Haushaltens fungiert.
Zudem lässt uns der Gedanke einer Rückbindung des Kaufmanns
an das Kollektiv seiner Nation auf Gervais‘ Modell der trusted chain of
correspondents als das eines sozialen Netzwerks zurückkommen: Die
Figuren Anselmo, Bruno und Lorenzo aus Comellas Komödie zeigen
123
Eine systematische Analyse der Freundschaft im spanischen Theater des 17.
Jahrhunderts nimmt Komorowska in ihrer Habilitationsschrift vor (im Druck). Zur
Thematik der Freundschaft in Dramen des Siglo de Oro vgl. außerdem Komorowska
(2018a) sowie eadem (2018b: 247ff.).
124
Vgl. Angulo Egea (2006: 132) mit Verweis auf Gies (1998: 449ff.).
125
Witthaus (2017: 162). An späterer Stelle weist Witthaus (2017: 171) darauf hin,
dass die „Kaufmannsehre“ bei Graef als eine „soziale Verpflichtung zu betrachten“ sei,
die „als frei zirkulierendes Vertrauen den sozialen Kitt“ bilde und daher bedeutsamer
sei als der Handel selbst.
126
Witthaus (2017: 163).
276 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
anschaulich die Funktionalität einer solchen Kette, und zwar auf ökonomischer und moralischer Ebene. Dies ist der Fall, wenn das von Anselmo einst an seinen ehemaligen Lehrling Bruno gegebene Gut, das in
einer fundierten Erziehung und Ausbildung sowie einem Startkapital
als konkretem materiellen Wert bestand, letztlich wieder seinem Sohn
Lorenzo zugutekommt, und zwar wiederum in Form materieller Werte
– der Tilgung von Schulden, eines Grundstocks zur Wieder-Ingangsetzung des bankrotten Geschäfts – und einer moralischen Lektion. Die
Gabe fließt also mittelbar wieder an den Schenkenden zurück. Damit
offenbart Gervais‘ ursprünglich ausschließlich auf den Handel bezogenes Modell einer auf Vertrauen fußenden Handelskette in Comellas
Stück seine Anwendbarkeit nicht nur auf die ökonomischen, sondern
auch auf die moralischen Diskurse der spanischen Aufklärung. Beide
sind in Comellas Stück untrennbar miteinander verwoben.
5.2.2. Vom Untertan zum Staatsbürger
Zentral für Comellas Lehrstück über den ehrbaren Kaufmann, der hier
in der Gestalt der dramatischen Figur Don Brunos seine theatrale Verkörperung findet, ist neben diesem Typus das Konzept des ciudadano
honesto, des ehrbaren Staatsbürgers, das mit dem Figurentypus des ehrbaren Kaufmanns Hand in Hand geht. Dieses Konzept, das zugleich
den Übergang vom feudalen Begriff des Untertans (span.: „súbdito“)
bzw., im Falle des Adels, des zur Lehnstreue verpflichteten Vasallen
(span.: „vasallo“) markiert, findet sich in kurzer zeitlicher Abfolge in
zwei nahezu wortgleich eingeleiteten Repliken des gefallenen Kaufmanns Lorenzo, in denen er moralische und ökonomische Besserung
gelobt und sich damit dem physiokratisch inspirierten Konzept eines
Staatsbürgers verschreibt, der sein eigenes Interesse in patriotischer
Manier in den Dienst der felicidad pública stellt und so zum funktionalen Rädchen im ökonomischen Getriebe des Staates wird. Die erste
der beiden Repliken zu den Pflichten des Staatsbürgers findet sich am
Ende des ersten Aktes. Hier appelliert Lorenzo folgendermaßen an
seine verschwendungssüchtige Gattin:
Lorenzo
Moderémos nuestro luxo,
nuestro porte moderémos,
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
277
vivamos conforme viven
los Ciudadanos honestos,
que consiguen con la industria
ser útiles à sí mesmos,
y á la patria. [...]127
Wenn Lorenzo hier sich und die petimetra Blasa selbstbezichtigend
als Subjekte jenseits der Norm charakterisiert, die einsehen müssen,
dass es besser wäre, sich konform zur Ideologie der aufgeklärten Reformökonomie zu verhalten und der reformökonomische Diskurs damit zur gesellschaftlichen Norm erhoben wird, werden zugleich die
Vorteile des normkonformen Verhaltens präsentiert, nämlich, dass der
in den Dienst der patria gestellte Fleiß nicht nur dem Staat, sondern
auch dem Einzelnen selbst zugutekommt („ser útiles á sí mesmos“). In
dieser Replik findet sich die bereits umrissene Konsolidierung der Politischen Ökonomie mit dem Konzept eines Staatsbürgers wieder (vgl.
Kap. 3.2), der sich deshalb freiwillig in den Dienst des Gemeinwohls
stellt, weil er seinem Selbstinteresse und mithin seinem freien Willen
folgt. Dies entspricht der These des Reformökonomen Foronda über
den sozialen und ökonomischen Wert des Selbstinteresses als Motor
des bien común.128 Die von Lorenzo beschriebene Verhaltensnorm wiederum, der er sich nun reuig anschließen möchte, ist ganz von der
Tugend der Mäßigung (temperantia) geprägt, von jener goldenen Mitte also, die in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles Basiselement
des Verhaltenskodex des ehrbaren Kaufmanns ist.129
Die zweite, spiegelbildlich eingeleitete Replik, findet sich zu Beginn des zweiten Aktes in einem Dialog zwischen Bruno und Lorenzo. Hier bekräftigt Lorenzo Bruno gegenüber nochmals seinen Willen zur Läuterung, scheitert jedoch kurz darauf an den emotionalen
127
Comella (1796: 10).
Vgl. Witthaus, Jan Henrik (2018): „El hombre económico: La España ilustrada
entre el mercader honrado y el liberalismo“. In: Strosetzki, Christoph (ed.). El poder de
la economía, pp. 327-352, hier p. 345 mit Bezug auf Forondas Cartas, publiziert in Cladera, Cristóbal (1788): Espiritú de los mejores diarios literarios que se publican en Europa, No.
47, 48, Madrid: Espinosa, p. 593: „[...] Foronda defiende el interés particular y reivindica su valor social y económico, contraponiéndolo al dogma del bien común, puesto
que, según el autor, este surge de aquel.“
129
Vgl. dazu Strosetzki (2018b: 169-172).
128
278 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Manipulationen, denen er sich seitens Blasas und ihrer Dienerin Mariquita ausgesetzt sieht, was hier schon vorausgedeutet wird:
Lorenzo
[...]
yo he de moderar mi luxo
yo he de olvidar las quimeras
de ser noble, y vivir como
Ciudadano honesto. En esta
resolución firme: – Firme?
Sufrirá que permenezca
en ella mi Blasa? no:
será una continua guerra:
[...].130
Der von Lorenzo hier schon befürchtete ‚Rosenkrieg‘ bricht im Folgenden auch prompt aus, als Blasa droht, den gemeinsamen Haushalt
zu verlassen und zurück zu ihren Eltern zu ziehen.131 Was das Konzept
des Staatsbürgers anbelangt, wird dieses hier um einen wichtigen Kritikpunkt des reformökonomischen Diskurses erweitert: das bürgerliche Streben nach dem Adelstitel, das nicht nur in Spanien, sondern
auch im Frankreich des 17. Jahrhunderts ein (wirtschaftliches) Problem
darstellt und zu einer regelrechten Gewerbeflucht männlicher Kaufmannssprösslinge führt, die schon Marc Lescarbot in seiner Histoire de
la Nouvelle France (1606) wie folgt beklagt hatte: „Dès qu’un marchand
a de quoi, il faut qu’il fasse son fils avocat et conseiller.“132 Eben diesen
Aspekt der Berufsflucht thematisiert auch das hier an späterer Stelle
analysierte Stück Los menestrales (1784) von Cándido María Trigueros.
5.2.3. Der oikos als kaufmännischer Handlungsraum
Zwei Aspekte führen im 18. Jahrhundert nicht nur in Teilen der spanischen Theaterlandschaft, sondern auch in Deutschland zu einer Veränderung in den Inszenierungspraktiken und im räumlichen Fokus
130
Comella (1796: 12).
Vgl. Comella (1796: 13). „Mariq. Que si usted no la modera / se irá á casa de sus
padres / sin remedio.”
132
Zitiert in Maravall (1984: 385).
131
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
279
des Theaters: Dabei ist zum einen die von Maravall konstatierte zunehmende ‚Verbürgerlichung‘ der Mentalität der Mittelschichten im
Zuge der Aufklärung zu nennen. Zum anderen vollzieht sich in dem
von den Oberschichten frequentierten Reformtheater in Deutschland
und Spanien ein Abrücken vom ‚großen historischen Geschehen‘ und
eine Verschiebung hin zum Mikrokosmos des bürgerlichen Haushaltes. Jürgen Habermas (1969)133 und John Lukacs (1972)134 konstatieren
für das europäische 18. Jahrhundert gleichermaßen eine Tendenz zur
‚Innerlichkeit‘, die sich für das Theater ebenso an den Theatertexten
– und hier insbesondere an den Nebentexten – wie an einer Veränderung der Inszenierungspraktiken ablesen lässt. Im Folgenden wenden
wir uns nun der theatralen Inszenierung des bürgerlichen oikos als einem ‚Raum der Innerlichkeit‘ zu, der sich insofern auf das Außen hin
öffnet, als sich in ihm Privates und Geschäftliches, Liebeshändel und
auf künftige wie vorhandene Eheschließungen bezogene Verhandlungen kreuzen.
Der oikos lässt sich mit Irmintraut Richarz auf der Basis des antiken
Verständnisses wie folgt definieren:
Mit dem Begriff ‚Oikos’ wird die konkrete Behausung sowie das gesamte
Hauswesen mit den dazugehörigen Personen und Gütern bezeichnet, das
in einer Zeit, in der die Polis in Griechenland noch nicht die beherrschende staatliche Einheit war, als Knotenpunkt des Geflechtes sozialer, auf
Freundschaft beruhender Beziehungen zentrale Bedeutung hatte.135
Auffällig ist dabei die im neoklassischen wie im populären Theater
des spanischen 18. Jahrhunderts rekurrente Figur des ‚auf den Kopf
gestellten Hauses‘, das sich Tschilschke zufolge mit dem Konzept der
domus perversa nach Augustinus fassen lässt und sich auf eine Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern bezieht.136 Dieser Begriff wird hier herangezogen, um jene Ausgangslage
133
Vgl. Habermas, Jürgen (1969): Strukturwandel und Öffentlichkeit. Frankfurt/Main:
Luchterhand.
134
Vgl. Lukacs, John A. (1972): The Passing of the Modern Age. New York et al.: Harper & Row.
135
Richarz, Irmintraut (1991): Oikos, Haus und Haushalt. Ursprung und Geschichte der
Haushaltsökonomik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, p. 15.
136
Vgl. Tschilschke (2014: 291). In Gumbrechts Studie über den Kostumbrismus findet für ein vergleichbares Phänomen das Konzept des mundo al revés Anwendung. Vgl.
280 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
näher zu bestimmen, in der ein sich in Unordnung befindlicher kaufmännischer Haushalt schließlich durch die Intervention des Figurentypus des Ordnungsstifters ‚zurechtgerückt‘ wird. Interessant ist, dass
der zuvor bereits beschriebene Zustand der Unordnung sich auf die
Herrschaft einer in ökonomischen und Liebesdingen irrational und
triebhaft agierenden weiblichen Figur gründet, die durch die petimetra
und ihrer GespielInnen personifiziert wird. Diese Grundkonstellation
trifft auf Komödien wie Comellas El hombre agradecido ebenso zu wie
auf La petimetra von Nicolás Fernández de Moratín, La señorita malcriada (1788) von Tomás de Iriarte, La familia a la moda (1805) von María
Rosa de Gálvez und auf die ebenfalls um die Figur der petimetra kreisenden sainetes von Ramón de la Cruz.
5.3. Bürgerliche Innerlichkeit im Kontext veränderter
Inszenierungspraktiken im spanischen und deutschen
Reformtheater137
Der bürgerliche Haushalt dient im europäischen Theater des 18. Jahrhunderts nicht allein als Schauplatz einer zunehmend im gewerbetreibenden Bürgertum angesiedelten Handlung und damit zugleich
als Aktionsraum der bürgerlichen ProtagonistInnen. Überdies ermöglicht es ein auf wenige Zimmer ein und desselben Hauses beschränkter Handlungsraum, die Regeln der Einheiten von Ort und Handlung
zu beachten, wie sie von Ignacio de Luzáns Poética (1737) im Kontext
der neoklassischen Doktrin vorgegeben werden. Diese Einheiten finden neben gängigen Themen des neoklassischen Theaters wie Erziehung, matriminio desigual, kaufmännischer Kosmos und finanzielle
Gumbrecht, Hans-Ulrich (1984): „Der Misanthrop, die Tänzerin und der Ohrensessel:
Über die Gattung ‚Costumbrismo’ und die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Wissen
und Diskurs im Spanien des xix. Jahrhunderts“. In: Link, Jürgen (ed.). Bewegung und
Stillstand in Metaphern und Mythen: Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen
und Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart: Klett-Cotta, pp. 15-62. Aufgrund seiner geschlechtsspezifischen Ausrichtung wird hier dem Begriff der domus perversa nach Augustinus der Vorzug gegeben.
137
Teile dieses Abschnitts finden sich auch in dem Aufsatz Schuchardt, Beatrice
(2018b): „Escenificaciones del hogar burgués en el teatro dieciochesco: espacio familiar/espacio comercial”. In: Strosetzki, Christoph (ed.). Aspectos actuales del hispanismo
mundial. Literatura — Cultura — Lengua. Berlin: De Gruyter, pp. 332-343.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
281
wie modische Exzesse gegen Ende des Säkulums zunehmend auch
bei Dramatikern Berücksichtigung, die dem populären sentimentalen
Theater zugerechnet werden, wie u.a. Valladares und Zavala y Zamora,138 denen sentimentale Komödien französischer und englischer Provenienz als Vorlagen dienen und die von ihnen für den spanischen
Kontext adaptiert werden.139 Zu dieser Art von Stücken zählt das hier
bereits untersuchte El hombre agradecido ebenso wie das im Folgenden
betrachtete El triunfo del amor y la amistad.
Was die Beschränkung der Handlung auf das bürgerliche Haus anbelangt, bietet diese für die Inszenierungspraxis noch einen weiteren
Vorteil, der sich auf die Ebene der Rezeption durch das Publikum und
seine Identifikation mit den auf der Bühne agierenden bürgerlichen
ProtagonistInnen bezieht: Fulda zufolge vollzieht sich mit der Verdichtung der Handlung im bürgerlichen Haus, wie sie analog zum
spanischen neoklassischen Theater auch das norddeutsche Reformtheater kennzeichnet, eine
Verengung auf den (erwünschten) Handlungshorizont des Publikums.
Denn die Bühnenhandlung wird zunehmend als handlungspraktisches
Modell des bürgerlichen Lebens begriffen. Die Figuren verlieren ihre normativen Freiräume, sie handeln psychologisch nachvollziehbar und gehen
bürgerlichen Berufen nach.140
Wenn Angulo Egea in ihrer Studie über das populäre Theater Comellas von einer „incipiente burguesía que quería verse representada
Vgl. Palacios, Emilio (1998): El teatro popular del siglo xviii. Lleida: Milenio, p.
186: „Será necesario esperar las últimas décadas del siglo [xviii] para que estas ideas
[de la Poética de Ignacio de Luzán] se abran con mayor generosidad a la realidad de
la dramaturgia popular, adoptando los reformadores posturas menos intransigentes.“
139
Zum Einfluss französischer und englischer sentimentaler Stoffe auf VertreterInnen des populären spanischen Theaters, die nicht nur dem Theater, sondern auch
der Gattung Roman entnommen werden, vgl. Angulo Egea (2006: 326): „Dramaturgos populares como Comella, Valladares, Zavala, Rodríguez de Arellano, entre otros,
adaptaban novelas sentimentales para crear sus propias piezas teatrales.“
140
Fulda, Daniel (2009):„‚Breter [sic], die die Welt bedeuten‘. Bespielter und gespielter Raum, dessen Verhältnis zur sozialen Um-Welt sowie Gestaltungsräume des
populären Theaters im 17. und 18. Jahrhundert“. In: Dünne, Jörg/Friedrich, Sabine/
Kramer, Kirsten (eds). Theatralität und Räumlichkeit. Raumordnungen und Raumpraktiken
im theatralen Mediendispositiv. Würzburg: Königshausen und Neumann, pp. 71-86, hier
p. 82.
138
282 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
en las tablas“141 spricht, betont auch sie damit die Orientierung der
AutorInnen des sentimentalen Theaters am bürgerlichen, vom wirtschaftlichen Reformdiskurs der Krone avisierten Zielpublikum.
Dieses soll sich nicht nur in seiner privaten, sondern auch in seiner
geschäftlichen Existenz auf der Bühne wiederfinden, weshalb das bürgerliche Haus als Kreuzungs- und Knotenpunkt amouröser und geschäftlicher Verwicklungen dient, die oftmals untrennbar miteinander
verbunden sind. Die im Theater inszenierte Kopplung von Privatem
und Geschäftlichem entspricht den Geschäftspraktiken einer Epoche,
in der es innerhalb des Hauses noch keine strikte Trennung zwischen
geschäftlicher und privater Sphäre gibt (vgl. Kap. 3.3.2).
Wenn sich das Haus also in der sentimentalen Komödie des europäischen 18. Jahrhunderts als Ort erweist, von dem aus der Familienvater als Oberhaupt des oikos und Führer des kaufmännischen
Geschäftes die privaten und wirtschaftlichen Geschicke der Familie
lenkt, erleichtert der angestrebte Wiedererkennungseffekt des Publikums und seine Identifikation mit den im Hause agierenden Figuren
zugleich den politischen Auftrag des Theaters, als ‚Schule des Volkes‘
(s.o.) und Trägermedium der ökonomischen und gesellschaftlichen
Reformen des aufgeklärten Absolutismus zu dienen. Wie Emilio Palacios betont, ist es die sentimentale Komödie populärer Prägung, die
zum privilegierten Medium der Vermittlung aufklärerischer Werte
wird.142 Auch Jehle weist seinerseits darauf hin, dass das Theater eines Leandro Fernández de Moratín, dem ja Comellas Comedia nueva
als abschreckendes Beispiel für ein von den Bühnen zu vertreibendes
‚Theater des Spektakels‘ dient, im gleichen Maße ‚Aufklärungstheater‘ ist wie das seiner missliebigen Konkurrenten aus dem populären
Spektrum.143 Völlig zu Recht bezeichnet daher Angulo Egea in ihrer
141
Angulo Egea (2006: 328), s.o.
Vgl. Palacios (1998:192): „[...] algunas de las manifestaciones del teatro popular
de finales de siglo, en particular la comedia sentimental y la popular, se convirtieron
en ocasiones en portavoces del ideario ilustrado, aunque no defendieran con el mismo empeño la normativa neoclásica.” Palacios nimmt hier (ohne Angabe der genauen
Seite) auf eine ähnliche Aussage Campos’ (1969) Bezug. Vgl. auch Angulo Egea (2006:
62): „Muchas de las obras de los dramaturgos populares encerraron también aspectos
ilustrados [...].“
143
Vgl. Jehle (2010: 117) mit Verweis auf die Studien Campos‘ und Ivy McClellands,
die das populäre Theater der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstmals als ‚Aufklärungstheater‘ erkannt und damit ernst genommen haben.
142
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
283
Studie über Comella dessen Theater als ‚andere Seite der Aufklärung‘144
und meint damit, dass die Stücke Moratíns und Comellas zwei gleichrangige Seiten ein und derselben Medaille repräsentieren, liefern doch
auch Comella, Valladares und Zavala ihrem Publikum nicht nur die
opulenten Schlachten und spektakulären Szenarien, denen sie ihre
Popularität verdanken, sondern auch von den Themen des Reformtheaters inspirierte Stücke, die „eine an der Moral nützlicher Arbeit
ausgerichtete Lebensweise [propagieren], in deren Licht das Regime
mit seinen müßiggängerischen ‚hijosdalgos‘ nicht nur als altes, sondern als veraltetes“145 erscheint. Was Comella anbelangt, hatte schon
Jorge Alberto Topete in seiner Dissertation von 1981 die zahlreichen
neoklassischen Elemente im Theater des katalanischen Dramatikers
nachgewiesen.146 Auch ein Blick auf die Kritik von El hombre agradecido
in der Ausgabe des Memorial literario von Mai 1790 bestätigt, dass das
Theater Comellas schon von seinen Zeitgenossen als ein an den Neoklassizismus Angelehntes erkannt wurde, wenn dort davon die Rede
ist, „[que] el plan, o trama de esta comedia, si se mira su disposición,
tiene bastante regularidad“ und „[que] no hay quiebra notable de acción, tiempo y lugar“.147 Auch wenn der Rezensent des Memorial dies
für die Charaktere, die Ebene der Sitten und der Figurenrede nicht
gegeben sieht, hält er dennoch fest, dass die Berücksichtigung der neoklassischen Doktrin in El hombre agradecido auf der Ebene der Komödienarchitektur ausreichend sei „para cualquier drama de los de ahora, atendida la neglegencia que hasta aquí ha habido en este punto“.
Mit dem auf das Haus konzentrierten und daher limitierten Aktionsraum des deutschen Reform- sowie des spanischen neoklassischen Theaters ist eine Akzentverlagerung weg von der Handlung
hin zum Text verbunden. War noch das barocke Theater mit seiner
opulenten Bühnenmaschinerie und seinen vielen Schauplätzen ganz
auf eine ebenso abwechslungsreiche wie im wahrsten Sinne des Wortes ‚spektakuläre‘ Handlung fokussiert, ist das neoklassische Theater
144
Vgl. den Titel von Angulo Egeas Monographie (2006): Luciano Francisco Comella
(1751-1812). Otra cara del teatro de la Ilustración.
145
Jehle (2010: 117).
146
Vgl. Topete, Jorge Alberto (1981): El neoclasicismo del teatro de Comella. Ann Arbor:
University Microfilms International.
147
Memorial literario, instructivo y curioso de la Corte de Madrid. Ed. de Mayo 1790.
Madrid: Imprenta Real, pp. 134-146.
284 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ein ‚Deklamationstheater‘ im eingangs skizzierten Sinne (vgl. Kap.
4). Ähnlich gestaltet sich Fulda zufolge das deutsche Reformtheater,
„das vor allem über die Figurenrede zu wirken strebte und überdies
eng an gedruckt vorliegende Texte gebunden wurde“148. Mit dem Fokus des reformierten Theaters auf dem gesprochenen Text geht eine
Entwicklung auf der Ebene der Inszenierungspraktiken einher, die
wesentlich auf Diderots Konzept der ‚vierten Wand‘ basiert.149 Nicht
nur in Frankreich, sondern von Spanien bis ins geografisch weit entfernte Norddeutschland vollzieht sich eine zunehmende Trennung
von Zuschauer- und Bühnenraum. Im norddeutschen Reformtheater,
an dessen Entstehung Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)150 maßgeblich beteiligt ist, wird diese Trennung durch eine Veränderung in
der Beleuchtungspraxis herbeigeführt: Können sich die Menschen im
Theaterpublikum des 17. Jahrhunderts aufgrund des auch während
der Aufführung beleuchteten Saales noch gegenseitig betrachten, wird
eben dieser Zuschauerraum nun im 18. Jahrhundert abgedunkelt und
allein die Bühne beleuchtet, was die Aufmerksamkeit der Betrachter
fort vom Saalgeschehen und hin zum Bühnengeschehen lenken soll.151
Auch hinter dieser Maßnahme verbirgt sich die Absicht, die pädagogische Wirkung des an moralischen Lehren reichen Reformtheaters zu verstärken. Auf spanischen Bühnen geht es vor allem ab der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts darum, die Kontinuität zwischen
148
Fulda (2009: 83).
Vgl. Diderot, Denis (1821 [1758]): „Discours sur la poésie dramatique: XI. De l’intérêt“. In: idem. Œuvres de Denis Diderot. Théâtre. Paris: J.L.B. Brière, pp. 492-501, hier p.
500: „Imaginez sur le bord du théâtre un grand mur qui vous sépare du parterre; jouez
comme si la toile ne se levait pas.“
150
Lessing hat Diderots drame bourgeois Le Fils naturel ins Deutsche übertragen und
ist von Diderots Theaterkonzept angetan. Er entwickelt daraus das ‚bürgerliche Trauerspiel‘, dessen Merkmale er in seinem zweibändigen theoretischen Werk Hamburgische
Dramaturgie (1767-1769) erläutert. Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim (1767-1769): Hamburgische Dramaturgie, vols. I & II. Hamburg u.a.: Cramer. Mit seinem Fokus auf dem
Sentimentalen, den Lessing mit Diderot teilt, widerspricht Lessing der rein rational
ausgerichteten Theaterreform Johann Christoph Gottscheds (1700-1766), die Gottsched
zwischen 1733 und 1734 in Erste Gründe der gesammten Weltweisheit darinn alle philosophische Wissenschaften in ihrer natürlichen Verknüpfung abgehandelt werden. Zum Gebrauch
Academischer Lectionen entworfen, vol. I von II. Leipzig: Breitkopf ausführt.
151
Vgl. Fulda (2009: 83).
149
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
285
Zuschauer- und Bühnenraum zu durchbrechen.152 Dies geschieht unter anderem mittels der aus Italien importierten Technik der veduta ad
angolo.153 Im Gegensatz zu der zuvor auf der Bühne vorherrschenden
Zentralperspektive, die die Blicke der Zuschauenden zur Bühnenmitte hin bündelt, bewirkt die so genannte ‚Angularperspektive‘ eine
‚Vervielfachung des optischen Zentrums‘154, das sich nun in mehrere
Fluchtpunkte aufsplittert. Zunächst beim höfischen Theater eingeführt
und dort insbesondere bei Opernaufführungen angewandt, wird diese Technik später von kommerziell orientierten Theatern imitiert. Die
Angularperspektive konzipiert die Bühne als einen vom Bereich des
Publikums ‚unabhängigen Raum‘155. Beide Techniken, die Verdunklung des Zuschauerraumes und die Streuung des optischen Zentrums
führen dazu, ‚dass sich die Illusion einstellt, es gäbe weder bespielten
noch gespielten Raum, sondern nichts als einen Realitätsraum‘156. Das
Publikum wird durch seine Identifikation mit dem Geschehen auf der
Bühne – zumindest in seiner Vorstellung – in den Aktionsraum der
Figuren ‚hineingesogen‘.
Im gleichen Maße, wie das spanische und deutsche Reformtheater
der zweiten Jahrhunderthälfte die heterotopen Räume und übernatürlichen Welten des Barocktheaters von ihren Bühnen verbannen, wird
auch die eigentliche ‚Theatralität‘ im Sinne des Inszenierungscharakters aus der Aufführungspraxis getilgt. Paradoxerweise erinnert diese im protestantischen Norddeutschland ebenso wie im katholischen
Spanien angewandte Praxis an die Argumente evangelischer Reformatoren: Auch diese wollen die prunkvolle Ausstattung der Gotteshäuser
aus Gründen einer besseren Fokussierung der Gottesdienstbesucher
auf die auf der Kanzel verbreitete Lehre zugunsten einer schlichten
Innenausstattung abschaffen. Wenn also die vielgestaltigen und fantastischen Welten des Barocktheaters – zumindest nach den Vorstellungen der Theaterreformer – neuen Inszenierungspraktiken weichen
sollen, rückt damit nicht nur die über die Figurenrede transportierte
152
Vgl. Arreguí, Juan P. (2000): „Algunas consideraciones acerca de la conformación
técnica de la pintura teatral española en el siglo xix“. In: Espéculo, 14, pp. 1-29. Quelle:
https://webs.ucm.es/info/especulo/numero14/escenog.html, Zugriff: 17.02.2022. Ohne
Paginierung in der hier verwendeten digitalen Fassung.
153
Vgl. Arreguí (2000: 7).
154
Arreguí (2000: 7), meine Übersetzung.
155
Arreguí (2000: 7), meine Übersetzung.
156
Fulda (2009: 83).
286 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
moralische Lehre, sondern auch die Inszenierung des beruflichen und
privaten Alltags des gewerbetreibenden Bürgertums auf der Handlungsebene in den Mittelpunkt. Was den Wirkungsgrad der neuen
Inszenierungspraktiken des spanischen Reformtheaters anbelangt,
muss darauf hingewiesen werden, dass der Großteil der Bühnen der
Epoche aus den barocken Theaterbauten der corrales besteht, aus an
den Seiten überdachten Innenhöfen also, in denen eine durch Beleuchtung erfolgende optische Trennung zwischen aposentos, tertulia, cazuela, dem unter freien Himmel befindlichen patio und dem Bühnenraum
schon allein aus technischen Gründen nicht möglich ist.157
Der Umstand, dass die Handlung sich im neoklassischen und sentimentalen Theater auf den Innenraum des bürgerlichen Hauses hin
zentriert, veranschaulicht das von Habermas und Lukacs dem Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts zugeschriebene Bedürfnis nach Innerlichkeit. Von einem „énfasis en acotar y reglementar un espacio de
‚privacidad‘ en torno a la familia, que se entendía cada vez más como
el pequeño círculo formado por la pareja y los hijos“ im 18. Jahrhundert in Spanien spricht auch Bolufer Peruga.158 Die von ihr beschriebene ‚Absteckung‘ eines familiären Raum des Privaten, der das Konzept
der Familie zunehmend auf die ‚Kernfamilie‘ von Eltern und Kindern
einengt, entspricht Riehls Beobachtung, das „Haus als Inbegriff einer
sozialen Gesamtpersönlichkeit, das ‚ganze Haus‘“, habe in der Epoche
der Aufklärung und danach „der Vereinzelung der Familie weichen
müssen“.159
In der Alltagswirklichkeit der Epoche manifestiert sich das von Habermas und Lukacs konstatierte bürgerliche Bedürfnis darin, dass den
einzelnen Räumen des Hauses noch vor dem 17. Jahrhundert keine
spezifischen Funktionen im Sinne von Schlaf-, Arbeits- und Aufenthaltsräumen zugewiesen werden. Im anbrechenden 18. Jahrhundert
hingegen durchlaufen bestimmte Zimmer eine zuvor nicht gekannte
‚Privatisierung‘. Lukacs veranschaulicht dies für Frankreich anhand
157
Vgl. Arreguí (2000: 7f.).
Bolufer Peruga (1998: 272ff.), die anhand ehelicher Ratgeberliteratur des spanischen 18. Jahrhunderts konstatiert, dass die Familie zunehmend als „sinónimo de
privacidad, refugio frente al mundo exterior“ konzipiert werde.
159
Riehl, Wilhelm Heinrich von (1851): Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage
einer deutschen Social-Politik, vol. III: Die Familie. Stuttgart: J.G. Cotta’scher Verlag, p.
156.
158
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
287
der Nomenklatur der Räume, die dort bereits im 17. Jahrhundert
eine entscheidende Veränderung erfahren: Das Schlafzimmer ist damals der einzige Raum, der statt als „salle“ als „chambre“ bezeichnet wird.160 Was die Terminologie im spanischen 18. Jahrhundert
anbelangt, gelangt Máximo García Fernández zu vergleichbaren Erkenntnissen, wenn er anmerkt, dass bezüglich des Empfangsraums
des bürgerlichen Hauses der Begriff „sala“ seinerzeit den zuvor gebräuchlicheren Terminus „aposento“ abzulösen beginnt. Während die
Bezeichnung „aposento“ dem aus heutiger Sicht dem Wohnzimmer
entsprechenden Raum eine repräsentative und offizielle Funktion zuweist, legt der Begriff „sala“ eine Privatisierung nahe.161 García-Fernández zufolge ist dieser Wandel der Begrifflichkeiten auf eine graduelle und wachsende Trennung von privatem und öffentlichem Raum
zurückzuführen, die vor allem am Beispiel des bürgerlichen Hauses
ersichtlich wird.162
Auch bei Habermas ist für den deutschsprachigen Raum von einem „Prozess der Privatisierung“163 die Rede,
der das Haus für die einzelnen wohnlicher, für die Familie aber enger und
ärmer werden lässt. Die großfamiliale „Öffentlichkeit“ der Wohnhalle,
in der die Frau des Hauses an der Seite des Hausherrn vor Gesinde und
Nachbarschaft repräsentiert, weicht der kleinfamilialen des Wohnzimmers, wo die Ehegatten mit ihren unmündigen Kindern sich vom Personal
absondern.164
In der spanischen sentimentalen Komödie des ausgehenden 18.
Jahrhunderts manifestiert sich die wachsende Bedeutung des privaten
Raums – der in den hier analysierten Komödien stets die Schnittstelle
zum Bereich des Geschäftlichen und zur Außenwelt bildet – vor allem
in den in den Nebentexten gegebenen Anweisungen zur Bühnenausstattung. Diese dienen dazu, den persönlichen Neigungen und den
Geschmäckern der Bewohner und den daraus abzuleitenden Charaktereigenschaften Ausdruck zu verleihen. Wie sich im Folgenden
160
Vgl. Lukacs (1972: 200).
Vgl. García-Fernández (2011: 408).
162
García-Fernández (2011: 408).
163
Habermas (1969: 57) mit Bezug auf Riehl (1851: 185).
164
Habermas (1969: 57) mit Bezug auf Riehl (1851: 185).
161
288 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zeigen wird, erweisen sich die Bühnenanweisungen so als Mittel der
impliziten Figurencharakterisierung.
5.3.1. Das bürgerliche Haus als Schnittstelle von Privatem und
Geschäftlichem in El hombre agradecido
Deutlich wurde die Funktion der Bühnenanweisungen zur impliziten Charakterisierung der auf der Bühne agierenden Figuren in dem
bereits betrachteten Textauszug aus El hombre agradecido, den wir uns
nun vor dem Hintergrund der im 18. Jahrhundert gestiegenen Bedeutung des Innenraums des Hauses als Ausdruck bürgerlicher ‚Innerlichkeit‘ noch einmal vergegenwärtigen wollen:
El Teatro representa una pieza de una alhajada con sus espejos de vestir
naturales, y sus mesas, cornucopias, arañas de cristal en medio, taburetes
decentes, mesa á un lado con su recado de escribir y una papelera. En el
fondo de la pieza habrá una puerta, que introduce á un quarto decente.
Encima de la mesa habrá un relox. 165
Inwieweit die Anweisungen zur Gestaltung des Bühnenraums das
die Handlung motivierende Dilemma veranschaulichen und dem verschwenderischen Charakter der petimetra Blasa Ausdruck verleihen,
wurde bereits ausgeführt. Die Uhr dient in diesem Zusammenhang
nicht nur als Indikator und Platzhalter für die über Wohl und Wehe
des Haushaltes entscheidende Zeitschere als ‚Unbekannte‘ in der
kaufmännischen Kostenkalkulation. Sie fungiert darüber hinaus als
Schnittstelle, die den privaten Innenraum des Hauses mit den Unwägbarkeiten des Außen verzahnt.166
Wie Chris Roulston in seiner Studie über eheliche Ratgeberliteratur des englischen 18. Jahrhunderts ausführt, ist die Ehe seit der Renaissance vorrangig nach räumlichen Gesichtspunkten konzipiert,
was dem Haus als dem die eheliche Gemeinschaft definierenden
165
Comella (1796: 1).
Das Konzept der Dialektik von Innen und Außen gründet sich auf Bachelards
Essay über das Haus der Kindheit als Erinnerungsraum. Vgl. Bachelard, Gaston (1957):
Poétique de l’espace. Paris: Presses universitaires de France.
166
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
289
Raum geschuldet ist.167 Auch er konstatiert einen sich im 18. Jahrhundert vollziehenden Wandel, den er darin gegeben sieht, dass die
Frau nun durch die Wahl von Ausstattungsgegenständen wie Mobiliar, Lampen, Spiegel und Heimtextilien beginnt, den ehelichen Raum
nach ihrem persönlichen Geschmack zu gestalten.168 Daher resümiert
Roulston: „[...] spatial rather than temporal matters became central
to the conception of the ideal bourgeois marriage, often cast in terms
of boundaries of inside and outside“169. Damit definiert er die Ehe –
und das Hausinnere als ihren Schauplatz – als die eingangs benannte
Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum. Eben diese
Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Privatem, Innen und Außen
identifiziert Angulo Egea als Charakteristikum der „nueva sociedad
burguesa“ der spanischen Aufklärung, die bestrebt gewesen sei, Kontrolle über beide Sphären zu gewinnen.170
In diesem Sinne ist Blasas opulente Ausgestaltung des häuslichen
Raumes zugleich Ausdruck ihrer Kontrolle über die eheliche Gemeinschaft in Form einer ‚weiblichen Tyrannei‘. Dass sie darüber hinaus
auch über die Zeit als bestimmenden Faktor des kaufmännischen Geschäftslebens frei verfügt, wie dies das Requisit der Uhr zusammen
mit ihrem Zuspätkommen vor Augen führt, dient als Indiz der in Comellas (und vielen neoklassischen) Komödien dominierenden Grundkonstellation der domus perversa (s.o.). Die Unfähigkeit des ‚gefallenen‘
Kaufmanns Lorenzo, den exzessiven Konsum seiner Gattin zu kontrollieren, illustriert zum einen das Versagen der männlichen Herrschaft und indiziert damit eine ‚Krise der Männlichkeit‘.171 Zum anderen bedingt die durch Lorenzos Handlungsunfähigkeit repräsentierte
167
Vgl. Roulston, Chris (2008): „Space and Representation of Marriage in
Eighteenth-Century Advice Literature“. In: The Eighteenth Century, 49, 1, pp. 25-41, hier
pp. 26f.
168
Vgl. Roulston (2008: 26f.). Auch Bolufer Peruga (1998: 180) spricht in Bezug auf
das ausgehende 18. Jahrhundert in Spanien von einer Entwicklung hin zu einer „mayor comodidad y una ‚estetización‘ de la vida cotidiana“.
169
Vgl. Roulston (2008: 28).
170
Angulo Egea (2006: 333).
171
Eine solche ‚Krise der Männlichkeit’ konstatiert Christian von Tschilschke auch
in Bezug auf Gálvez Komödie La familia a la moda. Vgl. Tschilschke (2014: 283ff.) und
Tschilschke, Christian von (2012b): „Quer zu Queer. Transgressionen der Geschlechter
im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts“. In: Fenske, Uta/Schuhen, Gregor (eds.).
Ambivalente Männlichkeit(en). Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive. Opladen: Budrich, pp. 181-198.
290 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Leerstelle männlicher Autorität, die später durch Bruno gefüllt wird,
die Bedrohung des oikos durch den ökonomischen und gesellschaftlichen Ruin, der neben der Übeltäterin und ihrem Gatten auch Lorenzos
unbescholtene Schwester Antonia sowie die Dienerschaft einschließt.
Inwieweit von einem solchen Ruin nicht nur dieser Haushalt und dieses
Geschäft, sondern durch einen Dominoeffekt auch dessen Geschäftspartner bedroht sind, wird in Comellas Komödie nicht thematisiert,
wohl aber in anderen um den Kaufmann kreisenden Komödien der
Epoche wie El fabricante de paños, o el comerciante inglés, ein Stück, das
hier im Folgenden ebenfalls einer näheren Betrachtung unterzogen
wird.
Blasas ‚Individualisierung‘ und Verinnerlichung des privaten
Raums über luxuriöse Ausstattungsgegenstände erscheint also in
Comellas Stück ausschließlich als Moment der Gefährdung von Ordnung und oikos, wobei die Herrschaft des männlichen Familienoberhauptes als natürliche, durch die petimetra nur vorübergehend außer
Kraft gesetzte Ordnung der Dinge erscheint. Da dieser oikos al revés in
der Lage ist, in einer Kettenreaktion Unschuldige mit ins ökonomische
und soziale Verderben zu ziehen, erscheint er umso mehr als gesamtgesellschaftliches Risiko, was für die moralische Lehre des Stückes
entscheidend ist. Wie die meisten Dramatiker der zweiten Hälfte des
spanischen 18. Jahrhunderts schlägt sich der populäre Autor Comella
damit in der Debatte um Für und Wider des Luxus auf die (konservative) Seite der Kritiker,172 was aufgrund der Nähe des populären Theaters und insbesondere des teatro breve zum casticismo, einer im Volk
verbreiteten konservativen Werthaltung, nicht weiter verwunderlich
ist. Bemerkenswert ist in Bezug auf Comellas El hombre agradecido,
dass die ‚rechte Ordnung der Dinge‘ im Sinne der Wiederherstellung
der patriarchalen Autorität durch das entschiedene Einschreiten des
Ordnungsstifters Bruno zwar für das Innen reetabliert werden kann,
während das Außen ein ambivalenter Raum voller Unwägbarkeiten
bleibt, in dem ebenso Vergnügungen locken (vgl. den Ball, auf dem
Blasa verweilt) wie der Kerker droht (vgl. die Inhaftierung Lorenzos).
Damit bleibt die patriarchale Autorität als Gendermerkmal des vir
oeconomicus zwar im Innenraum des oikos funktional, im Außen hingegen erweist sie sich als begrenzt. Die von Lukacs und Habermas als
172
Dies ist Huerta Viñas (1991: 187) zufolge auch in Comellas El hombre singular der
Fall, wo es Kapitän Lievens ist, der eine luxuskritische Haltung einnimmt.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
291
epochentypisch konstatierte Tendenz des Bürgertums zur Innerlichkeit offenbart sich also auch in spanischen sentimentalen Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung. In Bezug auf eine damit in Verbindung
stehende Raumökonomie erweist sich paradoxerweise das Innen als
wirtschaftlicher Handlungsspielraum, in dem sich sich die ‚Finanzspritzen‘ und Ratschläge für ‚gutes Wirtschaften‘ des Ordnungsstifters Bruno als wirksam erweisen. Die Risiken des Außenraums bleiben
hingegen in El hombre agradecido ebenso unkalkulierbar wie die Unwägbarkeiten der Zeitschere.
5.3.2. Das szenische Mittel des Briefes in Gaspar Zavala y Zamoras
El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina (1793)
In Gaspar Zavala y Zamoras 1784 uraufgeführter173 sentimentaler Komödie El triunfo del amor y de la amistad, Jenwal y Faustina (1793) manifestiert sich die – in diesem Falle vorteilhafte – ökonomische Situation
des für das Stück zentralen Kaufmanns und Protagonisten Darmont
ebenfalls über die im Nebentext gegebenen Bühnenanweisungen: „La
acción pasa en Bristol. La escena es en un departamento de la casa
de Darmont, en que habrá dos bufetes con escribanías, libros de caxa,
algunos legajos de correspondencia, una pequeña mesa de juego, y
buena sillería.“174 Die Handlung ist nicht in Spanien angesiedelt, sondern mit der Küstenstadt Bristol im fernen England, was zum einen
eine offensichtliche Referenz auf den Intertext des London Merchant
darstellt; zum anderen tritt darin die bereits erwähnte ‚Anglomanie‘
als Modeerscheinung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und Charakteristikum des Theaters Zavala y Zamoras hervor, das durch englische Prosatexte175 wesentlich beeinflusst wurde, darunter Richardsons
173
Vgl. García Garrosa (1991: 1).
Zavala y Zamora, Gaspar (1813): El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina:
comedia original en prosa en tres actos. Valencia: Ildefonso Monpié de Montaguado. Quelle: Fondos digitales de la Universidad de Sevilla. https://archive.org/details/A25023514, Zugriff: 13.08.2022, p. 1.
175
Vgl. zu den englischen Erzähltexten, die Zavala y Zamora als Vorlage für seine
Dramen dienten, García Garrosa, María Jesús (2011): „Gaspar Zavala y Zamora y la
sociedad inglesa: El amante honrado: adaptación dramática de la novela Memoirs of Miss
Sidney Bidulph”. In: Dieciocho 34, 1, p. 7-28, hier pp. 7f. Weitere in England angesiedelte
Dramen Zavala y Zamoras sind neben El triunfo del amor y la amistad, Jenwal y Faustina
174
292 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Clarissa: or the History of a Young Lady (1748), ein Roman, der sich auch
für Valladares de Sotomayors El fabricante de paños als einflussgebend
erweist.176 Wenn McClelland El triunfo del amor y la amistad ebenfalls als
eine der zahlreichen Adaptationen des London Merchant identifiziert
und auf Mercier zurückführt (s.o.), stellt sie damit zugleich die Thematik des Kaufmanns als das für das Stück charakteristische Element
in den Vordergrund. Unter den dramatis personae wird Darmont als
„cambista“, also als „Geldwechsler“ bezeichnet. Er kann insofern dem
Kaufmannsstand zugerechnet werden, als der Handel im 18. Jahrhundert, wie Gervais betont, weniger durch monetäre Zahlungen als
über Wechsel abgewickelt wurde.177 Darmont ist in diesem Sinne ein
Kaufmann, der mit Wechseln handelt. Das Stück enthält wesentliche
Elemente des populären Theaters,178 zeigt aber auch die Entwicklung
Zavalas und Zamoras, der sich seit den 1780er Jahren zunehmend der
Inszenierung des Ökonomischen und der Arbeit in der sentimentalen
Komödie widmet179 und sich damit ebenso von moralideologischen
Folien des barocken Theaters wie vom feudalen Ehrbegriff löst, der
etwa in El vinatero de Madrid (1784) noch deutlich präsent ist.
Auch in dieser nach englischem Vorbild gestalteten populären sentimentalen Komödie leisten die Vorgaben des Nebentextes zur Gestaltung des häuslichen Innenraums eine implizite Charakterisierung der
für die Handlung zentralen Figur des Kaufmanns Darmont. Die auf
(1793) die Komödien Las víctimas del amor, Ana y Sindhám (1789), La hidalguía de una
inglesa (1790) und Eduardo y Federica (1811). Vgl. García Garrosa (2011: 11).
176
Vgl. Fuentes (1999: 5; 297ff.).
177
Vgl. Gervais (2008: 468), s.o.
178
Diese Elemente aus dem populären Theater sind vor allem im Humor des Stückes auszumachen, aber auch in den teils respektlosen Äußerungen, die die Dienerin
Enriqueta und Smirn, ein Freund Jenwals, über Hausgäste und Herrschaft tätigen.
179
Vgl. Fernández Cabezón (1996: 338). Als Beispiele für ein solches sentimentales
Theater der Ökonomie bei Zavala y Zamora führt Fernández Cabezón neben El triunfo del amor auch folgende Stücke an: Eduardo y Federica (1811) als Lob der Industrie;
El amor perseguido y la virtud triunfante (1792) als Lob der ihrer Scholle verpflichteten
Landarbeiter; El premio de la humanidad (1790); El perfecto amigo (1790d); die von einer
französischen Erzählung inspirierte Komödie El caldero de San Germán o El mutuo agradecimiento (1790b); Las víctimas del amor. Ana y Sindhám (1788) sowie El amor constante o
La holandesa (1787) als Lob der Arbeit; El naufragio feliz (o.J.), El amor dichoso (1790a) und
El rey Eduardo (1804), die sich der Thematik des (Übersee-)Handels annehmen sowie
Sélico y Berisa (1799), ein Stück, in dem es um den Sklavenhandel geht. Alle zitiert in
Fernández Cabezón (1996: 343ff.).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
293
der Bühne vorrangig präsenten Utensilien des Geschäftslebens wie
„escribanías“, „libros de caxa“ und „legajos de correspondencia“ informieren das Publikum über den Umstand, dass der Hausherr ein umtriebiger Geschäftsmann ist.180 Allein der – zudem kleindimensionierte
– Spieltisch verweist auf den sich in Maßen haltenden Sinn Darmonts
für das Vergnügen und ist zugleich ein Ausdruck seiner Geselligkeit,
die den Kaufmann zudem als hombre de bien181 ausweist. Eingebettet in
den Schauplatz des durch das Geschäftliche dominierten Innenraums
des Kaufmannshaushaltes ist der für die Komödie charakteristische
Liebesplot. Dieser rankt sich um die zunächst aussichtslose Liebe des
mittellosen Kassierers Jenwal zu Darmonts Tochter Faustina. Letztere
ist dem betrügerischen Vangrey versprochen, einem nach dem Vorbild von José Cadalsos Satire Los eruditos a la violeta (1772) konzipierten falschen Gelehrten,182 der Darmont den betrügerischen Bankrott
als probates Mittel gegen die finanzielle Misere nahelegt.183 Dieser
Vorschlag wird von Darmont als ehrbarem Repräsentanten des Kaufmannsstandes entschieden zurückgewiesen.
Bevor nun, wie im Titel angekündigt, ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘
über die ökonomisch begründeten Zweifel des Vaters an Jenwals Eignung zum künftigen Gatten184 seiner geliebten Tochter ‚triumphieren‘,
ist es das szenische Mittel des Briefes, das dazu dient, die Handlung zu beschleunigen und die für die Komödie charakteristischen
180
Vgl. zu diesem Stück auch die Analyse von Fernández Cabezón (1996:355ff.), die
mit Verweis auf Pataky-Kosove (1978: 87) zeigt, inwiefern diese Komödie „interesantes
detalles en relación con el comercio y las finanzas“ enthält.
181
Fuentes (1999: 71) definiert das aufklärerische Gesellschaftsideal des hombre de
bien anhand des es auszeichenden Gleichgewichts von Vernunft und Gefühl: „Junto
a la razón y lógica, que ordena desde lo simple hasta lo complejo, existe la fuerza del
sentimiento, y la simbiosis y perfecto equilibrio entre razón y emoción, caracterizaría
al hombre de bien.“
182
Die Figurenrede Vangreys gestaltet sich als eine wirre Aneinanderreihung von
Namen und lateinischen Zitaten. So zitiert er im Gespräch mit Darmont und Faustina
Pythagoras, den heiligen Elian und die Oden des Horaz, ohne dass dies für seinen Gesprächspartner einen Sinn ergäbe: „Justum, ac tenacem, propositi virum, etc., dixo Horacio.“ Zavala y Zamora (1813: 3).
183
Vgl. hierzu auch Fernández Cabezón (1996: 356) und García Garrosa (1990: 161).
184
Vgl. zur Haltung Darmonts gegenüber Jenwal die Äußerung Smirns: „[...] Darmont hace lo que debe, en no casar à su hija con un pobre trompeta.“ Zavala y Zamora
(1813: 8).
294 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Glückswechsel herbeizuführen.185 Zugleich erfüllt der Brief in Zavala
y Zamoras Komödie die Funktion, das private Liebesglück Jenwals
und Faustinas mit der auch hier als bedrohlich und unberechenbar
dargestellten Außenwelt zu verbinden. Im Laufe der im Stück mehrfach erfolgenden Briefwechsel erweist sich das private Wohl und
Wehe Jenwals und Faustinas als von den Ereignissen der geschäftlichen Außenwelt wesentlich abhängig. Auch in diesem Stück kommt
der Aspekt der Zeitschere zwischen kalkuliertem und tatsächlichem
Wareneingang ins Spiel und führt insofern eine dramatische Wende
herbei, als die Schere sich hier eben nicht schließt, da das Schiff mit
Darmonts Vermögen Schiffbruch erleidet.186 Im Zusammenhang mit
den zahlreichen Glückswechseln in Zavala y Zamoras Komödie erweist sich das Medium des Briefes als zentral: So erfährt Darmont
durch einen Brief von dem für das Stück entscheidenden Schicksalsschlag seines Bankrotts;187 ein Brief ist es auch, der Kunde über einen
zugunsten des Hauses Darmont ausgestellten Wechsel über 2.000
Pfund Sterling bringt, der die Tilgung einer geschuldeten Summe
ermöglicht, aufgrund derer Darmont im Gefängnis ausharrt.188 Angesichts der Funktion des Briefes als Medium, das die der Komödie
zugrundeliegenden Glückswechsel wesentlich motiviert, erscheint es
nicht verwunderlich, dass auch das glückliche Ende durch einen Brief
herbeigeführt wird. 189
185
Der Brief ist ein im Theater Zavala y Zamoras häufig anzutreffenden Element,
das dazu dient, Handlungsumschwünge zu rechtfertigen.
186
Vgl. hierzu auch García Garrosa (1993: 689): „Darmont [...] ha quabrado por el
naufragio del buque que llevaba su fortuna a su cuenta de Jamaica.“
187
Vgl. Zavala y Zamora (1813: 13).
188
Vgl. Zavala y Zamora (1813: 18).
189
Auch in den ökonomiebezogenen Komödien Valladares de Sotomayors spielen
Briefe eine Rolle, z.B. in El fabricante de paños, wo die schriftliche Nachricht ebenfalls
als dramatisches Mittel dient, über das Wendungen der Handlung vermittelt werden,
etwa der intendierte Selbstmord des bankrotten Textilfabrikanten Wilson, in dem er
zunächst seinen Konkurrenten, Milord Orcey, ersucht, sich nach Wilsons Tod dessen
Witwe und seiner Kinder anzunehmen und dann, in einem weiteren Brief, seine Gattin
über seinen Entschluss in Kenntnis setzt, sich das Leben zu nehmen. Vgl. Valladares
(o.J.: 22, vv. 482-490): „Adios mi querida Fania. / [...] / El nudo que esta mañana nos
unió [...] / y que fue por mi desgracia / tan fatal para tu dicha, / estará deshecho cuando
/ llegues a ver estas líneas, / pues ya habré muerto.” Eine regelrechte Häufung von
Briefen und Dokumenten, die gegen Ende der Komödie einen Überschuss an Wendungen herbeiführen, findet sich in El vinatero de Madrid. Vgl. hierzu auch Guinard,
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
295
Angulo Egea betrachtet den Brief und seine Inszenierung im
sentimentalen Theater des spanischen 18. Jahrhunderts als zentrale Ausdrucksform der für das aufstrebende Bürgertum der Epoche
charakteristischen Kopplung von Öffentlichem und Privatem.190 Zugleich befriedigt der Brief ihr zufolge das Bedürfnis des bürgerlichen
Publikums nach Intimität als Ausdruck von Gefühl191, was mit Habermas‘ These vom bürgerlichen Bedürfnis nach Innerlichkeit im Einklang steht. Diesem Bedürfnis nach Intimität wird Genüge getan, wenn
Liebesbriefe von den Figuren auf der Bühne laut vorgelesen werden
und so die Gefühlswelten der Protagonisten enthüllen. In El triunfo del
amor fällt demgegenüber auf, dass der Brief zwar die Liebeshändel der
zentralen Figuren mit der Welt des Handels verbindet, nicht aber zur
Übermittlung von Liebesbotschaften dient. Die einzige Liebesbotschaft
in Zavala y Zamoras Komödie ist eine mündliche Nachricht, die Jenwals Freund Smirn der Angebeteten übermitteln soll. Dummerweise
entfällt dem Liebesboten der Inhalt aber just in dem Moment, in dem er
Faustina gegenübersteht, was für ein komisches Moment sorgt.192
Gerade der letzte, so bedeutsame Brief des Stückes, durch den Jenwal schließlich Faustinas Hand gewinnt, offenbart die Funktion des
Dokumentes als Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem,
individuellem Liebesglück und besonnenem geschäftlichem Taktieren. Das von Darmont verlesene Schriftstück lautet wie folgt:
[...] Un hombre sensible á vuestras desgracias, no puede aliviarlas sino en
la parte de daros libertad a costa de la suya. No os sea doloroso su sacrificio, pues á él se le hacen agradables mil circunstancias, ni discurrais cómo
agradecerle; pues lo único que pudiera recompensarle, era la mano de la
virtuosa Faustina.193
Wie wir schon erahnen, verbirgt sich hinter diesem geheimnisvollen Schreiben des anonymen Retters, der um Faustinas Hand
Paul Jacques (1981): „La mésalliance éludée dans El vinatero de Madrid de Valladares de
Sotomayor (1784)“. In: Ibérica: collection, III, pp. 151-166, hier p. 161: „[...] un coup de
théâtre chasse l’autre.” García Garrosa (2022: 134) nennt mit Los franceses generosos ein
Stück von Valladares, in dem der Wechselbrief eine Rolle spielt.
190
Vgl. Angulo Egea (2006: 328).
191
Vgl. Angulo Egea (2006: 333).
192
Vgl. Zavala y Zamora (1813: 20).
193
Zavala y Zamora (1813: 23).
296 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
bittet, Jenwal, der Darmonts Platz im Gefängnis eingenommen und
sich damit eine günstige Verhandlungsposition im zuvor für ihn aussichtslosen Geschäft des Ehehandels verschafft hat. Was Jenwal hier
seinem Dienstherrn unterbreitet, ist ein wohlkalkulierter Tauschhandel: Die Hand Faustinas wird dabei zur Ware, die Jenwal nur deshalb einfordern kann, weil er sich einerseits seiner durch den Brief
als mittelbare Form der Kommunikation gewährleisteten Anonymität sicher sein kann, und weil andererseits sein auf den ersten Blick
zwar altruistisches, auf den zweiten Blick aber berechnendes Handeln,
im Gefängnis für Darmont zu bürgen, eine der vermeintlichen Aufopferung ebenbürtige Gegengabe seitens des Kaufmanns notwendig
macht. Auf der Handlungsebene des Stückes wird eine Tugend gegen
eine andere getauscht: Jenwals (nur vermeintlich) tugendhafte Handlung repräsentiert dort den angemessenen Gegenwert zur tugendhaften Faustina. Die Liebe richtet sich nach den Prinzipien der Geschäftswelt, stellt sich die Ehe doch als ein Handel dar, den es klug
und zuweilen auch unter Anwendung von Listen abzuschließen gilt.
Dass Faustina – als Stellvertreterfigur weiblicher Bürgerlichkeit – in
diesem Tauschgeschäft unter Männern immer noch unter Wert ‚verkauft‘ wird, zeigt der Umstand, dass eine einzige, zudem noch aus
Berechnung erfolgende Tat Jenwals in der Lage ist, Faustinas tugendhaften Charakter aufzuwiegen. Jenwals berechnendes Verhalten wird
im Stück nicht weiter hinterfragt, was in der Tradition der seit der
Antike geltenden Konzeption der Ehe als Geschäft steht.
5.4. Soziales Kapital: Von der guten und schlechten Ökonomie
der Affekte
Nach dem Modell der durch die Politische Ökonomie der Bourbonen angestoßenen wirtschaftlichen Reformdiskurse sind in den im
Folgenden untersuchten Stücken auch die Affekte modelliert. Wie
Susanne Schlünder anmerkt, markiert das 18. Jahrhundert „ein historisches Schwellenmoment“ 194, in dem nicht nur „jene Wissensbestände Konturen gewinnen, die John Stuart Mill später unter dem
194
Schlünder, Susanne (2018a): „Einleitung“. In: eadem/Stahl, Andrea (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp.
7-17, hier p. 8.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
297
Schlüsselbegriff der politischen Ökonomie bündelt“ 195, sondern in
dem auch ein „Wandel zeitgenössischer Affektkonzeptionen und
herrschender Affektregime“196 zu verzeichnen ist. Suggeriert die „Zusammenführung von Affekt und Ökonomie zum Begriff der Affektökonomie“ Andrea Stahl zufolge „eine mögliche Übertragung ökonomischer Kategorien auf den Bereich des Affektiven“197, erscheint auch
ihr vor diesem Hintergrund die Frage virulent, „wie das Verhältnis
zwischen Ökonomie und Politik für affektökonomische Konzeptionen
zu denken ist“198. Im Hinblick auf eine der sentimentalen Komödie zugrundeliegende Ökonomie der Affekte, die mit den in dieser Gattung
verhandelten wirtschaftlichen Diskursen und Handlungen im Zusammenhang steht, ist zu vermuten, dass gerade dort emotionale Überschüsse in Form überbordender Gefühle erwirtschaftet werden.
Schomacher kritisiert ihrerseits am herkömmlichen Verständnis
des Begriffs der ‚Affektökonomie‘199, dass es sich allein auf das Haushalten mit Affekten selbst beziehe – auf die „Gestaltungskompetenz
affektiver Großwetterlagen“ oder auf das Verhältnis eines „physischemotionalen Istzustands mit verschiedenen Sollzuständen“, statt
um ein „Handeln mit Geld oder Gütern seitens der Akteure“,200 das
dazu führen könne, dass zuweilen heikle Transaktionen zu Auslösern
195
Schlünder (2018a: 8).
Schlünder (2018a: 8).
197
Stahl, Andrea (2018): „Affekt und Ökonomie: Kontexte, Voraussetzungen, Folgerungen“. In: eadem/Schlünder, Susanne (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp. 19-30, hier p. 19.
198
Stahl (2018: 21).
199
Vgl. Schomacher (2021: 309f.). So kritisiert sie etwa die Konzeption einer dergestaltigen Affektökonomie bei Balke, Friedrich (2001): „Mediumvorgänge sind unwichtig.‘ Zur Affektökonomie des Medialen bei Fritz Heider“. In: Keck, Annette/Pethes,
Nicolas (eds.). Mediale Anatomien. Menschenbilder als Medienprojekionen. Bielefeld: transcript, pp. 401-412; Küpper, Joachim/Rautzenberg, Markus/Schaub, Mirjam (2013): The
Beauty of Theory: Zur Ästhetik der Affektökonomie von Theorien. Paderborn: Fink; Wachendorff, Elke (2016): „Affektökonomien. Großer Stil und niedere Heilkunst. Nietzsche
contra Wagner“. In: Georg-Lauer, Jutta/Reschke, Renate (eds.). Nietzsche und Wagner.
Perspektiven ihrer Auseinandersetzung. Berlin: De Gruyter, pp. 82-93; Zill, Rüdiger (2010):
„Kaltes Herz und kühler Kopf. Coolness und andere Formen der Affektökonomie“. In:
Gronau, Barbara/Lagaay, Alice (eds.). Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln
zwischen Askese und Restriktion. Bielefeld: transcript, pp. 95-113 sowie Schlünder/Stahl
(2018).
200
Schomacher (2021: 309).
196
298 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
bestimmter Affektlagen würden.201 In den hier untersuchten Beispielen sentimentaler Komödien der spanischen Spätaufklärung sind ökonomische Vorgänge nicht nur affektauslösend, vielmehr sind Wirtschafts- und Affektverhalten untrennbar miteinander verwoben: Wer
nicht (gewinnbringend) mit Gütern zu wirtschaften vermag, dem gelingt dies auch in Bezug auf Affekte nicht, was sich auf die Erfolgsaussichten der betreffenden Figur auf dem Heiratsmarkt negativ auswirkt.
Ein Überschuss an Gefühl ist in diesem Zusammenhang nicht mit
einem Übermaß an Affekt gleichzusetzen, womit zunächst eine Unterscheidung beider Begriffe vorgenommen werden soll: Wird ‚Gefühl‘
hier vor dem Hintergrund der moralisierenden Funktion der sentimentalen Komödie als Regung verstanden, die sich durch Geselligkeit
und – in wirtschaftlicher Hinsicht – durch ‚sozialen Ertrag‘ auszeichnet
(z.B. das Mitgefühl und die Freundschaft, die in der Lage sind, gesellschaftsverbessernd zu wirken), soll der ‚Affekt‘ im Gegensatz dazu als
ein durch Egozentrik geleiteter Impuls aufgefasst werden, dessen Effekte überwiegend zerstörerischer Natur sind und der aufklärerischen
Definition des bien común entgegenstehen.202 Im Zuge ihres moralisierenden Gestus appelliert die sentimentale Komödie an die Mäßigung
der Affekte, während es an Gefühlsbekundungen in Form von Reue,
Mitleid und Zuneigung ebenso wie an Appellen an das Mitgefühl der
ZuschauerInnen mit den Figuren nicht mangelt.203 Das Plädoyer der
Gattung für eine Ökonomisierung des Affekts durch seine Kanalisierung in eine Form der Soziabilität, die mit der bürgerlichen Tugend
201
Schomacher (2021: 309) plädiert stattdessen für „eine Untersuchung des Verhältnisses von nun ganz wörtlich verstandenem ökonomischen Handeln (Kauf, Verkauf,
Bezahlung, Investition) und den Körpern der Handelnden“. Dies geschieht, wohlgemerkt, vor dem Hintergrund des Mehrwerts dieses Vorgehens für ihre Analyse der
Texte Italo Svevos.
202
Die Unterscheidung von Gefühl und Affekt findet sich auch in der modernen
Psychologie, wobei beide Begriffe auch innerhalb dieser Disziplin verschieden konzipiert und definiert werden. So wird der Affekt u.a. als eine unwillkürliche Regung
angesehen, während das Gefühl das bewusste Erleben, die Wahrnehmung des Selbst
und seiner Umgebung meint. Vgl. u.a. Rudolf, Gerd/Henningsen, Peter (eds.) (2013):
Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. Stuttgart: Thieme, p. 66.
203
Llanos Mardones, Bernadita (1989): „Integración de la mujer al proyecto de la
Ilustración en España“. In: Ideologies and Literature, 4, 1, pp. 199-223, hier p. 209: „[...] el
objetivo ilustrado de reformar los usos y creencias mediante el teatro, se da fundamentalmente, a través de la apelación y manipulación de las emociones.“
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
299
der temperantia einhergeht, wird in nicht wenigen Stücken der Epoche
durch ein Figurenpersonal getragen, das seinerseits dem Wirtschaftsleben entstammt: Kaufleute und Unternehmer repräsentieren dort das
gewerbetreibende Bürgertum als eine aufstrebende gesellschaftliche
Schicht mit sozialer Vorbildfunktion. Beide Gruppen fungieren als
versierte Ökonomen der Finanzen und Affekte gleichermaßen. Durch
ihre Situierung im bürgerlichen Haushalt, der bereits als Ort der Begegnung von innerem, privaten und äußerem, unternehmerischen
Wirtschaften skizziert wurde, verzahnen die hier in den Fokus gerückten Stücke individuelle Moral und Gemeinwohl: Der Einzelne gereicht
der spanischen Gesellschaft und ihren Individuen genau dann zum
Nutzen, wenn er sich mit Blick auf das Wohl aller moralisch ‚richtig‘
verhält, d.h. arbeitsam, maßvoll und verantwortungsbewusst agiert.
Handelt er hingegen moralisch verwerflich, ist er also verschwenderisch, faul oder betrügerisch, schadet sein Fehlverhalten ebenso der
Gemeinschaft wie ihm selbst. Dies wurde in Bezug auf die Kaufmannsgattin und petimetra Blasa bereits deutlich, die dem ihr unterstehenden
oikos ebenso wie Lorenzos kaufmännischem Geschäft durch ihre ungezügelten Ausgaben beträchtlichen Schaden zufügt. Im Zuge der am
Ende der hier untersuchten Stücke stehenden Moral werden – so die
Hypothese – beide Effekte vorgeführt: die Prosperität der moralisch
verantwortlich handelnden ‚ÖkonomInnen‘ einerseits und der durch
das verantwortungslose Handeln der ‚VerschwenderInnen‘ herbeigeführte Bankrott andererseits.204 Vorgeführt wird mit dem Triumph der
Guten über die Schlechten auch der Sieg des auf die Gemeinschaft bezogenen (Mit-)Gefühls über den ichbezogenen Affekt.
Den Triumph der Tugendhaften über die Lasterhaften führt auch
Lillos London Merchant als Vorlage vieler französischer und spanischer
Kaufmannsdramen des 18. Jahrhunderts vor. Laut Rommel schafft gerade in diesem Stück
die dramatische Kontrastierung von nüchternem und korrektem Finanzgebaren im Gegensatz zu leidenschaftlicher Hingabe ein Spannungsfeld
von Emotionen und Verhaltensweisen, das in der Negation dazu führt,
204
Ähnliches konstatiert Völkl (2022: 282) für die Konturierung von Tugenden
und Lastern in spanischen und französischen Moralischen Wochenschriften des 18.
Jahrhunderts, nämlich dass „Tugendhaftigkeit [zumeist] vor dem Hintergrund ihres
Gegenteils, der Lasterhaftigkeit, dargestellt“ wird.
300 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Welt des Geldes und der Wirtschaft den Status emotionsenthobener
Sachlichkeit, korrekter Zuverlässigkeit und überparteilicher Integrität zu
verleihen.205
In neoklassischen spanischen Komödien stellt sich dies insofern
anders dar, als Kaufleute zwar auch dort zumeist integre und zuverlässige Personen sind, ihre Handlungen jedoch als solche präsentiert
werden, die durch ein freundschaftliches und patriotisches Verhältnis
zur spanischen Nation motiviert sind. Besteht die „Notwendigkeit,
unternehmerisches Handeln als sozialverträglich zu rechtfertigen,
[...] für Lillo nicht“206, ist sie für spanische sentimentale Komödien im
Gegenteil charakteristisch. In letzteren erfolgt die Apologie des Kaufmannsstandes durch einen moralisierenden Gestus‘207, der den ebenfalls gattungstypischen aufklärerisch-bürgerlichen Wert der amistad208
mit dem Konzept der adeligen honra kontrastiert. Diese war noch im
spanischen Barocktheater und insbesondere in der Gattung der ‚Ehrendramen‘209 ein fundamentaler Topos. Steht also die Freundschaft für
das neue patriotische und utilitaristische Denken einer in den absolutismo ilustrado eines Carlos III. eingebetteten spanischen Aufklärung,210
205
Rommel (2006: 192).
Rommel (2006: 192).
207
Vgl. Fuentes (1999:37f.), der zufolge bereits die englischen sentimental comedies,
die ja Vorläufer der spanischen comedias sentimentales sind, ein „objetivo moralizante“
kennzeichnet.
208
Vgl. Fuentes (1999:37f.). Als „temas constantes“ sentimentaler Komödien identifiziert Fuentes in Analogie hierzu: „1. las relaciones familiares“, „2. la autoridad paterna“, „3. las amistades“, „4. „el honor“, „5. el matrimonio por amor frente al de conveniencia“, „6. los prejuicios sociales“, „7. el orden social“.
209
Zum spanischen Ehrendrama und seinen italienischen Vorläufern vgl. die Studie von Toro, Alfonso de (1993): Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama
des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien und Spanien. Frankfurt/Main: Vervuert.
210
Vgl. Krauss (1973: 8). Krauss zufolge besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Aufklärungsbewegungen in Frankreich und Spanien darin, dass sich die
französische als geistiger Gegendiskurs zu Monarchie und Kirche verstand und „nie
regierungsfähig“ war, während die spanische durch den Einfluss des katholischen
Glaubens in Spaniens wesentlich geprägt war, infolge des Dynastiewechsels von den
Habsburgern zu den Bourbonen erst entstehen konnte und sich mit der Monarchie verband. Zwar ist Krauss’ Ausführungen im Großen und Ganzen zuzustimmen, Maravalls
nuancierte Darstellung des Reformdenkens des Conde de Cabarrús zeigt jedoch, dass
Krauss’ These von der Komplizenschaft zwischen Monarchie und Aufklärung nicht
auf alle VertreterInnen der spanischen Ilustración gleichermaßen zutrifft, sondern vor
206
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
301
deren Trägerfiguren ökonomisch erfolgreiche Bürger sind,211 repräsentiert die honra als Ideal des Barocktheaters das nunmehr überkommene
System untätiger Feudalherren, die vor allem in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts zum Gegenstand aufklärerischer Kritik werden.
5.4.1. Von der feudalen honra zur bürgerlichen amistad
Ist das barocke Ehrendrama noch dem Ideal der honra als Inbegriff
adeligen Ehrempfindens verpflichtet, so inszeniert es damit auch den
nun im neoklassischen Theater zunehmend im Verruf stehenden privilegierten Status der adeligen ProtagonistInnen in einer feudalen
Gesellschaftsordnung. Alfonso de Toro zufolge ist der mit der honra
verbundene barocke Ehrbegriff „[...] das Ergebnis einer in Ständen
organisierten Gesellschaft, an deren Spitze der Blut- bzw. Namensadel stand.“212 Friederike Hassauer verweist ihrerseits auf die tendenziell sexuelle Ausdifferenzierung, die das Konzept der honra gegenüber dem feudalen Begriff des honor vornimmt.213 Wie im Titel von
Zavala y Zamoras Komödie El triunfo del amor y la amistad bereits anallem auf diejenigen, die zugleich Regierungsämter bekleideten. Vgl. Maravall, José
Antonio (1991): Estudios de la historia del pensamiento español (siglo xviii). Madrid: Mondadori, pp. 82ff.
211
Vgl. Sebold, Russell P. (2010): „Introducción“. In: Tomás de Iriarte – Teatro original
completo, ed. idem, Madrid: Cátedra, pp. 9-126, hier p. 59. Wie Sebold etwa in Bezug
auf das Theater Iriartes und Cadalsos anmerkt, entstammen die dortigen Figuren der
Schicht des gehobenen Bürgertums.
212
De Toro (1993: 92). De Toro bezieht sich dabei auf diejenigen Ehrendramen, in
denen honor bzw. honra gleichbedeutend ist mit „‚linaje/nobleza‘ ≈ virtud‘“ und bezieht
sich dabei unter anderem auf Autoren wie Arce de Otarola und Moreno de Vargas. In
Bezug auf die Gebräuchlichkeit der Begriffe honor vs. honra in spanischen Ehrendramen wird im Siglo de Oro laut de Toro (vgl. 1993: 87) „der spanische Begriff ‚honor‘ eher
als archaisch empfunden und nicht so häufig gebraucht“. Díez Borque (1976: 304) verweist mit Bezug auf das Theater Lope de Vegas auf die Rückbindung des honor nicht
nur an Adel und Ritterschaft, sondern auch an das nationale Selbstverständnis eines
im Christentum und in der Doktrin der limpieza de sangre verorteten ‚Spanisch- Seins‘:
„La honra y la hidalguía iban aunadas con la ortodoxia y con la misma conciencia de
ser español, pero, como decía más arriba, el honor está unido al nacimiento, al linaje.“
213
Vgl. Hassauer, Friederike (1997): „Die Seele ist nicht Mann, nicht Weib. Stationen der Querelle des Femmes in Spanien und Lateinamerika vom 16. zum 18. Jahrhundert“. In: Bock, Gisela/Zimmermann, Margarete (eds.). Querelles [sic]. Jahrbuch für
Geschlechterforschung, vol. II. Stuttgart: Metzler, pp. 203-238, hier p. 208 mit Bezug auf
302 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
klingt, verschreibt sich hingegen das sentimentale spanische Theater
des ausgehenden 18. Jahrhunderts zunehmend der Inszenierung der
Freundschaft als einer ‚Verbindung unter Gleichen‘214, wobei kritisch
anzumerken ist, dass es sich dabei um ‚Gleiche‘ einer höhergestellten gesellschaftlichen Schicht mit sozialer Vorbildfunktion handelt.215
Überdies sind die im neoklassischen ebenso wie im populären sentimentalen Theater216 inszenierten Freundschaftsbeziehungen nahezu ausschließlich Männerfreundschaften. Komorowska sieht in der
Häufigkeit, mit der die Thematik der Freundschaft im Theater des
17. und 18. Jahrhunderts auch in titelgebender Funktion auftritt, ein
Indiz für einen grundlegenden sozialen Wandel, der sich bereits im
17. Jahrhundert abzeichnet: Die Gleichrangigkeit, die die Freundschaft als soziale Beziehung notwendigerweise voraussetzt, verleiht
dem Wunsch eines langsam aufsteigenden Bürgertums in Gestalt
von Händlern und Kaufleuten nach sozialer Ebenbürtigkeit mit dem
Adel Ausdruck.217 Dem gegenüber ist die sich im populären Theater
Beysterveldt, Antonie van (1966): Répercussions du souci de la pureté de sang sur la conception de l’Honneur dans la comedia nueva. Leiden: Brill, ohne Angabe der Seite.
214
Bei Sánchez-Blanco (1992: 172) ist wörtlich von einer „relación entre iguales“
die Rede.
215
Vgl. zu dieser Kritik Llanos Mardones (1989: 203).
216
Die hier unternommene Unterscheidung von neoklassischem und populärem
sentimentalen Theater fußt auf Palacios (1998: 49): „Con todo, conviene aclarar que nos
encontramos ante dos maneras de presentar comedias sentimentales. Una remite al
teatro neoclásico, llámese siguiendo a las poéticas ‚comedia seria‘ o ‚tragedia urbana‘,
en la que los autores cuidan con rigor las unidades, la moralidad y el estilo (escritas
en prosa), como confirman los textos de Jovellanos o de Trigueros. La otra fórmula,
comedia sentimental (‚lacrimosa‘) o drama sentimental, concuerda con los gustos y la
estética del teatro popular: no guarda las unidades dramáticas, es más novelesca, mantiene los rasgos del estilo vulgar, y está escrita en verso.” Palacios führt diese Unterscheidung auf den Italiener Napoli-Signorelli und seine Differenzierung von „Tragedia
cittadina“ (d’Arnaud, Delharpe, Voltaire) und „Commedia lagrimante“ (Sedaine, Falbaire, Mercier) zurück. Vgl. Palacios (1998: 49).
217
Vgl. den Gastvortrag von Agnieszka Komorowska „Parabienes de acreedores“
vom 05.06.2018 an der Universität Siegen. Vgl. auch Komorowska (2018a: 96f.): Für
das Siglo de Oro konstatiert sie, erstens, „Veränderungen in den Interaktionsformen,
wie dies besonders die engen politischen Allianz- und Nahbeziehungen illustrieren,
deren Kristallisationspunkt die präferierte Zweierbeziehung zwischen dem König
und seinem engsten Berater, dem valido, bildet“, und zweitens das „Ungleichgewicht
zwischen dinero und calidad”: Im Zuge der wachsenden finanziellen Potenz von im
Überseehandel reich gewordenen Händlern kommt es zu einem Aufeinanderprall von
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
303
hartnäckig haltende Praxis zu beobachten, der andauernden Vorliebe
des Publikums für die Ehrthematik auch noch im 18. Jahrhundert Genüge zu tun.218 Diese Tendenz zeigt sich in populären Stücken wie El
amor honrado (1793) von Zavala y Zamora, das die Adaptation eines
englischen sentimentalen Romans von Frances Sheridan ist,219 den Ehrenhändel in den Vordergrund stellt und so von den nuancierten Gefühlswelten der englischen Vorlage abweicht.220 Auch in Valladares de
Sotomayors El vinatero de Madrid (1784) greift der vermeintliche Weinhändler Juan Pérez, der ebenfalls im Geheimen ein Adeliger ist, zum
Schwert, um die Ehre seiner Tochter zu verteidigen, obwohl er sich
zuvor für die Tugend der prudentia ausgesprochen hatte.221 Dies zeigt,
inwiefern gerade die Dramatiker, die sich am Geschmack des Publikums orientieren, versuchen, dem aufklärerischen Zeitgeist Rechnung
zu tragen, indem sie moralideologische Versatzstücke des neoklassischen Theaters übernehmen,222 zugleich aber althergebrachte Motive
„neuem Geld“ und „altem, häufig verarmten Adel“, der im Barocktheater anhand der
Thematik der Freundschaftsprobe im Sinne eines „Echtheitstest[s]“ verhandelt wird.
218
Vgl. García Garrosa (2011: 21): „[...] interesa ahora confirmar que, pese a los esfuerzos de la reforma neoclásica y de la política reformista, los espectadores españoles
de fines del siglo xviii seguían gustando de obras en las que el honor y los maridos que
se creían ultrajados se limpiaba de forma cruenta.”
219
Sheridan, Frances (1761): Memoirs of Miss Sidney Bidulph, extracted from her own
journal, and now first published. Dublin: H. Saunders, zitiert in García Garrosa (2011: 27).
220
Vgl. zu diesen Abweichungen García Garrosa (2011: 14ff.). Ihren Forschungen
zufolge benutzt Zavala y Zamora, von dem sie mutmaßt, dass er des Englischen nicht
mächtig war, in seinen Adaptationen englischer Vorlagen nicht den Originaltext, sondern stützt sich stattdessen auf spanische Übersetzungen französischer Fassungen
der betreffenden Werke, im Falle von El amante honrado ist dies die spanische Version
Jacobo de Villarutias (Memorias para la historia de la virtud, 1792) einer französischen
Übersetzung des Abbé de Provost (Mémoires pour servir à l’histoire de la vertu, extraits du
journal d’une dame, 1792).
221
Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 24, ll. 645f.): „En estos casos, importa /
ser prudente, y no sangriento“ im Vergleich zu Valladares de Sotomayor (1784: 27,
ll.740ff.): „(Toma la espada). / Ven conmigo, defensora / de mi honor. Ya hace algún
tiempo / que no te uso; pero siempre / delante de mí tengo / porque me acuerdes que
soy, / por honrado, Vinatero. / Vamos a ver al Marqués; / y, por Dios, que si le encuentro
/ reducido a deshonrarme, / me dejará satisfecho / su sangre.”
222
Ähnliches sieht McClelland bei Comella in Bezug auf seine Rezeption aufklärerischen Gedankenguts aus dem Ausland gegeben. Vgl. McClelland, Ivy (1993): „The
Comellan Conception of Stage-Realism”. In: Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 1-2, 16,
pp. 111-117, hier p. 113: „Comella, as a popular dramatist, found it natural to scatter
over his themes certain ideas and comments typical of Europe’s literary or philosophi-
304 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des Barocktheaters wie die Ehrverletzung beibehalten.223 Das populäre Theater erweist sich damit als ein generisches Hybrid224, dem das
gelingt, woran die Neoklassiker Jehle zufolge gescheitert waren: Indem sie traditionell und aufklärerisch zugleich sind und das Volkstümliche mit den neuen Ideen kombinieren, können sie die „populäre
Ökonomie“ in „Aufklärung übersetzen“.225 Ein Stück wie El vinatero de
Madrid veranschaulicht dies: Wartet es einerseits mit einer barocken
Häufung unwahrscheinlicher Schicksalswenden auf, bietet es gleichzeitig in den Bühnenanweisungen einen für seine Zeit hohen Grad an
realitätsorientierter Detailliebe auf,226 der das Gezeigte für das Berufsbürgertum glaubwürdig macht.
Die sich mit dem im neoklassischen Theater manifestierende und
zugleich politisch gewünschte Verschiebung vom Ideal der privilegienträchtigen honra hin zu der auf dem Gedanken der Ebenbürtigkeit
der Aktanten fußenden amistad, geht gegen Ende des 18. Jahrhunderts
mit einem Wertewandel vom Feudalen zum Bürgerlichen einher, wobei einmal mehr betont werden muss, dass das Adjektiv ‚bürgerlich‘ in
diesem Zusammenhang – wie schon von Maravall konstatiert – nicht
soziologisch (im Sinne eines von anderen gesellschaftlichen Schichten sich distanzierenden Klassenbewusstseins), sondern vielmehr
anthropologisch (im Sinne einer sich durch bestimmte Tugenden wie
industria, prudentia und temperantia auszeichnenden Geisteshaltung)
cal playwrights who could translate new social ideas into full, dramatic comprehensiveness. [...] like other popular dramatists in Spain and elsewhere, he subscribed to
the latest thoughts from abroad referentially.“ Hierzu ist anzumerken, dass Comellas
Wirtschaftskomödien moralideologisch fortschrittlicher sind als vergleichbare Stücke
aus der Feder eines Valladares‘ oder Zavalas. Dies weist auch Angulo Egea (2006) in
ihrer Studie nach.
223
Valladares sucht diesen Widerspruch dadurch aufzuheben, dass er seine Komödie im Jahr 1648 ansiedelt. Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 21, l. 558).
224
Vgl. auch Palacios (1998: 23ff.). Er spricht in Bezug auf das populäre Theater
von einem „complejo sistema teatral“ (23) mit einer „entidad propia, aun siguiendo los
viejos modelos, acomodada a la nueva realidad social” (25f.).
225
Vgl. Jehle (2010: 133), vgl. Kap. 4.
226
Vgl. Guinard (1981: 163ff.). So spricht Guinard in Bezug auf dieses Stück einerseits von „complications et rebondissements fort dans le goût du théâtre baroque“
(163), andererseits aber auch von einem „réalisme de la mise en scène encore peu fréquent, sinon sans exemple“ (165).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
305
aufzufassen ist.227 Wie Andreas Gelz in seiner Studie Tertulia gezeigt
hat, manifestiert sich die zunehmend bürgerliche Wertehaltung der
spanischen Aufklärung in einer neuen Form der Geselligkeit, die im
18. Jahrhundert zur Neugründung zahlreicher literarischer und philosophischer Zirkel führt, aber erst im 19. Jahrhundert ihr volles Potenzial entfaltet und zum „bürgerlichen Initiationsraum par excellence“
wird.228 In diesem Zusammenhang ist allerdings mit Jan-Henrik Witthaus und seiner Studie Sozialisation der Kritik (2008) zu betonen, dass
insbesondere in der Presse, die ebenfalls ein Medium aufklärerischer
Geselligkeit ist, eine bürgerliche Öffentlichkeit zwar simuliert wird,
von einer ‚öffentlichen Meinung‘ und einer ‚freien Partizipation‘ des
Bürgertums allerdings „nur mit äußerster Vorsicht“ 229 die Rede sein
kann. Auf die Untrennbarkeit der aufklärerischen Ideale von Freundschaft und Geselligkeit weist analog zu Gelz auch Jesús Pérez Magallón hin, wenn er ausführt, dass die Freundschaft zwar bereits im Renaissance-Humanismus eine große Rolle gespielt habe, nun aber im
Zuge der Herausbildung eines genuin aufklärerischen, gleichermaßen
geselligen wie empfindsamen Menschenmodells umgedeutet werde:
A pesar de que la amistad ha ocupado desde siempre un lugar señalado en
la reflexión de filósofos humanistas, la nueva posición que se le da en las
relaciones privadas durante la Ilustración es el resultado de una serie de
factores confluyentes: la cada vez mayor importancia que la sensibilidad
tiene en la construcción de una personalidad modélica; las nuevas formas
de sociabilidad, donde la conversabilidad es elemento crucial y, para ella,
el compartir información, preocupaciones y actitudes ante el mundo [...].230
Im Zusammenhang mit diesem Modell des aufgeklärten Menschen sind auch die Überlegungen des Conde de Cabarrús zu wirtschaftlichen und politischen Reformen anzusiedeln, die er in seinen
227
Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo,
1675-1945. Madrid: Siglo XXI, p. 29 sowie den bereits angeführten Verweis auf Maravall (1979: 299).
228
Vgl. Gelz (2006: 366). Ein solcher Zirkel ist etwa die Tertulia de la Fonda de San
Sebastián, zu deren Mitgliedern neben José Cadalso und dem Theaterautor Nicolás
Fernández de Moratín auch Tomás de Iriarte zählt. Vgl. Sánchez-Blanco (1992: 173).
229
Vgl. Witthaus (2012: 22f.).
230
Vgl. Pérez Magallón, Jesús (2001): El teatro neoclásico. Madrid: Ediciones del Laberinto, p. 184f.
306 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
an Jovellanos gerichteten Cartas sobre los obstáculos que la naturaleza, la
opinión y las leyes oponen a la felicidad pública (1795) formuliert und in
denen politisches Engagement und Ökonomie eine freundschaftliche
Verbindung eingehen.231 Cabarrús‘ Cartas richten sich, wie Marti in seiner Studie betont, nicht ausschließlich an seinen Korrespondenzpartner Jovellanos, sondern auch und vor allem an die spanische Nation.232
Die emotive Komponente in Cabarrús’ Darlegungen kann sich, wie
Marti ebenfalls zeigt, vor allem durch die Form des freundschaftlichen
Briefes an den Gleichgesinnten Jovellanos manifestieren, der wiederholt als „amigo“ adressiert wird.233 Die Briefform bringt Marti zufolge
ein persönliches und subjektives Moment in Cabarrús’ ökonomischen
Diskurs ein, „[qui] donne à voir, à travers le prisme sentimental, la
réalité ou les solutions à apporter“.234 Gefühle dienen in den ökonomischen Überlegungen Cabarrús‘ also als „composantes sociales dont il
faut tenir compte“.235 Die Rolle des Gefühls in politisch-ökonomischen
Überlegungen erklärt sich auch aus dem Patriotismus als Motor aufklärerischen Reformwillens,236 denn Cabarrús‘ Cartas zufolge sind es
Gefühle – das Mitgefühl mit den Armen beispielsweise –, die Reformen motivieren. Eine ähnliche Verknüpfung von Patriotismus und affektiver Zuneigung findet sich bereits in Campomanes‘ Discurso sobre
el fomento de industria popular, wenn es dort heißt, das Movens für die
Abfassung der reformökonomischen Schrift sei nicht „el amor propio
de parecer autor, sino el afecto a nuestos Compatriotas el que guía mi
pluma“.237
Dreh- und Angelpunkt von Cabarrús Überlegungen ist der an
Rousseaus Konzept des contrat social angelehnte und zu Schutz und Sicherheit des Privateigentums geschlossene „pacto social“238 zwischen
231
Vgl. die hier bereits genannte Ausgabe von 1813.
Vgl. Marti, Marc (2010): „Affectivité et sentiment en économie politique: Cartas
sobre los obstáculos que la naturaleza, la opinión y las leyes oponen a la felicidad pública
(1795) du comte de Cabarrús“. In: Littératures et sciences, 18, pp. 1-11. Quelle: http://
narratologie.revues.org/6124, Zugriff: 13.08.2022.
233
Vgl. Marti (2010: 6).
234
Marti (2010: 6).
235
Marti (2010: 6).
236
Vgl. Marti (2010: 7).
237
Campomanes (1975: 48).
238
Vgl. Cabarrús, Francisco Conde de (1786): Elogio del excelentísimo señor Conde de
Gausa, Madrid: ohne Verlagsangabe, pp. 5f.: „[...] tal es aun y tal fué y será siempre el
232
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
307
den Individuen einer Gesellschaft, der letztendlich der Wahrung der
felicidad pública239 dient. Im Kontext des öffentlichen Glücks steht auch
das aufklärerische Ideal der Freundschaft: Im gleichen Maße, wie die
von spanischen Aufklärern wie Cabarrús vorgeschlagenen ökonomischen Reformen in Politik und Wirtschaft zum öffentlichen Wohlstand
beitragen, indem sie das Eigentum des wohlhabenden Einzelnen
schützen und mehren, leistet die Freundschaft als intime Beziehung
auf individueller Ebene einen Beitrag zur Bindung der einzelnen gesellschaftlichen Glieder aneinander. In diesem Zusammenhang unterstreicht Sánchez-Blanco die Zentralität des Konzepts des privaten
Glücks im Kontext des Gesamtprojekts ökonomischer Reformbestrebungen; ein wesentliches Teilelement dieses Glücks ist das im Zuge
der Freundschaft geteilte Bestreben, die Gesellschaft zu verbessern:
Si alguna utopía mueve a los ilustrados no es la de un Estado totalitario
basado en una perfecta organización. Más bien se identifica con la Arcadia
clásica en la que el trabajo en el marco de un entorno privado permite
unas relaciones íntimas interpersonales que son la verdadera fuente de
felicidad. Las reformas económicas acaban por justificarse y subordinarse
en orden a la felicidad privada. 240
Die nun in den Blick genommenen Komödien neoklassischer Autoren wie Leandro Fernández de Moratín und Tomás de Iriarte inszenieren und veranschaulichen in ihrem moralisierenden Gestus die für das
aufklärerische Denken charakteristische Interdependenz von Individuum und Gemeinschaft, Freundschaft und Prosperität, emotionalem
Glück und wirtschaftlichem Ertrag.241 Der Inszenierung jener Interdependenz durch die Figurenrede und das Bühnengeschehen geht
die Analyse nun zunächst anhand der Figur des geizigen Kaufmanns
nach, die hier in Leandro Fernández de Moratíns neoklassischer
pacto social: se dirige á proteger la seguridad y la propiedad individual, y por consiguiente la sociedad nada puede contra estos derechos que la son anteriores“. Cabarrús
setzt dabei Gesetz und Allgemeininteresse ineins, vgl. Cabarrús (1786: 6): „[...] y no ser
otra cosa las leyes que la expresión de aquel interés común.“
239
Zur Idee der felicidad im Kontext der spanischen Aufklärung vgl. Maravall (1991:
162ff.).
240
Sánchez-Blanco (1992: 185).
241
Zur Kopplung von emotionalem, persönlichem Glück, Gemeinwohl und wirtschaftlichem Ertrag vgl. auch Maravalls (1991: 269ff.) Artikel zur sensibilidad.
308 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Komödie El viejo y la niña (1786) im Vergleich zu den zuvor skizzierten
vorbildlichen Kaufmannsfiguren, erstaunlich negativ erscheint, wenn
es ihm an Gemeinsinn und Empfindsamkeit als Teilelementen des sozialen Kapitals des aufgeklärten hombre de bien mangelt.
5.4.2. Der geizige Kaufmann und die Folie Molières in Leandro Fernández
de Moratíns El viejo y la niña (1786)
Wurde der Kaufmann in den bis hierher untersuchten Komödien als
ein durch und durch vorbildlicher Figurentypus gezeichnet, haben
wir es bei dem titelgebenden „Alten“ aus Moratíns Stück namens Don
Roque mit einem negativ angelegten Repräsentanten des Kaufmannsstandes zu tun. Im Hinblick auf eine ‚Ökonomie der Affekte‘ zeichnet
er sich durch eine dem kaufmännischen Ideal der Mäßigung entgegenstehende Maßlosigkeit aus. Diese manifestiert sich in den Handlungen Roques, die zwischen zwei Extremen schwanken: dem Mangel
an Gefühl und einem Überschuss an Affekt. Indem er sich seiner jungen Gattin Isabel gegenüber durchweg misstrauisch, unsensibel und
unnachgiebig verhält, versäumt er, ihr Verständnis, Geduld und die
nötige Zuneigung zukommen zu lassen. Der gemeinsamen Ehe fehlt
damit die freundschaftliche Basis, die dem aufklärerischen Ideal der
Ehe entspricht. Roques Tendenz zum emotionalen Defizit kennzeichnet nicht nur sein privates, sondern auch sein geschäftliches Gebaren,
das durch einen Mangel an Soziabilität gekennzeichnet ist. Statt etwa
der Bitte seiner im Hafen von Cádiz wartenden englischen Geschäftspartner nachzugeben und diese persönlich aufzusuchen, zieht Roque
es vor, ihnen eine kurze Notiz zu senden.242
Wenn Roque hier als eine mit Soziabilität und Empathie geizende Figur gekennzeichnet wird, offenbart eine solche Charakterisierung Parallelen zu Harpagon aus Molières L’Avare (1682).243 Roques
242
Vgl. Moratín, Leandro Fernández de (2009 [1786]): El viejo y la niña (1786). In:
idem. Comedias originales, ed. Paloma Fanconi & María del Pilar Palomo. Madrid: Fundación José Antonio de Castro, pp. 34-123, hier p. 52: „¡Que por una patarata / le han
de incomodar a un hombre / y hacerle salir de casa / cuando quieren [...] / [...] se ofrece
/ escribir en una llana / cuatro reglones [...].“
243
Vgl. Sebold, der wiederum Meléndez Pelayo, zitiert, dem zufolge in Iriartes La
señorita malcriada und in El señorito mimado Echos des Theaters Molières vernehmbar
sind, das nun in bürgerliche Hände mit besseren Intentionen gefallen sei. Damit spielt
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
309
Zeichnung als negative Figur wird durch weitere Eigenschaften wie
seine Eifersucht, seine Ungeduld, sein Misstrauen und eine durch dieses Misstrauen bedingte Neigung zur Täuschung noch gesteigert. Mithilfe seines nur widerwillig kooperierenden Dieners Muñoz betreibt
Roque ein Spiel des engaño, weil er seitens seiner Gemahlin Isabel und
des gleichaltrigen Kaufmanns Juan einen Betrug in Form des Ehebruchs wittert, allerdings durch sein dezidiertes Misstrauen selbst vor
unehrenhaften Mitteln nicht zurückschreckt. So soll Muñoz sich unter
dem Sofa verborgen halten, um Isabel und ihre Vertraute Beatriz, die
zugleich Roques Schwester ist, zu belauschen.244 Da Roque dem Irrglauben unterliegt, trotz seines fortgeschrittenen Alters die richtige
Partie für Isabel zu sein – und daher selbst engañado ist –, will er die
sich aus dem Altersunterschied zwischen ihm und seiner Gattin ergebenden Unstimmigkeiten nicht wahrhaben.245
Ein weiteres, von seinem Mangel an Geselligkeit zeugendes Täuschungsmanöver betreibt der geizige Kaufmann, als er Juan über den
angeblich schlechten Zustand seines Hauses informiert, um den Hausgast nicht länger beherbergen zu müssen:
[...] Esta [casa] que tengo,
ya veis qué estrecha, qué antigua,
llena toda de agujeros,
sin comodidad ninguna,
me cuesta un horror [...]
[...]
ya lo veis: para poneros,
por una noche no más,
esa cama, se ha revuelto
la casa y, cierto, me pesa
en el alma no poderos
dar posada.246
Meléndez Pelayo auf die moralisierende Absicht neoklassischer Komödien an, während das Theater Molières für ihn ein reines Unterhaltungstheater ist. Sebold (2010: 57)
mit Verweis auf Meléndez Pelayo, Marcelino (1884): Martínez de la Rosa. Estudio biográfico. Personajes Ilustres, vol. xviii. Madrid: La España Moderna, p. 33.
244
Vgl. Moratín (2009: 68).
245
Vgl. Moratín (2009: 82).
246
Moratín (2009: 72f.).
310 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Roque betont hier wiederholt und auf wenig gastfreundliche Art
die Unmengen an Unkosten und Mühen, die die Unterbringung Juans
ihn bereits gekostet habe, obwohl er dem jungen Widersacher für nur
eine Nacht Obdach gewährt hatte. Entsprechend heuchlerisch mutet
Roques Beteuerung an: „Yo he celebrado en extremo / haberle tenido [a
Juan] en casa.“247 Im Gegensatz zu Bruno und Lorenzo aus Comellas El
hombre agradecido repräsentiert Roque nicht den Typus des ehrbaren,
geselligen und großzügigen Kaufmanns, sondern den misstrauischen,
pedantischen und selbstzentrierten Händler. Analog konstatiert auch
John Dowling, dass es sich bei Roque zwar um einen wohlhabenden
Kaufmann handele, wenn er ihn als „próspero y al mismo tiempo frugal“ bezeichnet, sodann aber hinzufügt: „aunque egoista y algo concupiscente“.248
Eben in diesem seinem Egoismus und in seiner Begehrlichkeit ähnelt Roque Harpagon, Molières titelgebendem Geizigen. Auch hinsichtlich des Altersgefälles beider Figuren zu ihren Partnerinnen bestehen Parallelen: Wie schon bei Molière klafft auch in Moratíns Stück
ein beträchtlicher Altersunterschied zwischen der achtzehnjährigen
Protagonistin Isabel und dem sich bereits den Achtzigern nähernden
Roque.249 Susanne Schlünder zufolge geht es bei der „modellbildenden“ Inszenierung von Eheverhältnissen im Theater Leandro Fernández de Moratíns, so auch in El sí de las niñas (1806), „weniger um
ein Plädoyer für Liebesheiraten“, sondern vielmehr darum, „Regierungstechniken – hier mit Bezug auf das Bevölkerungswachstum – in
einem als Erziehungsinstrument konzipierten Theater zu applizieren“250. Der Grund dafür ist schlichtweg, dass Ehen zwischen jungen
PartnerInnen eher geeignet sind, Nachkommen hervorzubringen.
247
Moratín (2009: 87).
Dowling, John (1993): „El comerciante gaditano: El don Roque de Moratín“. In:
Dieciocho: Hispanic Enlightenment, 16, 1-2, pp. 67-76, hier p. 71.
249
Zum Alter Harpagons vgl. Molière (1971): Amphitryon. George Dandin. L’Avare,
hg. von Georges Couton. Paris: Gallimard, pp. 189-308, p. 219: „Froisine: Comment?
Vous n’avez de votre vie été si jeune que vous êtes; et je vois des gens de vingt-cinq ans
qui sont plus vieux que vous – Harpagon: Cependant, Froisine, j’en ai soixante bien
comptés.“ Mit dem großen Altersunterschied wird – wie auch in Moratíns El sí de las
niñas – die Inkompabilität der beiden Ehepartner begründet. So lässt Isabel in Bezug
auf ihren Gatten verlauten „[...] Su edad, su genio ... / No es posible que convengan /
para vivir en quietud / circunstancias tan opuestas.“ Moratín (2009: 120).
250
Schlünder (2018b: 336).
248
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
311
Dieser Aspekt ist im Lichte der eingangs skizzierten poblationistischen Argumentationslinie der spanischen Reformökonomie zu betrachten, die sich von den Merkantilisten des 17. Jahrhunderts bis
hin zu den Cortes de Cádiz zieht, und in deren Vorstellung sich der
Reichtum einer Nation stets an einer zahlenmäßig starken Bevölkerung bemisst, ein Argument, das auch die französischen Enzyklopädisten im Artikel „Homme“ bemühen.251 Bei Moratín ebenso wie in
den sainetes von Ramón de la Cruz identifiziert Schlünder daher ein
biopolitisches Denken, das die Ehe als zum „idealen institutionellen
Rahmen“252 erklärt, der den „größtmöglichen Bevölkerungszuwachs
garantiert“253. Dass sich die junge Isabel aus Moratíns Stück ins Kloster zurückzieht und sich damit ihrer reproduktiven Funktion verweigert, unterstreicht auch Jehle zufolge lediglich die Bedeutung, die der
„Reproduktionsfunktion der neuen [bürgerlich-modernen] Familie
zukommt“254. Dass Moratín der Jüngere nicht nur dieses Stück, sondern „seine gesamte Theaterproduktion dem Problem der Ehe gewidmet“255 hat und für das plädiert, was der Volksmund als ‚Liebesheirat‘
bezeichnet (Foucault hat es eben wegen seiner Instrumentalisierung
durch die Biopolitik ‚Sexualdispositiv‘256 genannt, vgl. Kap. 7.8.1), ist
auch auf die statistisch nachweisbare Abnahme der Heiraten ab 1750
zurückzuführen.257 Vor diesem Hintergrund kann die Liebesheirat
als „bürgerliche ‚Modernisierung‘“258 der Anbahnung von Partnerschaften betrachtet werden, die dazu dient, die zur Heirat traditionell
251
Vgl. hierzu Marti (2012: 257f.).
Schlünder (2018b: 336).
253
Schlünder (2018b: 336).
254
Jehle (2010: 199).
255
Jehle (2010: 197).
256
Vgl. Foucault, Michel (1976): Histoire de la sexualité 1: La volonté de savoir. Paris:
Gallimard, p. 140.
257
Jehle (2010: 196) zeigt anhand von Sempere y Guarinos‘ Correo de los ciegos de
Madrid vom 28. November 1786, zitiert in Kany (1932: 204), dass nur rund 50 % der
„heiratsfähigen Individuen über 16 Jahren (Kleriker und Militärs ausgenommen) verheiratet sind. Überdies fällt die Zahl der Heiraten zwischen 1776 und 1825 deutlich ab,
von 1.825 auf 1.548. Dass das poblationistische Argument in allen der eingangs dargestellten paradigmatischen Texte der Reformökonomie präsent ist, zeigt, dass dies den
Reformern großen Anlass zur Sorge gegeben hat.
258
Jehle (2010: 197).
252
312 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
notwendige und oft hinderliche Mitgift259 zu umgehen und damit die
Anzahl der geschlossenen Ehen zu erhöhen.
Bemerkenswert ist in Bezug auf El viejo y la niña, dass – anders
als in den anderen im Folgenden untersuchten Komödien des ausgehenden spanischen 18. Jahrhunderts, wie etwa Nicolás Fernández
de Moratíns La petimetra (1762) oder Iriartes El señorito mimado260 –,
der moralische Ruin des ungeselligen Misanthropen Roque nicht mit
einem finanziellen Bankrott einhergeht. Dieser Ruin ist ebenso emotionaler wie gesellschaftlicher Natur und besteht darin, dass er Isabel
am Ende verliert, als diese sich in das besagte Kloster zurückzieht.
Angulo Egea zufolge ist die Verbannung weiblicher Charaktere in das
Kloster – bzw. zumindest deren Androhung – im spanischen sentimentalen Theater des 18. Jahrhunderts ein Gemeinplatz.261 Anders als
bei Comella, in dessen Stücken El indolente (1792a), El matrimonio por
razón de estado (1792b), und El matrimonio secreto (1797) das Kloster als
Druckmittel der männlichen gegenüber den weiblichen Figuren dient,
das aber aufgrund des Widerstands der weiblichen Charaktere nicht
zur Anwendung kommen kann, stellt sich der Konvent in Moratíns El
viejo y la niña für Isabel als eine „opción liberadora“ dar,262 und damit
als befreiendes Moment.
Die mit Isabels Rückzug ins Kloster verbundene Flucht aus der
ehelichen Gemeinschaft bedeutet ein empfindliches Minus für Roque. Dieses Minus gründet auf einem Ungleichgewicht von Gefühl
und Affekt. Hierbei steht das (zarte) Gefühl auf Seiten Isabels, eine
Auffassung, die auch Maravall in seiner Studie zur sensibilidad in der
spanischen Aufklärung stützt, wenn er die Figur Isabels als Verkörperung aufklärerischer Empfindsamkeit ausweist und sich diesem Zusammenhang auf einen Brief Moratíns an den Herausgeber des Correo
259
Vgl. Jehle (2010: 196): „Ähnlich wie bestimmte Ländereien in Form der mayorazgos der produktiven Nutzung durch die Allgemeinheit entzogen waren, verhinderte
die Mitgift, dass die Frauen die ihnen bestimmte Rolle im Produktionsprozess der
Nachkommenschaft einnehmen konnten.“
260
Vgl. hierzu auch Schuchardt (2014).
261
Angulo Egea, María (2002): „Fingir y aparentar. La imagen de las mujeres en el
teatro sentimental de Luciano Francisco Comella“. In: Dieciocho 25, 2, pp. 281-302, hier
p. 289.
262
Vgl. Angulo Egea (2002: 289).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
313
de Madrid bezieht.263 Personifiziert also Isabel die umsichtige Empfindsamkeit als Tugend des aufgeklärten Menschen, repräsentiert Roque
den blinden Affekt, der dem Publikum durch seine Kenntnis des im
18. Jahrhundert immer noch auf den Bühnen präsenten Barocktheaters
hinlänglich bekannt ist. Über die Figur Roques wird implizit auf die
Gattung der Ehrendramen Bezug genommen. Der geizige Kaufmann
hatte seine Gemahlin nicht nur mit Eifersuchtsbekundungen und
Misstrauen überhäuft, sondern von ihr zudem das eingefordert, was
er selbst nicht zu geben bereit war: die Wahrheit im Sinne einer Aufrichtigkeit in Gefühlsdingen.264 Um das, was Roque selbst in seinem
affektgetriebenen Wahn für die Wahrheit hält, nachzuweisen – Isabels angeblichen Ehebruch mit Juan –, begeht er die erwähnten Täuschungsmanöver. Zwar war Juan einst die große Liebe Isabels, sie hatte sich jedoch in das widrige Schicksal ihrer unglücklichen Ehe gefügt
und ihre Leidenschaft im Gegensatz zu Roque wenn auch nicht gänzlich zu besiegen, so doch zu beherrschen gewusst.265 Während der am
Ende noch nicht einmal gehörnte Gatte seiner (selbst-)zerstörerischen
Wut frönt („y nada resta / sino morirme de rabia“266), handelt Isabel rational und nach reiflicher Überlegung ihre Konsequenzen und verleiht
so ihren Worten Nachdruck, dass Roques Mangel an Vertrauen, Verständnis und Freundschaft in logischer Konsequenz nur ihre Flucht
nach sich ziehen könne.267 Agiert Roque also affektgesteuert und in
Manier der betrogenen Ehemänner barocker Ehrendramen, handelt
Isabel besonnen und nach umsichtiger Aufrechnung der Mängel ihres
Gatten. Damit vertritt sie ebenso das Gefühl wie die aufklärerische
Tugend der ratio. Beide sehen sich im aufklärerischen Denken gekoppelt268 und finden auch in Moratíns strikt neoklassischer Komödie
263
Vgl. Maravall (1991: 275) mit Bezug auf Fernández de Moratín, Leandro (1973):
Epistolario, ed. André Andioc. Madrid: Castalia, p. 112.
264
Vgl. Moratín (2009: 85): „[...] Yo veo / que lloras. Di la verdad, / ¿qué tienes? [...].“
265
Vgl. Moratín (2009: 120): „[...] el cielo ve mi inocencia. Él sabe que en tal peligro /
logré, con débiles fuerzas, / si no vencer mi pasión, evitar efecto de ella.“
266
Moratín (2009: 121).
267
Folglich sind ihre Worte „Es preciso separarnos“ das Ergebnis eine Folge von
Argumenten, im Zuge derer sie unter anderem Roques „desconfianzas“, „celos“ und
„quejas“, aber eben auch Roques Alter und seinen Charakter (s.o.) anführt. Vgl. Moratín (2009: 120).
268
Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 103): „La Ilustración, por tanto, es razón más sentimiento o sensibilidad.“
314 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ihren Widerhall, wobei es hier nicht der vir oeconomicus, sondern die
Kaufmannsgattin ist, die das Ideal des aufgeklärten Menschen im
weiblichen Körper der bis zur drohenden Selbstaufgabe treuen Gattin modelliert. In seiner Maßlosigkeit ist Roque – im Gegenteil – eine
der wenigen Kaufmannsfiguren des spanischen Theaters der Spätaufklärung, die nicht als vir oeconomicus konturiert ist. Isabel hingegen
ist, ganz dem Weiblichkeitsideal der Epoche folgend, eine ebenso
empfindsame wie rational agierende Ehefrau und entsprechend in
das moralische Gewand der Sittsamkeit, außerehelichen Keuschheit
und der Zurückhaltung gekleidet. Den ehelichen Haushalt verlässt sie
nur ein einziges Mal und erst am Ende, um sich in ein Leben abseits
weltlicher Verlockungen zurückzuziehen. Auch diese Beschränkung
der Frau auf das Innen folgt der weiblichen Geschlechternorm des 18.
Jahrhunderts.
Bemerkenswert ist in Bezug auf El viejo y la niña, dass sich hier gegenüber populären Komödien wie etwa Comellas El hombre agradecido
eine Umkehr der Geschlechterrollen vollzieht: Wird der ehrbare Kaufmann bei Comella durch die männliche Figur des Ordnungsstifters
Bruno verkörpert, während die Kaufmannsgattin Blasa das ordnungsgefährdende Element personifiziert, verhält es sich bei Moratín genau
umgekehrt: Vernunft, Gefühl und die Fähigkeit zur umsichtigen Erkenntnis menschlicher Mängel liegen hier auf Seiten der weiblichen
Figur. Roque als der männliche Part repräsentiert das sentimentale Defizit. Im Gegensatz zu Isabel ist der Kaufmann unfähig, dieses Defizit
zu erkennen, geschweige denn Abhilfe zu schaffen. Während es Bruno
aus El hombre agradecido am guten Ende gelingt, den Soll-Zustand (im
Sinne der wirtschaftlichen Funktionalität) des aus den Fugen geratenen Kaufmannshaushaltes wiederherzustellen, hat die Ehe zwischen
Roque und Isabel in Moratíns Stück irreparablen Schaden genommen.
Das für die Komödie charakteristische gute Ende bleibt aus, um mit
der biopolitischen Dysfunktionalität der Ehe zwischen Alt und Jung
auch gleich ihre emotionales und soziales Scheitern zu veranschaulichen. Denn während der aus Isabels Rückzug sich eventuell ergebende finanzielle Schaden bei Moratín keinerlei Erwähnung findet, wird
der durch das Scheitern der ehelichen Gemeinschaft erlittene Verlust
an sozialem Kapital sehr wohl thematisiert. Diesen Aspekt beleuchtet
das folgende Kapitel.
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
315
5.4.3. Intertextuelle Referenzen zu Shakespeares The Merchant of Venice
(1600)
Wenn Roques Anspruch auf seine Gattin am Ende aufgrund seiner
Unnachgiebigkeit erlischt, offenbaren sich diesbezüglich Parallelen
zu William Shakespeares Merchant of Venice (1600): Auch Shylocks
Anspruch, dem Kaufmann Antonio bei Nichtzahlung seiner finanziellen Schuld das Herz herauszuschneiden, wird am Ende nichtig.
Der Grund für die Annullierung des zwischen Antonio und Shylock
geschlossenen Vertrages ist Shylocks Unnachgiebigkeit.269 Ähnlich
wie Shylock macht auch Roque sein Anrecht auf Isabel geltend. Dieses sieht er im ehelichen Bund begründet. Ein solches Recht, wie es
Shylock – und auch Roque – für sich in Anspruch nehmen, bedarf
aber, wie Fulda in seiner Analyse von Shakespeares Stück ausführt,
„stets der Gnade.“270 Diese Gnade in Form der Bereitschaft zur Vergebung, die Roque ein Anrecht auf Isabel gäbe, lässt jedoch auf sich warten: Der geizige Kaufmann ist erst dann bereit, den Preis für seinen
Mangel an Empfindsamkeit zu zahlen, als er Isabel bereits verloren
hat. Den biopolitischen Vorgaben der Reformökonomie entsprechend,
besteht Roques primäres Vergehen nicht in seinem Mangel an Soziabilität, sondern in der seinem Alter unangemessenen Eheschließung mit
der deutlich jüngeren Isabel:
[...] que me perdone,
que yo perdono a ella.
[...]
pues yo, por mi ligereza
he sido causa de todo.
Ya la pago, y aunque sea
tarde, reconozco ahora
que no son edades estas
para pensar en casorios.271
Mit der zitierten Replik eröffnet das Stück auf metaphorischer
Ebene – und dies ist für unsere Analyse zentral – die Thematik des
269
Vgl. Fulda (2005: 96).
Fulda (2005: 96).
271
Moratín (2009: 123).
270
316 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
‚gerechten Preises‘ (iustum pretium), der den Ehrenkodex der Kaufmannschaften seit dem Mittelalter prägt.272 Bereits in der Escuela de Salamanca finden sich Überlegungen zum Konzept des precio justo: „Los
doctores escolásticos definen el precio justo como aquel que respeta
o cumple la equivalencia de la transacción; es decir, lo definen como
expresión de la igualdad de valor entre lo que se entrega (oferta) y lo
que se recibe (demanda).”273 In genau dieser Frage nach der Gleichwertigkeit des verhandelten Gutes aber kommen die Ehepartner nicht
überein.
Im konkreten Falle geht es dabei um eine moralische Schuld und
deren Ummünzung in Sühne. Roque geht von der hohen moralischen
Schuld Isabels aus, wenn er ihr den Ehebruch mit Juan unterstellt,
der beide teuer zu stehen kommen müsse: „[...] / pondré en claro mis
sospechas, / y entonces me han de pagar, / juro a tal, la desvergüenza.“274 Groß ist daher auch die Sühneleistung, die Roque von den vermeintlichen Ehebrechern verlangt: Worin diese genau bestehen soll,
wird allerdings nicht gesagt. Die drohenden Worte des geizigen Kaufmanns lassen vermuten, dass die Zahlung der Schuld Leib und Leben
der ‚Schuldigen‘ fordert, ein Aspekt, der wiederum das Ehrendrama
272
Vgl. hierzu für den deutschen Raum Isenmann, Mechthild (2017): „Das Bild des
Kaufmann-Bankiers in oberdeutschen Familiengesellschaften der Frühmoderne“. In:
Lütge, Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Zwischen Bescheidenheit und Risiko. Der
Ehrbare Kaufmann im Fokus der Kulturen. Wiesbaden: Springer, pp. 79-96, hier p. 83:
„Grundsätzlich befanden die mittelalterlichen Juristen, dass der gerechte Preis sowohl
durch den Marktpreis bestimmt als auch durch die ‚Obrigkeit festgesetzt‘ werden sollte.“ Isenmann mit Bezug auf Trusen (1983: 90, ohne bibliographische Angabe). Nach
Summenhard war für den Kaufmann dabei wesentlich, dass ‚Mühe, Arbeit, Sorgfalt,
Kosten und Risiko‘ stets als vergütungsfähig galten. Schon bei seinem Zeitgenossen
Geiler von Kaysersberg spiegelte der gerechte Preis auch den gerechten Gewinn wider, wenn ‚der gerechte Warenpreis auch dem tatsächlichen Wert des Kaufguts entsprach [...]‘.“ Isenmann mit Bezug auf Voltmer, Rita (2001): „Kramer, Kaufleute, Kartelle. Standeskritischer Diskurs, mittelalterliche Handelspraxis und Johannes Geiler
von Kaysersberg (1445–1510)“. In: Ebeling, Dietrich/Henn, Volker/Holbach, Rudolf/
Reichert, Friedrich/Schmid, Wolfgang (eds.). Landesgeschichte als multidisziplinäre Wissenschaft. Festgabe für Franz Irsigler zum 60. Geburtstag. Trier: Porta Alba, pp. 401-446,
hier p. 428f., aus Doctor Keiserspergs Postill, Teil 3, fol. 92r. Zum gerechten Preis in der
Scholastik vgl. auch Grice-Hutchinson (1978: 84ff.; 98ff.).
273
Gómez Camacho, Francisco (1999): „El pensamiento económico en la Escuela de
Salamanca“. In: Fuentes Quintana (ed.). Economía y economistas españoles, vol. II: De los
orígenes al mercantilismo. Barcelona: Galaxia Gutenberg, pp. 177-207.
274
Moratín (2009: 103).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
317
als Intertext aufruft. Zu dem von Roque unterstellten Ehebruch ist
es aber nie gekommen, sodass seine Aufforderung zur Tilgung der
moralischen Schuld Isabels nichtig ist. Im Gegenteil wäre es nun an
Roque, Isabel für die ungerechtfertigte Unterstellung der Untreue
zu entschädigen und damit nun seinerseits ihrer Erwartung Genüge
zu tun. Seine Einsicht kommt jedoch zu spät, weshalb es am Ende an
dem geizigen Alten ist, den moralisch gerechtfertigten Preis für seinen
Mangel an Freundschaft,275 Verständnis und ehelicher Zuneigung zu
zahlen: die Einsamkeit. Die im dritten und letzten Akt gesprochenen
selbstmitleidigen Worte Roques – „¡Pobre Don Roque!“276 – offenbaren
damit ihren Doppelsinn: Der an Vermögen reiche Kaufmann erweist
sich in einer Epoche, in der sich der gesellschaftliche Wert eines Menschen an seiner Soziabilität und Fähigkeit zur Einfühlung bemisst, als
armer Mann.
5.5. Gaspar Zavala y Zamoras La Justina (1790): Kaufmännischer
Haushalt und matrimonio desigual
Die in Paris angesiedelte Komödie La Justina von Zavala y Zamora reiht
sich in die zahlreichen Produktionen des populär-sentimentalen Theaters ein, die im Kontext der Real Cédula von 1783 entstanden sind und
sich mit ihren gewerbetreibenden ProtagonistInnen wie Kaufleuten
und HandwerkerInnen zwar des zeitgenössischen Wirtschaftslebens
als Setting bedienen, dieses aber lediglich als Kulisse für einen nicht
nur im spanischen, sondern auch im französischen Theater des 18.
Jahrhunderts rekurrenten Liebesplot verwenden. Diesen Plot subsumiert García Garrosa unter dem Begriff des „matrimonio desigual“277,
das insbesondere Komödien Valladares de Sotomayors – beispielsweise El vinatero de Madrid (1784), El trapero de Madrid (1782), und Las
vivanderas ilustres (1792) – bestimmt.278 In der Mehrzahl der genannten
Stücke sind die titelgebenden Figuren Berufstätige mit verborgenen
275
Inwiefern umgekehrt „sich ständig perpetuierende Freundschaftseinsätze [...]
im Exzess enden“, zeigt Komorowska für das Barocktheater und Lope de Vegas El
amigo hasta la muerte (1610/1612). Vgl. Komorowska (2018a: 98) und (2018b: 250ff.).
276
Moratín (2009: 102).
277
Vgl. García Garrosa (1993: 681): „[...] en estas comedias el tema de los oficios
viles aparece casí siempre ligado al del matrimonio desigual.”
278
Vgl. García Garrosa (1993: 679f.).
318 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
adeligen Wurzeln, die durch einen Schicksalsschlag zum Broterwerb
gezwungen wurden und ihre edle Herkunft verheimlichen müssen,
etwa, um der ungerechtfertigten Verfolgung durch die Justiz zu entgehen. Dies trifft auch auf den mercader Milton aus Zavala y Zamoras
La Justina zu, der eigentlich Lord Wantain ist und dessen Sohn Ailson
sich deshalb mit Liebespein geschlagen durch den ersten Akt klagt,
weil ihm die Eheschließung mit seiner Herzensdame – der ihrem adeligen Neffen versprochenen Grafentochter Justina – aufgrund des vermeintlichen Standesunterschiedes versagt bleibt.279
Dass sich in den Stücken Zavala y Zamoras die zunächst als Bürger
eingeführten Kaufleute, Händler und Marketenderinnen am guten
Ende als Adelige erweisen, mag zum einen den Konzessionen des Autors an die Erwartungshaltung eines Publikums geschuldet sein, das
es aus der barocken Tradition heraus gewohnt ist, adelige ProtagonistInnen auf der Bühne zu sehen, und das den Adelsstand als soziales
Prädikat empfindet.280 Ähnliches konstatiert Niklaus für das französische Theater des 18. Jahrhunderts und die Untergattung des drame
commercial, das wiederum Valladares als Folie für seine Stücke dient.
Die Affinität des Autors zu ökonomischen Fragestellungen tritt nicht
nur in seinem dramatischen Werk, sondern auch in seiner Tätigkeit als
Herausgeber des Semanario erudito (1781) hervor, einer Zeitschrift, die
eine unterhaltsame Kritik zeitgenössischer politischer und wirtschaftlicher Affären in Verwaltung, Handel und Industrie leistet, aber auch
moralische Fragen diskutiert.281 Auch in Sedaines Stück Le philosophe
sans le savoir (1765), das Michael Fodor neben Beaumarchais‘ Les deux
amis ou Le négociant de Lyon (1770) und Merciers La brouette du vinaigrier
(1775) zu Gattung des drame commercial zählt, erweist sich der Protagonist am Ende als Adeliger.282
279
Vgl. hierzu auch die Analyse von Fernández Cabazón (1996: 359f.).
Vgl. hierzu Guinard (1981: 151): „[...] même dans la seconde moitié du xviii
siècle [...] le respect de la hiérarchie nobiliaire reste entier, le désir d’anoblissement
est toujours un trait typique de la roture.“ Einen Wandel in dieser Haltung hin zur
Adelskritik konstatiert Guinard (1981: 152) in einer kleinen Gruppe reformaffiner
staatlicher Funktionäre und Kirchenmänner aus den Zirkeln der Sociedades Económicas,
deren Kritik in Zeitschriften wie dem Censor, dem Pensador, dem Diario und dem Correo
de Madrid zum Ausdruck kommt.
281
Vgl. MacLachlan (1991: 81).
282
Vgl. Niklaus (1978: 146f.). Niklaus bezieht sich dabei auf den von Perry (1975:
ohne Seitenangabe) aufgezeigten widersprüchlichen Umstand, dass einerseits in
280
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
319
Zum anderen trägt auch die staatliche Zensur dazu bei, dass sich
Söhne und Töchter einfacher Gewerbetreibender am Ende als Adelige
erweisen müssen, um blaublütige PartnerInnen ehelichen zu können.
Erhellend ist diesbezüglich eine von Guinard berichtete Episode um
die Zensur von El vinatero de Madrid. Das zunächst mit El lavandero
de Madrid283 betitelte Stück sah in der ursprünglichen Fassung die
von dem Zensor Ignacio López de Ayala als unsittlich beanstandete
Schwangerschaft der Wäscherstochter Angelita vor. Zudem bemängelte der Zensor die niedere soziale Herkunft Angelitas und ihre unangemessene Heirat mit dem höherstehenden Marqués.284 Die von
englischen sentimentalen Komödien, die vergleichbaren französischen Stücken als
Vorlage dienen – etwa in Richard Steeles The Conscious Lovers (1722) – der Kaufmannsstand als eine dem Adel vergleichbare soziale Schicht beschworen wird (vgl. eine entsprechende Replik Vanderks, die auch Niklaus zitiert: „We merchants are a species of
gentry.“), sich aber andererseits bei französischen Nachahmern wie beispielsweise Sedaine die ProtagonistInnen am Ende dann doch wieder als Adelige erweisen müssen:
„This inconsistency [...] is commonly ascribed to timidity or to the need to placate an
essentially aristocratic audience which could never exceed 2.000 on any night. Another
reason may well have been Sedaines desire to associate what was best in the old aristocratic ideal with his own idealized picture of the upright merchant.” Eine vergleichbare
„confusion between bourgeois and aristocratic values” macht Niklaus (1978: 147) in
Rousseaus La Nouvelle Héloïse aus, ein Briefroman, in dem nach dem Vorbild Richardsons das bürgerliche Ideal einer Familie entworfen wird, Monsieur de Wolmar aber als
Adeliger konzipiert ist. Ein weiteres Beispiel ist Niklaus (1978: 147) zufolge Beaumarchais’ Kaufmannsdrama Les Deux Amis, ou Le Négociant de Lyon (1770).
283
Der ursprüngliche Titel erklärt auch die erste Szene des Vinatero, in der Angelita,
die Tochter des späteren Weinhändlers, der ja in der Urfassung ein Wäscher war, die
Kleidung des Marqués zusammenlegt, um sie ihm dann zu bringen, sowie die zu Beginn im Nebentext als Dekor geforderte „ropa blanca colgada para secarse“. Vgl. auch
Guinard (1981: 159), der auf den „caractère franchement misérabiliste“ der in den Bühnenanweisungen genannten Utensilien und Möbelstücke verweist. In ähnlicher Weise,
wie die Bühnenausstattung in den bisher analysierten Wirtschaftskomödien in implizit
auktorialer Manier über Besitzverhältnisse und Charakter der Kaufmannsfiguren Auskunft gibt, verweist die Ausstattung von El vinatero de Madrid auf die soziale Misere
des Protagonisten.
284
Vgl. Guinard (1981: 157). Guinard bezieht sich hierbei auf die Miszelle Nr. 16337
aus der Biblioteca Nacional in Madrid. Er unterscheidet diesbezüglich die vom Consejo
de Castilla erlassene Druckerlaubnis von dem für die Aufführung notwendigen „visa“
des corregidor. Wie Hoffmann (2017: 72) ausführt, zählt „[z]u den Aufgaben des corregidor [...] die Beaufsichtigung der Stücke und Spielpläne sowie die Aufsicht über die
Formation der beiden Madrider Truppen vor Ostern“. Die seit einer Theaterreform
von 1638 den Städten (ayuntamientos) unterstellten Theater werden vom corregidor
320 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Valladares später eingefügte Wendung, dass der Wäscher zum Weinhändler aufsteigt und sich am Ende zudem als illustrer285 Aristokrat erweist, ist ein Zugeständnis an die Zensur, durch das eine Aufführung
überhaupt erst möglich wird. Es ist wahrscheinlich, dass Valladares
aus diesem Grunde auch später verfasste Komödien wie El trapero de
Madrid mit dieser Art von Peripetie versehen hat.
Das auf Diderots genre sérieux basierende drame commercial bezeichnet Fodor als „a major theatrical experiment of the French Enlightenment”286, als dessen drei Hauptmerkmale er folgende identifiziert:
First, the main character of the play is a merchant. Second, the intrigue
features revolve around payment crises. [...] Third, these payment crises
provide a dramatic component which enables the merchant to display
sentimental virtues, moral rectitude (probité) and empathy (sensibilité). Because of his altruism, the merchant comes across as a good merchant.287
Diese für das französische Theater des 18. Jahrhunderts entwickelte
Gattungsbezeichnung lässt sich auf spanische Komödien der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Wirtschaftsthematik übertragen, was
aufgrund der bereits anhand des London Merchant aufgezeigten Rezeptionswege der Kaufmannsthematik von England über Frankreich
nach Spanien naheliegt. So folgen auch Comellas El hombre agradecido
und Zavala y Zamoras El triunfo del amor y la amistad den Plotstrukturen des drame commercial. In einer hispanophonen Adaptation der
von Fodor eingeführten Gattungsterminologie können sie als dramas
comerciales bezeichnet werden.
überprüft, der ab 1747 „in Personalunion“ auch juez protector ist, somit den Vorsitz der
junta de corrales hat und außerdem superintendente de sisas ist. Vgl. Hoffmann (ibid.)
mit Bezug auf Coulon, Mireille/Andioc, René/Chaves Montoya, María Teresa/Álvarez
Barrientos, Joaquín/Rodríguez de la Flor Adánez, Fernando (1995): „El teatro del siglo
xviii (I)“. In: García de la Concha, Víctor/Carnero Arbat, Guillermo (eds.). Historia de la
literatura española, vol. VI: Siglo xviii (I). Madrid: Espasa Calpe, pp. 293-411, hier p. 296.
285
Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 72, l. 787.): „[...] soy Ilustre.” Guinard (1981:
161) betont diesbezüglich den mit dem hier groß geschriebenen Adjektiv „ilustre“ verbundenen, hohen adeligen Rang: „[...] il prouve au juge qu’il est non pas ‚hidalgo‘, non
pas ‚noble’, mais ‚ilustre’.“
286
Fodor (2002: 469).
287
Fodor (2002: 469).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
321
Wie schon in Valladares‘ El vinatero de Madrid ist die Notwendigkeit
der Zugehörigkeit des/der ProtagonistInnen zum Adelsstand auch für
La Justina zu konstatieren, was zugleich ein Zugeständnis des Autors
an das herkömmliche Verständnis von einer notwendigen Trennung
der sozialen Schichten ist, die es auch bei der am Ende erfolgenden
Eheschließung zu berücksichtigen gilt.288 Ausnahmen von dieser Regel
bilden im Kontext des populären sentimentalen Dramas einzig Valladares‘ sentimentale Komödien El fabricante de paños (1784) und El
carbonero de Londres (1784).289 Im Unterschied zu neoklassischen Komödien und ihrer Konturierung des Bürgertums als vorbildlicher und
tugendhafter sozialer Schicht, die sich übrigens auch in Stücken aus
der Feder Comellas wie El hombre agradecido oder El hombre singular als
tonangebend erweist, repräsentieren die mercaderes in Zavala y Zamoras La Justina einen missachteten und gering geschätzten Berufsstand.
Diese Thematik setzt sich in nuancierterer Form in Valladares de Sotomayors El vinatero de Madrid (1784) fort.
In La Justina, einer populären sentimentalen Komödie, die zwar
im Paris des 16. Jahrhunderts angesiedelt ist, aber über die Figur des
aus England geflohenen und bei König Jakob I. aufgrund einer Intrige in Ungnade gefallenen Lord Wantain Brücken auf die grüne Insel
schlägt,290 erscheint der Händler nicht als ‚ehrbarer Kaufmann‘, sondern als „humilde y grosero mercader“291. Auch Angelita, die Tochter
288
Vgl. hierzu auch García Garrosa (1990: 115): „En La Justina, Zavala y Zamora vuelve al conservadurismo y ennoblece en el último momento al pretendiente humilde.“
289
Zu El carbonero de Londres als Ausnahme von der Konvention des heimlichen
oder geheim gehaltenen Adels vgl. Guinard (1981: 152).
290
Vgl. hierzu Zavala y Zamora, Gaspar (1753 [1790c]): La Justina: comedia nueva en tres actos. Edición digital basada en la edición de Madrid: Antonio Sanz, p. 13:
„MILTON: [...] / me dio honores, me dio puestos, / el Rey Jacobo en la guerra, / y en la
paz su valimiento / gocé [...]“. Weiter heißt es: „Gocé, como ya he dicho, de mi Rey por
largo tiempo / la privanza: pero astutos / envidiosos y protervos / mis enemigos perderla / en un instante me hicieron.” Zavala y Zamora 1753: 14, vv. 262-266. Die Datierung
des Stückes auf 1753 im Catálogo Cervantes Virtual ist offensichtlich ein Fehler, wurde
die Komödie doch erst 1790 uraufgeführt. Vgl. hierzu die in der Universitätsbibliothek von Sevilla erhaltene Druckversion: Zavala y Zamora, Gaspar (1790c): La Justina:
comedia nueva en tres actos, representada por la compañía de Ribera en este presente año de
1790. Quelle: https://archive.org/details/A25023510, Zugriff: 17.08.2022. Vgl. auch García Garrosa (1990: 115; 258). In Anbetracht des Fehlers in der Datierung bei Cervantes
Virtual wird das Stück La Justina im Folgenden mit der Jahreszahl (1790c) angegeben.
291
Vgl. die dramatis personae.
322 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des Weinhändlers von Madrid, äußert angesichts des geringen Ansehens des Berufsstandes ihres Vaters: „[...] estais [padre] a tan grosero
ejercicio reducido.”292 In gleicher Weise bezeichnen sich die Figuren
Milton und sein Sohn Ailson sich in La Justina als „grosero“293. Der Baron aus La Justina bringt im weiteren Verlauf des Stückes seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass Ailsons nobles Verhalten nicht
recht zu seinem bescheidenen Stand passen will, was Ailsons adelige
Herkunft episch vorausdeutet. Zugleich lässt er keinen Zweifel an Ailsons niedrigem sozialen Status, als dieser es wagt, das Schwert gegen
den adeligen Konkurrenten zu erheben: „Yo nunca riño con hombres
/de tan baja esfera.“294 Dass dem Sohn eines Händlers nur wenig gesellschaftliches Ansehen beschieden ist, bestätigt auch die Moral des
Stückes, kann Ailson Justina doch am guten Ende nur deshalb heiraten, weil seine aristokratischen Wurzeln ans Licht kommen. Von entsprechend geringer Aussagekraft sind demnach die klagenden Worte
Justinas, die vor allem der Ausgestaltung des Liebesplots dienen:
[...] siendo
hijo de mercader, crees
que podrá amarte menos
siéndolo un hombre ilustre,
a quien tiene hoy encubierto
y abatido la fortuna?
yo amaba con extremo,
no las riquezas de Ailson,
292
Valladares de Sotomayor (1784: 21, ll. 570f.). Diese Geringschätzung prägt in den
explizit personalen Figurencharakterisierungen sowohl die Selbst- als auch die Fremdbezeichnungen des Weinhändlers Juan und seiner Tochter Angelita. Vgl. Valladares
de Sotomayor (1784: 7, ll. 99ff.): „ANGELITA: Su corazón generoso / era digno de otro
empleo, / de otro ejercicio, que fuera / mejor que el de Vinatero.” Vgl. auch Valladares
de Sotomayor (1784: 13, ll. 302ff.): „MARQUÉS: [...] Tu padre / es un pobre vinatero,
constituido por su cuna / y oficio, en abatimiento.“
293
Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 315-317.) Vgl. auch Zavala y Zamora (1790c: 13,
vv. 206f.), in denen sich Ailson als „hijo de un grosero mercader“ bezeichnet.
294
Zavala y Zamora (1790c: 19, vv. 643f.). Auch diese Szene sieht sich in Valladares
de Sotomayors El vinatero de Madrid spiegelbildlich wiederholt, wenn der betagte Juan
den Marqués zum Duell fordert, der Marqués dieses aufgrund des niederen Standes
des Weinhändlers zunächst verweigert und Juan ihm dann im Laufe des Kampfes in
nobler Geste gestattet, das verlorene Schwert aufzuheben. Vgl. Valladares de Sotomayor (1784: 46, ll.1336-1365).
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
323
no su claro nacimiento,
sino su virtud [...].295
Die hier von Justina so wortgewaltig hervorgehobene virtud Ailsons zeigt sich allerdings einzig in der Szene des Duells zwischen
Ailson und dem Barón de Lain – eine im Sinne der neoklassischen
Doktrin und der Gesetzgebung unangemessene Szene296 –, in der Ailson dem Baron das eigene Schwert darreicht, nachdem dessen eigene
Klinge zerbrochen war. Zweifellos handelt es sich dabei um eine noble
Geste, die der Baron auch als solche anerkennt. Eine einzige generöse Handlung macht allerdings noch keinen tugendhaften Charakter.
Was die bürgerliche Arbeitsmoral und die Tugend des Fleißes, die
industria betrifft, fehlt es Ailson an beiden: In einer Szene zu Beginn
des Stückes, in der sich Milton alias Lord Wantain aus Verzweiflung
über die anhaltende Melancholie seines Sohnes dessen Vertrauen dadurch erkaufen will, dass er ihm sein kaufmännisches Geschäft anträgt, weist Ailson dies zurück. Er hat weder Interesse am Beruf des
Gewerbetreibenden, noch teilt er dessen Streben nach Reichtum, da
beides mit Arbeit verbunden ist. Stattdessen zieht er es vor, den status
quo beizubehalten und – wie in der im Folgenden formulierten Bitte
um „aquesa continuación de vuestro amor“ mittelbar zum Ausdruck
kommt – weiterhin von seinem Vater finanziert zu werden. Damit tut
Ailson ganz dem Zeitgeist Genüge und handelt gemäß der Wunschvorstellungen der meisten jungen Bürgerssöhne der Epoche:
295
Valladares de Sotomayor (1784: 18, vv. 571-580).
Vgl. García Garrosa (2011: 20), die im Kontext ihrer Analyse von Zavala y Zamoras El amante honrado (1793) darauf verweist, dass Duelle seit 1757 verboten waren:
„No hará falta recordar que el duelo estaba prohibido en España por la pragmática de
Fernando VI de 9 de mayo 1757, y que la ley castigaba con la pena capital y la confiscación de los bienes a ambos duelistas, retado y retador [...].” García Garrosa betont an
derselben Stelle, dass auch der Rezensent des Amante honrado im Memorial literario diesen Umstand bemängelt und darauf verweist, dass derartig unmoralische Handlungen
nur aufgrund der Verlagerung der Handlung nach England möglich seien. Selbiges gilt
auch für Valladares y Sotomayors El fabricante de paños und Comellas La Jacoba (1789).
Ein scharfer Kritiker des Duells und Befürworter einer Bestrafung der Kontrahenten
mit der vollen Härte des Gesetzes ist Jovellanos, der sich in El delincuente honrado (1773)
dagegen ausspricht. Vgl. hierzu Jovellanos‘ Antwortbrief an den Abt von Valchrétien
vom 3. September 1777, zitiert in Johnson, Jerry L. (ed.). (1972): Teatro español del siglo
xviii. Barcelona: Bruguera, p. 746 und Guinard (1981: 164).
296
324 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
MILTON
[...]
Habla, sí, todos mis bienes
son tuyos: con regocijo
te cederé mi comercio
si tú quieres, hijo mío,
reservando para mí
el placer de ser tu amigo
y bienhechor.
AILSON
¡Ah, buen padre!
(Mirándole con ternura.)
ninguno muere oprimido
del deseo de adquirir
riquezas. Yo no codicio
a lo menos otros bienes,
ni otras fortunas os pido,
que aquesa continuación
de vuestro amor. [...]297
Dass Ailson ein untätiger „holgazán“298 ist, während der Vater sich
müht, im Büro das zusammenzuhalten, was sein Sohn sogleich wieder
verprasst, verdeutlicht auch die offene Kritik der Dienerin Cecilia.299
Für die am Ende der Komödie stattfindende ‚Entlohnung‘ Ailsons
durch Justinas Hand hat dies aber interessanterweise keine moralischen oder finanziellen Konsequenzen. Dies ist ein weiteres Moment,
durch das sich Zavalas y Zamoras Stück von den übrigen hier analysierten Beispielen eines spätaufklärerischen spanischen Wirtschaftstheaters unterscheidet, herrscht in diesen doch das Prinzip vor, dass
nur die fleißigen und ehrenhaften bürgerlichen Gewerbetreibenden
am Ende ihren amourösen und ökonomischen Profit einstreichen dürfen. Dies gilt für El hombre agradecido ebenso wie für neoklassische Stücke wie Tomás de Iriartes El señorito mimado oder Francisco Duráns
La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789) (vgl. Kap. 6.3). Im
297
Zavala y Zamora (1790c: 5, vv. 256; 269).
Zavala y Zamora (1790c: 3, v. 157).
299
Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 3, vv. 156-160): „CECILIA: [...] ¿Usted no es un
continuo / holgazán, mientras el viejo, /en su despacho metido, / hace por juntar talegas
/ para que malgaste el niño?”
298
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
325
Gegensatz zu den Kaufmannsfiguren der übrigen hier untersuchten
Stücke hat der Händler Milton zwar einen Teil seiner Güter durch
Arbeit und ein gewisses geschäftliches Geschick erworben; ein Großteil seines Vermögens fußt allerdings auf dem, was er noch vor seiner
Flucht aus England an beweglichen Gütern wie Geld und Schmuck
mitzunehmen vermochte.300 Damit orientiert sich Zavalas y Zamoras
Komödie deutlich am Publikumsgeschmack und ist noch weit entfernt
von der Inszenierung eines durch kaufmännisches Geschick und ehrbare Arbeit erworbenen Reichtums und sozialen Prestiges, die den
ehrbaren Kaufmann und vir oeconomicus Bruno aus Comellas El hombre agradecido ebenso auszeichnet wie die in den folgenden Kapiteln
untersuchten Unternehmerfiguren.
Zwar ist La Justina durch französische larmoyante Komödien inspiriert, was die hier inszenierten Extreme des Gefühls, das Flehen gen
Himmel, den mehrfach von den verzweifelten Liebenden beschworenen Wunsch, sterben zu wollen und die zahlreichen, oftmals wenig
plausiblen Schicksalswenden erklärt. Wie schon in dem gleichfalls
aus der Feder Zavala y Zamoras stammenden Stück El triunfo del amor
werden diese Wendungen auch hier durch zahlreiche eintreffende
Briefe bewirkt, von denen einer auch die entscheidende Wende zum
Guten herbeiführt: Lord Wantain wird durch den betreffenden Brief
nicht nur rehabilitiert, sondern erhält zudem seine Besitzungen zurück. Wie sehr Zavalas und Zamoras Stück im Hinblick auf die soziale Situierung dem barocken Geist verpflichtet ist, zeigt sich auch
in dem Umstand, dass Justina in ihrer Verzweiflung einen Pistolenschuss abfeuert, um den auf der Bühne ausgetragenen Fechtkampf
zwischen dem Barón de Lain und Ailson zu unterbrechen. Solch
exzessive Handlungen, die dem Laster der ira entspringen und der
Tugend der aufklärerischen temperantia entgegenlaufen, sind für das
neoklassische Theater undenkbar. Gleiches gilt für die verworrenen
Handlungsstränge des Stückes, die an wechselnden Schauplätzen –
dem Inneren des Hauses und dem Außen des Parks – stattfinden und
300
Zavala y Zamora (1790c: 15, v. 346f.): „MILTON: [...] / en Francia nos mantendremos / con el caudal que yo traje, / y el que adquirí en el comercio.” Das mitgebrachte
Vermögen besteht aus Geld und Juwelen: „[...] / recojí todo el dinero / y las alhajas que
pude; salí de Inglaterra huyendo, / y dejé al pronto burlados / les enemigos deseos.”
Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 289-294).
326 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
den im neoklassischen Theater obligatorischen Einheiten von Ort, Zeit
und Handlung entgegenstehen.
Der Geist barocker Ästhetik, dem Zavala y Zamoras Komödie verpflichtet ist, tritt auch anhand der Dienerfiguren Estruk und Cecilia
zutage. Beide sorgen für die nötige Portion Komik, die ihrerseits das
Liebesleid der Hauptfiguren ausbalanciert, etwa, wenn die Dienerin
Cecilia ihre Herrschaft durch wiederholte Impertinenz belästigt301 und
deren Verhalten auf ebenso brüske wie amüsante Weise kommentiert;
oder wenn der Diener Estruk als moralisch zweifelhafter pícaro auftritt, der seinen unbeständigen Herrn auf ebenso scharfzüngige wie
unterhaltsame Art charakterisiert und ihm zugleich mit schelmischer
Gerissenheit zur Seite steht.302 In ihrem Verhalten ähneln Estruk und
Cecilia der Figur Enriquetas aus El triunfo del amor. Deren Rolle fällt
allerdings in diesem späteren Stück Zavalas y Zamoras bedeutend
kleiner aus, während den impertinenten Dienerfiguren in La Justina
ausgiebige Repliken zugestanden werden. In diesem Umstand offenbart sich ein möglicher Einfluss der Konventionen des Neoklassizismus auf das populäre Theater.
Ebenso ubiquitär wie die Scharfzüngigkeit einer Dienerschaft, die
mit ihrer Herrschaft hemmungslos ins Gericht geht, ist in Zavala y Zamoras Stück der Topos der Bestechlichkeit: Der Diener Estruk erhält
mehrfach Geld, und zwar sowohl von Justinas Mutter, der „Madama“,
als auch von Justina selbst. Von diesen Zahlungen erhoffen sich die
weiblichen Figuren Informationen über den Baron. Auch dieser ist geneigt, sich Estruks Dienste zu erkaufen, damit der Lakai den Kopf des
Barons – der bereits mit einer anderen Kandidatin als Justina verlobt
ist – aus der Schlinge zieht.303 Ähnlicher Mittel bedienen sich, wie wir
301
Vgl. den Beginn des zweiten Aktes, in dem Cecilia den schreibenden Milton wiederholt stört, was Milton zu dem Ausruf: „¡Qué impertinencia!“ veranlasst. Zavala y
Zamora (1790c: 11, v. 37).
302
Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 21, vv. 93-98), in der Estruk seinem Herrn, dem
Barón de Lain, den Spiegel vorhält: „[...] vamos claros, / si ve que sois un tronera, / un
jugador perdulario, / un malgastador eterno / y un perpetuo enamorado / de cuantas
veis?“
303
Vgl. Zavala y Zamora (1790c: 1, v. 84; 16, vv. 451-454; 22, v. 152). Ähnlich äußert
sich Justina über Cecilia, als diese sie wiederholt durch unangemessene Bemerkungen
verärgert: „[...] qué mal parece / ese gesto avinagrado / en una novia“; „os estoy mirando / estos días insufrible”. Die Sprödheit und Zurückhaltung von Mutter und Tochter vergleicht Cecilia mit der einer „casta de Potentados Holandeses“, worauf Justina
5. Vir oeconomicus I: Die männliche Typisierung des Handels
327
aus einer Replik Miltons erfahren, auch seine Widersacher, die ihre
falschen Behauptungen mit erkauften Zeugenaussagen untermauern:
MILTON:
[...] y con firmas
y testigos que el dinero
les ganó, la acusación
de modo fortalecieron,
que el Rey la creyó [...].304
Mit Ausnahme der zitierten Replik, in der Milton seinem Sohn Ailson von Widrigkeiten der Vergangenheit berichtet, wird der Umstand,
dass Informationen käuflich zu erwerben sind, in Zavala y Zamoras
Stück nicht weiter kritisiert, sondern erscheint vielmehr als Selbstverständlichkeit. Die Auffassung, dass Täuschungen und Finten notwendige Strategien im Liebeswerben sind, findet sich in ähnlicher Weise
im Theater Marivaux‘, beispielsweise in La Double Inconstance (1723),305
was abermals den Einfluss des französischen Theaters auf Zavala y
Zamora zeigt.
ihren Unmut bekundet: „Ya estás impertinente, y me enfado.“ Zavala y Zamora (1790c:
23, vv. 208-217).
304
Zavala y Zamora (1790c: 14, vv. 271-275).
305
Vgl. Schuchardt (2016).
6.
VIR OECONOMICUS II:
DIE MÄNNLICHE TYPISIERUNG DER INDUSTRIE
Während zur literarischen Ausgestaltung des Kaufmanns zahlreiche
Studien vorliegen,1 darunter zuletzt Bauers Monographie Ökonomische
Menschen (2016),2 deren Autor sich in Form einer literarischen Wirtschaftsanthropologie dem Kaufmann, dem Spekulanten und dem
Taugenichts als zentralen ökonomischen Akteuren der deutschen
Literatur des 19. Jahrhunderts zuwendet, ist der Fabrikant innerhalb
der existierenden literaturwissenschaftlichen Forschungen zum weiten Feld des hier als vir oeconomicus identifizierten ‚ökonomischen
Menschen‘ eine literatur- und kulturwissenschaftlich vergleichsweise
wenig erforschte Gestalt. Insbesondere für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert als Epoche der beginnenden Industrialisierung wurde die literarische Repräsentation des Fabrikanten nur wenig – und vor allem:
1
Vgl. u.a. den Band von Lütge/Strosetzki (eds.) zum ehrbaren Kaufmann (2017). Im
Bereich der Philologien ist der Kaufmann insbesondere in der Anglistik, Amerikanistik und Germanistik gut beforscht. Vgl. u.a.: Mahalik, Christa (ed.) (2010): Merchants,
Barons, Sellers and Suits: The Changing Images of the Businessman through Literature. Cambridge: Cambridge UP; Rommel (2006); Leinwand, Theodore B. (1999): Theatre, Finance
and Society in Early Modern England. Cambridge: Cambridge UP; McTague, Michael J.
(1979): The Businessman in Literature: Dante to Melville. New York: Philosophical Library;
Hohl (1988); Van Cleve, John (1986): The Merchant in German Literature of the Enlightenment. Chapel Hill: The U of Carolina P. Für den Kaufmann im französischen Theater
des 18. Jahrhunderts vgl. insbesondere: Fodor (2002); Thomasseau, Jean Marie (ed.)
(1988): Commerce et commerçants dans la littérature. Bordeaux: Presses Universitaires de
Bordeaux, darin: Régaldo, Marc: „Le drame et la réhabilitation du commerce au xviii
siècle”, pp. 69-80; Niklaus, Robert (1978): „The Merchant on the French Stage in the 18th
Century, or the Rise and Fall of an 18th-Century Myth”. In: Mossop, Deryk/Rodmell,
Graham/Wilson, Dudley (eds.). Studies in the French Eighteenth Century. Durham: University of Durham 1978, pp. 141-156.
2
Bauer, Manuel (2016): Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie
des 19. Jahrhunderts. Göttingen: V&R.
330 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
wenig systematisch – untersucht. Dieser Umstand gilt mit Ausnahme
weniger Einzelstudien auch für die spanische Literatur. Für das hier
untersuchte spanische Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind
etwa Gies‘ Studien zu Francisco Duráns sentimentaler Wirtschaftskomödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789) zu nennen,3
ein Stück, das hier ebenfalls einer detaillierten Analyse unterzogen
wird. In Gies‘ Monographie zum spanischen Theater des 19. Jahrhunderts dominieren Kaufleute, Financiers und ‚Geschäftsleute‘,4 während die Figur des Fabrikanten in den von ihm untersuchten Primärtexten so gut wie keine Rolle mehr spielt.
Dass der Textilfabrikant schon im ausgehenden 18. Jahrhundert
auf den literarischen Plan tritt, zeigen die Analysen der sich anschließenden Kapitel. Für die spanische Prosa des 19. Jahrhunderts sind es
ebenfalls Einzelstudien, die sich der Industrie und ihrer literarischen
Darstellung insbesondere bei Galdós, Clarín, Pereda und Pérez Valdés sowie in geringerem Maße der Darstellung des Industriellen selbst
widmen.5 Literaturwissenschaftliche Analysen der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts konzentrieren sich vor allem auf die Frage
der Darstellung von Industrielandschaften.6
Angesichts der in England im Vergleich zu Spanien und Frankreich
schon im anbrechenden 18. Jahrhundert stark entwickelten Industrie,
die insbesondere auf dem Textilsektor Exporte nach ganz Europa – so
auch nach Spanien – aufweist, sind Fabrikanten und mit dem Handel verbundene Figuren, wie schon das Beispiel des London Merchant
3
Vgl. Gies (1996; 2015). In einem jüngeren Artikel hat sich Gies (2022: 183ff.) erneut
dem Textilfabrikanten und der Figur der Weberin zugewandt.
4
Vgl. Gies, David T. (1994): The Theatre in Nineteenth-Century Spain. Cambridge:
Cambridge University Press.
5
Vgl. etwa Belda Planas, Francisco (1976): Industrialización y sociedad en la novela
española (Pereda, Galdós, Clarín y Palacio Valdés). Diss. Univ. Central de Venezuela: Caracas; Bly, Peter A. (1992): „In the Factory: Description in Galdós”. In: Nelson, Bryan
(ed.). Naturalism in the European Novel: New Critical Perspectives. New York: Berg, pp.
210-225; Rodríguez, Rodney T. (1985): „El trasfondo económico y moral de La de Bringas”. In: Letras de Deusto, 15 (33), pp. 165-173.
6
Vgl. O’Connor, Carrie (2012): „Industrial Visions: Seeing and Perception in Balzac
and Zola”. In: Peters, Rosemary A. (ed.). Criminal Papers: Reading Crime in the French
Nineteenth Century. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars, pp. 137-150; Souny,
Claudine (2000): „Romanesque et stratégies argumentatives dans les romans industriels de George Sand“. In: Philippe, Gilles (ed.). Récits de la pensée: Etudes sur le roman et
l’essai. Paris: SEDES, pp. 213-224.
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
331
gezeigt hat, entsprechend früh auch von literarischer Bedeutung.
Dies schlägt sich auch in anglistischen und amerikanistischen Studien
nieder: John McVeagh (1981) beispielsweise untersucht das Bild des
Kapitalisten in der anglophonen Literatur ab 1500. Dabei wird der
Fabrikant gemeinsam mit dem Kaufmann unter dem Begriff des Kapitalisten subsumiert, der laut McVeaghs Untersuchung erst ab 1790 auf
den Plan tritt.7 Hildegunde Nuth hat sich der Figur des Unternehmers
in der Phase der Frühindustrialisierung in englischen und deutschen Romanen angenommen.8 Für die amerikanische, russische und deutsche
Literatur um 1900 widmet sich Vintilă Horia dem „mundo empresarial“9. Dies geschieht anhand der sogenannten Lost Generation, die Autoren wie John Dos Passos, Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald
umfasst, sowie anhand von Maxim Gorkis Foma Gordejew (1899) und
Thomas Manns Die Buddenbrooks (1901). Auch hier geht es vor allem
um den Kaufmann und eher am Rande um den Fabrikanten.
In seiner Monographie Und die Moral von der Geschicht... Fabrikanten,
Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung (22013), einem unterhaltsamen, medien- und sprachenübergreifenden tour de force durch
Repräsentationen der Reichen, resümiert der Soziologe Holger Rust,
dass die Wohlhabenden „von der Bibel bis zu John Grisham [...] hartherzig, geizig und verbrecherisch“10 dargestellt seien, „es sei denn,
sie [hätten] ihren Reichtum einer Fee oder dem Lottoglück zu verdanken“11. Entsprechend inszenierten die „Volksweisheiten, die ernsthaften Theaterstücke und die anspruchsvolle Literatur, das Fernsehen
und der Film [...] Schauergeschichten von der Verworfenheit der Bosse,
der Unternehmer und der Fabrikanten“, folgert Rust im Klappentext
7
Vgl. McVeagh, John (1981): Tradeful Merchants. The Portrayal of the Capitalist in Literature. London: Routledge & Kegan Paul. Desweiteren existieren auch für den Bereich
der Anglistik Einzelstudien über die Industrie und den Industriellen in der Literatur
des 19. Jahrhunderts, etwa bei Thomas Carlyle. Vgl. Nixon, Jude V. (2009): „‚Workers,
Master Workers, Unworkers’: Carlyle and Southey-the Saint-Simoniens and Industrial
Feudalism”. In: Revue LISA, 7, 3, pp. 452-463.
8
Nuth, Hildegunde (1991): Figur des Unternehmers in der Phase der Frühindustrialisierung in englischen und deutschen Romanen. Frankfurt/Main u.a.: Lang.
9
Horia, Vintilă (1981): „El mundo empresarial en la novela contemporánea”. In:
Annali dell’Istituto Universitario Orientale di Napoli. Sezione Romanza, 23, 1, pp. 125-150.
10
Vgl. den Klappentext von Rust, Holger (22013): Und die Moral von der Geschicht...
Fabrikanten, Bosse und Manager in Literatur und Unterhaltung. München: Redline.
11
Vgl. den Klappentext von Rust (2013).
332 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seiner Monographie. Interessanterweise sind aber die Fabrikanten als
diejenigen, die im eigentlichen Sinne Waren herstellen, auch in den
von Rust vorgestellten literarischen Beispielen kaum vertreten. Stattdessen dominieren neuerlich Kaufleute, Financiers, Spekulanten, Börsenhändler und Ölmagnaten, während sich das Themenfeld der industriellen Produktion und ihrer zentralen Akteure abermals als marginal
erweist. Aus den von Rust zitierten Beispielen der deutschsprachigen,
französischen, italienischen, englischen und amerikanischen Literatur
sowie den Film- und Fernseherzeugnissen dieser Länder wird Spanien ebenso ausgeklammert wie das literarische 18. Jahrhundert. In
den literarischen Erzeugnissen der Aufklärungsbewegung und insbesondere im Theater treten Fabrikanten erstmalig auf den Plan und
werden dort eben gerade nicht als die Ausbeuter gezeichnet, als die
sie – wie Rusts Untersuchung belegt – die europäischen und amerikanischen Literaturen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts und später auch
Filme und TV-Serien mehrheitlich darstellen. Vielmehr treten sie in
protoindustriellen europäischen Literaturen als hoch geachtete Patriarchen und nationale Wohltäter auf, deren Beitrag zum Gemeinwohl
das Bühnengeschehen wortreich inszeniert.
Gerade in der Literatur des 18. Jahrhunderts vermutet Rust eine im
Vergleich zu heutigen Darstellungen des Fabrikanten größere Komplexität der Figuren und ihrer intrinsischen Motivation: „Die klassische Literatur (zum Beispiel jene in der Zeit der Aufklärung) geht
im Grunde weit differenzierter vor [als die heutige], indem sie nach
verzweigten, sich widersprechenden Motiven forscht. Die Charaktere
sind vielschichtig.“12 Auch wenn ökonomische Akteure wie der Fabrikant im Gegensatz zu nachfolgenden Epochen in der Aufklärung
positiv, ja geradezu ideologisch verklärt gezeichnet werden, geht damit nicht notwendigerweise auch eine höhere Komplexität der Figuren einher. Für die theatralen Repräsentationen des Fabrikanten im
England, Frankreich und Spanien des 18. Jahrhunderts, so die hier
vertretene These, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Allerdings ist anzumerken, dass systematische Untersuchungen zum Fabrikanten als
literarische Figur, die unterschiedliche Gattungen betrachten und eine
diachrone Perspektive einnehmen, noch ausstehen.13 Von den hier
12
Rust (2013: 67).
Den Versuch, Darstellungen von „ProtagonistInnen der Produktion“ im langen
18. Jahrhundert und in Gattungen wie dem ökonomischen Traktat, dem religiösen
13
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
333
ausgewählten Beispielen für theatrale Repräsentationen des Fabrikanten im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts entstammen zwei,
Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788) und Francisco Duráns La
industriosa madrileña y el fabricante de Olot (1789), dem neoklassischen
und eines, Valladares de Sotomayors El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784), dem populären Theater. Gerade mit Blick auf diese
drei Beispiele erweist sich Rusts Annahme einer differenzierteren Darstellung ökonomischer Akteure im 18. Jahrhundert zumindest für das
aufklärerische Theater in Spanien als falsch, ist die Darstellung der
dort skizzierten Fabrikantenfiguren doch kaum weniger holzschnittartig und stereotyp als dies in den bereits untersuchten theatralen
Repräsentationen des Kaufmanns der Fall ist. Was die Inhaltsebene
anbelangt, so lässt die positive Kodierung der Figurentypen vor dem
Hintergrund von Rusts Untersuchung wohlhabende wirtschaftliche
Akteure (zumindest in der europäischen und anglo-amerikanischen
Literatur) im 18. Jahrhundert zu kurzem Ruhm gelangen, bevor sie im
anbrechenden 19. Jahrhundert erneut scharfer und bis in die Gegenwart anhaltender Kritik ausgesetzt sind. Dass gerade die Epoche der
Aufklärung (ausschließlich männliche) Unternehmerfiguren wie den
Fabrikanten und den Kaufmann zu gesellschaftlichen Vorbildfiguren
erklärt, steht mit den Überlegungen der europäischen Aufklärungsbewegung zur politischen Ökonomie und deren teleologischem, auf
den Fortschritt ausgerichteten Diskurs im Zusammenhang. Anders
als in der Literatur des 19. Jahrhunderts wird dieses Denken im 18.
Jahrhundert noch nicht mit seinen Schattenseiten konfrontiert, wie sie
beispielsweise die literarische Strömung des Naturalismus in den Vordergrund stellt.
Schrifttum, der Presse sowie in Theater und Roman zu betrachten, unternimmt der
Sammelband von Schuchardt/Tschilschke (2022).
334 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
6.1. Tomás de Iriartes La señorita malcriada (1788):
Der Textilfabrikant als moralischer und wirtschaftlicher
Ratgeber14
In Eugenio, dem im Doppelsinn ‚gut betuchten‘ katalanischen Textilfabrikanten und Protagonisten aus Iriartes dreiaktiger comedia moral15,
findet sich in Analogie zu den hier untersuchten sentimentalen Komödien, die den Kaufmann inszenieren, ebenfalls eine nahezu mustergültige Verkörperung des aufklärerischen Konzeptes der amistad: Er
ist kultiviert und tritt für die Bildung von Frauen und Männern ein,16
ist ein „caballero en forma / y hombre de bien“17. Er besitzt Urteilsvermögen („juicio“18), zeichnet sich durch Ehrbarkeit („honradez consumada“19) aus und leistet in der Komödie so manchen, für die Begünstigten kostenlosen und zugleich ertragreichen Freundschaftsdienst.
Eugenios Textilfabrik bildet den Gegenentwurf zu der im ausgehenden 18. Jahrhundert in der Krise befindlichen spanischen Textilindustrie: In Iriartes Stück wird mit der Handlung um den Tuchfabrikanten
im Medium des Theaters zugleich ein Erfolgsnarrativ spanischen Unternehmertums entworfen,20 das nicht zufällig in Katalonien als dem
damals leistungsstärksten Industriestandort Spaniens angesiedelt ist
(vgl. Kap. 2.2).21 Dies verdeutlicht einmal mehr Anliegen und Tendenz
14
Die hier angestellten Analysen zu Iriartes La señorita malcriada finden sich in Teilen in dem Artikel: Schuchardt, Beatrice (2018a): „Freundschaft und die Ökonomie der
Affekte in sentimentalen Komödien der spanischen Aufklärung“. In: Schlünder, Susanne/Stahl, Andrea (eds.). Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19.
Jahrhundert. Paderborn: Fink, pp. 259-280.
15
Vgl. hierzu den Paratext des Stückes auf der Titelseite.
16
Vgl. Iriarte, Tomás de (2010): La señorita malcriada (1788). In: idem. Teatro original
completo, ed. Russell P. Sebold. Madrid: Cátedra, pp. 365-502, hier p. 436.
17
Iriarte (2010: 385).
18
Iriarte (2010: 417).
19
Iriarte (2010: 417).
20
Zur desolaten Lage des spanischen Textilsektors in jener Epoche vgl. u.a. Letayf
(1968: 31): „Desgraciadamente, el panorama global de la industria pañera clásica [en
España] a fines del siglo xviii era de escasa producción y poca calidad.“ Vgl. hierzu
auch Gil, Tomás (2009): „Industria, interés público, felicidad. Configuración y dinámica del gusto ilustrado“. In: Res publica 22, pp. 225-230.
21
Vgl. auch Angulo Egea (2006: 113): „La naciente industrialización, principalmente en Cataluña, se entendió como un símbolo de progreso. De ahí también la insistente
valoración del trabajador. En el teatro surgen, por ejemplo, figuras que representan al
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
335
des neoklassischen Theaters, ganz im Sinne der Poetik Ignacio de Luzáns idealisierend zu wirken, „presentando [las cosas] a tal fin sobre la
escena, no como son, sino como debieran ser“.22 Darüber hinaus zeigt
sich anhand der Figur Eugenios die für spanische Komödien der Spätaufklärung typische Kopplung von finanziellem Erfolg und moralischer Vorbildlichkeit: Eugenio ist, ebenso wie der Kaufmann Bruno
aus Comellas El hombre agradecido, selbst so begütert und unternehmerisch erfolgreich, dass er nicht nur als Finanzberater fungieren kann,
sondern darüber hinaus als Ratgeber in moralischen Fragen herangezogen wird.
Eugenios guten Rat haben die übrigen Figuren des Stückes bitter
nötig: Der lebenslustige, nahezu fahrlässig sorglose Gonzalo lässt die
Erziehung seiner Tochter Pepita – der titelgebenden señorita malcriada
– derart schleifen, dass diese in die Fänge der intriganten Nachbarin
Ambrosia und unter den Einfluss des zwielichtigen Marqués de Fontecalda gerät. Russell P. Sebold zufolge trägt Pepita ebenso die verschwenderischen und koketten Züge einer petimetra wie die Leichtfertigkeit und Keckheit einer maja zur Schau,23 ein Detail, mit dem Iriarte
auf die gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Mode verweist, dass sich adelige und besitzende Schichten in der volkstümlichen Tracht der majos und majas unters Volk mischen.24 Die Eheschließung Pepitas mit dem ebenfalls negativ gezeichneten und an die Figur
eines petimetre angelehnten Marqués de Fontecalda steht unmittelbar
bevor, wurde doch der mit dem Marqués um Pepitas Hand konkurrierende Eugenio durch das intrigante Duo Ambrosia / Fontecalda beim
Brautvater in Verruf gebracht. Wo Pepitas Leichtfertigkeit herrührt,
verdeutlicht der im Stück getätigte Verweis auf die finanzielle Leichtfertigkeit ihres Vaters Gonzalo: Dieser läuft laut eigener Aussage Gefahr, sein nicht unbeträchtliches Vermögen in nur zwei Tagen durchzubringen, weshalb er es dem umsichtigen Don Eugenio anvertraut.
buen empresario de actitud paternalista respecto a sus contratados, como se observa
en piezas populares como La industriosa madrileña, El fabricante de Olot, o [sic] Los efectos
de la aplicación“.
22
Maravall (1991: 386). Hier wird Aristoteles nahezu wörtlich zitiert.
23
Vgl. Sebold (2010: 63). Diese der majeza eigene Zwanglosigkeit bezeichnet Sebold
(2010: 66) als „marcialidad“.
24
Vgl. Pietschmann (2005: 229).
336 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Gonzalo:
[...]
y parte liberalmente [Don Eugenio]
conmigo cuantas ventajas
le produce en
Cataluña
la fábrica celebrada
de que es dueño. Cobro limpia
mi renta de polvo y paja,
y tengo
mi capital
asegurado. Mira, yo soy un perdido
que en dos días malgastara
mi caudal [...].25
In der zitierten Replik ist vom unternehmerischen Erfolg Eugenios
die Rede, der hier mit Gonzalos Fahrlässigkeit in finanziellen Dingen
kontrastiert wird, was vor dem Hintergrund der realwirtschaftlichen
Situation der spanischen Textilindustrie der Epoche unsere These untermauert, dass es hier mehr um den Soll- als um den Istzustand geht,
eine Idealisierung, die mit der neoklassischen Doktrin im Einklang
steht. Wie schon der Kaufmann Thorowgood aus Lillos London Merchant fungiert auch der Textilunternehmer Eugenio als vermittelnde
und ausgleichende Figur, die als ruhender Pol die Exzesse der über
die Stränge schlagenden Figuren Gonzalo und Pepita befriedet.
Eugenios kompetenten Rat benötigt Gonzalo nicht allein in finanziellen Dingen, sondern auch wegen der auf dem Spiel stehenden Beziehung zu seiner Schwester Clara. Das zuvor freundschaftliche Verhältnis der Geschwister war durch den schlechten Einfluss Ambrosias in
Schieflage geraten, konnte erst durch Eugenios Tätigkeit als Vermittler
wiederhergestellt werden und gerät neuerlich in Gefahr, als Ambrosia
und der Marqués Clara und Eugenio ein Verhältnis andichten wollen.
Eugenios Bemühungen um die Geschwisterbeziehung resümiert Claras Gatte, Don Basilio, mit den Worten: „Estos se llaman oficios /de
buen amigo“26, was Eugenios Funktion als freundschaftlicher Berater
belegt. Sein Agieren als moralischer und finanzieller Ratgeber weist
Parallelen zur eingangs skizzierten Rolle des Monarchen als Verwalter
25
26
Vgl. Iriarte (2010: 391).
Iriarte (2010: 388).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
337
der felicidad pública auf (vgl. Kap. 3.1), was darauf hindeutet, dass der
philanthrope Aufklärer und versierte Ökonom Eugenio hier als Stellvertreterfigur des Monarchen fungiert.
Eugenios Bemühungen, Gonzalo mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen, bleiben am Ende fruchtlos: So weist Gonzalo Eugenios Warnungen vor dem unbotmäßigen Verhalten der in ihren Anlagen zwar
gutherzigen, aber durch falsche Vorbilder vom rechten Weg abgekommenen Pepita entschieden zurück.27 Zwar ist Eugenio letztlich als
Vermittler28 erfolgreich, wenn es darum geht, Gonzalo und Clara wieder zu versöhnen. Pepitas und Gonzalos Beratungsresistenz dagegen
wird sie beide am Ende ebenso teuer zu stehen kommen wie ihre Neigung zum Exzess: Durch ihr verschwenderisches,29 launenhaftes und
willfähriges30 Verhalten büßt Pepita am Ende die Möglichkeit einer
Eheschließung mit der ‚guten Partie‘ Eugenio ein. Dieser bekundet,
das Ausmaß des durch die falsche Erziehung Pepitas entstandenen
Schadens unterschätzt zu haben, weshalb er von seiner Brautwerbung
zurücktritt. Die maßlose junge Dame soll am Ende zur Besserung ihres Benehmens in eine Klosterschule eintreten. Anders als im Theater Comellas fungiert der Konvent hier also nicht als bloße Drohung,
sondern dient vielmehr als letztes erzieherisches Mittel. Was Gonzalo anbelangt, so wird dieser am Ende vom Marqués um 10.000 Pesos
geprellt.31 Weit schwerer als der finanzielle Verlust wiegt jedoch der
durch Gonzalo erlittene Verlust an Ansehen, ist doch der gute Ruf der
Tochter ruiniert.32 Dies veranlasst Gonzalos Schwester Clara zur Äußerung der finalen Moral des Stückes: „Ya ves que la mala /conducta
27
Vgl. Iriarte (2010: 389). Eugenio kommt dort auf Pepitas „corazón muy benigno“
zu sprechen. Wie auch im Falle der Figur Mariano aus Iriartes El señorito mimado (1788)
sind also nicht Pepitas Anlagen schlecht, sondern die auf sie einwirkenden erzieherischen Einflüsse. Vgl. hierzu Sebold (2010: 65). Zur Figur des Mariano vgl. Kap. 9.1.3.
28
Vgl. Iriarte (2010: 386). Hier ist von Eugenio als einem „medianero“ die Rede.
29
Vgl. Iriarte (2010: 398). So zerschneidet Pepita die Saiten einer Gitarre, weil sie
derer überdrüssig ist; sie schickt sich zudem an, ihre Kastagnetten in den Brunnen zu
werfen, weil sie sie nicht mehr benötigt. Hier offenbart sich Pepitas Eigenschaft als Verschwenderin und schlechte Ökonomin.
30
Zur Launen- und Sprunghaftigkeit Pepitas vgl. Iriarte (2010: 376; 396). Selbst der
Marqués de Fontecalda, der sich am Ende als Betrüger herausstellt, lässt sich über Pepitas schlechte Erziehung aus. Vgl. Iriarte (2010: 411).
31
Vgl. Iriarte (2010: 465).
32
Vgl. Iriarte (2010: 500).
338 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
al fin da mal pago.“33 Gonzalo büßt neben einer beträchtlichen Geldsumme also genau das ein, was das eigentliche Kapital des geselligen
hombre de bien Eugenio ist: Ehrbarkeit („honradez“, s.o.) als Grundlage
für einen guten Ruf in gesellschaftlichen und geschäftlichen Belangen.
Eben auf das soziale Kapital Eugenios zielt die Intrige der Antagonisten Ambrosia und Fontecalda ab, wenn sie gefälschte Briefe über einen vermeintlichen Bankrott Eugenios verbreiten und dessen Freundschaft zu Gonzalo – der ja sein Geld durch Eugenio hatte anlegen
lassen – damit willentlich gefährden. Als besonders prekär erweist sich
die damit einhergehende Schädigung der geschäftlichen Reputation
Eugenios als zahlungs- und lieferfähigem Fabrikanten, denn, wie Eugenio bemerkt: „[...] esa voz, difundida, puede causarme un quebranto
/verdadero.“34 Eine ähnliche Szene findet sich in Antonio Valladares
de Sotomayors Stück El fabricante de paños, o el comerciante inglés (1784).
Auch hier scheut sich der Kassierer des titelgebenden englischen Textilfabrikanten Wilson, den Bankrott seines Dienstherrn bekanntwerden zu lassen „por no dar [...] más quebrantos“.35 Die Sorge vor einem
möglichen Bekanntwerden des Bankrotts gilt in El fabricante de paños
nicht nur für den äußeren Ruf, sondern auch das Ansehen innerhalb
der Familie: So sucht Wilson seinen Bankrott auch vor Ehefrau und
Schwiegermutter zu verbergen, um seinen familiären ‚Kredit‘, der hier
bezeichnenderweise unter dem Begriff des „crédito“ subsumiert wird,
nicht zu gefährden, eine Besorgnis, die er in seinen Repliken wiederholt zum Ausdruck bringt.36 Finanzieller Erfolg und soziales Ansehen
bedingen also einander; Ehrbarkeit im Sinne eines guten Rufes erweist
sich als entscheidender Faktor für unternehmerischen Erfolg. Das seit
dem Mittelalter in den Kaufmannschaften verbreitete Ideal des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ wird also hier auf den Unternehmer übertragen, der
33
Vgl. Iriarte (2010: 501).
Iriarte (2010: 474).
35
Valladares de Sotomayor, Antonio (o.J.): El fabricante de paños, o el comerciante inglés. Madrid: Isidro López. Edición digital basada en la de Madrid, Isidro López, [o.J.].
Quelle: https://www.cervantesvirtual.com/obra/el-fabricante-de-panos-o-el-comerciante-ingles-comedia-nueva-puesta-en-verso-en-cuatro-actos--0/, Zugriff: 19.08.2022, p.
11, vv. 49-51.
36
Vgl. Valladares (o.J.: 10, vv. 709-712 und 723-725): „Sí, ocultemos de mi esposa
/ y de su madre a lo menos / esta funesta noticia / sobre mi crédito, puedo / esa suma
reemplazar. / Ocultemos, / esta amargura, esta pena, / mal, quebranto y desconsuelo.”
34
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
339
in Iriartes Komödie eine ähnliche Vorbildfunktion einnimmt wie der
ehrbare Kaufmann Bruno in Comellas El hombre agradecido.
6.2. Die Ehe: Metapher für das Verhältnis aufgeklärter
Reformökonomen zu Spanien
Ganz im Sinne aufklärerischen Denkens erweist sich Eugenio als Utilitarist, wenn er seine Freunde, so auch Gonzalo, von seinen finanziellen Gewinnen ebenso profitieren lässt wie von seinem moralischen
Kapital. So bringt er seine Einwände gegen Pepitas Zügellosigkeit sowohl dem Vater als auch der Tochter gegenüber zur Sprache, tritt dabei jedoch nicht als moralisierender Tyrann, sondern als einfühlsamer
Berater auf. Ganz dem erzieherischen Geiste der Aufklärung gemäß
leitet er die Irrigen an und appelliert an ihre Einsicht, statt sie anzuklagen oder gar zu verdammen:
Eugenio.
[...] Mis armas
no son la reconvención,
el precepto, la amenaza;
sí, la advertencia oportuna
y la persuasión más blanda.
Debemos ser
indulgentes
con las flaquezas humanas,
compadecer y guía,
al que sigue senda errata.37
Wie in geschäftlichen Belangen handelt Eugenio auch in moralischen Dingen umsichtig und mit Blick auf das rechte Maß, wodurch
sich abermals die Anlehnung der in Iriartes Komödie entworfenen
unternehmerischen Ehrbarkeit an das Ideal des ehrbaren Kaufmanns
zeigt, gründet sich doch auch letztere wesentlich auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles mit ihrem Prinzip des rechten Maßes.38
Wie der Kaufmann Bruno steht auch der Fabrikant Eugenio damit
den rachedürstenden Helden der barocken Ehrendramen diametral
37
38
Iriarte (2010: 390).
Vgl. Wegmann/Zeibig/Zilkens (2009: 12f.).
340 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
gegenüber. Dort bestraft „der Rächer [...] den unsittlichen Täter nach
der ‚poetischen Gerechtigkeit‘. Da ist nichts zu bedauern, und die Rache erscheint als Befreiungssakt.“39 In diesem Mangel an Bedauern
spiegelt sich Lucía Díaz Marroquín zufolge das barocke Verständnis
des Verhältnisses von Mann und Frau: „[...] corresponde al marido la
vigilancia de la conducta femenina y la venganza por la ofensa recibida en caso de infracción“.40 So richtet sich die Rache für den erlittenen männlichen Ehrverlust im Ehrendrama in erster Linie gegen die
Frau als Ehebrecherin. Eugenios Haltung dem weiblichen Geschlecht
gegenüber entspricht hingegen dem aufklärerischen Verständnis und
manifestiert sich in den von ihm geäußerten Vorstellungen über die
Ehe: Diese basiert ihm zufolge auf der „felicidad completa“41 der Ehefrau, was die ‚Bringschuld‘ im Sinne der moralischen Verantwortung
für das Gelingen der Ehe gegenüber dem barocken Verständnis vom
weiblichen zum männlichen Part verschiebt. Mit dem der felicidad42
bringt Eugenio einen Leitbegriff der spanischen Aufklärung ins Spiel,
was nunmehr den letzten Zweifel hinsichtlich der Funktion dieser Figur in Iriartes Stück ausräumt: Über den in finanziellen und moralischen Belangen vorbildlich handelnden Unternehmer wird das neue,
durch die spanische Aufklärung entworfene Bild des idealen Menschen transportiert. Dieses Idealbild fasst Álvarez Barrientos wie folgt
zusammen:
[...] este nuevo individuo había de saber controlarse, debía haber aprendido a hacerlo mediante la educación y el debido conocimiento del ‚corazón
del hombre’. [...] Así mismo, este hombre ideal había de ser comedido, frugal, trabajador, sensible, ambicioso en la medida en que pudiera ser capaz
de controlar ese deseo y en la medida en que su acaparación de riqueza
tuviera una proyección social. Debía trabajar por su nación y alejarse del
vicio, del exceso, del lujo, pues era una forma de exceso [...].43
39
40
De Toro (1993: 377).
Díaz Marroquín, Lucía (2008): La retórica de los afectos. Kassel: Reichenberger, p.
109.
41
Iriarte (2010: 431).
Vgl. hierzu Maravall: „La idea de la felicidad en el programa de la ilustración“.
In: idem. (1991: 162ff.).
43
Álvarez Barrientos (2005: 113).
42
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
341
Auch hier erscheinen Fleiß, Sensibilität und Ehrgeiz, gepaart mit
der Fähigkeit zur Mäßigung, als aufklärerische und zugleich bürgerliche Tugenden; Eigenschaften, die die nach diesem Modell konzipierten Kaufleute und Fabrikanten in den hier analysierten Stücken
bis auf die Ausnahme des Kaufmanns Roque aus Leandro Fernández
de Moratíns El viejo y la niña aufweisen. Bar aller menschlicher Laster
und Schwächen sind sie damit ebenso wenig glaubwürdig wie sympathisch, was neben der Wortlastigkeit der Stücke und ihrem moralisierenden Impetus den geringen Erfolg des aufklärerischen Theaters
beim Publikum begründet. Die als Identifikationsfiguren gedachten
Protagonisten, deren idealem Beispiel das Publikum folgen soll, scheitern schon aufgrund der geringen Schnittmengen, die die auf der Bühne Agierenden zum einfachen Volk aufweisen, aber auch durch das
geringe Maß an befreiender Komik, das sie für die ZuschauerInnen
bereithalten. Aus rezeptionsästhetischer Perspektive missachtet das
neoklassische Theater die von ihm propagierte Tugend der Mäßigung,
überwiegen doch die über holzschnittartige Charaktere vermittelten
moralischen Lektionen die unterhaltsamen Momente.44
Wenn über die Figur Eugenios das aufklärerische Konzept der idealen Ehe entworfen wird, hat dies seinen Preis, verlangt es der Ehefrau doch die Fähigkeit ab, die freundschaftliche Kritik ihres Gatten
hin- und anzunehmen. Das eheliche Verhältnis von Mann und Frau
soll also nicht durch (maßlose) Leidenschaft, die es allenthalben zu beherrschen gilt, sondern durch die maßvollen Tugenden der Vernunft
(ratio) und der freundschaftlichen Verbundenheit (amicitia) bestimmt
sein. In Eugenios Vorstellung der Ehe wird also genau jene freundschaftliche Basis als Bedingung einer gelungenen Ehe formuliert, die
der Verbindung des geizigen Kaufmanns Roque aus Moratíns El viejo
44
Zu den schwarz-weiß gezeichneten Figuren der sentimentalen Komödie vgl.
García Garrosa (1991: 93f.): „El teatro sentimental es esencialmente maniqueo en la caracterización de sus personajes. Pretende transmitir el mensaje de que el hombre debe
ser virtuoso (en el amplio mensaje que esta palabra tenía en el siglo xviii), porque sólo
así logrará su felicidad, la de sus semejantes y la del conjunto de la sociedad. Por ello, es
esquema básico al que recurre es la presentación de la virtud perseguida y finalmente
siempre triunfante. El maniqueísmo de los caracteres se presenta entonces como una
necesidad intrínseca. [...] Y para que la línea que los separa sea neta y la lección moral
que transmite el drama no ofrezca lugar a equívocos, los autores no dudan en cargar
las tintas para poner de relieve la excesiva bondad de unos y la extrema maldad de
otros.“
342 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
y la niña zu der deutlich jüngeren Isabel fehlt, weshalb diese Ehe am
Ende scheitert. Ein weiteres, für das aufklärerische Denken zentrales
Konzept, das Eugenio als Voraussetzung für eine gelungene Ehe ins
Spiel bringt, ist die Bildung der Ehefrau, weil diese den gedanklichen
Austausch der Ehepartner ermöglicht. Als Säulen des aufklärerischen
Bildungsideals listet Eugenio folgende Elemente auf:
[...] la natural viveza
el útil conocimiento
de la historia, de la recta
moral, de la geografía
y de las más cultas lenguas,
como desfrute los buenos
libros escritos en ellas.
La afición a poesía,
dibujo, música...45
Dass sich hier trotz der für die Epoche fortschrittlichen Ansichten des Fabrikanten Eugenio immer noch ein Machtgefälle zwischen
Mann und Frau offenbart, zeigt sich in dem Umstand, dass dem Mann
die Rolle des Kritikers obliegt, während die Frau als Objekt der Kritik
herhalten muss. Nichtsdestotrotz ist in Anbetracht des historischen
Kontextes Russel P. Sebold zuzustimmen, der Eugenio – ebenso wie
seinen Schöpfer Iriarte – als Feministen avant la lettre ausweist.46
Das von Eugenio formulierte Konzept der idealen, auf eine freundschaftliche Basis gestellten Ehe, in der die Frau bereit ist, die freundschaftliche Kritik ihres Mannes anzunehmen, ist insofern bedeutsam,
als es als Metapher für das Verhältnis der aufgeklärten Reformer zum
spanischen Staat gelesen werden kann: Dieser soll durch den Freundschaftsdienst der im Geiste des Patriotismus wurzelnden Kritik der
ilustradores zu seiner Vollendung, d.h. zur felicidad completa seiner
Individuen ebenso wie der Gemeinschaft gelangen.47 Dieser Status
45
Iriarte (2010: 436f.).
Vgl. Sebold (2010: 436) in einer Fußnote zum Haupttext. Sebold verweist in diesem Zusammenhang auf den Einfluss von Benito Jerónimo Feijoos (1676-1764) Defensa
de las mujeres (1726) auf Iriarte.
47
Entsprechend bemerkt Maravall (1991: 168) etwa im Hinblick auf Cabarrús’ Elogio al excenlentísimo Conde de Gausa (1785): „Cabarrús sostendrá que ‚la felicidad de los
súbditos es el grande objeto de toda soberanía.‘“ Ähnliches konstatiert Maravall (1991:
46
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
343
gesamtgesellschaftlichen Glücks kann aber nur erreicht werden, wenn
die freundschaftliche Verbundenheit der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft konstruktive Kritik nicht nur zulässt, sondern wenn diese
Kritik auch in konkrete Reformen mündet. Dass Pepita und ihr Vater
nicht in der Lage sind, die wohlgemeinte Kritik eines Freundes anzunehmen und gute Ratschläge in Taten umzusetzen, verweist metonymisch auf die Gefahren, die die Nichtbeachtung der Reformideen der
spanischen Aufklärer mit sich bringt. Dies veranschaulicht der Haushalt Gonzalos als Pars pro Toto der spanischen Nation, leiden doch
Ruf und Wohlstand des Hausherrn durch dessen Unbelehrbarkeit.
Dass diese in einer metaphorischen Beziehung zu der in Polemiken
französischer Aufklärer skizzierten Unbelehrbarkeit Spaniens steht, 48
ist naheliegend.
6.3. Francisco Duráns La industriosa madrileña y el fabricante
de Olot, o Los efectos de la aplicación (1789): Arbeit als
bürgerlicher Wert49
Wie in Iriartes La señorita malcriada ist es auch in Francisco Duráns sentimentaler Komödie La industriosa madrileña y el fabricante de Olot, o
Los efectos de la aplicación (1789) ein Textilfabrikant, genauer gesagt, ein
„fabricante de medias de todas clases, muselinas, paños, estameñas“50
aus Katalonien, der unternehmerische, moralische und, wie sich im
Folgenden zeigen wird, christliche Tugenden in sich vereint und sich
damit in die Reihe philanthroper WirtschaftsheldInnen und ProtagonistInnen der Produktion fügt, die das neoklassische und populäre
168) auch in Bezug auf Jovellanos‘ Discurso sobre los medios de promover la felicidad de
Asturias (1781).
48
Vgl. hierzu Tschilschke (2009: 78ff.).
49
Fragmente der hier angestellten Analysen zu Duráns Komödie finden sich in
Schuchardt (2017a) und eadem (2015): „Fe y prosperidad: Sobre la conexión entre lo
religioso y lo económico en la comedia La industriosa madrileña y el fabricante de Olot
(1789) de Francisco Durán“. In: Ebeling, Markus/Österbaur, Veronika (eds.). La religión,
las letras y las luces: El factor religioso en la Ilustración española e hispanoamericana. Frankfurt/Main: Lang, pp. 109-122.
50
Vgl. die dramatis personae von Durán, Francisco (ohne Jahresangabe): La industriosa
madrileña y el fabricante de Olot, o Los efectos de la aplicación. Ohne Orts- und Verlagsangabe. Quelle: https://archive.org/details/A25007603, Zugriff: 19.08.2022, p. 1.
344 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts einem in diesem Fall wenig enthusiastischen51 Publikum präsentiert. Esteban, der titelgebende
Produzent aus Duráns Komödie, ist, ebenso wie Eugenio aus Iriartes
La señorita malcriada, das unternehmerische Analogon zur Figur des
ehrbaren Kaufmanns. Über die Figur des Textilfabrikanten Esteban
– der zwar adelig52 ist, aber durch und durch bürgerliche Werte vertritt – werden dem Publikum bei Durán in erzieherischer Absicht dieselben aufklärerischen Ideale vermittelt wie in Iriartes Komödie: die
Nützlichkeit des Einzelnen für die Gemeinschaft (utilidad) sowie für
deren Wohlstand (felicidad) und das Gemeinwohl (bien común).53 Beide,
Eugenio und Esteban, fungieren als Repräsentanten der spanischen
Industrie, ein brachliegender Wirtschaftssektor, den es in den Augen
der ökonomischen Reformer des ausgehenden 18. Jahrhunderts in
Spanien zum Wohle der Nation auszubauen und zu fördern gilt. So
wird die wirtschaftliche Blüte der Staaten auch von Campomanes und
von Lorenzo Normante y Carcavilla mit ihren Fortschritten in Handel
und Industrie verbunden.54
Im selben Maße wie in Iriartes La señorita malcriada in Analogie zu
der in Comellas El hombre agradecido gezeichneten Figur des ehrbaren
Kaufmanns Mäßigung (temperantia) und Bescheidenheit (modestia) als
51
Wie Campos (1969: 39) bemerkt, wird das Stück im Februar 1790 im Teatro del
Príncipe uraufgeführt und erlebt am 25. Januar 1791 einen weiteren Versuch, es dem
Publikum nahezubringen. Beide Versuche scheitern, es kommt zu nur zwei Aufführungen in Folge.
52
Vgl. García Garrosa (1993: 684): „D. Esteban de Villabella [...] [e]s noble, pero,
convencido que la ociosidad es la madre de los vicios – tiene el ejemplo de su hermano
Silvestre –, ha establecido su pequeña industria en Olot [...].”
53
Diese Schlüsselbegriffe finden sich nicht nur bereits in der englischen und französischen Aufklärung, insbesondere bei Shaftesbury und Diderot. Vgl. Maravall (1991:
261f.). Auch der anonyme Autor des Traktats Le commerce honorable ou considerations
[sic] politiques (1646) rechtfertigt den Kaufmannsberuf bereits mit dem Beitrag der
Kaufleute zum „bien commun“ sowie mit der „utilité publique“ und greift damit dem
aufklärerischen Utilitarismus-Gedanken vor. Vgl. Strosetzki (2017: 12f.). Diesen Gedanken führt Jacques Savary seinerseits in Le parfait négociant fort. Vgl. Strosetzki (2017:
14) mit Bezug auf Savary, Jacques (2011 [1675]): Le parfait négociant, vol. I, ed. Édouard
Richard. Genève: Droz, ohne Seitenangabe: „In seiner Vorrede betont Savary, bei seinem Buch wie beim Handel gehe es ihm weniger um das Privatinteresse als um das
Allgemeinwohl.“
54
Vgl. Normante y Carcavilla (1784: 15), zitiert in Maravall (1991: 255).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
345
kaufmännische Tugenden55 propagiert werden, ziert Bescheidenheit
auch den Haushalt des katalanischen Textilfabrikanten Esteban. Wie
schon in den hier bereits untersuchten Stücken über den Kaufmann
werden auch in Duráns sentimentaler Komödie die Charaktereigenschaften des Protagonisten Esteban durch die auf der Bühne präsente Ausstattung des Innenraums visualisiert: In den Anweisungen zur
Bühnengestaltung ist von „sillas y un vestido decente“56 die Rede.
Außer einer „mesa de caxon con recado de escribir“57 als kaufmännisches Utensil findet sich nur wenig Mobiliar auf der Bühne. Inwiefern der Fabrikant mit seiner hoch zu schätzenden Arbeitsmoral auch
den Arbeitseifer der ganzen Region um Olot zu fördern weiß – eine
Stadt, die nicht zufällig Ort der Handlung ist, sondern im späten 18.
Jahrhundert zu den Zentren der katalanischen Woll- und Seidenproduktion gehört58 –, wird in Duráns Stück immer wieder betont. So erfahren wir bereits vor Estebans erstem Auftritt von dessen Lehrling
Blas, dass wir es mit einem im lokalen Umfeld wirkenden Wohltäter
zu tun haben, der nicht nur die Armen an seinem Wohlstand teilhaben
lässt, indem er ihnen Arbeit verschafft, sondern zudem die Faulen der
Stadt verweist und als aufgeklärter Menschenfreund ein nicht minder
vorbildliches Unternehmen leitet, das in der Lage ist, dem von den
Reformökonomen beobachteten Bevölkerungsschwund effektiv entgegenzuwirken,59 und daher nicht nur von regionaler und nationalwirtschaftlicher, sondern ganz in dem von Campomanes in seinem
Discurso sobre la industria popular skizzierten Sinne auch von biopolitischer Relevanz ist:
Blas. [...]
mientras la industria
en Olot los campos puebla,
dexa el ocio en otras partes
las poblaciones desiertas.
55
McCloskey (2007: 290ff.) identifiziert die bürgerlichen Tugenden Mut, Mäßigung,
Gerechtigkeit und Besonnenheit, die auch das Amsterdamer Rathaus als Repräsentation der Handelsmetropole zieren, zugleich als kaufmännische Tugenden.
56
Durán (ohne Jahresangabe: 1).
57
Durán (o.J.: 1).
58
Vgl. Herr (1988: 115), s.o.
59
Dass Duráns Stück sich der Thematik der Entvölkerung annimmt, beobachtet
auch Campos (1969: 45).
346 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
[...]
el Fabricante procura
que todo el mundo se adquierta
el sustento con sus manos.
[...]
Esta es fábrica perfecta,
el género es superior
y se da con conveniencia.
[...]
desde que viene á esta Villa
no hay casi pobres en ella,
y es porque persigue y trata
los ociosos a baqueta.60
Wenn die Replik des Lehrlings Blas hier den Primärsektor („los
campos“) und den Sekundärsektor in einem Atemzug nennt, schlägt
dies Brücken zu Überlegungen von Reformökonomen von Uztáriz
über Campomanes, Arteta de Monteseguro und Dámaso Generés bis
hin zu durch Smith beeinflussten Ökonomen der Spätaufklärung wie
Alcalá Galiano und Foronda, die trotz zuweilen unterschiedlicher
Positionen darin übereinstimmen, dass die Industrie nicht ohne eine
solide Landwirtschaft gedeihen kann, die die ArbeiterInnen zu ernähren im Stande ist.61 Wie Ocampo Suárez-Valdés betont, ist die Abhängigkeit des Konsums landwirtschaftlicher Produkte – und somit
auch die der Bauern und Landarbeiter – vom Gedeihen der Industrie
ein reformökonomisches Leitmotiv der Epoche, das sich bei den oben
60
Durán (o.J.: 2).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 105f.) mit Bezug auf Uztáriz, Gerónimo de
(1968 [1724]): Theórica y práctica de comercio y de marina, ed. G. Franco. Madrid: Aguilar,
p. 48; Campomanes (1975: 50ff.); Arteta de Monteseguro, Antonio (1985 [1783]): Discurso instructivo sobre las ventajas que puede conseguir la industria de Aragón, ed. Guillermo
Pérez-Sarrión. Zaragoza: Diputación General de Aragón, pp. 20f. sowie Dámaso Generés, Miguel (1996 [1793]): Reflexiones políticas y económicas sobre la población, agricultura, artes fábricas y comercio del Reyno de Aragón, eds. Ernest Lluch & Alfonso Sánchez
Hormigo. Aragón: Gobierno de Aragón, pp. 81f. Vgl. auch Alcalá Galiano, Antonio
(1788): „Sobre la necesidad y justicia de los tributos”. In: Actas y memorias de la Sociedad
Económica de Segovia, vol. IV, 48, p. 38 sowie Foronda, Valentín de (1994 ([1788-1791]):
Carta sobre los asuntos más exquisitos de la economía política y sobre las leyes criminales, ed.
José María Barrenechea. Gobierno Vasco: Departamento de Economía y Hacienda, pp.
68 und 400ff.
61
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
347
Genannten ebenso findet wie bei Arriquíbar, Normante und Romá i
Rosell.62
Auch in diesem Stück steht die in Analogie zum Typus des ehrbaren Kaufmanns gestaltete Vorbildfunktion des Unternehmers, die in
Blas‘ Replik anhand der Schilderung von Estebans „fábrica perfecta“
(s.o.) und deren positiven Auswirkungen auf die sie umgebende Stadt
Olot veranschaulicht wird, im Dienste des erzieherischen Anspruchs
des neoklassischen Theaters. Und auch hier soll sich das Publikum
an Esteban als Verkörperung des Ideals des aufgeklärten Bürgers und
als idealem männlichen wirtschaftlichen Akteur ein Beispiel nehmen.
Entsprechend lobend fällt im Februar 1790 die Kritik des Memorial literario63 über Duráns Komödie aus, einer Zeitschrift, die sich als Sprachrohr des aufklärerischen Reformdiskurses unter Carlos III. auf literarischer Ebene versteht und dem neoklassischen Theater verbunden ist.64
Die Typen des Fabrikanten und des ehrbaren Kaufmanns ähneln
sich nicht nur in ihrer Vorbildfunktion als Menschenfreunde und erfolgreiche Geschäftsleute, vielmehr findet die Rede des Kaufmanns
Bruno aus Comellas El hombre agradecido in den Worten des Fabrikanten Esteban eine inhaltliche Entsprechung, was nicht nur die wechselseitige Beeinflussung der Autoren zeigt, sondern auch, inwiefern
62
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2003: 109) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de (1988 [1762]): Reflexiones sobre el comercio españo a Indias, ed. Vincent
Llombart. Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, p. 413; Arteta (1985: 13); Arriquíbar,
Nicolás de (1987 [1779]): Recreación política. Reflexiones sobre el amigo de los hombres en su
tratado de población considerado respecto a nuestros intereses, carta III, ed. Jesús Astigarraga und José María Barrenechea. Bilbao: Instituto Vasco de Estadística, p. 105; Romá
y Rosell, Francisco (1989 [1768]): Las señales de la felicidad de España y medios de hacerlas
eficaces, ed. Ernest Lluch. Barcelona: Diputación de Barcelona, pp. 107ff.
63
Vgl. Memorial literario 1790, 222, zitiert in Urzainqui (1992: 270) sowie in Gies
(1996) – hier ist das im folgenden zitierte Fragment aus der Kritik titelgebend für den
Aufsatz – sowie idem (2022: 184): „Las sentencias y buenas máximas de industria y
comercio están sembradas oportunamente por toda la acción. El asunto elegido por el
autor no podía ser más a propósito en un tiempo en que se protegen tanto las artes y se
combaten tanto las preocupaciones que alimentaban la ociosidad y desterraban la aplicación.” Auch Tschilschke widmet sich diesem Zitat. Vgl. Tschilschke, Christian von
(2018): „Aspectos del ocio y de la ociosidad en el teatro y en el discurso sobre el teatro
dieciochesco español“. In: Cuadernos dieciochistas, 19, pp. 245-260, hier 248ff.
64
Vgl. Urzainqui (1992: 273), der zufolge „una estrecha vinculación [...] con el
gobierno de Carlos III“ bestand, die sie unter anderem mit der Einflussnahme Floridablancas, von 1777-1792 Staatssekretär unter Carlos III., auf die Redaktion der Zeitschrift begründet.
348 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
wiederkehrende Leitlinien der Reformökonomie durch das spanische
Theater der Spätaufklärung repräsentiert werden. Ersichtlich wird
dies zum Beispiel in einem Dialog Estebans mit seinem Gegenspieler
und Halbbruder Silvestre. Silvestre schätzt hier die „industria“, die
sowohl die Fabrik Estebans als auch die Geschäftigkeit seiner Arbeiter
meint,65 gering und vertritt damit die im ausgehenden 18. Jahrhundert als überholt angesehene Auffassung des frühen Merkantilismus,
dass sich der Reichtum eines Staates vor allem an dessen Edelmetallen
bemesse. Wenn Silvestre darauf hinweist, dass es gerade die Edelmetalle seien, die es den Damen und Herren der begüterten Schichten
erlaubten, sich mit Schmuckstücken ausländischer Provenienz auszustatten,66 entgegnet Esteban:
Y que en un capricho de esos
disipen todas las rentas,
que les rinden los afanes
de una poblacion entera,
para que el jugo español
vaya a manos extrangeras.67
Der Unternehmer nimmt hier die Haltung des patriotischen Reformökonomen ein, wenn er ausführt, dass das Vermögen einer ganzen Nation aufgrund einer falschen, den Schein über das Sein stellenden Wertigkeit verspielt werde, um das heimische Kapital zum
Schaden Spaniens dem Ausland („manos extranjeras“) zuzuspielen.
Über die Rede des wohltätigen und fleißigen Fabrikanten verurteilt
das Stück das durch Silvestre vertretene ‚falsche‘ ökonomische Wertsystem: Silvestre setzt auf importierte Luxusgüter und scheitert gemäß
der im ökonomischen Reformdiskurs wurzelnden Moral von Duráns
Komödie. Dass die Apologie des Konsums ausländischer Luxuswaren hier durch einen durch und durch antagonistisch gezeichneten,
verschwenderischen, betrügerischen, faulen und an den Typus des
Zu den Bedeutungen des Begriffs der ‚industria’ vgl. Maravall (1991: 139ff.). Auch
Jovellanos fasst diese im Sinne einer Tätigkeit auf: „Toda operación dirigida a mejorar
las producciones de la tierra se puede llamar industria, aunque comúnmente se toma
esta voz en un sentido menos vago y general...“. Jovellanos (2008a: 291). Vgl. hierzu
auch Maravall (1991: 156). Zum Begriff der „industria“ vgl. überdies Gil (2009: 225ff.).
66
Vgl. Durán (o.J.: 7).
67
Durán (o.J.: 7).
65
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
349
petimetre angelehnten Charakter vertreten wird, entspricht dem bereits skizzierten Handlungsschema wirtschaftsbezogener Komödien
der Spätaufklärung, dem zufolge die wesensguten und versierten viri
oeconomici und ihre Herzensdamen am Ende sowohl ihr finanzielles
als auch ihr moralisches Kapital mehren, während die VerschwenderInnen in Finanz- und Liebesdingen scheitern.68 Der genannte Dialog
zwischen Esteban und Silvestre steht in Analogie zu Brunos Appell an
Lorenzo, seine Geschäftsstrategie des „comercio pasivo“ zu überdenken, da diese der heimischen Wirtschaft zum Nachteil gereiche.
Was Duráns Komödie hier – personifiziert durch den Fabrikanten
Esteban – als ‚neue‘ gesellschaftliche Tugend instauriert, ist der Wert
der Arbeit und ihr Beitrag zum Gemeinwohl, ein Aspekt, der sich sowohl in den Schriften Campomanes‘ als auch bei Jovellanos und Ramos findet. So heißt es etwa in dem von Ramos unter dem Pseudonym
Antonio Muñoz veröffentlichten Discurso sobre economía política (1769):
Las cosas y sus signos forman la esencia de la opulencia, pero los Estados
no pueden conseguir la opulencia, sino por medio de las cosas; esto es, de
hombres empleados en trabajos útiles, que aumenten la suma de los productos y les den todo el valor, que puede añadirles la industria.69
Arbeit erscheint hier als entscheidender Faktor für die Mehrung
des Wohlstandes eines Staates. In Duráns Komödie erweist sich die
Arbeit zudem als ein Wert des berufstätigen Adels und des Berufsbürgertums, mit dem sich diese aufstrebenden sozialen Schichten
vom nichtstuerischen Adelsstand abheben. Den Gegensatz zwischen
einem arbeitsamen und einem untätigen, sich auf seinen Ländereien
ausruhenden Adel, konturiert Duráns Komödie anschaulich anhand
der gegensätzlichen Haltung von Esteban und seinem Vater Pablo, der
ebenso wie Silvestre das traditionelle Feudalsystem repräsentiert, das
die Reformökonomen wenn nicht abzuschaffen, so doch zu reformieren trachten, indem sie Adelige zum Ergreifen eines Berufes aufrufen:
D. Pab.
[...] que vivas como viven
68
Vgl. auch Schuchardt (2014).
Ramos, Enrique (1769): Discurso sobre economía política. Madrid: Joaquín Ibarra y
Marín, p. 79.
69
350 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
las personas de tu esfera,
dexándote de labores
propias de gente plebeya.
D. Est.
Hasta ahora, padre mio,
las debo mi subsistencia,
y tengo por imposible
dexarlas hasta que muera,
que es muy pícaro y muy necio,
el hombre que vive á expensas
del trabajo de los otros.70
In Verbindung mit der für den aufklärerischen Reformdiskurs typischen Adelskritik lehnt Esteban hier das Prinzip des adeligen Großgrundbesitzers ab, andere für sich arbeiten zu lassen. Zugleich tritt er
als Inkarnation unternehmerischen Verantwortungsbewusstseins auf,
wenn er sich weigert, seine Arbeiter sich selbst zu überlassen und in
das untätige Leben eines Adelssprosses zurückzukehren.
Wenn Maravall71 als zentrales Motto der von ihm skizzierten neuen bürgerlichen Mentalität der spanischen Aufklärung – die im untersuchten Stück bezeichnenderweise durch den adeligen Esteban
repräsentiert wird – die Ineinssetzung von individuellem Glück und
Gemeinwohl betont, ist damit zugleich die zentrale Achse bezeichnet, um die sich auch Duráns Stück dreht, wird hier doch das aufklärerische Gesellschaftsmodell propagiert: Dieses schließt neben der
Ehrbarkeit, der Befolgung der Gesetze und der familiären wie gesellschaftlichen Pflichten auch die Arbeit als neuen Wert ein.72 Angesichts
der großen Mehrzahl an Theaterstücken der Epoche, in denen, wie
Gies betont, niemand einer Beschäftigung nachgeht, erscheint ihm Estebans Verteidigung der Arbeit umso radikaler.73 Hatten wir in Bezug
70
Durán (o.J.: 5).
Vgl. Maravall, José Antonio (1979): „Espíritu burgués y principio de interés personal en la Ilustración española“. In: Hispanic Review, 47, 3, pp. 291-325, hier p. 318: „[...]
fin individual y fin común se identifican“.
72
Vgl. Urzainqui (1992: 376), die von einer „una sociedad asentada en los valores
del trabajo, de la honradez, del acatamiento a las leyes, del decoro, y del cumplimiento
de los propios deberes familiares y sociales“ spricht.
73
Vgl. Gies (1996: 454).
71
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
351
auf das Ideal des ehrbaren Kaufmanns bereits konstatiert, dass dessen
wirtschaftliches Handeln immer auch von sensibilidad und amistad geleitet sein und damit der Nation zum Nutzen gereichen soll, nimmt
die Arbeit für aufklärerische Denker wie Cabarrús und Foronda eine
ähnliche Funktion ein. Deren Haltung zur Arbeit als einer gemeinnützigen Tätigkeit resümiert Maravall wie folgt: „[...] si se trabaja, si
se hacen esfuerzos que benefician a los demás, son también beneficios necesariamente para si; y a la inversa es no menos cierto también:
quien trabaja en su propio interés trabaja para los demás.“74 Die Arbeit
als bürgerlicher Wert ist also eine Form gemeinnützigen Handelns
zum Wohle einer Gemeinschaft, der sich der aufgeklärte, seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusste gewerbetreibende Patriot
freundschaftlich verpflichtet fühlt. Da die Arbeit jedoch nicht nur der
Gemeinschaft, sondern durch das mit ihr erwirtschaftete Vermögen
auch dem arbeitsamen Individuum selbst zugutekommt, stellt sie
eine lohnende Investition dar. Genau diese Win-Win-Situation führt
Duráns Komödie anhand von Esteban als Verkörperung des vorbildlichen Unternehmer-Paternalisten75 anschaulich vor, der überdies illustriert, dass Adel und Arbeit sich nicht ausschließen.
6.3.1. Zeitökonomie
In seiner Analyse von La industriosa madrileña identifiziert Gies ideologische Parallelen zwischen Campomanes‘ Discurso sobre el fomento
de la industria popular (1774), in dem der spanische Staatsmann und
Ökonom vorschlägt „[de] crear y apoyar industrias de tejidos basadas
en la labor casera [...] de mujeres y niños“76, und der durch Duráns
Stück entworfenen idealtypischen Darstellung des Textilsektors. Das
Konzept der Heimarbeit, das neben Campomanes auch Arteta und
Generés angeregt hatten,77 findet auch in der theatralen Fiktion von
Estebans Textilfabrik Anwendung. Der vorbildliche Fabrikant zeigt
nicht nur seine Rücksichtnahme auf den Erschöpfungsgrad seiner
74
Maravall (1991: 257).
Auch Campos (1969: 44) konstatiert Estebans „actitud paternalista respecto a sus
operarios”.
76
Vgl. Gies (1996: 451), meine Übersetzung.
77
Vgl. hierzu Ocampo (2003: 106) und Usoz Utal (1997).
75
352 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
(männlichen) Arbeiter und ermöglicht ihnen zudem ein höheres Auskommen, wenn er ihnen gestattet, ihre Arbeitszeit über ihre Anwesenheit in der Fabrik hinaus zu verlängern. Esteban offenbart überdies
seinen unternehmerischen Sinn für Zeitökonomie und argumentiert,
dass die Ökonomisierung der Arbeitszeit und ihre Ausdehnung in den
Heimbereich zu besseren Produkten führe, seien übermüdete Werktätige doch eine der Hauptursachen für die mangelhafte Qualität der
produzierten Waren:
Soy de parecer que aquellos
cuyos manos son ya diestras,
y que para texer bien
no han menester mi presencia,
se les permita llevar
el suyo á sus casas mesmas,
que así aprovechando parte
de las dos horas que emplean
en las idas y venidas,
de la comida y merienda,
podrán grangear los pobres
algo mas.78
Der Dramentext greift an dieser Stelle die bereits von Bernardo
Ward in seinem Proyecto Económico (1779) vertretene Präferenz für die
Heimarbeit auf, die dort allerdings noch mit der Zurückweisung von
Fabriken verbunden ist,79 und aktualisiert diese unter Berücksichtigung der ökonomischen Diskurse der spanischen Spätaufklärung, in
der die Errichtung königlicher Textilfabriken ebenso Teil des nationalen Reformprogramms ist wie der in Campomanes‘ Discurso sobre el
fomento de la industria popular gemachte Vorschlag, den Winter, wenn
die Feldarbeit ruht, für die Herstellung von Textilien in Heimarbeit
zu nutzen.80 Estebans Textilfabrik ist unter anderem auch deshalb so
78
Durán (o.J.: 10).
Vgl. Ward (1982: 131), bereits zitiert in Kap. 3.3.2.
80
In seinem Discurso verweist Campomanes (1975: 71) selbst explizit auf Ward, und
zwar im Zusammenhang mit den Informationen, die notwendig seien, um Zustand
und Beschaffenheit der Industrie in den Provinzen und die Herausforderungen, mit
denen diese zu kämpfen habe, zu ermitteln, um darauf aufbauend reformökonomische
Maßnahmen zu erarbeiten. Schon Ward hatte auf die Notwendigkeit der Erhebung
79
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
353
fortschrittlich, weil sie im Sinne einer effizienten Steigerung der Textilproduktion beide Modelle – die Heim- und Fabrikarbeit – kombiniert,
wird dort doch ebenso im Privaten wie am industriellen Standort gefertigt, wie die Bemühungen des Lehrlings Blas am Webstuhl zeigen.
Die zitierte Passage veranschaulicht, dass es dem aufklärerischen
Verständnis von Unternehmertum zufolge möglich ist, Menschenliebe
und unternehmerisches Gespür zu vereinbaren. Beide sind notwendig
miteinander verzahnt, was offenbart, wie weit das spanische Reformtheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch von den Skizzen eines
ausgebeuteten Proletariats entfernt ist, das dem Profitstreben eines auf
Gewinn ausgerichteten Unternehmer-Kapitalisten ausgeliefert ist. Solche Skizzen finden sich in der Literatur des 19. Jahrhunderts im Kontext der Strömungen des Sozialismus, des Naturalismus und der damit verbundenen Kritik am Großbürgertum zahlreich. Zu denken ist
hierbei für den Bereich des Theaters etwa an Autoren wie Sixto Sáenz
de la Cámara mit Jaime el Barbudo (1853). Dort denunziert der Autor
soziale Ungleichheit und schlägt sich auf die Seite des ‚noblen Banditen‘ Jaime, der seinerseits als Repräsentant der mittellosen Fleißigen
fungiert und den ‚Adel der Arbeiterklasse‘81 propagiert. ‚Helden der
Arbeiterklasse‘82 rücken auch Francisco Botella y Andrés (1832-1903)
mit El rico y el pobre (1855), Benito Pérez Galdós (1843-1920) mit La
de San Quintín (1893), José Francos Rodríguez‘ (1862-1931) und Félix
González Llanas mit ihrem durch Gerhart Hauptmanns (1862-1946)
Die Weber (1892) inspirierten El pan del pobre (1894) in den Fokus ihrer
Stücke. Dies gilt auch für Leopoldo Alas‘ (alias Clarín, 1852-1901) Teresa (1895).83
Das Ergebnis von Estebans unternehmerischem Sinn für eine optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft wird
am Ende des Stückes gebührend gewürdigt: Wie Don Prudencio de
solcher Daten verwiesen und vorgeschlagen, zu diesem Zwecke Inspektoren in die
einzelnen Provinzen zu entsenden. Vgl. ibid.
81
Gies (1994: 311ff.), meine Übersetzung.
82
Gies (1994: 325), meine Übersetzung.
83
Vgl. für die hier genannten Stücke Gies (1994: 318ff.).
354 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Verga, seines Zeichens Ministro84 de la Real Audiencia de Barcelona85 und
Juez Conservador de la fábrica de D. Estevan, betont, produziert die Fabrik
von Olot ‚gute Strümpfe‘ („buenas medias“)86 und ist vor allem deshalb als „deseada empresa“ zu bezeichnen,
de que se texan aquí
las muchas y varias telas
que para ropa interior
nos introducen de fuera.87
Auch hier klingt das Konkurrenzverhältnis Spaniens insbesondere
zu Frankreich auf dem Textilsektor an, das ja in Presse, Theater und
Karikaturen in die stereotype Figur des petimetre und der petimetra
mündet, die für ihren exzessiven Konsum französischer Luxuswaren
bekannt sind. Die Bemühungen Spaniens zur Reformierung der brachliegenden Tuchindustrie finden neuerlich Eingang in das Stück, wenn
die Figur Prudencios als Mitglied der Real Audiencia ausgewiesen wird
und in diesem Zusammenhang „del fomento que dispensa / aquel recto Tribunal“ sowie von der Estebans Fabrik zugehörigen „escuela de
dibujo“ 88 die Rede ist, Ausbildungsstätten, die Teil des ökonomischen
Reformprogramms der Krone sind. Über die Figur des im Sinne des
aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses idealen Unternehmers Esteban und seine „fábrica perfecta“ wird also für den Bereich
der Heimtextilien („ropa interior“, s.o.) die Utopie der Konkurrenzfähigkeit Spaniens mit anderen europäischen Industriestandorten
entworfen. Diese ist zwar das erklärte Ziel der regional ansässigen
84
Der Begriff „Ministro“ bezeichnet dem Diccionario de Autoridades von 1734 zufolge „[e]l Juez que se emplea en la administración de la justicia, decidiendo y sentenciando los pleitos o causas, o en el gobierno, para la resolución de otros negocios políticos y
económicos, ya sea por sí solo, o incluido en algún Tribunal, donde vota con los demás.
Latín. Justitiae minister.“ Real Academia Española (1976): Diccionario de Autoridades, ed.
facsímil, vol. IV, D-Ñ, p. 572. Eine Onlineversion des Diccionario ist verfügbar unter
Real Academia Española (ed.) (1726-1739): Diccionario de Autoridades. Madrid. Quelle:
http://web.frl.es/DA.html, Zugriff: 30.08.2022.
85
Mit seiner Funktion als Richter der Real Audiencia, dem höchsten Organ der spanischen Rechtssprechung mit Vertretungen in den jeweiligen Provinzen, wird Prudencio als Autoritätsperson höchsten Ranges ausgewiesen.
86
Durán (o.J.: 10).
87
Durán (o.J.: 10).
88
Durán (o.J.: 2).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
355
Sociedades Económicas de Amigos del País, allerdings wird dieses auch
auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert noch nicht erreicht.89
Was die bereits angesprochene Thematik der Zeitökonomie anbelangt, begegnet uns diese in Duráns Komödie auch an anderer Stelle:
In einem Dialog zwischen dem Lehrling Blas und Prudencio erwähnt
der Jüngere das Fest des lokalen Schutzpatrons mit seinen Vergnügungen für das einfache Volk. Bereits hier deutet sich ungeachtet aller
Säkularisierungstendenzen die auch im Spanien des 18. Jahrhunderts
noch große Bedeutung religiöser Feste für die kulturelle Alltagspraxis
an, Veranstaltungen, die Freizeitaktivitäten mit Erholungswert darstellen.90 In diesem Zusammenhang führt Blas den contrapás als katalanischen Volkstanz an, wodurch Durán das Lokalkolorit als ein Element
in sein Stück einbindet, das im 19. Jahrhundert in der Textgattung des
costumbrismo zentrale Bedeutung erhalten wird.91 Don Prudencio als
Sprachrohr des absolutismo ilustrado hingegen lässt keinen Zweifel an
89
Vgl. Pietschmann (1992: 156).
Vgl. hierzu auch Pietschmann (2005: 197f.): „Die zahlreichen religiösen Feste,
Prozessionen, Wallfahrten und Zeremonien prägten nach wie vor nachhaltig das öffentliche Leben, die Volkskultur und den Lebenszyklus der Menschen und verschafften der arbeitenden Bevölkerung auch die nötigen Erholungspausen.“ Vgl. außerdem
Herr (1988: 127), der vom Glauben an Gott und Kirche als einer die „clases modestas“
prägenden Eigenschaft spricht, ist es doch vor allem die arbeitende Bevölkerung, die
von sakralen Ereignissen wie religiösen Prozessionen in Scharen angezogen wird. Herr
führt diebezüglich den Bericht des Spanienreisenden Townsend an, der anlässlich der
Osterprozessionen in Barcelona von 100.000 ZuschauerInnen spricht. Vgl. Townsend
(1792: 107).
91
Vgl. hierzu Álvarez Barrientos, Joaquín (1998): „Presentación: En torno a las nociones de andalucismo y costumbrismo“. In: idem./Romero Ferrer, Alberto. Costumbrismo andaluz. Sevilla: Univ. de Sevilla, Secretariado de Publicación. pp. 11-18; vgl.
ebenso idem (1996): „Costumbrismo y ambiente literario en Los españoles pintados por
sí mismos“. In: Centro internacional de estudios sobre el romanticismo hispánico (ed.).
El costumbrismo romántico. Romanticismo 6. Actas del VI congreso, Napolés, 27-30 marzo
de 1996. Rom: Bulzoni, pp. 21-27. Vgl. auch Fontanella, Lee (1982): „The Fashions and
Styles of Spanish Costumbrismo“. In: Revista Canadiense de Estudios Hispánicos, 6, 2, pp.
175-189 sowie Gumbrecht, Hans-Ulrich/Sánchez, Juan José (1986): „Fortschrittsresistenz als Nationalbewusstsein: Strukturen von ‚Zeit’ in der spanischen Gesellschaft des
xviii. und xix. Jahrhunderts“. In: Drost, Wolfgang (ed.). Fortschrittsglaube und Dekadenzbewusstsein im Europa des 19. Jahrhunderts: Literatur, Kunst, Kulturgeschichte. Heidelberg:
Winter, pp. 191-203 sowie idem (1984); Llorens, Vicente (1989): El romanticismo español.
Madrid: Castalia; Varela, José Luis (1969). El costumbrismo romántico. Madrid: Magisterio Español.
90
356 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seiner Ablehnung nicht nur dieser Art von Veranstaltungen, die zu
unmoralischen Handlungen verleiteten, sondern auch des Umstands,
dass diese an einem Werktag stattfinden:
Blas.
Como hoy celebran la fiesta
del Santo Patrón del barrio
estaban con sus Marietas
luciendo en contrapas
los brincos y zapatetas.
D. Prud.
Yo haré que tales funciones
al Domingo se transfieran,
sin bayles ni comilonas,
causa de otras indecencias.
Blas.
Pero tampoco ha de estarse
siempre el hombre como rueda
de molino, ha de tener
algunos dias de holgueta.
D. Prud.
Y que perdiendo jornales
malgaste lo que no tenga.
Hoy mismo sobre este punto
dispondré lo que convenga,
causando un gran beneficio
á los pobres de la Iglesia.92
In der Rollenverteilung von Lehrer und Schüler bzw. in der Dichotomie ‚weises Alter‘ versus ‚unerfahrene Jugend‘ wird in diesem
Dialog zugleich das Verhältnis von wissenden Reformökonomen und
unwissendem Volk metaphorisiert. Blas als Vertreter der zu belehrenden Jugend hat die Rolle eines Kindes inne, während der Meister als
Repräsentant der Reformökonomie die paternalistische Rolle – und
92
Durán (o.J.: 12).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
357
stellvertretend die des Monarchen als ‚Vater der Nation‘ – einnimmt.93
Auch in Jovellanos‘ Elogio de Carlos III heißt es über den Souverän:
„Considerándole como padre de sus vasallos...“94 Die von Blas eingenommene kindliche Rolle ist nicht nur seiner Jugend geschuldet,
sondern deckt sich mit James R. Farrs Feststellung, dass Lehrlinge seit
dem Mittelalter und bis in das 19. Jahrhundert hinein den Status von
Kindern innehatten.95 In Duráns Komödie ist es nun ein Abgesandter
des Monarchen und staatlicher Würdenträger, der den auf sein Recht
auf Freizeit pochenden und damit kindlich-beharrlichen Blas – der
hier stellvertretend für den zu belehrenden vulgus steht – über die
neue Zeitökonomie des absolutistischen Reformdiskurses unterrichtet, die auch in Campomanes‘ Discurso (1774) eine große Rolle spielt,
betont der Minister und Reformökonom dort doch wiederholt, dass
sein Modell, das Campomanes‘ Vorstellung von einer industria rural
dispersa entspricht, eine maximale Ausschöpfung der zur Verfügung
stehenden Arbeitskräfte und ihrer Zeit gewährleiste: „[...] las fábricas
de lienzo, en tanto se mantienen y aumentan en cuanto ocupan la gente
aldeana o las ociosas y vagas de las villas y ciudades y se aprovechan
de las horas libres del día y de las que pueden emplear en las noches,
especialmente las de invierno, a costa de una mayor aplicación.“ 96
Die Nichtausschöpfung dieser Ressource hingegen verteuere die
Produktion dergestalt, dass dies die gesamte lokale Textilbranche in
Gefahr bringe, wie Campomanes angesichts des Niedergangs der
93
Von der ‚Vaterrolle’ des absolutistischen Monarchen spricht auch Llanos Mardones (1989: 206), wenn sie die Nation als eine „gran familia cuyo padre es el monarca“ definiert, deren ‘kleinste Einheit’ („célula básica“) die bürgerliche Familie als
eine „propiedad caracterizadora de los grupos burgueses“ sei. Diese Familie besteht
im Falle von Duráns Stück zunächst in dem Unternehmer Esteban und seinem Lehrling Blas, für den der Unternehmer eine Vaterrolle einnimmt. Dass der ‚Mikrokosmos
der Familie‘ für die ‚Gesellschaft als Ganzes‘ (meine Übersetzung,) steht, affirmiert
auch Gies (2022: 189) in seiner Analyse von La industriosa madrileña, und zwar nicht nur
für dieses Stück, sondern für das Theater der spanischen Spätaufklärung insgesamt:
„Playwrights frequently used the family as a microcosm of the larger society as a whole. When these ‚literary‘ ideas are inserted into the complex network of prohibitions,
decrees, embargos, tax systems, and mercantilist control that ruled the textile industries, certain patterns tend to emerge. The family is an analogue of society.“
94
Jovellanos (2008b: 672).
95
Vgl. Farr, James R. (2000): Artisans in Europe, 1300-1914. Cambridge: Cambridge
University Press, p. 33.
96
Campomanes (1975: 55).
358 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Textilindustrie von León mutmaßt: „De donde se colige que una magnífica fábrica, con gran número de telares y a costa de jornales, sale muy
cara, acostumbrándose los empleados en ella a no tener otra ocupación
y a trabajar sólo las horas del día establecidas dentro de las casas de fábrica.”97 Zeit ist also Geld – und daher gut zu nutzen. Bemerkenswert
sind in Duráns Stück aber nicht nur Don Prudencios Überlegungen zu
einer besseren Ausschöpfung der in der Arbeitswoche zur Verfügung
stehenden Zeit und der Verlegung jeglicher Festivitäten auf den ohnehin arbeitsfreien Sonntag, sondern auch die für Duráns Stück charakteristische Verquickung von ökonomischem und religiösem Diskurs.
So begründet der Vertreter der Justiz die Beschneidung der Freizeit
zugunsten der Arbeit letztlich mit der christlichen caritas: Wer mehr
erwirtschafte, könne auch mehr für die Armen geben. Dieser Aspekt
einer Kopplung von optimaler Ausutzung der Arbeitszeit, caritas und
bien común findet sich auch im Kontext der von Esteban vertretenen
unternehmerischen Zeitökonomie, sind es doch auch hier die Armen
– im konkreten Falle: die armen Arbeiter –, die sich durch Heimarbeit
ein dringend benötigtes Zubrot erwirtschaften können, insofern sie
Zeiten der Beschäftigungslosigkeit, zu denen auch die Freizeit zählt,
nutzen. Damit plädiert Duráns Komödie ebenso für die gesellschaftliche Verantwortung der wirtschaftlichen Eliten wie für den Eigenanteil
der Armen an ihrer wirtschaftlichen Misere.
6.3.2. Der Lohn der Fleißigen
Wird in Moratíns El viejo y la niña die Thematik des gerechten Preises
verhandelt, nimmt in Duráns Stück das Motiv des Lohns eine zentrale
Rolle ein und wird dort in den Kontext des für das Stück zentralen
Gegenstands der Arbeit gestellt. Passend zu Estebans Funktion als
Produzent von Textilien ist es ein Kleidungsstück – und zwar nicht
irgendeines, sondern Estebans bestes –, das der Unternehmer seinem
Lehrling als Lohn für dessen Ehrgeiz, bessere Kleider weben zu wollen, überreicht.98
97
98
Campomanes (1975: 55).
Durán (o.J.: 7).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
359
Quítase [Blas] la casaca y la chupa,
y las arroja en el rincon en que
está la estameña.
D. Est.
¿Por qué haces esa locura?
Blas.
Porque quiero ropa nueva
mas honrada ya que tengo
con el doblón para ella;
y porque voy a aplicarme
día y noche quanto pueda,
para que antes que se rompa
sepan texer mis muñecas
todo quanto necesito.
D. Est.
Mereces, Blas, que te ofrezca
mi mejor vestido: toma.99
Blas‘ Bestreben, den Webstuhl nicht eher verlassen zu wollen, als
‚seine Handgelenke das Weben beherrschen‘ (meine Übersetzung) –
ein Verweis auf die körperliche Verinnerlichung der Arbeitsprozesse
–, wird hier durch seinen Lehrherrn großzügig entlohnt. Esteban hatte
Blas bereits zuvor eine Münze dafür überreicht, dass dieser als Einziger noch am Webstuhl ausharrt, während alle anderen bereits aufgebrochen sind, um das Fest des Schutzheiligen des Viertels zu begehen.
[...] y toma le da una moneda
un doblon en recompensa
del honrado proceder
y la aplicacion que muestras,
pues del telar no te apartas
hoy que están todos de huelga.100
99
Durán (o.J.: 7).
Durán (o.J.: 6).
100
360 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Arbeit wird nicht nur als ehrenhafte, sondern zudem als lohnende Tätigkeit inszeniert, die sich umso wertvoller darstellt, wenn der
Arbeitende ihr zuliebe auf das Vergnügen verzichtet. Was hier so
großzügig entlohnt wird, ist die Tugend der industria. Auf die aus dem
Fleiß resultierenden ‚Profite‘ für die industrielle Produktion verweist
auch Jovellanos in seinem Informe a la Junta General de Comercio y Moneda sobre la libertad de las artes (1785), auch bekannt als Informe sobre el
libre ejercicio de las artes:
Donde florece la industria, cada una de estas artes se ejerce separadamente. De aquí resulta, primero, la perfección de las artes, que siempre es hija
del hábito y de la aplicación; y, después, la baratura de las obras, que es
un efecto necesario de la mayor brevedad y facilidad con que se ejercitan
por partes.101
Jovellanos stellt die ‚Perfektionierung der Handwerkskunst‘ hier
metaphorisch in eine Genealogie positiver Eigenschaften, wenn er
die handwerkliche Perfektion als ‚Tochter‘ der ‚Gewohnheit‘ („hábito“) und des ‚Fleißes‘ („aplicación“) beschreibt. Alle drei gemeinsam
führen schließlich zu einer Verbilligung der hergestellten Waren,
weil der Arbeitsprozess je schneller und leichter von der Hand geht,
desto eifriger und öfter man ihn einübt. Genau auf dieses leichte
und quasi automatische ‚Von-Der-Hand-Gehen‘ des Arbeitsprozesses nimmt auch die oben zitierte Replik Blas‘ Bezug, als dieser sich
wünscht, dass seine Handgelenke das Weben lernen mögen. Interessant ist, dass analog zu Jovellanos‘ Ausführungen auch Duráns Stück
Katalonien – und stellvertretend die Region Olot – als leuchtendes
Beispiel für eine florierende (Textil-)Industrie präsentiert, ein Umstand, der auch auf der historischen Vorreiterrolle dieser Region auf
dem Textilsektor fußt (vgl. Kap. 2.2).102 Bei Jovellanos bezeugt die
101
Jovellanos, Gaspar Melchor de (2008c): Informe a la Junta General de Comercio y
Moneda sobre la libertad de las artes. In: idem. Obras completas, eds. Vicent Llombart i Rosa
& Joaquín Ocampo Suárez-Valdés. Gijón: Instituto Feijoo de Estudios del Siglo xviii,
pp. 509-539, hier p. 519.
102
Wie Gies (2022: 184, Fußnote 12) mit Verweis auf La Force bemerkt, steigt die
Zahl der Webstühle in ganz Spanien ebenso wie in Olot: „Olot had 100 looms in 1785,
and more than 500 a mere nine years later. Durán inserts his play into the middle of this
heated issue.“ Vgl. auch La Force, James Clayburn Jr. (1965): The Development of the Spanish Textile Industry, 1750-1800. Berkeley: University of California Press, p. 17, zitiert in
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
361
Bezugnahme auf Olot auch eine Unkenntnis der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten.103
Von Interesse ist die bei Durán verwendete Gewandmetaphorik
nicht nur im Kontext des hier durch den Fabrikanten von Olot patriarchalisch verkörperten Textilsektors, sondern auch mit Blick auf die
Schriften Graefs. So ist etwa in der neunten Ausgabe seiner Discursos mercuriales (1756) im Kontext einer Schilderung des idealen Kaufmanns von einer „prenda“ die Rede: „Debe ser virtuoso [el Comerciante], y adornado con las prendas, que hacen à uno hombre de bien, y
de honra.“104 Wie Witthaus in seiner Analyse dieser Passage anmerkt,
bezeichnet die „prenda“ hier doppelsinnig ebenso das „Gewand“
wie die „Gabe“, zielt also auf den durch Bildung erreichten Sachverstand des Kaufmanns ebenso ab wie auf sein äußeres Erscheinungsbild. Der bei Graef skizzierte ‚Kodex‘ des ehrbaren Kaufmanns wird
hier auf den Fabrikanten übertragen. Durán scheint dieses Element
zu übernehmen und etabliert in Analogie zu dem durch die reformökonomische Literatur des spanischen 18. Jahrhunderts konstruierten
Idealtypus des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ seinerseits den Idealtypus des
‚ehrbaren Fabrikanten‘.
Im Einklang mit dem im reformökonomischen Diskurs erfolgenden
‚Lob des Fleißes‘ inszeniert auch das Bühnengeschehen wiederholt, um
nicht zu sagen: unerlässlich, den unmittelbar auf die industria folgenden
Lohn. Die Szene, in der der Fabrikant den Weber-Lehrling mit einem
Kleidungsstück als dem Endprodukt seiner Bemühungen entlohnt, wiederholt sich spiegelbildlich und auf höherer gesellschaftlicher Ebene,
als am Ende Prudencio als Stellvertreterfigur des Monarchen105 Esteban
Gies (2022, ibid.): „The number of looms [in Spain] expanded from 353 in 1760 to 4000
in 1804 [...] Between 1775 and 1784 output trebled; employment mushroomed from a
handful in 1737, to 10,000 in 1760, to 50,000 in 1775, to 100,000 in 1804.“
103
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 113): „Cabe, por último, recordar que las
múltiples y elogiosas referencias a la ‚industriosa Cataluña‘, fueron compatibles con
un flagrante desconocimiento de la realidad fabril del Principado, especialmente en lo
relativo al desarrollo de las indianas. Así se deja ver en los informes que redactó sobre
muselinas y gorros tunecinos.“ Dies offenbaren auch Jovellanos‘ ökonomische Schriften, vgl. idem (2008d-f: 497-552).
104
Graef (1996 [1956], IX: 196), zitiert in Witthaus (2012: 314f.).
105
An Prudencios Stellvertreterfunktion für den ihn entsendenden Monarchen lässt
das Stück keinen Zweifel. Vgl. Durán (o.J.: 11): „ [...] el mundo sepa / como nuestro rey
distingue / los vasallos que fomentan / la industria ...“.
362 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seinerseits ein vestido de gala sowie – obendrein – das Verdienstkreuz des
spanischen Staates überreicht. Was sich also zunächst im Kleinen und
in der Konstellation Lehrherr – Lehrling ereignet, wiederholt sich auf
der hochoffiziellen Ebene zwischen Monarch (bzw. einem Abgesandten
der Justiz als seinem Stellverteter) und Untertan. Dabei wird die Rollenverteilung von Lehrer und Schüler wieder aufgegriffen, auf die das
Stück bereits im Dialog zwischen Prudencio und Blas sowie im Zwiegespräch Estebans mit Blas zurückgegriffen hatte. Abermals wird hier
ein Aufsteigernarrativ – und mit ihm das Motiv vom gerechten Lohn
der Fleißigen – inszeniert, avanciert Esteban doch mit der Verleihung
des Ordens zum staatlichen Würdenträger und sieht so sein soziales
Prestige erhöht.
6.3.3. Metonymische Performanzen: Das Pastoratsprinzip
Die in Duráns Komödie also zunächst auf der Ebene Lehrherr/Lehrling
vorgenommene Entlohnung des Fleißigen, die sodann auf der Ebene
Monarch/Vasall wiederholt wird, inszeniert in performativer Art und
Weise auf der Bühne, was Vogl in Anlehnung an Michel Foucault als
„Pastoratsprinzip“ bezeichnet. Von Foucault 1978 im Zuge seiner Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität (1977-1978) entwickelt,106 bezeichnet dieses Prinzip eine „politische Anatomie elementarer und komplexer Relationen“, die sich,
also [...] mit einer Pastoraltechnologie [verbindet], die, wie Foucault gezeigt hat, das jüdisch-christliche Thema der Sorgepflicht eines ‚Hirten‘
gegenüber seiner ‚Herde‘ in den neuen Typus politischer Rationalität
überführt und sich im Arbeitsgebiet einer ‚guten Policey‘ konkretisiert.107
Diese „Sorgepflicht“ des Monarchen als „Hirten“ gegenüber der
„Herde“ des Volkes, im Zuge derer die Unwissenden aufgeklärt und
über das rechte Handeln belehrt, aber auch für ihr ‚rechtes Tun‘ entlohnt werden, inszeniert Duráns Komödie in den genannten Passagen
in Form eines performativen Aktes metonymischer Stellvertretungen.
Die Objekte Kleidungsstück und Ehrenkreuz fungieren dabei ebenso
106
107
Vgl. Foucault (1994: 134ff.).
Vogl (2002: 73).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
363
als Symbole eines höheren gesellschaftlichen Status, wie sie wirtschaftlichen Reichtum versprechen: Ein Festgewand kann sich nur leisten,
wer auch über das entsprechende Budget verfügt.
Mit der Überreichung dieser Symbole durch eine sozial höherrangige Person steigt aber auch der gesellschaftliche Status des Beschenkten. Die eigendynamische Fortsetzung dieses Prinzips wird in La industriosa madrileña deutlich, als der symbolisch mit Estebans bestem
Gewand prämierte Blas sich in Zukunft selbst als Textilunternehmer
betätigen möchte: Er bekundet, in Asturien seine eigene Textilfabrik
eröffnen zu wollen – und erhält das dafür nötige Startkapital sogleich
von seinem Lehrherrn.108 Wiederum folgt hier die Entlohnung des
Fleißigen unmittelbar und schon auf dessen bloße Absichtserklärung
hin, unternehmerisch tätig sein zu wollen. Ebenso ist auch Blas‘ Entschluss, seine Webtechnik verbessern zu wollen, zunächst nur ein Vorhaben, das durch den Lehrherrn unmittelbar belohnt wird.
Aus der Reihe performativer Ehrungen ergibt sich ein regelrechtes
Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel der Stellvertreterfiguren, das in Analogie zu der in Comellas El hombre agradecido inszenierten Struktur der
trusted chain of correspondents steht. Anders als diese, bei der die teilhabenden Kaufleute auf derselben hierarchischen Ebene rangieren, ist
die bei Durán inszenierte Reihe performativer Ehrungen jedoch stufenförmig angeordnet. Demnach steigen nicht nur die Ausgezeichneten
durch die Ehrung in der sozialen Hierarchie jeweils eine Ebene höher,
es erhöht sich jeweils auch der symbolische Tauschwert der dargereichten Gegenstände, von der schnöden Münze über das Gewand des
Unternehmers und das Festgewand bis hin zum königlichen Orden. In
der Szene, in der Esteban Blas erst mit einem doblón und dann mit seinem eigenen Gewand für seinen Fleiß belohnt, fungiert der Fabrikant
als Stellvertreter des Pastorats eines die Industrie fördernden, wohlmeinenden Monarchen. Die metonymische Funktion des Unternehmers als Initiator einer ganzen Reihe nach dem Pastoratsprinzip stattfindender Ehrungen wird erst offenbar, als Esteban selbst vom Hirten
zum Schäflein wird. In der betreffenden Szene ist es Don Prudencio,
der in seiner Funktion als Stellvertreter des Monarchen in die Rolle des
‚Hirten des Volkes‘ schlüpft. Der Monarch tritt selbst im Stück nicht
in Erscheinung, sondern bildet vielmehr eine Leerstelle, was auf seinen der Handlung enthobenen, exklusiven Status hindeutet. Bestätigt
108
Durán (o.J.: 33).
364 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
dies einerseits Vogls These, dass „das Staatswissen sich im Theater der
Rollen und Stellvertreter errichtet“109, ist es hier andererseits nicht der
Regent, der in dieser Reihe der Stellvertreterfiguren die oberste Stufe
einnimmt; wie der folgende Abschnitt zeigen wird, ist es der kulturellen Spezifik Spaniens entsprechend vielmehr Gott als allerhöchste
Instanz. In diesem Umstand offenbart sich zugleich eine Verbindung
von Ökonomie und Religion, wie sie für die spanische Aufklärung im
Allgemeinen und spanische ‚sentimentale Wirtschaftskomödien‘ der
Spätaufklärung im Besonderen charakteristisch ist. Dies veranschaulicht auch das Beispiel des Fabricante de paños von Valladares de Sotomayor.
Das bei Durán auf der Bühne inszenierte Pastoratsprinzip ist
eine Demonstration der Machtallianz zwischen der Gouvernementalität des aufgeklärten Absolutismus und der katholischen Kirche.
Wie Jehle gezeigt hat, ist die Zurschaustellung dieser Allianz insbesondere für das Reformtheater von besonderer Bedeutung.110 Darüber hinaus symbolisiert die Kette männlicher Stellvertreterfiguren,
die ihrerseits Platzhalter einer ebenso patriarchal wie paternalistisch
kodierten staatlichen Autorität ist,111 die gesellschaftliche Hierarchie
109
Vogl (2002: 41).
Vgl. Jehle (2010: 174f.), der das nicht von Widersprüchen freie Verhältnis des
neoklassischen Reformtheaters zur Kirche wie folgt charakterisiert: Versuchen die
mehrheitlich im Staatsdienst stehenden Theaterreformer die von ihnen initiierten Neuerungen einerseits unter Rückgriff auf die kirchliche Zensur und religiöse Argumente
zu legitimieren, benutzen sie andererseits die von ihnen selbst betriebene staatliche
Theaterzensur als Instrument, um sich vor ‚Übergriffen‘ durch die Kirche zu schützen.
Dadurch kommt es gewissermaßen zu einem Wettstreit um die Zensurhoheit, in der
sich die Parteien zuweilen aus Notwendigkeit gegen den gemeinsamen Feind – das
barocke und volkstümliche Theater – verbünden.
111
Zum Paternalismus als Regierungsprinzip des aufgeklärten Absolutismus vgl.
auch Castellano Castellano (2000: 189), der konstatiert, dass schon Bernardo Ward in
seinem Proyecto económico für eine starke Regierung mit einem ebenso starken wie autoritären, ja von Ward sogar als ‚despotisch‘ bezeichneten Monarchen plädiert: „[...] los
obstáculos que se oponen [al desarollo económico de España] son de índole política,
en el sentido amplio que tiene el término en el siglo xviii. Y, por tanto, politicamente
deben eliminarse. Para ello, es necesario un ‚buen‘ gobierno, o mejor, un gobierno fuerte. [...] Todos gustan atemperarlo [...] por algunas leyes (fundamentales) y, sobre todo,
por un cierto paternalismo que gustaba bastante a los gobernantes y a muchos de los
gobernados. El rey quiere y debe comportarse como un padre, que ‚no abandona sus
hijos por mal inclinados, sino que procura por enmendar sus defectos’”. Castellano
Castellano (2000: 189) mit Bezug auf Ward (1982: 137f.).
110
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
365
als Fundament einer aufklärerischen Form hegemonialer Männlichkeit. Außer durch den Unternehmer-Paternalisten Esteban wird diese
in Duráns Stück auch durch den Minister Prudencio verkörpert. Ist
hegemoniale Männlichkeit „immer an den Zugang zu institutioneller
Macht und folglich an die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen
und Machtverhältnisse gebunden“112, tritt sie hier durch die Stellvertreterfiguren der staatlichen Macht in Erscheinung. Die Autorität dieser Figuren offenbart sich anhand des Umstands, dass es ihnen obliegt, untergeordnete Männlichkeiten zu tadeln oder auszuzeichnen,
wie es das zwischen den beiden Polen von Maßregelung und Belohnung angesiedelte Verhältnis zwischen dem Lehrherrn Esteban und
seinem Lehrling Blas veranschaulicht.
6.3.4. Zur Kopplung von unternehmerischem Erfolg und Religiosität
Angesichts der im Jahre 1789 sich ereignenden Umbrüche in Frankreich, wo die französische Aufklärung und ihre radikale Kritik an
Krone und Kirche in die (nicht nur) in Spanien mit großer Sorge beobachteten Ereignisse der Revolution mündet, manifestiert sich im
neoklassischen und populären Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit, die ökonomische Vorbildlichkeit des modellhaft gestalteten vir oeconomicus an eine sich in Tat und Wort manifestierende Religiosität zu binden, die zugleich die Bereitschaft des
Protagonisten signalisiert, sich einer höheren Instanz – dem König,
der Kirche, Gott – unterzuordnen. Umgekehrt erscheinen die schlechten ÖkonomInnen nicht nur als Scharlatane, sondern auch als nur vorgeblich Gläubige, zuweilen sogar als HäretikerInnen (vgl. auch Kap.
9.1.4 und 9.2ff.). Dies gilt insbesondere für Duráns Lehrstück über die
Tugend der industria und ist vor allem dann der Fall, wenn die (männlichen) Antagonisten das Religiöse missbrauchen, um ihre Täuschungen glaubwürdig erscheinen zu lassen. Diesen Aspekt werden die Kapitel zum vir profusus als Gegenentwurf zum hier skizzierten Typus
des vir oeconomicus vertiefen (vgl. Kap. 9.1).
Wenn vorbildliche ökonomische Akteure wie der Textilfabrikant
Esteban im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts
aufklärerische Werte vertreten und diese Werte wiederum mit einer
112
Heße (2008: 74).
366 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
im Katholizismus verorteten Religiosität gekoppelt werden, ist dieser
Umstand nicht allein im Kontext der unmittelbaren Bedrohung durch
die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in Frankreich zu betrachten. Vielmehr erklärt er sich aus der Besonderheit der spanischen
Aufklärungsbewegung: Diese versteht sich – wie schon Krauss betont
– nicht als Gegenbewegung zu Krone und Kirche, sondern geht mit
ihnen Hand in Hand.113 In La industriosa madrileña zeigt sich das in
der Szene besonders deutlich, in der Esteban den ihm von Prudencio verliehenen Orden in der Kirche als öffentlichem Versammlungsort erhält.114 In dieser Szene verschmelzen Kirche und Staat nicht nur
räumlich – der staatliche Akt findet in der Kirche statt –, sondern auch
symbolisch, wenn ein genuin christliches Symbol einer staatlichen
Auszeichnung seine Form verleiht.
Auch Antonio Mestre bezeichnet die spanische Aufklärung als eine
„Ilustración católica“115. Mestre zufolge resultiert die religiöse Komponente der spanischen Aufklärung aus der Notwendigkeit der katholischen Aufklärer, sich gegenüber zeitgenössischen philosophischen
und politischen Strömungen wie dem u.a. von John Locke und JeanJacques Rousseau propagierten Naturrecht und den daraus resultierenden Säkularisierungstendenzen zu positionieren.116 Insbesondere
an zentralen Figuren der spanischen Aufklärung wie dem Benediktinermönch Feijoo, seiner Stellungnahme gegen die Scholastik und
seinem Kampf gegen den weit verbreiteten Aberglauben117 wird die
113
Krauss (1973: 7f.): „Die spanische Aufklärung ist durch die unzerreißbare Macht
des katholischen Glaubens geformt und an Grenzen gesetzt, die in den anderen Aufklärungen, zu denen die deutsche, englische, italienische, polnische, russische, rumänische Aufklärung gehören, mitunter überschritten wurden.“
114
Durán (o.J.: 11): „Para cumplir esta tarde / con lo que el Monarca ordena / con
otros dos caballeros / pasaremos a la Iglesia: recibirá usted la Cruz [...].“
115
Mestre, Antonio: „La Ilustración católica en España“. In: Dufour, Georges/Rubat du Mérac, Marie-Anne/Virlogeux, Georges (eds.). Libéralisme chrétien et catholicisme
libéral en Espagne, France et Italie dans la première moitié du xixe siècle. Aix-en-Provence:
Université de Provence 1989, p. 3. Mestre übernimmt den Begriff der „katholischen
Aufklärung“ seinerseits von Sebastian Merkle (1910) und dessen Studie über die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland des 18. Jahrhunderts. Vgl. Merkle, Sebastian (1910): Kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland: eine Abwehr und zugleich
ein Beitrag zur Charakteristik ‚kirchlicher‘ und ‚unkirchlicher‘ Geschichtsschreibung. Berlin:
Reichl & Co.
116
Vgl. Mestre (1989: 3).
117
Vgl. Mestre (1989: 3f.) und von Tschilschke (2009: 115ff.).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
367
Verbindung zwischen Aufklärungsphilosophie und Kirche besonders
deutlich. Aber auch prominente Denker wie Melchor Rafael de Macanaz mit seiner ‚aufgeklärten‘ Sicht auf das Almosen118 oder der vom
gallikanistischen Jansenismus ebenso wie vom spanischen Humanismus beeinflusste Gregorio Mayans y Siscar119 sind Repräsentanten
einer Aufklärungsbewegung, die das Religiöse im Form des Katholizismus einschließt. Insbesondere das Beispiel Macanaz zeigt, dass die
katholische Aufklärung nicht nur durch einen Prozess politischer und
sozialer Säkularisierung beeinflusst wird, sondern wesentlich an ökonomische Fragestellungen wie die des Geldes und seiner Verteilung
gekoppelt ist.
Trotz der auch von Mestre beobachteten zunehmenden Säkularisierung konstatiert Teófanes Egido López für das spanische 18. Jahrhundert eine Durchdringung nahezu aller Bereiche des literarischen
Feldes durch das Religiöse.120 Auf der Ebene des Theaters spiegelt sich
dieser Umstand u.a. in einer Reihe von Dramen mit biblischen Themen wider, etwa in einer 1795 aufgeführten und anonym erschienenen
Neubearbeitung des barocken Dramas El triunfo de Judith (1688) von
Juan de Vera Tassis y Villaroel sowie in zahlreichen Stücken, die sich
der Auseinandersetzung zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen widmen.121 Hinzu kommen comedias de magia, die – des
Verbots der Gattung unter Felipe V. unbenommen – Magie, Heilige
und Wundertaten zu einer beim damaligen Publikum beliebten Mischung verschmelzen. Diese Art von Stücken stößt bei aufklärerischen
Autoren wie Clavijo y Fajardo und Nicolás Fernández de Moratín auf
scharfe Kritik, wird aber auch von Organen der aufgeklärten Presse
118
Vgl. Mestre (1989: 4).
Vgl. Mestre (1989: 10).
120
Vgl. Egido López, Teófanes (1996): „Religión“. In: Aguilar Piñal, Francisco (ed.).
Historia literaria de Espana en el siglo xviii. Madrid: Trotta 1996, pp. 739-814, hier p. 739.
121
Vgl. Urzainqui, Inmaculada (1992): „Crítica teatral y secularización: el Memorial
literario (1784-1797)“. In: Tietz, Manfred/Briesemeister, Dietrich (eds.). La secularización
de la cultura española en el Siglo de las Luces. Actas del congreso de Wolfenbüttel. Wolfenbüttel u.a.: Harrassowitz, pp. 247-286, hier p. 275 und insbesondere p. 277. Urzainqui
(1992: 275) nennt hier u.a. Luis Moncíns (1750-1814) Lograr el mayor imperio por un feliz
desengaño (1784) als eine Komödie über die Konversion des Heiligen Konstantin sowie
das ebenfalls aus der Feder Moncíns stammende Hechos heroicos y nobles del valor godo
español (1785) über den Beginn der Reconquista. Zum religiösen Theater des spanischen 18. Jahrhunderts vgl. auch Palacios (1998: 109ff.). Zur comedia de magia vgl. auch
die Habilitationsschrift Echtes Hexenwerk und falscher Zauber von Wörsdörfer (in Arbeit).
119
368 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
wie dem Memorial literario verurteilt. Gerade in Zeitschriften wie dieser zeigt sich Inmaculada Urzainqui zufolge die andere, moderate Seite der Säkularisierung, die eine ‚Sakralisierung des Profanen‘122 ebenso
ablehnt wie eine ‚Profanierung des Sakralen‘.123
6.3.5. Die caritas als Tugend des philanthropen Unternehmer-Paternalisten
Die die spanische Aufklärung kennzeichnende Kopplung der Religion
mit einer sich in öffentlichen Debatten und philosophischen Schriften
gleichermaßen manifestierenden Wissenskultur konstatiert Susanne
Schlünder auch für die „enge Verzahnung des Religiösen mit dem
Politisch-Ökonomischen“.124 Eine solche Verzahnung manifestiert sich
ebenfalls anhand der Figur des vir oeconomicus Esteban, seines Zeichens Protagonist und titelgebende Figur von La industriosa madrileña
y el fabricante de Olot, denn dieser tut sich nicht allein als Personifikation aufgeklärten Unternehmertums und bürgerlichen Fleißes hervor,
sondern auch als guter Katholik. Entsprechend ist er der christlichen
Tugend der caritas verpflichtet. Auf der Ebene der theatralen Performanz tritt dies in der bereits erwähnten Szene besonders deutlich hervor, in der Esteban seinem Lehrling Blas sein bestes Gewand als Lohn
für dessen Fleiß überreicht. Auch wenn hier von einer ‚reinen Gabe‘
im Sinne Derridas125 aufgrund des der Handlung zugrundeliegenden
Tauschgeschäftes (Gewand gegen Arbeitsleistung) nicht die Rede sein
kann, rekurriert die Szene des sich aus Scham über seine schlechte
handwerkliche Arbeit entkleidenden und dann von dem sozial höherrangigen Unternehmer Esteban mit dessen eigenem Gewand wieder
bekleideten Lehrlings auf die religiöse Ikonographie der Szene von
Sankt Martin und dem Bettler,126 die selbstverständlich auch dem damaligen Publikum durch seine häufigen Kirchenbesuche geläufig gewesen sein dürfte.
Estebans christliche Haltung offenbart sich aber nicht nur in
auf der Bühne inszenierten und auf eine religiöse Ikonographie
122
Vgl. Urzainqui (1992: 283), meine Übersetzung.
Vgl. Urzainqui (1992: 283), meine Übersetzung.
124
Schlünder (2018b: 323).
125
Vgl. Derrida, Jacques (1991): La fausse monnaie. Donner le temps I. Paris: Gallimard.
126
Vgl. Schuchardt (2015).
123
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
369
rekurrierenden tableaux vivants, sondern auch auf der Ebene der Figurenrede. Nachdem Esteban die als Mann, nämlich als Don Juan de Illescas, verkleidete127 Cecilia als Frau enttarnt, ihrer Leidensgeschichte
gelauscht und dabei erfahren hatte, dass sie mit zwölf Jahren verwaist
war, daraufhin ein tristes, aber arbeitsames Dasein auf dem Dachboden einer Tante von zweifelhaftem Lebenswandel fristen musste und
dort ihre Webtechnik so weit perfektionieren konnte, dass sie dazu in
der Lage war, eigene Einnahmen zu erwirtschaften und sich den Beinamen „Industriosa Madrileña“128 erwarb, stellt Esteban bezüglich der
Tante die entscheidende Frage: „¿Y era esa mujer cristiana? No he oído
acción mas perversa.“129
Auch die Bescheidenheit (modestia), die hier ebenso als christliche
wie als bürgerliche Tugend konturiert ist, wird in Duráns Stück durch
Esteban verkörpert. In einer Entgegnung auf den von Silvestre vermeintlich gefassten Entschluss, Mönch zu werden, bringt der Unternehmer seine Hoffnung zum Ausdruck, dass sein Halbruder sich zur
Bescheidenheit bekehren möge: „¡Vaya que del Religioso / edifica la
modestia!“130 Weitere Momente, in denen das Religiöse in Duráns Komödie aufscheint, sind die zahlreichen himmlischen Fügungen, die
127
Zum „transvestism“ bei Durán vgl. auch Gies (im Druck), der auf das überraschende Moment des Stücks verweist, das entsteht, als die dem faulen Silvestre durch
ihren Fleiß diametral entgegenstehende Figur des Don Juan de Illescas sich nicht etwa
als Teil einer anderen Klasse oder Bildungsschicht entpuppt, sondern als Repräsentantin des anderen Geschlechts: „Durán’s coup de théâtre – and most subversive moment
– comes midway through the first act. The audience is set up to believe that in this play
the fault lines of the weaving industry are split by class or education. But when Esteban
posits the lazy Silvestre against the skilled and industrious D. Juan de Illescas, (“Cada
día extraño más / la notable diferencia / que hay de mi hermano a Don Juan” [Durán
1790, 7] [...]), a shocking reveal takes place: it turns out that Don Juan is not a hard-working gentleman from the capital city, but rather... a woman. Suddenly, the equation
shifts.” Gies veweist mit Bravo-Villasante darauf, dass als Frauen verkleidete Männer
ebenso wie als Männer verkleidete Frauen im Theater des Siglo de Oro zwar gang und
gäbe waren, der entscheidende Unterschied jedoch darin bestehe, dass das ‚crossdressing‘ hier nicht durch Liebe, (nationale) Identität oder Rache motiviert sei, sondern rein
ökonomische Gründe habe. Vgl. Gies (ibid.) mit Bezug auf Bravo-Villasante, Carmen
(31988): La mujer vestida de hombre en el teatro español (siglos xvi-xvii). Madrid: Mayo de
Oro, 1988, pp. 10-21.
128
Durán (o.J.: 8).
129
Durán (o.J.: 8).
130
Durán (o.J.: 7).
370 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Fulda als gattungsspezifisches Element der Komödie ausweist.131 In La
industriosa madrileña offenbart sich darin ein wohlmeinender Schöpfergott, der der fleißigen Madriderin und dem Fabrikanten von Olot
deshalb gewogen ist, weil er sie damit für ihre Bemühungen um das
spanische Textilgewerbe belohnt. Es ist also nicht allein der Monarch,
der Cecilia und Esteban durch seinen Stellvertreter Don Prudencio
Anerkennung für ihre Leistung zukommen lässt, auch der Allmächtige selbst interveniert zugunsten der tugendhaften Fleißigen. Damit
wird die Kette der Auszeichnenden in einer bis in die höchsten Sphären aufsteigenden Stufung fortgeführt. Das wird dann deutlich, wenn
die Hand der Weberin Cecilia von Esteban explizit als ‚himmlischer
Lohn‘ für sein unternehmerisches Bestreben bezeichnet wird, der ihn
zu weiteren Leistungen ansporne: „[...] que si hoy por mi aplicacion
/ el Cielo me recompensa / con tan industriosa esposa / me aplicaré
hasta que muera.“132
Der Umstand, dass Esteban sein Vorhaben bekundet, zu prüfen,
„[...] si conseguir puedo / que aquí en Olot se establezca / un número prodigioso / de personas extrangeras,“133 stellt explizite Bezüge zu
den Reformbemühungen der Krone her, hatte die Real Cédula vom 24.
März 1777 doch das Textilwesen verpflichtet, kundige Ausländer in
seinen Reihen zu dulden.134 Möglicherweise sind die wiederholten Bezüge auf die Imitation ausländischer Stoffe und Fertigungstechniken,
die über die Figuren Esteban und Cecilia in das Stück eingeflochten
werden, zeitgenössische Anspielungen auf den valencianischen Seidenfabrikanten Joaquín Manuel Fos, ein Mitglied der lokalen Sociedad
Económica de Amigos del País, das in den 1750er Jahren seinen eigenen
Tod vortäuschte, um Produktionsstätten in England und Frankreich
auszukundschaften und die so erlangten Kenntnisse über die Fertigungstechniken der Konkurrenz in einem Buch zu veröffentlichen.135
Der katalanische Textilfabrikant Esteban ist also nicht nur als Wohltäter, sondern auch als ein ökonomisch aufgeklärter Modellmensch
gezeichnet, der bestrebt ist, die gesetzlichen Impulse zur Erhöhung
131
Vgl. Fulda (2005: 22).
Durán (o.J.: 13).
133
Durán (o.J.: 4).
134
Vgl. Herr (1988: 104), vgl. auch Kap. 2.
135
Vgl. Herr (1988: 114) mit Bezug auf Bourgoing (1789: 79). Vgl. auch Sarrailh, Jean
(1964): L’Espagne éclairée de la seconde moitié du xviiie siècle. Paris: Klingsieck, pp. 347f.
132
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
371
der nationalen Produktivität in seinem eigenen Betrieb umzusetzen. In
Duráns Stück werden ökonomisches Reformdenken und handwerklich-unternehmerische Ehrbarkeit – es ist dort explizit vom „honrado
menestral“136 die Rede – auf religiöser Ebene gekoppelt, wenn Gott
sich auf die Seite der Fleißigen stellt, in kritischen Momenten zu ihren
Gunsten einschreitet und sie am guten Ende belohnt. Dies geschieht,
indem er die sie auszeichnenden christlich-bürgerlichen Tugenden der
industria, temperantia und modestia am Ende dadurch mehrt, dass er ihnen einen mit ähnlichen Tugenden gesegneten Ehepartner bzw. eine
dergestalte Ehepartnerin beschert, durch den sie in der Lage sind, das
Maß ihrer Tugendhaftigkeit noch zu steigern. Zu den Tugenden von
Fleiß, Mäßigung und Bescheidenheit gesellt sich im Falle des katalanischen Textilfabrikanten die Geduld. Diese zeigt sich, als Esteban seinen Lehrling anweist, die Webstühle der Fabrik von Olot abzubauen,
um sie zu veräußern und mit dem erzielten Gewinn für die (nur vorgetäuschten) Schulden des betrügerischen Silvestre bei dessen Spießgesellen Simón aufzukommen, worauf Blas entgegnet: „¿Con esto va
ya de veras? / Don Estevan, yo no sé / como usted tiene paciencia.“137
6.4. Antonio Valladares y Sotomayors El fabricante de paños,
o el comerciante inglés (1784): Religion und bürgerliche
Tugend in englischem Setting
Auch in Antonio Valladares y Sotomayors Komödie El fabricante de paños (1784) findet sich eine Kopplung von Unternehmertum und Religion. 1784 im Madrider Teatro de la Cruz uraufgeführt, handelt es
sich bei dieser Adaptation von Fenouillot de Falbaire de Quingeys Le
fabricant de Londres (1771) um eine sentimentale Komödie, die ebenfalls
die Figur des Textilfabrikanten inszeniert; mit dem Unterschied allerdings, dass es sich bei dem Protagonisten dieser Komödie in Anlehnung an die Vorlage nicht um einen spanischen, sondern um einen in
London ansässigen Unternehmer handelt. Den thematischen Schwerpunkt des französischen Originals und seiner spanischen Adaptationen, von denen es mehrere gibt, resümiert García Garrosa wie folgt:
136
137
Durán (o.J.: 32).
Durán (o.J.: 7).
372 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
El tema de la obra de Fenouillot de Falbaire y de sus versiones españolas
es la descripción de la vida de un comerciante, los riesgos a los que está
sometido su oficio y la recompensa final por sus desvelos, en una época
en la que la política económica tanto de Francia como de España tendió a
potenciar la actividad mercantil. Valladares mantiene inalterado ese tema
central, pero dándole un matiz nuevo.138
Im Gegensatz zu der anonym erschienenen spanischen Fassung
von Le fabricant de Londres, bei der es sich um eine originalgetreue
Übersetzung handelt, ist Valladares de Sotomayors Adaptation eine
Konzession an die Erwartungen des spanischen Publikums und dessen Bedürfnis nach Unterhaltung.139 Gerade deshalb entfernt sich Valladares‘ Version Paul Guinard zufolge vom nuancierten bürgerlichen
Setting des französischen Originals, in dem unter anderem die beiden
Kinder des titelgebenden Textilunternehmers Vilson – Henri und Juliette – für eine „tonalidad burguesa“ und „detalles graciosos“ sorgen,
die hier fehlen, nehmen die Kinderfiguren doch gegenüber dem Original eine stark reduzierte Rolle ein.140 Guinard vermutet als Grund
dafür die traditionelle Abwesenheit von (minderjährigen) Kindern im
spanischen Theater.141
Das spezifisch ‚Spanische‘ in Valladares‘ Adaptation macht García
Garrosa in deren ‚Katholisierung‘142 aus, ein Element, das der Erleichterung der Identifikation des Publikums mit den Figuren gedient haben
mag, womit das populäre Theater einmal mehr seine traditionalistischen Tendenzen offenbart. Die wiederholten Bezüge auf die Religion
sind insofern bemerkenswert, als das Religiöse in der französischen
Vorlage keinerlei Rolle spielt. Diese zeichnet sich im Gegenteil durch
García Garrosa, María Jesús (1991): „El comerciante inglés y El fabricante de paños:
de la traducción a la adaptación“. In: Anales de Literatura Española, 7, pp. 85-95, hier p.
91.
139
Vgl. García Garrosa (1991: 97): „Valladares de Sotomayor, refundidor de Lope,
autor de comedias heroicas y de magia, es un hombre de teatro; conoce los gustos de
los espectadores, y en función de ellos escribe. El octosílabo asonante, la polimetría,
las escenas de canto y baile, las acciones dobles, los seudo-graciosos, la complicación
novelesca de la trama, la irregularidad de la estructura dramática, la escenografía y los
decorados sorprendentes de su teatro sentimental son una concesión a ese público.“
140
Guinard (1984: 300).
141
Vgl. Guinard (1984: 300).
142
Vgl. García Garrosa (1991: 97).
138
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
373
einen dezidierten Laizismus aus.143 Bei Fenouillot de Falbaire ist die
Figur des William zudem als einziger offensichtlich protestantischer
Charakter des Stückes mit negativen Eigenschaften wie einem kaum
verhohlenen Geiz und einer Neigung zur Hypokrisie geschlagen.144
Die darin hervortretende laizistische und religionskritische Haltung
des französischen Textes mag erklären, warum in Valladares‘ Adaptation – wie Guinard bemerkt – jeglicher Verweis auf die Vorlage fehlt.145
Die durch den spanischen Autor gegenüber dem französischen Originaltext vorgenommenen Änderungen sind ebenso tiefgreifend wie
zahlreich.146 Neben Eingriffen in Form, Handlung und Figuren ist auch
die Änderung des Titels augenfällig, wobei Guinard den Titelzusatz
„o el comerciante inglés“ mit der doppelten Bedeutung des Substantivs
„fabricante“ im Spanischen erklärt, das nicht nur den ‚Fabrikanten‘,
sondern auch den ‚Handwerker‘ meint.147 Ist also William, der den
Jungen Henri für sein Auswendiglernen eines Kapitels aus der Bibel
lobt,148 in Fenouillot de Falbaires Stück ein Protestant und scheinheiliger Geizhals, offenbart sich Villianz als Valladares‘ katholische Variante dieses Charakters als nicht minder scheinheilig und geizig, ist aber
weniger religiös. Im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts weist die mangelnde Religiosität Villianz‘149 als Bösewicht aus,
während es in der französischen Fassung im Gegenteil der zur Schau
143
Vgl. García Garrosa (1991: 91).
Vgl. Guinard (1984: 299).
145
Vgl. Guinard (1984: 293).
146
Zu diesen Änderungen zählt unter anderem die Verabschiedung des für die sentimentale Komödie typischen Prosastils zugunsten des achtsilbigen assonanten romance als einer dem spanischen Publikum geläufigeren Form. Vgl. Guinard (1984: 293f.).
Aus den fünf Akten bei Fenouillot de Falbaire werden bei Valladares ungewöhnliche
vier, ein Umstand, der die Verteilung der Geschehnisse auf die einzelnen Akte unausgewogen erscheinen lässt. Darüber hinaus ‚hispanisiert‘ Valladares neben dem Namen
Villianz auch die der übrigen Figuren (aus „Fanni“ wird „Fania“, aus „Juliette“ „Isabella“ usw.), streicht lange Passagen der französischen Vorlage und fügt nicht minder
lange Passagen hinzu. Vgl. García Garrosa (1991: 89f.) und Guinard (1984: 298f.).
147
Vgl. Guinard (1984: 294). Dem Titel ‚Der Tuchfabrikant‘ („El fabricante de paños“)
wird auch deshalb der Untertitel ‚oder der englische Geschäftsmann‘ („o el comerciante
inglés“) hinzugefügt, um hervorzuheben, dass dieser Typus repräsentativ für England
ist.
148
Vgl. Guinard (1984: 299).
149
Schon diese Hispanisierung des englischen Namens ‚Williams‘ ruft das spanische Adjektiv ‚vil‘ auf, das ‚gemein‘, ‚schlecht‘ oder ‚niederträchtig‘ bedeutet.
144
374 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
gestellte Glaube ist, der die Figur des William in schlechtem Lichte erscheinen lässt. In Valladares‘ Stück wird Villianz von Wilson nicht nur
als „hipócrita“ und „embustero“ bezeichnet,150 er erfährt darüber hinaus eine ‚himmlische Strafe‘ für sein unehrenhaftes Verhalten, denn er
hatte nicht nur während eines Aufenthaltes in Schottland die Armen
um ihr Hab und Gut erleichtert, sondern auch seinen Freund Wilson
in höchster Not – nämlich nach Bekanntwerden dessen Bankrotts – im
Stich gelassen. Zeuge dieser Niedertracht war der sich gegen Ende der
Komödie als Retter in der Not erweisende Lord Baltton geworden, der
in der letzten Szene nach Bekanntwerden von Villianz‘ Vergehen proklamiert:
BALTTON:
[...]
Felices todos seremos
mientras vivamos, que así
sabe dar el justo cielo
a las maldades castigo
y a las virtudes el premio.151
Wie schon in Duráns La industriosa madrileña erhalten auch in El fabricante de paños die Rechtschaffenden am Ende ihren gerechten Lohn.
Der noch bei Fenouillot de Falbaire kritisch betrachtete Protestantismus wird aus Valladares‘ Fassung in Teilen, wenn auch nicht gänzlich
getilgt. Daraus folgt, dass die Wahl des englischen Settings weniger
dem Bestreben nach einer glaubwürdigen Darstellung des dortigen
kaufmännischen Lebens verpflichtet ist, vielmehr dient sie der Projektion englischer Tugenden auf Spanien. Diesbezüglich führt Guinard
etwa Valladares‘ Abänderung des Begriffs „temple“ in „iglesia“ an:
El cambio de más transcendencia es el de „temple“(específicamente protestante en francés) en „iglesia“, pero también „templo“, sinónimo de „iglesia“ en español, con lo cual se oculta la pertenencia de los personajes a la
religión protestante, inaceptable entonces en un escenario español.152
150
Valladares (o.J.: IV, v. 432).
Valladares (o.J.: IV; vv. 468-472).
152
Guinard (1984: 298). Vgl. Valladares (o.J.: IV; v. 528): „ROBERTO Perdonad, señor Milord, / porque a desposarse [Wilson] al Templo / ha ido.“
151
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
375
Dieser Aspekt ist ein weiteres Element, durch das Valladares die
englische Vorlage sowohl an die auf der Bühne präsenten kirchlichen
Zensoren als auch an die katholisch geprägte Alltagskultur seines
Heimatlandes anpasst. Änderungen wie diese weisen die spanischen
Varianten französischer und englischer Stoffe, seien es Theaterstücke
oder Romane, mehr als Adaptationen denn als originalgetreue Übersetzungen aus.
6.4.1. Der unternehmerische Kosmos des Textilgewerbes
Wie bereits eingangs angeklungen, führt García Garrosa die ökonomischen Bezüge in El fabricante de paños auf den unmittelbaren Einfluss
der Real Cédula von 1783 zurück. Auch wenn der thematische Hauptakzent des Stückes ihr zufolge auf der amourösen Intrige liegt, finden
sich dort doch „algunos detalles de la actividad cotidiana de un honrado fabricante de tejidos, y una amplia e interesante lista de términos para designar a los trabajadores textiles, el producto y el lugar de
fabricación, aspecto éste que [...] es de suma importancia [...]”153. Die
Sorgfalt, die Valladares auf das textilgewerbliche Dekor seiner Komödie verwendet, ist insbesondere in Bezug auf das damalige Publikum
aussagekräftig. Entweder bestand dieses in Teilen aus fachkundigen
Bürgern aus dem kaufmännischen Bereich, denen derlei Details zuzumuten waren, ohne Langeweile zu riskieren, oder Valladares konnte
es im Kontext der Real Cédula und zugunsten der Glaubwürdigkeit
des unternehmerischen Ambientes wagen, sein Publikum mit Fachbegriffen und Feinheiten der Zahlungsmodalitäten zu konfrontieren.
Dass mit der detailgetreuen Schilderung geschäftlicher Vorgänge im
Theater zweifellos ein Risiko verbunden war und deren erfolgreiche
Vermittlung wesentlich vom Geschick des jeweiligen Dramatikers
abhing, konstatiert Niklaus für das französische Theater des 18. Jahrhunderts. Diesbezüglich konstrastiert er Beaumarchais‘ Les Deux Amis
und Sedaines Le Philosophe sans le savoir:
[...] as seen in Le Philosophe sans le savoir [...] [w]e know that public had
some difficulty in adjusting itself to the presentation of high finance on the
stage, witness its poor response to the figures and financial transactions
153
García Garrosa (1993: 686f.).
376 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
presented in Les Deux Amis. Sedaine’s own skill may be gauged from his
success in placing commercial terms such as usances, remises, escompte and
rescription in the mouths of his characters without even raising a murmer
[sic] from his audience.154
Der beträchtliche Raum, der den Nebentexten in Valladares‘ Stück
zugewiesen wird, ist jedenfalls augenfällig, dienen die acotaciones
doch nicht nur zur Akzentuierung der zahlreichen, teils in Extreme
reichenden Gefühlslagen155 dieser sentimentalen Komödie. Vielmehr
geben sie detailgetreu auch über Einrichtungsgegenstände und die
wechselnde Kleidung der Figuren in den einzelnen Szenen Auskunft.
Hierbei fungiert Kleidung als Marker des sozialen Status. So erscheint
Wilson in der ersten Szene zur Kenntlichmachung seines unternehmerischen Erfolgs „en bata rica“156 und im Folgenden „con vestido
rico“157.
In Analogie zum einleitenden Nebentext von Comellas El hombre
agradecido finden sich auch in Valladares‘ Stück „papeles y escribanía“158 als kaufmännische Utensilien auf der Bühne wieder. Die Türen
des unternehmerischen Haushaltes, der – wie in allen hier skizzierten
Komödien mit Ökonomiebezug – zugleich das Geschäft beherbergt,
sind großzügig gestaltet und zudem mit Fenstern versehen, ein Umstand, der ebenfalls auf Wilsons Wohlstand hindeutet.159 Was das unternehmerisch-kaufmännische Dekor anbelangt, werden in mehreren
Szenen Papiere sortiert und Federn gespitzt160 und nach Bekanntwerden von Wilsons Bankrott durchqueren Gesellen mit Schürzen und
hängenden Köpfen die Szenerie.161 Anlässlich der in der Komödie
raumgreifend inszenierten Pfändung der Habseligkeiten des Unternehmers werden Möbel und Tuchballen von ihrem ursprünglichen
Platz entfernt und mitgenommen:
154
Vgl. Niklaus (1978: 148f.).
So ist im Nebentext mehrfach von „un extremo de sentimiento“ (Valladares o.J.:
10) oder Anweisungen wie „lleno de mayor sentimiento“ (Valladares o.J.: 14) die Rede.
156
Valladares (o.J.: 1).
157
Valladares (o.J.: 6).
158
Valladares (o.J.: 1).
159
Valladares (o.J.: 1).
160
Valladares (o.J.: 3).
161
Valladares (o.J.: 15).
155
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
377
ROBERTO estará retirado en el fondo del teatro con sumo sentimiento y en el
mismo habla. Después se oirá un gran movimiento de arrojar fardos de paños de
los anaqueles al suelo de la tienda; en los cuartos interiores, ruido de descolgar
trastos, y a poco tiempo cruzarán la escena varios mozos cargados con fardos,
espejos y otros muebles.162
Diese eindeutig auf die Rührung des Publikums abzielende Szene unterstreicht die von Schomacher konturierte affektökonomische
Funktion wirtschaftlicher Ereignisse, als Auslöser von Gefühlslagen
zu fungieren.163 Entsprechend ist es in diesem Stück nicht primär der
Liebesplot, der die Handlung dieser sentimentalen Komödie motiviert, sondern vielmehr der drohende Untergang des Bürgerhaushaltes und der von ihm Abhängigen.
Ebenfalls analog zu El hombre agradecido findet sich auch in El fabricante de paños eine Uhr als kaufmännisches Utensil und Indiz bürgerlichen Wohlstandes auf der Bühne platziert, die für das Publikum durch
Worte und Gesten gut sichtbar in Szene gesetzt wird.164 Im Kontext der
Anbahnung des Bankrotts Wilsons durch den Konkurs und die Flucht
seines befreundeten Geschäftspartners Sudmer, von dem Wilson die
Einlösung zweier Wechsel über insgesamt 3.000 Pfund Sterling erwartet, um einen kurzzeitigen Geldmangel des Fabrikanten auszugleichen,
wird die Abwicklung der Geschäfte durch bei der Bank hinterlegte
Wechsel deutlich:165 Diese finden in der Figurenrede wiederholt und
162
Valladares (o.J.: 14).
Vgl. Schomacher (2021: 309).
164
Valladares (o.J.: 15ff.). So ist die Uhr nicht nur auf der Bühne sichtbar, es wird
auch in einer Replik explizit auf sie hingewiesen: „(Quedan consternados de dolor viendo
a WILSON y, por la puerta de la tienda, salen dos mozos cargados de muebles y se dirigen a
salir por la derecha. A pocos pasos que dan, sale el ESCRIBANO con un reloj de sobremesa).
ESCRIBANO Esperad mozos. Conduce tú este reloj de la mano. (Se lo da uno.)” Nichtzutreffend ist daher Guinards Vermutung, dass Valladares neben dem Kamin auch auf
die in der französischen Vorlage vorhandene Uhr verzichtet habe, ein Requisit, das im
spanischen Theater der Epoche „poco frecuente“ sei. Vgl. Guinard (1984: 297). In einer
Fußnote auf derselben Seite merkt Guinard an: „Eran propias [la chimenea y el reloj] de
gente acomodada y cosmopolita; se menciona uno en las Cartas marruecas (carta LVI),
y Jovellanos les da gran importancia al describir su casa o las de conocidos suyos en
los Diarios.”
165
Vgl. Valladares (o.J.: 1f., vv. 11-34): „WILSON [...] / ¿Es mucho lo que tenemos /
que pagar esta semana? / ROBERTO Es tanto señor, que creo / os cause pena. Tres letras
/ bien crecidas se cumplieron / ayer, vendrán a cobrarlas / hay, y nos falta el dinero. /
163
378 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ausführlich Erwähnung, als die darin involvierten Personen und deren
wechselseitige Abhängigkeiten aufgezählt werden.166
Während García Garrosa Valladares‘ Adaptation als „una lección
sobre la virtud cristiana de la resignación” ausweist und in diesem
Zusammenhang die im Folgenden zitierte Passage anführt,167 tritt in
dieser Replik Fanias in intertextueller Referenz auf Góngoras bekanntes Barock-Sonett „Mientras por competir con tu cabello“ auch das ursprünglich barocke Motiv von engaño und desengaño deutlich hervor,
das nun im Kontext der Aufklärung eine ökonomische Umdeutung
erfährt:
FANIA
[...] Los bienes,
las riquezas de esta vida,
sienten perderlas aquellas
almas débiles que vician
su noble ser con tener
por su ídolo a la codicia.
Pero quien sabe que todo
lo de este mundo es ceniza
tierra, polvo, humo y nada,
al ver su hacienda perdida,
se consuela con decir:
Dios la dio, y Dios me la quita.
haz [sic] tú lo mismo, y verás
como tu pena se alivia.168
Wie sich in der zitierten Replik anschaulich zeigt, treten engaño
(Täuschung) und desengaño (Ent-Täuschung) in einen neuen Bedeutungszusammenhang, wenn sie sich zwar mittelbar noch auf die Vergänglichkeit, aber nicht mehr auf die Vergänglichkeit des Körpers,
sondern vielmehr auf die im Diesseits erworbenen Güter beziehen.
WILSON Eso no importa. Es preciso / despaches a Jaime luego / en casa de Sudmer,
donde / hay mismo percibir debo / tres mil libras esterlinas; / cuya cantidad, la tengo
/ sobre mí cargada en dos // letras que puse al banquero / de Norvic, Enrique Fling, /
que es de Sudmer compañero, / a favor de Jorge Astur; / y hoy también noticia espero
/ que habrán sido pagadas.”
166
Vgl. Valladares (o.J.: 1; 10; 11; 12; 13).
167
Vgl. García Garrosa (1991: 91).
168
Valladares (o.J.: 18f., vv. 109-132).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
379
Der Rekurs des Dramas auf den bekannten Bibelvers169 zeigt, dass diese vom Schöpfer ebenso schnell genommen werden können, wie sie
gegeben wurden. In ähnlicher Weise findet sich das Gegensatzpaar engaño vs. desengaño in anderen ökonomiebezogenen Komödien der Aufklärung wieder, beispielsweise in Nicolás Fernández de Moratíns La
petimetra oder in Tomás de Iriartes El señorito mimado (1787) (vgl. Kap.
9.3.1 und 9.2). Auch dort wird das barocke Vanitas-Motiv in einen neuen Kontext gestellt, wenn es dazu dient, die von den petimetre-Figuren
ausgehenden ökonomischen Finten und Betrügereien zu charakterisieren, die zunächst erfolgreich ihr Geschäft des engaño betreiben, um
sodann im Zuge eines desengaño enttarnt zu werden.170 Bei Valladares
verbindet sich die Täuschung mit der notwendig auf sie folgenden
Ent-Täuschung jedoch nicht allein mit dem ökonomischen Konzept
des Besitztums, es wird darüber hinaus mit dem Gottvertrauen der im
katholischen Glauben Gefestigten verknüpft. Nicht zufällig verbindet
Valladares die barocken Motive mit dem Bibelzitat und unterstreicht
dadurch die Religiosität der Fabrikantengattin Fania.
Zugleich wird ihr Glaube an das bürgerliche Arbeitsethos gekoppelt. Der Glaube an Gott und die Tugend der industria lassen Fania
trotz aller Widrigkeiten darauf vertrauen, mittels ehrlicher Arbeit ihre
Familie ernähren zu können:
FANIA
Nosotros
hacer podemos que rinda
un trabajo honesto para
mantener nuestra familia.
Aún somos jóvenes.171
Hierbei tritt Fania nicht nur in der weiblichen Rolle einer ‚Hüterin
des Glaubens‘ und Nukleus der bürgerlichen Kernfamilie auf – eine
Rolle, in der sie ihren Gatten gemahnt, angesichts einer existenziell
bedrohlichen Situation Festigkeit im Glauben zu wahren. Sie vertritt
169
Job 1,21: „[...] Jehová dio y Jehová quitó. ¡Bendito sea el nombre de Jehová!”
Zitiert nach Reina, Casiodoro de (2009): Santa Biblia. Antiguo y Nuevo Testamento [1569],
ed. rev. Cipriano de Valera [1602]. Salt Lake City: La Iglesia de Jesucristo, p. 830.
170
Vgl. hierzu Schuchardt (2014: 268; 275ff.).
171
Valladares (o.J.: 19, vv. 134-136).
380 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zudem die Maxime, man könne sich mittels der bürgerlichen Tugend
des Fleißes am eigenen Schopfe aus der Misere ziehen. Bemerkenswert
ist, dass die von García Garrosa als christliche Tugend der resignatio
identifizierte Fähigkeit Fanias, das sich bietende Unbill durch Stärke
im Glauben zu ertragen und ihr gleichzeitiges Plädoyer für den Unterhalt der Familie durch ‚ehrbare Arbeit‘ – das ganz im Geiste der Real
Cédula steht – sich nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen.
Auch in diesem Stück steht Gott an der Seite der gläubigen Fleißigen.
In ähnlicher Weise wie der ökonomische Reformdiskurs des bourbonischen aufgeklärten Absolutismus sich nicht in Abgrenzung von
der Autorität der katholischen Kirche definiert, sondern mit ihr Hand
in Hand geht, wird die Arbeit als ein im Medium des Theaters propagierter und über die Figur des Unternehmers und seine Familie
wesentlich vermittelter Wert auch in diesem Stück auf die Basis des
katholischen Glaubens gestellt. Hinsichtlich der sich daraus ergebenden Kopplung von Ökonomie und Religion, die sich einmal mehr
über die Arbeit als Tugend vollzieht, verfährt Valladares ähnlich wie
Durán in seinem Lehrstück über den ‚Fabrikanten von Olot‘. Dass
es sich bei den arbeitsamen Protagonisten in beiden Fällen um einen
Textilfabrikanten handelt, ist kein Zufall, sondern wie auch im Falle
von Iriartes Komödie La señorita malcriada dem Umstand geschuldet,
dass der Textilsektor in jener Epoche als besonders förderbedürftiger
Industriezweig gilt. Nicht nur ist die Notwendigkeit gegeben, diesen
Sektor zu fördern, zugleich muss das politisch gewünschte bürgerliche Erfolgsstreben durch den Rahmen, den Krone und Kirche ihm
stecken, begrenzt werden. Angesichts der Französischen Revolution
zeigt sich darin neuerlich die Angst vor einem allzu selbstbewussten
Bürgertum.
Während bei Durán Monarchie und Religion gleichermaßen stark
konturiert werden, stellt Valladares die Religion in den Vordergrund.
Die Verortung der Handlung in England führt dazu, dass die Monarchie keine Erwähnung findet, ermöglicht es dem Autor jedoch, dem
Publikum im populären Theater den vir oeconomicus als einen von
der Real Cédula propagierten ökonomischen Akteur nahe zu bringen,
dessen Inszenierung eigentlich neoklassischen Autoren vorbehalten
war. Wie auch Guinard betont, beschreitet Valladares einen Mittelweg
zwischen einem Theater, das noch in der Nachfolge Calderóns steht,
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
381
und den Themen des Neoklassizismus.172 Dabei geht es angesichts der
anhaltenden Konflikte mit England allerdings weniger um den von
Guinard skizzierten „elogio de la laboriosidad y la actividad comercial
ingleses“173, als darum, dem spanischen Publikum die mit dem englischen Bürgertum verbundenen Werte der „laboriosidad“ und des
„núcleo familiar“174 dadurch zu vermitteln, dass sich die ZuschauerInnen maximal mit den auf der Bühne agierenden Figuren identifizieren.
Dementsprechend wird auch der im französischen Original von Wilson geplante Selbstmord, der im katholischen Spanien eine Ungeheuerlichkeit darstellt, ganz im Sinne der religiösen Doktrin verdammt,
wenn sich die Figur in Valladares‘ Fassung einer Moralpredigt Lord
Balttons unterziehen muss.175 Wie dies bereits in unserer Analyse der
Komödie Zavala y Zamoras ersichtlich wurde, fügt sich die Ansiedlung der Handlung in England aber auch in den seit den 1790er Jahren bestehenden „gusto por lo inglés“, der García Garrosa zufolge die
spanische Prosa und das Theater der Epoche gleichermaßen prägt.176
Wie Andioc in seiner Studie gezeigt hat, ist die Anglomanie im populären Theater kein singuläres Phänomen, sondern vielmehr Teil einer
„afición de los dramaturgos ‚populares‘“ für irische, russische, skandinavische oder preußische Settings, wie dies unter anderem Comellas
sentimentale Komödien La moscovita sensible (1794) und Federico II, Rey
de Prusia (1789b) veranschaulichen.177
Weitere Analogien zu der über die Figur des vorbildlichen Unternehmers vermittelten Kopplung von Ökonomie und Religion bestehen in göttlichen Fügungen zugunsten der ProtagonistInnen,
Schicksalswenden, die umso stärker ausgeprägt sind, je deutlicher der
Unternehmer der christlichen Tugend der caritas verpflichtet ist. Was
den ersten Aspekt anbelangt, werden Fania und ihre Mutter, Madama
Sambrig, durch eine plötzlich auftretende Krankheit der Tochter vor
einem Schiffbruch bewahrt, eine göttliche Vorsehung, die wiederum
dazu führt, dass der Textilfabrikant Wilson und Fania als künftige
Eheleute zusammengeführt werden, worin Wilson den ‚himmlischen
172
Vgl. Guinard (1984: 304).
Guinard (1984: 304).
174
Guinard (1984: 304).
175
Vgl. García Garrosa (1991: 92) mit Bezug auf Valladares (o.J.: 25, vv. 144-188).
176
Vgl. García Garrosa (2011: 9).
177
Vgl. Andioc (1987: 222).
173
382 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Willen‘ erkennt: „el Cielo [...] quiso [...]“. 178 In Analogie hierzu mahnt
auch der Kassierer Roberto Wilson angesichts seines Bankrotts, der
göttlichen Vorsehung zu vertrauen: „Confiad en la Providencia / que
a todo dará remedio, / señor [...].“179 Was den zweiten Aspekt betrifft,
zeigt sich dieser in der Bitte der minderjährigen Kaufmannstochter
Isabela an den Kassierer Roberto, einem vor der Tür um ein Almosen
bittenden Alten einen Real zukommen zu lassen, obwohl beide zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis über den drohenden Bankrott ihres
Vaters Wilson haben. Die hier in der Absicht Isabelas hervortretende
caritas wird dabei explizit als eine Tugend ausgewiesen, die dem Kind
durch den Vater vorgelebt wurde: „[...] A los menos, / Señor Roberto,
un realito. El Cielo, / dice mi papá, que da / ciento por uno [...].”180 Wie
schon im Falle Fanias wird die Religiosität einer mit dem vir oeconomicus in enger verwandtschaftlicher Beziehung stehenden weiblichen
Figur auch hier durch die Verwendung eines biblischen Vokabulars181
hervorgehoben. Als deutlich wird, dass der Tochter ihr Glaube durch
den Vater vermittelt wurde, erweist sich der Textilfabrikant – wie
schon Esteban aus Duráns Stück – auch hier als Vorbild im Glauben
und im guten Wirtschaften.
6.4.2. Bürgerliche Tugend versus adelige Finanzmacht
In ähnlicher Weise wie der Fleiß in Duráns La industriosa madrileña
als unternehmerische Tugend inszeniert wird, geschieht dies auch
178
Vgl. Valladares (o.J.: 5, vv. 546-548): „MADAMA SAMBRIG [...] una enfermedad, que a mi hija / acometió, y por lo mismo /dejé partir el navío / en que estaba ya
dispuesto / nuestro viaje, el cual, después / por unos avisos ciertos, / super naufragó
en las costas / de Irlanda. WILSON Ah, señora, el Cielo / os quiso salvar! Sabía que mi
bien estaba en esto.” Dass die Ehe Wilsons mit Fania eine Gottesgabe darstellt, spiegelt
sich auch in ihren Worten: „FANIA Y yo a un tiempo soy tu esclava / y tu esposa; ya
no tengo / que apetecer nada mientras / me tenga a tu lado el cielo.“ Valladares (o.J.: 9,
vv. 662-666). Dass Fania sich hier bereitweillig zur „esclava“ ihres Gatten erklärt, unterstreicht die patriarchale Autorität des Unternehmer-Paternalisten Wilson.
179
Valladares (o.J.: 10, vv. 718-720).
180
Valladares (o.J.: 9, vv. 624-628).
181
Isabelas Worte nehmen auf das von Jesus zitierte „Gleichnis vom Sämann“ Bezug. Vgl. Markus 4: 29, 8: „Y otra parte cayó en buena tierra, y dio fruto que broto y
creció; y dio a treinta, y a sesenta y a ciento por uno.“ La Santa Biblia, zitiert nach Reina
(2009: 1573).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
383
in Valladares‘ El fabricante de paños. Die industria erscheint hierbei als
eine unternehmerische Tugend, die vom Fabrikanten ausgehend auf
dessen Angestellte ‚abfärbt‘. So wird das Publikum zunächst Zeuge
einer komischen Szene, in der sich Roberto, der im Begriff ist, Einträge
ins Kassenbuch vorzunehmen, von Lord Balttons Lakai bei der Arbeit
gestört fühlt und entsprechend unwirsch reagiert.182 Sodann lässt er
ganz im Sinne der aufklärerischen Adelskritik, die hier der Lakai in
Stellvertretung seines Herrn über sich ergehen lassen muss, abfällig
verlauten:
ROBERTO
¡Qué hombres tan necios!
Se puso sobre el bufete
viendo que iba escribiendo.
Estas faltas de crianza,
y en un Inglés, son defectos
insoportables. [...]183
Auch Guinard geht in seiner Analyse des Stückes auf dieses soliloquio ein und weist es als Lob der englischen Tugenden aus, die dem
spanischen Publikum als lehrreiches Beispiel dienen sollen.184 Im weiteren Verlauf des Stückes wird deutlich, dass der von Roberto an den
Tag gelegte Fleiß eine Tugend ist, auf die sein Dienstherr größten Wert
legt. Auf Robertos Nachricht hin, die Gesellen wünschten Wilson zu
dessen bevorstehender Eheschließung mit Fania zu gratulieren, gemahnt der Fabrikant seinen Kassierer, die Gratulanten anzuhalten,
zunächst die von ihnen begonnenen Stoffe zu Ende zu weben:
WILSON
Mi dicha aumenta su gozo;
mas ya ves lo que intereso
en que los paños acaben
que están labrando. Iré a verlos
a sus telares después.
Diles no se aparten de ellos
y que les doblo la paga
182
Valladares (o.J.: 6, vv. 363-378).
Valladares (o.J.: 6, vv. 379-383).
184
Vgl. Guinard (1984: 304).
183
384 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
del trabajo que hayan hecho
esta semana.185
Eine mittelbare Adelskritik scheint auch angesichts eines Briefes
auf, den Lord Orcey186, der mit Wilson um Fanias Hand konkurriert,
Madama Sambrig geschickt hatte und den diese nun Wilson überreicht. Obgleich Orcey Fania „mis títulos, mi calidad y mi fortuna“187
zu Füßen legt und von seinem Diener im zweiten Akt als „muy amable, por compasivo y humano“ charakterisiert wird,188 sticht der Bürger Wilson schließlich seinen adeligen Mitbewerber aus. In den Augen
der ebenfalls bürgerlichen Sambrig überwiegen die moralischen und
unternehmerischen Fähigkeiten Wilsons die Summe des Kapitals des
Aristokraten, weshalb sie Fanias Hand stante pede Wilson zuspricht
und dies mit ihrer Enttäuschung über das unehrenhafte Verhalten
des Adeligen Lord Baltton erklärt, Fanias Vater. Zwar wird Baltton im
weiteren Verlauf des Stückes ‚rehabilitiert‘, wenn wiederholt dessen
guter Ruf betont wird und er es ist, der Wilson vor dem Selbstmord
bewahrt. Nichtsdestotrotz muss der Adel in diesem Stück hinter das
Bürgertum zurücktreten.
Während es in erster Linie finanzielle Besorgnisse sind, die die
bürgerlichen ProtagonistInnen in für das Publikum nachvollziehbarer
Weise umtreiben, steht die Macht des Geldes – oder vielmehr: des Goldes – auf Seiten des Adels, allerdings haftet ihr der Makel moralischer
Zweifelhaftigkeit an. Sambrig berichtet Wilson im Zusammenhang
ihrer emotionalen Verletzung durch Lord Baltton, der sie als Schwangere im Stich gelassen hatte (auch dies ist ein im spanischen Ambiente
undenkbarer Plot, der sich mit Blick auf die Zensur nur in England
ereignen kann), wie Baltton die Diener ihres Onkels bestach, um ihr
ungestört seine Liebe zu erklären, ohne dass ihr Onkel davon erführe:
MADAMA SAMBRIG
[...] Milord Baltton,
uno de aquellos primeros
grandes señores de Escocia,
185
Valladares (o.J.: 7, vv. 459-467).
Orcey wird im Stück zwar mehrfach erwähnt, tritt aber nicht in Erscheinung.
187
Valladares (o.J.: 3).
188
Valladares (o.J.: 15, v. 395f.).
186
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
385
logró verme en un paseo,
[...]
para poder declararme
su amor, y buscó y halló medios,
que la eficacia del oro
rinde a los criados luego.189
Dass die Hand Fanias, die in Ermangelung der Übernahme von
Verantwortung seitens ihres adeligen Vaters bürgerlich geblieben war,
mehr wert ist als alle Güter, verdeutlicht Valladares in einem Dialog
zwischen Wilson und Sambrig, in dem der Fabrikant betont, Fania benötige angesichts ihrer ‚Verdienste‘ keine Mitgift: „La mano de Fania
tiene / tan grandes merecimientos, / que no necesita bienes / que la
acompañen. [...]“190. Hier überwiegt die tugendhafte Fama einer Bürgersfrau den Status und die Finanzkraft eines Adeligen, wodurch ein
weibliches Analogon zum Seelenadel des vir oeconomicus geschaffen
wird.
Eine Rehabilitation erfährt der Adelsstand am Ende des dritten Aktes, als nicht nur Lord Baltton sich zu Madama Sambrig und deren
unehelicher Tochter bekennt, sondern auch Lord Orcey zu Wilsons
Gunsten interveniert und dessen Kassierer Roberto ein Papier im Wert
von 6.000 Pfund Sterling überreicht, wie der Angestellte in einem Botenbericht verlauten lässt. Die ehrbare Fania jedoch weist dieses Geschenk aus moralischen Gründen zurück, ist sie doch auf ihren Ruf
bedacht und zieht daher die finanzielle Misere dem Ehrverlust vor:
FANIA
[...]
Si esto se supiera en Londres,
de mi honor, di, ¿que dirían?
Vuelve ese dinero, y dile
que quiere estar constituida
189
Valladares (o.J.: 4, vv. 183-191). Fanias Verdienste – ihre Tugenden – stehen ihr
geradezu ins Gesicht geschrieben, „[...] en su rostro / pintada me parecieron / la honradez, la honestidad / y demás virtudes; y esto / me hizo creer que de las mismas / su
corazón era el centro”, was den Grad der Täuschung (engaño) und späteren Ent-Täuschung (desengaño) Sambrigs durch den an ihr von Baltton begangenen Verrat anzeigt.
Valladares (o.J.: 4, vv. 196-201).
190
Valladares (o.J.: 4, vv. 226-229).
386 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
antes Fania en la miseria
que ver su virtud perdida.191
Valladares‘ im Vergleich zum neoklassischen Theater milde Adelskritik, die auch in Lord Balttons ausführlicher Selbstanklage angesichts seiner moralischen Schuld gegenüber Madama Sambrig zum
Ausdruck kommt,192 kann ebenfalls als Konzession an das populäre
Theater und ein Publikum verstanden werden, das es aus der barocken Tradition heraus gewohnt ist, Adelige in der Rolle von ProtagonistInnen zu sehen.
Wie schon in anderen hier analysierten Stücken spielt auch in El
fabricante de paños neben der bürgerlichen Tugend der industria und
der christlichen caritas die prudentia eine Rolle, wenn Wilson Roberto
ermuntert, frei zu sprechen, als Roberto seinen Dienstherrn wegen des
drohenden Bankrotts zur Seite nehmen möchte: „Haz, Roberto, todo
aquello / que de dicte tu prudencia.“193 Die von Wilson angesprochene
„prudencia“ erscheint hier als bürgerliche Bedachtsamkeit im Sinne
eines Blicks für das rechte Maß und dient dazu, Wilsons Vertrauen
auf Robertos Gespür für die Situation zum Ausdruck zu bringen. Damit bezeichnet sie die Fähigkeit zu umsichtigem Handeln, eine Eigenschaft, die im Kontext unserer Analysen vor allem im Zusammenhang
mit weiblichen Charakteren wie Antonia, der Schwester des Kaufmanns Lorenzo, und Isabel, der Gattin des geizigen Kaufmanns Don
Roque, zutage getreten war. Der in den hier analysierten Stücken über
den Kaufmann und den Unternehmer betonte Aspekt der Ehrbarkeit
hat in Wilson einen weiteren bürgerlichen Vertreter. So bringt dieser
sein Mitleid mit seinen Gesellen zum Ausdruck, deren Gehalt er ihnen aufgrund seines Bankrotts schuldig bleiben musste, weshalb er
nun sein letztes verbleibendes Geld auf die Lohnzahlungen verwenden möchte. Das Verantwortungsgefühl, das der Unternehmer hier
für seine Angestellten zeigt, steht in Analogie zu der paternalistischen
Haltung des Textilfabrikanten Esteban aus La industriosa madrileña gegenüber seinen ArbeiterInnen.
191
Valladares (o.J.: 21, vv. 349-354).
Vgl. Valladares (o.J.: 24, vv. 21-33.).
193
Valladares (o.J.: 9, vv. 671f.).
192
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
387
6.5. Zwischenbilanz: Der vir oeconomicus, Protagonist der comedia
económico-sentimental
Die bisher unternommenen Analysen haben gezeigt, dass sich das
Wohl und Wehe des sich als Kaufmann und Fabrikant betätigenden
vir oeconomicus im sentimentalen Theater neoklassischer und populärer Prägung zwischen den Polen von Gewinn und Verlust entscheidet. Hierbei wendet sich das Schicksal als Ausdruck göttlichen Willens
(und der Konvention der Gattung Komödie gemäß) stets zugunsten
der nach den reformökonomischen Vorgaben des aufgeklärten Absolutismus vorbildlich wirtschaftenden männlichen Hauptfiguren.
Den gerechte Lohn, den die im bürgerlichen wie christlichen Sinne tugendhaften und um das Wohl ihrer Nation besorgten ökonomischen
Akteure am Ende für ihre Bemühungen erhalten, ist stets ebenso finanzieller wie moralischer Natur und besteht zumeist in einer den
vir oeconomicus bereichernden Ehefrau. Durch diese umsichtige Haushälterin können die hier skizzierten Kaufleute und Unternehmer ihr
finanzielles Kapital ebenso mehren wie ihr moralisches. Zuvor drohen
ihnen jedoch Verluste durch finanzielle Bankrotte, die ein Hindernis
für die geplanten Eheschließungen darstellen und damit zum Motor
der Komödienhandlung werden. Den bevorstehenden Konkurs haben
die Kaufleute und Unternehmer selbst nicht zu verantworten, wurden
sie doch entweder durch widrige Ereignisse, Intrigen oder unehrenhafte Geschäftspartner herbeigeführt. Der finanzielle und amouröse
Ruin schwebt wie ein Damoklesschwert über dem kaufmännischen
oder unternehmerischen oikos, um am notwendigerweise guten Ende
im letzten Moment abgewendet zu werden. Dies geschieht durch das
wohlmeinende Einschreiten staatlicher Autoritäten, d.h. der Monarchie und ihren Stellvertreterfiguren, oder, wie bei Durán, sogar durch
göttliche Intervention. Ermöglicht wird die Wende zum Guten aber
erst durch das moralisch vorbildliche Handeln der Protagonisten
selbst. Damit erscheint der Glückswechsel nicht als Zufall, vielmehr
ist er Teil des den Tugendhaften für ihre Anstrengungen zugestandenen ‚gerechten Lohns‘. Hierdurch wird ökonomisch und moralisch
vorbildliches Handeln als profitables Geschäft inszeniert, was Habermanns Beobachtung entspricht, dass „die monetären Kategorien
388 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Gewinn und Verlust“ die „positiven und negativen Anreize“194 des
homo oeconomicus bilden, der sich hier als vir oeconomicus erwiesen
hat. Wie der ‚ökonomische Mensch‘ nach Adam Smith sind auch die
hier skizzierten männlichen Protagonisten „durchaus fähig, [...] Altruismus als [...] Präferenz mit einzubeziehen“195. Das von Habermann
genannte Handlungsmotiv des monetären Anreizes wird in den hier
analysierten Wirtschaftskomödien über den Figurentypus des vir oeconomicus um die Aspekte von Liebe und Moral erweitert, wobei sich
der Liebesplot, der das zentrale Gattungsmerkmal der sentimentalen
Komödie ist, als Vehikel der moralischen und ökonomischen Didaktik
erweist.
Wie Fodor anhand des Begriffs des drame commercial gezeigt hat, ist
es gerade der drohende Bankrott als Nukleus der Handlung französischer Wirtschaftskomödien aus der Feder Beaumarchais‘, Merciers
und Sedaines, der den gewerbetreibenden Hauptfiguren Gelegenheit
gibt, ihre moralischen Prinzipien unter Beweis und ihre aufklärerische
Empfindsamkeit zur Schau zu stellen.196 Gleiches gilt für den vir oeconomicus in spanischen sentimentalen Komödien des ausgehenden 18.
Jahrhunderts, die einen deutlichen Wirtschaftsbezug aufweisen. Der
‚wirtschaftende Mann‘ erweist sich darin als Typus mit wiederkehrenden Eigenschaften, mehr noch: als Idealtypus eines ebenso propagandistisch wie ökonomisch motivierten Theaters, das auf der Bühne
das gute, von aufklärerischen Werten geleitete Wirtschaften vorführt.
Über sein versiertes Wirtschaften mit Gütern und Finanzen hinaus
führt der durch dieses Theater inszenierte vir oeconomicus eine Ökonomie der Affekte vor, deren Leitbild die bürgerliche Tugend der temperantia ist. Metonymisch dafür steht die Freundschaft als ‚gemäßigtes
Empfinden‘. Die in den sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung inszenierten ökonomischen und affektiven Ideale decken
sich mit den Leitlinien des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses, als da sind:
a) die Bedeutung von Handel und Industrie für das Prosperieren der
Nation;
194
Habermann (2008: 12).
Habermann (2008: 13f.).
196
Vgl. Fodor (2002: 469), s.o.
195
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
389
b) die Kongruenz von Selbstinteresse und Gemeinwohl197 und die daraus resultierende Notwendigkeit individuellen Fleißes;
c) der Patriotismus als freundschaftliche Verbundenheit der spanischen Untertanen miteinander und mit dem Staat.
Diese Ideale erscheinen ebenso im Reformdiskurs der Aufklärer wie in ihrer theatralen Inszenierung als funktionale Elemente im
Dienst der felicidad pública. So weist Forondas eingangs skizziertes Lob
des Handels deutliche Bezüge zu sentimentalen Komödien der Spätaufklärung und dem durch sie vermittelten Tugendkanon auf, dessen
Säulen die Mäßigung und die Empfindsamkeit sind. Diesbezüglich
resümiert Azpiazu:
Foronda se exalta ante la perspectiva de este negocio que no tiene pérdida,
y pasa a cantar [...] las excelencias del Comercio, a la que llama „encantadora deidad”, y su plan llega a sugerirle un mundo nada menos que
de „comerciantes-filósofos”, preocupados de la salud pública, que en este
caso llevarán a labrar la felicidad de España y de Asia... y así los españoles
serán ejemplos vivos de moderación y sensibilidad ante toda Europa...198
Was den die Komödien neben dem wirtschaftlichen Wohl und Wehe
motivierenden Liebesplot anbelangt, bestätigen auch die hier vorgenommenen Untersuchungen Schlünders Befund zum neoklassischen
Theaters Moratíns und Jovellanos‘, in dem „anders als in England,
Zuneigung und wirtschaftliche Interessen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern vielmehr miteinander versöhnt“ werden.199 Dieser
Umstand erklärt Schlünder zufolge auch das „Fehlen einer weiblich
kodierten[n] Sentimentalität“200, eine Absenz, die auch die hier unter197
Vgl. hierzu auch Schlünder (2018b: 324): „Die von Mandeville propagierte ökonomische Freiheit und positive Bewertung des Eigennutzes wird dementsprechend im
Rückgriff auf die jansenistische Idee des durch Sündenfall bedingten Eigeninteresses
dem spanischen Ökonomiediskurs anverwandelt: Ausgangspunkte eines ökonomischen Denkens, das in der Orientierung an Francisco de Vitoria den Einzelnen – und
damit sein Glücksstreben – im Gesellschaftskörper aufgehen lässt, können nicht per se
Selbstinteresse oder individuelle Glückseligkeit sein, vielmehr müssen diese auf ein
Gemeinwohl hin verpflichtet sein, als dessen Garant sich die christliche Ideologie vollzieht.“
198
Azpiazu (1984: 35) mit Bezug auf Foronda (1793a: 22f.).
199
Schlünder (2018b: 326).
200
Vgl. Schlünder (2018b: 340).
390 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
suchten Wirtschaftskomödien kennzeichnet, die den vir oeconomicus
inszenieren. Wie die theatrale Darstellung der Freundschaftsthematik zeigt, bestehen soziale Beziehungen jenseits des Liebesplots in den
untersuchten Stücken nahezu ausschließlich zwischen Männern. Eine
Ausnahme bildet die Freundschaft des Textilfabrikanten Eugenio aus
Iriartes La señorita malcriada zu Doña Clara. Als für die Abwesenheit
weiblicher Sentimentalität kausal erachtet Schlünder die „christlichreligiöse Färbung des ökonomischen Denkens in Spanien“ mit seiner
„Unterordnung des Einzelnen unter das Wohl der Gemeinschaft.“201
Die Analysen dieser Studie bestätigen diese Einschätzung.
Auf der Ebene der Funktion des aufgeklärten Theaters als propagandistisches Instrument nimmt der dort skizzierte ökonomische und
moralökonomische Idealtypus, als der sich der vir oeconomicus infolge
der hier angestellten Analysen erwiesen hat, die Rolle eines nach dem
Pastoratsprinzip agierenden ‚Hirten des Staates‘ ein. Dieses didaktische Prinzip führt Duráns Komödie mittels einer Stufung performativer Stellvertretungen am deutlichsten vor Augen. Damit erweist sich
der vir oeconomicus als durch das Theater imaginiertes Subjekt, das
dem Publikum die glückliche Unterwerfung des Einzelnen unter die
Gouvernementalität des absolutistischen aufgeklärten Staates sowie
die damit verbundene Profitabilität performativ vor Augen führt. So
bleibt festzuhalten, dass das Theater die politische Vision eines gänzlich in seiner wirtschaftlichen und sozialen Funktionalität aufgehenden Individuums transportiert. Diese Vision ist mit der des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses deckungsgleich.
Die mit den inszenierten idealen Haushalten verbundene Moralökonomie ist ebenfalls eine aufklärerische, die ihrerseits der Politischen Ökonomie verpflichtet ist. Tritt dabei im Theater zunehmend
ein – nicht selten durch Adelige wie den Fabrikanten von Olot repräsentierter – bürgerlicher Geist zutage, fällt der effektive politische Einfluss dieser Schicht in Spanien gering aus:
[...] es ist der durch Vernunft und Gefühl, Natürlichkeit und gesunden
Menschenverstand zusammengeschlossene Dritte Stand, der in Frankreich die Kraft hatte, sich politisch zur ‚Nation‘ zu konstituieren, der in
201
Schlünder (2018b: 340).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
391
Spanien 1806 [als dem Zeitpunkt der Aufführung von Moratíns El sí de las
niñas] einstweilen nur im Theater den Ton angibt.202
Auch der auf der Bühne agierende vir oeconomicus ist aber nicht
allein ein der Gouvernementalität unterworfenes Subjekt, vielmehr
fungieren die in einer Kette von Stellvertreterfiguren angeordneten
männlichen Protagonisten des Ökonomischen, die in Duráns La industriosa madrileña, in El hombre agradecido oder in La señorita malcriada zugleich als Ordnungsstifter fungieren, selbst als Platzhalter einer durch
den Monarchen repräsentierten patriarchalen Gouvernementalität.
Insbesondere das im Theater Duráns zum Tragen kommende Stellvertreterprinzip veranschaulicht einen bedeutsamen Mechanismus der
Politischen Ökonomie: Wird laut Vogl im Staat des 18. Jahrhunderts
die „aristotelische Trennung von oikonomia und chrematistike“ schon
allein deshalb unterlaufen, weil der „Staatsführer“ im Unterschied
zu dem seinen Haushalt überblickenden Hausvater „nur durch die
Augen anderer etwas sehen“ kann,203 nimmt der als Kaufmann oder
Fabrikant tätige Hausvater in den hier untersuchten spanischen Komödien der Spätaufklärung die Rolle eines stellvertretend für den Monarchen ‚sehenden Auges‘ ein. Damit wird er zum funktionalen Glied
eines Panoptikums, das über das gute und schlechte Wirtschaften der
Mitglieder des Haushaltes wacht, zu denen auch die im Unternehmen
des Hausvaters tätigen Angestellten und Lehrlinge zählen. Diese sind
ebenso Objekte der Überwachung wie sie selbst zu Wächtern werden.
Wenn die besagten Protagonisten darüber hinaus als Personifikationen bürgerlicher Tugenden fungieren, die zwecks Wahrung der
in Spanien traditionellen Einheit von Katholizismus und Krone entweder mit den christlichen Kardinaltugenden zur Deckung kommen
oder durch diese ergänzt werden, verkörpern sie damit zugleich den
vom Staatsapparat gewünschten idealen Menschentyp. Dieser zeichnet sich aus durch industria, modestia und temperantia sowie durch
prudentia als bürgerliche Variante der aufklärerischen ratio, ergänzt
durch christliche caritas. Während beispielsweise Marti dem spanischen 18. Jahrhundert eine zunehmende Entkopplung von säkularer
202
Jehle (2010: 187).
Vogl (2002: 55) mit Bezug auf Rousseau, Jean-Jacques (1977): „Abhandlung über
die Politische Ökonomie“. In: idem. Politische Schriften, vol. I, trans. Ludwig Schmidt.
Paderborn: Schöningh, pp. 9ff.
203
392 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ökonomischer und christlicher Moral attestiert, die ihm zufolge einen
Bruch zwischen religiös-individuellen und kollektiv-säkularen Wertvorstellungen herbeiführt,204 verbinden die hier untersuchten Stücke
christliche Moral und säkulare Ökonomie zu einer im Religiösen
verorteten Moralökonomie. Gerade die Tugend prudentia wird, wie
Strosetzki gezeigt hat, im Kontext des Colbertismus in Frankreich
bereits im 17. Jahrhundert als dezidiert kaufmännische Tugend markiert, etwa in Jacques Savarys Traktat Le parfait négociant (1675).205 Der
bürgerliche Tugendkanon der sentimentalen Komödie in Spanien
wird in den hier analysierten Beispielen durch die amicitia ergänzt,
die hier ebenfalls als bürgerliche Tugend erscheint, die insbesondere
bei Comella und Zavala y Zamora den Fokus der Handlung bildet. In
gleicher Weise wie die übrigen Tugenden verleiht sie dem gouvernementalen Wunsch Ausdruck, der Staatsbürger möge sich zum Patriotismus bekennen und aus patriotischer Gesinnung einen produktiven
Beitrag zur Nationalwirtschaft leisten.
Gelingt es der französischen Gattung des drame commercial letzten
Endes, das Smith’sche Dilemma206 zwischen Mitleid und Selbstliebe
insofern aufzulösen, als das noch bei Mandeville ungezügelte Selbstinteresse des vir oeconomicus nunmehr in den Dienst des Allgemeininteresses gestellt und damit gezähmt wird, 207 wird Mandevilles Motto
‚private vices, publick [sic] benefits‘ zugleich in den Leitspruch ‚private virtues, publick benefits‘ verkehrt.208 Ähnliches gilt für das spanische drama comercial ebenso wie für die sentimentale Komödie seit Lillo, und damit für eine Gattung, die sich im ‚sentimentalen Dreieck‘209
zwischen England, Frankreich und Spanien verbreitet und durch
204
Vgl. Marti (2012: 259).
Vgl. Strosetzki (2017: 14ff.).
206
Habermann (2008: 135) bezeichnet dieses Dilemma auch als „Doppelethik“, die
sich „durch Smith‘ gesamtes Werk“ ziehe und die sich in der „Annahme von vollkommenem Egoismus im Markt und vollkommenen [sic] Altruismus zu Hause“ zeige.
207
Vgl. zu diesem Dilemma Fodor (2002: 475).
208
Vgl. Fodor (2008: 475). Vogl (2002: 43f.) zufolge kann „Mandevilles berühmter
Untertitel als Formel dafür gelten, wie sich nun Leidenschaften wechselseitig neutralisieren, wie sie in Interesse rationalisiert werden oder wie sich in dem aus der Staatsräson stammenden Begriff des ‚Interesses‘ selbst die Wendung eines produktiven und
berechnenden Eigennutzes freisetzt.“ Vogl nimmt hierbei Bezug auf Hirshman, Albert
O. (1980): Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, trans. Sabine Offe. Frankfurt/Main: Suhrkamp, pp. 23-57.
209
Vgl. den Titel der gleichnamigen Studie von Fuentes (1999).
205
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
393
wechselseitige Einflüsse geprägt ist. Ebenso wie das drama comercial
verschränkt auch die sentimentale Komödie die Empfindsamkeit des
vir oeconomicus und sein wirtschaftliches Handeln, was zu einer Mäßigung sowohl der Ausgaben als auch der Leidenschaften führt. Ausgaben werden somit in Investitionen, Affekte in zarte soziale Bande
umgeleitet, wodurch der finanzielle und emotionale Exzess in sozialökonomisches Kapital umgemünzt wird, das letztlich dazu dient, den
bien común und die felicidad pública zu mehren. Der vir oeconomicus des
spanischen drama comercial ist daher nicht jenseits seiner gesellschaftlichen Funktionalität und seiner sozialen Beziehungen denkbar.
Für eine Übertragung des Begriffs des drame commercial auf das
spanische Theater der Spätaufklärung wurde bereits im Kontext der
Analyse von Zavala y Zamoras La Justina plädiert. Sie wurde für die
spanischen Wirtschaftskomödien angeregt, in denen Kaufleute als
Protagonisten auftreten. Dass die zentrale Handlungsachse des Bankrotts dabei nicht notwendigerweise in einem finanziellen Ruin bestehen muss, sondern auch einen Verlust an Ansehen bedeutet, hat
unsere Analyse von Moratíns El viejo y la niña gezeigt. Obgleich der
Begriff des drama comercial auf die spanischen Komödien, die sich in
der Tradition des London Merchant der Kaufmannsthematik verschreiben, anwendbar ist, vernachlässigt er sowohl die Bedeutung des Gefühls in diesen Stücken als auch die affektökonomische Kopplung von
Wirtschaft, Gefühl und Moral. Vor diesem Hintergrund plädiert diese
Studie für eine neue Genrebezeichnung, die der comedia económico-sentimental, der sentimentalen Wirtschaftskomödie. Diese ermöglicht es,
die hier vorgestellten und nach dem Pastoratsprinzip modellierten
Stücke nicht nur unter Berücksichtigung der verschiedenen Betätigungsfelder der in ihnen agierenden viri oeconomici zu fassen, sondern
auch in ihrer gesellschaftlichen Dimension. Die in den comedias económico-sentimentales entwickelte Moralökonomie wird damit als eine
Form des guten Wirtschaftens zum Wohle der Nation erkennbar, das
durch tugendhaftes Handeln gemäß einem bürgerlich-christlichen Tugendkanon gekennzeichnet ist. Zu den in der Gattung operierenden
viri oeconomici zählt neben dem ehrbaren Kaufmann auch der philanthrope Unternehmer-Paternalist, wie ihn Iriartes La señorita malcriada,
Duráns La industriosa madrileña und Valladares de Sotomayors El fabricante de paños inszenieren. Dies sind bei weitem nicht alle, jedoch für
die Gattung der comedia económico-sentimental repräsentative Figuren,
die es in künftigen Forschungen weiter auszudifferenzieren und zu
394 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
untersuchen gilt.210 Unter Berücksichtigung der von Fulda konstatierten Neigung der Gattung Komödie zum Ökonomischen sowie in Anbetracht des Umstands, dass es sich bei dem hier untersuchten Korpus
ausschließlich um sentimentale Komödien handelt, in deren Zentren
wirtschaftende ProtagonistInnen stehen, leistet der neue Gattungsbegriff der comedia económico-sentimental eine Aktualisierung der Bezeichnung drama comercial.
Die Akteure der sentimentalen Wirtschaftskomödie sind im Unterschied zu denen des drame commercial nicht ausschließlich Kaufleute,
sondern auch Unternehmer. Überdies inszeniert diese Gattung des
ausgehenden 18. Jahrhunderts in Spanien den Prototyp des vir oeconomicus als eine männlich-patriarchalische Verkörperung des Ökonomischen sowie als Subjekt einer Gouvernementalität, die das aus
reformökonomischer Warte ‚richtige Wirtschaften‘ ebenso vorführt
wie eine bürgerlich-katholische Moral- und Affektökonomie. Das mit
der Einführung des neuen Gattungsbegriffs verbundene Anliegen ist
nicht etwa, eine bestimmte Untergattung der sentimentalen Komödie
auszuweisen. Vielmehr geht es darum, die sentimentale Komödie in
ihrer über das Affektive hinausgehenden Dimension zu erkennen: In
Spanien ist sie einer neuen Moral verpflichtet, die traditionell christliche und bürgerliche Werte mit den Leitlinien der Politischen Ökonomie ebenso kombiniert wie mit aufklärerischen Werten (Bildung,
Erziehung, die Ehe als Beziehung zwischen Gleichgesinnten). Neben
Gefühlen werden in ihr also immer auch Finanzen, Güter, Berufsbilder, bürgerlich-religiöse Werte, aber auch Konzepte von Männlichkeit
und Weiblichkeit verhandelt. In diesem Sinne repräsentiert der in den
vorausgehenden Abschnitten untersuchte Figurentypus des vir oeconomicus zum einen eine hegemoniale, d.h. eine ökonomisch versiert
handelnde und finanziell potente Männlichkeit, die ihrerseits stellvertretend für einen monarchischen Souverän steht. Diesem wird seinerseits über den neuen männlichen Typus sowie durch das in den
Stücken erfolgende Königslob wirtschaftspolitische Kompetenz zugesprochen.
Dem vir oeconomicus wird am Ende der Komödien jeweils eine im
Haushalten ähnlich versierte Partnerin an die Seite gestellt, die mit
den Tugenden der Zurückhaltung, des Fleißes und der Keuschheit
210
Dies hat García Garrosa (2022) in Bezug auf die Figur des als Kaufmann tätigen
Unternehmers im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts getan.
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
395
dem bürgerlich-katholischen Weiblichkeitsideal entspricht (vgl. auch
Kap. 8.2.2f.). Was die durch den vir oeconomicus verkörperte hegemoniale Männlichkeit anbelangt, weist diese Schnittstellen mit dem aufklärerischen Männlichkeitsideal des hombre de bien auf, den Álvarez
Barrientos in Comellas sentimentalen Komödien Los falsos hombres de
bien (1790) und El hombre de bien (1796) verkörpert sieht und den er wie
folgt charakterisiert:
[...] este hombre de bien, que era razonable y había de trabajar para los
conciudadanos, tenía también una importante caracterización sentimental. En contra del viejo tópico, según el cual el siglo xviii y la Ilustración
son sólo razón, al acercarnos de la época vemos una y otra vez que, realmente, lo sensible está presente en la realidad y en la manera de entender
a los individuos. De este modo, el lector se va a encontrar con consejos y
personajes que representan a un hombre sociable y sensible [...].211
Der hombre de bien, der vor allem durch die sentimentale Komödie repräsentiert wird, ist also ebenso empfindsam wie vernünftig, ein
guter Ratgeber und überdies gesellig. Als Repräsentant eines neuen
Ideals im Dienste der felicidad pública kennzeichnet ihn außerdem die
Tugend der Mäßigung (temperantia), er ist arbeitsam und weiß seine
Gefühle und seinen beruflichen Ehrgeiz im Zaum zu halten und sie
mit Bedacht in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.212 Diese Eigenschaften eines neuen männlichen Typus, den Jehle mit dem Begriff des
‚zivilen Helden‘ bezeichnet hat (vgl. Kap. 4.4), sind in ihrer geschlechtlichen Dimension und in ihren Bezügen zur aufklärerischen Reformökonomie in unseren Analysen zutage getreten.
Ein weiteres wesentliches Zwischenergebnis dieser Studie besteht
in der Erkenntnis, dass es gerade die von der Literaturwissenschaft
mehrheitlich dem populären Theater zugerechneten Autoren wie
Comella, Valladares und Zavala y Zamora sind, die den vir oeconomicus, seinen geschäftlichen Erfolg, schuldlosen Bankrott sowie den ihn
umgebenden oikos zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Stücke machen.
Angesichts des offensichtlichen Wirtschaftsbezuges und der bereits
erwähnten Mühe, die einzelne Autoren auf die kaufmännische Detailtreue ihrer Stücke verwenden, erscheint die geringe Aufmerksamkeit,
211
212
Álvarez Barrientos (2005: 115).
Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 113).
396 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die ihnen bis Ende der 1980er Jahre seitens der literaturwissenschaftlichen Forschung zuteil wurde, um so erstaunlicher. Von einem langsam wachsenden Interesse an dem populären Theater zugerechneten
Dramatikern wie Valladares und Comella zeugen ab den 1980er Jahren die Studien Guinards und di Pintos,213 sowie seit den 1990ern die
Forschungen García Garrosas, Fernández Cabezóns und Angulo Egeas.214 Zuvor wurden populäre Dramatiker als Vertreter eines allein auf
Unterhaltung ausgerichteten und daher wenig anspruchsvollen Theaters abgetan. Bei den zu den „Neoklassikern“ gezählten Autoren wie
Moratín und Iriarte scheinen moralökonomische Themen wie die Eheschließung zwischen PartnerInnen mit großem Altersunterschied215
oder eine missglückte Erziehung das thematische Zentrum der Stücke
zu bilden, während die kaufmännische und unternehmerische Tätigkeit der zentralen Figuren eher ein Nebenschauplatz ist. Gerade der
Fall Comellas zeigt jedoch, dass die herkömmliche Trennung zwischen „populären“ und „neoklassischen“ Autoren einer Detailsicht
auf die aufklärerische und reformökonomische Dimension seiner Stücke nicht standhält. Den Eindruck vom ‚Neoklassizismus‘ Comellas,
der sicherlich nicht auf allen Ebenen gegeben ist und mitnichten alle
seine Stücke, wohl aber seine comedias económico-sentimentales kennzeichnet, erhärten nicht zuletzt auch die in unseren Analysen zutage
getretenen Parallelen von El hombre agradecido zu wiederkehrenden
Plotstrukturen des neoklassischen Theaters. Es scheint in diesem Zusammenhang vor allem die literarische Querelle mit Moratín zu sein,
213
Vgl. u.a. Guinard (1981); di Pinto (1988a) und idem (1988b): „Comella vs Moratín: Historia de una controversia“. In: Coloquio internacional sobre el teatro español de
siglo xviii. Abano Terme: Piovan, pp. 141-166 sowie Palacios (1998) und Angulo Egea
(2006). Guinard (1981: 166) ist einer der ersten, der das geringe Ansehen von Dramatikern des populären Theaters bemängelt: „On ne peut que regretter que le succès,
mérité, d’œuvres de premier plan comme celles d’Iriarte et de Moratín, ainsi, il faut le
reconnaître, que le discrédit qu’un Valladares de Sotomayor, un Comella, un Moncín,
et d’autres encore, [...] aient détourné jusqu’à présent les ‚estudiosos‘ de se pencher sur
ce théâtre de compromis [entre illustration et les goûts du public].“
214
Vgl. insbesondere García Garrosa (2022; 2011; 1996; 1990), Fernández Cabezón
(2002; 1996) und Angulo Egea (2006).
215
Dieses Thema verarbeitet Leandro Fernández de Moratín nicht nur in El viejo y
la niña (1786), sondern auch in El sí de las niñas (1801).
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
397
die die in der Forschung bis heute dominierende Sicht auf Comella als
einen „populären“ Autor bedingt.216
Insgesamt kann in Bezug auf den vir oeconomicus festgehalten
werden, dass es gerade dramaturgos populares wie Comella, Zavala y
Zamora und Valladares sind, die die Real Cédula und die Thematik
der als ehrbare Tätigkeiten deklarierten oficios viles in direkter Weise
umsetzen und damit deutliche Bezüge zum reformökonomischen Diskurs erkennen lassen.217 Ein Grund für die Orientierung des Theaters
an den Leitlinien der Reformökonomie mag in der insbesondere für
das populäre Theater gegebenen Notwendigkeit bestanden haben,
in möglichst kurzer Zeit möglichst viele publikumswirksame Stücke
zu produzieren, die zudem den staatlichen und kirchlichen Zensoren
zupass kommen müssen. Die französischen drames commerciaux mit
ihrem Fokus auf dem berufsbürgerlichen oikos stellen willkommene
Vorlagen bereit, um thematisch an die Real Cédula anschließen und
Stücke produzieren zu können, die dem vorherrschenden politischen
Interesse dienen. Damit erhöhen die Autoren ihre Chance, vor der
staatlichen Zensur zu bestehen, während die Einstreuung religiöser
Elemente ein Zugeständnis ebenso an die kirchlichen Zensoren wie an
die breite Volksmasse ist.
Maravalls zu Beginn des Abschnitts über den vir oeconomicus erwähnte These, dass das geschäftliche Gebaren des Kaufmanns der
neuen, säkularen und ‚verbürgerlichten‘ Sphäre zuzurechnen sei, während das private Agieren nach wie vor vom Religiösen durchdrungen
sei, wird insbesondere durch Duráns Stück über den wohltätigen Fabrikanten herausgefordert: Die christliche Tugend der caritas erweist
sich dort als Leitfaden unternehmerischen Handelns und ist gerade
nicht mehr auf die Sphäre des Privaten beschränkt. Auch in Valladares
de Sotomayors El fabricante de paños entspricht das von der titelgebenden Figur vorgelebte Prinzip, trotz eigener finanzieller Bedrängnisse
Almosen an Bedürftige zu vergeben und zunächst die notleidenden
Angestellten zu entlohnen, ehe man an sich selbst denkt, einer ebenso geschäftlichen wie privaten Handlungsmaxime. Die Kopplung des
(moral)ökonomischen Handlungsraums an das Religiöse fügt sich
in das, was Witthaus als „Anthropologisierung des ‚ökonomischen
216
Entsprechend bezeichnet auch Angulo Egea (2006: 79) ihn als „uno de los principales dramaturgos populares de la época“.
217
Eine Ausnahme bildet hierbei Duráns Stück über den Fabrikanten von Olot.
398 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Denkens‘“ bezeichnet hat, ein Phänomen, das er im Zusammenhang
mit dem bourbonischen Reformdiskurs gegeben sieht:
Wenn nachfolgend insbesondere das 18. Jahrhundert in den Fokus rückt,
wäre zu fragen, inwiefern in den ökonomischen Traktaten jener Zeit, unter
der Ägide eines ‚Willens zur Reform‘, nicht nur der Handel als ethische
Lebensform rehabilitiert wird, sondern darüber hinaus sich eine, von Vogl
für das 18. Jahrhundert konstatierte, aber vielleicht von der diskursiven
Montage differente Anthropologisierung des ‚ökonomischen Denkens‘
[...] beobachten lässt. Kultur, Religion und Ökonomie erscheinen somit
nicht länger als einander ausschließende Lebensbereiche.218
In den hier betrachteten Stücken manifestiert sich die besagte Anthropologisierung des Wirtschaftlichen nicht in erster Linie – wie von
Witthaus für die ökonomischen Traktate der spanischen Aufklärung
vermutet – im Sektor des Handels, sondern vor allem in der Industrie.
Wie auch Witthaus kritisch hinterfragt, scheint es sich zwar „durchgesetzt zu haben, ökonomisches Denken“ in der Nachfolge Max Webers
„immer mit dem Protestantismus in Verbindung zu bringen“,219 offensichtlich ist aber gerade für spanische comedias económico-sentimentales auch eine bisher nicht vermutete Verknüpfung von Katholizismus
und Ökonomie zu konstatieren.220
Wenn von den Bühnen des französischen Nachbarn mit der Revolution auch der Typus der ehrbaren Kaufleute und verantwortungsvollen Unternehmer verschwindet, um zweifelhafteren, auf die
eigene Bereicherung ausgerichteten Akteuren Platz zu machen,221 die
ihrerseits die ausbeuterischen Kapitalisten eines durch sozialistische
Theorien beeinflussten literarischen Naturalismus vorwegnehmen,
verhält sich dies mit Blick auf die spanische Theaterlandschaft anders:
218
Witthaus (2017: 154).
Witthaus (2017: 154).
220
Nach einer solchen ‚Ökonomie des Katholizismus‘ fahndet auch das Forschungsprojekt Seelen und Yerba ernten: Franziskaner und Jesuiten als Wirtschaftsexperten
im transatlantischen Verflechtungsraum (1535–1750) (2019-2022) unter der Leitung von
Philip Knäble.
221
Vgl. Niklaus (1978: 155). Als Beispiele für die im Folgende dominierende, kritische Betrachtung insbesondere des Kaufmanns führt Niklaus (1978: 154) La Question
d’Argent (1857) von Alexandre Dumas fils an sowie Henri Becques Les Corbeaux (1882)
und Octave Mirbeaus Les Affaires sont les affaires (1903).
219
6. Vir oeconomicus II: Die männliche Typisierung der Industrie
399
Nach der napoleonischen Invasion verschwinden die Kaufmannsund Unternehmerfiguren zunächst nahezu gänzlich von den Bühnen
der Halbinsel. Ausnahmen von dieser Regel bilden die noch bis in die
1840er Jahre hinein aufgeführten Komödien Moratíns als fortlebendes
‚Erbe‘ der spanischen Aufklärung.222 Der vorbildliche vir oeconomicus
des vorausgehenden Säkulums wird im Spanien des 19. Jahrhunderts
teils von den rebellischen Figurentypen der Romantik der 1830er und
1840er Jahre abgelöst, teils findet er keinen Raum in einer Theaterlandschaft, dessen publikumswirksame ‚Bestseller’ neben Parodien
romantischer Stücke und historischen Komödien nach wie vor die
schon im 18. Jahrhundert äußerst populären comedias de magia sind.223
Erst mit der alta comedia als einer Gattung, die sich den Besorgnissen des gehobenen Bürgertums, seinen Sitten und seiner Arbeitswelt
zuwendet,224 erscheinen Kaufleute – nun erweitert um wirtschaftliche
Akteure wie Spekulanten und Bankiers – erneut auf spanischen Bühnen. Systematische Untersuchungen zur Entwicklung, die die literarische Figur des Fabrikanten im Laufe des 19. Jahrhunderts nimmt,
stehen noch aus. Festzuhalten ist für die Literatur dieser Epoche, dass
das Bild eines ehrbaren vir oeconomicus nun einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Dies geschieht im Bereich des Theaters vor allem in der Gattung der alta comedia, wenn diese ‚Laster, Gier, Ehrgeiz
und Untreue auf individueller Ebene‘ dergestalt inszeniert, dass nun
die ‚Figurenpsychologie‘ und die ‚Beweggründe des Einzelnen‘ in den
Vordergrund rücken.225 Entsprechend werden Themen wie die Korruption – etwa in Tomás Rodríguez y Díaz Rubís (1817-1890) El arte
de hacer fortuna (1845) – genauso thematisiert wie Geldgier und Erpressung, wie Manuel Tamayo y Baus (1829-1898) sie in La bola de nieve (1865) verhandelt.226 Es scheint, dass sich der wirtschaftende Mann
erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts und im Zuge einer wachsenden Kritik an den Figuren des aufklärerischen Theaters vom Idealtypus des
vir oeconomicus zum Individuum wandeln kann, das von Schwächen
222
Vgl. Gies (1994: 51ff.). Wenn von einem Fortleben der Kaufmannsfigur in dieser
Zeit überhaupt die Rede sein kann, dann vor allem durch die anhaltende Aufführung
der Stücke Moratíns.
223
Vgl. Gies (1994).
224
Vgl. Gies (1994: 231ff.; 291).
225
Gies (1994: 232), meine Übersetzung.
226
Vgl. Gies (1994: 237f.). Die Korruption ist Gies zufolge ein die öffentliche Debatte
der 1860er Jahre prägendes Thema.
400 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ebenso gekennzeichnet ist wie von Stärken und Emotionen. Das affektive Moment kommt dabei deutlich verhaltener zum Ausdruck, als
dies noch in der comedia económico-sentimental oder in der Komödie
der Romantik der Fall war. Züge einer solchen ‚Individualisierung‘
zeigt etwa die Figur des Geschäftsmanns Mariano aus El tejado de vidrio (1863) von Adelardo López de Ayala (1828-1879).227
Abschließend kann festgehalten werden, dass im Verlauf des spanischen 19. Jahrhunderts ausgerechnet der Zeitpunkt, an dem die Macht
der Monarchie schwindet und die zum wohlhabenden Großbürgertum avancierten Mittelschichten zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss erlangen, das literaturhistorische Moment markiert, an dem sich
der aufklärerische vir oeconomicus, verstanden als männlicher „Idealtypus eines Entscheidungsträgers“, ins Negativ des „eigennützig und
prinzipiell ungesättigt nach Nutzenmaximierung strebenden Prototyp[us‘]“228 verkehrt. Es ist die nunmehr faktisch erreichte Finanzmacht
des in den comedias económico-sentimentales noch so mühsam beworbenen unternehmerisch tätigen Adeligen und Bürgers, die ab Mitte
des 19. Jahrhunderts Besorgnisse hervorruft, die nicht nur im Roman,
sondern auch im Theater ab 1850 mit zunehmender Deutlichkeit zum
Ausdruck kommen.229
227
Vgl. Gies (1994: 249f.).
Wunderlich (1989: 9), s.o.
229
Vgl. hierzu die schon genannten Stücke von de la Cámara, Galdós, Botella y
Andrés, Francos Rodríguez und Clarín, deren männliche Protagonisten Arbeiter und
Banditen sind, die Missstände anprangern und damit zu ‚Helden des Volkes‘ und Anwälten ihrer Klasse werden.
228
7.
VIR FABER UND VIR RUSTICUS:
MÄNNLICHE TYPISIERUNGEN DES HANDWERKS
UND DER LANDWIRTSCHAFT
Wie in den vorherigen Analysen zu den Figuren zum Kaufmann und
zum Fabrikanten als ökonomischen Typen bereits deutlich wurde,
sind die in der comedia económico-sentimental agierenden ProtagonistInnen nicht als Individuen zu betrachten. Stattdessen sind sie prototypische Vertreter ihres bürgerlichen Standes und ihrer Berufsgruppe,1
„representantes de una condición“2 also, die sich durch wiederkehrende Eigenschaften auszeichnen. Sie und das Geflecht ihrer auf der Bühne entworfenen sozialen Beziehungen stehen für Lebensbedingungen
innerhalb bestimmter Kräfteverhältnisse und wechselseitiger Abhängigkeiten, die für die Gesellschaftsschichten, die sie als Pars pro Toto
repräsentieren, bestimmend sind. Ihre inneren Konflikte sind daher
auch nur dort von Interesse, wo sie geschriebene oder ungeschriebene
Normen dieser Gemeinschaft tangieren.3 Die auf der Bühne gezeichneten Sittengemälde arbeitender Menschen dienen dazu, dem Publikum Konzepte von Bürgerlichkeit zu vermitteln,4 sei es seitens des
aufgeklärten Absolutismus, der insbesondere das neoklassische Theater als Medium staatlicher Propaganda nutzt, sei es seitens des populären Theaters, das Unterhaltung und aufklärerischen Diskurs verbindet. Die genaue Beschaffenheit dieser Konzepte des Bürgerlichen
nehmen unsere Analysen in ihrem Bezug zum reformökonomischen
Diskurs in den Blick. Dabei soll der Umstand Berücksichtigung finden, dass das spanische Bürgertum des ausgehenden 18. Jahrhunderts
1
Vgl. auch García Garrosa (1990: 155).
García Garrosa (1990: 155).
3
Als Dreh- und Angelpunkt der sentimentalen Komödie identifiziert García Garrosa
(1990: 156) daher „la pintura de las condiciones [...] de los hombres que trabajan“.
4
García Garrosa (1990: 156).
2
402 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eben gerade keine sich über ein dezidiertes Klassenbewusstsein oder
eine Ideologie definierende soziale Schicht ist,5 sondern die besagte
mentalitätsgeschichtlich definierte anthropologische Gruppe. García
Garrosas These vom sentimentalen Theater als Vehikel einer ‚Ideologie des Bürgerlichen‘ ist also vor dem Hintergrund der hier analysierten Stücke zu prüfen. Dies soll zum einen im Hinblick auf die Art und
Weise geschehen, wie diese Stücke vorwiegend männliche Figuren,
die in Handwerk, Landwirtschaft und im Kleingewerbe tätig sind, als
Repräsentanten körperlicher Arbeit zeichnen, wobei in diesem Kapitel
auch eine weibliche Figur als Repräsentantin der werktätigen Landbevölkerung Gegenstand der Untersuchung sein wird. Zum anderen
gehen wir der Frage nach, wie diese Figuren zu anderen in Beziehung
stehen: Dies betrifft den strukturellen Aspekt der Figurenkonstellation, -komposition und -gewichtung, die ihrerseits ebenso über den gesellschaftlichen Status der in Spanien im 18. Jahrhundert zahlenmäßig
größten Gruppe der körperlich Arbeitenden Auskunft gibt, wie sie die
Moral der analysierten Werke in der theatralen Fiktion entwirft.
Nicht nur die Sektoren von Handel und Industrie, sondern auch die
Bereiche des Handwerks und der Landwirtschaft erweisen sich also
als ein thematischer Schwerpunkt der comedia económico-sentimental,
wobei jeder der vier Sektoren durch einen bestimmten Figurentypus
repräsentiert wird. War dies für Handel und Industrie der durch den
Kaufmann und den Fabrikanten repräsentierte Typus des vir oeconomicus, metonymisieren Handwerker den Bereich der Zünfte, während die Figur des Bauern für die Landwirtschaft steht. Beiden, dem
Handwerker und dem Bauern, ist gemein, dass sie eine körperlich
anstrengende Tätigkeit ausüben. In Analogie zum bereits untersuchten kaufmännisch und unternehmerisch tätigen Typus des vir oeconomicus werden Handwerker und Bauer hier unter dem Figurentypus
des vir faber6 subsumiert, ein Begriff, dessen geistesgeschichtliche und
5
Vgl. Anes (1981: 18); Díez Rodríguez (2014: 29); Maravall (1979: 299).
Vgl. zur Geschichte des arbeitenden Menschen Díez Rodriguez‘ historische Studie zum homo faber, die sich mit ökonomischen Diskursen des 18. und 19. Jahrhunderts über Arbeit und arbeitende Menschen in Spanien, Italien, England und Frankreich sowie mit den wechselseitigen Diskursbeeinflussungen der Schulen vom frühen
Merkantilismus bis hin zum Marxismus auseinandersetzt. In Analogie zum Bürgertum
definiert auch Díez Rodríguez den homo faber als eine anthropologische Größe. Vgl.
Díez Rodríguez, Fernando (2014): Homo faber. Historia intelectual del trabajo, 1675-1945.
Madrid: Siglo XXI.
6
7. Vir faber und vir rusticus
403
ideologische Dimension das Kapitel 7.1. über „trabajo manual und homo
faber im (vor-)aufklärerischen Diskurs“ herleitet. Schon Farr verweist
in seiner Monographie Artisans in Europe (2000) darauf, dass die zunächst simpel anmutende Frage, wie ein/e HandwerkerIn zu definieren sei, umso komplexer erscheint, wenn man das breite Spektrum des
Status einzelner Gewerbe und beruflicher Funktionen innerhalb der
Zünfte berücksichtigt. Diese bilden ein rigides soziales System, das
sich durch einen hohen Grad an Hierarchisierung, eine eigene Rechtsprechung und strikte Regularien auszeichnet und seinen Mitgliedern
eine entsprechend große Bereitschaft abverlangt, sich diesem System
unterzuordnen.7 Das Spektrum der männlichen Handwerker reicht
vom einfachen Lohnarbeiter, der auf der untersten Stufe steht, über
Lehrlinge und Gesellen bis hin zum Meister. Im Bereich der Meister
sind die, die sich gemeinsam mit Gesellen und Lehrlingen physisch
betätigen, von jenen zu unterscheiden, deren Tätigkeitsbereich sich
auf das Unternehmerische verlagert und neben Planung und Investition auch den Vertrieb von Produkten umfasst.8 Letztere sind von
Kaufleuten kaum zu unterscheiden.9 Auch das Selbstverständnis der
Handwerkerschaft fußt, wie Farr betont, seit dem Mittelalter weniger
auf dem Konzept der ‚(physischen) Arbeit‘ oder gar auf einem Selbstverständnis als ‚Produzent‘ einer Ware, sondern vielmehr auf dem
hierarchischen System der Zünfte selbst, das ihnen einen bestimmten
sozialen Rang zuweist. Vor diesem Hintergrund gilt es, den Begriff
der ‚Arbeit‘, den die hier untersuchten Figurentypen des Handwerkers, des Bauern und des Kleingewerbetreibenden in metonymischer
Funktion auf der Bühne verkörpern, nicht etwa – wie dies neben Marx
auch die klassische Ökonomie getan hat10 – als eine natürliche menschliche Grundbedingung, und damit statisch, zu verstehen. Vielmehr ist
Arbeit ein symbolisches Gut innerhalb eines Tauschprozesses, durch
das Individuen nicht nur ihren eigenen Platz in der Gesellschaft, ihren
„sozialen Status“ verhandeln,11 sondern auch die Grundannahmen,
7
Vgl. Farr (2000: 26).
Vgl. Farr (2000: 3).
9
Vgl. Farr (2000: 3).
10
Vgl. Farr (2000: 3): „Marx, for all his historicism, nonetheless ‚naturalized’ labor
no less than classical economists like Adam Smith or David Ricardo had before him,
making it the foundation of the edifice of culture.“
11
Vgl. Farr (2000: 5). Farr schlägt vor, den gesellschaftlichen Platz des Handwerkers
als „a product of symbolic exchanges“ zu begreifen, „where labor was a sign of social
8
404 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
auf denen diese Hierarchien fußen.12 Der soziale Status des arbeitenden Menschen und die durch ihn begründeten Verhältnisse sind demnach nicht nur Indikatoren gesellschaftlicher Hierarchien, sie bilden
auch das Moment, an dem Veränderungen am ehesten sichtbar werden. Gleiches gilt für die Art und Weise, wie Arbeit in den Künsten
– so auch auf der Bühne – repräsentiert wird.
In Analogie zum Handwerker wird in dieser Studie auch der theatrale Typus des Bauern unter dem Begriff des vir rusticus subsumiert.
Für die Stücke, die von Bauernfiguren handeln, ist der Begriff geeignet,
den charakteristischen Gegensatz zwischen einem als intrigenreich
dargestellten Stadtleben und einem pittoresk-idyllischen Landleben
zu markieren.13 Wie zuvor der Terminus vir oeconomicus unterscheiden auch die Begrifflichkeiten vir faber und vir rusticus zwischen einer
Mehrzahl auf der Bühne repräsentierter Männer aus dem Bereichen
Werkarbeit und Landwirtschaft und einer Minderzahl weiblicher
Figuren. Wie Haidt in ihrer Studie gezeigt hat,14 tauchen arbeitende
Frauenfiguren zwar im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts – und
vor allem im sainete – auf, fungieren aber nur selten als idealisierte
Repräsentantinnen industrieller Produktion im Kontext der Reformökonomie.
Während der vir faber in den untersuchten Komödien im Bereich
der Produktion von Gegenständen des täglichen Gebrauchs bzw. in
der Förderung von Rohstoffen anzusiedeln ist und seine historisch
begründete Geringschätzung seitens der Gesellschaft in den untersuchten Komödien immer wieder zur Debatte steht, ist der vir rusticus
von dieser Missachtung ausgenommen. Seiner den Nahrungsmittelbedarf deckenden Tätigkeit wird auch im Theater größere Achtung zuteil als dem vir faber, was vor allem dann der Fall ist, wenn es sich um
einen wohlhabenden Bauern handelt. In den populären Varianten der
place as well as a means of survival or material accumulation”. Arbeit ist demnach in
erster Linie ‚soziales Kapital’ von (je nach Tätigkeit) hoher oder geringer Kaufkraft.
Erst in zweiter Linie dient sie dem Bestreiten des Lebensunterhalts.
12
Vgl. Farr (2000: 4) mit Bezug auf Rosser, Gervase (1997): „Crafts, Guilds and the
Negotiation of Work in the Medieval Town“. In: Past and Present, 154, pp. 3-31, hier p. 3.
13
Differenzierte Einsichten in (ländliche) Idylle verspricht das zum Zeitpunkt des
Erscheinens dieser Monographie noch nicht verfügbare Handbuch Idylle. Vgl. Gerstner,
Jan/Heller, Jakob C./Schmitt, Christian (eds.) (2022): Handbuch Idylle. Verfahren – Traditionen – Theorien. Stuttgart. Metzler.
14
Vgl. Haidt (2011).
7. Vir faber und vir rusticus
405
comedias económico-sentimentales entstehen kostumbristisch-pittoreske,15
selten progressiv liberalistisch anmutende Darstellungen arbeitender
Menschen, die mit ihrem Fleiß und der Bereitschaft, sich körperlich anzustrengen, die Gegenfolie zu einem durch Müßiggang und Hinterlist16 gekennzeichneten niederen Adel bilden, während der gehobene
Adel meist durch vorbildliche gesellschaftliche Leistungsträger wie
Minister, Richter und andere Staatsvertreter repräsentiert wird. Trotz
aller Adelskritik bleibt der höhere soziale Status des Adels gegenüber
der Gruppe der Werktätigen in der Mehrzahl der Theaterstücke unbestritten.17 Was das Figurenarsenal der comedias económico-sentimentales betrifft, die körperlich arbeitende Menschen inszenieren, sind dies
Schneider, Bergleute, Tischler18 und Lumpensammler. Dass diese Figuren nach Jahrhunderten der sozialen Ächtung nun plötzlich theatrale
Relevanz gewinnen, ist, ebenso wie die Repräsentation des Kaufmanns
und des Fabrikanten, auf die Real Cédula von 1783 zurückzuführen,
die die Ehrbarkeit des trabajo manual proklamiert. Dass die ‚Ehre‘ bzw.
‚Ehrbarkeit‘ eines Handwerkers nicht nur „the key badge of artisanal
status“ ist, sondern je nach Rang innerhalb der Zunft verschiedene Bedeutungen hat, verdeutlicht Farr:
Honorable, however, could mean a variety of things. For the master craftsman it could mean economic solvency and heading one’s own reputable
business and respectable household, while for a journeyman it surely
meant being subject to no one’s discipline, with no restriction on one’s
freedom of movement.19
15
Ein Beispiel für einen solchen locus amoenus der Arbeit findet sich etwa in Fermín
del Reys La modesta labradora (1791), wo der Nebentext noch vor Beginn des eigentlichen Dramas das Bild einer fröhlichen, singenden und tanzenden Arbeiterschar zeichnet. Vgl. Rey, Fermín del (1791): La modesta labradora. Madrid: Antonio Espinosa, p. 1.
Vgl. auch die nachfolgende Analyse dieses Stücks in Kap. 7.6.
16
Ränke schmieden kann der Adelige deshalb, weil er in Ermangelung eines Berufes Zeit dazu hat. In diesem Sinne ist die Intrige eine Betätigung, die dem adeligen
Müßiggang entspringt.
17
García Garrosa (1990: 156) spricht diesbezüglich von der „ociosidad de la aristocracia“. Nicht immer jedoch besteht der größte Makel der (mehrheitlich männlichen)
adeligen Protagonisten in den von García Garrosa untersuchten Komödien in ihrer Untätigkeit. Vielmehr zeichnen sie sich durch einen negativ skizzierten Standesdünkel aus.
18
Vgl. auch García Garrosa (1990: 156), die in diesem Zusammenhang „costureras,
carboneros, carpinteros“ aufzählt.
19
Farr (2000: 6).
406 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dass die Real Cédula mehr rhetorischer Natur ist, als sie bestehende
Hierarchien in Frage stellt und so zu einer tatsächlichen Verbesserung
der sozialen Anerkennung von HandwerkerInnen und Werktätigen
beiträgt, tritt unter den im Folgenden untersuchten Beispielen in Cándido María Trigueros‘ neoklassischer Handwerkskomödie Los menestrales (1784) am deutlichsten hervor. Hierbei handelt es sich um ein
Stück, das die rhetorische Natur der königlichen Verfügung nahezu
spiegelbildlich reproduziert. Die folgenden Analysen eruieren, inwiefern Beispiele des reformierten Theater, aber auch am Volksgeschmack
orientierte Schöpfungen, dazu beitragen, über ihre Darstellung von
Handwerkern und Bauern bestehende Hierarchien zu untermauern
– und wo diese Hierarchien in einzelnen Momenten untergraben werden. Es ist anzunehmen, dass eine Infragestellung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung angesichts einer omnipräsenten staatlichen
und kirchlichen Zensur nur punktuell und indirekt erfolgen kann. Ein
wesentlicher Grund für die affirmative Haltung des neoklassischen
ebenso wie des populären Theaters gegenüber etablierten sozialen
Hierarchien ist sicher das Ineinandergreifen von Zensur und Gesetzgebung.20 Beide bewirken, dass im Theater der gesetzlich verankerten
Konvention stattgegeben wird, dass Ehen nur zwischen Beteiligten
gleichen gesellschaftlichen Ranges geschlossen werden dürfen. Wie
auch das Beispiel von Valladares de Sotomayors‘ El carbonero de Londres (1790) zeigt, greifen die Dramatiker zum Ausgleich von Standesunterschieden nötigenfalls auf plötzliche Handlungsumschwünge
zurück.
Wie schon die Söhne und Töchter der Kaufleute müssen sich auch
die Nachkommen der in der comedia económico-sentimental repräsentierten Handwerker und Werktätigen den bestehenden Konventionen
20
Dem hier bereits zur Sprache gekommenen Aspekt des matrimonio desigual widmet García Garrosa (1990: 102ff.) ein ausführliches Kapitel. Sie (1990: 122) verweist
– ebenso wie Aguilar Piñal – auf die entsprechende Gesetzgebung, u.a. auf die „Pragmática de 1766 (Nov. Recop., X, 2, 9)“, die ihr zufolge 1790 um den Zusatz erweitert
wurde, dass die Betreffenden bei Missachtung von der Erbfolge auszuschließen seien.
Aguilar Piñal datiert die Real Pragmática seinerseits auf den 23. März 1776. In beiden
Verordnungen werden Eheversprechen von Partnern unter 25 Jahren für illegal erklärt,
um die väterliche Autorität zu stärken und sozial ungleiche Ehen zu verhindern. Vgl.
Aguilar Piñal, Francisco (1997): „Introducción“. In: Idem (ed.). Los menestrales. Comedia
premiada el 1784 por el Ayuntamiento de la Villa de Madrid. Sevilla: Universidad de Sevilla,
pp. 9-56, hier p. 31.
7. Vir faber und vir rusticus
407
gemäß am Ende als Adelige erweisen, wenn sie in höhergestellte Schichten einheiraten möchten. Dies trifft etwa auf die Figur der
Inés aus Fermín del Reys La modesta labradora (1791) zu, die glaubt,
die Tochter eines Bauern zu sein, in Wahrheit aber die Nichte eines
Grafen ist; oder auf die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña, die am Ende ebenfalls eine Gräfin sein muss, um dem adeligen
Fabrikanten Esteban eine im Sinne des Gesetzes und der moralischen
Konvention angemessene Ehefrau sein zu können. Eine zweite in den
Stücken anzutreffende Variante besteht darin, dass sich umgekehrt
herausstellt, dass die betreffenden Nachkommen aus einfacheren Verhältnissen stammen, als zunächst gedacht. Dies ist in Bezug auf die
vermeintliche Gräfin Enriqueta aus Valladares‘ El carbonero de Londres
der Fall, die am Ende erfährt, dass ihr Vater ein einfacher Diener und
nur ihre Mutter adelig war, was es ihr ermöglicht, den einfachen Bergmannssohn Genaro zu ehelichen. In einer dritten Variante steigen die
Söhne und Töchter werktätiger Eltern in der sozialen Hierarchie auf,
um die Standeskluft zu überbrücken. Dies ist ebenfalls in El carbonero
de Londres der Fall, wenn Genaro zum Hauptmann des königlichen
Regiments ernannt wird. Damit ist El carbonero de Londres eines der wenigen Beispiele, das einen Ausgleich der Standesunterschiede dadurch
erreicht, dass es die Partner auf der Ebene der sozialen Hierarchie einander annähert. Der adelige weibliche Part steigt um eine Stufe ab,
der bürgerliche männliche hingegen um eine Stufe auf. Comellas El
buen labrador (1791) nimmt demgegenüber eine Umkehr der zu Beginn
exponierten sozialen Verhältnisse vor: Der prätentiöse Adelige Don
Gil de Monteligero erweist sich am Ende als nicht-adelig, während
der Bauer Benito de Castro einen bis dato geheim gehaltenen Adelstitel offenbart. Am Ende kann Benito Gils Tochter Torquata ehelichen,
obwohl sich herausstellt, dass diese anders als zuvor angenommen
nicht blaublütig ist. Damit gehören El buen labrador neben El carbonero
de Londres zu den wenigen Stücken, in denen es zu einer Ehe zwischen
Adeligen und Bürgerlichen kommt.
Wie schon im Falle der spätaufklärerischen theatralen Repräsentation des vir oeconomicus sind die populären Varianten der comedia
económico-sentimental auch für unsere Analyse des vir rusticus und des
vir faber besonders aufschlussreich. In Analogie zu den Komödien um
den Kaufmann und den Fabrikanten verweisen auch sie bereits im Titel auf den sozialen Status ihrer Protagonisten und deren berufliche
Tätigkeit. Allerdings trägt der auf der Bühne dargestellte Haushalt
408 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
weniger dem einfachen Milieu in realistischer Weise Rechnung, als er
nach dem Vorbild adeliger und großbürgerlicher Verhältnisse gestaltet ist. Zumindest auf der Ebene der Bühnenausstattung wird so dem
Volksgeschmack und seiner Vorliebe für gehobene Settings Rechnung
getragen. Die im Theater dargestellten viri fabri sind jedenfalls so begütert, dass sie eine Dienerschaft zu unterhalten imstande sind. Während Aguilar Piñal in Bezug auf das neoklassische Stück Los menestrales
dessen ‚Realismus‘ betont, der sich in den sprachlichen Regionalismen
und darin zeige, dass die Handlung in dem vor den Toren Madrids gelegenen Städtchen Chamartín angesiedelt ist,21 zeichnet sich die Mehrzahl der hier untersuchten Beispiele populärer Handwerkskomödien
dadurch aus, dass sie die Lebensumstände ihrer Figuren verklären,
indem sie sie mit kostumbristischen Elementen anreichern.22 Von der
Vorausdeutung eines sozialen oder gar literarischen Realismus‘, wie
er sich in den Literaturen des 19. Jahrhunderts findet, kann nicht die
Rede sein. Dass die Figur eines einfachen Bergmanns von Valladares
de Sotomayor nicht nur mit einem Diener, sondern mit einer ganzen
Dienerschar ausgestattet ist, mag mit den Konzessionen des Autors an
die Sehgewohnheiten eines Publikums zusammenhängen, das durch
den Konsum der beliebten comedias heróicas und militares adelige Protagonisten bevorzugt, weshalb die inszenierten Bürgersleute Attribute
aufweisen, die gemeinhin aristokratischen Figuren zu eigen sind.23
Das populäre Theater ist für die Zielsetzung dieser Studie nicht
nur deshalb aufschlussreich, weil es im Hinblick auf die Inszenierung
des vir faber ein größeres Textkorpus offeriert als das neoklassische
Drama – und damit eine gewisse Bandbreite ökonomischer Themen
und Figuren bietet –, sondern auch, weil es im Gegensatz zu ersterem
keinem einheitlichen ideologischen, didaktischen und ästhetischen
21
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 43).
Kostumbristische Elemente finden sich Aguilar Piñal (1997: 46) zufolge in Los
menestrales, etwa der Fandango. Vgl. Trigueros (1997: 179). Zum Fandango vgl. auch Jacobs, Helmut C. (2015): „Die Faszination spanischer Musik: Der Fandango und Bolero
der Epoche Goyas“. In: Hispanorama 149, pp. 43-48. Auch die Tänze und Gesänge in del
Reys La modesta labradora weisen Versatzstücke des literarischen Kostumbrismus auf.
23
Vgl. Valladares de Sotomayor, Antonio (1776-1800 [1790]): El carbonero de Londres. Madrid: Casimiro Razola. Quelle: https://archive.org/details/A25023401, Zugriff:
26.08.2022, p. 5 und p. 18: „Salen, cantando, bailando, y tocando panderetas, y castañuelas, [...] hombres y mujeres, que se suponen criados de Ricardo.” Bei Ricardo handelt es sich um den Vater des titelgebenden Bergmanns.
22
7. Vir faber und vir rusticus
409
Programm folgt. Dies führt zu einem höheren Grad an generischer
und struktureller Offenheit. Komödien wie El trapero de Madrid, die
von französischen oder englischen Vorlagen inspiriert sind,24 eignen
sich einzelne Elemente des ökonomischen Reformdiskurses des aufgeklärten Absolutismus, Bruchstücke europäischer Aufklärungsdiskurse sowie Versatzstücke der neoklassischen Ästhetik an, um diese
mit publikumswirksamen Relikten des barocken Theaters zu kombinieren. Eben diese Verfahrensweise führt zum generischen mestizaje
des populären Theaters des ausgehenden 18. Jahrhunderts.25 Die dafür charakteristischen gattungsspezifischen Überblendungen führen
stellenweise zu einer überraschenden literarischen Modernität, die
insbesondere del Reys La modesta labradora auszeichnet. Valladares‘
El carbonero de Londres wiederum inszeniert das auch bei Durán zur
Anwendung kommende Pastoratsprinzip. Desgleichen kommt in diesem Stück die Thematik von Schuld(en), Tilgung und wechselseitiger
Überbietung zur Sprache, mit der die Thematik des Ehehandels verbunden wird. Comella greift seinerseits in seiner Inszenierung des
‚guten Bauern‘ (span.: El buen labrador) in ähnlicher Weise auf eine
religiöse Symbolik zurück, wie Durán dies in seinem Lehrstück über
den vorbildlichen Fabrikanten tut. Im Gegensatz zu del Rey verzichtet
Comella allerdings auf eine Idealisierung des Landlebens, das bei dem
katalanischen Dramatiker im Gegenteil als Ort prekärer Lebensbedingungen erscheint. Im Folgenden geht es darum, den sozialen, vor allem aber den metonymischen Status des vir faber als Stellvertreter der
arbeitenden Schichten zu beleuchten. Dabei soll auch dessen Verhältnis zu Krone und Adel in den Blick genommen werden.
24
Vgl. hierzu García Garrosa (1990: 159ff.). Die französische Vorlage von El trapero
de Madrid ist Merciers La brouette du vinaigrier (1774). Vgl. hierzu auch García Garrosa
(2012) sowie Schuchardt, Beatrice (im Druck): „L’argent comme moyen d’équilibre social et sa mise en scène dans le genre sentimental: La brouette du vinaigrier de Mercier
et son adaptation espagnole“. In: Babeau, Patrice/Poirson, Martial/Thoma, Yann (eds.).
Art et argent. L’économie à l’œuvre. Actes du colloque de Cerisy, 11-17 mai 2021. Paris:
Presses Universitaires de France.
25
Vgl. Palacios (1998: 39).
410 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.1. Von der Ächtung zur Achtung? Trabajo manual und homo faber
im (vor-)aufklärerischen Diskurs
Der arbeitende Mensch bietet schon der mittelalterlichen Scholastik
und insbesondere Thomas von Aquin Anlass, über moralische Fragen
nachzudenken. So weist Farr darauf hin, dass mittelalterliche Theologen Arbeit nicht in erster Linie als eine „productive capacity“ verstehen, sondern vielmehr als eine „moral force.“26 Im Zuge der Augustinus-Rezeption der Scholastik wird Arbeit gar zu einer „spirituellen
Übung“.27 Die Wurzeln der gesellschaftlichen Missachtung der Werkarbeit (span.: trabajo manual) und ihrer Vertreter, eben jene Geringschätzung, gegen die sich die Real Cédula von 1783 richtet, macht Maravall im Mittelalter aus. Joaquín Ocampo Suárez-Valdés und Patricia
Suárez Cano hingegen argumentieren inhaltlich differenzierter und
zeitlich extensiver, wenn sie die Ächtung der Werkarbeit seit der Antike auf einen dreiteiligen Diskursapparat zurückführen, der von jeher
dem Machterhalt der herrschenden Eliten diente:
From the sacred texts to patristic literature, from Greek philosophy to medieval scholasticism, such a worldview would be displayed in different
but complementary discourses: in a social theory of the three ‚orders’ or
‚states’, in a moral or normative economy of the market, in an ethics of
economic conduct (honor, virtue, interest, work, leisure, luxury) and, last
but not least, in a philosophy or political theory of power.28
Was die mitteralterliche Missachtung körperlicher Arbeit anbelangt, fußt diese Maravall zufolge auf einer Dreiteilung der Gesellschaft in oratores, bellatores und das imbelle vulgus, d.h. in Gelehrte
bzw. Kirchenmänner, Krieger und das (kriegsuntaugliche) Volk.29
26
Farr (2000: 12).
Farr (2000: 12).
28
Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022: 34).
29
Vgl. Maravall, José Antonio: (1984): „Trabajo y exclusión. El trabajador manual
en el sistema social de la primera modernidad“. In: Idem. El siglo del Barroco, vol. III.
Madrid: Ed. de Cultura Hispánica, pp. 363-392, hier p. 370. Diese Trias geht Maravall
zufolge auf die Miracles de St. Bertin (ohne Jahresangabe) zurück. Erwähnung finden
diese unter anderem im dritten Band des Dictionnaire historique et archéologique du Pasde-Calais von 1883, Arras: Sueur- Charruey, p. 76 unter dem Eintrag zum Ortsnamen
„Helfaut“ und sind auch dort nicht datiert. Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022:
27
7. Vir faber und vir rusticus
411
Diese Trias wird im weiteren Verlauf auf die drei Gruppen oratores –
bellatores – laboratores verkürzt, wobei die arbeitende Bevölkerung den
niedrigsten sozialen Status innehat.30 In Spanien ist diese Dreiteilung
seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gebräuchlich. Sie findet
beispielsweise in Las siete partidas (1252-1284) von Alfonso X.31 sowie
bei López de Ayala Erwähnung, und schlägt sich im 15. Jahrhundert auch in den Chroniken der Epoche nieder, etwa bei Enrique de
Villena (1384-1434), Gómez Manrique (1412-1490) und Rodrigo Sánchez de Arévalo (1404-1470).32 Ist der Begriff des „trabajo“ zunächst
noch nicht auf die so genannten oficios mecánicos, sondern auf das
Kriegshandwerk bezogen, lässt sich ein Bedeutungswandel erstmals
in Nebrijas Gramática castellana (1492) konstatieren, wo der Tagelöhner
(„jornalero“) als „trabajador mecánico“ erscheint.33 Die Konnotation
der Bezeichnung „trabajador“ mit dem Adjektiv „pobre“ führt Maravall auf das 15. und 16. Jahrhundert zurück, als Schriften wie das
anonym verfasste Libro de la miseria de omne (um 1350)34, das ebenfalls
35) identifizieren sie bereits in antiken Texten wie Ciceros De Republica: „In The Republic, there is an explicit hierarchy consisting of ‚three orders’: rulers, guardians or warriors, and craftsmen or producers, associated, in turn, with the virtues of intelligence,
courage, and laboriousness. Based on this hierarchy, the city of Rome was stratified
into two states: the nobility and the plebs [...].“
30
Vgl. Maravall (1984: 370), der diesen Umstand unspezifisch auf „un texto anglosajón“ zurückführt. Vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés (2021: 22) sowie idem/Suárez
Cano (2022: 35).
31
Vgl. hierzu Fuentes (2014: 212), die auf die in Las siete partidas unternommene
Unterscheidung von „Arbeit“ (trabajo) und „Werkarbeit“ (trabajo manual) verweist: „[...]
the term ‚labor‘ is applied to what men do while strongly exerting themselves, while
‚handicrafts‘ includes the occupations of men ‚stationed in houses, in sheltered places’,
as for instance, such as are employed in manufactures of gold or silver, and who coin
money, and make arms and armor [...], and although they exert themselves by the use
of their bodies, the weather does not have such power to injure them as it does to others
who toil out of doors, for which reason the latter are called laborers and the former
craftsmen’ (Partida II, Tit. XX, law v).“ Zitiert aus Alfonso X., Rey de España (2001): Las
Siete Partidas, trans. Samuel Parson Scott, ed. Robert I. Burns, S.J., 5 vols. Philadelphia:
University of Pennsylvania Press.
32
Vgl. Maravall (1984: 372).
33
Vgl. Maravall (1984: 373).
34
Anonymus (2012): Libro de la miseria de omne, ed. Jaime Cuesta Serrano. Madrid:
Cátedra.
412 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
anonyme Libro de los pensamientos variables (1506)35 sowie La Celestina
(1499), La Lozana Andaluza (1528) und das Theater von Bartolomé Torres Naharro (~1485~1530) Kritik am schweren Los der Werktätigen
üben.36 Es ist der Kurzschluss zwischen Arbeit und Delinquenz bzw.
Arbeit und Bettlertum, der zur Zementierung eines negativen Bildes
des arbeitenden Menschen beiträgt. Dieses Zerrbild wird im weiteren
Verlauf durch zahlreiche Statuten, Gesetze und Dekrete bestätigt und
verstärkt,37 eine gesellschaftliche Ächtung, die Maravall als „deshonra
legal“, d.h. als gesetzlich verankerte Unehrenhaftigkeit bezeichnet:
Ahora se hace más patente la conciencia del régimen de exclusión y de la
situación de marginación que el trabajador, ocupado en trabajos manuales
– con una ampliación cada vez mayor de este concepto de trabajo manual
– soportaba. [...] Sobre estas estimaciones, se comprende que se buscara
elevar las barreras de separación y acentuar su régimen de exclusión legal.
Y en efecto, si desde los inicios de la sociedad estamental, el pobre trabajador había quedado excluido de las distinciones, dignidades, riquezas que
conferían el honor, en los primeros siglos modernos, es fácil probar que se
hallaba sometido a una forma de marginación, que empeoraba su ya triste
situación: se llegaba a más, se llegaba a imputarle un explícito, reglamentado, formalizado deshonor, una deshonra legal que no solo afectaba a los
35
Dessen Inhalt fasst Óscar Perea Rodríguez wie folgt zusammen: „Un rey
apesadumbrado por la carga que supone la gobernación, un aldeano o rústico que, a
modo de conciencia colectiva popular, se lamenta no menos amargamente de los males
que afectan a la mayor parte de súbditos, y las noticias de un mensajero notificando la
preocupación por las acciones de aquellos consejeros, nobles y grandes de Castilla, que
tienen maniatado al reino y no dejan que la buena gobernación se imponga, son los tres
elementos que el anónimo compositor de este pequeño opúsculo utilizó como fuste de
sus líneas.“ Perea Rodríguez, Óscar (2002): „La utopía política en la literatura castellana
del siglo xv: el Libro de los Pensamientos Variables (BNM, MS 6642)“. In: eHumanista,
2, pp. 23-62, hier p. 24. Quelle: https://www.ehumanista.ucsb.edu/volumes/2, Zugriff:
09.03.2022.
36
Vgl. Maravall (1984: 374).
37
Exemplarisch für die Legalisierung der Nichtachtung des Handwerks kann ein
von Fuentes (2014: 213) genanntes Gesetz von 1604 angeführt werden, das im Königreich Valencia Anwendung fand und das sie der Legislación Histórica de España entnimmt: „‚Que ninguna persona que haya tenido oficio mecánico pueda oficiar de procurador judicial bajo pena de azotes, pues tales personas para no volver a trabajar en
sus oficios usaban de tales arbitrios en perjuicio del reino y los negocios por no saber
desempeñar el oficio de procurador, exceptuándose los que sean reconocidos como
notarios reales.’“
7. Vir faber und vir rusticus
413
oficios infamantes, sino en alguna medida a todos, porque se le confundía
al trabajador con el pobre vicioso, con el miserable del que hay que apartarse, se le tenía como posible y aun presunto delincuente.38
Auch Domínguez Ortiz beobachtet für das 16. Jahrhundert einen
fortschreitenden „envilecimiento del trabajo manual“, der sich unter
anderem darin zeigt, dass die Statuten der militärischen Orden, aber
auch die Satzungen administrativer Gremien und Räte Handwerker
und Händler kategorisch von der Teilhabe ausschließen, ein Reglement, das ab 1624 auch auf die kirchlichen Orden ausgeweitet wird.39
Bereits zu dieser Zeit wird jedoch auch deutliche Kritik am schlechten Ansehen der Handwerksberufe und ihrer Repräsentanten laut.
Forderungen nach einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung
dieser Berufe äußern eine ganze Reihe von Gelehrten, beispielsweise
Juan de Robles (1492-1572) mit seinem Plädoyer für die Würde der
Armen, Luis Ortiz40 mit seinem Vorschlag eines staatlichen Systems
zur Auszeichnung der Handwerksberufe, Miguel Álvarez Osorio de
Redín mit seinem Protest gegen den Ausschluss der arbeitenden Bevölkerung von öffentlichen Ämtern und Würden,41 Mateo López Bravo mit seinem Plädoyer für die Wertschätzung aller arbeitenden Berufe vom Bauern bis zum Kaufmann, Pedro de Valencia (1555-1622)
mit seinem Vorschlag einer auch für den Adel gültigen allgemeinen
Arbeitspflicht, Pedro de Guzmán, Conde de Olivares (1503-1569), mit
seinem Hinweis auf die Abhängigkeit des Einzelnen von den durch
das Handwerk hergestellten Produkten und schließlich Gaspar Gutiérrez de los Ríos (~1566-1606) mit seiner These, die Missachtung des
Handwerks begünstige die verbreitete Neigung zur Faulheit.42 Auf die
38
Maravall (1984: 375f.).
Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675).
40
Insofern hier keine Lebensdaten angegeben sind, sind diese nicht bekannt.
41
Dieser Ausschluss geht auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik und die dort formulierte Empfehlung zurück, dass Berufstätige wie der Kaufmann keine staatlichen
Ämter bekleiden dürfen. Vgl Strosetzki (2018b: 172) mit Bezug auf Aristoteles (1995):
Nikomachische Ethik, ed. Eugen Rolfes & Günther Bien. Hamburg: Meiner, pp. 93; 272:
„Explica que antes los mercaderes eran esclavos o forasteros, motivo por el que no debían convertirse en ciudadanos con cargos estatales, pues les faltaba la independencia
y el ocio necesarios.“ Vgl. auch Ocampo Suárez-Valdés/Suárez Cano (2022: 39f.).
42
Vgl. Maravall (1984: 387f.) sowie idem (1972): Estado moderno y mentalidad social:
siglos xv a xvii. Madrid: Ed. de la Revista de Occidente, pp. 353ff. und idem (1982):
Utopía y reformismo en la España de los Austrias. Madrid: Siglo XXI. Einen Überblick
39
414 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Gleichsetzung von Arbeit mit Armut reagieren auch Dramatiker des
17. Jahrhunderts, darunter Lope de Vega mit der Komödie Pobreza no
es vileza (1625)43, deren Titel geradezu programmatisch anmutet.44
Die Missachtung der Handwerksberufe und der arbeitenden Bevölkerung ist ebenso wie die daraus resultierende Handwerksflucht45
kein spanisches, sondern ein europäisches Phänomen.46 Die Gründe
für die europaweit zu findende Missachtung des Handwerks verfolgt
Domínguez Ortiz bis in die Antike zurück: „[...] en la sociedad romana
ni el comercio ni la industria eran profesiones respetables”.47 Dieser
Umstand fußt wesentlich auf der Unterscheidung zwischen den artes liberales, die auf eine intellektuelle Leistung zurückzuführen sind,
und den artes mechanicae, die durch den Einsatz des Körpers und vor
allem der Hände ausgeübt werden.48 Fuentes nennt in diesem Zusammenhang exemplarisch Aristoteles als Beispiel für eine in der Antike
über die im Spanien und Frankreich der Frühen Neuzeit unternommenen Versuche,
die Armen entweder zu kriminalisieren oder sie ins rechte Licht zu rücken, gibt Tietz
(2022: 57ff.).
43
Vgl. Vega Carpio, Lope Félix de (1625): Pobreza no es vileza: comedia famosa. Reproducción digital a partir de Parte veinte de las Comedias de Lope de Vega Carpio. Madrid:
Viuda de Alonso Martin, a costa de Alonso Perez. Biblioteca Nacional de Madrid, 2002.
Quelle: http://www.cervantesvirtual.com/nd/ark:/59851/bmct43q7, Zugriff: 08.08.2022.
44
Vgl. Maravall (1984: 389).
45
Diese identifiziert auch Jacobs als beachtliches Hemmnis für die spanische Wirtschaft. Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996b): Schönheit und Geschmack. Die Theorie der Künste
in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Vervuert, p. 84 und idem
(2001): Belleza y buen gusto. Las teorías de las artes en la literatura española del siglo xviii,
trans. Beatriz Galán Echevarría. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt/Main: Vervuert, p.
63. Bei der letztgenannten Publikation handelt es sich um die spanische Übersetzung
von Jacobs (1996b).
46
Vgl. Domínguez Ortiz (1999: 417): „[...] las prevenciones contra el comercio y
los ‚oficios viles’ [...] no eran exclusivos de España, pero quizás aquí tuvieron especial
intensidad.“ Vgl. auch Maravall (1984: 385), der dies am Beispiel Frankreichs veranschaulicht.
47
Domínguez Ortiz, Antonio (1945): „Notas sobre la consideración social del trabajo manual en el Antiguo Régimen”. In: Revista de trabajo, pp. 673-681, hier p. 674. Einen
auf neuesten Erkenntnissen der Forschung basierenden Überblick darüber, wie sich
die Ächtung der Handwerksberufe und des Berufsbürgertums im 18. Jahrhundert in
Spanien und Europa herleitet geben Ocampo Suárez-Valdés (2021) und idem/Suárez
Cano (2022).
48
Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675).
7. Vir faber und vir rusticus
415
verbreitete Geringschätzung aller mit den Händen verrichteten Tätigkeiten, die oftmals Sklaven oblagen:49
[...] numerous texts have tackled the division between „mechanical” and
„art”. [...] Aristotle recommends a distinction between the employment
of a freeman and a slave though some freemen engage in mean arts and
employments which „tend to deform the body, and [...] which are exercised
for gain; for they take off from the freedom of the mind and render it sordid“.50
Demgegenüber verweist Helmut C. Jacobs zu Recht darauf, dass
der Begriff der artes mechanicae in der Antike noch nicht gebräuchlich
war, sondern erst in dem zwischen 335 und 337 verfassten Lehrbuch
der Astrologie von Julius Firmicus Maternus aus Syrakus Erwähnung
findet, und dort noch auf die Erfindungsgabe einer Person, namentlich
des Archimedes, bezogen ist.51 Erst bei Isidor de Sevilla (ca. 560-636)
findet sich das Konzept als Bezeichnung für einen „handwerklichtechnischen Herstellungsprozess“52. Die konkrete Handwerkskunst
und nicht mehr nur das „abstrakte Prinzip“53 bezeichnet der Begriff
ab dem 8. Jahrhundert. Werden die artes mechanicae noch bis ins 10.
Jahrhundert hinein mit Astrologie oder Magie gleichgesetzt, leistet
der Frühscholastiker Hugo de St. Victor (~1097-1141) um das Jahr 1130
49
Vgl. hierzu auch Arendt, Hannah (2018 [1958]): Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper, p. 100f. Arendt zufolge bezeichnet „Aristoteles diejenigen als die
niedrigsten [...], bei denen ‚der Körper sich am meisten abnutzt‘“, sie verweist aber
auch auf die generelle Missachtung, die der Arbeit, verstanden als Gegensatz zur Polis,
in der griechischen Antike zuteilwurde: „[...] alle griechischen Autoren [...] sind sich
darüber einig, daß körperliche Arbeit sklavisch ist, weil sie durch die Notdurft des
Körpers erzwungen ist.“ Vgl. auch Farr (2000: 10f.), der auf den enormen Einfluss der
Schriften Platos, Aristoteles‘ und Augustinus‘ auf das mittelalterliche Verständnis von
Handwerk und Arbeit hinweist, „associating it with hierarchy and servitude“.
50
Fuentes (2014: 212) mit Verweis auf Aristoteles: Politics: Treatise on Government,
Buch VIII, Kapitel II.
51
Vgl. Jacobs, Helmut C. (1996a): Divisiones Philosophiae. Spanische Klassifikationen
der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro. Frankfurt/Main: Vervuert,
p. 12.
52
Jacobs (1996a: 13) mit Bezug auf: Sancti Isidori Hispalensis Episcopi (1850): „Differentiarum sive de proprietae sermonum libri duo“. In: idem. Opera omnia, ed. Jacques
Paul Migne. Paris: Migne, pp. 9-98, hier p. 94.
53
Jacobs (1996a: 13).
416 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
eine Konkretisierung, indem er den sieben artes liberales sieben artes
mechanicae an die Seite stellt, die sich alle durch den Einsatz von Körperkraft auszeichnen sowie dadurch, dass diese Tätigkeiten Grundbedürfnissen (necessitates) und Annehmlichkeiten (commoditates) dienen.54 Zu den sieben artes mechanicae gehören laut Hugo de St. Victor:
1. armatura: die Handwerksberufe, die mit organischen Materialien
zu tun haben, die Waffenherstellung;
2. Architektur, Malerei und Bildhauerei;
3. navigatio als der Handel im weitesten Sinne;
4. agricultura: die Landwirtschaft, Viehzucht und Gartenbaukunst;
5. venatio: Jagd und Fischfang;
6. medicina: die Heilkunst;
7. theatrica: die Unterhaltungskunst.55
Hugos Schrift begründet also die Verbindung zwischen den mechanischen Künsten und dem Einsatz von Körperlichkeit und Körperkraft, die ein Faktor für die Schmähung des Handwerks im Laufe des
Mittelalters und der darauffolgenden Jahrhunderte ist.
Den Fehlschluss zwischen den mit körperlicher Arbeit in Verbindung stehenden artes mechanicae und der Ehrlosigkeit (span.: deshonra)
versucht schon Gaspar Gutiérrez de los Ríos in seiner Noticia general
para la estimación de las Artes, y de la manera en que se conocen las liberales de las que son mecánicas y serviles (1600) insofern zu relativieren, als
er erklärt: „Las Artes mecánicas se dixeron así, no porque ellas sean
tan oprobiosas como el vulgo piensa; [...] sólo se dixeron mecánicas
porque estas artes se exercitan con el cuerpo.“56 Da die omnipräsente
54
Jacobs (1996a: 14) mit Bezug auf Vitore, Hugo de (1966): Opera propaedeutica, ed.
Roger Baron. Notre Dame: University of Notre Dame Press, pp. 165-247 und idem
(1939 [1137]): Didascalion de studio legendi, ed. Charles Henry Buttimer, vol. II. Washington: The Catholic University Press, pp. 38-44.
55
Vgl. Jacobs (1996a: 15).
56
Zitiert nach Domínguez Ortiz (1945: 675). Vgl. hierzu auch Fuentes (2014: 212)
mit Verweis auf Gutiérrez de los Ríos, Gaspar (1600): Noticia general para la estimación
de las artes y de la manera que se conocen las liberales de las que son mecánicas y serviles, con
una exortación a la honra de la virtud y del trabajo contra los ociosos, y otras particulares para
las personas de todos estados, vol. III. Madrid: P. Madrigal, p. 45: „Gaspar Gutiérrez de
los Ríos differentiates between the mechanical, servile and liberal arts, stating that the
first are called mechanical not because they are dishonorable or bad as many of the
7. Vir faber und vir rusticus
417
Schmähung des Handwerks schon früh zur Handwerksflucht führt
und entsprechend wirtschaftliche Auswirkungen wie eine geringere
Produktivität hat, finden sich in Spanien seit dem anbrechenden 17.
Jahrhundert ähnliche Versuche, politisch gegenzusteuern, beispielsweise, als Felipe IV. 1626 anlässlich der Cortes de Barbastro y Calatayud für Aragón verfügt, dass eine Tätigkeit in der Herstellung und
dem Verkauf von Textilien durchaus mit einem Adelstitel vereinbar
sei, sofern sie nicht im selben Haushalt ausgeübt werde. Carlos II. bestätigt diesen Erlass mit seiner Pragmática von 1682 und weitet ihn auf
ganz Spanien aus.57
Jenseits der Unterscheidung zwischen niederen artes mechanicae
und hehren artes liberales identifiziert Jehle für den spanischen Kontext
noch einen weiteren Faktor, der zu einer verstärkten Missachtung des
Handwerks seit der Reconquista führt: die Unterscheidung in ‚Altchristen‘ und ‚Neuchristen‘.58 Während der Altchrist ‚urspanisch‘ ist, d.h.
seine ‚Blutsreinheit‘ (limpieza de sangre) nachweisen kann, sich durch
eine heldenhafte Männlichkeit (hombría) auszeichnet, bildungsfeindlich ist und ritterlichen Idealen anhängt, weshalb er auf das Handwerk und jede andere Berufstätigkeit herabblickt, ist der Neuchrist
ein konvertierter Maure oder Jude, der in seiner Enthaltsamkeit, d.h.
durch den Verzicht auf Alkohol und Schweinefleisch, aus der Sicht
des Wein und Speck zugeneigten Altchristen nicht im spanischen Sinne ‚viril‘ ist. In diesem Zusammenhang weist Jehle darauf hin, dass
intellektuelle oder handwerkliche Berufe – also die Ausübung der artes mechanicae ebenso wie die der artes liberales – in Spanien seit der
Reconquista als ‚jüdisch‘ oder ‚maurisch‘ gelten.59 In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist, dass das Konzept des ursprünglich mit
dem Adel in Verbindung stehenden ‚Altchristentums‘ eine Allianz
mit dem Volkstümlichen eingeht, also einen „Zusammenschluss von
people think, but because they are done with the body. He then traces the etymology
of the word to its Greek meaning of ‚pertaining to the body‘, and adds that many of the
first are also known as servile because they are exercised by slaves and not free men
(liberal).“
57
Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 676). Fuentes (2014: 213) gibt ihrerseits die bibliographische Quelle des Gesetzes an: Novísima recopilación de las leyes de España: Dividida
en XII libros (1805-1829), vol. IV, Buch III, Titel XXIV, Gesetz I. Quelle: https://archive.
org/details/BRes002060. Zugriff: 27.08.2022.
58
Vgl. Jehle (2010: 124).
59
Für alle Aspekte vgl. Jehle (2010: 124).
418 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Armen und Reichen“60, Patriziern und Plebejern herbeiführt. Beide
eint nun die Verachtung gegenüber dem arbeitsamen Neuchristen.
Auf den Bühnen des 17. Jahrhunderts mündet die volkstümliche Variante des Altchristen in die Figur des verfressenen und dem Bacchus
huldigenden gracioso.61 Der sich durch seinen weltzugewandten Katholizismus vom Neuchristen unterscheidende Altchrist, der sich
also durch eine als typisch spanisch empfundene Männlichkeit62 auszeichnet, begründet in Spanien das allgemeine Misstrauen gegenüber dem Handwerker, aber eben auch das hohe soziale Prestige des
Adels. Dies führt dazu, dass die Erlangung eines Adelstitels für die
einfachen Schichten ebenso wie für das gehobene Bürgertum auch im
18. Jahrhunderts das höchste zu erreichende Ziel ist. Dieser Umstand
vermag die Popularität des Topos des sich als adelig erweisenden
einfachen Mannes im Theater zu erklären, der sich auch in der Phase
der Spätaufklärung noch hartnäckig hält und dort um sein weibliches
Pendant ergänzt wird: die in einfachen Verhältnissen lebende, aber
im Geheimen ebenfalls adelige Frau.
Was die europäische Dimension der Missachtung des arbeitenden
Menschen anbelangt, lässt sich diese beispielsweise im Frankreich des
anbrechenden 17. Jahrhunderts anhand abfälliger Äußerungen wie
der des Juristen Charles Loyseau in seinen Cinq livres du droict des offices (1610) ablesen, der eine dem spanischen Begriff der oficios viles ähnliches Konzept gebraucht, wenn er die „arts mécaniques“ im Abschnitt
„Traité des ordres et simples dignitez“ als „vils et abjects“ bezeichnet
und zudem äußert: „Les artisans étant proprement mécaniques sont
réputés viles personnes.“63 Sucht die Real Cédula von 1783 den historisch schlechten Stand des Handwerks, und damit auch das sich verstärkt stellende Problem der Handwerksflucht einzudämmen, hatte
die Regierung von Louis‘ XVI. nur wenige Jahre zuvor zu ähnlichen
Maßnahmen gegriffen, als sie 1776 die Ehrbarkeit der Handwerksberufe per königlichem Dekret proklamierte.64 Die Entstehung der Gattungen des drame commercial und der comedia económico-sentimental ist
60
Jehle (2010: 124).
Jehle (2010: 124).
62
Den Genderaspekt führt Jehle (2010: 124) nicht weiter aus, sondern erwähnt lediglich die hombría.
63
Zitiert in Maravall (1984: 384).
64
Vgl. Maravall (1984: 370).
61
7. Vir faber und vir rusticus
419
im historischen und ökonomischen Kontext dieser königlichen Erlasse
zu betrachten.
Der Aufstieg des homo faber vom Paria zum vorbildlichen und modellhaften Protagonisten, wie ihn Traktate, Gesetze, Proklamationen
und nicht zuletzt die sentimentale Komödie zeichnen, ist ein Phänomen, das mit der europäischen Aufklärungsbewegung in engem
Zusammenhang steht. F.G. Healey definiert den homo faber in seiner
Herleitung des Begriffs aus dem geistesgeschichtlichen Kontext des
europäischen 18. Jahrhunderts als „‚a man who works in hard materials‘, or a man skilled in such work“, und in diesem Sinne als „one
engaged in a comparatively skilled trade resulting in an end-product
recognized as a manufactured article”65. Obgleich der englische Begriff „man“ den ‚Mann‘ und den ‚Menschen‘ gleichermaßen meinen
kann, schwingt in Healeys Verwendung des Wortes selbstverständlich mit, dass mit dem ‚handwerklich tätigen Menschen‘ nur der
‚handwerklich tätige Mann‘ gemeint sein kann, was auch die Beispiele, die Healy nennt,66 bestätigen, sind diese doch notwendigerweise
Produkte der androzentrischen aufklärerischen Diskurse, mit denen
er sich auseinandersetzt. Healeys Verständnis vom homo faber als vir
faber spiegelt letztlich die Auffassung der Mehrzahl der männlichen
Aufklärer wider, auch wenn es – wie das Beispiel der Escuelas de la
matritense zeigt – bereits im 18. Jahrhundert politische Bemühungen
gibt, Frauen als volkswirtschaftliche Kräfte zur Erhöhung der nationalen Produktivität heranzuziehen.67 Wenn Healey seiner Definition
des aufklärerischen Konzepts des homo faber erklärend hinzufügt, es
bezeichne „those who supplied [...] material wants by the labour of
their hands“, wird deutlich, dass damit eben die mit dem trabajo manual befasste Berufsgruppe gemeint ist. Zugleich meint der Begriff des
65
Healey, F.G. (1963): „The Enlightenment View of homo faber”. In: Transactions of
the First International Congress on the Enlightenment, vol. II. Genève: Musée Voltaire, pp.
837-859, hier p. 838.
66
Darunter finden sich neben der Männern vorbehaltenen Tätigkeit des Bergbaus
auch André Félibiens Principes de l’architecture (1666), der sein Wissen über Bautechniken ausschließlich von Handwerkermeistern selbst bezieht. Im Kontext des von Healey (1963: 850) erwähnten Bereichs der Produktion von Luxusartikeln, in dem oftmals
Frauen als Putzmacherinnen oder Weberinnen tätig waren, werden Produzentinnen
von Healey nicht erwähnt.
67
Vgl. Méndez Vázquez, Josefina (2016): Formación profesional de las mujeres en las escuelas de la Matritense: un proyecto político-económico en la España ilustrada. Oviedo: Trabe.
420 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
homo faber nicht allein den arbeitenden Menschen, sondern auch und
vor allem denjenigen, der Güter aus schwer zu bearbeitenden Materialien herstellt. Während das Verständnis eines notwendigen Umgangs
des homo faber mit Rohmaterialien Tätigkeiten wie die Fischerei oder
den Ackerbau ausschließt, werden andere Berufe aus dem Bereich der
Rohstoffförderung sehr wohl unter diesem Begriff subsumiert.
Healey veranschaulicht dies anhand von Duhamel du Monceaus
Abhandlung L’Art du charbonnier.68 Der Band erscheint 1761 als erster Teil einer enzyklopädischen Reihe zu den Handwerksberufen, mit
der Colbert die Académie royale des sciences schon 1675 beauftragt hatte.
Die als Description des Arts et Métiers betitelte Serie (1675-1780), auf
deren gesammeltes Wissen ein Jahrhundert später auch Campomanes in seinem Apéndice (1776) zurückgreift,69 umfasst volle 13.000 Seiten mit 1.800 Abbildungen70 und belegt das schon im ausgehenden
17. Jahrhundert aufkeimende und im weiteren Verlauf des 18. Jahrhundert steigende Interesse an den „manual arts“, das zu einer regelrechten ‚Modeerscheinung‘ wird.71 Diese führt Healey auf den ‚enzyklopädischen Geist der Aufklärung‘ zurück, im Zuge dessen sich
philosophes wie Diderot und d’Alembert mit ihrem in Konkurrenz zu
Colbert und der Académie royale stehenden Projekt der Encyclopédie, ou
Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une Sociéte
des gens de lettres (1751-1772) an einer ‚Kartographierung des Wissens‘
versuchen. Beide Projekt sind nicht nur gegenwartsbezogen, sondern
insofern zukunftsgerichtet, als aus ihnen der aufklärerische Glaube
an den materiellen und wissenschaftlichen Fortschritt spricht.72 Wie
die wachsende Anzahl an philosophischen Schriften und Abhandlungen zeigt, die in Frankreich nicht nur das Vokabular und die gängigen Techniken des Handwerks dokumentieren, sondern zunehmend
68
Vgl. Healey (1963: 857).
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2004: 131) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez (1775-1777), hier: Apéndices a la educación popular. Madrid: Imp. de A. Sancha:
„En los [artículos de la Description des Arts et Métiers] relativos al carbón mineral, y
adelantándose a las iniciativas que en 1784 promoverá desde el Consejo de Castilla,
recomendaba la transición del carbón vegetal al fósil, así como la implantación en minas, fundiciones y establecimientos metalúrgicos de la ‚máquina llama-da bomba de
fuego‘.”
70
Vgl. Healey (1963: 843ff.).
71
Vgl. Healey (1963: 844).
72
Vgl. Healey (1963: 849).
69
7. Vir faber und vir rusticus
421
dessen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen hervorheben,
ruhen die Hoffnungen auf materiellen Fortschritt nicht allein auf den
Erkenntnissen der philosophes, sondern wesentlich auch auf den Erzeugnissen des homo faber.73 Deutlich wird dies etwa im Vorwort zum
zweiteiligen Band Secrets concernans les arts et métiers74, in dem die in
der Bevölkerung vorherrschende Abneigung gegenüber dem Handwerk gerügt und stattdessen für die Wertschätzung seiner Berufe plädiert wird:
Les Arts et Métiers méritent donc en effet avec autant de justice l’estime et
la reconnaissance publique; que ces vaines professions qui ne sont fondées
que sur les vices et l’opinion des hommes les usurpent injustement; elles
s’attribuent les plus grandes récompenses de la République qu’elles travaillent continuellement à détruire, au lieu que les Arts et Métiers qu’elles
méprisent, comme des conditions inférieures, s’efforcent d’en conserver, et
d’en augmenter, de jour en jour le lustre et l’économie.75
Interessant ist der hier dem Handwerk nun attestierte „lustre“, der
metaphorische Glanz einer lange verachteten Zunft. Jouberts Ausführungen zum Handwerk, die bereits zwanzig Jahre vor Voltaires
Lob des Kaufmanns erfolgen, betrachtet Healey als „revolutionary in
a very modern sense“76, was auch insofern zutreffend ist, als Joubert
den französischen Erlass von 1776 und die Real Cédula von 1783 um
Jahrzehnte vorwegnimmt.
Für die These, dass es sich bei der Umwertung des Handwerkers
vom Paria zu einer Größe von gesellschaftlicher Relevanz um ein
europäisches Phänomen handelt, spricht auch die Bezugnahme des
73
Vgl. Healey (1963: 849). Vgl. dazu auch Witthaus (2012: 291), der im Zusammenhang mit der Encyclopédie davon spricht, dass das Wissen in der europäischen Aufklärung insgesamt einer „Neubewertung als gesellschaftsgestaltende Macht“ unterzogen
werde. Davon zeuge auch die „Aufwertung der „Mechanischen Künste“. Für Spanien
sind Witthaus zufolge Graefs Discursos mercuriales ein Beispiel für eine solche „epistemologische Verschiebung‘“.
74
Healey (1963: 845) weist die Autorschaft Claude Joubert zu und datiert das Werk
auf 1716. Den gängigen Katalogen, etwa dem der Bibliothèque Nationale zufolge, ist
das früheste nachzuweisende Exemplar 1747 anonym erschienen. Vgl. Anonymus
(1747): Secrets concernans les arts et métiers, vol. I. Bruxelles: Par la compagnie. Der zweite Band von 1758 hat den gleichen Verlag und Erscheinungsort.
75
Zitiert ihn Healey (1963: 845), ohne Seitenangabe.
76
Healey (1963: 845f.).
422 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Enzyklopädisten Diderot auf Francis Bacons Novum Organum (1620)77,
vor allem aber auf das zweite Buch von Bacons The Advancement of
Learning (1605) und den dortigen Abschnitt „Historia mechanica“,
auf den Diderot im Discours préliminaire der Encyclopédie verweist.78
In diesem Zusammenhang soll der Umstand in Erinnerung gerufen
werden, dass sich auch Foronda in seiner Rede über die Ehrbarkeit
des Kaufmannsberufes explizit auf Bacon bezieht (vgl. Kap. 3.4.3). Der
Wert des Handwerks bemisst sich für Bacon vor allem an der Eigenschaft, eine von vielen Praktiken im Kontext experimentellen Wissens
zu sein. Das Interesse des Aufklärers Diderot an den Handwerksberufen wiederum steht in der durch Bacon begründeten Tradition der
Sicherung und Weitergabe von Wissen. Diderot betrachtet es als seine
aufklärerisch-didaktische Mission, in seiner Encyclopédie auf die Missachtung des Handwerks als ein Fehlverhalten hinzuweisen, das bei
seinen Zeitgenossen weit verbreitet ist.79 Diderots und d’Alemberts
enzyklopädisches Projekt ist nicht das Einzige seiner Zeit, das auf Bacons Ideal des „nützlichen Wissens“ zurückgreift. Auch die 1728 in
Paris gegründete Société des Arts, deren Ziel die Verbesserung handwerklicher Methoden durch die Verzahnung von Theorie und Praxis
ist, fühlt sich diesem Ideal verpflichtet.80 Auch wenn das Projekt einer
Publikation aufgrund der disparaten Interessensfelder der Mitglieder
scheitert, unter denen Uhrmacher, Geographen und Mathematiker zu
finden sind, ist die Gründung dieser ‚Handwerklichen Gesellschaft‘ (meine Übersetzung) ebenso im Kontext des enzyklopädischen Geistes der
77
Vgl. Bacon, Francis (1999 [1620]): Neues Organon, vol. I und II, ed. & trans. Wolfgang Krohn. Hamburg: Meiner.
78
Vgl. Healey (1963: 852) sowie Bacon, Francis (1975 [1605]): The Advancement of
Learning, and New Atlantis. London: Oxford University Press 1975, pp. 84ff. Dort kommt
auch Bacon (1975: 84f.) auf die dem Handwerk („manual arts”) entgegengebrachte
Geringschätzung zu sprechen: „For it is esteemed a kind of dishonour unto learning
to descend to inquiry or meditation of matters mechanical“, weist aber sodann auf
den Nutzen des Handwerks hin: „But the truth is, they be not the highest instances
that give the securest information [...]. So it cometh often to pass, that mean and small
things discover great, better than great can discover the small.“ Die Geschichte des
Handwerks betrachtet er demzufolge als „the most radical and fundamental towards
natural philosophy”.
79
Vgl. Healey (1963:854).
80
Bertucci, Paola/Courcelle, Olivier (2015): „Artisanal Knowledge, Expertise,
and Patronage in Early Eighteenth-Century Paris: The Société des Arts (1728–36)”. In:
Eighteenth-Century Studies, 48, 2, pp. 159-179, hier p. 161.
7. Vir faber und vir rusticus
423
europäischen Aufklärung zu betrachten wie das Projekt von Diderot
und d’Alembert.81 Dies zeigt sich auch darin, dass viele Mitglieder der
Société des Arts sich später als Beiträger zur Encyclopédie betätigen.82
Bedeutsam ist die Société des Arts als eine nicht von Theoretikern
wie den philosophes, sondern von Praktikern gegründete Gesellschaft,
in der sich das neue Selbstbewusstsein der Handwerkerschaft manifestiert. Dieses machen Bertucci und Courcelle am Begriff des „artiste“
fest, der nun an Stelle der zuvor gebräuchlichen Berufsbezeichnung
„artisan“ tritt.
Although not properly an actors’ category, this notion proves useful in
capturing the role of the artiste as a social and cultural actor in the France
of Louis XV. After the debacle of the Law scheme and the end of the Regency, the artistes who formed the Société des Arts wanted the new king to
realize that their intellectual and practical talents were crucial to the economic advancement of France. They strove to institutionalize their expertise, creating a new collective identity that could evaluate inventions and
control technical innovations. They sought legitimation from the public
and from the state by differentiating their knowledge and their work from
that of other artisans and by approaching savants as potential interlocutors and collaborators.83
Nachweisbar ist das wachsende Selbstbewusstsein einer sich zunehmend als Ausübende einer Kunst verstehenden Handwerkerschaft
in Frankreich etwa am Beispiel der Friseure, deren neues Selbstverständnis an der Ablösung des Begriffes „barbier“ durch die Bezeichnung „coiffeur“ ablesbar wird.84 Ein neues Selbstverständnis dieser
Berufsgruppe ist – ebenso wie ihr Bedürfnis nach gesellschaftlicher
Anerkennung – einige Jahrzehnte später auch in Spanien zu beobachten und zeigt sich etwa daran, dass die spanischen Handwerksgilden
81
Vgl. Bertucci/Courcelle (2015: 159f.).
Vgl. Bertucci/Courcelle (2015: 160). Jacobs hingegen bezeichnet die Société des
Arts et Métiers und insbesondere das von Duhamel de Monceau herausgegebene Werk
Description des Arts et Métiers (1761-1788) als ein „Konkurrenzunternehmen“ der Encyclopédie. Jacobs (1996b: 81) sowie idem (2001: 62).
83
Bertucci/Courcelle (2015: 161).
84
Falaky, Fayc̦al (2013): „From Barber to Coiffeur: Art and Economic Liberalisation
in Eighteenth-Century France”. In: Journal for Eighteenth-Century Studies, 36, 1, pp. 3548.
82
424 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ihre Trachten nach Vorbild der militärischen Orden gestalten.85 Wenn
Hannah Arendt eine Ablösung des animal laborans durch den homo faber konstatiert, die durch eine Aufwertung handwerklicher Produkte
herbeigeführt werde, die ihrerseits zu einer positiveren Betrachtung
des Handwerks selbst führe, kann das 18. Jahrhundert als die Epoche bezeichnet werden, in der zumindest auf rhetorischer Ebene die
stärksten Bemühungen für eine solche Aufwertung zu konstatieren
sind.86 Dass diese auch bei Diderot und den Enzyklopädisten in der
Tat rein rhetorisch bleibt, hat Cynthia J. Koepp anhand einer minutiösen Lektüre der Encyclopédie nachgewiesen. Ihr zufolge gilt es, die
in der Forschung weit verbreitete These zu revidieren, dass es Diderot in seinem Projekt darum gegangen sei, den Handwerker und seine Fertigkeiten zu würdigen: „[...] his primary interest is not to gain
unqualified respect for persons, or the dignity of manual work itself.
Rather, he wishes to perfect products and enhance productivity.”87 In
den einzelnen Artikeln der Encyclopédie zum Handwerk beobachtet
Koepp hinsichtlich der Art und Weise, wie die Arbeitswelt geschildert wird, eine Spannung zwischen der Bekräftigung des Nutzens der
Arbeit einerseits und dem Ausschluss der Arbeiter von der aufklärerischen Wissenskultur andererseits. Stattdessen gestehen die philosophes
ihnen nur eine rudimentäre Bildung zu.88 Diesen Eindruck bestätigt
85
Vgl. Moral Roncal, Antonio Manuel (1996): „Honor, vileza y honra de los oficios
mecánicos en el siglo xviii “. In: Baetica. Estudios de Arte, Geografía e Historia, 18, pp. 379385, hier p. 380f.
86
Arendt (2018: 102ff.). Während die klassische Antike und die Neuzeit Arendt zufolge noch nicht „zwischen Arbeiten und Herstellen“ unterscheiden und damit die von
Locke eingeführte Differenz zwischen der „Arbeit“ (des Körpers) und dem „Werk“
(der Hände) ignorieren, ist es die durch Adam Smith vorgenommene Unterscheidung
zwischen „produktiver“ und „unproduktiver Arbeit“, die den homo faber hervortreten
lässt.
87
Vgl. Koepp, Cynthia J. (2002): „Making Money: Artisans and Entrepreneurs in
Diderot’s Encyclopédie”. In: Brewer, Daniel/Hayes, Julie Candler (eds.). Using the Encyclopédie: Ways of Knowing, Ways of Reading. Oxford: Voltaire Foundation, pp. 119-141,
hier p. 123.
88
Vgl. Koepp (2002: 124ff.). Koepp macht dies etwa am Artikel „Métier“ fest, wo einerseits der „mépris cruel“ beklagt wird, der dem Handwerker entgegenschlägt, andererseits aber von einer Reihe „d’opérations méchaniques“ die Rede ist, „que l’ouvrier
répète sans cesse“, sodass weniger der Eindruck einer kunstvollen Fertigkeit als der
eines geistlosen Automatismus entsteht. So bleibt der Status des arbeitenden Menschen
selbst ein ambivalenter. Das Bild eines animal laborans im Sinne Arendts anstelle des
7. Vir faber und vir rusticus
425
auch Farr, wenn er darauf verweist, dass die Haltung aufklärerischer
Autoren im Allgemeinen und der französischen Enzyklopädisten im
Besonderen gegenüber dem gesellschaftlichen Wert der Arbeit äußerst
ambivalent sei.89 Auch er macht dies an der Art und Weise fest, wie
der arbeitende Mensch dort dargestellt ist, nämlich als „a mechanical
automaton only ancillary to technology“.90 Nichtsdestotrotz besteht
eine unbestrittene Leistung der Encyclopédie darin, eine soziale Aufteilung der Arbeitswelt vorgestellt zu haben, die deutlich über das feudale System der drei Stände hinausgeht.91 Der Encyclopédie vorausgegangen war Ephraim Chambers (~1680-1740) Cyclopaedia (1728),92 ein
englisches Werk, das den französischen Enzyklopädisten als Vorbild
diente. Bei Chambers sind die freien und die mechanischen Künste
nicht mehr getrennt, vielmehr werden sie gemeinsam behandelt. Der
schlechte gesellschaftliche Stand des Handwerks steht hier nicht länger zur Debatte, sondern wird im Zuge der Entwicklung eines „integrativen Kunstbegriffs“ aufgelöst.93
Die in Spanien ab Ende des 17. Jahrhunderts aufkeimenden Debatten um die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Aufwertung der
Handwerksberufe sind in erster Linie der Sorge um die nachlassende Produktivität der heimischen Nationalökonomie geschuldet.94 Wie
homo faber vermitteln, wie Koepp (allerdings ohne Bezugnahme auf Arendt) zeigt, auch
die Encyclopédie-Artikel „Forge“, „Fer-Blanc“, „Ardoise“, „Fourreur“ und „Pelleteur“.
Als Adressaten der Encyclopédie identifiziert Koepp entsprechend weniger die über
eine geringe Bildung verfügenden Werktätigen selbst, als vielmehr den Unternehmer,
würden dort doch Anleitungen gegeben, welche manuellen Tätigkeiten wie zu beaufsichtigen seien, vgl. Koepp (2002: 126). Im Artikel „Gale“ beispielsweise ist explizit
vom „mauvais travail ou la négligence de l‘ouvrier“ die Rede. Handwerker aus dem
Bereich der Lebensmittelherstellung wie Bäcker oder Metzger werden hingegen als
Betrüger gescholten, ohne dass ihre Erzeugnisse oder deren Herstellungsprozess Würdigung erführen. Vgl. Koepp (2002: 127).
89
Vgl. Farr (2000: 19).
90
Vgl. Farr (2000: 19) mit Bezug auf Sewell, William Jr. (1986): „Visions of labor:
illustration of the mechanical arts before, in and after Diderot’s Encyclopédie”. In: Kaplan, Steven L./Koepp, Cynthia (eds.). Work in France. Ithaca: Cornell University Press,
pp. 258-296.
91
Vgl. Koepp (2002: 124).
92
Vgl. Chambers, Ephraim (91787 [1728]): Cyclopaedia, or, An Universal Dictionary of
Arts and Sciences, 5 vols. Dublin: John Chambers.
93
Vgl. Witthaus (2012: 296).
94
Mit der Aufwertung des Handwerks verbunden ist die Debatte um den Umgang mit den Armen, Beschäftigungslosen und Faulen. Einen Überblick über die
426 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Jacobs anhand des 1787 anonym und in drei Faszikeln im Correo de
Madrid erschienenen Artikels „Industria, y Artes“ nachweist, ist die
spanische Diskussion um eine Aufwertung der Handwerksberufe direkt durch französische enzyklopädische Projekte, insbesondere durch
das von Diderot und d’Alembert, beeinflusst. Wie Graef und vor ihm
Campomanes95 spricht sich auch der anonyme Autor für eine Aufhebung der Unterteilung in artes liberales und artes mechanicae aus.96 Auch
er bezieht sich auf Bacon sowie auf Colbert und Macanaz.
Die Notwendigkeit, HandwerkerInnen in größerer Zahl zu rekrutieren, ergibt sich vor allem aus der im Vergleich mit dem Nachbarland
Frankreich geringeren Qualität und Quantität spanischer Produkte,
als deren vermeintliche Hauptursache die Handwerksflucht angesehen wird. Nicht umsonst unterbreiten Reformökonomen wie Arteta
de Monteseguro in seiner Disertación sobre el aprecio y estimación que se
debe hacer de las artes prácticas y de los que las ejercen con honradez, inteligencia y aplicación (1781), Francisco de Bruna y Ahumada (1719-1807)
in seinen Reflexiones sobre las Artes Mecánicas (1778), Antonio de Capmany Surís y de Montpalau (1742-1813), der unter dem Pseudonym
Miguel Ramón del Palacio seinen Discurso económico-político en defensa
del trabajo mecánico de los menestrales, y de la influencia de sus gremios en
las costumbres populares, conservación de las artes, y honor de los artesanos
(1778)97 veröffentlicht, und nicht zuletzt Pérez y López (1736-1792) in
diesbezüglichen Diskurse im 18. Jahrhundert in Spanien geben Hontanilla, Ana (2016):
„La figura del vago en la España ilustrada“. In: Revista de Estudios Hispánicos, 50, 2, pp.
509-531 sowie Tietz (2022).
95
Jacobs (1996b: 85) verweist diesbezüglich auf die in Campomanes‘ Discurso sobre
la educación popular de los artesanos y su fomento (1775) formulierte Kritik an dem Artikel „Mecánico“ im Diccionario de Autoridades und der dort zum Ausdruck gebrachten
Geringschätzung der artes mechanicae. Jacobs (1996b: 86) zufolge übertrifft Campomanes diesbezüglich die französischen Enzyklopädisten an Konsequenz. Vgl. auch Jacobs
(2001: 65).
96
Für alle vgl. Jacobs (1996b: 82) mit Bezug auf: Anonymus (1787): „Industria, y
Artes“. In: Correo de Madrid, vol II, 102 vom 23. Oktober, pp. 469-471 sowie 105 vom
26. Oktober, pp. 495-496 und 109 vom 30. Oktober, pp. 524-526. Als in ähnlicher Weise
durch die französischen Enzyklopädisten beeinflusst erweist sich Manuel José Quintana y Lorenzo (1772-1857) in seiner Ode A la invención de la imprenta. Vgl. Jacobs (1996b:
82). Quintana beruft sich selbst explizit auf den Encyclopédie-Artikel „Arts“. Vgl. auch
Jacobs (2001: 62).
97
Wie Jacobs (1996b: 90) betont, gesteht Capmany trotz seines Lobs der Handwerksberufe den Arbeitern noch keine individuelle Freiheit zu, sondern plädiert für
7. Vir faber und vir rusticus
427
seinem Discurso sobre la honra y la deshonra legal (1781) Vorschläge, wie
der Handwerksflucht beizukommen sei und wie man die Nachkommen der Handwerkerschaft dazu bewegen könne, die Berufe ihrer Väter zu ergreifen, statt nach Höherem zu streben.98 Vor allem der durch
Campomanes‘ Discurso sobre la educación de los artesanos y su fomento
(1775) beeinflusste Arteta de Monteseguro begründet sein Plädoyer
für eine Wertschätzung des Handwerks und seiner Vertreter mit den
Argumenten ihrer Nützlichkeit und ihres Beitrags zum Gemeinwohl.99
Sind einerseits in Spanien ab Ende des 17. Jahrhunderts ernsthafte Bemühungen zu beobachten, dem Handwerk zu gesellschaftlicher
Anerkennung zu verhelfen, ist damit stets der Appell verbunden, dass
der Schuster – sinnbildlich gesprochen – bei seinem Leisten bleiben
möge. Dies schlägt sich insbesondere im neoklassischen Theater nieder. Welche teils widersprüchlichen Positionen aus dem Versuch erwachsen, das Handwerk gleichzeitig aufzuwerten und seine Vertreter
dennoch in ihre sozialen Schranken zu weisen, untersuchen unsere
Analysen von Cándido María Trigueros Handwerkerkomödie Los menestrales (vgl. Kap. 7.3). Um deren Stellung im literaturgeschichtlichen
Kontext ihrer Epoche zu erhellen, wenden wir uns zunächst der Frage
nach der literarischen Repräsentation von im Handwerk tätigen ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ in der spanischen und europäischen Literatur vor und während der Epoche der europäischen Aufklärung zu.
ihre Einbindung in die Zünfte, die für Capmany zugleich ein Mittel sozialer Absicherung darstellen. Vgl. auch Jacobs (2001: 69).
98
Einer der ersten, der sich im Spanien des 18. Jahrhunderts für ein Ende der sozialen Ächtung der artes mechanicae einsetzt, ist Graef in seinen Discursos mercuriales.
Im zweiten „Discurso preliminar“ spricht sich Graef aufgrund des negativen Beigeschmacks, den das Adjektiv „mechanicae“ fälschlicherweise in Spanien hat, für seine
Abschaffung aus. Vgl. Witthaus (2012: 296) mit Bezug auf Graef (1755: 36). Auch bei Enrique Ramos ist in seinen Discursos sobre economía política (1769: 71) von der pejorativen
Bedeutung des Attributs „mecánica“ die Rede, das einer Beleidigung gleichkommt:
„[...] la voz mecánica, aunque mal entendida, se haya hecho, aplicada á las artes, un
epitecto [sic] injurioso.“
99
Vgl. Jacobs (1996b: 87f.) und idem (2001: 66).
428 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.2. HandwerkerInnen und Kleingewerbetreibende in der
spanischen und europäischen Literatur vor und nach 1700
Wie Díez Borque in seiner Studie zu den im spanischen Barocktheater wiederholt auftretenden Figurentypen zeigt, spielen die Repräsentanten der als oficios viles betrachteten Handwerksberufe dort noch so
gut wie keine Rolle. Die einzigen in der comedia vertretenen arbeitenden Menschen sind Bauern, seltener noch Bäuerinnen, und mit der
als Handwerk verstandenen literarischen Produktion befasste Dichter
(„poetas“) sowie Schaffende aus dem Bereich der bildenden Künste
(„artistas“).100 Deren Darstellung durch das Theater stuft Díez Borque
als „insignificante“ und, sofern doch einmal gegeben, als „totalmente negativa“ ein.101 Auch in den literaturgeschichtlichen Epochen vor
dem Siglo de Oro finden sich keine Hinweise, die auf eine literarische
Relevanz des Handwerkers, geschweige denn der Handwerkerin, hindeuten. Es scheint, dass Handwerker in der spanischen Literatur erst
im ausgehenden 18. Jahrhundert und dann vor allem in männlicher
Gestalt sowie in der comedia económico-sentimental auf der Bühne repräsentiert werden, d.h. genau in dem Moment, als sich Monarchie und
Politische Ökonomie, repräsentiert durch die Institutionen wie die Sociedades económicas de amigos del país, für sie zu interessieren beginnen.
Ähnlich wie in Spanien, wo das gouvernementale Interesse am
Handwerk mit dem Auftreten des Handwerkers als Dramenfigur
korreliert, verhält es sich in Frankreich. Setzt das politische Interesse
am Handwerk und der enzyklopädischen Archivierung handwerklichen Wissens dort bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert mit Colbert
und der Académie royale des sciences ein, ist dies von dem literarischen
Inerscheinungtreten des (auch hier nahezu ausschließlich männlichen)
Handwerkers begleitet. Als Beispiel kann etwa eine Erzählung Jean
de La Fontaines (1621-1695) aus dem Jahre 1699 angeführt werden,
die um den Flickschuster Blaise kreist.102 Wie Vincent Milliot in seiner
Monographie Les cris de Paris (1995) gezeigt hat, sind die das Pariser
100
Vgl. Diccionario de Autoridades (1721), vol. I, „ARTISTA”: „[...] en lo moderno se
toma por el que exerce artes mechánicas, que comunmente se llama oficial ò menestrál,
y aun en este sentído tiene poco uso.”
101
Vgl. Díez Borque (1976: 223).
102
Vgl. La Fontaine, Jean de (1991): „Conte d’une chose arrivée à Château-Thierry
[1699]“. In: Fables, contes et nouvelles, ed. Jean-Pierre Collinet. Paris: Gallimard, pp. 417ff.
7. Vir faber und vir rusticus
429
Stadtbild seit dem Mittelalter prägenden Kleingewerbe, die petits métiers, seit dem 16. Jahrhundert Gegenstand von Gravuren, Kupferstichen, Balladen und literarischen Anekdoten, die unter anderem durch
die Kolportage- und Reiseliteratur verbreitet werden.103 Wie schon in
Falle der Vertreter des trabajo manual in Spanien ist auch in Frankreich
die mit der körperlichen Arbeit einhergehende Armut das soziale Stigma dieser Kleingewerbetreibenden.104 Außer in den Farcen des französischen Mittelalters105 manifestiert sich eine serielle literarische Darstellung arbeitender Figuren im Héxagone verstärkt zu Beginn des 18.
Jahrhunderts. Diese findet sich vor allem im Jahrmarktstheater (théâtre de la foire)106 und in der opéra-comique,107 zu deren prominentesten
103
Vgl. Milliot, Vincent (2014 [1995]): Les cris de Paris. Les représentations des petits métiers parisiens (xvie-xviiie siècles). Paris: Éditions de la Sorbonne. Hinsichtlich der Darstellung des Kleingewerbes konstatiert Milliot (2014: 17) im 16., 17. und 18. Jahrhundert
ein Ungleichgewicht zwischen ikonographischen und literarischen Repräsentationen,
überwiegen doch die Bilderzeugnisse, die im Laufe der Jahrhunderte zunehmen. Literarische Reihen und Gattungen, die sich der Kleingewerbe annehmen, sind Milliot
(2014: 9) zufolge „les civilités, les embarras de Paris, les guides des voyageurs, les romans
et les pièces de théâtre de la foire“, die nicht selten einen ‚sozialen Exotismus‘ (ebenda, meine Übersetzung) zur Schau stellen, aber auch Reiseberichte, vgl. Milliot (2015:
38). Mit dem anbrechenden 19. Jahrhundert und der zunehmenden Industrialisierung
wandelt sich die kritische bürgerliche Wahrnehmung der petits métiers zunehmend in
eine nostalgische. Die Kleingewerbetreibenden werden Milliot zufolge nun weniger als
eine „altérité sociale“ (2014: 9) denn als ein „conservatoire des traditions ancestrales“
bzw. als ein „répétiteur des rites immobiles“ (2014: 41) gesehen. Diese nostalgische Perspektive schlägt sich auch in der Geschichtsschreibung nieder. Vgl. hierzu Farr (2000:
1): „In the mid- to late nineteenth century artisans became subjects of historical investigation [...]. These histories are marked by their authors’ implicit conviction that the
artisanal, preindustrial past was a better world that had fallen victim to the destructive,
antisocial forces of industrial capitalism.”
104
Vgl. Milliot (2014:23).
105
Vgl. u.a. Collingwood, Sharon Lynn (1993): Commercial Relations In French Farce,
1450-1550. Diss. University of Western Ontario. Zur Aufführungspraxis der Farce vgl.
Rouse, Michel (1986): „La pratique théâtrale dans l’élaboration d’une farce“. In: Barral
Altet, Xavier (ed.). Artistes, artisans et production artistique au Moyen Âge, vol. I. Paris:
Picard, pp. 523-533.
106
Zum französischen Jahrmarktstheater vgl. Martin, Isabelle (2002): Le Théâtre de la
Foire. Des tréteaux aux boulevards. Oxford: Voltaire Foundation.
107
Zur Unterscheidung von Jahrmarktstheater und komischer Oper vgl. Grewe,
Andrea (1989): Monde renversé – théâtre renversé: Lesage und das Théâtre de la Foire. Bonn:
Romanistischer Verlag, pp. 19ff. Konnte der Begriff „théâtre de la foire“ im 18. Jahrhundert „ebensogut Theateraufführungen im eigentlichen Sinne wie auch jede andere
430 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Librettisten Louis Fuzelier (~1672-1752) mit 113 Werken, Charles-François Pannard (1689-1765) mit 99, Alain-René Lesage (1668-1747) mit 71,
Charles-Simon Favart (1710-1792) mit 62, Denis Carolet (1696-1739) mit
60 und Alexis Piron (1689-1773) mit 23 Stücken zählen.108 Sedaine zieht
La Fontaines Erzählung über den Flickschuster 1759 als Vorlage für seine komische Oper Blaise le savetier heran.109 Weitere ProtagonistInnen
des Jahrmarktstheaters stammen aus der großen Gruppe der Kleingewerbetreibenden, seien es die Quacksalber- und WahrsagerInnen,
Chirurgen, Scharlatane, AkteurInnen aus dem Bereich des Lebensmittelhandels (WasserverkäuferInnen, Essig- und WeinhändlerInnen,
AusternhändlerInnen, FischhändlerInnen), seien es VertreterInnen der
mit Mode oder Textilien befassten Berufe, die oftmals von Frauen ausgeübt werden, wie die Tätigkeit der Gebrauchtkleiderhändlerin (revendeuse) oder Flickschneiderin (ravaudeuse).110
Analog zu den Cris de Paris veröffentlicht Miguel Gamborino
(1760-1828) im Jahre 1798 Los gritos de Madrid.111 Auch dieser Band
zeigt Zeichnungen der großstädtischen Kleingewerbetreibenden, deren typenhafte und wohlwollende Zeichnung durch und durch kostumbristisch ist. Dort treffen wir auf Figuren des Madrider urbanen
Art von Jahrmarktsbelustigungen“ wie SeiltänzerInnen oder Feuerspucker meinen,
verwendet Grewe (1989: 21f.) ihn in ihrer Studie fokussiert für die „von professionellen Theatergruppen“ auf den Pariser „Foires Saint-Germain und Saint-Laurent [...]
dargebotenen dramatischen Produktionen“. Der gemeinhin synonym zum Terminus
„théâtre de la foire“ gebräuchliche Terminus „opéra-comique“ meint „ursprünglich
keine fest umrissene dramatische Gattung“, sondern „lediglich eines von mehreren
Theaterunternehmen auf der Foire sowie die in diesem Theater gespielten Stücke“,
deren wesentlicher Bestandteil die Musik ist. Grewe (1989: 22f.). Die opéra-comique definiert Grewe (1989: 23) als „autonome Theaterform innerhalb ihres Wirkungszusammenhangs“. Zu Lesage als Librettist der komischen Oper vgl. Grewe (1989: 149ff.). Eine
detaillierte Untersuchung zur opéra comique nimmt auch Philippe Vendrix (1992) vor,
vgl. L’opéra comique en France au xviiie siècle. Liège: Mardaga.
108
Vgl. Trott, David (2002): „Théâtre de foire à l’époque révolutionnaire: rupture ou
continuité?“. Quelle: http://homes.chass.utoronto.ca/~trott/foire_rv_web.htm, Zugriff:
27.08.2022.
109
Vgl. Martinuzzi, Paola (2016): „Quando il popolo va in scena. Arti, mestieri, professioni nei teatri minori del Settecento“. In: Studi Francesi 180, 60, 3, pp. 424-434, hier
p. 433 sowie Sedaine, Michel-Jean (1759): Blaise le savetier, opéra comique, suivi de La Noce
de Nicaise. Paris: Duchesne.
110
Vgl. Martinuzzi (2016: 427f.).
111
Gamborino, Miguel (1982 [1798]): Los gritos de Madrid. Colleción de setenta y dos
grabados. Madrid: Talleres Artesanos Gráficas. Vgl. dazu Haidt (2011: 163; 260).
7. Vir faber und vir rusticus
431
Lebens: die Haselnussverkäuferin, den Scherenschleifer und den Vogelhändler. So ziemlich jeder denkbaren verkäuflichen Ware ist eine
Figur zugeordnet, von Knoblauch und Öl über Blumentöpfe bis hin zu
Musselin, Fächern und Schuhen.112 Die kleinen Gewerbe, insbesondere solche, die mit Textilien im Zusammenhang stehen, spielen auch im
spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine Rolle, wie
etwa die in der vorliegenden Studie untersuchte comedia económico-sentimental El trapero de Madrid (1782) zeigen wird. Im gleichen Maße, wie
das französische Jahrmarktstheater seinem aus Groß- und Kleinbürgern sowie Adeligen bestehenden Publikum ProtagonistInnen eines
‚Wirtschaftens im Kleinen‘ nahebringt, sind auch die im spanischen
Theater auftretenden Figuren aus Handwerk und Kleinhändlertum
kostumbristische Versatzstücke einer bürgerlich-großstädtischen Realität. Ihr privilegierter theatraler Ort ist die volkstümliche Kurzgattung
der sainetes, deren prominentester Vertreter Ramón de la Cruz (17311794) ist.113 Auch Dramatiker wie Comella haben sainetes verfasst,
die die ProtagonistInnen der kleinen Gewerbe in den Blick nehmen,
beispielsweise den Lumpensammler (span.: „trapero“) im Zwischenspiel El trapero y la petimetra (1779)114. Auch das sainete Las traperas de
Madrid von Domingo María Ripoll (†1775115) thematisiert den Beruf in
seiner weiblichen Variante. Wie im benachbarten Frankreich ist auch
in Spanien das Umarbeiten gebrauchter Kleidung im Beruflichen wie
im Privaten eine Tätigkeit, der vor allem Frauen nachgehen und die
sich dann, wenn es um den Verkauf der bei Frauen aus dem einfachen Volk, den majas, ebenso wie bei den petimetras äußerst begehrten
Gebrauchtkleider geht, oft am Rande der Legalität und im Rahmen
einer ‚informellen Wirtschaft‘ (meine Übersetzung; engl.: „informal
economy“) bewegt.116 Moralisch zweifelhaft ist eine Tätigkeit im Gebrauchtkleidersektor schon allein deshalb, weil ihr nur die untersten
112
Die Zeichnungen aus Gamborinos Originalausgabe von 1798 sind auf den
Webseiten der Biblioteca digital memoria de Madrid einsehbar. Quelle: http://www.
memoriademadrid.es, Zugriff: 27.08.2022.
113
Zu wirtschaftlichen Aspekten in den sainetes Ramón de la Cruz‘ vgl. Coulon,
Mireille (1993): Le sainete à Madrid à l’époque de Don Ramón de la Cruz. Pau: Université
de Pau. Zur Darstellung von Kleingewerbetreibenden aus dem Textilbereich im sainete
vgl. Haidt (2011).
114
Vgl. zu diesem Stück Haidt (2011: 314).
115
Das Geburtsdatum dieses Autors ist unbekannt.
116
Vgl. Haidt (2011: 280).
432 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
und ärmsten gesellschaftlichen Schichten nachgehen, die teils aus Verzweiflung mit gestohlener Kleidung handeln, diese teils aber auch
selbst stehlen.117 Angesichts der Randständigkeit der Berufe, die mit
Gebrauchtkleidern zu tun haben, darunter auch der des Altkleiderhändlers (span.: „ropavejero“) oder des Trödlers (span.: „prendero“),
verwundert es nicht, dass diese zu den unteren Chargen der oficios
viles gezählt werden..118
Was das französische Jahrmarktstheater anbelangt, finden sich
dort neben den Kleingewerbetreibenden auch Charaktere aus der Provinz, die landwirtschaftliche Tätigkeitsbereiche verkörpern, darunter
Bauern und Bäuerinnen, ErntehelferInnen und GärtnerInnen. Gerade
dort, wo das Jahrmarktstheater die für das Pariser Stadtbild typischen
Berufe thematisiert, ist es nicht nur der privilegierte Ort, an dem die
petits métiers in ihrem sozialen und urbanen Kontext auf komische Art
und Weise inszeniert werden. Es fungiert überdies als gesellschaftliche
Schaltstelle, die zwischen Klein- und Großbürgertum sowie zwischen
Arm und Reich vermittelt. Paola Martinuzzi betrachtet das théâtre de
la foire und die komische Oper daher als einen Ort der Performanz,
an dem sich die Pariser Volkskultur mit der Kultur der Eliten verbindet, werde doch den im Publikum befindlichen GroßbürgerInnen und
Adeligen durch die Stücke die Welt der kleinen Leute nahegebracht,
wobei das Lachen, das die Charaktere aus Handwerk, Händlertum
und Landwirtschaft hervorriefen, nur selten eine „risa pacificatore“
sei.119 Während soziale Konflikte gerade in den komischen Momenten
deutlich zutage treten, zeichnet das Jahrmarktstheater das Handwerk,
das Kleingewerbe und die Landwirtschaft zugleich in wohlwollender
117
Haidt (2011: 27). Zum privaten Bereich vgl. auch Haidt (2011: 284): „Through
eighteenth-century women’s work in mending, reworking of garments and textiles
and sewing was considered essential household-labor (often delegated to criadas).”
118
Vgl. Haidt (2011: 284), die in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der
Beruf des Lumpensammlers im spanischen 18. Jahrhundert als ähnlich schmutzig gilt
wie der des Henkers, des Tänzers bzw. der Tänzerin, des Fischverkäufers bzw. der
Fischhändlerin oder der des Metzgers. In Bezug auf Madrid werden diese Berufe vor
allem mit dem Viertel Lavapiés in Verbindung gebracht. Urbane Bereiche wie diese bezeichnet Haidt (ibid.) als „peripheral districts and scruffy peripheral zones“, die ähnlich wie alle mit Altkleidern im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten die untersten
Ränge des volkstümlichen Madrid bilden.
119
Vgl. Martinuzzi (2016: 432).
7. Vir faber und vir rusticus
433
Art und Weise.120 Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die durch
das Jahrmarktstheater vollzogene Inszenierung eines ‚Wirtschaftens
im Kleinen‘ mit einer veränderten Struktur des Theaterbetriebs selbst
einhergeht. Der chef de troupe wird dabei zu einem „entrepreneur de
spectâcles“121, ist also selbst ein Kleinunternehmer, der dem Markttreiben und seinen Metiers durch seine eigene, am selben Ort ausgeübte
unternehmerische Tätigkeit verbunden ist.122 Ein nicht unbedeutender Teil seines Publikums setzt sich aus der Gruppe der HändlerInnen und MarktbesucherInnen zusammen, denen das théâtre de la foire
eine Fiktionalisierung ihrer Lebenswelt darbietet, die sich zugleich am
Alltag arbeitender Menschen orientiert. Als Selbstständiger obliegt
es dem entrepreneur de spectâcles, das Jahrmarktstheater zu professionalisieren,123 die Aufführungen so zu gestalten, dass sie sich rechnen
und diese Prozesse mit den Ansprüchen der Zensur und weiteren behördlichen Auflagen in Einklang zu bringen.124 Damit befindet sich
das Jahrmarktstheater auf der Schwelle zu dem, was Fernand Braudel als économie d’échange naturelle bezeichnet, d.h. es ist im Übergang
von einer herkömmlichen, routinierten und traditionellen Form des
Tausches gegen Geld zu dem begriffen, was er die économie d’échange
artificielle nennt, d.i. eine überlegene und zunehmend auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Form des Wirtschaftens, die den Übergang
von der post-feudalen zur kapitalistischen Ökonomie markiert.125
120
Martinuzzi (2016: 434).
Vgl. Martin, Isabelle (2004): „L’entrepreneur au théâtre de la foire: nouveau rôle
ou nouveau personnage?“. In: Poirson, Martial (ed.). Art et argent en France au temps des
premiers temps modernes (xviie au xviiie siècles). Oxford: Voltaire Foundation, pp. 113-121,
hier p. 114.
122
Dass sich das Kollektiv der fliegenden Händler und Marktleute einander verbunden fühlt, bestätigt Milliot (2014: 30), der von einer „relative conscience collective“
spricht, „qui se manifeste à l’occasion des conflits qui les opposent aux jurés des communautés de métiers ou au maîtres“.
123
Dabei orientiert man sich – wie auch in Spanien – am Vorbild italienischer Truppen. Vgl. Martin (2004: 114).
124
Ähnliches konstatiert Grewe (1989: 104ff.), die in Bezug auf das théâtre de la foire
von einer sich im Zeitraum von 1697-1711 vollziehenden „kapitalistische[n] Neugestaltung des Theaters“ spricht.
125
Vgl. Martin (2004: 116) mit Bezug auf Braudel, Fernand (1979): Civilisation matérielle, économie et capitalisme,xve-xviiie siècles, vol. II: Les Jeux de l’échange. Paris: Armand
Colin, p. 8. Die zunehmende Professionalisierung und das unternehmerische Denken,
das Martin für das Jahrmarktstheater beobachtet, beobachtet Milliot (2014: 26) auch
121
434 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dieser Wandel vollzieht sich im französischen Kulturbetrieb des 18.
Jahrhunderts später als in den übrigen Wirtschaftsbereichen, wo eine
Liberalisierung schon früher erkennbar ist. Martin zufolge ist dies vor
allem der Zensur sowie der Notwendigkeit geschuldet, Obrigkeit und
Publikum gleichermaßen zu gefallen.126 Für Frankreich lässt sich abschließend festhalten, dass es nach den Farcen des Mittelalters und
einer langen Phase, in der das Handwerk literarisch kaum eine Rolle
zu spielen scheint, das 18. Jahrhundert und wiederum das Theater ist,
das einen wohlwollenden, um das Element (groß-)städtischen Lokalkolorits bereicherten Blick auf ProtagonistInnen aus Handwerk und
Kleingewerbe wirft.
Für das deutsche Spätmittelalter hat Jörn Reichel die Existenz einer
in der Gattung des Städtelobs zu verortenden Handwerkerdichtung
nachgewiesen, in der sich der Nürnberger Panzer- und Kettenhemdmacher Hans „Schnepper“ Rosenplüt auf dem Feld der „städtische[n]
Gebrauchsliteratur“ betätigt und neben einem „umfangreichen Spruchwerk“ kritische Fastnachtsspiele verfasst, die von „grobianischer Sinnlichkeit“ zeugen und „Papst und Reich“ aus der Perspektive der Armen und Ausgebeuteten, kurzum: aus der Sicht der körperlich schwer
arbeitenden Bevölkerung schildern, während die besitzenden Schichten verspottet und kritisiert werden.127 Der Bauer als theatrale Figur
findet sich im deutschsprachigen Raum des 17. und 18. Jahrhunderts
etwa in der Bauernkomödie oder im Volksschauspiel, beispielsweise
für die petits métiers: „[...] on retrouve avec plus de précision les petits métiers organisés, ceux qui vivent sous l’emprise du modèle corporatif et essayent de mettre sur
pied statuts, manières d’apprentissage ou de transmission d’un savoir professionnel.“
Milliot macht dies anhand der gewerblichen Terminologie fest, die Etienne Boileau in
seinem Livre des métiers bereits 1268 aufgelistet hatte und die das Dictionnaire universel
de commerce (1723) von Savary oder das Dictionnaire raisonné des arts et métiers des Abbé
Jaubert (1773) für das französische 18. Jahrhundert dokumentieren.
126
Vgl. Martin (2004: 116).
127
Vgl. Reichel, Jörn (1982): „Handwerkerleben und Handwerkerdichtung im spätmittelalterlichen Nürnberg: Hans Rosenplüt genannt Schnepper“. In: Brunner, Horst
(ed.). Literatur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Literatur des 15. Bis 17.
Jahrhunderts. Göppingen: Kümmerle, pp. 115-142, hier p. 131. Als Beispiel für eine solche Kritik der Reichen aus der Sicht der unteren Schichten nennt Reichel das Stück Des
Türken Fastnachtsspiel.
7. Vir faber und vir rusticus
435
in dem auf Sebastian Sailers Schwäbische Schöpfung (1743) basierenden
gleichnamigen religiösen Fastnachtsspiel von 1783.128
In England findet sich eine ebenfalls vergleichsweise früh erfolgende (Selbst-)Inszenierung der Handwerkerschaft, die unter anderem
mit dem beträchtlichen gesellschaftlichen Gewicht zu erklären ist, das
die Handwerksgilden dort seit dem Mittelalter innehaben. Das bevorzugte Medium, in dem einerseits der homo faber in Gestalt des vir faber
als theatrale Figur auftritt, und das andererseits das System der Gilden und deren Kodex allegorisch artikuliert, ist auch in England das
Theater. Die Mysterienspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, die so genannten Civic Cycles, die anlässlich religiöser Feste wie Fronleichnam
und Pfingsten von Handwerkergilden in Städten wie Chester und
York aufgeführt wurden,129 nutzen die theatrale Performanz dazu, die
kollektive Identität des Handwerkertums mit ihren Regeln und Regularien zu bekräftigen und sich ihrer Religiosität ebenso wie ihrer
Bedeutung für die urbane Gesellschaft zu versichern.130 Eine ähnliche
soziale Funktion erfüllen die französischen Farcen.131 Bedeutsam ist
nicht nur, wie die Aufführungspraxis der Civic Cycles die Ehrbarkeit
128
Vgl. Bernhart, Toni (2019): Volksschauspiele. Genese einer kulturgeschichtlichen
Formation. Berlin: De Gruyter, pp. 99ff. Zum Bauern in deutschen Komödien des 17.
Jahrhunderts vgl. auch die Tagung von Markus Denkler und Michael Elmentaler an
der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster von 2019, die einen linguistischen
Schwerpunkt hatte, aber auch literaturwissenschaftliche Vorträge einschloss. Vgl.
auch den zugehörigen Tagungsbericht von Kopf, Kristin (2020): „Bauernkomödien
des 17. Jahrhunderts als sprachhistorische Quellen / 17th-Century Peasant Comedies
as Sources of Linguistic History. Bericht zur Tagung in Münster, 30. September bis 2.
Oktober 2019“. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 48, 1, pp. 187-193.
129
Vgl. Rice, Nicole/Pappano, Margaret Aziza (2015): The Civic Cycles: Artisan Drama and Identity in Premodern England. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame
Press, p. 19. Dort werden zudem Coventry, Norwich und Newcastle als Aufführungsorte genannt.
130
Vgl. Rice/Pappano (2015: 3): „[...] the civic cycles represented collaborative enterprises in which artisans, though neither fully authors nor scribes, created and revised
their own self-representations in regular theatrical events that endured for two centuries.”
131
Vgl. Boucquey, Thierry (1999): Six Medieval French Farces. Lewiston: Edwin Mellen, pp. 9ff. Wie Boucquey im Vorwort ausführt, erfüllen die Farcen, deren Hauptfiguren Handwerker wie der Schuster oder Kesselmacher sind, vor allem eine soziopolitische Funktion und werden anlässlich von festlichen Ereignissen wie Hochzeiten
und Feiertagen aufgeführt.
436 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Handwerkerschaft inszeniert,132 sondern auch, wie sich die kollektive Arbeitsweise der Handwerker auf die dramatische Produktion
überträgt.133 Obgleich die Civic Cycles in der Weise, in der sie „honor,
profit, and charity“134 für die Handwerkerschaft in Anspruch nehmen,
in Europa einmalig sind,135 erinnern sie mit ihrer Aufführung an öffentlichen Plätzen und im Rahmen einer Prozession an die spanischen
auto sacramentales. Die Stücke beispielsweise, die um die Thematik
des Höllensturzes kreisen, etwa das Yorker Drama Fall of Angels oder
der in Chester aufgeführte Fall of Lucifer, verhandeln das gesellschaftliche Selbstverständnis des Handwerks sowie die zwischen den Gilden bestehenden Konflikte in allegorischer Form.136 Spätestens im
elisabethanischen Theater treten Vertreter des Handwerks selbst als
(männliche) Protagonisten in Erscheinung. Thomas Dekkers bürgerliche Komödie137 The Shoemaker’s Holiday or The Gentle Craft (1599) um
den Adeligen Lacy, der sich als holländischer Schuster ausgibt, um
dem Militärdienst zu entgehen und die Bürgermeistertochter Rose
entgegen der zwischen ihnen bestehenden Standeskluft ehelichen zu
können, ist als Inszenierung der Spannungen zwischen einem durch
Vgl. Rice/Pappano (2015: 21): „The cycle drama served to promote the ‚honor’ or
‚worship’ of the guild members, showing them as respectable, responsible members
of the civic community, safely entrusted with producing lavish devotional plays on
behalf of the entire city.”
133
Vgl. Rice/Pappano (2015: 25).
134
Rice/Pappano (2015: 18).
135
Zwar sind auch im französischen Lille Handwerker in Fronleichnamsaufführungen involviert, nehmen jedoch lediglich an den nach Gilden angeordneten Prozessionen teil, während Organisation und Gestaltung der Aufführungen in der Hand von
einzelnen Nachbarschaften liegen. Vgl. Rice/Pappano (2015: 19).
136
Vgl. Hierzu auch die Rezension der Monographie von Rice & Pappano von Mark
Chambers in Medium Ævum, 86, 1, pp. 173-174., hier p. 174: „York Tanner’s Fall of the
Angels pageant, [...] reflects some of the historical guild disturbances and attempts at
one-upmanship surrounding the hierarchical arrangements of the city’s Corpus Christi
procession. The authors suggest that the devils wrangling over brightness, for example, may reflect aspects of the Tanners long-running dispute over trade rights with the
Cordwainers as well as their well-documented bickering over hierarchy in the procession. Conversely, they suggest that the Chester Tanners’ The Fall of Lucifer play may
have functioned as a bit of self- promotion’ by the guild and the city’s governing elite.“
137
George K. Hunter stuft Dekkers Stück als eine „bourgeois comedy“ ein. Vgl.
Hunter, George K. (1986): „Bourgeois comedy: Shakespeare and Dekker“. In: Honigmann, Ernst A. Shakespeare and his contemporaries. Manchester: Manchester University
Press, pp. 1-15.
132
7. Vir faber und vir rusticus
437
die Handwerkerschaft vertretenen aufstrebenden Bürgertum und
einem in der Dekadenz begriffenen Adel lesbar.138 Die dergestalte
Inszenierung von Klassengrenzen auf der Bühne zeugt vom gestiegenen Selbstbewusstsein der produzierenden Schichten.139 Matthew
Kendrick etwa deutet Dekkers Stück als theatrale ‚Subjektivierung von
Arbeit‘, die einer sich bereits im ausgehenden englischen 16. Jahrhundert manifestierenden kapitalistischen140 ‚Objektivierung des arbeitenden Menschen‘ (meine Übersetzung)141 entgegensteht. Insbesondere
das Ende von Dekkers bürgerlicher Komödie weist Parallelen zu dem
hier an späterer Stelle analysierten Stück El buen labrador (1791) von
Comella auf, wenn Dekker schließlich die Gemeinschaft der Schuster,
den englischen Adel und den König an einer Tafel versammelt. War
es in Westeuropa vom Mittelalter bis weit in das 18. Jahrhundert hinein üblich, dass Handwerkermeister vor ihrem Eintritt in die Zunft
‚exorbitant teure Bankette‘ (meine Übersetzung)142 für die Zunftmitglieder veranstalteten, ist es in Dekkers Stück nun der König, der die
Handwerkerschaft an seine Tafel bittet. Das Drama weist zum einen
Parallelen zu Comellas El buen labrador auf, während die Tarnung des
Adeligen Lacy als Schuster der Verkleidung des Adeligen Silverio aus
Fermín del Reys La modesta labradora (1791) ähnelt, der sich als Teil der
Landbevölkerung ausgibt.
Im Rahmen einer noch ausstehenden, breit angelegten komparatistischen Studie wäre zu prüfen, inwieweit Dekkers Stück französischen und spanischen Handwerkerkomödien der Aufklärung möglicherweise als Folie gedient hat, und inwiefern es damit eine ähnliche
Rolle einnimmt wie Lillos London Merchant für die Popularität der
Kaufmannsfigur auf europäischen Bühnen. Im frühen 18. Jahrhundert
nimmt sich Defoe in seiner Zeitschrift The Manufacturer: or the British
Trade Truly Stated (1719-1721) der Sache der Weber an: Auf ihre Bitte
hin verleiht er ihnen eine Stimme und protestiert stellvertretend gegen
138
Vgl. Kendrick, Matthew (2011): „‚A Shoemaker Sell Flesh and Blood? – O Indignity!’: The Labouring Body and Community in The Shoemaker’s Holiday”. In: English
Studies: A Journal of English Language and Literature, 92, 3, pp. 259-273, hier p. 260f.
139
Vgl. Kendrick (2011: 260f.).
140
Vom Vorhandensein kapitalistischer Strukturen spricht auch Martin (2004: 116)
in Bezug auf die ökonomische Organisation des théâtre de la foire.
141
Kendrick (2011: 272).
142
Farr (2000: 35). Dies gilt für England, Spanien, Frankreich, Deutschland und
Flandern.
438 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
den Import und den Schmuggel von in Indien produzierten KattunStoffen durch die East India Company.143 Wie in den Abschnitten zur
wirtschaftlichen Ausgangslage und unserer Analyse von Campomanes‘ Discurso sobre industria popular gezeigt wurde, stellt die Einfuhr
asiatischer Stoffe auch aus spanischer Sicht eine Bedrohung für das
heimische Handwerk dar.
7.3. Der vir faber in Cándido María Trigueros’ Los menestrales
(1784)
Cándido María Trigueros‘ 1784 verfasste neoklassische Komödie
entsteht für die Festlichkeiten anlässlich der Geburt der königlichen
Zwillinge Carlos und Felipe und des Friedensschlusses mit England
und wird am 16. Juli desselben Jahres im Madrider Teatro del Príncipe uraufgeführt. Sie ist das Werk eines Dramatikers, der Mitglied der
Sociedad Económica von Sevilla sowie mit Jovellanos befreundet ist144
und in der Tertulia Olavides145 verkehrt. Daher ist Trigueros bestens
mit den Maximen des ökonomischen Reformdiskurses vertraut.146
Dasselbe gilt für die Doktrin des Neoklassizismus: Trigueros selbst
kreiert mit El mísero y el pedante, Duendes hay, señor Don Blas (1763) die
erste neoklassische Komödie, der es gelingt, zur Aufführung gebracht
zu werden,147 nachdem Nicolás Fernández de Moratíns ein Jahr zuvor
entstandenes Stück La petimetra (1762) diesbezüglich gescheitert war.
143
Die Importe hatten die heimischen Webereien in eine große Krise gestürzt, die
bis hin zu Werkschließungen und Hungersnöten unter den Webern reichte. Defoes Manufacturer findet in John Asgills The British Merchant, or: A Review of Trade in Great Britain (1719-1720) die Gegenstimme der Kaufleute, die die indischen Importe begrüßen.
Eine Zuspitzung erfährt die Debatte um die Importe von Kattun durch die Zeitschrift
The Weaver, or the State of our Home Manufacturer considered (1719-1720), in der James
Ouvry in radikalerer Weise den Standpunkt der Weber vertritt als Defoe, nachdem sich
die von Defoe enttäuschten Weber an Ouvry gewandt hatten.
144
Vgl. Aguilar Piñal, Francisco (1987): Un escritor ilustrado: Cándido María Trigueros. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, p. 66. Zu Trigueros’ Los
menestrales, den Hintergründen und den Reaktionen der Zeitgenossen vgl. auch Hoffmann (2017: 111-137), hier in Bezug auf die Freundschaft zwischen Jovellanos und Trigueros p. 113.
145
Vgl. Aguilar Piñal (1987: 57ff.).
146
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 9ff.).
147
Vgl. Aguilar Piñal (1987: 197f.).
7. Vir faber und vir rusticus
439
Trigueros‘ profunde Kenntnis des von Regierungsseite bevorzugten
theatralen und ökonomischen Diskurses ist ein maßgeblicher Grund
dafür, dass er sich bei der im März 1784 in der Gaceta de Madrid veröffentlichten Ausschreibung durchsetzt.148
Bei der um den Schneider Cortines, den Gewürzwein-Hersteller
Pitanzos und den betrügerischen Schuster Rafa kreisenden Handwerkerkomödie handelt es sich um ein von einer regierungsamtlichen
Jury prämiertes Lehrstück, das als Prototyp eines reformökonomisch
orientierten und propagandistisch motivierten neoklassischen Wirtschaftstheaters gelten kann.149 Während Ivy McClelland das Stück als
schamloses Beispiel für politischen Opportunismus wertet, zeugt es
Aguilar Piñal zufolge vom Streben der Handwerkerschaft nach gesellschaftlicher Anerkennung.150 Zur Jury zählen neben dem Reformökonomen und Theaterreformer Jovellanos, der den Vorsitz innehat, auch
zwei Juristen, ein Theologe sowie Ignacio López de Ayala als bekannter Zensor und Mitglied der Reales Estudios de San Isidro.151 Trigueros‘
Sieg, der ihm 50 Dublonen Preisgeld einbringt,152 führt zu einer regelrechten „guerrilla literaria“153, im Rahmen derer konkurrierende
148
Zu den Details der Ausschreibung und der Aufführung vgl. Hoffmann (2017:
111ff.).
149
Das Handlungsgerüst von Trigueros Los menestrales bildet seinerseits die Folie
für Leandro Fernández de Moratíns Komödie El barón (1802). Das bereits 1787 verfasste
und erst 1803 uraufgeführte Stück war ursprünglich eine zarzuela, ein Musiktheaterstück also, das von Moratín erst später zu einer Komödie umgeschrieben wurde. Vgl.
Camarero, Manuel (2003): „Estudio de El barón”. In: Moratín, Leandro Fernández de.
El barón, ed. idem. Madrid: Ediciones Libertarias, pp. 33-48, hier p. 35. Bei der moralisch fehlgeleiteten Protagonistin des Stückes, die eben keine „Doña“, sondern nur eine
„Tía“ Mónica und daher von niederem Stande ist, handelt es sich um eine „simple ‚labradora‘“, eine Bäuerin. Diese hat die beträchtliche Summe von 12.000 reales angespart.
Auch sie geht – wie der menestral Cortines aus Trigueros‘ Stück – einem falschen Baron
auf den Leim, auf dessen Adelstitel sie aus ist und den sie daher mit ihrer Tochter Isabel verheiraten möchte. Zu den Parallelen zwischen Los menestrales und El barón vgl.
Andioc (1987: 182ff.).
150
Vgl. Fuentes (2014: 226f.) unter Bezugnahme auf McClelland, Ivy (1970): Spanish
Drama of Pathos 1750-1808, vol. I: High tragedy. Toronto: Toronto University Press, p.
475 und Aguilar Piñal (1995: 9ff.).
151
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 15). Außer den bereits namentlich genannten Jurymitgliedern erwähnt Hoffmann (2017: 111) José de Viera y Clavijo (1731-1813) und Miguel
García Asensio (†1808).
152
Vgl. Aguilar Piñal (1987: 197).
153
Aguilar Piñal (1997: 39).
440 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dramatiker wie Iriarte Satiren und Schmähgedichte auf Los menestrales verfassen. Es finden sich aber auch Lobeshymnen auf das Stück,
etwa von Sempere y Guarinos.154 Obwohl sich die Komödie immerhin
elf Tage auf dem Spielplan hält, ereilt Trigueros‘ Stück das Schicksal
vieler neoklassischer Komödien, beim Publikum nur mäßig zu reüssieren.155 Einen Grund für den geringen Anklang vermutet Aguilar Piñal zum einen in der schlechten Leistung der SchauspielerInnen der
Compañía de Ribera, über die ein Brief Jovellanos‘ an Trigueros Auskunft gibt.156 Zum anderen greife die Komödie mit dem Credo „que el
trabajo productivo constituye la única vía de salvación para un pueblo en crisis” zwar einen Kerngedanken des aufgeklärten Reformdiskurses auf, die Kritik der Komödie an Hochmut und Ostentation des
Adels und einem diesem Adel nacheifernden Bürgertum sei aber so
weitreichend geraten, dass sie alle Teile des Publikums gleichermaßen
brüskieren müsse.157 Ob es tatsächlich dieser oder noch andere Gründe sind, die für den geringen Erfolg des Stückes ursächlich waren, erörtert der nächste Abschnitt mit Blick auf die ambivalente Darstellung
des Handwerkertums in Los menestrales.
7.3.1. Schuster, bleib bei deinem Leisten
Die in Los menestrales mit dem militärischen Terminus des ‚Desertierens‘158 gebrandmarkte Handwerksflucht, ein Begriff, der bereits
auf die Arbeit als gesellschaftliche Pflicht im Dienste des bien común
verweist, ist eines der Hauptthemen des Stückes. Es wird von Trigueros bereits im Prolog benannt159 und gleich zu Beginn durch den
154
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 38).
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 53). Wenn Aguilar Piñal von einem „Scheitern“ des
Stückes beim Publikum spricht, so räumt er ein, dass es sich angesichts der Spieldauer
nur um ein relatives handeln kann. Als Vergleich führt er Iriartes La señorita malcriada
an, das sich (nur) sieben Tage auf der Bühne behauptet.
156
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 36).
157
Aguilar Piñal (1997: 53).
158
Trigueros, Cándido María de (1997): Los menestrales, ed. Francisco Aguilar Piñal.
Sevilla: Universidad de Sevilla, p. 186, v. 1834. Dort wird der als Betrüger entlarvte
Schuster Rafa als „un señor desertor de hacer zapatos” bezeichnet.
159
Vgl. Trigueros’ mit „El Autor al que leyere“ betitelte Vorwort zu den Menestrales
in der Ausgabe von Aguilar Piñal (1997: 89f.): „De tan injusto desprecio [de las Artes y
de los Artistas] ha provenido la manía del mayor número de los Menestrales, que, por
155
7. Vir faber und vir rusticus
441
Schneidermeister Justo eingeführt, als dieser die Unzufriedenheit einzelner Berufsgruppen mit ihrem Stand beschreibt, da sich das soziale
Ansehen an der jeweiligen Tätigkeit bemesse:
JUSTO
Es condición de todos los mortales
no contentarse nadie en su destino.
Envidia el abogado al comerciante,
el comerciante envidia arrepentido
al soldado, el soldado al escribano:
todos prefieren ajeno oficio.
Que un sastre tenga envidia de un caballero
y busque esplendor para sus hijos,
no me puede admirar, aunque lo sienta,
por ser yo al que más daña el capricho.160
Bemerkenswert ist hier, dass sich der dem Individuum in der sozialen Hierarchie zugewiesene Platz noch nach dem Schicksal – sprich:
nach dem Stand, in den es hineingeboren wird – richtet. Die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs durch Fleiß, wie sie bürgerliche Ideologien des 19. Jahrhunderts später vertreten werden, besteht hier noch
nicht. Vor dem Hintergrund der geringen Produktivität des spanischen Handwerkertums als einem von vielen ökonomischen Besorgnissen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, sind die in Trigueros‘ Stück
genannten gesellschaftlichen Gruppen bezeichnenderweise nicht nach
reich oder arm, sondern nach Berufsgruppen gegliedert. Wie schon in
Duráns La industriosa madrileña wird auch hier eine soziale Stufung
aufgerufen, die von unten – dort stehen die bereits in der Literatur der
französischen Klassik viel geschmähten Anwälte – nach oben bis hin
zum höfischen Schreiber reicht.161
deseo de ser más, descuidan o desamparan sus oficios, creyendo siempre encontrar
mayor aprecio en otra situación. [...] Entre los muchos medios que pudieran hallarse
para combatirla [a tan necia preocupación] ridiculizándola, he escogido el Autor de
esta comedia el que le ha parecido mas a propósito para poder causar algún provecho;
no solo impugnando directamente esta mala costumbre; sino también oponiéndose indirectamente por el mismo rumbo a otros vicios, hijos de la misma causa.“ Vgl. hierzu
auch García Garrosa (1990: 170).
160
Trigueros (1997: 93, vv. 7-16).
161
Auf eine Hierarchie der oficios viles verweist auch Domínguez Ortiz (1945: 676).
Demnach stehen ganz unten in der Rangfolge SchauspielerInnen, SchaustellerInnen,
442 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Auch in Los menestrales ist es ein Handwerker, der neidvoll auf den
Adel als die in der gesellschaftlichen Hierarchie über ihm stehende
Schicht blickt. Dieser Handwerker ist der Schneider Cortines, der sich
seines Handwerks und des damit verbundenen geringen gesellschaftlichen Ansehens derart schämt, dass er seinen Berufskollegen Justo
bittet, dies vor anderen geheim zu halten. Im Gegenzug bietet Cortines Justo an, für ihn dasselbe zu tun: „Calla tú por tu parte, y te prometo / que no diré qué oficio has ejercido.“162 Aufgrund der Schmach,
die Handwerksstand und Meisterstitel sowie die mit ihnen verbundene körperliche Arbeit mit sich bringen – „¡Un Maestro! Es un hombre
cuyo cuerpo / está con el trabajo encallecido. Un Maestro es de todos
esclavo: un Maestro es un pobre“163 – strebt Cortines die Heirat seiner Tochter Rufina mit dem vermeintlichen Baron Rafa an. Das im
Schweiße seines Angesichts innerhalb von zehn Jahren verdiente Geld
droht der ehrgeizige Schneidermeister binnen eines einzigen Tages
auszugeben.164 Darin ähnelt er der Figur des Gonzalo aus Iriartes La
señorita malcriada. Um den angeblichen Baron durch die Zurschaustellung von Luxus zu beeindrucken, gibt Cortines ein rauschendes,
eines Adeligen würdiges Fest mit ebenso kunstvollen wie kostspieligen Illuminationen, Musik, Tanz und Maskenspiel,165 bei dem er die
Wucherer und Henker, gefolgt von landwirtschaftlichen Wanderarbeitern wie jenen, die Rinder und Schafe kastrieren. Danach kommen die Schlachter, Gerber sowie
Schank- und GastwirtInnen. Besser angesehen sind an feudale Güter angebundene
Landwirtschaftsberufe in den Bereichen Ackerbau, Viehzucht und Müllerei, wobei
sich auch hier eine Stufung bemerkbar macht: So genießt beispielsweise der Rinderhirte größeres Ansehen als der Hüter von Ziegen und Schweinen. An der Spitze der
Hierarchie stehen die in Zünften organisierten Handwerksberufe, worauf bereits deren Inanspruchnahme des Ehrentitels „don“ hindeutet. In diesem Zusammenhang verweist Domínguez Ortiz auch auf die Verwunderung, die in Berichten ausländischer
Reisender angesichts des Stolzes einer spanischen Handwerkerschaft zum Ausdruck
kommt, die es nicht für nötig befindet, ihre Kunden auf der Straße zu grüßen. Domínguez Ortiz (1945: 676) mit Verweis auf Brunel, Antoine (1666): Voyage d’Espagne,
curieux, historique, et politique: fait en l’année 1655. Paris: Robert de Ninville, Kap. VI.
162
Trigueros (1997: 105, vv. 279f.).
163
Trigueros (1997: 102, vv. 213ff.).
164
Vgl. Trigueros (1997: 95, vv. 47f.): „[Cortines] gasta en solo un día / el sudor de
diez años.”
165
Hinsichtlich des auf der Bühne inszenierten Festes, „en el que se presentan,
acompañados de orquesta y coro, canciones, bailes de moda como el fandango y la
seguidilla y máscaras“, konstatiert von Tschilschke: „Los menestrales rebosan por consiguiente de esta ‚teatralidad‘ cuya falta se ha deplorado tanto en la comedia neoclásica.“
7. Vir faber und vir rusticus
443
Verlobung Rufinas mit Rafa bekanntzugeben gedenkt. Das Bündnis
scheitert allerdings daran, dass Rafa zuvor von dem örtlichen Richter
Juan, der in diesem Stück die Rolle des Ordnungsstifters einnimmt,
als einfacher Schuster und Betrüger entlarvt wird und herauskommt,
dass der Auserkorene bereits verheiratet ist. Bezeichnenderweise erfolgt die Demaskierung Rafas durch eine der Figuren des festlichen
Maskenspiels, die sich als Rafas Ehefrau erweist. Maßgeblich für die
Entlarvung des Schusters ist eine Allianz aus dem Richter Juan, Cortines‘ Gattin Florentina, der gemeinsamen Tochter Rufina und des seinerseits auf Rufinas Hand hoffenden Schneidermeisters Justo. Dieser
ist am Ende der lachende Dritte.
Die Los menestrales zugrunde liegende Figurenkonstellation, innerhalb derer sich Bündnisse bilden, die durch Einzelinteressen motiviert
sind, bestätigt Fuldas These, dass kollidierende Interessen die Handlung der Gattung Komödie wesentlich befeuern.166 Cortines verbündet
sich seinerseits mit (dem falschen Adeligen) Rafa und (dem tatsächlich
adeligen) Pitanzos, strebt er doch selbst einen Titel an167 und möchte
seine Tochter daher in blaublütige Kreise verheiraten. Die übrigen Figuren schmieden aus Gründen der Vernunft (Juan), des Misstrauens
(Florentina), der Liebe (Rufina) oder eines zu erwartenden Gewinns
(Justo) eine Gegen-Allianz. Ein Ausspruch des Richters Juan setzt die
ZuschauerInnen am Ende des Stückes über Rafas Abkommen vom
rechten Weg in Kenntnis: Seines Handwerks überdrüssig, war der ursprünglich aus Andalusien stammende Schuster, dessen Ausdrucksweise schon auf seine einfache Herkunft hingedeutet hatte,168 durch
Wir haben es hier also mit einem ‚Theater im Theater‘ zu tun, das, wie für spanische
Theaterproduktionen charakteristisch, in denen Musik und Tanz seit dem Siglo de Oro
eine große Rolle spielen, ein multimediales Spektakel ist. Tschilschke (2018: 256).
166
Vgl. Fulda (2005: 22).
167
Damit ist Cortines Teil jener „fabricantes“ und „mercaderes enriquecidos [que]
pensaban en fundar un mayorazgo, en comprar un título de regidor, en procurase una
ejecutoria de hidalguía“. Diese sehen sich Domínguez Ortiz (1945: 675) zufolge bereits
in der Traktatliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts dem Vorwurf ausgesetzt, der heimischen Wirtschaft durch ihre Handwerksflucht zu schaden. Seine eigene, gefälschte
und angeblich von seinem Urgroßvater erlangte ejecutoría de nobleza zeigt Rafa dem
Schneider Cortines im zweiten Akt in der ersten Szene. Vgl. Trigueros (1997: 128, vv.
744ff.).
168
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 47), der auf Rafas gitanismos verweist.
444 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die Lande vagabundiert und hatte allerlei Schurkereien begangen, bis
er schließlich auf Cortines als leichtgläubiges Opfer traf.
Während Aguilar Piñal das gleichzeitige Plädoyer für einen sozialen Konformismus und eine neu sich abzeichnende bürgerliche Ideologie als Kern von Los menestrales identifiziert,169 den darin bestehenden diskursiven Widerspruch aber nicht weiter ausführt, wird hier
die These vertreten, dass es gerade dieser Widerspruch ist, der zum
Scheitern der Komödie beim Publikum führt. Wird den Handwerkern
einerseits Ehre zugesprochen, so geschieht dies allein, damit sie keine
gesellschaftlichen Ambitionen entwickeln. Die rhetorisch bekundete
Ehrbarkeit der handwerklichen Gewerbe wird in Trigueros‘ Stück vor
allem deshalb wieder ausgehebelt, weil es die Kritik am prätentiösen
Fehlverhalten des aufstiegswilligen Schneiders Cortines in den Vordergrund rückt, ohne sie durch positive Bilder vom Handwerk auszugleichen. Solche Bilder halten die hier bereits analysierten Komödien über den Kaufmann und den Textilfabrikanten sehr wohl für die
ZuschauerInnen bereit, indem sie den Beitrag des ebenso virilen wie
erfolgreichen und bibeltreuen vir oeconomicus zum bien común hervorheben. Bei Trigueros hingegen bildet den Stein des Anstoßes nicht
etwa die geringe gesellschaftliche Achtung des Handwerks, sondern
vielmehr das Bestreben des Handwerkers Cortines, über die Verheiratung seiner Tochter mit einem Baron in höhere Kreise aufzusteigen.
In diesem Sinne ist die Figur des Cortines als Personifikation des
bürgerlichen Wunsches nach sozialer Gleichstellung zu verstehen.
Gerade dieses Bestreben wird am (nur vermeintlich) guten Ende der
Komödie abgestraft. Dort ist es das ‚arme Schneiderlein‘, das sich den
Spott der übrigen Figuren und des Publikums zuzieht, als sich herausstellt, dass es nicht nur dem Betrüger Rafa aufgesessen war, sondern sich der Schneider überdies reuig und moralisch geläutert zeigen
muss. Die Figur des Schusters, der wie Cortines ein aufstiegswilliger
Handwerker ist, der jedoch mit unlauteren Mitteln zum Ziel kommen
möchte und aufgrund dessen der Justiz zugeführt wird, verdeutlicht
auf wenig subtile Art die sprichwörtliche Moral der Komödie, dass
der Schuster doch bitte bei seinem Leisten bleiben möge. Rafas primäres Vergehen besteht entsprechend nicht im Betrug, wie uns sein
169
Aguilar Piñal (1997: 29): „La doctrina que esta comedia defiende es la del conformismo social, pero también la de la nueva ideología burguesa, que pedía la sustitución
en cargos y honores del noble ocioso por el menestral trabajador.“
7. Vir faber und vir rusticus
445
Geständnis verrät, sondern in seinem Streben nach Reichtum und
Ruhm sowie in seiner Abtrünnigkeit vom Handwerk.170 Seine Betrügereien sind zweitrangig bzw. werden durch seinen Müßiggang gefördert. Die Handwerksflucht wird somit als Grundübel ausgemacht,
aus dem alle weiteren resultieren:
RAFA
El deseo de verme rico y alto,
el aborrecimiento a mi ejercicio,
el mirar con horror a mi trabajo
me arrastró a las maldades que confieso.171
Dass Cortines sein Geschäft schließt und danach strebt, einen adeligen Schwiegersohn aufzutun, erscheint demgegenüber nicht als juristisch zu ahnendes Vergehen, wohl aber als ‚Sünde‘ (meine Übersetzung). Für diese gilt es in Form der Fortführung des Schneiderberufes
Buße zu tun „Al punto abro mi tienda; confesaré, y enmiendo, mi
pecado.“172 Dass die Buße hier ausgerechnet in der weiteren Ausübung des Handwerks besteht, relativiert die vom Ordnungsstifter
Juan formulierte Moral des Stückes: „Todo oficio / da honor al que
le ejerce como honrado“. Aussagekräftig ist hierbei der Zusatz: „sólo
en abandonarle está la culpa“173, aus dem ersichtlich wird, dass es in
Los menestrales eben nicht um die Ehrung der Handwerksberufe geht,
sondern vielmehr darum jene zu rügen, die diesen Berufen zu entfliehen suchen. Dass das aufstrebende Bürgertum hier in seine sozialen Schranken verwiesen werden soll und in Trigueros‘ Stück durch
gleich zwei ‚fahnenflüchtige‘ Handwerker vertreten wird, offenbart
die rein rhetorische Natur der dort erfolgenden Erklärungen zur Ehrbarkeit der Handwerksberufe.
Inwiefern es sich bei diesen Erklärungen um Lippenbekenntnisse
handelt, lässt sich auch am Verhältnis der Passsagen, die das Handwerk schmähen, im Vergleich zu jenen festmachen, die die Ehrbarkeit des Handwerkers beschwören. Aussagekräftig ist in diesem
170
Vgl. auch Fuentes (2014: 228): „Of all his crimes, Rafa’s most insidious was to
choose an unproductive life of leisure based on scams, dishonesty and uselessness.“
171
Trigueros (1997: 192, vv. 1966-1970).
172
Trigueros (1997: 193, vv. 1988-1990).
173
Trigueros (1997: 192, vv. 1974-1976).
446 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Zusammenhang die beträchtliche Länge der Äußerungen des Adeligen Pitanzos über die Inkompabilität von Handwerk und Adel.174 Dieses Ungleichgewicht manifestiert sich bereits zu Beginn der Komödie:
Justos Rede, die das Handwerk verteidigt, umfasst nur einen einzigen
Vers. Die Selbstmitleidsbekundungen Cortines‘ hingegen, in denen er
das schlechte Ansehen seines Standes beklagt, erstrecken sich über 70
Verse.175 Justos Entgegnung, dass Tugendhaftigkeit sich stets auszahle,
fällt im Vergleich denkbar knapp aus. Von dem langen Dialog zwischen Cortines und Justo sei hier nur der kurze Ausschnitt mit Justos
Einwurf zitiert:
CORTINES
Todos al menestral mas estirado
le miran con desdén; siempre es mal visto
el artista, aunque más honrado sea,
aunque hombre de bien, muy diestro y rico.
JUSTO
No obstante, la virtud se aprecia siempre.
CORTINES
Esto estará muy bien para decirlo
en comedias o en coplas, mas los hechos
no van en esto acordes con los dichos.176
174
Andioc (1987: 236) zufolge steht Pitanzos aufgrund seiner Eitelkeit für die Inkompabilität von Adelsstand und Handwerk, was durch die Berufstätigkeit Pitanzos
ad absurdum geführt wird. Die Figur des Pitanzos ist ein Pars pro Toto des niederen
Adels des 18. Jahrhunderts, der, wie Pietschmann (2005: 195) bemerkt, in „ökonomisch
prekären Verhältnissen“ lebt und „ganz gewöhnlichen bäuerlichen, handwerklichen
oder kommerziellen Tätigkeiten“ nachgeht. Auch Jehle (2010: 125) spricht von der „riesigen Menge der hidalgos, deren Vorfahren im Zuge der Reconquista aufgrund ihrer
Waffendienste mit irgendeinem Privileg ausgezeichnet wurden“, „in ihrer Mehrheit
in die Armut abgesunken“ und den Plebejern faktisch gleichgestellt waren. In eben
diesem Umstand wurzelt das komische Potenzial der Figur Pitanzos, die trotz ihrer
prekären Existenz ständig auf ihre Privilegien pocht. Jehle (ibid.) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des symbolischen Kapitals des Adelstitels angesichts der
ökonomischen Misere.
175
Trigueros (1997: 192, vv. 1988f.).
176
Trigueros (1997: 101, vv. 185-192).
7. Vir faber und vir rusticus
447
Von geringer Überzeugungskraft ist Justos Entkräftung der Klagen
Cortines‘ über den schlechten Stand der Handwerkerschaft nicht nur
aufgrund ihrer lapidaren Kürze, sondern auch deshalb, weil Cortines
Justos Worte kurz darauf – in metatextueller Manier – als Fiktion entlarvt: „[...] estará muy bien para decirlo / en comedias o en coplas“.
Aufgrund der Tatsache, dass Justos Worte tatsächlich Teil einer Komödie sind, scheint hier für einen kurzen Moment eine fast schon selbstironische Autoreferenzialität auf. Dass Cortines hingegen selbst kontinuierlich der Fiktion seiner Fehlannahmen erliegt, wird durch die
übrigen Figuren wiederholt durch die Metapher der „ceguedad“ hervorgehoben.177 Wendete man die in der zitierten Replik autoreferenziell markierte Fiktionalität der Figurenrede auf das ganze Stück an,
würden sich sowohl Justos Überzeugung, dass Tugend sich auszahlt,
als auch Cortines’ Annahme, dass ein adeliger Schwiegersohn ihm das
ersehnte gesellschaftliche Ansehen verschaffen kann, als Fiktionen erweisen. Dies käme einer vor dem ideologischen Hintergrund des Entstehungskontextes des Stückes unwahrscheinlichen Destabilisierung
des moralisch-belehrenden reformökonomischen Propagandadiskurses gleich, die sich allerdings in ihre hier hypostasierte ideologische
Inkohärenz fügen würde.
Diese Inkohärenz ist nicht zuletzt in der Real Cédula selbst begründet: Nicht nur klafft ein unüberbrückbarer Graben zwischen der gesellschaftlichen Realität und den Forderungen des königlichen Erlasses;178 auch innerhalb der durch das Dekret vermittelten Botschaft tun
sich diskursive Brüche auf. Wie Antonio Moral Roncal zeigt, räumen
Erlasse des ausgehenden 18. Jahrhunderts wie die Real Cédula den
Handwerksberufen zwar potenziell Ehrbarkeit ein. Die bloße Erklärung einer im Rahmen des Möglichen liegenden Ehrbarkeit der Handwerksberufe, die Moral Roncal mit dem Begriff der „honorabilidad“
177
Vgl. hierzu Trigueros (1997: 161, v. 1396). Dort formuliert Juan in Bezug auf
Cortines den Wunsch „se consigue alumbrar al que está ciego”. Auf Cortines’ Blindheit verweist nicht nur der Umstand, dass er und Pitanzos – der mit der Blindheit des
Standesdünkels geschlagen ist – als einzige nicht in der Lage sind, Rafas wahres Wesen
zu durchschauen, während dies den übrigen Figuren mühelos gelingt. Auch der Umstand, dass Cortines Rafa unbesehen eine Blanko-Unterschrift gibt, verdeutlicht seine
‚Blindheit‘, die sich u.a. im blinden Vertrauen äußert. Vgl. Trigueros (1997: 163, vv.
1435ff.). Gegen Ende des Stückes bezeichnet Juan den Schneider Cortines zudem als
„el que vivais tan ciego y engañado”. Trigueros (1997: 184, v. 1799).
178
Aguilar Piñal (1997: 50).
448 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
bezeichnet, rührt jedoch noch nicht an die Spitzenstellung des adeligen honor.179 Wie hartnäckig sich die Vorstellung von der Unvereinbarkeit von Adel und Arbeit in der Bevölkerung hält, betont auch
Vicens Vives: „Pero la mentalidad española se resistió a admitir tan
nuevo punto de vista: la industria y el comercio continuaron considerándose incompatibles con la dignidad de un grande de España, de un
título de Castilla y aun de un simple hidalgo.”180 Bezeichnend ist auch
der Umstand, dass sich die Ehrbarkeitsbekundung der Handwerksberufe ihrerseits am Konzept des adeligen honor orientiert, und damit letztlich der feudalen Gesellschaftsordnung verpflichtet bleibt.181
Auch Moral Roncal kommt zu dem Schluss, dass Trigueros‘ Stück für
die Erhaltung der ‚natürlichen sozialen Ordnung‘ plädiert und damit
bestehende Hierarchien stärkt.182 So erweist sich die Komödie gänzlich vom Geist der spanischen Reformökonomie durchdrungen: Auch
ihr geht es nicht um eine grundsätzliche Verbesserung der Lebensbedingungen und des gesellschaftlichen Ansehens der Handwerker,
sondern um die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität bei
gleichzeitiger Beibehaltung des feudalen Gesellschaftssystems.183 Von
einer entschlossenen Politik zugunsten des Handwerks kann in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein, wovon auch die Reaktion
der Zünfte auf die Real Cédula zeugt: „[...] esta política no satisfizo a
la mayoría de los oficios que continuaron demandando, a lo largo del
siglo, la legalización de privilegios gremiales.”184 Gerade die Privilegien der Zünfte sind aufgeklärten Reformökononen wie Campomanes
ein Dorn im Auge, weshalb sie sie zu beschneiden suchen (vgl. Kap.
3.4.2).
Vor diesem Hintergrund ist auch der Umstand, dass Pitanzos‘
Standesdünkel in Trigueros‘ Komödie gerügt wird, nicht mit einer
Infragestellung des feudalen status quo gleichzusetzen. „[...] Sin justillo / puedo yo andar, sin capa y sin zapatos, / pero no sin honor.
179
Vgl. Moral Roncal (1996 384).
Vicens Vives (1979: 10).
181
Moral Roncal (1996: 384): „Debemos tener en cuenta que la defensa de la honradez de los oficios que realizaron algunos ilustrados fue considerada bastante tibia
por algunos gremiales, al reafirmar el sentimiento del Honor, propio del estamento
nobiliario.”
182
Vgl. Moral Roncal (1996: 384).
183
Vgl. Jacobs (1996b: 84) sowie idem (2001: 64).
184
Moral Roncal (1996: 384).
180
7. Vir faber und vir rusticus
449
¡Dulce honor mío!“185, sagt Pitanzos, und erfüllt damit das Klischee
des prätentiösen Adeligen. Dieser geht allerdings der Tätigkeit eines
alojero nach, und erfüllt damit die in der Adelskritik der Epoche häufig
anzutreffende Eigenschaft der Untätigkeit gerade nicht.186 Wie schon
in El vinatero de Madrid, ist es auch hier die wirtschaftliche Not, die
einen Adeligen dazu veranlasst, ein Gewerbe zu betreiben. Obwohl er
nach eigenen Angaben einem alten Adelsgeschlecht angehört – „Ser
noble no es la empresa de una vida; / pide mucha fortuna y muchos
siglos”–187 und es ihm daher nicht an „brillo“ fehlt,188 mangelt es ihm
doch an Einkünften: „Yo soy noble / como el más Duque; mas no tengo
un cuarto.“189 Das Geld, das ihm der falsche Baron Rafa abschwatzt,
muss sich Pitanzos erst von Cortines borgen.190 Daher ist Cortines am
Ende der doppelt Betrogene, wird er doch sowohl um das eigene als
auch um das an Pitanzos verliehene Geld geprellt.
7.3.2. Des Schneiders neue Kleider
Dass die am Ende aufgrund ihres bürgerlichen Aufstiegswillens öffentlicher Scham ausgesetzte Figur des Stückes ausgerechnet ein
Schneider ist, ist kein Zufall. Im 18. Jahrhundert wie heute ist Kleidung ein Marker sozialer Identität.191 Dieser Marker allerdings verliert
– sehr zum Unmut der althergebrachten besitzenden Schichten von
Adel und Klerikern – mit dem finanziellen Aufstieg der Kaufleute und
Handwerker an Aussagekraft. Moral Roncal weist anhand von historischen Dokumenten wie Listen über den Umfang von Mitgiften und
Eigentumsaufzählungen nach, dass begüterte Handwerker und ihre
Familienangehörigen der sozialen Stigmatisierung ihrer Berufe zu
entkommen suchen, indem sie sich wie Angehörige des um ein Vielfaches höher angesehenen Militärs kleiden. Zudem erwerben sie prestigeträchtige Objekte wie antike Waffen, die ehemals Insignien des
185
Trigueros (1997: 107, vv. 332-334).
Moral Roncal (1996: 384).
187
Trigueros (1997: 108, vv. 343f.).
188
Vgl. Trigueros (1997: 110, v. 400): „El ser noble es el único quilate / que puede dar
a un hombre eterno brillo.“
189
Trigueros (1997: 194, vv. 2005f.).
190
Vgl. Trigueros (1997: 99, vv. 138-146 und p. 187, vv. 1855-1860).
191
Vgl. Moral Roncal (1996: 380).
186
450 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Schwertadels waren.192 Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch
die bereits erwähnte Szene aus Valladares de Sotomayors El carbonero
de Londres (1790), in der der Bergmannssohn Genaro vom König zum
Hauptmann befördert wird: Die prächtige neue Uniform des Sohnes
wird vom Vater ausgiebig bewundert.193 Glaubt man Moral Roncal,
dürften Szenen wie diese, in denen der Aufstieg in der sozialen Hierarchie durch die bei der Arbeiterschaft beliebte militärische Tracht
markiert wird, großen Anklang bei den ZuschauerInnen aus den unteren Schichten gefunden haben.
Auch in Los menestrales ist es Kleidung, die den vermeintlichen Baron Rafa über ihren schönen Schein an Rufina binden soll. In diesem
Zusammenhang merkt Cortines an, dass es seiner Tochter lediglich
an einem repräsentativen Gewand fehle, um die ihr bereits gegebenen
Vorzüge von Tugend und Schönheit angemessen zur Geltung zu bringen und sie zu einer ‚Dame‘ von Stand zu machen:
CORTINES
Fáltale [a Rufina] un porte lucido,
y parecer señora; yo procuro
que lo parezca. Si este fin consigo
su gracia, su virtud y su hermosura
ganarán un señor para marido.
Y de otro modo, ¿dí, que lograremos?194
In dieser Replik kommt nicht nur Cortines‘ Annahme zum Ausdruck, dass um den schönen Schein kein Weg herumführe und dieser
eine notwendige Strategie im Ehehandel sei, der sich letztlich als ein
Feilschen um eine möglichst vorteilhafte gesellschaftliche Stellung erweise. Darüber hinaus trifft der Schneider eine Aussage über die Werthaltung des Adels, von dem er annimmt, dass diesem das parecer mehr
gelte als das ser. Tugend kann also erst dann zur Geltung kommen,
wenn sie in einer schönen Verpackung steckt. Das Gewand, das für
Justina angefertigt werden soll, ist demnach eine Investition in den
sozialen Aufstieg der Familie. Ein solcher Aufstieg ist allein durch die
192
Vgl. Moral Roncal (1996: 380f.).
Vgl. Valladares (1790: 27): „Genaro, querido hijo, / bello capitán haces! Cómo te
sienta el vestido! / Mánchale bien en la guerra / con la sangre de enemigos / [...].”
194
Trigueros (1997: 104, vv. 253-259).
193
7. Vir faber und vir rusticus
451
Ehe, nicht etwa durch Arbeit möglich, was abermals die Schranken
aufzeigt, in die Trigueros‘ Stück seine handwerklich tätigen Protagonisten weist. Ähnlich wie Kleidung Rufina als Vertreterin einer bestimmten Klasse ausweist, ist sie auch in der Lage, ihre weiblichen
Reize zu unterstreichen, sodass sie durch passende Kleidung doppelt
zu ‚glänzen‘ vermag: „Ya tienes un vestido de regalo / y desde hoy
comienza a lucirlo.”195 Wie bereits in Duráns La industriosa madrileña
begegnet uns auch hier das Motiv des geschenkten Gewandes, allerdings ohne dass dies Teil einer religiösen Metaphorik wäre.
Der Schneider Cortines fungiert in Trigueros‘ neoklassischer Komödie aber nicht nur als Repräsentant eines aufstiegswilligen Bürgertums. Er metonymisiert überdies dessen finanzielle Potenz, die sich aus
einer an Umsätzen und Einfluss196 gewinnenden Modebranche speist.
Eben dieses Wetteifern des Bürgertums mit adeligen Zurschaustellungen von Luxus stößt auf Trigueros‘ Kritik. In seiner Komödie wird
dies in erster Linie durch das Fest versinnbildlicht, für das Cortines
ganze Teile seines Gartens mit Tüchern verhüllt, damit das buchstäbliche Highlight – die als Überraschung vorgesehenen Lichtspiele – angemessen wirken kann.197 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die
mit der bereits erwähnten Metapher von Cortines‘ Blindheit einhergehende Dichotomie von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, ‚Nicht-SehenKönnen‘ und ‚Gesehen-Werden-Wollen‘.198 Im Kontext dieser Motivik
steht auch die Demaskierung Rafas während des Maskenspiels. Auf
195
Trigueros (1997: 105, vv. 285f.), meine Übersetzung.
Einen großen gesellschaftlichen Einfluss hat die Modebranche bereits im 18.
Jahrhundert deshalb, weil sie in der Lage ist, (neue) Moden zu etablieren und somit
bei den VerbraucherInnen konsumtive Bedürfnisse zu schaffen. Auf eine „tiranía de la
moda” geht Aguilar Piñal (1997: 45) mit Bezug auf eine Replik des Schusters Rafa ein,
in der dieser über Rufina sagt: „[...] parece hecha en París, según es linda.“ Trigueros
(1997: 114, v. 479). Dazu merkt Aguilar Piñal im historischen Präsens an, dass das Diktat der Mode „se hace sentir en todas las capas sociales, creciendo sin pausa, de forma
que, a final de siglo, ‚todos quieren imitar a la Corte, como la Corte imita a los extranjeros’”. In diesem Zusammenhang erwähnt Aguilar Piñal auch die satirische Schrift El
Tocador o el libro a la Moda (1796: ohne Seitenangabe), die sich über die zunehmende
Macht der Mode und der modische Begehrlichkeiten weckenden Wirtschaftszweige
ereifert.
197
Vgl. Trigueros (1997: 113, vv. 459-461): „DON JUAN: Mas, ¿qué es esto, Cortines?
Tanto lienzo / como por el jardín tenéis tendido, / no nos permite ver... / CORTINES: [...]
sigue oculto el artificio / para que guste más cuando se vea.”
198
Vgl. den schon zitierten Dialog zwischen Cortines und Justo, s.o.
196
452 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Ebene der Rezeption ist das Fest des Schneiders eine offensichtliche Konzession nicht nur an den Publikumsgeschmack, sondern auch
an den Ausschreibungstext des Theaterwettbewerbs, aus dem Trigueros mit Los menestrales als Sieger hervorgeht. Fordert die Ausschreibung einerseits die Einhaltung der neoklassischen Regeln, wird dort
andererseits ein ‚außergewöhnlicher Pomp und theatraler Schmuck‘199
gefordert. Hoffmann zufolge offenbart dies,
in welchem Ausmaß der hier ausgeschriebene Dramenwettbewerb als Medium politischer und ästhetischer Ideen verwendet wurde bzw. wie sehr
er vor allem dazu diente, den neoklassizistischen Geschmack zu implementieren und die gesamten Feierlichkeiten für politisch-ästhetische Zwecke zu benutzen, während zugleich danach getrachtet wurde, möglichst
populäre, massenwirksame Stücke zu rekrutieren.200
Gerade diese doppelte Zielrichtung des Wettbewerbs ist laut Hoffmann charakteristisch für die bereits ausgeführte Verkehrung des Innen des Theaterbetriebs gegen das Außen der staatlichen Reform (vgl.
Kap. 4.2).201
Auf der Inhaltsebene wird die opulente Ausstattung des auf der
Bühne inszenierten Festes mit dem Wohlstand des Schneiders begründet, denn dass Cortines finanziell potent ist, kommt in Los menestrales
wiederholt zur Sprache. Mühelos kann er Pitanzos „unos cuartos“202
borgen, der diese wiederum dem betrügerischen Rafa aushändigt. Eine
199
Übersetzung nach Hoffmann (2017: 112), die den kompletten Ausschreibungstext nach Armona y Murga (1726-1792) zitiert. Vgl. Armona y Murga, José Antonio de
(1988 [1785]): Memorias cronológicas sobre el teatro en España, ed. Emilio Palacios Fernández. Vitoria-Gasteiz: Diputación Foral de Alava, 1988, pp. 216-218. Im zweiten Paragraph des Ausschreibungstextes (ibid.) heißt es: „2a Será libre a los autores escribir
tragedia, tragicomedia, comedia o pastoral; pero se desean con preferencia dos dramas
que, sin faltar a las reglas esenciales del arte, sean susceptibles de extraordinaria pompa y
adorno teatral“ (meine Hervorhebung).
200
Laut Hoffmann (2017: 111) soll die in Paragraph 1a enthaltene Forderung der
Ausschreibung „Estos dramas han de ser originales y no traducidos“ populäre Dramatiker wie Comella ausschließen, die ihren Erfolg der „Nachahmung erfolgreicher
Klassiker der spanischen Dramenliteratur oder [...] der Übersetzung und Adaptation
fremdsprachiger Stücke“ verdanken. Hoffmann (2017: 112).
201
Vgl. Hoffmann (2017: 114f.).
202
Vgl. Trigueros (1997: 112, v. 439). Pitanzos äußert dort an Cortines gewandt: „Me
disteis unos cuartos [...].”
7. Vir faber und vir rusticus
453
Mehrung seiner ohnehin beträchtlichen Finanzen durch die Hochzeit
zwischen Rufina und Rafa ist daher nicht Cortines‘ Ansinnen. Stattdessen geht es ihm um die bereits erwähnte gesellschaftliche Sichtbarkeit, die durch das Wortfeld um das Verb „lucir“ („porte lucido“; „lucirlo“, s.o.) verdeutlicht wird.203 Der sehnliche Wunsch des Schneiders,
nicht mehr nur repräsentative Kleidung für Dritte herzustellen, sondern auch sich selbst und seine Familie modisch ‚glänzen‘ zu lassen,
wächst in Trigueros‘ Komödie proportional mit seiner ceguedad. Was
seine Geldmittel anbelangt, erkennt Cortines diese als eine Währung,
die auf gesellschaftlicher Ebene nur einen geringen Gegenwert hat:
[...] un artesano
podrá juntar caudal, mas no ser rico.
Donde no hay oropel, ¿qué sirve el oro
si no puede servir para lucirlo?
Si lo luce, lo afean y le achacan
que su hacienda ganó con latrocinios.204
An dem, was man nach heutigem Verständnis als Glamour bezeichnen würde und hier durch das Substantiv „oropel“ (dt. „Flitter“)
metaphorisiert wird, fehlt es dem Schneider gerade deshalb, weil er
sein Geld mit einer profanen handwerklichen Tätigkeit verdient. Der
Gelderwerb durch Handwerk wird hier gar mit dem Diebstahl („latrocinios“) gleichgesetzt, was den geringen gesellschaftlichen Wert der
Arbeit neuerlich vor Augen führt, denn es wird ausgesagt, dass es unehrenhaft sei, für handwerkliche Tätigkeiten überhaupt einen monetären Gegenwert zu verlangen. Das mit dem Handwerksberuf erlangte
Gold wiederum zahlt sich deshalb nicht aus – und hier kommt der
Doppelsinn des Ausdrucks „no luce“ zum Tragen –, weil mit ihm eben
kein gesellschaftlicher Glanz verbunden ist. Im Gegensatz zum sozialen Kapital eines guten unternehmerischen Rufes, um den der Textilfabrikant Eugenio in Iriartes La señorita malcriada besorgt ist, handelt
es sich bei dem von Cortines angestrebten Kapital nur um ‚schönen
Schein‘, wodurch auf motivischer Ebene erneut die Dichotomie von
ser und parecer aufgeworfen wird. Indem Cortines seine Tochter mit
einem Adeligen verheiraten möchte, legt er Wert auf den Schein und
203
204
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 50).
Trigueros (1997: 102, vv. 221-226).
454 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vernachlässigt das Sein, d.h. seine Tätigkeit als Schneider. Die Dichotomie Schein vs. Sein ist mit dem durch den Schuster betriebenen engaño (im Sinne des Betrugs) und dem durch die Allianz um den Richter
Juan erreichten desengaño (der Aufdeckung des Schwindels) motivisch
verknüpft.
Als weitere Fehlannahme des Schneiders erweist sich seine Erwartung, dass die Ausgaben für das parecer Rufinas und seinen Haushalt
die erwartete gesellschaftliche Rendite in Form eines adeligen Schwiegersohnes erwirtschaften. Cortines‘ Kurzschluss von „gastar“ und
„lucir“ wird durch den Satz „Si lo gasto [mi dinero], lo luzco, Justo
mío”205 formuliert. Als sich mit der Enttarnung des falschen Barons
herausstellt, dass es sich bei den für Rufinas Kleidung und das Fest
getätigten Ausgaben um Fehlinvestitionen handelt, wird der Schneider in seinem Streben nach Sichtbarkeit abgestraft. So muss er sich in
der letzten Szene „con voz sumisa“ seiner von Anfang an im Recht
befindlichen Gattin Florentina zu Füßen werfen.206 In diesem Moment
greift auch hier das Prinzip der Stellvertretung: Cortines‘ reumütiges Einräumen seiner Verfehlungen geschieht metonymisch für all
die ehrgeizigen Bürgersleute im Publikum, die nun aufgerufen sind,
sich ihrer Begehrlichkeiten zu schämen. Offenbart sich die Metonymie auch an dieser Stelle als eine zentrale rhetorische Figur, über die
der ökonomische Reformdiskurs transportiert wird, so bestätigt dies
Vogls These, dass das sentimentale Theater „zu einem dichten Kommunikationsraum gerade dadurch“ werde, „dass es ein mehrfaches
Verwandlungsgeschehen initiiert, das auf der konsequenten Selbstverwechslung zwischen Zuschauern und Akteuren [...] beruht“.207
Hatten wir es bei den um den vir oeconomicus kreisenden sentimentalen Wirtschaftskomödien El hombre agradecido und La industriosa madrileña y el fabricante de Olot bereits mit Reihungen von Stellvertretern
zu tun, die über die performativen Handlungen der Stücke hinaus auf
die Gouvernementalität als Schaltstelle des aufklärerischen Reformdiskurses verwiesen, stoßen wir nun auf eine weitere Form der metonymischen Stellvertretung, die die dem Stück eigenen diskursiven
Ausschlüsse betrifft: Das, was in Trigueros‘ neoklassischer Komödie
vorgeblich – und affirmativ – über die Ehrbarkeit der Handwerker
205
Vgl. Trigueros (1997: 102, v. 248).
Vgl. Trigueros (1997: 189: 1917): „Florentina, a tus pies quiero arrojarme.”
207
Vogl (2002: 107).
206
7. Vir faber und vir rusticus
455
gesagt wird, verleiht im Grunde der adeligen Angst vor der ostentativen Zurschaustellung des Wohlstandes seitens der durch Arbeit zu
Geld gekommenen Handwerker Ausdruck. Diese suchen dem Adel
den Rang abzulaufen, indem sie nach den Privilegien der Schichten
streben, die bisher Macht, Reichtum und Einfluss für sich beansprucht
hatten. Trotz aller Artikulationen einer bürgerlichen Mentalität im
Theater der Epoche, wird auch hier deutlich, dass die oberste Schicht
im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts nach wie vor der Adel
ist. Im Bereich des moralisierenden theatralen Diskurses fungiert also
der Erwerb glanzvoller Modeartikel als Symbol für den bürgerlichen
Aufstiegswillen. Dessen Verkörperung ist in der vorliegenden Komödie nicht zuletzt deshalb ein Schneider, weil es dieser Berufsstand ist,
der aus den Investitionen eines aufstrebenden Bürgertums in Modeartikel, die der Kleidung von Adel und Militär als den ranghöchsten
gesellschaftlichen Schichten nachempfunden sind, das meiste Kapital
schlägt.
Aus diskursanalytischer Perspektive ist es gerade die in Trigueros Handwerkerkomödie instaurierte metonymische Kette, durch die
sich die machtdiskursiven Brüche innerhalb des propagandistischen
theatralen Diskurses offenbaren, sodass Trigueros‘ Absicht, den ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus und dessen
feudale Basis zu zementieren, ins Leere läuft. Aus dieser Perspektive
betrachtet, ist das von Regierungsseite prämierte und anlässlich der
Zwillingsgeburt der Infanten geschriebene Stück weniger eine Bestätigung der vorherrschenden gesellschaftlichen Ordnung als eine Offenbarung der inneren Widersprüche und Ängste des gouvernementalen
Diskurses der spanischen Spätaufklärung.
7.3.3. Handwerkerschaft und Staatsbürgertum
Sind die beiden mit ihrem Stand unzufriedenen Handwerker Cortines
und Rafa die Sündenböcke von Trigueros‘ Komödie, so repräsentiert
der Schneidermeister Justo, der als persönlicher Couturier des Richters Don Juan tätig ist,208 einen „menestral modélico“, der sich nicht an
sozialen Rangfolgen und dem eigenen Platz darin stört, sondern dem
es im Gegenteil genügt, ein staatstreuer „ciudadano honrado” und
208
Vgl. Trigueros (1997: 104).
456 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ein „buen Maestro“ zu sein.209 Obwohl der widerspenstige Cortines
behauptet, dass Justo sich zu sehr an das Dienen gewöhnt habe und
sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringt, räumt er dennoch
ein – und hier offenbart sich sein bürgerliches Kalkül –, dass Justo den
kurz vor der Beförderung zum königlichen Berater stehenden Juan als
Dienstherrn klug gewählt habe, stehe doch somit auch für Justo eine
Verbesserung seiner aktuellen Position im Raum.
Mira como a servir te acomodaste
más bien que a eternizarte en tu ejercicio.
Y haces muy bien. Hallaste un amo bueno:
es Alcalde de Corte, es entendido,
es prudente y sagaz; en pocos días
subirá a Consejero. Con su arrimo,
tú ascenderás, no hay duda. Un grande empleo
te aguarda ya... Si no, ¿qué habrás perdido?210
Vor allem der letzte Vers mit der Frage „¿qué habrás perdido?“ verdeutlicht, in welchem Maß der ehrgeizige Cortines das gesellschaftliche Reüssieren als ein Geschäft von Geben und Nehmen betrachtet,
für das Investitionen unerlässlich sind. Seine Charakterisierung Don
Juans als „prudente“ und „sagaz“ ruft zwei wesentliche Eigenschaften des Figurentypus des Ordnungsstifters auf: Lebensweisheit und
bürgerliche Tugend, die in der prudentia vereint sind. Zentral ist im
Zusammenhang mit dem zitierten Dialog der von Justo verwendete
Begriff des „ciudadano“ als Terminus der Politischen Ökonomie. Wie
Aguilar Piñal in einer Fußnote zu Justos Replik anmerkt, findet sich
dieser Begriff bereits im Mittelalter, ist aber dort noch vorrangig auf
den Städter bezogen. „[El término] se hace más específico en la segunda mitad del siglo xviii, con un valor político que sería asumido
por la Revolución, como sujeto de los derechos civiles derivados de
la igualdad política.“211 Betont also Aguilar Piñal die Gleichheit vor
dem Gesetz, die der Begriff des Staatsbürgers ab Mitte des 18. Jahrhunderts impliziert, bringt Ocampo Suárez-Valdés diesen seinerseits
209
Vgl. Aguilar Piñal (1997: 48, vv. 202; 262): „Para Justo [...] el ser plebeyo no es
delito. [...] Lo más importante en la vida social es ser un ‚ciudadano honrado’.“
210
Vgl. Trigueros (1997: 104f., vv. 267-274).
211
Trigueros (1997: 104, Fußnote 89).
7. Vir faber und vir rusticus
457
mit der generación de Campomanes in Verbindung, d.h. mit jener Generation von Ökonomen, darunter Ward, Olavide, Arriquíbar und
Romá i Rosell, die die Schriften ausländischer Ökonomen wie den
französischen Physiokraten rezipieren und daraus u.a. die Idee des
Naturrechts übernehmen. Daraus resultiert eine Loslösung vom merkantilistischen Theoriehorizont und die Einleitung einer neuen Phase
der Politischen Ökonomie: des Übergangs von einer feudalen ‚Ökonomie der Vasallen‘ zu einer ‚Ökonomie der Staatsbürger‘. Das vorrangige Interesse ist nun zumindest auf diskursiver Ebene nicht mehr
die Mehrung des Reichtums des Souveräns, sondern die Mehrung des
Reichtums der Individuen des Staates, deren Besitztümer in der Summe den Reichtum der Nation bilden.212
In Los menestrales verbindet sich das Konzept des Staatsbürgertums
nur vordergründig mit dem Gedanken der igualdad, während der persönliche Reichtum des Schneiders kritisch gesehen wird. Der Fokus
liegt vielmehr auf dem Gebot der Erfüllung der staatsbürgerlichen
Pflichten; und, wie die Beispiele Rafas und Cortines‘ zeigen, auf den
negativen Konsequenzen, die deren Vernachlässigung mit sich bringt.
Dies wird dem Publikum mit Hilfe einer Äußerung Juans kurz vor
Ende des Stückes vor Augen geführt, in der der Richter als ordnungsstiftende Figur die Moral der Komödie in didaktischer Manier resümiert:
[...] la nobleza
se funda en la virtud y en el trabajo.
Al sudor destinados nacen todos;
el que busca con él lo necesario
cumple con su deber, y es hombre bueno,
digno por tal ser reverenciado.
[...]
Todos de un mismo tronco ramas somos.
No hay más noble que el que es buen ciudadano,
y el que más útil es, es el más noble,
en bajo esté o en alto: tales grados
de las necesidades son secuela:
mas tan bueno es el alto como el bajo.
Vivamos donde el cielo nos ha puesto.213
212
213
Vgl. Ocampo Suárez-Valdés (2010: 97).
Trigueros (1997: 195, vv. 2020-2037).
458 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Preist Juan in seiner Eigenschaft als Richter des Hofes und Stellvertreterfigur des Monarchen zunächst die der Arbeit innewohnende
Tugendhaftigkeit, um sodann mittels der Metapher des Baumes die
Gleichheit der Bürger des Staates zu erklären, wird diese affirmative Bekundung einer vermeintlichen igualdad im letzten Vers wieder
ausgehebelt. Zuvor wird betont, dass gesellschaftliche Anerkennung
(„ser reverenciado“) nur jenen durch Arbeit geadelten Fleißigen gebühre, die im Schweiße ihres Angesichts ihre staatsbürgerliche Pflicht
erfüllten. Wie schon im Fall der bereits analysierten, den vir oeconomicus inszenierenden comedias económico-sentimentales, stoßen wir auch
hier auf den im Kontext des aufklärerischen Nützlichkeitsprinzips stehenden Appell, dass sich der Einzelne zum Wohle des bien común als
produktiv erweisen möge. Dies kann nur dann geschehen, wenn das
Individuum den ihm zugedachten wirtschaftlichen Aufgaben nachgeht. Diese Grundidee aufklärerischen reformökonomischen Denkens
wird weiter ausgeführt, wenn von der Proportionalität von ‚Adel‘ und
‚Nützlichkeit‘ die Rede ist („el que más útil es, es el más noble“), wobei das Adjektiv noble auf einen metaphorischen ‚Seelenadel‘ verweist.
Scheint die Metapher der Äste ein und desselben Stammes, in die der
Sprecher sich selbst einschließt, zunächst die Gleichheit aller Individuen des Staates zu affirmieren, verweist bereits die dem Bild vom
Staat als einem Baum zugrundeliegende hierarchische Struktur darauf, dass von einer faktischen Gleichheit nicht die Rede sein kann. 214
Der Baum verzweigt sich vom Stamm bis zur Baumkrone oder reicht
umgekehrt von den Wipfeln bis nach unten ins Wurzelwerk. Passend
zur hierarchischen Struktur dieses Bildes ist im Folgenden auch von
(sozialen) Abstufungen („grados“) die Rede, die – übrigens ohne weitere Begründung – für notwendig erklärt werden („de las necesidades son secuela“). Daran schließt sich die zentrale Aussage an, in der
der Gleichheitsgedanke entkräftet wird, als Juan gleichermaßen an
die auf der Bühne befindlichen Figuren und an das Publikum appelliert: „Vivamos donde el cielo nos ha puesto.“ Hier tritt neuerlich der
von Aguilar Piñal konstatierte soziale Konformismus zutage, der im
214
Jehle (2010: 177) liest die betreffende Passage „Todos de un solo tronco ramos
somos: / no hay más noble que el que es buen ciudadano“ primär als einen Moment, in
dem Handwerker auf der Bühne erstmals „ihre Gleichheit einklagen”, räumt aber ein,
dass das Bürger-Sein, dass die Staatsbürgerschaft hier beinhalte, zugleich an „produktive Arbeit“ gebunden sei.
7. Vir faber und vir rusticus
459
klaglosen Verweilen auf dem Platz besteht, der dem Einzelnen vom
Schicksal zugedacht wurde.
In einer vergleichenden Betrachtung dieses Aufzugs und der Eröffnungsszene offenbart sich die von Trigueros etablierte Ringstruktur: Die von Justo zu Beginn des Stückes formulierte Beobachtung der
Unzufriedenheit seiner Mitmenschen mit ihrem gesellschaftlichen Los
läuft am Ende auf Juans Bekräftigung der Natürlichkeit der bestehenden sozialen Hierarchie hinaus, die über die Baummetapher erfolgt.
Fleiß wird in Trigueros‘ Komödie zwar hier und da gelobt, führt aber
nicht zu einem gesellschaftlichen Aufstieg. Da dieser aus der Perspektive des aufgeklärten Absolutismus ohnehin nicht wünschenswert ist,
kann es in Trigueros‘ Stück, das ideologisch dem aufgeklärten Absolutismus verpflichtet ist, allein darum gehen, das Bürgertum als produktives Element der spanischen Nationalökonomie zu noch größeren
Leistungen anzuspornen, indem es rhetorisch den ‚Seelenadel‘ dieser
Schicht bekundet.
Dass die Figur des Richters Juan nicht nur ein Ordnungsstifter,215
sondern auch eine Stellvertreterfigur des Monarchen ist, und damit
eine doppelte Funktion erfüllt, wird unter anderem anhand der Bühnenanweisungen ersichtlich, denen zufolge die Autoritätsperson Juan
„con majestad“216 spricht, wenn es gilt, Rafa als Betrüger zu entlarven. Noch deutlicher wird Juans Stellvertreterfunktion, als dieser in
Form eines Hendiadyoin performativ erklärt: „[...] Yo, en el nombre /
del Rey nuestro Señor, le ordeno y mando.”217 Wie das folgende Zitat
veranschaulicht, kennzeichnet die von Juan verkörperte Eigenschaft
der prudentia spiegelbildlich auch den Monarchen, was die metonymische Funktion des Richters einmal mehr hervorhebt. In der Festszene,
in der die von Cortines zunächst verborgen gehaltenen Bauten und
Lichtspiele endlich enthüllt werden, erfolgt in Form eines von den Figuren Rafa, Rufina, Clara und Justo vorgetragenen Lobliedes auf Carlos III. ein langes Herrscherlob, in dem der Monarch als ‚Quelle‘ und
Förderer der Wirtschaftszweige Handel und Industrie sowie der Wissenschaften ausgewiesen wird. In dieser Funktion ist er imstande, die
215
Zur ordnungsstiftenden Funktion Juans vgl. Trigueros (1997: 187). Der Richter
gibt das von Rafa erschwindelte Geld an die rechtmäßigen Eigentümer zurück und
stellt so die von Rafa durcheinandergebrachte Ordnung wieder her.
216
Vgl. Trigueros (1997: 183, v. 1776).
217
Trigueros (1997: 181, v. 1755 sowie 183, v. 1775).
460 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ökonomische Krise („pobreza“) in Wohlstand („riqueza“) zu verwandeln. An dieser Stelle wird der Bezug des Stückes zum ökonomischen
Reformdiskurs offensichtlich:
Del comercio, del cultivo,
de la industria y de la ciencia,
fuente es, Carlos, tu prudencia,
ya el ibero es rico, activo,
industrioso, y sirve a Dios.
Vuelve a ver lustre vivo
por vos, Carlos, la riqueza
y en riqueza la pobreza
transformada está por vos.218
Das hier erfolgende Herrscherlob wird ebenso dem festlichen Anlass der Aufführung von Trigueros‘ Stück wie der Erwartungshaltung
der Jury gerecht, der Monarchie im Rahmen der theatralen Fiktion gebührend zu huldigen. Daher wird auch der Maquinista im Nebentext
angewiesen, in das auf der Bühne befindliche Dekor zahlreiche Anspielungen auf die Geburt der königlichen Zwillinge und den Friedensschluss mit England einzubauen:
Déjase esto a la libre invención del Maquinista, pero sin que éste deje de
arreglarse a las más graciosas alusiones a la presente Paz y al feliz nacimiento de los Serenísimos Infantes. En los faroles y luces de colores podrán
acomodarse letreros alusivos, como CARLOS, FELIPE, LUISA, etc. Debajo
un sencillo y magnífico arco muy bien inventado e iluminado, estará la
estatua ecuestre del R.N.S. que van a coronar de laurel algunas virtudes.219
In diesem Zusammenhang zeigt sich ein weiterer diskursiver Bruch
innerhalb des Dramentextes: Einerseits werden Cortines‘ Ausgaben
für die Festlichkeiten als Verschwendung seines mühsam verdienten
Geldes angeprangert, denn der durch das Fest symbolisierte Wunsch
des Schneiders, durch Ostentation zu glänzen, fällt bereits in der ersten Szene der Kritik der übrigen Figuren anheim. Andererseits sind es
aber gerade die als moralisch verwerflich gebrandmarkten Festlichkeiten, in die Trigueros sein explizites Königslob einflicht. Das auf der
218
219
Trigueros (1997: 177, vv. 1687-1695).
Trigueros (1997: 176.).
7. Vir faber und vir rusticus
461
Bühne inszenierte Fest, das im Rahmen der von der Krone tatsächlich veranlassten Festivitäten die Monarchie feiern soll, entspringt auf
Handlungsebene der von der Moral der Komödie abgestraften Eitelkeit des ehrgeizigen Schneiderleins, und müsste daher mit all seinem
Luxus (den marmornen Statuen, goldenen Inschriften, den Blumen
und Girlanden, der Musik und den Illuminationen) ebenfalls moralisch verurteilt werden. Dieser Widerspruch resultiert aus Trigueros‘
Bemühen, dem Ausschreibungstext des Wettbewerbs Genüge zu tun,
indem er die an optischen und auditiven Reizen reiche Festszene als
‚Bonbon‘ für das Publikum bereithält und damit zugleich den festlichen Anlass der Aufführung würdigt.
Was das Prinzip der Stellvertretung des Monarchen durch Funktionsträger der Krone anbelangt, das hier über die Figur des königlichen Richters Juan inszeniert wird, veranschaulicht dieses den Umkehrschluss des von Hobbes geschilderten Umstands, dass „der Staat
eines jeden Stellvertreter“ ist, sodass aus „der Vielzahl der Individuen
eine Person hervorgebracht oder ausgetragen“ wird, und mit dieser
wiederum „das Als Ob der Repräsentation“.220 Die Handwerkerkomödie Los menestrales zeigt, dass das von Vogl als theatrales Prinzip der
Politischen Ökonomie benannte ‚Als Ob der Repräsentation‘ in seiner
dramatischen Inszenierung auf der Bühne in zweierlei Richtungen
verläuft: Einerseits repräsentiert der Staat den Einzelnen; andererseits
sind die vielen Einzelnen eines Staates im Staatsapparat vereint, an
dessen Spitze unbestritten der Souverän steht. Daher ist es nicht jedem Beliebigen vergönnt, den Staat zu repräsentieren, weshalb dies
im neoklassischen Theater, das sich als Sprachrohr des aufgeklärten
Absolutismus begreift, einzig den vom Monarchen autorisierten staatlichen Würdenträgern zusteht. Damit verdeutlicht Trigueros‘ Komödie einmal mehr den Umstand, dass es sich beim Pastoratsprinzip um
ein Autoritätsprinzip handelt. Vor dem Hintergrund der propagandistischen Funktion des neoklassischen Theaters als einer ‚Schule des
Volkes‘ fingiert die theatrale Inszenierung des Pastoratsprinzips, dass
es sich dabei um eine natürliche und nicht infrage zu stellende Ordnung handelt.
220
Vogl (2002: 23) mit Bezug auf Hobbes, Thomas (1984): Leviathan oder Stoff, Form
und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, ed. Iring Fetscher, trans. Walter
Euchner. Frankfurt/Main: Suhrkamp, p. 123.
462 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.3.4. Bürgerlichkeit im Dienst des aufgeklärten Absolutismus
Trigueros‘ Handwerkerkomödie veranschaulicht den Versuch, einen
politisch-ideologisierten Begriff von Bürgerlichkeit auf der Ebene des
theatralen Diskurses mit dem ökonomischen Reformdiskurs des aufgeklärten Absolutismus in Einklang zu bringen. Die Kompatibilität
beider Konzepte ist nur dann möglich, wenn Bürgerlichkeit als (moral-)ökonomische Größe in den Dienst der Politischen Ökonomie des
aufgeklärten Absolutismus gestellt wird. Genau diese Instrumentalisierung vollzieht Trigueros‘ Stück. Die darin vorgenommene Kopplung der Themen ‚Handwerk‘ und ‚Arbeit‘ an eine Moralökonomie
ist kein Spezifikum des 18. Jahrhunderts. So hat Farr gezeigt, dass
mit der körperlichen Arbeit seit Thomas von Aquin und den Scholastikern immer auch eine Moralökonomie verbunden war: „Medieval
theologians [...] conceived of work in moral terms. [...] The value of
labor was not its productive capacity, but its moral force.“221 Wird die
Arbeit in der mittelalterlichen Scholastik infolge einer zunehmenden
Augustinusrezeption zu einer quasi ‚spirituellen Disziplin‘, ist sie im
spanischen neoklassischen Theater eine produktive Größe im Dienst
der Politischen Ökonomie, die den absolutistischen Staat vor die Herausforderung stellt, den Aufstiegswillen des arbeitenden Bürgertums
in geordnete politische Bahnen zu lenken und der pyramidalen Hierarchie des feudalen Systems zu unterwerfen. Im selben Maße wie der
als Unternehmer tätige ciudadano aus wirtschaftspolitischer Sicht ein
Instrument zur Erhöhung der brachliegenden Produktivität der spanischen Nation ist, erweist sich auch der als Staatsbürger ausgewiesene
Handwerker im neoklassischen Theater als Element einer Didaxe, die
dem bürgerlichen Publikum die ihm vom Staat zugewiesene Rolle sowohl diskursiv als auch performativ vor Augen führt.
Der Los menestrales eigenen Metaphorik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zufolge wird der Bürger überhaupt nur dann im positiven
Sinne ‚sichtbar‘, wenn er die ihm zugewiesene gesellschaftliche Rolle
auf dem ihm zugewiesenen Platz der ständischen Hierarchie erfüllt.
Erst dann ist eine rhetorische Anerkennung möglich. Analog zu dieser
Feststellung kommt auch Jacobs bezüglich der Real Cédula von 1783
zu dem Schluss, dass die Ständeordnung in ihr unangetastet bleibt:
221
Farr (2000: 12).
7. Vir faber und vir rusticus
463
„Angestrebt wurde nicht die prinzipielle Gleichheit aller Staatsbürger,
sondern ausschließlich ihre Gleichheit bezüglich der Ehre in den vorgegebenen Grenzen der sozialen Hierarchie.“222 Mit Blick auf Trigueros‘ Komödie bemerkt er, dass gerade die Schlussszene den Grundgedanken des königlichen Erlasses formuliere, dass der Handwerker
seinen angestammten Platz in der feudalen Hierarchie „zum Wohle
des Staates und zum Nutzen seiner Bürger“223 nicht verlassen dürfe.
Das Ideal eines maestro honrado wird entsprechend durch den angepassten und dienstbaren Schneider Justo personifiziert, der sich weder
durch finanzielle Potenz noch durch besonderen Ehrgeiz auszeichnet.
Einem Bürgertum, dass bestrebt ist, sich der herrschenden ständischen
Hierarchie zu entziehen, indem es durch den Erwerb von Statussymbolen wie Kleidung und Schmuck sowie durch die Ausrichtung von
Festen in Konkurrenz zum Adel tritt, führt Trigueros‘ Handwerkerkomödie damit paradoxerweise vor Augen, dass nur ein angepasster
Bürger, der klaglos seine Pflicht erfüllt, ein guter ciudadano ist.
Dennoch sind es die beiden renitenten, mit ihrem Aufstiegswillen
gegen die absolutistische Ordnung aufbegehrenden Handwerker Cortines und Rafa, die auf der Bühne den größten Raum einnehmen. Dass
sie den Motor der Handlung bilden, zeigen nicht zuletzt ihre langen
Redeanteile.224 Auch wenn die Moral der Komödie die beiden am Ende
abstraft, haben sie in dem Schauspiel gerade wegen ihrer moralischen
und ökonomischen Verfehlungen225 eine größere Präsenz als die stromlinienförmigen, im Sinne der herrschenden Moral konzipierten Figuren Justo, Rufina226 und Juan. Auch dieser Umstand bedeutet einen
unwillentlichen Bruch im gouvernementalen Propagandadiskurs.
222
Jacobs (1996b: 88).
Jacobs (1996b: 90).
224
In Analogie zu Cortines‘ eingangs erfolgendem Exkurs über das geringe Ansehen des Handwerkers steht ein ähnlich ausufernder Monolog Rafas, der der einzige dieser Länge in Trigueros‘ Stück ist. Dort schmäht der Schuster Handwerk und
Arbeit aus der Perspektive des ehemals Werktätigen. Statt einer handwerklichen Tätigkeit nachzugehen plädiert Rafa dafür, aus der „necedad común“ durch betrügerische
Handlungen Kapital zu schlagen. Vgl. Trigueros (1997: 134f., vv. 851-884).
225
Auf moralischer Ebene sind dies Cortines‘ metaphorische Blindheit und Rafas Betrug, auf ökonomischer Ebene ihre Handwerksflucht und ihr Hang zur Verschwendung.
226
Cortines’ Tochter Rufina personifiziert die Tugend des töchterlichen Gehorsams, der bis zur Selbstaufgabe reicht, ist sie doch bereit, den von Cortines ausgewählten Ehemann zu heiraten, ohne seinen Namen zu kennen. Damit nimmt sie in Kauf,
dass Rafa, den sie verabscheut, ihr zukünftiger Gatte sein könnte. Vgl. Trigueros (1997:
223
464 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.4. Der soziale Aufstieg des vir faber in Valladares
de Sotomayors El carbonero de Londres (1790)
Valladares de Sotomayors 1790 uraufgeführte Komödie El carbonero227
de Londres fokussiert mit ihren beiden Protagonisten, den Bergleuten
Ricardo und Genaro, zwei Figuren aus der Gruppe der rohstofffördernden Berufe, die ihren Lebensunterhalt mit dem Abbau von Kohle als einer ebenso schweren wie schmutzigen Arbeit bestreiten. Nur
wenige mit der Förderung von Rohstoffen befasste Berufe wie den des
Bergmanns zählt Healey in seiner Studie zum homo faber im 18. Jahrhundert zu den handwerklichen Tätigkeiten: „Only in one or special
cases, such as mining, is the term [homo faber] here considered to cover primary producers.“228 Interessant ist, dass es gerade der mit dem
Abbau von Kohle herkömmlich assoziierte Schmutz ist, der im Stück
allenthalben metaphorisch Verwendung findet, aber nicht etwa auf
die beiden Bergleute, sondern auf den adeligen Antagonisten umgewendet wird. In seiner Materialität spielt der Kohlenstaub vermutlich
aus Gründen des Dekorums keine explizite Rolle; keine jedenfalls, die
anhand der Bühnenanweisungen oder Repliken ablesbar wäre.
Die Handlung des Stückes beruht auf einer Reihe zufälliger Begegnungen und Ereignisse, verborgener Identitäten und der Akkumulation plötzlich offenbarter Familiengeheimnisse, die wiederum
Auslöser zahlreicher Handlungsumschwünge sind. Kennzeichnend
für die Struktur des Stückes ist damit der „Handlungsüberschuss“229.
Dieser wird autoreferenziell, ja geradezu selbstironisch durch die Figur der Isabela, die Tochter des titelgebenden Bergmanns, zur Sprache
136, 140, 155 und vor allem 156, vv. 1308f.): „quiero sufrir, llorar, desdichada, / y que
viva mi padre en su contento.”
227
Die wörtliche Übersetzung des spanischen Begriffs „carbonero“ist „Köhler“
oder „Kohlenhändler“. Der Köhler bezeichnet jedoch im Deutschen jemanden, der
Holzkohle herstellt, der Kohlenhändler den, der Kohle verkauft. Gemeint ist im vorliegenden Stück aber der Bergmann, der Steinkohle abbaut. Vgl. Valladares (1790:
20): „Ric. [...] á exercitar fui mi oficio / al monte, que es sacar piedra / para hacer
carbón [...].”
228
Healey (1963: 838).
229
Zum Begriff des „Handlungsüberschusses“, der auf Fuldas These von der
„Strukturhomologie“ zwischen Geldmarkt und Komödie basiert, vgl. Fulda (2005: 23)
sowie, bezogen auf spanische neoklassische Komödien des 18. Jahrhunderts, Schuchardt (2014: 280).
7. Vir faber und vir rusticus
465
gebracht, wenn sie von einer ‚romanesken’ Verkettung von Ereignissen
binnen eines einzigen Tages spricht:
Valgame Dios, Jayme, quantas
cosas hoy se nos presentan
en casa; y tan raras, que
parecen á las Novelas,
que por las noches de Invierno
nos relataba mi Abuela!230
Obwohl in Valladares‘ Stück die Einheit der Zeit gewahrt bleibt,
kann von einer Einheit des Ortes und insbesondere von einer Einheit
der Handlung nicht die Rede sein. Der turbulente, bald im Wald, bald
in Haus und Garten des Bergmanns angesiedelte Plot, besteht im Gegenteil aus einer Serie von Verstößen gegen die neoklassische Doktrin
der verosimilitud. Von den verworrenen Handlungssträngen seien hier
nur die für das Verständnis der Komödie wichtigsten erwähnt: Wie
viele Stücke Valladares de Sotomayors spielt auch diese Komödie in
England. Im Londoner Umland wird der Bergmann Ricardo im Morgengrauen heimlicher Zeuge, wie der Adelige Rusban gemeinsam mit
seinem Diener Eduardo eine große Truhe im Wald vergräbt. Ricardo
birgt die Kiste gemeinsam mit seinem Sohn Genaro, stößt dabei aber
nicht auf den erhofften Schatz, sondern auf die Adelige Enriqueta.
Diese war auf Veranlassung ihres Verehrers, des eifersüchtigen Lord
Rusban, vergiftet und lebendig begraben worden, vermutete dieser
doch einen Nebenbuhler. Als Enriqueta aus ihrer Ohnmacht erwacht,
die Rusbans mitleidiger Diener Eduardo statt durch Gift durch ein
harmloses Elixier herbeigeführt hatte, bittet sie die beiden Bergleute
um Beistand. Daraufhin beschließen sie, Enriqueta Unterschlupf zu
gewähren. Auf dem Rückweg in ihre Bleibe treffen Vater und Sohn,
ohne es zu ahnen, auf den König, der auf der Jagd von seinem Gefolge getrennt wurde und nun ohnmächtig vor ihnen zusammenbricht.
Auch ihn nehmen die Bergleute bei sich auf. Während das königliche
Gefolge nach dem abhandengekommenen Souverän fahndet, darunter
Lord Rusban, der seinerseits auf der Suche nach Enriqueta ist, nachdem er erfahren hat, dass sie noch lebt, entwickelt diese Gefühle für
ihren Retter Genaro. Um sich für seine Rettung erkenntlich zu zeigen,
230
Valladares (1790: 11).
466 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
stellt der seine wahre Identität verbergende König Genaro einen Posten bei Hofe in Aussicht.231 Als Rusban und das königliche Gefolge
schließlich auf das Haus des Bergmanns und dort auf den Herrscher
und Enriqueta treffen, agiert der Souverän als Schiedsmann und Ordnungsstifter: Er spricht Enriquetas Hand zunächst dem sich reuig zeigenden Rusban zu, bis Rusbans Diener Eduardo schließlich bekennt,
dass Enriqueta in Wahrheit seine eigene Tochter ist, die Rusbans Tante
Aurelia nach einer heimlichen Eheschließung mit Eduardo im Verborgenen geboren hatte. Dem nicht genug, offenbart sich Eduardo zugleich als der einst in den überseeischen Kolonien verschollene Bruder
Ricardos. Da eine Ehe zwischen Rusban und Enriqueta angesichts der
zwischen ihnen bestehenden Verwandtschaftsbeziehung unmöglich
ist, gibt der König Enriqueta schließlich Genaro zur Frau, nachdem er
ihn zum „capitán del Regimiento“232 befördert hatte. Dass auch Genaro, wie sich herausstellt, durch die Geschwisterbeziehung zwischen
Ricardo und Eduardo mit Enriqueta blutsverwandt ist, spielt für das
gute Ende keine weitere Rolle mehr. Allgemein bleibt bezüglich dieser
und ähnlicher Plotstrukturen festzuhalten, dass die Finte der Blutsverwandtschaft meistens dann zum Einsatz kommt, wenn es gilt, die
plötzlichen Umschwünge innerhalb des Liebesplots zu begründen.233
Auch wenn die Bergleute Ricardo und Genaro aus Gründen des
Dekorums nicht beim Abbau von Kohle gezeigt werden, ist der gleich
zu Beginn des Stückes angesiedelte Moment, in dem sie die Truhe mit
dem in ihr vermuteten Goldschatz mühsam ausgraben, eine metonymische Darstellung der täglichen Mühsal des Bergmanns, der das
‚schwarze Gold‘ für den täglichen Broterwerb dem Erdreich abringen
muss. Erhellend ist in diesem Zusammenhang Ricardos Replik unmittelbar nach der Bergung der Truhe. Seine Rede wird mit der im
Nebentext erwähnten Geste, mit der er sich den Schweiß von der Stirn
wischt, dramatisch untermalt:
231
Vgl. Valladares (1790: 17): „[...] Yo haré que sea / favorecido del Rey, / y que al
instante le ascienda / á un buen empleo.“
232
Valladares (1790: 19).
233
So berichtet Enriqueta nach ihrer Rettung durch die Bergleute, dass sie sich jahrelang als Rusbans Schwester gewähnt hatte, was ihr seine wachsende Leidenschaft
umso unerträglicher gemacht hatte. Vgl. Valladares (1790: 14): „Le aborrezco: Aquella
/ pasión que le tuve como / á hermano, fue horror apenas / me manifestó el papel, / en
que su padre confiesa / que yo no era hermana suya.“
7. Vir faber und vir rusticus
467
Ric.
Por Dios, me siento
Limpiase el sudor
más cansado que si hubiera
trabajado un día entero
con el azadón. A casa
no es posible la llevemos
los dos sólos.234
Jenseits der vorausdeutenden Funktion, die das hohe Gewicht
der Truhe im Hinblick auf ihren Inhalt hat, trifft Ricardos Äußerung,
die Kiste zu bergen sei mühseliger als ein ganzer Arbeitstag mit der
Spitzhacke, zugleich eine Aussage über den Wert Enriquetas, die hier
den Platz des „metal precioso“235 einnimmt, das Genaro in der Truhe vermutet hatte. Enriquetas metaphorischer Stellenwert als Ware
und Schatz, deren Wert das erhoffte Edelmetall an Kostbarkeit noch
überwiegt, soll an späterer Stelle erörtert werden. Widmen wir uns
zunächst dem ökonomischen Kalkül, das Genaro motiviert, seinem
Vater bei der Bergung des Schatzes zu helfen, und das wiederum seinen bürgerlichen Aufstiegswillen offenbart. Genaro möchte sich mit
dem Gold, das er in der Truhe vermutet, nicht etwa zur Ruhe setzen.
Vielmehr beabsichtigt er, die himmlische Gabe des zufällig vorgefundenen Schatzes in ein Studium zu investieren, um die erworbene Bildung sodann zum Wohle der patria einzusetzen:
Gen.
Pues
ya que benfico el Cielo
esta dicha nos presenta
el arca desenterremos,
y hagamos nuestro el tesoro
que ellos [los bandoleros] robaron: Con esto
podemos ir á la Corte
à vivir; tener sosiego,
usted, sin mas trabajar,
234
Valladares (1790: 5). Auf den körperlich fordernden Aspekt seiner Arbeit kommt
Ricardo auch zu sprechen, als es darum geht, Steinkohle aus dem Berg zu schlagen.
Vgl. Valladares (1790: 20), s.o.: „[...] sacar piedra [...].“
235
Valladares (1790: 5).
468 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
y dar yo adelantamientos
á mi cuna humilde en el
estúdio, á cuyos progresos,
si son felices, la Patria,
premiandolos, dá fomento.236
Der Bezug zum ökonomischen Reformdiskurs und zu den Idealen
der Aufklärung ist hier offensichtlich, tritt das ‚Vaterland‘ doch auch in
diesem Stück als eine Instanz auf, die die Fleißigen und Erfolgreichen
entlohnt. Dass Genaro und seinem Vater am Ende tatsächlich der gesellschaftliche Aufstieg gelingt, als der König Genaro nicht nur zum
Hauptmann macht, sondern Ricardo überdies zum Mitglied seines
Parlaments ernennt,237 verdanken beide ihrer caritas, die in Valladares‘
Stück als ‚Naturgesetz‘ erscheint und ihnen geboten hatte, den ohnmächtigen Fremden bei sich aufzunehmen.238 Anders als in Trigueros‘
neoklassischer Komödie Los menestrales, in der die Handwerksflucht
Rafas und Cortines‘ sowie der Aufstiegswille des reichen Schneiders
abgestraft werden, sehen sich Genaros Ambitionen in Valladares‘ populärem Stück durch die Heirat mit Enriqueta sowie durch den sozialen Aufstieg von Vater und Sohn gleich dreifach belohnt. Im Gegensatz zu Cortines möchte Genaro allerdings nicht durch Ostentation
glänzen, sondern sich mit dem ersehnten Schatz als Startkapital ‚nach
oben‘ arbeiten, was nicht nur dem aufklärerischen Bildungsideal entspricht, sondern auch das reformökonomische Desiderat einer in berufliche Bildung investierenden Handwerkerschaft einlöst. Dass auch
Cortines sein Kapital mühsam erarbeitet hatte, ist in Trigueros‘ Komödie vor allem deshalb von geringem Wert, weil der ehrgeizige Schneider versucht, dem Adel auf der Ebene der Festkultur als ureigenstem
Terrain des Höfischen Konkurrenz zu machen.
Während Genaro in Valladares‘ sentimentaler Komödie das Pars
pro Toto einer aufstiegswilligen Jugend ist, deren sozialer Ehrgeiz also
gerade keine bedrohlichen Kapriolen schlägt, sondern durch das aufklärerische Ideal der Bildung und den reformökonomischen Gedanken
236
Valladares (1790: 5).
Vgl. Valladares (1790: 30).
238
Die besagte Verpflichtung zur caritas formuliert Ricardo als „una obligación, que
/ la sabia Naturaleza / nos impone“, was ihm die Anerkennung des Königs angesichts
einer solch ‚aufgeklärten‘ und vernunftgeleiteten Denkweise einbringt: „Un Carbonero
/ así raciocina, y piensa.“ Valladares (1790: 16).
237
7. Vir faber und vir rusticus
469
der notwendigen Produktivität des Einzelnen für den bien común in
sichere Bahnen gelenkt ist, verkörpert Ricardo mit seinen moralischen
Bedenken hinsichtlich der Herkunft des Schatzes, von dem er mutmaßt, dieser sei Diebesgut,239 den sozialen Konformismus der älteren
Generation. Diese hält es mit dem sich aus dem Christentum speisenden, freilich nur für die unteren Schichten geltenden Glaubenssatz,
dass Gold den Charakter verdirbt: „Hijo, te advierto / que el oro es
perjudicial / al que le abriga en el seno / de su corazón con ansia.“240 In
Analogie zur Figur Celestinos aus Fermín del Reys La modesta labradora
(vgl. Kap. 7.6) hegt auch Ricardo Vorbehalte gegen den Hof, der ihm
als chaotisches „Babel“ und Ort der Täuschung erscheint:
Ric.
La Corte, según la idea
que me propuse, es lo mismo
que un Babel, porque se encuentra
ninguna, o poca verdad,
habiendo infinitas lenguas.
La tranquilidad allí
no se conoce, pues reyna
en todos sus moradores
una confusión eterna. 241
Es ist letzten Endes nicht nur Ricardos Fähigkeit zum aufgeklärten
Denken, sondern die ihn ebenso wie seine Tochter Isabel auszeichnende moralische Unverdorbenheit („inocencia“),242 die den König
veranlasst, den einfachen Bergmann zum Parlamentarier zu machen.
Dieser für spanische Verhältnisse undenkbare und allzu märchenhafte
Aufstieg eines einfachen Arbeiters zum Politiker ist – ebenso wie die
aus Sicht der kirchlichen Zensoren intolerable Drohung Enriquetas,
sich das Leben zu nehmen,243 sollte sie gezwungen sein, Rusban zu
239
Vgl. Valladares (1790: 4).
Valladares (1790: 4).
241
Valladares (1790: 16).
242
Vgl. Valladares (1790: 19). Diese „inocencia“ sieht der König auch bei Ricardos
Tochter Isabela gegeben: „Rey. Déjala [a Isabela hablar], / que me gusta su inocencia.“
243
Wenn Tietz bemerkt, dass aufgrund des „zentrale[n] Tabu[s] in der religiösen
Moral [...] in der spanischen Literatur seit dem Siglo de oro der Selbstmord nicht mehr
thematisiert wurde“, so kann diese These für das Theater des 18. Jahrhunderts insofern
240
470 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ehelichen –,244 ein Grund für die Verlagerung der Handlung nach England, die eben nicht nur der Mode der ‚Anglomanie‘ folgt, sondern
wie schon im Fall von El fabricante de paños auch hier dazu dient, die
Zensur zu umgehen.
7.4.1. Das Pastoratsprinzip: Der Souverän als Vaterfigur und Deidad
Ähnlich wie Duráns neoklassisches Lehrstück über den Fabrikanten
von Olot inszeniert auch Valladares‘ populäre comedia económico-sentimental El carbonero de Londres das Pastoratsprinzip. In diesem Zusammenhang erscheint der Souverän zum einen als wohlwollend über
sein Volk wachender Paternalist:245
Rey.
Pero no sabeis, que el Rey
incesantemente vela
por el bien de sus Vasallos,
que como a hijos los aprecia.246
Zum anderen wird der Stellenwert des Monarchen als Stellvertreter Gottes auf Erden hervorgehoben, in dessen Person sich der Glanz
der göttlichen Allmacht widerspiegelt und dem es deshalb zu huldigen gilt. Auch in Valladares‘ Stück tritt also die mit dem Pastoratsprinzip verbundene religiöse Metaphorik in den Vordergrund, womit die
Einheit von Staat und Religion bekundet wird:247
nuanciert werden, als zwar auf der Bühne kein Selbstmord stattfindet, dieser aber angedroht wird. Tietz, Manfred (1986): „Die Aufklärung in Spanien – eine Epoche ohne
Roman?“. In: Poetica, 18, pp. 52-74, hier p. 62. Das gilt für Valladares‘ bereits untersuchte comedia económico-sentimental um den Textilfabrikanten Wilson (vgl. Kap. 6.4.2)
genauso wie für sein im Folgenden analysiertes Stück El trapero de Madrid (1782).
244
Vgl. Valladares (1790: 19): „Genaro mío, / antes que de tí me aparten, / mi vida
daré a un cuchillo.”
245
Einen solchen dem Regenten zugewiesenen „aspecto paternal“ sieht Andioc,
vgl. (1987: 214), auch in Moratíns La comedia nueva gegeben.
246
Valladares (1790: 17).
247
Dies entspricht Pietschmanns Feststellung hinsichtlich der Einheit von Staat und
Kirche im spanischen 18. Jahrhundert. Vgl. Pietschmann (2005: 198). „Trotz aller regalistischen Politik hat der Staat die Kirche und ihre gesellschaftlichen Funktionen als
festen und unersetzlichen Bestandteil der inneren Ordnung angesehen.“
7. Vir faber und vir rusticus
471
Ric.
Oh Principe amado mío!
La Divina Omnipotencia
te dé las felicidades
que mi alma te desea.
Señor, aunque el Rey es hombre,
es Deidad, en quien se observa
del Altísimo una imagen,
muy digna de reverencia.248
Interessant ist in diesem Dialog des Bergmanns Ricardo mit dem
sich als Sohn eines Edelmanns ausgebenden Souverän die dem Monarchen zugeschriebene Eigenschaft, ebenso Zugang zur göttlichen
Sphäre zu haben wie für die bescheidenen Nöte des einfachen Mannes
offen zu sein. Der Souverän wird damit in der althergebrachten Weise
als Bindeglied zwischen dem Göttlichen und dem Profanen inszeniert.
Er ist aber nicht nur eine dem Weltlichen enthobene Deidad, sondern
handelt – das ist der neue Aspekt – wie gewöhnliche Menschen: Als
„hombre como los demás“ lauscht er den Klagen der einfachen Leute.249 In diesem Zusammenhang wird eine Parallele zwischen der Figur des Monarchen und Christus gezogen, der aus christlicher Sicht
zwar der Sohn Gottes ist, aber als Mensch unter Menschen lebte und
als solcher starb. Damit spielt Valladares‘ Dramentext auf die „zwei
Körper des Königs“ im Sinne Kantorowiczs an, den politischen (body
politic) und den natürlichen (body natural).250 Bemerkenswert ist in der
zitierten Passage das Insistieren auf der Funktion des Monarchen als
‚verlängerter Arm Gottes‘, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen
wird die sich nicht auf das Politische beschränkende, sondern sich
auch auf das Religiöse erstreckende Autorität des Monarchen affirmiert, eine Zuschreibung, die zwar traditionell ist, hier aber vor dem
konkreten historischen Hintergrund der bourbonischen Bemühungen
zu sehen ist, eine spanische Nationalkirche unter Schirmherrschaft der
Krone zu instaurieren und so den Einfluss Roms auf die spanischen
248
Valladares (1790: 17).
Valladares (1790: 17): „[...] Desprecia [mi Rey] / al humilde acaso? No oye / con
benignidad sus quejas, / y enjuga el llanto á los que / con él á sus plantas llegan?“
250
Vgl. Kantorowicz (1990: 37).
249
472 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Angelegenheiten zu reduzieren.251 Wenn der König nicht nur mit göttlicher Gnade regiert, sondern zum Stellvertreter Gottes auf Erden
avanciert, wird der Papst für die durch die Krone angestrebte spanische Nationalkirche obsolet. Auch bezüglich dieses politischen Ziels
stellt sich Valladares‘ Stück in den Dienst der absolutistischen Propaganda. Zum zweiten ist der Rekurs auf eine Allianz von Gott und Königtum vor dem historischen Hintergrund, vor dem er erfolgt, auch
anderweitig erhellend: Die göttliche Stellvertreterfunktion des Königs
inszeniert Valladares just zu einem Zeitpunkt, als der Verweis auf die
göttliche Legitimation der weltlichen Machtausübung nicht mehr ausreicht, um die Regentschaft des Souveräns zu rechtfertigen. Für MacLachlan ist dieses kritische historische Moment mit der Regentschaft
Carlos‘ III. erreicht:
The positive assumption that the monarchy reflected divine benevolence,
even if not immediately recognizable, no longer provided political support. Economic progress and material well-being became the yardstick,
and the state became accountable. Concrete criteria emerged for evaluating a government’s effectiveness that touched on its right to rule. The
most Catholic monarch became the comerciante principal – from vicar of
God to the custodian of material progress.252
Es ist davon auszugehen, dass Valladares als Herausgeber des
Semanario erudito den dort 1780 abgedruckten Artikel von Macanaz
„Auxilios para bien gobernar una monarquía católica“ gekannt hat, in
dem Macanaz das Konzept vom König als oberstem Kaufmann ausführt. Indem Valladares‘ Komödie die göttlichen Aspekte des Monarchen mit seiner Menschlichkeit korreliert, dessen bereits skizzierte
251
Vgl. hierzu López-Cordón Cortezo (2015: 28): „[...] if they [the Spanish Bourbons] were more absolutist than their ancestors, this was due to their increasing control
over the Spanish Church and the efforts to break away from Rome.” Vgl. auch ibid.,
p. 29: „Spanish regalists wanted a ‚national‘ Church, so their anti-Romanism would
in time converge into episcopalism.“ Manifestationen der emanzipatorischen Bemühungen der Krone finden sich in einer Reihe von Regierungsentscheidungen, etwa der
Universitätsreform, im Zuge derer die Universitäten von der kirchlichen in die staatliche Hand übergehen, oder in der Ausweisung der Jesuiten 1767 (vgl. Kap. 3).
252
MacLachlan (1991: 86).
7. Vir faber und vir rusticus
473
Funktion als ‚Manager der felicidad pública‘253 aber keine Rolle spielt,
markiert das Stück die Schwelle des Übergangs von einem religiösen
zu einem zunehmend säkularen Selbstverständnis des Königtums.
In El carbonero de Londres ebenso wie in den meisten der übrigen hier
analysierten comedias económico-sentimentales manifestiert sich dieser
Übergang in Form einer Rückbindung des Ökonomischen an das Religiöse. Die von MacLachlan beschriebene historische Schwelle des
Übergangs von einer religiösen zu einer ab den 1760ern notwendig
werdenden säkularen Legitimation der königlichen Macht, vermag
eben jene Kopplung des Themas Wirtschaft an den Glauben zu erklären, die für die Mehrzahl der im Rahmen unserer Studie untersuchten
sentimentalen Wirtschaftskomödien über den vir oeconomicus und den
vir faber charakteristisch ist. Der Rückbindung an die Religion bedarf
das dem Weltlichen zuzurechnende Feld des Ökonomischen deshalb,
weil es noch im Begriff ist, sich im Zuge der Säkularisierungsprozesse
des 18. Jahrhunderts von ihr zu emanzipieren. Gerade weil der Katholizismus ein zentraler Bestandteil der populären Alltagskultur ist, ist
dieser Prozess weiten Teilen des Publikums nur schwer zu vermitteln,
was dazu führt, dass das sentimentale Wirtschaftstheater der spanischen Spätaufklärung ohne das Religiöse nicht auskommt.
7.4.2. Adeliger Zorn und bürgerlicher Seelenadel
Wird in El carbonero de Londres also auf der einen Seite die Exzeptionalität des Monarchen affirmiert, kennzeichnet auch dieses Stück auf der
anderen Seite die epochentypische Adelskritik. Diese entwickelt sich
anhand der Figur des aufbrausenden, hochmütigen und rachsüchtigen Lord Rusban, der von Enriqueta als „hombre tan cruel“254 charakterisiert wird. Im ungebremsten Wüten seines Affekts scheint er dem
barocken Ehrendrama entsprungen. So fällt der Begriff des „furor“ in
nahezu jeder Replik Rusbans und ist zugleich eine explizit personale
Vgl. MacLachlan (1991: 86): Der ‚antipolitische Rationalismus‘ (meine Übers.),
der dem Konzept des Königs als Kaufmann zugrunde liegt und sich auch darin äußert,
dass das höfische Zeremoniell zunehmend in die Kritik gerät, führt laut MacLachlan
zu einer Schwächung des mystischen Charakters der Monarchie, die seit dem Frühmittelalter als ‚von Gottes Gnaden‘ ausgewiesen wurde, um ihren Herrschaftsanspruch zu
legitimieren.
254
Valladares (1790: 21).
253
474 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Charakterisierung dieser Figur.255 Seinen Diener Eduardo droht Rusban zu erdolchen, als dieser ihn nicht schnell genug über Enriquetas
Verbleib informiert.256 In Enriquetas Äußerungen über Rusbans dominieren Ausdrücke aus dem Wortfeld des „horror“: „[...] me horrorizo
sólo al pensarlo“ oder „el labio mio quiso manifestar el horror”.257 Die
Negativzeichnung dieser den untätigen Adel repräsentierenden Figur
dient dazu, den durch Arbeit und Tugendhaftigkeit erlangten ‚Seelenadel‘ Genaros zu konturieren. Mehr noch: Genaros metaphorischer
Adel wird explizit gegen Rusbans Schwertadel aufgewogen und für
gewichtiger befunden:
Enriq.
[...] que las almas
nobles labran su nobleza
con la virtud: Tu al contrario
procedes, pues la que heredas
la manchas con tus acciones.
[...] Vete,
bárbaro, de mi presencia,
que entre estas humildes gentes
todas mis dichas se encuentran.258
Rusban, argumentiert Enriqueta, habe durch seine im Affekt begangenen Exzesse seinen Adelstitel beschmutzt und sich bis zur Barbarei erniedrigt. Bei den einfachen Bergleuten hingegen wähnt sie
alles erdenkliche Glück („todas mis dichas“). Damit vollzieht Enriquetas Rede eine rhetorische Umkehr der sozialen Verhältnisse: Der
Mangel an Tugend und der ‚Schmutz‘ bilden hier die Makel des Adels,
während Glück und moralische Erhabenheit bei den körperlich Arbeitenden zu finden sind. Genaros Seelenadel wird in Valladares Stück
explizit in Bezug zu seiner handwerklichen Ehrbarkeit gesetzt, als Enriqueta über den zwischen ihnen bestehenden Standesunterschied sinniert und sich dabei ihre Gefühle für den jungen Mann eingesteht.259
255
Vgl. Valladares (1790: 9; 10; 21).
Vgl. Valladares (1790: 9).
257
Valladares (1790: 23).
258
Valladares (1790: 21).
259
Vgl. Valladares (1790: 14f.): „Enriq. [...] Y Genaro / quien es, para que merezca /
que mi altivez á su amor / pueda dar correspondencia? / Mi altivez dixe? Ah! que mal
256
7. Vir faber und vir rusticus
475
Zentral ist hier, dass Enriqueta ihr eigenes soziales Kapital als von geringerem Wert erachtet als Genaros: Auf dessen Habenseite steht, dass
er der Sohn eines ehrbaren Bergmanns („hijo de un Carberonero honrado“), von ansprechender Gestalt („de una presencia/ agradable“)
und mit einem ‚Talent‘260 gesegnet ist, das sich aus seiner Werktätigkeit
herleitet („y de su oficio, su talento degenera“).
7.4.3. Schuld(en), Tilgung, Zins
Dass Enriquetas Rettung durch den Bergmann keine selbstlose Handlung, sondern von dem ökonomischen Kalkül geleitet ist, in der Truhe
einen Schatz vorzufinden, der sodann in die eigene Bildung investiert
werden soll, wurde bereits zur Sprache gebracht. Dass die unerwartet
in der Truhe vorgefundene junge Frau den Wert des erwarteten Schatzes noch übertrifft, bringt das Erstaunen zum Ausdruck, das Vater
und Sohn angesichts ihres Fundes äußern: „Ric. Este tesoro: – / Gen. Es
el mas rico, el mas bello, / que pudo jamás juntar / Midas.“261 Schöner
und reicher noch als alles Gold, das Midas je anzuhäufen im Stande
war, erscheint dieser ‚Schatz‘ Vater und Sohn, womit Valladares‘ Stück
auf den ‚Warenwert‘ Enriquetas als Unterpfand im Ehehandel verweist. Anders als in vergleichbaren Komödien der spanischen Spätaufklärung, in denen weibliche Charaktere von ihren Vätern, Onkeln,
Vormündern (weitaus seltener von ihren Müttern) einem vorteilhaft
erscheinenden Kandidaten gegen eine entsprechende Mitgift angeboten werden,262 bringt die weibliche Hauptfigur aus Valladares‘ Komödie sich hier selbst als eheliches Unterpfand ins Spiel, um Genaro für
die Rettung ihres Lebens in angemessener Weise zu danken:
/ con mi situación concuerda, / tan vano nombre! Genaro, / sin que esto alabarle sea,
/ es hijo de un Carbonero, / honrado, de una presencia / agradable, y de su oficio / su
talento degenera; / porque discreto, con una / alma noble, una sincera / dulce, atractiva,
y afable / expresión, le manifiestan / acreedor: á que le mire / con agrado una belleza.“
260
Das Diccionario de Autoridades, vol. VI (1735), definiert den Begriff „talento“ im
metaphorischen Sinne als eine „natürliche Gabe”: „Metaphoricamente se toma por los
dotes de naturaleza: como ingenio, capacidad, prudencia, & que resplandecen en alguna persona, y por antonomásia se toma por el entendimiento.“
261
Vgl. Valladares (1790: 5).
262
Beispiele hierfür sind etwa die Figur der Rufina aus Los menestrales oder Isabel
aus El barón.
476 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Enriq.
Tus favores,
por mas que no lo merezca,
es preciso agradecerlos,
pues advierto los engendra
una inclinación sencilla,
y una voluntad sincera:
Pero aunque mis sentimientos
se esmeren, por mas que quieran
manifestar todo el fondo
de mi gratitud, no encuentra
ni aun la imaginación, modo
de recompensar la deuda
que á tu padre, y a ti debo;
que hay acciones, hay finezas
tan sublimes, que no admite
retribución la grandeza
de su merito, porque
todo es corta recompensa.
La vida te debo, y esto
no hay con que pagarse pueda.
Solamente un medio encuentro,
Gen.
Y es?
Enriq.
Hacerte dueño de ella.263
Als sich Enriqueta Genaro als Ehefrau anträgt, weist sie explizit
darauf hin, dass es ihr ebenso um eine Eheschließung aus Gründen
der Neigung und der Vernunft („una inclinación sencilla“) wie um
die Begleichung einer moralischen Schuld gehe, die Vater und Sohn
gegenüber bestehe („la deuda, / que á tu padre, y a tí debo“). Dieses
moralische Soll könne durch kein Geld der Welt ausgeglichen werden
(„La vida te debo, y esto /no hay con que pagarse pueda“). Zum Ausgleich ist Enriqueta bereit, sogar die mit der mésalliance entstehenden
gesellschaftlichen Unkosten zu tragen, die eine Heirat mit einem einfachen Bergmann mit sich brächte. Enriquetas Adelstitel erhält damit
263
Valladares (1790: 13).
7. Vir faber und vir rusticus
477
den Status einer Zinszahlung, die mit der Begleichung der Schulden
fällig wird und die die Schuldnerin freiwillig zu zahlen bereit ist. Ähnlich wie in Moratíns sentimentaler Kaufmannskomödie El viejo y la
niña wird auch hier die Frage nach dem ‚gerechten Preis‘ aufgeworfen.
Indem Enriqueta sich Genaro als Ehefrau anbietet, eröffnet sich ihr
unerwartet die Möglichkeit, ihm ihrerseits das Leben zu schenken und
damit ihr Ziel zu erreichen, mit ihm ‚quitt‘ zu sein. Das ist möglich,
weil er ihr zuvor seine Liebe gestanden und bekannt hatte, eher sterben zu wollen, als ihre Ablehnung ertragen zu müssen.264 Enriqueta
ergreift nun ihrerseits die sich ihr bietende Möglichkeit beim Schopfe:
Solo, Genaro, que entiendas,
que si amándote te doy
vida, y si te aborreciera,
te diera muerte, no quiero
ser tan cruel, ingrata, y fiera,
que al que vida me dio,
recompense mi entereza
dándole la muerte. Quiero
que vivas, para que veas,
que lo que te debo, asi
te satisfago. Y pues esta
declaracion me parece
que satisfecho te deja,
vive para que yo viva,
y si tu mueres yo muera.
[...]
Yo fuera una desagradecida,
si obrase de otra manera
con quien la vida me ha dado.265
Der von Enriqueta angestrebte Zustand eines sofortigen Quidproquo wird allerdings durch die Entscheidung des Königs aufgeschoben, ihre Hand zunächst dem von ihr verabscheuten Lord Rusban
264
Valladares (1790: 14): „Yo bien sé me expongo á vuestra / indignación, declarando / mi amor [...]. / Mi pasión se agita mas / á vuestra vista; y pues esta / es que mi atrevimiento produce, / hasta que comprenda / si me amais, ó aborreceis, / sabré, Señora,
huir de ella; / con lo uno me dareis vida, / y con lo otro es fuerza muera.“
265
Valladares (1790: 15).
478 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zuzuerkennen. Erst mit der sich herausstellenden Blutsverwandtschaft
zwischen ihr und dem jähzornigen Lord kann Enriquetas Vorhaben,
Genaro zu ehelichen, schließlich in die Tat umgesetzt werden. Dabei
wird ihr die symbolische Zinszahlung in Form eines sozialen Abstiegs
erlassen, als Genaro durch die Ernennung zum Hauptmann einen gesellschaftlichen Aufstieg erfährt. Die Funktion der Eheschließung als
Mittel der Schuldtilgung wird dabei neuerlich explizit gemacht: „Y
con el mio [amor], / esta vida, que le debo, / le pago, Señor. [...] Genaro
/ me dio la vida, y pretendo / pagarsela, siendo suya.“266
Wie Comellas drei Jahre später aufgeführte Kaufmannskomödie
El hombre agradecido inszeniert auch Valladares‘ El carbonero de Londres
das Schuldprinzip und die damit verbundene Frage, in welcher Form
eine moralische Schuld angemessen zu begleichen sei. Instauriert Comella in diesem Zusammenhang eine Kette von einander moralisch
und finanziell verpflichteten Schuldnern und Gläubigern, die mit dem
kaufmännischen Prinzip einer trusted chain of correspondents korreliert,
entwirft Valladares in seiner um den vir faber Ricardo und dessen Sohn
Genaro kreisenden Komödie ein Szenario, bei dem der Adel – repräsentiert durch Enriqueta – und der König sich gleichermaßen in der
Schuld der gente humilde wissen.267 Die Bergleute als Repräsentanten
der gering geachteten körperlich Arbeitenden erweisen sich wider Erwarten als ehrbar, großzügig und im aufklärerischen Sinne vernünftig. Der ihnen für ihr rechtes Handeln im Sinne der christlichen caritas
266
Valladares (1790: 15).
Wie Eberhard Geisler (2014: 73) in seiner Analyse nachweist, verhält es sich in
Lope de Vegas barocker comedia El villano en su rincón (1617) um den Landwirt Juan
ähnlich, wo es zunächst der Monarch ist, der in der Schuld des Bauern steht. Im Verlauf des Stückes kehrt sich dieses Verhältnis von Schuldner und Gläubiger allerdings
um: „Der König sucht Juan Labrador in dessen ländlichen Gefilden auf und bittet ihn
um ein Nachtlager, wobei er sich als Jäger ausgibt, der sich in den Wäldern verirrt hat.
Labrador gewährt diese Gastfreundschaft auf vollkommene Weise, ohne dabei eine
Gegengabe zu erwarten. Der König zeigt sich gerührt und verspricht Reziprozität, d.h.
im Gegenzug Labrador aufzunehmen, wenn dieser nach Paris käme.“ Der entscheidende Unterschied zu Valladares‘ Komödie besteht darin, dass das „Feudalsystem
hier als eines [erscheint], in dem der Untertan dem Souverän gegenüber in der Schuld
steht, während andererseits die Möglichkeit reiner Gabe auf Seiten des Souveräns existiert.“ Diesen Umstand macht Geisler daran fest, dass es sich bei der Gegengabe des
Monarchen „um eine reine königliche Gabe“ handelt, „die Gleichheit schenkt, ohne
dass diese aufgrund des erheblichen Standesunterschiedes bestünde“. Diese ‚Gabe der
Gleichheit‘ ist es, die der Bauer Juan nicht auszugleichen vermag.
267
7. Vir faber und vir rusticus
479
– hier offenbart sich neuerlich die Kopplung von Religion und Aufklärung – zugedachte Lohn ist auch in dieser Komödie ein mehrfacher: Er
besteht im gesellschaftlichen Aufstieg und in einer sozial ebenso wie
finanziell vorteilhaften Neigungsehe. Anders als in vergleichbaren comedias económico-sentimentales, seien es neoklassische Lehrstücke wie
Trigueros‘ Los menestrales, Duráns La industriosa madrileña, Iriartes El
señorito mimado oder Varianten wie Comellas El hombre agradecido und
del Reys La modesta labradora, die neoklassische und populäre Elemente verbinden, spielt die Dopplung des moralischen Kapitals der Eheleute durch die Heirat hier keine zentrale Rolle. Den Status einer Währung besitzt die Ehe dennoch: Dass sie in der Lage ist, Leben zu retten
– und im übertragenen Sinne ‚zu erwerben‘ – verweist auf ihre biopolitische Funktion als reproduktive Instanz. Dass Valladares‘ Stück
wiederholt die gegenseitige körperliche Anziehung Enriquetas und
Genaros ins Spiel bringt – er hält sie für schön (s.o.) und entflammt
in Leidenschaft268, sie konstatiert seine „presencia agradable“269 – und
den Seelenadel des vir faber dem Adelstitel gleich stellt, ist ein aufklärerisches Plädoyer für die Neigungsehe, das deren Vorteile für den
Bevölkerungszuwachs unterstreicht.
7.5. Vir rusticus: Der Bauer als theatrale Figur
Dient der Figurentypus des armen und einfältigen Bauern im Theater
vor 1600 allenthalben als komische Figur, 270 tritt nach 1600 der reiche
Bauer auf den Plan.271 Diese vor allem im spanischen Theater des 17.
Jahrhunderts präsente Gestalt dient als systemstabilisierendes Element272 und erfüllt dort eine soziale Vorbildfunktion, die sich – wie
unsere Analyse von Comellas El buen labrador zeigen wird – im 18.
Jahrhundert fortsetzt. In Anlehnung an die bisher skizzierten vorbildlichen theatralen Typisierungen wirtschaftender Menschen soll der
268
Vgl. Valladares (1790: 14), s.o. Dort ist von Genaros „pasión“ die Rede.
Vgl. Valladares (1790: 15), s.o.
270
Der „rústico bobo“ bildet in seiner Einfalt und in seinen mangelnden Umgangsformen den Gegensatz zum Urbanen und Höfischen. Díez Borque (1976: 350f.). Zum
mittellosen labrador ridículo vgl. auch Díez Borque (1976: 348ff.).
271
Vgl. Maravall, Antonio (1990): Teatro y literatura en la sociedad barroca. Barcelona:
Crítica, p. 45.
272
Vgl. Maravall (1990: 46).
269
480 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Figurentypus der ebenso vermögenden wie zum Teil adeligen Bauern
hier mit dem Begriff des vir rusticus bezeichnet werden. Dieser Terminus trägt der für diesen Typus bedeutsamen Unterscheidung von korrumpiertem Stadt- und idealisiertem Landleben Rechnung, schließt
aber auch die Verknüpfung der Aspekte von körperlicher Arbeit und
Nahrungsmittelproduktion mit ein.
Der arme Bauer wird nicht nur auf spanischen Bühnen, sondern
auch im Alltagsleben seit dem Mittelalter ebenso gering geschätzt
wie der Handwerker, und das, obwohl es sich bei der europäischen
Feudalgesellschaft um eine agrarische handelt, die von der Landwirtschaft und ihren ProduzentInnen wesentlich abhängt:
Pero, aunque en una sociedad de escasísimo desarrollo técnico y capitalista, apenas haya otro factor que fertilice la tierra y mantenga la necesaria
producción agraria [...] que el trabajo mecánico del campesino, la consecuencia a que ello lleva está muy lejos de afirmar el honor de aquellos que
nos dan los frutos de la tierra.273
Demgegenüber wird dem wohlhabenden Bauern durchaus ein
Maß an Ehrbarkeit zugesprochen, wenn er dem niederen Adel vom
Rang eines Hidalgo gleichgestellt ist.274 In ihrer Ehrbarkeit und in
ihrem Modellcharakter heben sich theatrale Repräsentationen des
wohlhabenden Landwirts bereits im 17. Jahrhundert dezidiert von
den unter moralischem Generalverdacht stehenden Vertretern der artes mecánicas ab. Während Letztere aufgrund ihres geringen sozialen
Prestiges im Theater vor dem 18. Jahrhundert gar nicht erst auftreten,
macht Díez Borque im Figurentypus des reichen Bauern eine Verkörperung des homo oeconomicus aus und rückt dabei nicht den Aspekt
des Selbstinteresses, sondern das Modellhafte und Vorbildliche dieses
Charakters in den Fokus, wenn er dessen theatrale Repräsentation in
ihrer tugendhaften und idealtypischen Gestaltung konturiert. In ihrer
Modellhaftigkeit ähneln diese gutbetuchten Bauernfiguren den durch
das englische, französische und spanische Theater entworfenen ehrbaren viri oeconomici:
273
Vgl. Maravall (1984: 371).
Díez Borque (1976: 345): „La comedia que esquiva, como tantas veces he dicho,
toda tensión social que reflejara una situación conflictiva de la realidad, equipara – frecuentemente – labrador y hidalguía [...].“
274
7. Vir faber und vir rusticus
481
El prestigio social de la tierra permite al que la posee disfrutar de una consideración digna que no tiene la „riqueza industrial“ y – en este sentido
– la comedia encarna las virtudes del homo oeconomicus en el labrador, plegándose a las ideas económicas de su época, que aceleraron la decadencia.
El labrador rico conjuga los valores espirituales que la tierra le concede,
con virtudes prácticas y económicas, lo que le convierte en modelo social
ejemplar. La posibilidad de ennoblecimiento que la comedia le asegura,
aparte de poseer la innata nobleza de alma, completa la perfectividad del
tipo literario.275
Die sich aus einer religiös fundierten Moralökonomie herleitende
soziale Vorbildfunktion des reichen Bauern führt dazu, dass der metaphorische ‚Seelenadel‘ dieses Figurentypus‘ bereits im Barocktheater in königlich verbriefte Adelstitel münden kann. In seiner positiven
Zeichnung der wohlhabenden Bauernschaft reproduziert das spanische Theater nach 1600 die Perspektive vieler Gelehrter und Ökonomen:
[...] ya fray Luis de León concederá al labrar tierra honra, virtud y valor,
por encima de las restantes profesiones, y Gutiérrez de los Ríos, a comienzos del xvii, defiende la nobleza y honra de las ganancias obtenidas por la
agricultura y las virtudes morales que engendra.276
Dass der wohlhabende Bauer von der Missachtung verschont
bleibt, die der Handwerker im Leben wie auf der Bühne zu erdulden
hat, liegt zum einen daran, dass ersterer selbst keine schwere körperliche Arbeit ausüben muss, sondern diese delegiert.277 Das Konzept
vom Ackerbau als einer im Gegensatz zum Handwerk nicht nur löblichen, sondern ehrbaren Tätigkeit geht auf antike Modelle wie Vergils
Georgica (ca. 37-29 v. Chr.) zurück, der die Feldarbeit in seinem Lehrgedicht als ruhmreiche und von den Göttern gewollte Verrichtung
275
Díez Borque (1976: 338).
Díez Borque (1976: 342) mit Bezug auf León, Luis de (o.J.): La perfecta casada.
Madrid: CIAP, pp. 36-39 und Gutiérrez de los Ríos, Gaspar (1600): Noticia general para
la estimación de las artes y de la manera que se conocen las liberales de las que son mecánicas y
serviles. Vol. IV. Madrid: P. Madrigal, pp. 227 und 254.
277
Vgl. hierzu Maravall (1990: 46): „[...] la comedia pondrá mucho cuidado en diferenciar rotundamente a los rústicos pobres de los labradores ricos; estos últimos poseen las tierras, las cultivan, dirigiendo el trabajo a otros.“
276
482 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
preist und in diesem Kontext nicht nur praktische Hinweise zum
Pflügen und zur Aussaat gibt, sondern zudem detailliert auf die dafür nötigen Werkzeuge eingeht.278 Wie die Analyse von Valladares de
Sotomayors El trapero de Madrid (1782) und seine Adaptation der französischen Vorlage La brouette du vinaigrier (1775) von Mercier zeigen
wird, erscheinen Werkzeuge im Zusammenhang mit der Darstellung
von Handwerksberufen und Werkarbeit als Stein des Anstoßes und
schambesetzte Objekte. Entsprechend kann der Kohleabbau in El carbonero de Londres auch nur metaphorisch und durch die Bergung Enriquetas dargestellt werden. Nur hier darf die Spitzhacke als Hilfsmittel
des Bergmanns auf der Bühne gezeigt werden. Die für den Ackerbau
notwendigen Utensilien hingegen sind schon bei Vergil frei von dem
Makel, denen die Werkzeuge des Bergmanns, Schneiders und Lumpensammlers in den hier untersuchten Komödien unterliegen.279
Im Kontext der für das spanische Theater des 17. Jahrhunderts relevanten Unterscheidung zwischen den Figurentypen des armen und
des reichen Bauern kommt die bereits erwähnte, schon im Altertum
bestehende Unterscheidung zwischen freien und praktischen Künsten
zum Tragen. Domínguez Ortiz zitiert diesbezüglich Gutiérrez de los
Ríos’ Noticia general (1600): „[...] ‚se fundaron los antiguos para llamar
a la Agricultura arte liberal’”.280 Daraus folgert er:
En él demuestra [Gutiérrez] con gran profusión de textos Antiguos que la
Agricultura es ocupación no sólo necesaria, sino honrosa y no incompatible con la nobleza; con tal motivo censura a los hidalgos que prefieren vivir en la pobreza y el ocio antes que dedicarse a una actividad lucrativa.281
278
Vgl. Vergil (2016): Bucolica, Georgica / Hirtengedichte, Landwirtschaft, ed. & trans.
Niklas von Holzberg. Berlin: De Gruyter, p. 120, vv. 121-124: „[...] pater ipse colendi /
haud facilem esse viam voluit primusque per artem / movit agros, curis acuens mortalia corda, / nec torpere gravi passus sua regna veterno.” („[...] Er selber, der Vater, /
wollte, dass schwer sei der Landbau, und ließ als erster die Äcker / planvoll aufwühlen,
schärfte durch Sorgen die Herzen der Menschen /und ließ nicht sein Reich in lastender
Dumpfheit erstarren.” Auch spricht Vergil (2016: 124, v. 168) wörtlich von der „divini
gloria ruris“ („Ruhm des göttlichen Landbaus“).
279
Vgl. hierzu Schuchardt Beatrice (2022): „Die Performanz der Dinge in sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung“. In: Nickenig, Annika/Urban, Urs
(eds.). Dinge – Gaben – Waren. Der Gegenstand ökonomischen Handelns in den romanischen
Literaturen der Frühen Neuzeit. Stuttgart: J.B. Metzler, pp. 205-220.
280
Domínguez Ortiz (1945: 875) mit Bezug auf Gutiérrez de los Ríos (1600), Vol. III.
281
Domínguez Ortiz (1945: 875).
7. Vir faber und vir rusticus
483
Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Kritik an der Untätigkeit des
Adels kein Phänomen des 18. Jahrhunderts ist, sondern sich bereits im
16. und 17. Jahrhundert findet.
Ein Element, das die Präsenz des reichen Bauern im Theater des
spanischen 17. Jahrhunderts begünstigt, ist seine besagte Funktion als
stabilisierendes Element innerhalb einer feudal-monarchischen Gesellschaftsordnung: „El labrador es esencialmente monárquico porque
el Rey aparece a sus ojos como mantenedor del orden y castigador
de aquel que lo quebranta. El labrador adhiere al sistema porque el
Rey garantiza sus intereses en contra de la nobleza.”282 Die bereits auf
das Theater des vorausgehenden Säkulums zurückgehende Komplizenschaft von Königtum und wohlhabender Bauernschaft ist für die
Analyse von Comellas El buen labrador deshalb besonders relevant,
weil dieser Figurentypus dort nicht nur als loyaler Anhänger des Monarchen erscheint; vielmehr wird eine ganze Reihe von Monarchen
aufgerufen, die sich selbst als Bauern betätigt haben. Wenn also Díez
Borque für die comedia des 17. Jahrhunderts resümiert, diese verwende
und idealisiere das „material rústico“ unter Missachtung der sozialen
Realitäten und passe diese in den feudalen Horizont des damaligen
Theaters ein,283 so bleibt im Hinblick auf die nun zu untersuchenden
Beispiele aus dem ausgehenden 18. Jahrhunderts – Fermín del Reys
La modesta labradora (1791) und Comellas El buen labrador (1791) –, zu
fragen, inwiefern die Figur des reichen Bauern bzw. der reichen Bäuerin die veränderten diskursiven Prämissen der theatralen und ökonomischen Ideologien des 18. Jahrhunderts fiktionalisiert. Scheint es bei
del Reys La modesta labradora eher um eine kostumbristisch-pittoreske
Funktion der (nur dem Anschein nach) bäuerlichen ProtagonistInnen
zu gehen, steht bei Comella der Aspekt der Arbeit stärker im Vordergrund, und das, obwohl es sich bei der titelgebenden Figur um einen
reichen Bauern handelt, dessen Tätigkeit nahezu ausschließlich in der
Verwaltung seiner Ländereien besteht. Inwiefern Comella dabei eine
aufklärerische Aktualisierung des barocken Topos des wohlhabenden
Bauern vornimmt, untersucht der Abschnitt 7.7. Wenden wir uns jedoch zunächst dem Stück La modesta labradora von Fermín del Rey zu.
282
Díez Borque (1976: 351).
Vgl. Díez Borque (1976: 353): „A través de la ideología aristocrática la comedia
‚organiza’ en escena el material rústico, afirmando, negando e idealizando la realidad
de acuerdo con unas leyes específicas e inherentes al hecho teatral.“
283
484 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.6. Fermín del Reys La modesta labradora (1791): Die Vorspiegelung
sozialer Gleichheit
Über den Dramatiker Fermín del Rey ist bis auf seine Tätigkeit als
Souffleur in Valladolid im Jahre 1776284 sowie von 1780-1786 in der
Compañía Manuel Martínez am Teatro del Príncipe Barcelona wenig bekannt.285 Aguilar Piñals Bibliographie des spanischen 18. Jahrhunderts
gibt Auskunft darüber, dass del Rey Autor zahlreicher Dramen ist, darunter vor allem heroische und historische Komödien wie Hernán Cortés en Cholula (1782)286 oder Hernan Cortés en Tabasco (1790)287, aber auch
comedias joco-serias wie Caprichos de amor y celos (1817). Cook nennt del
Rey in einem Zug mit Moncín und bezeichnet die Stücke beider Autoren als „works [...] usually well received by the vulgo“ und als „entirely devoid of literary merits“, weshalb sie auf den Spott ihrer neoklassischen Kritiker getroffen seien.288 Der verhältnismäßig große Anteil der
genannten Gattungen am Gesamtwerk del Reys zeigt, dass es sich bei
ihm um einen Vertreter des populären Theaters handelt, wobei die bei
Cook zum Ausdruck kommende und durch Meléndez Pelayo vorgeprägte negative Sichtweise auf das populäre Theater kennzeichnend
für die Hispanistik des späten 19. Jahrhunderts ist. Diese Haltung ist
bis weit in die 1970er Jahre hinein verbreitet, inzwischen aber nicht
mehr haltbar.289 Was die theatrale Umsetzung ökonomischer Themen
anbelangt, ist del Rey bereits durch seine Übertragungen des Theaters
Goldonis ins Spanische damit vertraut, darunter La buena criada (1792)
und La Camarera brillante (o.J.). Stücke aus eigener Feder, die sich wirtschaftlichen Fragestellungen zuwenden, sind La viuda generosa (1792)
284
Reyes Palacios, Felipe (2003): „Hernán Cortés en Cholula, comedia heroico-militar
de Fermín del Rey”. In: Dieciocho, 26, 1, pp. 101-113, hier p. 101.
285
Vgl. Lafarga, Francisco (2000): „La mujer y la guerra en el teatro español del siglo
xviii: La Defensa de Barcelona por la mas fuerte amazona de Fermín del Rey”. In: Dugas,
Guy (dir.). Femmes et guerre en Méditerranée. xviiième–xxème siècles. Barcelona: Universitat
de Barcelona, pp. 33-41, hier p. 34.
286
Vgl. hierzu Reyes Palacios (2003).
287
Cook (1974: 374) verweist auf den beträchtlichen finanziellen Erlös aus der Aufführung des Stückes von 1790. In den elf Tagen, in denen es aufgeführt wird, erwirtschaftet es 54.111 reales.
288
Diese These stützt Cook (1974: 374).
289
Cooks Monographie Neo-Classic Drama in Spain erscheint erstmals 1898.
7. Vir faber und vir rusticus
485
und La modesta labradora (1791). Für unsere Analysen zum Figurentypus des vir faber ist nur das Letztgenannte von Interesse.
Das Handlungsgerüst dieser comedia económico-sentimental290 ist
schnell umrissen: Anhand der Figuren des wohlhabenden und redlichen Bauern Celestino und seiner ebenso ehrbaren wie wohlerzogenen Tochter Inés einerseits, und des prätentiösen Marqués de la
Floresta und seines in Inés verliebten Sohnes Silverio andererseits,
kontrastiert del Rey
a) den prätentiösen Adel mit der arbeitenden Landbevölkerung;
b) Reich mit Arm;
c) den schönen Schein des urbanen Hofes mit seinen Intrigen und
Verstellungen mit dem durch Einfachheit bestechenden ländlichen
Idyll.
In der Spiegelbildlichkeit der Heiratspläne von Herrschaft und
Dienerschaft,291 aber auch in seinem spielerischen, die Finten des Liebeswerbens vorführenden Charakter weist das Stück Parallelen zum
Theater Marivaux‘ auf.292 Obgleich die Titelheldin, die modesta labradora Inés, als bescheidene bäuerliche Heldin ausgewiesen wird, tritt
sie nur an einer einzigen Stelle als Teil der arbeitenden Bevölkerung
in Erscheinung. Bezeichnend ist, dass Inés und ihr Vater Celestino an
keiner Stelle des Stücks bäuerliche Tätigkeiten verrichten, was darüber Auskunft gibt, wie schambesetzt körperliche Arbeit ist, die auch
hier aus Gründen des Dekorums nicht auf der Bühne gezeigt werden
darf. Auch wenn Inés im Gegensatz zur Weberin Cecilia aus Duráns La
industriosa madrileña nicht als eine ihren Lebensunterhalt eigenständig
bestreitende Frau dargestellt wird, verweist ihre schmutzige Kleidung
auf eine körperliche Tätigkeit. Diesen Aspekt vertieft der Abschnitt
„Habit und Habitus“ (vgl. Kap. 7.6.2). Wenden wir uns jedoch zunächst der Bedeutung der ländlichen Kulisse zu.
290
Der sentimentale Aspekt offenbart sich in den emotionalen Verwicklungen angesichts der zunächst einseitigen Liebe Silverios zu Inés, die er ein ums andere Mal
wortreich bekundet.
291
Es handelt sich hierbei um die Heiratspläne von Silverios Diener Mamerto und
Inés‘ Dienerin Blasa, die spiegelbildlich zu Silverios Werben um Inés stehen.
292
Zum spielerischen Charakter des Theaters Marivaux‘ und Beaumarchais‘ im
Vergleich zu spanischen neoklassischen Wirtschaftskomödien sowie ihrem Ökonomiebezug vgl. Schuchardt (2016).
486 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Das von del Rey gezeichnete rustikale Idyll besteht dem Nebentext
zufolge aus einer „selva corta“ und allenthalben fröhlich singenden
und tanzenden DörflerInnen, die ihren „tareas campesinas“ mit Freude nachgehen.293 Die Figur, die in diesem Stück den Typus des vir rusticus und reichen Bauern repräsentiert, ist Inés‘ Vater Celestino. Er tritt
„vestido de labrador“294 auf. Dass seine Tätigkeit’ mehr intellektueller
als physischer Natur ist und damit in der Tradition der artes liberales
steht, zeigt sich in dem Umstand, dass er gleich zu Beginn des Stückes die übrigen Dorfbewohner ermahnt, mit der Arbeit zu beginnen
und somit die Rolle eines Vorstehers einnimmt: „Vamos, muchachos,
acaben / las rústicas cantinelas, / y al avío.“295 Celestino appelliert hier
nicht nur an die Tugend der industria, seine Figur dient zudem dazu,
den Kontrast zwischen der Unschuld des beschaulichen Landlebens
und den urbanen Versuchungen des Hofes zu schärfen, und somit auf
den Topos des menosprecio de corte y alabanza de aldea zu verweisen (vgl.
Kap. 3.2.3). Dies veranschaulicht ein Zwiegespräch zwischen ihm und
Silverio:
Celest.
[...]
Aquí se vive
porque no se lisonjea
ni de caprichos agenos
pende la propia existencia;
pues cuando avaricia y luxo
vastas Ciudades infestan,
aquí animan dulces auras
desinterés e inocencia.
Yo gozo sin ambición
una moderada hacienda,
miserable resto de otra
fortuna mas opulenta
de que logró despojarme
en mi florida edad tierna
293
Vgl. del Rey (1791: 1): „Selva corta. Salen los Aldeanos cantando y baylando, y
todos con los rústicos instrumentos, que corresponden á las tareas campesinas en la
última estación del año [...].“
294
Del Rey (1791: 1).
295
Del Rey (1791: 1).
7. Vir faber und vir rusticus
487
la injusticia de los hombres.
[...]
Silv.
[...]
el hombre que apetezca
la tranquilidad que goza,
poco aventura en la hacienda
que pierde; yo por mí os juro,
que en una cabaña de estas
viviría mas gustoso,
que entre la falsa opulencia
del Cayro, Menfis y Tiro;
[...]
para divertir tristezas
que inspira la confusión
de la Corte, aun en la esfera
de un pobre artesano como
yo, determine en su bella
dulce mansión distraerme
de mis profundas ideas;
yo lo conseguí [...]
[...] a la beneficencia
de usted [Silverio] que con tanto gusto
mi conversación acepta.
Celest.
El honrado debe ser
atendido de qualquiera.
Der hier aufgegriffene Topos ist schon in der Literatur des 17. Jahrhunderts weit verbreitet:296 Von Antonio de Guevaras Traktat Menosprecio de corte y alabanza de aldea von 1539 ausgehend, rekurriert er auf
die Tradition der „stilisierten Land- und Schäferdichtungen“297, der in
296
Vega Carpio, Lope Félix de (2011 [1619]): Fuenteovejuna, ed. & trans. Hartmut
Stenzel. Stuttgart: Reclam, p. 210.
297
Stenzel in Lope de Vega (2011: 212). Zum Topos des menosprecio de corte y alabanza de aldea bei Antonio de Guevara vgl. auch Marti (1997: 214f.): „En vingt chapitres,
l’auteur démontre les bienfaits de la vie villageoise et les raisons pourquoi il faut fuir
la capitale. En dehors de l’expérience autobiographique, il faut retenir que son œuvre
est construite sur la perpétuelle comparaison capitale/village que l’on retrouve dans
488 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Jorge de Montemayors in sieben Bänden veröffentlichten Schäferroman Los siete libros de Diana (1519-1561) einen vorläufigen Höhepunkt
findet.298 Hierbei werden Land- und Weidewirtschaft als gleichermaßen dem Ruralen zuzuordnende Betätigungsfelder vermischt. Wie
Marc Marti in seiner Studie Ville et campagne dans l’Espagne des Lumières
(1746-1808) nachweist, ist es die Physiokratie, die in Europa zu einer
weiteren rhetorischen Aufwertung des Primitiven, Ländlichen und
des Bäuerlichen, und damit zu einer literarischen Fortschreibung und
Wiederbelebung des idealisierten Ländlichen, führt.299 Marti weist
dies für Spanien anhand von drei Romanen nach, darunter Pablo de
Olavides (1725-1803) El Evangelio en triumpho o Historia de un filósofo
desengañado (1797),300 dessen Autor in der Forschung bis in die 1990er
Jahre hinein als Physiokrat gilt.301
In dem Dialog zwischen Celestino und dem Grafensohn Silverio, der hier in bäuerlicher Verkleidung auftritt, erfahren wir, dass
un jeu d’oppositions: monde moderne/monde traditionnel, opinion/raison, vie/mort et
finalement vice/vertu. La capitale est chargée de tous les défauts moraux, associées au
vice, à l’ambition, la recherche de gloire, la jalousie, l’envie. Le village apparaît comme
un contrepoint, un espace où les relations humaines sont saines, abritant la vertu et la
bonté.”
298
Vgl. Stenzel in Lope de Vega (2011: 212) und Guevara, Antonio de (1975 [1539]):
Menosprecio de corte y alabanza de aldea, ed. Matías Martínez Burgos. Madrid: EspasaCalpe.
299
Vgl. Marti (1997: 207ff.) sowie Wyngaard (2004).
300
Vgl. Marti (1997: 295ff.). Weitere von Marti analysierte Romane sind El Mírtilo,
ó los pastores transhumantes (1795) von Pedro Montengón (1745-1824) und Aventuras de
Juan Luis: historia divertida que puede ser útil (1781) von Diego Ventura Rejón y Lucas
(1721-1796).
301
Vgl. Perdices Blas (2000: 275ff.), der zeigt, dass Olavide zwar agraristische Ideen
teilt, aber kein Physiokrat ist. Vertreter der mittlerweile überholten Lehrmeinung von
den physiokratischen Überzeugungen Olavides sind Carande, Ramón de (1956): „Antecedente a la edición del Informe al Consejo de Olavide sobre la Ley Agraria“. In:
Olavide, Pablo de. Informe al Consejo sobre la Ley Agraria [1768], eds. Ramón de Carande, & Joaquín Ruíz del Portal. In: Boletín de la Real Academia de la Historia, 138-139,
pp. 357-462 und Polt, John H.R. (1976): „El pensamiento económico de Jovellanos y
sus fuentes inglesas”. In: Información Comercial Española, 512, pp. 23-56. Zu den auf
dem Land angesiedelten, unternehmerisch-utopischen Projekten Olavides vgl. auch
Tschilschke, Christian von (2022): „Between State-Managed Reforms and Private Utopia: The Entrepreneurial Projects of Pablo de Olavide“. In: Schuchardt, Beatrice/idem
(eds.). Protagonists of Production. Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers
in Preindustrial Spanish and European Economic Tracts, Literature and Press (1700-1800).
Berlin: Lang, pp. 163-178.
7. Vir faber und vir rusticus
489
Celestino ein ‚gefallener Adeliger‘ ist, dem einst am Hofe Unrecht geschah, was diesen Ort gleich zu Beginn als Raum der Intrige ausweist.
Die ländliche Kulisse dagegen erscheint als locus amoenus, ein Motiv,
das bereits im Theater des 17. Jahrhunderts präsent und diesem entnommen ist, hier aber um den Aspekt der Arbeit erweitert wird.302
Das ländliche Idyll bildet nicht nur den pittoresken Hintergrund für
die Inszenierung des Liebesplots zwischen Silverio und Inés, sondern
dient im zitierten Dialog überdies dazu, städtische Laster wie Luxus
und Geiz, die hier emblematisch für ein als verdammenswert erachtetes Selbstinteresse stehen, der interessenlosen Unschuld („desinterés“;
„sin ambición“) des Landbewohners gegenüberzustellen. Die Figur
des ehrbaren Handwerkers, wie Trigueros sie auf ambivalente Art
und Weise inszeniert, wird hier lediglich als taktische Referenz aufgerufen. Del Rey stellt seine populäre sentimentale Komödie nur vordergründig in den Kontext der Real Cédula: Der eigentliche Plot kreist
nicht um die Ehrbarkeit des Bauern, sondern um das soziale Gefälle
zwischen Silverio und Inés. Damit bildet der Liebesplot die zentrale
Achse des Stückes. Dieser hat, wie sich noch zeigen wird, nicht allein Unterhaltungswert, sondern ermöglicht zudem, ein System der
Stellvertretungen zu inszenieren, das mit der Politischen Ökonomie
im Zusammenhang steht. Am guten Ende wird der Standesunterschied zwischen den Liebenden auch in diesem Stück aufgehoben,
wenn sich Celestino als Cousin des Grafen erweist und Inés, deren
302
In diesem Zusammenhang unterscheidet Díez Borque (1976: 329) mit Bezug auf
Salomon, Noël (1965): Recherches sur le thème paysan dans la comedia au temps de Lope de
Vega. Bordeaux: Institut d’Études Ibériques et Ibéro-Americaines, pp. 427-743, die Figurentypen des „labrador idílico“ und des „labrador digno“: „En el plano del labrador
idílico el trabajo del campo describe una bella realidad cotidiana en el locus amoenus,
sin ninguna preocupación compulsiva que turbe esta beatitud idílica.” Ähnlich werden
Landleben und die Landarbeit bei del Rey gezeichnet. Laut Díez Borque (1976: 331)
ist die idealisierte Zeichnung des Landlebens im Barocktheater vor allem durch das
Bedürfnis der Stadtbevölkerung begründet, dem komplexen urbanen Leben zumindest in der theatralen Fiktion zu entfliehen und sich imaginär in ländliche Gefilde zu
träumen, wo die Natur üppig und das Leben vermeintlich einfach ist. Von der Entvölkerung ganzer Landstriche aufgrund von Landflucht und dem hohen Pachtzins ist nur
kursorisch die Rede. Vgl. Díez Borque (1976: 332). Eine Ausnahme von einer euphemistischen Darstellung des Ruralen bildet die komische Figur des Labrador aus Calderóns
El gran teatro del mundo (1655), die die ihr zugewiesene Rolle im ‚großen Welttheater‘
aufgrund der harten Arbeit und des spärlichen Lohns zunächst verweigert.
490 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Adel anhand ihrer Ansichten und gewählten Sprache schon vorausgedeutet wurde,303 Silverio ehelichen kann.
Silverios Verkleidung als „pobre artesano“, als der er sich Vater und
Tochter präsentiert, ist taktischer Natur und dient dem Zweck, sich
der bescheidenen und auf Wahrung des Anstands bedachten Inés zu
nähern.304 Silverios Strategie des „aparentar pobreza“305 läuft auf die
Vorspiegelung einer sozialen igualdad zwischen ihm und dem (vermeintlichen) Bauernmädchen hinaus, die ein zwangloses Gespräch
ermöglichen soll. Dass Gleichheit zwischen sozial Ungleichen in del
Reys Komödie weder als Forderung noch als Wunsch erscheint, sondern vielmehr Teil eines taktischen engaño – und somit Teil des enredo
– ist, bestätigt auch für dieses Stück die konservative Haltung, die dem
populären Theater gemeinhin zugeschrieben wird.
7.6.1. Mise en abyme und ‚Als Ob der Repräsentation‘
Die Figur der Inés als Verkörperung ländlicher Unschuld im Gegensatz zu dem mit allen Wassern höfischer Verstellung gewaschenen
Grafensohn Silverio steht in del Reys Stück im Dienste des leitmotivischen Stadt-Land-Gegensatzes. Über sie stellt del Rey die auf Berechnung und Verstellung basierende Moralökonomie des Hofes dem
Worte für bare Münze nehmenden Werthorizont der Landbevölkerung gegenüber. In der Vorstellung der naiven Inés ist der Hof ein
Ort von märchenhafter Größe und Ausstattung, ein „pueblo / donde
hay fábricas excelsas, / grandes Palacios, hermosos / paseos, y también
bellas / Señoras“.306 Zum Bild, das die junge Frau dem Hörensagen
nach vom Hofleben hat, gehören auch die höfischen Vergnügungen:
„diversiones“, „fiestas“, „bayles“, „concierto“ und vor allem die „comedias“.307 Die Erwähnung der Gattung Komödie bietet dem um Inés‘
Zurückhaltung in Liebesdingen wissenden Silverio Anlass, eine sentimentale Komödie in der sentimentalen Komödie aufzuführen, um
303
Vgl. del Rey (1791: 7): „Marq. Por Dios, que la chica tiene / pensamientos de
Marquesa [...].”
304
Vgl. hierzu die Replik von Silverios Diener Mamerto: „El amigo galantea / al
padre para agradar / á la hija; no es mala treta.”
305
Del Rey (1791: 5).
306
Del Rey (1791: 9).
307
Del Rey (1791: 9).
7. Vir faber und vir rusticus
491
Inés im sicheren Rahmen der Fiktion seine Liebe zu erklären, wie er
a parte erklärt: „su sencillez me presenta / la ocasion de declararla /
mi amor, y yo ni he de perderla“.308 Zum Wirkprinzip der von ihm
zunächst in Worten skizzierten und dann im Schutze eines hypothetischen ‚Als Ob‘ aufgeführten Komödie erklärt Silverio nicht in erster
Linie das von Inés vermutete hacer reir, sondern vielmehr das hacer
enternecer, das hier autoreferenziell auf del Reys eigene Komödie zurückverweist und das von Silverio inszenierte Stück explizit als sentimentale Komödie ausweist.309 Das von Silverio skizzierte Stück spielt
zunächst die erste Begegnung zwischen ihm und Inés nach:
Por exemplo: Se ve un Joven,
que accidentalmente encuentra
á una muchacha preciosa:
El idolatrarla, y verla
todo es uno [,]310
Damit charakterisiert er im Rahmen der Fiktion und in Form einer
captatio benevolentiae zugleich Inés‘ tugendhaften, aber scheuen Charakter:
[...] El que ama de veras
es humilde y respetoso,
y no es dable que se atreva
á una acción indecorosa,311
Die zunächst nur in ihrer Plotstruktur umrissene Komödie geht sodann in ein ‚Schauspiel im Schauspiel‘ über:
á su querida se acerca
(como hago yo, verbi gracia)
Yo os amo, la dice en tiernas
voces.312
308
Del Rey (1791: 9).
Vgl. del Rey (1791: 9): „Dicen que hace / reir [la comedia]. ¿Es cierto?”
310
Del Rey (1791: 9).
311
Del Rey (1791: 9).
312
Del Rey (1791: 10).
309
492 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Im Zuge dieses Schauspiels, das ein idealtypisches Beispiel für Lucien Dällenbachs Konzept der mise en abyme313 ist, werden aus Worten
Handlungen und die beiden Liebenden schließlich zu Darstellern der
Aufführung ihrer Gefühle, was bei der um die Wahrung des Anstands
besorgten Inés wachsendes Unbehagen hervorruft und sie schließlich
zum Abbruch des Spektakels veranlasst:
Silv.
[...] esta scena [sic]
no es capaz de enternecer?
él mira á su ingrata bella
como yo os miro; se arroja
á su pies de esta manera,
la toma una mano:
Ines.
No,
no tan á lo vivo.
[...]
Basta, basta; ya no quiero.314
Zum Abbruch des von Silverio initiierten Gefühlstheaters kommt
es, als die Komödie in der Komödie mit der fiktiven Realität von La
modesta labradora zur Deckung kommt und bei Inés ein derart starkes
Schamgefühl auslöst, dass sie ihr Antlitz mit der Schürze bedeckt.315
Genau diese offensichtliche Zurschaustellung von Scham durch das
Verbergen des Gesichts ist aber lediglich eine weitere Zurschaustellung von Theatralität, eine performative Geste, mit der sich Inés der eigenen, just ins Schwanken gekommenen Tugendhaftigkeit versichern
möchte. Gerade die prononcierte Zuschaustellung von Schamhaftigkeit ermöglicht Inés eine Distanznahme von der ihr geschilderten sentimentalen Komödie, deren Hauptfigur sie zu werden im Begriff war.
313
Vgl. Dällenbach, Lucien (1977): Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme. Paris:
Seuil, p. 52: „[...] est mise en abyme tout miroir interne réfléchissant l’ensemble du récit
par réduplication simple, répétée ou spécieuse.”
314
Del Rey (1791: 10).
315
Vgl. del Rey (1791: 10). Die Anweisung im Nebentext lautet: „Cubriéndose el
rostro con el delantal.”
7. Vir faber und vir rusticus
493
Komorowska merkt zu dem von Jean-Paul Sartre in Les mots (1964)316
beschriebenen Gefühl der Scham an, das im Kontext der Episode um
das dem Kind Sartre von Madame Picard geschenkten Schulheftes
steht:
[...] le sentiment de la honte est confronté avec un geste théâtral. Cette
transformation en acteur, cette perception de soi-même comme autre, permet une distance esthétique au sens propre. La honte devient soutenable,
et même agréable quand elle est transformée en émotion esthétique.317
Erst die Ästhetisierung der Scham durch die theatrale Geste lässt
die Empfindung erträglich werden. In diesem Zusammenhang kommt
Vogls bereits zur Sprache gekommenes Konzept eines theatralen ‚Als
Ob der Repräsentation‘ erneut zum Tragen, allerdings nicht auf der
Ebene des Staatswissens, sondern auf der Ebene des theatralen Diskurses. Aus der „adäquate[n] Konfiguration von Repräsentation und
Gesetz“ in Hobbes‘ Staatstheorie, aber auch „bei französischen Philosophen, französischen Moralisten oder deutschen Naturrechtslehren“
leitet er daraus das Konzept eines ‚Als Ob der Repräsentation‘ ab, das
er als eine „heuristische Perspektivierung des notorischen ‚Naturzustands‘“ versteht: 318
Während das Staatswissen sich im Theater der Rollen und Stellvertreter
errichtet, greift das Staatswissen selbst hinter die Kulissen, es vollzieht
sich zumindest eine Geste, die im „Als Ob“ der Staatsperson das „Als Ob“
ihres Zerfalls sistiert und – indem es diese „gleichsam als aufgelöst betrachtet“ – das Schauspiel der Repräsentation um das Wahrheitsspiel seiner Fundamente ergänzt.319
Vogl spricht hier das bereits in den Kapiteln zum vir oeconomicus
zur Sprache gekommene Prinzip der Stellvertretung als Strategie der
Politischen Ökonomie an, das, wie gezeigt wurde, auch bei Trigueros
zum Tragen kommt.
316
Sartre, Jean Paul (2010 [1964]): Les mots et autres écrits autobiographiques. Paris:
Gallimard.
317
Komorowska, Agnieszka (2014): „La face cachée de la honte. Réflexions sur la
théâtralité d’une émotion“. In: Nouvelle revue d‘esthétique, 2, 14, pp. 39-46, hier p. 43.
318
Vogl (2002: 41).
319
Vogl (2002: 41).
494 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
In Analogie zum Prinzip des ‚Als Ob der Repräsentation‘, das Vogl
zufolge ein staatliches ist und sich vom Theatergeschehen gerade dadurch unterscheidet, dass es „hinter die Kulissen“ greift, indem es im
„‚Empirismus‘ politischer Theorie“320 eine ‚Natur‘ des Menschen voraussetzt, inszeniert auch del Reys sentimentale Komödie populärer
Prägung über die bescheidene Bäuerin das ländliche Idyll als Metapher für den Naturzustand. Auf dem Land regiert in der Chronologie
von del Reys Stück zunächst das Naturrecht, gemäß dem der Fleißigste unter den Erwerbstätigen – Celestino – der Schar der Landarbeiter
vorsteht. Mit dem Eintreffen des Marqués de la Floresta, Silverios Vater, kommt es jedoch zum Einbruch der Feudalordnung in die ley natural. Hatte sich Silverio zuvor in die natürliche Ordnung des Landlebens eingefügt, indem er sich als Bauer getarnt und soziale Gleichheit
fingiert hatte, muss er spätestens ab dem Moment des Zusammentreffens mit seinem Vater Farbe bekennen. Die ständische Ordnung greift,
als Celestino durch die Versöhnung mit dem Marqués, der ihn Jahre
zuvor um Hab, Gut und Titel gebracht hatte, wieder seine vormalige,
erhabene Position als Adeliger einnimmt und damit aus der Gemeinschaft von Gleichen heraustritt. Dasselbe gilt für Inés.
Die von Silverio aufgeführte sentimentale Komödie wird noch
vor der Offenbarung seiner wahren Identität als Adeliger und vor
Inés‘ Kenntnisnahme von ihrer eigenen aristokratischen Herkunft
‚gespielt‘. Jenes „Schauspiel der Repräsentation“, das Vogl zufolge
gerade das „Staatswissen“ kennzeichnet (s.o.), ist hier aber nicht im
Staatswissen, sondern in einem Theater am Werke, das auf Unterhaltung ausgerichtet ist und im Gegensatz zum neoklassischen Drama,
auf das die Monarchie und ihre Minister mittelbar Einfluss nehmen,
eben kein ‚Staatstheater‘ ist. Auch dieses ‚Volkstheater‘ steht allerdings
mit der Politischen Ökonomie im Bunde. Überträgt man Vogls Begriff
des ‚Als Ob der Repräsentation‘ auf del Reys Stück, kommt dieser vor
allem im Bereich des Sentimentalen zum Tragen. Das „Schauspiel der
Repräsentation“ wird genau in dem Moment um „das Wahrheitsspiel
seiner Fundamente“ (s.o.) ergänzt, als Inés bewusst wird, dass die vermeintliche Komödie, als die Silverio sein Liebesgeständnis tarnt, auf
die Realitätsebene übergreift. Genau in diesem Moment muss die Komödie in der Komödie enden.
320
Vogl (2002: 41).
7. Vir faber und vir rusticus
495
Wie schon bei Trigueros und Durán hält auch del Reys Stück ein
komplexes Moment der metonymischen Verkettung bereit: Was dort
vorgeblich über die im Titel verheißene modesta labradora, und damit
über die Bauernschaft gesagt wird, offenbart sich in einem zweiten
Schritt als ein profaner Liebesplot um die Thematik des matrimonio
desigual. Dieser Liebesplot jedoch erfüllt in einem dritten Schritt eine
metonymische Funktion, die den Übergang von einem Naturzustand
des desinterés zur interessengeleiteten Welt des Hofes und des Staates
markiert. Dabei wird die ley natural, in der sich die gefallenen Adeligen Celestino und Inés so komfortabel eingerichtet haben, gegen Ende
der Komödie in das feudale System des aufgeklärten Absolutismus
überführt. Nicht in der Heirat zwischen Silverio und Inés, sondern in
der Wiederherstellung der ‚rechten Ordnung‘ im Sinne der sozialen
Hierarchie besteht auch hier das eigentliche ‚gute Ende‘. Dass das ‚Als
Ob der Repräsentation‘ als Wirkprinzip der Politischen Ökonomie
dann zur Anwendung kommt, als die Sentimentalität von del Reys
sentimentaler Komödie ihren Höhepunkt erreicht, ist ganz zentral.
Vogl hält in Bezug auf das deutsche und französische Wirtschaftstheater fest, dass die
Entstehung einer stratégie domestique nicht bloß der Verengung des Schauplatzes auf die Familienszene, dem Fall der Ständeklausel und der Anpassung von Konflikten als Menschliche überhaupt [...] geschuldet [ist]. Sie
wird vielmehr von einem neuen Relationstyp hervorgebracht, der gleichzeitig mit neuen Steuerungsideen entsteht und die Einrichtung persönlicher Instanzen mit zirkulierenden Affekten, Interessen und Leidenschaften zu koordinieren versucht.321
Auch wenn die hier von Vogl skizzierte stratégie nicht ohne weiteres auf das spanische populäre Theater des 18. Jahrhunderts übertragbar ist, in Bezug auf das von einem „Fall der Ständeklausel“ nicht die
Rede sein kann, gibt es doch Überschneidungen, die an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gefühl gegeben sind. Einerseits treten in
Stücken, die sich vorgeblich ProtagonistInnen und Themen des Handwerks und der Arbeit zuwenden, wie dem menestral und dem labrador
bzw. der labradora, zwar bürgerliche Tugenden wie industria, prudentia
321
Vogl (2002: 100).
496 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
und modestia in Erscheinung;322 andererseits wird aber die Ständeordnung gerade durch die stete Wiederkehr des Topos des matrimonio desigual affirmiert. Den bürgerlichen ‚Typus‘, den die bisher analysierten
Komödien um den vir faber und den vir oeconomicus aufbieten, ist in
einem anderen Sinne ‚bürgerlich‘, als dies in deutschen, englischen
oder französischen Wirtschaftskomödien der Fall ist. Sowohl Trigueros‘ neoklassisches Stück Los menestrales als auch del Reys populäre
sentimentale Komödie La modesta labradora kreisen, ebenso wie die
den vir oeconomicus inszenierenden Beispiele, um ein moralökonomisches Wertesystem, das auf den spezifischen sozialen Bedingungen
des aufgeklärten Absolutismus beruht und den bestehenden feudalen Hierarchien in einem stärkeren Maße Rechnung trägt, als dies in
sentimentalen Komödien aus England und Frankreich der Fall ist, wo
Revolutionen entweder bereits vor längerer Zeit stattgefunden (England) oder jüngst ihre Auswirkungen gezeitigt haben (Frankreich).323
Gerade diese Revolutionen sind es, die die affirmative Haltung der
um den Handwerker kreisenden spanischen comedias económico-sentimentales neoklassischer und populärer Prägung gegenüber der feudalen Ordnung begründen. Für das hier analysierte spanische sentimentale Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts gilt, was Vogl auch für
deutsche Komödien des 18. Jahrhunderts beobachtet: Der durch die
Politische Ökonomie hervorgebrachte Relationstyp gesellschaftlicher
Beziehungen manifestiert sich in der comedia económico-sentimental
über die Inszenierung, vor allem aber über die Manipulation von Gefühlen und Affekten:
Die ökonomische Rationalität [...] neutralisiert Affekte, indem sie Affekte
aktiviert; sie korrigiert Passionen, indem sie Passionen induziert; sie diszipliniert Verführer, indem sie selbst verführt; und sie begründet damit
einen Aktionsraum, der einer der Rührung, und ein Zeitalter, das auch
eines der Empfindsamkeit ist.324
322
Vgl. del Rey (1791: 12). Dort charakterisiert Silverio Inés als ein „compendio del
honor / la virtud, y la modestia.”
323
Im Falle Englands ist dies die Glorious Revolution von 1688/89, wo der Bill of
Rights die Grundlage für ein parlamentarisches Regierungssystem bildet.
324
Vogl (2002: 100).
7. Vir faber und vir rusticus
497
Del Reys Komödie führt dies in der Szene der ‚Komödie in der Komödie‘ exemplarisch vor. Erkennt man die Figuren Silverio und Inés in
ihrer Funktion als Katalysatoren von Passionen und Affekten, erweisen zugleich auch sie sich als im Doppelsinn Verführte, nämlich von
und in der Gattung der sentimentalen Komödie. Ist Silverio durch seine Kenntnis der Gattung im geeigneten Moment versucht, sich ihr zu
bedienen und erliegt er der Versuchung ihres ökonomischen Kalküls,
dient sein Schauspiel doch der Verführung von Inés. Sie ist Opfer und
Zielpunkt seines Verführungstheaters. Die gewünschte Wirkung zeigt
das theatrale Kalkül in dem Moment, als sein Objekt – Inés – selbst zum
Mittel der Inszenierung greift und seine Scham performativ zur Schau
stellt. Zugleich fungieren die Figuren aber auch als Verführer des Publikums, wenn sie zum einen als Instrumente der affektiven Steuerung
eingesetzt werden und zum anderen über ihr ‚Schauspiel im Schauspiel‘ die natürliche Gesellschaftsordnung in die absolutistische überführen. Wenn del Reys populäre sentimentale Komödie Naturzustand
und Absolutismus miteinander verknüpft, behauptet sie gleichzeitig
die Natürlichkeit der absolutistischen Feudalordnung. Just in diesem
Moment erweist sich auch das populäre Theater als politisches Instrument der Gouvernementalität. Über die Figuren und ihr ‚Schauspiel
im Schauspiel der Gefühle‘ wird dem Publikum eine Affektökonomie
vorgeführt, deren ökonomisches Moment darin besteht, dass Affekte
im Zuge ihrer Produktion zunächst ‚extremisiert‘, dann in Scham kanalisiert, ‚zerlegt‘ und schließlich insofern für den ‚Gebrauch verfügbar gemacht werden‘, als sie in den Dienst der didaktischen Absicht
der comedia económico-sentimental gestellt werden.325
7.6.2. Habit und Habitus
Wie schon in Trigueros‘ Los menestrales, tritt Kleidung auch in del Reys
La modesta labradora als Marker sozialer Identität in Erscheinung. Ein
solcher Marker sind in der einzigen Szene, in der Inés dezidiert als Teil
325
Dieses konkrete Beispiel bestätigt Stahls (2018: 25) These, dass das „Ökonomische der Affektökonomie [...] auf einen durch produktive Leistung zu überwindenden
oder zu erreichenden Zustand“ verweist, nämlich „auf die möglicherweise extremisierende, zerlegte und vernetzte Produktion von Affekten und ein möglichst effizientes
für den Gebrauch-Verfügbar-Machen.“
498 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der arbeitenden Landbevölkerung ausgewiesen wird, ihre schmutzigen wollenen Gamaschen. Diese nimmt der Marqués, als er Inés zufällig bei einem Spaziergang begegnet, zum Anlass, sich über ihre einfache Kleidung lustig zu machen. Hier tritt mittels der Geringschätzung,
mit der ein Vertreter des Hofes gegenüber der durch Inés repräsentierten Landbevölkerung auftritt,326 die aufklärerische Adelskritik in
Verbindung mit dem reformökonomischen Lob der Arbeit zutage. Der
Marqués betitelt Inés schäkernd als „[g]raciosa muchacha“, woraufhin
sie sich anschickt, den Ort des Geschehens fluchtartig zu verlassen:
Marq.
Esto me degüella;
las mozas de los lugares
tienen graciosas ideas.
Esta se asusta de ver
un Marques de mi presencia,
y con un polainas [sic] lleno de
mugre se estará quieta.
Inés
Señor, no hablad eso conmigo;
mas quando verdad dixerais,
si fuese digno un polainas
de que yo le permitiera
mi conversación, sería
porque la misma inocencia
y sencillez de su trage
manifestara en su lengua.327
Den spanischen Begriff „polaina“ definiert das Diccionario de Autoridades (1737) wie folgt: „POLAINA. Sirven para abrigar las piernas a la
gente trabajadora y que camína. [...].”328 Auf die Figur der Inés trifft beides zu: In arbeitsamer Geschäftigkeit eilt sie durch das ländliche Idyll.
Nicht nur ihre Gamaschen, sondern vor allem der sie überziehende
326
Díez Borque (1976: 334).
Del Rey (1791: 6).
328
Vgl. den Eintrag in der Onlineversion des Diccionario de Autoridades (1726-1739).
Quelle: http://web.frl.es/DA.html, Zugriff: 30.08.2022.
327
7. Vir faber und vir rusticus
499
„mugre“329, ein von Körperausdünstungen wie Schweiß und Talg herrührender Fettschmutz – der, wie der einschlägige Eintrag im Diccionario de Autoridades von 1734 bestätigt, ein Zeichen von Armut und
körperlicher Arbeit ist –, weisen sie als Teil der „gente trabajadora“
aus. Es ist also der über die Standestracht der „polaina“ indizierte
niedrige soziale Status des Landmädchens, der den Marqués zu seiner
spöttischen Bemerkung veranlasst. Die von ihrem Vater in gehobenen
Umgangsformen unterwiesene Inés erwidert auf diese Herabwürdigung, dass Kleidung und Habitus einander entsprechen müssten, und
bringt damit zum Ausdruck, dass es dem Marqués gerade an dieser
Entsprechung mangelt. Obgleich in edles Tuch gehüllt, lässt er die zu
seiner Kleidung passenden Umgangsformen vermissen. Inés‘ ärmliche Kleidung hingegen gewinnt in diesem Zusammenhang den Status
einer Uniform der arbeitenden Bevölkerung, die hier als Analogon zu
den Trachten der Zünfte und in Entsprechung zum Habit jener Militärischen Orden angelegt ist, die die Handwerker- und Arbeiterschaft
in ihren Statuten seit Mitte des 16. Jahrhunderts kategorisch ausschließen.330 In einer Gegenbewegung zum exklusiven Charakter der Kleidung der militärischen Orden, an der sich die traditionelle Tracht der
spanischen Handwerkszünfte in einem emanzipatorischen Gestus orientiert,331 erhebt del Reys Komödie die verschmutzen Gamaschen des
329
Vgl. Diccionario de Autoridades (1734), Vol. IV: „MUGRE. s. f. La grassa o suciedad
que se pega en el vestido o otra cosa. Covarr. siente se dixo Mugre quasi Mulge, por
ser la grassa o sudor que se destila del cuerpo o otra cosa xugosa. Latín. Sordes. RIBAD.
Vid. de S. Ignac. lib. 1. cap. 5. Un día estando en el Hospital rodeado de pobres, y lleno
de suciedad y de mugre, le acometió el enemígo con estos pensamientos.”
330
Vgl. Domínguez Ortiz (1945: 675) mit Bezug auf Díaz Millán, Luis (1886): Reseña
histórica del extinguido Cabildo de Caballeros de Molina de Aragón. Guadalajara: Imprenta
y Encuadernación Provincial, p. 110: „Citemos sólo un par de ejemplos, elegidos entre
mil: en 1548 el Cabildo de Caballeros de Molina de Aragón, cofradía militar de origen
medieval, agregó a sus Constituciones: ‚Que ninguno que hubiese tenido oficio mecánico o servil pudiese ser admitido en este Cabildo.‘“
331
Domínguez Ortiz (1945: 677) merkt an, dass die strenge hierarchische Gliederung der Zünfte, ihre Insignien und nicht zuletzt ihre „vistosos uniformes“ Elemente
seien, die der Ehrbarkeit und Würde der seit Antike und Mittelalter verkannten Handwerksberufe Ausdruck zu verleihen suchten. In diesem Zusammenhang erwähnt Domínguez Ortiz auch das Bestreben einer zu Geld gelangten Handwerkerschaft, den militärischen Ordenshabit als Zeichen der „suprema distinción social“ und Vollendung
des sozialen Aufstiegs zu erlangen. Dies legt nahe, dass die Trachten und Insignien der
Zünfte die Kleiderordnung der órdenes militares imitieren, ein Umstand, der auch darin
500 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Landmädchens Inés zu einer mit Stolz getragenen Tracht der ruralen
Bevölkerung. In dieser Funktion markiert Inés‘ Kleidung zugleich ihre
„inocencia“ und „sencillez“. Es ist gerade Inés‘ ‚Uniformierung‘, die
sie nicht in erster Linie als einen dezidiert weiblichen Charakter, der
in der Landwirtschaft tätig ist, ausweist, sondern als Pars pro Toto der
ländlichen Art und Weise, sich zu kleiden. Dies ist der Grund dafür,
dass wir uns dieser Figur im Zusammenhang mit dem Typus des vir
rusticus zuwenden, statt sie im Zusammenhang mit der Gruppe wirtschaftender Frauen zu untersuchen. Dass Inés über die Eigenschaften
der „inocencia“ und „sencillez“ tatsächlich verfügt, kommt sodann in
ihrer Rede zum Ausdruck, wobei das, was hier Inés‘ Guthaben an Unschuld, unverstellter Bescheidenheit und Aufrichtigkeit ist, zugleich
die Sollstelle des Marqués‘ markiert. Seine Frage: „Di, ¿te precias de
sabia?“ und Inés‘ neuerlich schlagfertige Antwort: „Me preciaría / de
virtud si poseyera / su grado que es el perfecto / saber, pero con modestia”332 offenbaren die Thematik der sozialen Wertigkeit als Dreh- und
Angelpunkt dieser Szene. Inés verweist auf den ihr durchaus bewussten, sozial höheren Stand des Marqués, ironisiert aber zugleich seinen
Mangel an Bescheidenheit und Hang zur Aufschneiderei („el perfecto
saber“), der nicht minder auf einen Mangel an Tugend („virtud“) hindeutet. Eben diese Tugendhaftigkeit aber bildet Inés‘ soziales Kapital. Einerseits kleidet Inés ihre Sittsamkeit (vermeintlich) bescheiden
in Konditionalsätze; andererseits wird diese Sittsamkeit aber durch
die gehobene Sprache, derer sich Inés souverän bedient, umso mehr
herausgestellt. Es ist der Umstand, dass sich Inés gerade trotz ihrer
einfachen Kleidung nicht wortkarg und schüchtern, sondern überlegt
und schlagfertig gibt, der ihren wahren gesellschaftlichen Stand vorausdeutet.
begründet sein mag, dass die Handwerker und Kaufleute systematisch von diesen Orden ausgeschlossen sind. Vgl. Vicens Vives (1979: 10): „Ninguna de las Órdenes Militares, ingreso a las cuales constituía la máxima ambición de un aristócrata, le hubiese
admitido si él o su padre hubiesen sido mercaderes; incluso las profesiones mecánicas
incapacitaban para obtener cargo de regidor.“ Farr (2000: 27) verweist seinerseits darauf, dass sich die Zünfte im Spanien des 14. Jahrhunderts aus religiösen Bruderschaften entwickelten, infolgedessen als cofradías, später als gremios bezeichnet wurden, und
seit dem 13. Jahrhundert unter königlicher Schirmherrschaft standen. Auch, dass das
spanischen Zunftsystem in den religiösen Bruderschaften wurzelt, erklärt die Anlehnung der Tracht der Zünfte an das Ordenssystem.
332
Del Rey (1791: 6).
7. Vir faber und vir rusticus
501
In La reproduction. Eléments pour une théorie du système d’enseignement
(1970) skizziert Bourdieu den Habitus als einen durch Erziehung und
Ausbildung erzeugten Verhaltenskodex, der wiederum Praktiken der
kulturellen Willkür produziert. Hierbei wird der Habitus der Herrschenden für die übrige Gesellschaft zur Norm. Allein die Nachkommen der oberen Schichten, die von klein auf auf dieses System vorbereitet wurden, sind ideal daran angepasst.333 Die Fehlannahme des
Marqués besteht darin, dass er davon ausgeht, der primäre Marker
des Habitus sei die Kleidung. Entsprechend weist er sie als Mittel der
Distinktion aus, durch das er sich von der einfachen Herkunft des vermeintlichen Bauernmädchens abgrenzt. Es ist jedoch Inés‘ kluge und
gewandte Rede, die sich als das wirksamere Ausdrucksmedium des
Habitus erweist. Inés mag wie eine Bäuerin gekleidet sein, ihre Sprache aber ist die einer Gräfin, was auch die folgende Frage des Marqués
verdeutlicht:
¿Quién eres? que tu decencia
te distingue de las payas
tanto como tus ideas.334
Spätestens hier werden Sprache und „ideas“ im Sinne eines moralischen Wertesystems, in dessen Zentrum die Tugend der modestia steht,
als Indizien eines adeligen Habitus ersichtlich, der ganz im Geiste der
Reformökonomie steht. Zugleich offenbart sich die Referenz der Komödie auf einen aufklärerischen Moraldiskurs, in dem säkulare Tugenden mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Dies bestätigt die
eingangs formulierte These, dass sich populäre Komödien im späten
18. Jahrhundert einzelne Elemente des aufklärerischen Diskurses aneignen und in einen auf Unterhaltung ausgerichteten theatralen Diskurs einbinden. Dazu ist anzumerken, dass die wiederkehrende Plotstruktur des ‚märchenhaften’ sozialen (Wieder-)Aufstiegs eines dem
einfachen Volk zugehörigen Individuums – hier der Bäuerin – in den
Adel gewiss auch ein unterhaltsames Element ist.
333
Vgl. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1971): La reproduction. Eléments
pour une théorie du système d’enseignement. Paris: Minuit sowie idem (1980): Le sens pratique. Paris: Minuit, pp. 87ff.
334
Del Rey (1791: 6).
502 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Der Habitus ist bei Bourdieu aber nicht nur sozial, sondern auch
geschlechtlich kodiert.335 In der Herabwürdigung von Inés‘ Äußerem
durch den Marqués manifestiert sich seitens des männlichen Gegenübers nicht nur der Versuch, eine durch den Adelsstand begründete soziale Dominanz auszuüben. Die in der Jugend und Attraktivität
des vermeintlichen Landmädchens begründete Ansprache der jungen
Frau durch den älteren Mann, der damit zugleich als viejo verde in Erscheinung tritt, ist zugleich der Versuch, ein männliches Herrschaftsverhältnis336 durch ein soziales zu untermauern und zu festigen. Zur
männlichen Herrschaft als einer von beiden Geschlechtern unbewusst
internalisierten und damit akzeptierten Form symbolischer Gewalt
bemerkt Heße:
Das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern – welches seine
Legitimation aus der Biologie bezieht, sich jedoch als in den Körper eingeschriebene, biologisierte gesellschaftliche Konstruktion erweist – gründet sich auf symbolische Gewalt, die den Beherrschten zur Anerkennung
und Mitwirkung an seiner eigenen Unterdrückung zwingt. Diese Gewalt
wird von den Beteiligten als solche jedoch nicht erkannt: Die Zustimmung
zur Unterwerfung geschieht jenseits einer bewussten oder willentlichen
Entscheidung, sie basiert vielmehr auf jenem einverleibten, vorreflexiven
Wissen, das durch die geschlechtsspezifische Prägung des Habitus vermittelt wird.337
In der zitierten Szene ist es allerdings die durch Inés‘ gewandte
Redeweise vorausgedeutete soziale Ebenbürtigkeit zwischen ihr und
dem Marqués, die, gepaart mit der Tugendhaftigkeit der weiblichen
Figur, die Ausübung sexualisierter Dominanz ebenso scheitern lässt
wie den Versuch, Dominanz durch die Überlegenheit des Standes auszuüben.338 Dies geschieht im Kontext der Ehrbarkeit des arbeitenden
335
Vgl. Bourdieu, Pierre (1990): „La domination masculine“. In: Actes de la recherche
en sciences sociales, 84, pp. 2-31. Zur geschlechtlichen Kodierung des Habitus bei Bourdieu vgl. auch Heße (2008: 70ff.).
336
Vgl. Heße (2008: 72).
337
Heße (2008: 72f.).
338
Damit steht im Grunde die männliche Autorität des Marqués in Frage. Heße
(2008: 72f.) rekurriert mit Bezug auf Bourdieu (1997: 88) auf dessen Konzept von Männlichkeit als einer symbolischen Form des Adels, das mit Befugnissen und Privilegien
auch Pflichten mit sich bringt. In der Figur des Marqués vereinen sich symbolischer
und tatsächlicher Adel. Beide, das männliche sexuelle Begehren und der soziale
7. Vir faber und vir rusticus
503
Menschen, die schon in Los menestrales im Kontext des vir faber zur
Sprache gekommen war und in del Reys Stück nun in ein ländliches
Setting versetzt wird, wenn der (im Geheimen adeligen) Inés dort die
bürgerliche Tugend der modestia zugewiesen wird. Kurz bevor sie die
Bühne verlässt, versetzt Inés gegenüber dem Marqués:
Inés.
[...]
si hallará una paya de estas,
á quien con poca razón
los Cortesanos desprecian,
que por guardar su decoro
qualquiera atención os pierda. Vase.339
Die höfische Missachtung der attraktiven ‚Hinterwäldlerin‘
(„paya“, s.o.), die der Marqués – wie Inés ironisch bemerkt – in ihr
sieht, bezeichnet sie nicht nur als irrational; vielmehr behält sie sich
vor, ihre Ehre zu wahren, indem sie sich dem prätentiös-begehrlichen
Aristokraten entzieht und die Szene verlässt. Behauptet Inés damit
zum einen ebenso ihre Würde als Bäuerin wie die von ihr als unverheirateter junger Frau geforderte voreheliche Keuschheit, so handelt
es sich bei ihrem Abtritt von der Bühne zum anderen um ein Gebaren, mit dem sie unwissentlich den ihr zu diesem Zeitpunkt noch verborgenen Adelsstand affirmiert. Die Ehrbarkeit der vermeintlichen
labradora, die es ihr erlaubt, den Marqués unbeachtet stehen zu lassen
und ihres Weges zu ziehen, ist im Grunde Teil eines anerzogenen aristokratischen Habitus. Dass die Ehrbarkeit selbst der wohlhabenden
Bauernschaft auch in del Reys Stück rhetorisch bleibt, verdeutlicht Celestinos Klage darüber, dass sein widriges Los als arbeitender Mensch
ein elendes Dasein jenseits der Ordnung begründe: „[...] sepultado mi
nombre / en el caos de la baxeza.“340
Standesanspruch, werden durch die von Inés zur Schau gestellte soziale Ebenbürtigkeit in ihre Schranken verwiesen.
339
Del Rey (1791: 7).
340
Del Rey (1791: 13).
504 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.7. Luciano Comellas El buen labrador (1791)341: Aus Schwertern
werden Pflugscharen
Ebenso wie del Rey nimmt sich auch Comella in El buen labrador (1791)
des Landlebens und der Figur des Bauern an, rückt aber den Aspekt
der physischen Arbeit und insbesondere die Tätigkeit des Pflügens
stärker in den Vordergrund. Auf Gattungsebene stuft Angulo Egea
diese und weitere auf dem Land angesiedelte Komödien Comellas,
wie beispielsweise El pueblo feliz (1789), Los falsos hombres de bien (1790),
El dichoso arrepentimiento (1790) und La buena nuera (1794), als comedias sentimentales rurales ein. 342 In diesem Zusammenhang weist sie
darauf hin, dass insbesondere Comellas frühe Werke dieser Art eine
Aktualisierung der „comedias rurales barrocas“ Lopes und Calderóns
seien, worauf auch die Szenographie Hinweise gebe.343 Auch wenn
der Topos von Landleben und Bauernschaft bei del Rey ebenso wie
bei Comella mit dem Liebesplot des matrimonio desigual verbunden ist,
hat bei Comella die ökonomische Komponente des Bauerndaseins ein
größeres Gewicht als dies bei del Rey der Fall ist. Im selben Maße, wie
sich El hombre agradecido den konkreten ökonomischen Herausforderungen und dem geschäftlichen Kosmos der Kaufleute widmet und
dabei ökonomische Basiskonzepte wie Aktiv- und Passivhandel in
den theatralen Diskurs einflicht, verschreibt sich El buen labrador den
ökonomischen Besorgnissen der spanischen Agrarwirtschaft, die hier
durch Figuren wie Bauern, Bäuerinnen und PächterInnen personifiziert werden. Auch in diesem Stück schlägt sich der Theoriehorizont
des aufklärerischen ökonomischen Reformdiskurses in der Figurenrede nieder, etwa dann, wenn Comella auf Topoi der physiokratischen
Lehre zurückgreift.
El buen labrador schlägt jedoch nicht nur Brücken zur politischen
Ökonomie. Auch und vor allem geht es um die konkreten Besorgnisse
341
Fernández Cabezón (2002: 116) datiert die Uraufführung dieses Stückes vor
dem Hintergrund einer Rezension im Memorial Literario auf 1795. Die mir vorliegende
Druckversion sieht hingegen eine Aufführung für den Sommer des Jahres 1791 durch
die Compañía de Manuel Martínez vor. Ob das Stück tatsächlich bereits 1791 uraufgeführt wurde, bleibt zu klären. Fernández Cabezón weist darauf hin, dass die Rezension
des Memorial Literario mit der Januar-Ausgabe von 1796 mit einer für den Memorial untypischen Verzögerung erscheint.
342
Vgl. Angulo Egea (2006: 77).
343
Vgl. Angulo Egea (2006: 77).
7. Vir faber und vir rusticus
505
der Landbevölkerung. Dazu gehört die Auseinandersetzung der Dorfbewohner mit einer auf den eigenen Profit ebenso wie auf ihre Standesrechte bedachten hidalguía. Diese wird durch Gil de Monteligro344
als lächerliche Figur und Vertreter eines niederen und daher umso
mehr auf seine Privilegien pochenden Landadels repräsentiert. Die Figur steht stellvertretend für die Teile des Provinzadels, die ihr Leben
in einem „parasitären Müßiggang“ verbringen und der sich „gegen
Ende des Jahrhunderts“ gerade aus den Reihen der „liberaler geprägten Reformbefürworter“ harscher Kritik ausgesetzt sehen.345 In Analogie zu seiner Komödie um den ehrbaren Kaufmann Bruno inszeniert
Comella in diesem Stück den ehrbaren Bauern Benito de Castro, der
gegen alle Widerstände Gils dessen Tochter Torquata zu ehelichen beabsichtigt. In seiner Komödie um den ebenso wohlhabenden wie ehrbaren Bauern – auch hier werden ökonomischer Erfolg und Tugend
aneinander gekoppelt – stellt Comella deutliche Bezugspunkte zu den
Themen her, um die auch der (agrar-)ökonomische Reformdiskurs der
spanischen Aufklärung kreist: zur Frage nach der Funktionalität des
königlichen Verwaltungsapparates in den fernab des Hofes gelegenen
Provinzen; zur Sorge um das Gemeinwohl, das durch das Selbstinteresse und Profitdenken sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernder Einzelner gefährdet ist; zum Umgang mit der Ernte in Zeiten der
Krise und der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt ihrer Veräußerung;
zum Wucher sowie, nicht zuletzt, zur Rolle des Monarchen und seiner
Stellverteterfiguren als Protektoren und Wohltäter. All diesen Aspekten widmet sich Comellas Stück und schlägt dabei wiederholt Brücken
zu aufklärerischen Schlüsselbegriffen wie utilidad und bien común.
Auf der Seite des Guten, d.h. des Staates, der Krone, des aufgeklärten Reformdiskurses, steht der titelgebende buen labrador Benito,
ein wohlhabender und, wie sich auch hier gemäß der für das populäre Theater typischen Adelskonvention herausstellen wird, blaublütiger Landbesitzer, der allerdings nicht auf seinen rechtmäßigen Titel
pocht, sondern diesen im Gegenteil verschweigt. Außer an der Beackerung der von ihm käuflich erworbenen Ländereien ist ihm daran
344
Dieser wird im Nebentext als „hidalgo ridículo“ tituliert. Comella, Luciano
Francisco (1791): El buen labrador. Que se ha de representar por la Compañía de Manuel
Martínez en el verano de este año de 1791. Ohne Orts- und Verlagsangabe. Quelle: https://
archive.org/details/A25012319, Zugriff: 12.08.2022, p. 1.
345
Pietschmann (2005: 230).
506 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
gelegen, die finanzielle und materielle Not der armen PächterInnen,
ViehhirtInnen und LandarbeiterInnen zu mildern, die durch die Koalition der Antagonisten um Gil verursacht wurde. Zu ihr gehören
neben dem von Standesdünkeln beherrschten Hidalgo der korrupte
Gutsverwalter Don Diego und der schmarotzerische Student Don Silverio. Sie bringen die darbende Bevölkerung zu Zwecken der Selbstbereicherung um Ernteerträge, Saatgut und andere Naturalien. Unter
dem Vorwand, dass Benito nicht von Stande sei, stellt sich der Hidalgo
der Eheschließung zwischen dem ehrbaren Bauern und seiner Tochter Torquata in den Weg. Der wahre Grund allerdings ist, wie wir im
Laufe des Stückes erfahren, dass Benito Gils von Selbstinteresse getriebene Machenschaften untergräbt, indem er der Landbevölkerung
dort aushilft, wo Not herrscht und somit die von Gil forcierten materiellen Abhängigkeiten hintertreibt. Wenn schließlich die Figur des
Conde in der doppelten Funktion als Ordnungsstifter und Stellvertreterfigur des Monarchen einschreitet, um das aus den Fugen geratene
Dorfleben wieder ins reformökonomische Lot zu bringen, werden die
Bösewichte um Gil bestraft und Benito mit der durch den Conde beschiedenen Eheschließung mit Torquata belohnt. Damit weist Comellas Stück einerseits die typische Plotstruktur neoklassischer Komödien
der Spätaufklärung auf; andererseits finden sich populäre Elemente
wie die Nichteinhaltung der Einheit des Ortes und die Adelskonvention. Die eingangs bereits angedeutete Umkehr der sozialen Stände
der Liebenden Benito und Torquata erfolgt auch hier am Ende der
Komödie, als sich Gils Adelstitel als gefälscht herausstellt und Benito
mit Hilfe eines Adelsbriefs (span.: ejecutoria), nachweisen kann, dass er
tatsächlich von Stande ist.
7.7.1. Die physiokratische Lehre und der Kaiser von China
Die Moral von El buen labrador, die den arbeitsamen, großzügigen
und königstreuen Bauern Benito am Ende mit der ersehnten Herzensdame belohnt, entspricht ganz und gar dem reformökonomischen
Programm des Ministers Campomanes, das Llombart Rosa wie folgt
zusammenfasst:
El programa podría resumirse en la liberalización económica interior, proteccionismo respecto al interior y papel clave del fomento de la agricultura
7. Vir faber und vir rusticus
507
basado en el labrador independiente. La liberalización interior debía alcanzar a los precios – incluido el tipo de interés –, al cultivo, al comercio interior y al colonial, al establecimiento industrial, a las ordenanzas gremiales, a la Mesta y al amplio capítulo de estancos, privilegios y restricciones
existente. Esa liberalización económica gradual, acompañada de medidas
de fomento de la agricultura, de la industria popular y de la ocupación,
produciría un incremento de la producción.346
Ackerbau, Industrie und Handel sind Campomanes zufolge komplementäre Wirtschaftszweige,347 die ineinandergreifen und die es simultan zu fördern gilt, um das primäre reformökonomische Ziel zu
erreichen, die inländische Produktion zu erhöhen. Wie Llombart Rosa
betont, stellen die Privilegien des Adels dabei eines von vielen Hindernissen dar. Auch Benito skizziert die bei seinem Eintreffen vorgefundene Situation als die einer Landbevölkerung, die die Arbeit deshalb
mied und sich dem Müßiggang hingab, weil der geizige Hidalgo Don
Gil und seine Helfershelfer ihr das wenige Erwirtschaftete sogleich
wieder nahmen, um sich selbst zu bereichern:
Pero pintaros, señor [Conde],
el desamor al trabajo,
la ociosidad, la miseria
que en este lugar infausto
encontré:– Para decirlo
de una vez, aquí el descanso
era virtud; la fatiga
vicio. Habiendo preguntado
la causa de aquel trastorno
por el Cura, y otros varios
supe, que los infelices
rehusaban el trabajo
porque á costa de sus ansias
se saciaban los avaros.
Vos, sois uno de ellos, vos!348
346
Llombart Rosa (2000: 24).
Vgl. Llombart Rosa (2000: 21).
348
Comella (1791: 34).
347
508 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Wenn Gil und seine Spießgesellen auf die Frage des zum Richter
berufenen Conde: „A la labor sois los tres aficionados?“ einräumen:
„Señor, como somos ricos:–“ und „Como hemos nacido hidalgos:–“,
ist es ihr Fehlschluss, dass Adel und Arbeit nicht miteinander vereinbar seien, der den Conde bewegt, zu Benitos Gunsten zu entscheiden.
Wenn er Benito sodann veranlasst, ein Feld zu pflügen und dies, wie
der Conde sachkundig bemerkt, zur größten Zufriedenheit des aufgeklärten Staatsdieners und Fachmannes in Sachen Landwirtschaft gelingt („Esta tierra / parece buena. El surco ancho /y profundo, contribuye / al buen éxito del grano. / Buen barbecho!“349), scheut der Conde
sich nicht, letztlich selbst zur Pflugschar zu greifen, um den Uneinsichtigen durch diese Demonstration ihren Adelsdünkel auszutreiben:
„[...] y no tengo inconveniente / en manejar el arado. / A ver que tal yo
me ingenio.“350
Damit nicht genug: Der Conde geht so weit, nicht nur die Vereinbarkeit von Landwirtschaft und Adel, sondern gar die Vereinbarkeit
von Königtum und Ackerbau ins Spiel zu bringen, obwohl es sich
dabei um eine schweißtreibende körperliche Arbeit handelt, die hier
durch das Pflügen metonymisiert wird. In diesem Kontext zählt der
Conde eine ganze Reihe von Monarchen auf, die sich höchstpersönlich
landwirtschaftlich betätigt haben, indem sie entweder, wie der Kaiser von China, ihren Untertanen mit gutem Beispiel vorangingen und
selbst pflügten, oder, wie der Habsburgerkaiser Joseph II., Anhänger
und vor allem Anwender physiokratischen Gedankenguts waren:
Quien dijo que la nobleza se opone al arado?
Este exercicio no ha habido
infinitos Soberanos
que le han exercido? Exemplos
no tenemos reiterados
de esta verdad? En la China
no sale una vez al año
su Emperador, y estimula
al vasallo el mismo arando?
no hay que ir tan lejos. Josef
Segundo, también no ha honrado
en nuestro tiempo este arte?
349
350
Comella (1791: 34).
Comella (1791: 34).
7. Vir faber und vir rusticus
509
En España, no admiramos
dos Príncipes generosos
que por sí mismos plantaron
árboles? [...]351
Mit der Erwähnung der bäumepflanzenden Prinzen am Ende der
Aufzählung erfolgt eine deutliche Anspielung auf die spanische Reformpolitik unter Carlos III. Bereits am 31. Januar und 12. Dezember
1748 hatten zwei königliche Erlasse verfügt, dass zum Schutz vor der
zunehmenden Bodenerosion sowie zur Eindämmung der um sich
greifenden Abholzung der Wälder352 Bäume an Berghängen zu pflanzen seien und Schonungen vor dem Kahlfraß durch Ziegenherden
geschützt werden müssten.353 Die Idee, Bäume zu pflanzen, um die
Fruchtbarkeit der spanischen Böden zu fördern und der Trockenheit
beizukommen, verficht auch der valencianische Mönch Antonio Ponz
(1725-1792) im neunten Band seiner im Auftrag von Campomanes unternommenen Spanienreise, die ab 1772 in seinem siebzehnbändigen
Opus Viage de España dokumentiert.354 Ponz betrachtet die Einrichtung
von Schonungen als ein Allheilmittel zur Förderung der Konkurrenzfähigkeit Spaniens im Manufakturwesen sowie im Innen- und Außenhandel.355 Auch Jovellanos geht 1781 in seinem Discurso económico sobre
los medios de promover la felicidad de Asturias356 sowie im Informe de Ley
351
Comella (1791: 35f.).
Die Abholzung der Wälder wird etwa im Baskenland ab 1750 durch den steigenden Bedarf an Holzkohle zur Metallverarbeitung beschleunigt. Vgl. Herr (1988: 115).
353
Vgl. Brieva, Matías (1828): Colección de Leyes, Reales decretos y órdenes, acuerdos
y circulares pertenecientes al ramo de la Mesta (1729-1827). Madrid: Repullés. p. 42. Vgl.
auch Crespo Delgado, Daniel (2012): Un viaje para la ilustración: el Viaje de España (17721794) de Antonio Ponz. Sevilla u.a.: Fundación de Municipios Pablo de Olavide, pp. 157f.
354
Vgl. Ponz, Antonio (1772-1794): Viage de España, o Cartas en que se da noticia de
las cosas más apreciables y dignas de saberse. Madrid: Ibarra. Ponz‘ Reisebericht reiht sich
in eine Serie von Repliken auf die spanienkritischen Polemiken französischer Aufklärer ein. Vgl. Frank, Ana Isabel (1997): El Viage de España de Antonio Ponz. Frankfurt/
Main u.a.: Lang, pp. 61ff. Zu den spanischen Reaktionen auf französische Polemiken
vgl. auch von Tschilschke (2009: 78ff.). Zur Bedeutung der Bäume für Ponz vgl. neben
Crespo Delgado (2012: 157ff.) auch Carrera Pujal, Jaime (1945): Historia de la Economía
Española. Barcelona: Bosch, pp. 601ff. Zu den (reform-)ökonomischen Überlegungen
Ponz’ vgl. Frank (1997: 90ff.).
355
Vgl. Crespo Delgado (2012: 159).
356
Vgl. Jovellanos (2008a: 282f.).
352
510 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Agraria von 1795 auf die Notwendigkeit der Baumpflanzung ein, um
der Austrocknung und Erosion der spanischen Böden vorzubeugen:
Es verdad que los árboles pueden venir en todas partes, que pueden lograrse de riego y de secano, que se pueden acomodar á los climas mas áridos y ardientes, y en fin que la naturaleza, siempre propensa á esta produccion, se presta fácilmente al arte do quiera que la solicita; pero, ¿qué
propietario, qué colono se atreverá á plantar las lindes de sus tierras si
teme que el diente de los ganados destruya en un dia el trabajo de muchos
años? Cuando sepa todo el mundo que podrá defender sus árboles como
sus mieses, todo el mundo plantará por lo menos donde los árboles ofrezcan una notoria utilidad.357
Wenn Comella also das Bild vom Monarchen als beflissenem Landwirt bemüht und der Conde in diesem Zusammenhang als „agricultor honrado“358 bezeichnet wird, erweist sich dieser als Stellvertreterfigur einer Monarchie, der am nationalen Ackerbau gelegen ist, die
sich selbst landwirtschaftlich betätigt und sachkundige Regierungsvertreter in die Provinzen entsendet, um den ländlichen Frieden wiederherzustellen. Es ist jedoch nicht allein der Conde, der als Stellvertreterfigur und Erfüllungsgehilfe des Pastoratsprinzips agiert, auch
der patriotische und königstreue Bauer Benito, der wiederholt auf den
König als „nuestro Augusto Monarca“359, auf das Staatswohl360 sowie
auf „lo que Dios y el Rey ordenan“ verweist,361 nimmt diese Rolle ein.
Es wurde bereits gezeigt, wie Duráns Komödie La industriosa madrileña
über die Figuren Prudencio, Esteban und Blas eine dreiteilig gestufte
Reihe von Stellvertretungen inszeniert, die von unten (vom Lehrling
Blas) nach oben (zum Minister Prudencio) reicht. Ähnlich verfährt Comella in El buen labrador: Auch hier wird eine über drei Ebenen verlaufende Stufung inszeniert, die gesellschaftshierarchisch von unten
nach oben aufsteigt: Am unteren Ende steht der einfache, wenn auch
mit dem Titel eines Hidalgo ausgestattete Bauer Benito, der versiert
mit dem Pflug umzugehen weiß; eine Stufe höher folgt der vom König
zum Richter berufene Conde, der Benitos Werk zunächst fachkundig
357
Vgl. Jovellanos (1998: 269). Vgl. hierzu auch Crespo Delgado (2012: 158).
Comella (1791: 34).
359
Comella (1791: 6).
360
Comella (1791: 7): „[...] para el bien común / tiene prescripto el gobierno [...].”
361
Vgl. Comella (1791: 18).
358
7. Vir faber und vir rusticus
511
begutachtet und dann selbst zur Tat schreitet; die letzte und höchste
Stufe bildet die vom Conde aufgerufene Reihe von Monarchen, die
sich um die Landwirtschaft verdient gemacht haben. Wie schon in
Duráns Stück ist auch hier die Monarchie als letzte und höchste Stufe
nicht figural präsent, sondern wird in absentia aufgerufen.
War hier bereits von Joseph II. als einem Anhänger der physiokratischen Lehre die Rede, vertiefen die von Comella entworfenen Szenen
eines durch Benito und den Conde repräsentierten pflügenden Adels
die Bezüge des Stückes zu dieser Doktrin. Am deutlichsten wird dies
anhand des vom Conde angeführten Beispiels des Kaisers von China.
Quesnay, Hauptbegründer der physiokratischen Lehre in Frankreich,
nimmt in Despotisme de la Chine (1767)362 Bezug auf die Vorbildfunktion der chinesischen Kaiser als Oberhäupter eines Agrarstaates mit
einer jahrhundertealten Tradition.363 Sein Wissen über das alte China bezieht er aus Jacques-Philibert Rousselot de Surgys (1737-1791)
Mélanges intéressants et curieux364, dessen Darstellungen Quesnay allerdings zugunsten der eigenen Lehre abwandelt, etwa, wenn es um den
gesellschaftlichen Rang der Bauern im chinesischen Staat geht, denen
der französische Physiokrat eine privilegierte Stellung, nämlich den
ersten Rang unter den Nicht-Gelehrten zuweist, während de Surgy
die Bauern neben Händlern und Handwerkern lediglich als ersten Teil
des einfachen Volkes aufzählt.365 Wie Pinot darlegt, führen bereits die
katholischen Missionare des frühen 18. Jahrhunderts den Wohlstand
und den sich daraus ableitenden Bevölkerungsreichtum Chinas auf
die agrarische Tradition sowie auf die diesbezügliche Vorbildfunktion des Kaisers zurück. In diesem Zusammenhang erwähnt Pinot
362
Quesnay, François (1888 [1767]): „Despotisme de la Chine“. In: idem. Œuvres
économiques et philosophiques de F. Quesnay, fondateur du système physiocratique. Paris:
Peelman, pp. 563-660.
363
Zu China als Topos in den Schriften der Physiokraten vgl. auch Pinot, der von
Quesnay als „chef de l’école physiocratique“ spricht. Pinot, Virgile (1906): „Les physiocrates et la Chine au xviiie siècle“. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine, 8, 3, pp.
200-214, hier p. 201.
364
Surgy, Rousselot de (1763-1765): Mélanges intéressants et curieux ou Abrégé d’histoire naturelle, morale, civile et politique de l’Asie, de l’Afrique et de l’Amérique et des terres
polaires. X vols., hier vol. IV & V, vgl. daraus insbesondere vol. V: „Considération des
Chinois pour l‘agriculture“, pp. 295ff.
365
Vgl. hierzu Pinot (1906: 205). Zur euphemistischen Sicht der Physiokraten auf
China und zu der daraus sich ergebenden zeitgenössischen Kritik an der physiokratischen Sichtweise, etwa bei Mably, vgl. Pinot (1906: 210f.) sowie Shi (2007: 103f.).
512 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die schon von de Surgy366 kolportierte und von Quesnay in Despotisme de la Chine übernommene Anekdote vom pflügenden chinesischen
Kaiser, auf die auch Comella in der oben zitierten Replik des Conde rekurriert: „La cause en était dans le gouvernement qui favorisait
l’agriculture, qui labourait en personne à certaines époques de l’année
pour affirmer que l’agriculture, bien loin d’être déshonorante, était la
profession la plus noble qui fût au monde.“367 Eben in der zentralen
Rolle, die die Landwirtschaft traditionell im chinesischen Staat einnimmt, besteht die Attraktivität Chinas für die physiokratische Lehre,
sieht Quesnay dieses Land doch als Bestätigung für seine Thesen.368
Ihr Echo im spanischen reformökonomischen Diskurs findet die China-Begeisterung der französischen Physiokraten in Enrique Ramos‘
Discurso sobre economía política (1769), das er unter dem Pseudonym
Antonio Muñoz veröffentlicht und wo bereits im „Prefacio“ von ‚jenem Grad der Perfektion‘ (meine Übersetzung)369 die Rede ist, den die
Chinesen auf den Gebieten des Ackerbaus, der „artes útiles“370, der Infrastrukturen und der Lokaladministration erreicht hätten. Wenn Comella hier seinerseits in intertextueller Manier auf Quesnay verweist,
schlägt er damit zugleich eine explizite Brücke zum physiokratischen
Theoriehorizont. Dieser diskursive Brückenschlag zieht sich wie ein
roter Faden durch den Dramentext, in dem sich Comella wiederholt
366
Vgl. Surgy (1763ff.: 295): „Le successeur de [l’empereur] Cang-hi a surtout fait
les règlements les plus favorables pour exciter l’émulation des laboureurs. Outre qu’il
a donné lui-même l’exemple du travail, en labourant la terre & en y semant cinq sortes
de grains; savoir, du froment, du riz, du mil, appelé cao-leang ; il a encore ordonné aux
gouverneurs de toutes les villes, de l’informer, chaque année, de celui qui se sera le
plus distingué, chacun dans son gouvernement, par son application à la culture des
terres, par une réputation intègre, & par une économie sage & bien entendue.“
367
Pinot (1906: 204).
368
Vgl. Pinot (1906: 211): „[...] il rencontre par hasard une nation où se trouvait
réalisé le principe dominant de son système: le principe de l’agriculture, objet de toute
attention du gouvernement parce qu’elle est la source de toutes les richesses. Et ce
gouvernement existait depuis toute antiquité!“ China dient den Physiokraten als das
erste Beispiel unter vielen, aus dem sie allgemeine Gesetze zur Entstehung von Gesellschaften abzuleiten suchen. Darauf folgen die Assyrer, alten Ägypter, Perser u.a.
369
Ramos (1769: XVIII). Nur gering fallen hingegen die chinesischen Errungenschaften in den „artes abstractos“, etwa der Hydraulik, aus. Ramos (1769: IX).
370
Bezeichnenderweise spricht auch Ramos (1769: XVIII) hier nicht mehr von den
negativ konnotierten artes mecánicas, sondern von den ‚nützlichen Künsten‘ (meine
Übersetzung).
7. Vir faber und vir rusticus
513
der konkreten Sorgen der Landbevölkerung annimmt, die sich aus
Schulden, überteuerten Krediten, fehlendem Saatgut, Ernteausfällen,
Krankheit und einer die Armen schröpfenden Herrschaft herleiten.
Auch wenn Carlos IV. in der vom Conde aufgerufenen Reihung um
den Ackerbau besorgter Monarchen nicht explizit aufgeführt wird,
wird doch vorausgesetzt, dass wie die Kaiser von China und Österreich auch der aktuelle spanische Regent zur erlesenen Schar königlicher Förderer der Landwirtschaft zählt. Dies legt eine kurz zuvor
fallende Replik Benitos nahe. Während Gil der Auffassung ist, Benito
könne unmöglich von Adel sein, da er sich persönlich im Ackerbau
betätige und körperliche Arbeit nicht mit der Aristokratie vereinbar
sei – eine Aussage, die auch der Gewürzweinhändler Pitanzos aus Los
menestrales trifft –, hält Benito Gil entgegen:
Con mucho honor [voy a arar los campos], y aunque al Rey
debiese el mayor encargo,
sabed que no desdeñara
el manejo del arado.371
Der Monarch ist demnach jemand, der eine körperliche Betätigung
am Pflug durchaus zu schätzen weiß. Im weiteren Verlauf des Gesprächs fällt dann auch explizit der Name „Carlos“, als dessen „Vasallo honrado / y fiel [...]“ Benito sich ausweist.372
In seiner Plotstruktur und mit seinen fleißigen, vor ländlicher
Kulisse fröhlich singenden Landbewohnern, deren arbeitsames und
bescheidenes Dasein durch das Patronat eines aufgeklärten und reformorientierten hombre de bien gegen das Profitstreben und die Korruption der lokalen Autoritäten verteidigt wird, weist El buen labrador
deutliche Anleihen an die zwei Jahre zuvor aufgeführte, ebenfalls von
Comella verfasste Komödie El pueblo feliz (1789) auf. Dort sieht sich
der redliche corregidor Benigno als lokaler Richter und Verwaltungsbeamter den Machenschaften des Hidalgo Alonso und des ebenso illoyalen wie korrupten Gerichtsschreibers gegenüber. Auch hier wird
mit dem Protagonisten, der den sprechenden Namen Benigno trägt,
ein Regierungsbeamter auf der Bühne inszeniert, der sich für die Feldarbeit nicht zu schade ist und Seite an Seite mit den Bauern Garben
371
372
Comella (1791: 33).
Comella (1791: 33).
514 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
aufschichtet, während die moralisch Korrumpierten durch ihre Untätigkeit unangenehm auffallen.373 Auch hier werden Brücken zur
physiokratischen Lehre geschlagen, wenn der zur Arbeit nicht zu bewegende Schreiber belehrt wird, gerade die Vertreter der Regierung
müssten, so wie Benigno, mit gutem Beispiel vorangehen, ganz nach
dem Vorbild jener „Príncipes que no desdeñan / en los ocios del reynar
/ de las artes las faenas“.374 Hier ist von Prinzen die Rede, die nicht nur
die artes liberales, sondern auch die Kunst des Ackerbaus zu schätzen
wissen. In El buen labrador wird nun das Motiv von einer die Feldarbeit
ehrenden Monarchie dergestalt zugespitzt, dass dort sogar Thronfolger erwähnt werden, die selbst zu Spaten und Saatgut greifen.
Auch El pueblo feliz enthält ein prononciertes Lob körperlicher und
handwerklicher Arbeit, als ein im Namen der Krone ausgeschriebener
und unter der Aufsicht Benignos stattfindender Handarbeitswettbewerb die Schöpferinnen der besten Textilarbeiten des Dorfes am Ende
des Stücks mit einer Medaille (als symbolischem) und einer Geldprämie (als monetärem) Wert entlohnt. Damit konzipiert Comella im selben Jahr wie Durán ein Stück, das über das Pastoratsprinzip ein System der Prämierung exzellenter Textilarbeit auf der Bühne vorführt
und mit der Auszeichnung des guten Beispiels der moralkonformen
Tüchtigen einen Seitenhieb gegen die Untätigen platziert, die in Analogie zu El buen labrador auch hier durch einen Vertreter der hidalguía
und seinen Helfershelfer repräsentiert werden.375 Ist es bei Durán die
Fabrik Estebans und die Ortschaft Olot, mittels derer eine Utopie gelungenen Wirtschaftens im Kleinen entworfen wird, dient in Comellas
373
Vgl. den Nebentext zu Beginn des dritten Aktes in Comella, Luciano (1789): El
pueblo feliz. Comedia en quatro actos representada por la Compañía de Manuel Martínez el día 9
de septiembre de 1789. Madrid: ohne Verlagsangabe. Quelle: http://dl.ub.uni-freiburg.de/
diglit/comella1789a/0001/thumbs?sid=560c4126331 340770ac91af9e6162da7#current_
page, Zugriff: 12.09.2022, p. 19: „El teatro representa un campo en disposicion [sic] de
estarle acabando de segar: aparacerán segando los Mozos; las Mozas y los Ancianos
atando aces, D. Benigno acinandolos, y el Escribano sentado encima de algunos de
ellos.“
374
Comella (1789: 19).
375
Dies verdeutlicht eine Replik Benignos am Tag der Prämierung, vgl. Comella
(1789: 35): „Hoy, amado pueblo mío / en quien todo mi cuidado / he puesto para lograr,
/ con vuestro propio trabajo, / introduciros la dicha, / la pereza desterraos, / es aquel
día en que el premio / va á recibir de mi mano, / para estímulo de todos, / el virtuoso
aplicado. / El honor y la virtud, / donde se estimula es claro / que las artes alimenta. [...]
/ ¿Qué gloria para este Pueblo / no será tener el lauro / de laborioso?“
7. Vir faber und vir rusticus
515
El pueblo feliz die Dorfgemeinschaft dazu, als wirtschaftlicher Mikrokosmos die spanische Nation zu repräsentieren. Nicht umsonst verweist der Nebentext zu Beginn des Stückes darauf, die Kulisse bilde eine „población de setecientos vecinos“, wie sie in unmittelbarer
Nachbarschaft der größeren Städte zu finden sei („inmediata á una de
las principales Capitales de la Península“).376
7.7.2. Das Gleichnis vom Sämann
Wenn Durán in seiner comedia económico-sentimental für den Bereich
der Industrie den Monarchen als ‚guten Hirten‘ seines Volkes in den
Mittelpunkt rückt, dessen reformökonomische Stellvertreterfiguren
über den Minister der Real Audiencia und den vorbildlichen Tuchproduzenten Esteban bis hin zum Lehrling Blas, und damit bis in das
niedere Volk, reichen, ist das damit einhergehende Ineinandergreifen
von säkularer Reformökonomie und der dem Pastoratsprinzip zugrunde liegenden religiösen Symbolik vor dem Hintergrund der nach
wie vor zentralen Rolle der katholischen Kirche im spanischen Staat
kein Zufall. Vielmehr wird die Macht des Monarchen dergestalt legitimiert, dass wiederholt die Einheit von Staat und Kirche beschworen
wird. Dies hat auch unsere Analyse von Valladares‘ Komödie um den
Bergmann Genaro gezeigt, in der der Souverän als Vaterfigur und deidad figuriert. Entsprechend häufig sind religiöse Bezugspunkte in den
bisher untersuchten Stücken zu finden. Analog zu Duráns theatraler
Inszenierung des Souveräns als gutem Hirten legt Comella seinem
reformökonomischen Lehrstück über den Sektor der Landwirtschaft
das biblische „Gleichnis vom Sämann“ zugrunde, das Jesus – wie das
Markus-Evangelium erzählt – einer am See Genezareth versammelten
Menge predigt:
Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. Und es begab sich, indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen‘s
auf. Anderes fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging
bald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Da nun die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. Und anderes fiel
unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten‘s, und
376
Comella (1789: 1).
516 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
es brachte keine Frucht. Und all das Übrige fiel auf das gute Land, ging auf
und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges
sechzigfach und einiges hundertfach. Und er sprach: Wer Ohren hat zu
hören, der höre!377
Comellas Rückgriff auf die biblische Metaphorik dient dazu, den
Monarchen ebenso konkret wie metaphorisch als den besagten ‚guten
Sämann‘ auszuweisen, dessen Bestrebungen, die nationalen Erträge
zu steigern, buchstäblich auf fruchtbaren Boden fallen, wenn sich der
erfolgreiche Bauer Benito in seinem um das Gemeinwohl besorgten
Tun immer wieder auf den Regenten als Vorbild beruft. Die bereits
zitierte Szene, in der erst Benito und dann der Conde zur Pflugschar
greifen und der Graf dabei Benitos guten Boden lobt, wird vor diesem Hintergrund metaphorisch lesbar: In dem vorbildlichen Bauern
Benito geht die reformökonomische Saat des aufgeklärten Souveräns
deshalb auf, weil er und seine Staatsdiener, repräsentiert durch den
Conde, mit gutem Beispiel vorangehen. In der von Comella bemühten
Metaphorik bilden sie jenen fruchtbaren ‚Boden‘, auf dem das aufklärerische Gedankengut keimen und gedeihen kann. Lobend äußert sich
daher das dem aufgeklärten Absolutismus verpflichtete Presseorgan
Memorial literario über Comellas Stück, begrüßt der Rezensent doch
die moralisch vorbildlichen Handlungen.378
377
Mk 4, 3-9, zitiert nach Deutsche Bibelgesellschaft (ed.) (2017): Die Bibel nach Martin Luther. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. Quelle: https://www.bibleserver.com/
bible/LUT, Zugriff: 31.08.2022. Vgl. auch La Santa Biblia (2009), p. 1573: „Oíd: He aquí,
el a sembrador salió a sembrar. Y aconteció, al sembrar, que una parte cayó junto al
camino, y vinieron las aves del cielo y se la comieron. Y otra parte cayó en pedregales,
donde no había mucha tierra; y brotó pronto, porque la tierra no era profunda. Pero
cuando salió el sol, se quemó; y por cuanto no tenía raíz, se secó. Y otra parte cayó
entre espinos; y crecieron los espinos y la ahogaron, y no dio fruto. Y otra parte cayó
en buena tierra, y dio fruto que brotó y creció; y dio a treinta, y a sesenta y a ciento por
uno. Entonces les dijo: El que tiene oídos para oír, oiga.“
378
Vgl. Fernández Cabezón (2000: 116) mit Bezug auf Sánchez Agesta, Luis (1979):
El pensamiento político del despotismo ilustrado. Sevilla: Servicio de Publicaciones de la
Universidad de Sevilla: „Esta obra, que refleja un espíritu muy próximo al de Feijoo y
que heredarán los reformistas ilustrados al defender la nobleza de una profesión como
la de agricultor (Sánchez Agesta 1979, 72-155), fue alabada desde el punto de vista
ideológico: ‚la moral de esta comedia es apreciable; el exemplo de du acción excelente...‘ (140). Los reparos se centran en los apartados compositivos. [...]‚ la disposición de
su trama es buena aunque desatada en algunas partes, los episodios propios pero también algo sueltos‘.” Kritik erntet neben der Struktur vor allem die lächerliche Figur der
7. Vir faber und vir rusticus
517
Interessant ist die in Comellas Stück sowohl Benito als auch dem
Conde und der Reihe von Souveränen zugeschriebene Sachkunde im
Bereich der Landwirtschaft. Wie Gonzalo Anes und Álvarez de Castrillón gezeigt haben, fehlt es den meisten Regierungsvertretern mangels praktischer Erfahrung an agrarischer Kompetenz. Dies führt zu
teils absurden Vorschlägen, die ohne Berücksichtigung der meteorologischen und geologischen Gegebenheiten erfolgen und von den örtlichen Bauern wohlweislich ignoriert werden:
Los agraristas del Siglo de las Luces, desconocedores de las prácticas del
cultivo, teorizaban con razonamientos que pudieran ser válidos en tierras
en las que las lluvias abundantes asegurasen el crecimiento de la hierba y
de los forrajes que pudieran permitir la estabulación intermitente del ganado. Por eso, los labriegos de tierras de secano no siguieron las recomendaciones de los agraristas, como contrarias que eran a las prácticas más
acertadas y más convenientes para la economía de las familias.379
Dass im Rahmen der Fiktion von Comellas Komödie der Staatsdiener und Vasall sowie der Souverän gleichermaßen vorbildliche und
das Praktische nicht scheuende Experten in Sachen Ackerbau sind, offenbart nicht nur die propagandistische, sondern auch die kompensatorische Funktion der comedia económico-sentimental. Hier werden im
Rahmen des theatralen Diskurses Luftschlösser gebaut, die keine Entsprechungen in der ökonomischen Realität haben. Dies steht in Analogie zu hier analysierten Komödien um die Figur des Textilfabrikanten,
etwa Duráns La industriosa madrileña, wo gegen alle Evidenz die Konkurrenzfähigkeit der spanischen mit der französischen Textilindustrie
behauptet wird. Dies zeigt einmal mehr die Funktion der comedia económico-sentimental, reformökonomische Sollzustände zu projizieren.
gebildeten Witwe Timotea mit ihren Latinismen, die eine weibliche Version des durch
Cadalso begründeten Typs des falschen Gelehrten und eine erudita a la violeta ist. In
diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die mujer erudita als eine komische Figur
bereits in den Komödien des Siglo de Oro existiert. Timoteas Rolle als komische Figur
fasst eine Replik des Conde treffend zusammen: „Esperad. Esta muger / es la ridiculez
mesma.“ Comella (1791: 26).
379
Anes, Gonzalo/Castrillón (2000: 102): „Las versiones que dan los agraristas sobre
los problemas rurales muestran su desconocimiento de las prácticas del cultivo.”
518 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
7.7.3. Gier, Korruption und die Unbestechlichen
Während sich die ProtagonistInnen um Benito durch ihr ebenso
rechtes wie ehrbares Handeln auszeichnen, regieren auf Seiten der
(ausschließlich männlichen) Antagonisten um Gil Nepotismus und
Korruption. Dabei ist den beiden AdjuvantInnen380 Benitos ein (männlicher) Opponent zugeordnet, der jeweils einen ähnlichen Beruf ausübt wie die vorbildliche Figur: So steht dem redlichen Anselmo als
Alcalde del estado llano der korrupte Diego als Alcalde del estado noble
gegenüber. Während aufseiten der Opponenten der schmarotzerische
Student Silverio seinen Mitmenschen weniger durch Belesenheit als
durch Bauernschläue so manche Naturalie abschwatzt381 und damit für
komische Momente sorgt,382 unterstützt die halbgebildete Schreiberswitwe Timotea Benitos Sache, indem sie Torquata bei sich aufnimmt,
um sie vor einer Entführung durch ihren Vater zu schützen. Die Figur
der Timotea sorgt ebenfalls für die nötige Prise Humor, wenn sie lateinische Aphorismen und nur zum Teil richtig memorisierte Namen
von antiken Literaten und Sagengestalten zum Besten gibt: So wird
etwa aus dem römischen Dichter Vergil (span. „Vergilio“) ein jungfräulicher „Virginio“ oder aus der Ilias des Homer (span. „Homero“)
das Werk des „Romero“.383 Zeichnen sich die AdjuvantInnen des Protagonisten dadurch aus, dass ihnen an der Einhaltung von Recht und
Gesetz gelegen ist und sie um ihren guten Ruf besorgt sind, ist bei den
Adjuvanten des Antagonisten das Gegenteil der Fall. Anselmo etwa,
der zu Benitos allabendlich stattfindender Armenspeisung geladen ist,
zögert, die Einladung anzunehmen. Auf Benitos Frage, warum er früher mit ihm gespeist habe, sich nun aber ziere, verleiht Anselmo seiner
Sorge Ausdruck, dass man seine Anwesenheit bei Tisch als Parteinahme für Benito und als Indiz für Bestechlichkeit auslegen könnte:
380
Der Begriff des ‚Adjuvanten‘ ist Greimas‘ Aktantenmodell übernommen und bezeichnet eine/n HelferIn des Helden bzw. der Heldin. Vgl. Greimas, Algirdas J. (1971):
Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen, trans. Jens Ihwe. Braunschweig:
Vieweg & Sohn, pp. 157-177, hier p. 163.
381
Silverios Schmarotzertum widmet sich Kapitel 9.1.4. ausführlich.
382
Komik entsteht beispielsweise, wenn Silverio Benito immer wieder auf seinen
Ertrag an Kichererbsen anspricht, weil er ihm etwas davon abschwatzen will und wiederholt das Gespräch zwischen Anselmo und Benito unterbricht, was Anselmo zu der
Bemerkung veranlasst: „No seais / pelmazo.“
383
Vgl. Comella (1791: 11).
7. Vir faber und vir rusticus
519
Ans.
Por que no, quando en la cena
[antes] os acompañaba, entonces
no teniais en mi audiencia
ninguna cosa pendiente,
y podía con franqueza
disfrutar vuestros favores;
pero ahora que pende en ella
la de vuestra boda, quiero
por conservar siempre ilesa
mi reputación, huir
de que la malicia pueda
culparme de sobornado
ó parcial, ni aun por sospechas.384
Diego hingegen, Unterstützer des auf den eigenen Vorteil bedachten Gil, hatte sich durch Letzteren bestechen lassen, ohne dass dieser
Umstand das Gewissen des alcalde belasten würde. Comella macht
gleich zu Beginn des Stückes deutlich, wo das Problem liegt: Indem er
Gil und sein Handlanger Diego als erste Figuren einführt, legt der erfahrene Dramatiker zunächst das vom niederen Landadel unterstützte nepotistische System offen, in dem finanzielle Abhängigkeiten geschaffen werden, um Einfluss auf Amtsträger nehmen zu können. Was
die für die adeligen Güter zuständige Obrigkeit angeht, gelingt dies
mühelos. Daher erwartet der Hidalgo, dass seinen Wünschen ohne
Aufschub Genüge getan wird. Im konkreten Fall soll Diego die den
Hidalgo beim Zeitunglesen störenden Gesänge und andere durch die
Dorfbewohner verursachte Geräusche sofort beenden:385
384
Comella (1791: 18).
Wenn Comella die Szenerie hier – ähnlich wie del Rey in La modesta labradora –
mit einer singenden Landbevölkerung beginnen lässt, überwiegt dabei die Komik. Gil
liest laut allerhand ebenso kuriose wie unbedeutende Nachrichten vor und braust bei
jeder Unterbrechung durch ein Geräusch auf, sei es der Gesang der Wäscherinnen am
Brunnen oder das Stampfen des Apothekers. Vgl. Comella (1791: 1f.). Anders als bei
del Rey überwiegt bei Comella aber nicht das pittoreske und beschauliche Landleben:
Trotz aller komischen Momente und fröhlicher Lieder nehmen das schwere Los der
Pächter sowie die rauen Sitten (z.B. laut grölende Viehhirten) so viel Raum ein, dass in
Bezug auf dieses Stück von einem beginnenden sozialen Realismus gesprochen werden kann. Vgl. Comella (1791: 15f.).
385
520 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Gil.
[...] Señor Don Diego,
perdonadme que os lo diga:
como no pongáis remedio
en estas cosas [del cantar], un quarto
en la vida gastar vuelvo
para que os hagan Alcalde:
Me costó muchos refrescos
y pasos que empuñarais
la vara, creyendo en ello
hacer al estado noble
un gran servicio. Mas viendo
que vos no teneis cuidado
de que le guarden sus fueros
se acabó mi proteccion.386
Diego seinerseits ist ganz Knecht seines standesbewussten Herrn387
und spiegelt ebenso dessen herablassende Haltung wie dessen auf
Selbstbereicherung ausgerichtetes Gehabe, das Anselmo in seiner
kritischen Bemerkung als solches markiert: „Si ha de ser por vuestra
mano [el remedio] / por imposible lo tengo; por vuestra condescendencia.“388 Sich der eigenen Korrumpierbarkeit bewusst, leitet er seinen
Herrn bei der Bestechung Timoteas an. War diese von der Justiz zur
Verwahrung Torquatas angehalten worden,389 soll sie die Ritterstocher
nun gegen Gold aus dem Arrest entlassen. Dass Diego und Gil für
rücksichtsloses Selbstinteresse stehen, das – anders als bei Mandeville
– ganz und gar nicht dem öffentlichen Wohl dient, sondern diesem
386
Comella (1791: 2).
Besonders deutlich wird Gils Standesdünkel in gestelzten und daher umso komischeren Repliken, in denen er seine blaublütigen Ahnen anruft, damit diese dem
Grabe entsteigen und seinen Willen durchsetzen mögen: „Aqui de los montes huecos
/ montes vacios, y montes / desocupados, excelsos / progenitores de todos / los Giles
Montesligeros! Abrid, abrid al instante / las losas del mausoleo, / y empeñad luego la
lanza: / Vengad el entuerto hecho / al mayor Gil de los Giles; / mas no salgáis, estaos
quietos, / que yo basto á castigar / tan infame atrevimiento / con el garrote.“ Comella
(1791: 4).
388
Comella (1791: 5).
389
Timotea hatte Gils Tochter Torquata zunächst aus freien Stücken bei sich Unterschlupf gewährt. Später entscheidet das Gericht, dass die junge Frau dort bleiben soll,
bis die strittige Frage ihrer Hochzeit mit Benito geklärt ist.
387
7. Vir faber und vir rusticus
521
großen Schaden zufügt, wird deutlich, wenn Diego im Zusammenhang mit der Bestechung der Witwe Timotea argumentiert, dass Gold
und nicht Redekunst die Welt regiere:
[...] hoy dia
hace al influxo mas fuerza
la retorica del oro
que la oración mas perfecta.390
Als Gil vorschlägt, den ‚gerechten Preis‘ für Timoteas Verrat mit ihr
zu verhandeln, versetzt der in diesen Dingen gewiefte Diego: „Esas
cosas no se ajustan, / se calla y dá la moneda.“391 Beide haben aber die
Rechnung ohne die belesene und strenggläubige Witwe gemacht: Diese weigert sich standhaft, das Gesetz zu brechen und Torquata herauszugeben, da sie das alttestamentarische Gebot ‚Du sollst nicht lügen‘
in keinem Falle brechen will – da helfen weder Schmeichelei noch die
Bibliothek, die man der bibliophilen Witwe verspricht.392 In vergleichbarer Weise unbestechlich ist Gils Tochter Torquata. Als der Vater
ihr allerhand Luxusartikel wie französische Gazestoffe und Spitzen,
Haarschmuck („cofia“), eine in Madrid übliche Festtracht sowie prestigeträchtigen Unterricht von der Gitarre bis hin zum Tanz anbietet,
sollte sie von einer Ehe mit Benito absehen, weist sie dieses Angebot
entschieden zurück:
Gil.
Te compraré si desistes
de la boda, una guitarra
de seis órdenes, y á ratos
yo te enseñaré a tocarla:
después que toques un poco
iré a la Ciudad cercana
por un maestro que te imponga
en baylar las contradanzas
390
Comella (1791: 21).
Comella (1791: 21).
392
Comella (1791: 23): „[...] si vos la servís en esto / os comprará en recompensa /
una biblioteca.” Wie auch Benito ist Timotea eine rechte Katholikin: So weist sie Gil
und Diego mit den Worten die Tür: „[...] Muy buenas noches, / que ya son las nueve y
media / y me falta que rezar / Letanias y Completas.” Comella (1791: 21).
391
522 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
del bolero; y porque arrumbes
en los bayles de la plaza
á las demás, un jubón
te mandaré hacer de sarga
ó de tisú guarnecido
o de galones o de gasa;
y en fin para que todas
te puedas llevar la gala de Madrid
una cofia con carambas
á lo monologo.
[...]
Torq.
No.
Inwieweit Gils Selbstinteresse der Allgemeinheit schadet, veranschaulicht das Stück anhand der Spekulationen, die Gil auf Kosten der
Dorfbewohner mit der Ernte treibt. Diese hält er in Zeiten der Knappheit zurück, um sie dann nicht nur teuer weiterzuverkaufen, sondern
auch den Bauern das für den Kauf nötige Geld zu horrenden Zinsen393
zu leihen:
Gil.
[...]
y creedme, en la cosecha
ni un grano de trigo encierro,
y esto es causa de que yo
no puedo abrir mi granero
quando hay escasez; y aunque
procuro caro venderlo,
al fin remedio la falta
y hago á mi patria este obsequio.394
Mit diesem spekulativen und egoistischen Verhalten macht sich Gil
der Todsünde der avaritia395 ebenso schuldig wie des Wuchers. Um
393
Einen konzisen Überblick über die Geschichte des Zinses gibt Skambraks, Tanja
(2017): „Zinsen vom Mittelalter bis zur Neuzeit“. In: Geschichte aktuell, 8, pp. 1-2.
394
Comella (1791: 3).
395
Vgl. die oben schon zitierte Replik, in der Benito Gil und Diego als „avaros“ bezeichnet werden. Vgl. Comella (1791: 34).
7. Vir faber und vir rusticus
523
genau diese Möglichkeit des Zugewinns hatte Benito den findigen Hidalgo gebracht, weshalb Benito darin den Grund für Gils Einwände
gegen seine Eheschließung mit Torquata vermutet:
Ben.
[...]
le he quitado el ser logrero;
y que á los pobres comprase
el grano antes de cogerlo;
y no me pesa, pues hago
un gran beneficio al pueblo
y al estado; este abuso
lo ha reprobado el Consejo,
y nuestro Augusto Monarca
quitando con este medio
que se empobreza el Labrador
y que engruese el usurero.396
Wenn Benito auf den Monarchen verweist, der den Wucher rügt,
offenbart sich spätestens hier, dass neben dem Conde auch der buen
labrador eine Stellvertreterfigur des Souveräns ist. In dieser Funktion
tritt Benito nicht nur für Recht und Gesetz, sondern auch für den bien
común ein. Alle drei Elemente sind in dem Begriffspaar „pueblo“ und
„estado“ enthalten.
Wie in Kapitel 2.1. dargelegt, ist das Horten von Getreide, um es
dann am Jahresende bei zunehmender Knappheit möglichst teuer zu
verkaufen, im Spanien des 18. Jahrhunderts seit der Aufhebung der
tasa de granos397 eine gängige Praxis, die aufgrund des sie motivierenden Eigeninteresses auf harsche Kritik stößt:
Era más general la práctica seguida de entrojar los granos desde la cosecha
hasta el final del año agrícola, para beneficiarse de los precios más altos
alcanzados en los meses mayores. Estas costumbres de guardar los granos
396
Comella (1791: 6).
Vgl. Anes/de Castrillón (2000: 106): „La práctica [de almacenar granos en tiempos de abundancia para venderlo en los de escasez] se hizo más general a partir de
1765, cuando ya no era obligado respetar la tasa en años de escasez.“ Die tasa de granos
war 1501 im Zuge des Merkantilismus eingeführt worden und sollte die Getreidepreise
in Krisenzeiten deckeln.
397
524 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
para darles salida cuando alcanzaban precios más altos que los del tiempo
de la cosecha fueron denunciadas y condenadas siempre, como práctica
fundada en la necesidad ajena para aprovecharla en beneficio propio.398
Eben diese Verfahrensweise der besitzenden Schichten wird auch
in Comellas Komödie um den ehrbaren Bauern angeprangert. Wie
Anes und de Castrillón anmerken, finden sich Kritiker des Hortens
von Getreide nicht nur unter den KäuferInnen, sondern vor allem
unter lokalen Amtsträgern und Regierungsbeamten, den „alcaldes
mayores, corregidores e intendentes“, die ihre Beschwerden schriftlich an den „Consejo Real“ richten, „para que se pusiesen límites a los
abusos“.399 In den Kanon solcher Amtsträger stimmt auch Comella ein,
was sowohl beim gehobenen bürgerlichen Publikum als auch bei den
unteren Schichten der LandarbeiterInnen, PächterInnen und Kleinbauern bzw. -bäuerinnen auf Anklang gestoßen sein dürfte.
7.7.4. Adelskritik und Abendmahlssymbolik
Wie die vorbildlichen Figuren des Conde, der ein kluger und vorbehaltlos urteilender Staatsdiener ist,400 und Benitos, des ebenso königstreuen wie patriotischen Adeligen, zeigen, verharrt Comellas Adelskritik nicht im Allgemeinen, sondern richtet sich gezielt gegen die
Gruppe des auf seine Privilegien pochenden niederen Landadel, der
seine Macht hemmungslos für seine Zwecke einsetzt und sich bei der
rücksichtslosen Durchsetzung seines Willens auf alte Rechte und Privilegien beruft: Um beispielsweise das Eheversprechen zwischen Torquata und Benito für nichtig zu erklären, bringt Gil sein gesellschaftliches Kapital als Adeliger ins Spiel, nämlich Sonderrechte (span.:
fueros) und Geld:
398
Anes/de Castrillón (2000: 106).
Anes/de Castrillón (2000: 106).
400
Dies wird nicht nur anhand seines besonnenen Verhaltens deutlich – zunächst
beobachtet er die Situation im Dorf unerkannt, um sich ein eigenes Bild von der Lage
zu machen –, sondern auch anhand von Benitos explizit personaler Charakterisierung
des Conde: „[...] el Conde es muy astuto.“ Comella (1791: 34). So gibt sich auch Benito
letztlich überzeugt davon, dass der Richter ein gerechtes Urteil fällen und sich nicht
von der Allianz um Gil täuschen lassen wird: „[...] temo / que le engañen sin embargo:–
/ engañarle? No lo creo.“
399
7. Vir faber und vir rusticus
525
todo es nulo, todo;
[...]
porque todo se compone
con apelar á mis fueros,
y quando ellos no bastasen
apelaré á mi dinero
que el dinero puede mucho
si se sabe á dar tiempo.401
Auch hier erweist sich Gil – wie zuvor schon sein Handlager Diego
– als Anhänger des Leitspruchs, dass Geld die Welt regiert. Interessant
in Bezug auf die Charakterisierung des als cholerischer Wichtigtuer
gezeichneten Gil ist der in Comellas Komödie gemachte Unterschied
zwischen ser noble und ser ilustre. So urteilt Benito, der ebenfalls von
Adel ist, aber im Gegensatz zu seinem Widersacher nicht damit prahlt,
über Gil: „El sabe bien que en lo ilustre / si no le igualo, le excedo.“402
Anders als das Verb „noble“, das sich auf die Abstammung bezieht,403
meint das Verb „ilustre“ eine entweder ‚natürliche‘ oder durch ‚Verdienste‘ („méritos“) erlangte Erhabenheit.404 Worauf Benito hier mit
dem Adjektiv „ilustre“ anspielt, ist nicht der ererbte Adel, sondern
eine durch moralisch vorbildliches Handeln im Interesse der felicidad
pública erlangte fama. Eben diese fama genießt Benito als Wohltäter der
Dorfgemeinschaft.
Worin seine Wohltaten im Einzelnen bestehen, expliziert der Beginn des dritten Aktes, in der die Dörfler Benito – der, wie sich spätestens an dieser Stelle zeigt, einen sprechenden Namen besitzt – ihre
Nöte antragen, woraufhin er säumigen Pächtern Aufschübe gewährt,
armen Bauern zinslos Vieh für den Ackerbau leiht sowie kranke Witwen und Waisen durch Kleinkredite und durch die Vermittlung von
Hilfsarbeitern unterstützt.405 Nicht zufällig geschieht dies in einem
bühnenbildnerischen Kontext, der die religiöse Symbolik bemüht.
401
Comella (1791: 4).
Comella (1791: 6).
403
Vgl. Diccionario de Autoridades (1743), vol. IV: „NOBLE. adj. de una term. Ilustre,
claro, y conocido por su sangre. Latín. Nobilis. Sanguine clarus, vel genere.“
404
„ILUSTRE. adj. de una term. Magnifico, noble, claro, o elevado sobre los demás, notoriamente por naturaleza, o méritos. Viene del Latino Illustris. Latín. Clarus.
Nobilis.“
405
Vgl. Comella (1791: 18ff.).
402
526 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Benitos Armenspeisung erfolgt in einer Szenerie, in der der gute Bauer „para quantos / del alimento carezcan“ eine „abundante cena“406
gibt. Die Inszenierung dieser „cena“ weist deutliche bildsymbolische
Anleihen an das letzte Abendmahl Jesu Christi auf. Aussagekräftig ist
in diesem Zusammenhang die Zahl der am Tisch Sitzenden: Es sind
zwölf, wobei im weiteren Verlauf der Szene Benitos Diener Simón als
dreizehnter hinzutritt. Dieser wird später – wenn auch unwillentlich
– dafür verantwortlich sein, dass Benito beschuldigt wird, Torquata
entführt zu haben.407 Um sich seitens der kirchlichen Zensur nicht dem
Vorwurf der Häresie auszusetzen, handhabt der versierte Dramatiker
Comella die Abendmahlsszenerie mit Bedacht, wenn er Simón als
Stellvertreterfigur Judas Ischariots erst später hinzukommen lässt und
sich die Rolle, die Simón bei der Anklage Benitos spielen wird, ebenfalls mit zeitlichem Abstand zu dieser Szene offenbart. Erst dann wird
offensichtlich, dass Benito hier den Platz des brotbrechenden Jesus
innehat. Wie Fernando Huerta Viñas herausstellt, sind Protagonisten
„de [...] carácter filantrópico“408 im spanischen Theater der Spätaufklärung – und entsprechend auch bei Comella – ein wiederkehrendes Phänomen. Huerta Viñas weist dies anhand von Figuren wie dem
bereits erwähnten Kapitän Lievens aus El hombre singular, o Isabel I
de Rusia (1795), dem Bauern Isidoro aus La razón todo lo vence (1791)
und schließlich dem nach dem Vorbild Isidoros konzipierten Benito
aus dem im selben Jahr entstandenen Stück El buen labrador nach. Das
den Protagonisten in den Komödien Comellas gemeinsame „cliché arquetípico“ resümiert Viñas entsprechend als „caritativo, entregado a
la benifiencia, a la defensa del desvalido etc.“.409 Dass Comella diese
männlichen Figurentypen ebenso in einem ländlichen (La razón todo
lo vence; El buen labrador) wie in einem höfischen Kontext (El hombre
singular) auftreten lässt, deutet auf die Universalität dieses Typus als
406
Comella (1791: 18).
Zufällig überrascht Simón Gil und Diego bei dem Versuch, Torquata aus Timoteas Haus zu entführen, nachdem ihr Bestechungsversuch an Timotea gescheitert
war. Als die Missetäter fliehen, nimmt sich Simón der ohnmächtigen Torquata an und
bringt sie in Benitos Haus. Als der Conde Torquata dort vorfindet, sieht sich Benito mit
dem Vorwurf konfrontiert, die Entführung veranlasst zu haben, um Torquata heimlich
zu ehelichen. Vgl. Comella (1791: 24ff.).
408
Huerta Viñas, Fernando (1993): „Un cambio ideológico en el teatro, visto a través
de tres obras de Comella“. In: Entresiglos, 2, pp. 171-181, hier p. 175.
409
Huerta Viñas (1993: 179).
407
7. Vir faber und vir rusticus
527
neues Paradigma der spanischen Spätaufklärung hin.410 Auch die Zusammenführung sozial Benachteiligter mit sozial Privilegierten an
einer Tafel, wie sie die an eine ähnliche Szene aus Dekkers The Shoemaker’s Holiday gemahnende Bühnenperformanz des Abendmahls
aus El buen labrador dem Publikum vorführt, ist im Theater Comellas
kein Einzelfall: In El hombre singular lädt Kapitän Lievens ebenfalls
Bedürftige an seine Tafel und nimmt dabei in Kauf, die titelgebende
Königin selbst zu ‚versetzen‘, die nicht etwa düpiert ist, sondern in
philanthroper Geste gleichfalls an der Tafel Platz nimmt.411 Im Theater
der Epoche seltene Szenen wie diese leisten eine versteckte Systemkritik, die sich gegen die Feudalstruktur, aber auch gegen einen reformökonomischen Diskurs richtet, der die neuen ‚ProtagonistInnen
der Produktion‘ und des Fortschritts nicht etwa in der großen Masse
der einfachen Bauern, Bäuerinnen, HandwerkerInnen und TagelöhnerInnen erkennt, sondern stattdessen auf die Minderheit der sozialen Elite setzt: auf wohlhabende Kaufleute, Unternehmer und adelige
Großgrundbesitzer.412 Die Mehrzahl der comedias económico-sentimentales des ausgehenden 18. Jahrhunderts bildet dieses Ziel der Erhebung
einer erlesenen Elite zu WirtschaftsprotagonistInnen nahezu spiegelbildlich ab, die das gemeine Volk in paternalistischer Manier zu mehr
Leistung anleiten sollen. Dass die Reformökonomie die Masse der
WerkarbeiterInnen als Adressat ihrer Appelle an die Nation vor allem
deshalb vernachlässigt, weil sie mangels Bildung schwer erreichbar
ist und in diesem Sinne als ‚unbelehrbar’ gilt, zeigt das Beispiel von
Campomanes‘ Discurso sobre el fomento de la educación de los artesanos
(1775), in dem es heißt: „Con todo eso, mi discurso no habla directamente con los labradores que rara vez pueden adquirir en los libros
aquellos preceptos necesarios: hablo con las personas públicas que
pueden influir en su felicidad.“413 Dass ebenso wie im Gros der comedias económico-sentimentales auch im reformökonomischen Diskurs das
410
Vgl. auch Huerta Viñas (1993), der anhand der genannten drei Komödien Comellas im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts einen „cambio ideológico” identifiziert.
411
Vgl. Huerta Viñas (1993: 179f.). Der staatlichen Zensur allerdings erscheinen die
Repliken dieser „soberana ilustrada“ allzu aufgeklärt und werden gestrichen. Vgl. Viñas (1993: 180).
412
Vgl. Marti (2012: 266): „En este sentido, la visión del progreso.“
413
Vgl. Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de (1991): Discurso sobre el fomento
de la educación de los labradores. Undatiertes Manuskript, ed. Joël Saugnieux. In: Jüttner,
528 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Sentimentale und das Ökonomische eine Allianz eingehen, die dazu
dient, die bestehenden sozialen Missstände zu übertünchen – Schaltstelle ist, wie eingangs skizziert, das Konzept der felicidad pública (vgl.
Kap. 3.1.2) – zeigt Marti.414 Er weist nach, wie sich der reformökonomische Topos des ilustrado en el campo, „proprietario progresista y filántropo“415, zum literarischen Topos wandelt, der in Cadalsos Cartas
marruecas (1789) ebenso zu finden ist wie in Montengóns bereits erwähntem Roman El Mírtilo, ó los pastores transhumantes (1795).416
Mit der Figur Benitos rekurriert auch Comella auf diesen Topos, den
Marti der Regierungsperiode Carlos‘ III. zuordnet. Dass Comella im
Gegensatz zu einem zur Idealisierung neigenden reformökonomischen
Diskurs die auf dem Land herrschenden Missstände deutlich benennt,
weist auf den liberalistischen Geist seines Stückes hin, den Marti bei Comella ab den 1790ern gegeben sieht417 und der die „constante censura de
su obra“418 zur Folge hat. Dem katalanischen Dramatiker selbst dient der
Rückgriff auf den reformökonomischen Topos des ilustrado en el campo
als Maske, hinter der er seine System- und Diskurskritik äußern kann.
Dieses Maskenspiel gelingt Comella im Fall von El buen labrador auch
deshalb, weil er Benito als aufgeklärten und patriotischen hombre de bien
konzipiert, der alle Eigenschaften des neoklassischen Wirtschaftshelden
erfüllt: Er ist adelig, philanthrop, königstreu, paternalistisch und, nicht
zu vergessen, ein guter Katholik419. Ähnlich wie die Figur Estebans aus
Duráns La industriosa madrileña420 erkundigt sich auch Benito bei der
darbenden Waise Petronila „si es christiana la Tendera“421, die Petronila
zu horrenden Zinsen Geld geliehen hatte,422 weshalb Petronila sich nun
Siegfried (ed.). Spanien und Europa im Zeichen der Aufklärung. Frankfurt/Main: Lang
1991, ohne Seitenangabe, zitiert in Marti (2012: 268).
414
Vgl. Marti (2012: 269).
415
Marti (2012: 269).
416
Vgl. Marti (2012: 269).
417
Vgl. Marti (2012: 269).
418
Campos (1969: 52).
419
Ebenso wie Timotea richtet auch Benito als guter Katholik seinen Tag nach dem
Geläut der Kirchenglocken aus. Vgl. Comella (1791: 14): „[...] La campanada / primera
para el Rosario / ya dieron [...].”
420
Vgl. Durán (o.J.: 8), s.o. (Kap. 6.3.5).
421
Comella (1791: 19).
422
Diese Zinsen belaufen sich auf „quatro reales / de ganancia al mes“ für „ocho
pesetas / prestadas”. Da ein real vier Peseten entspricht, bedeutet dies einen Zinssatz
von 100 %.
7. Vir faber und vir rusticus
529
ratsuchend an den gutherzigen Bauern wendet. Denn anders als „otros
/ [que] consumen en vagatelas / sus caudales“423 kann Benito von sich
selbst behaupten: „yo los gasto / en socorrer la pobreza“424. Eben jenes
gute Handeln im Dienste der christlichen caritas hatte ihm seine fama
eingebracht, aufgrund derer er sich nun rühmen kann, „ilustre“ zu sein.
Wenn der Conde Gil am Ende überführt, sich mit einem falschen
Adelstitel geschmückt zu haben – „La hidalguía con engaños / adquiristeis; aqui consta / este papel.“425 –, bestätigt dies, was Torquata bereits angedeutet hatte: Als der Vater ihr die Eheschließung mit
Benito so hartnäckig verweigerte, hatte sie ihm in Erinnerung gerufen,
dass er in Wahrheit gar nicht von Adel sei. In diesem Zusammenhang
kommt der Unterschied zwischen dem ser de gente hidalga und dem ser
ilustre erneut zum Tragen:
Torq.
Padre, padre, bien sabeis
que debisteis à una traza
vuestra hidalguía; nadie lo oye,
y por eso, cara a cara
os lo digo: vuestros padres
tan solamente dimanan,
como sabeis, de una gente
ilustre, pero no hidalga.
Si os oponéis a la boda
de Benito porque se halla
ocupado con la labor,
ved que a los hombres ensalza
este exercicio; y que él puede
en obsequio de su fama
indagar vuestros principios
y en ellos encontrar manchas,
que no las pueda borrar
la executoria mas rancia.426
423
Comella (1791: 19).
Comella (1791: 19).
425
Comella (1791: 36).
426
Comella (1791: 10f.).
424
530 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Zwar seien Gils Vorfahren „ilustres“ und aufgrund ihrer Taten bekannt, mitnichten aber Teil der „gente hidalga“ gewesen, argumentiert Torquata. Mittels dieser Replik spielt Comella auf ein schon im
Barocktheater des 17. Jahrhunderts beliebtes Motiv an: Die Infragestellung der limpieza de sangre des Hidalgo durch den reichen Bauern.427
In diesem Zusammenhang wird der Begriff der „fama“ expliziert und
so der aufklärerische Standpunkt vertreten, dass nicht der Blutadel
einen Menschen auszeichnet, sondern seine Taten. Anders als im barocken Zeitalter sind es nun nicht mehr kriegerische Heldentaten, die
einen guten Ruf begründen, sondern „exercicio“ und „labor“, die analog zum Seelenadel des vir faber auch hier einen rhetorischen Ruhm
begründen. Im Gegensatz zu den Lippenbekenntnissen in Trigueros‘
Los menestrales und Valladares‘ Komödien um den vir faber, mutet Comellas Inszenierung eines beherzt den Pflug ziehenden königlichen
Würdenträgers, seine Zeichnung von Kaisern und Königen als zupackenden Landwirten und die Wahl eines Protagonisten, der seine
Mitmenschen unabhängig von ihrem sozialen Stand an seiner Tafel
willkommen heißt,428 erstaunlich progressiv an.
7.8. Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid (1782):
Schnittstelle zwischen vir oeconomicus und vir faber
Valladares de Sotomayors El trapero de Madrid, dessen Druckversion
1801 erscheint, wird am 16. September 1782 in Madrid uraufgeführt.429
Es bildet deshalb den Schlusspunkt der Analysen dieses Abschnitts,
weil es den kaufmännischen Kosmos des vir oeconomicus, vertreten
durch den ebenso reichen wie einflussreichen Wollhändler Don Basilio, mit der Arbeitswelt des vir faber, verkörpert durch den Lumpensammler Tío Agustín, verbindet. Die Tätigkeit des Lumpensammlers
kombiniert mit dem Aufsammeln und Weiterverkauf von Stoffresten
Werkarbeit und Handel. Der Lumpensammler ist ein Kleinstunternehmer, der gebrauchte Stoffe mit Hilfe von Werkzeugen wie Haken
427
Vgl. Díez Borque (1976: 344): „Poner en duda la limpieza de sangre del hidalgo
era la gran venganza del labrador; de aquí surgirá el término hidalgo cansado.”
428
Vgl. Comella (1791: 18): „Ben. [...] ofrezco á todos mi mesa, / acuden sin distinción / gentes de clases diversas.”
429
Vgl. García Garrosa (2012: 2).
7. Vir faber und vir rusticus
531
und Korb aufsammelt, um sie dann an Papierfabriken zu verkaufen.430
Wie die fliegenden Händler verfügt er über keine eigenen Werk- bzw.
Arbeitsräume, vielmehr ist die Straße der Ort, an dem er seine Tätigkeit ausübt. Diese Besonderheit teilt er mit den Vertretern der petits
métiers.
In Valladares‘ El trapero de Madrid steht dem Lumpensammler als
unterstem Glied in der Kette der Textilgewerbetreibenden der vermögende Wollhändler als Prototyp des wohlhabenden Großkaufmanns
diametral gegenüber. Auf der Handlungsebene bildet der Topos des
matrimonio desigual den Kontaktraum, in dem sich das Großbürgertum, vertreten durch den Kaufmann, und ein Vertreter des trabajo manual, repräsentiert durch den Lumpensammler, begegnen. Der Topos
der Ehe zwischen sozial Ungleichen kommt ins Spiel, als sich Bernardo, der Sohn des Lumpensammlers und Sekretär des Wollhändlers,
in Rita, die Tochter seines Dienstherrn, verliebt. Dem Willen ihres Vaters Basilio nach, soll Rita den Adeligen Anselmo heiraten. Auch in
diesem Stück bedroht ein unverschuldeter Bankrott die Existenz einer
Kaufmannsfamilie. In El trapero de Madrid hat dies zur Folge, dass der
geldgierige Anselmo von seiner Brautwerbung Abstand nimmt. Dies
gibt Agustín Gelegenheit, das kaufmännische Geschäft durch sein
angespartes Vermögen zu retten und die für die sentimentale Wirtschaftskomödie typische Neigungsehe zwischen Bernardo und Rita
zu ermöglichen. Das gute Ende des Stückes besteht in einer Doppelhochzeit: Nicht nur kann Bernardo Rita gegen alle anfänglichen Widerstände ehelichen, auch deren Kusine Rosa und ihr Favorit Leonardo heiraten einander.
Valladares’ Stück basiert auf Merciers sentimentaler Komödie La
brouette du vinaigrier (1774), die ihrerseits eine theatrale Adaptation der
Erzählung L‘Histoire du vinaigrier (1714) von Eustache Lenoble ist.431
Wie schon im Falle des Stückes El fabricante de paños, das ebenfalls auf
einer französischen Vorlage beruht, handelt es sich bei Valladares‘
430
In diesem Sinne ist der Lumpensammler ein früher Recycler.
Lenoble, Eustache (1714): L’Histoire du vinaigrier. In: Le gage touché. Histoires galantes et comiques, vol. I. La Haye: Adrian Moetjens, pp. 83-88. Vgl. hierzu auch Buthmann, Sigrid (1992): Das Theater von Louis Sébastien Mercier. Bonn: Romanistischer Verlag, pp. 147 und 184f.
431
532 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Version weniger um eine originalgetreue Übersetzung432 als um eine
Adaptation, die den Handlungsablauf ebenso verändert wie die Figuren, die Reihenfolge der Szenen verändert, manche streicht, um
wiederum andere hinzuzufügen und das Original an das spanische
Publikum und die kulturellen Gegebenheiten der iberischen Halbinsel anpasst, etwa, indem der französische Prosatext in das dem spanischen Theaterpublikum des 18. Jahrhunderts geläufige Versmaß des
romance octosílabo umgewandelt wird.433 Dass das französische Original hispanisiert wird, zeigt sich bereits in der Wahl des Titels. Aus
‚Die Schubkarre des Essighändlers‘ wird ‚Der Lumpensammler von Madrid‘
(meine Übersetzungen). Das Werkzeug des Essighändlers, die Schubkarre, die im Zentrum von Merciers Stück steht, an dessen vulgärem
Titel sich wiederum etliche Zeitgenossen gestoßen haben,434 wird bei
Valladares durch den Vertreter eines Metiers und sein Utensil ersetzt,
die ebenso charakteristisch für das Madrider Stadtbild sind wie der
Essighändler und seine Schubkarre für Paris.
Während der Kaufmann Basilio in der spanischen Fassung eine
in Geschäftsdingen vorbildliche Person ist, die sich allerdings durch
das Geld des von ihm favorisierten Schwiegersohns Anselmo blenden
432
Bei cervantesvirtual.com hingegen ist Mercier als Autor und Valladares als Übersetzer angegeben. Vgl. Mercier, Louis-Sébastien (2000 [1801]): El trapero de Madrid. Alicante: Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes. Quelle: https://www.cervantesvirtual.
com/obra/el-trapero-de-madrid-de-l-s-mercier-en-la-traduccion-de-antonio-valladares-de-sotomayor-1801/, Zugriff: 31.08.2022. Da die auf der der Version von 1801 beruhende Fassung gegenüber der französischen Vorlage zahlreiche Veränderungen vornimmt und es sich daher um eine Adaptation handelt, wird hier Valladares als Autor
angegeben. Valladares de Sotomayor, Antonio (2000 [1801]): El trapero de Madrid. Alicante: Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes. Quelle: https://www.cervantesvirtual.
com/obra/el-trapero-de-madrid-de-l-s-mercier-en-la-traduccion-de-antonio-valladares-de-sotomayor-1801/, Zugriff: 31.08.2022. Auch García Garrosa (2012: 1) bezeichnet
Valladares‘ Fassung im Titel ihres Aufsatzes als „traducción“, spricht jedoch im weiteren Verlauf ihrer Analyse von einer „adaptación“. Vgl. eadem (2012: 5).
433
Vgl. García Garrosa (2012: 6).
434
So etwa Fréron, der 1775 in seiner Zeitschrift L’Année Littéraire ironisch bemerkt:
„Je conseillerais à M. Mercier de mettre ainsi sur le théâtre tous les corps de métier
dont cette capitale abonde et de nous donner, en drames bien relevés et pathétiques,
le Sac du Charbonnier, l’Auge du Maçon, la Tasse du Quinze-vingt, le Chaudron de la
Vendeuse de châtaignes, la Chaufferette de la Marchande de pommes, le Tonneau de
la Ravaudeuse, la Hotte du Crocheteur, la Sellette du Décrotteur.“ Zitiert in: Aggéri,
Robert: „Notice“. In: Mercier, Louis Sébastien (1972 [1774]): La brouette du vinaigrier, ed.
Robert Aggéri. Paris: Larousse, pp. 9-37, hier p. 23.
7. Vir faber und vir rusticus
533
lässt und dessen wahren Charakter verkennt, droht der Kaufmann
Delomer aus Merciers Stück einer schwerwiegenderen Versuchung zu
erliegen, möchte er doch seinen Bankrott verheimlichen, wovon er im
letzten Moment vom Sohn des Essighändlers, Dominique fils, abgehalten wird. Die Figur des Dominique fils entspricht bei Valladares der
Figur Bernardos. Weitere Veränderungen, die Valladares am Personal
der Komödie vornimmt, betreffen die Nebenfiguren. Die Aufgabe,
den zwar reichen, aber gierigen und verschlagenen Brautwerber über
die Vermögenswerte des Brautvaters in Kenntnis zu setzen, die bei
Mercier der Juwelier M. du Saphir innehat, übernimmt bei Valladares
die Dienerfigur Aniceto. Die Rolle des geizigen und damit lächerlichen Aspiranten auf die Kaufmannstocher, M. de Jullefort, obliegt in
der spanischen Fassung dem ebenfalls geizigen, nicht minder lächerlichen435 und zudem alten Anselmo, der ebenso wie Moratíns Figur
des sparsamen Kaufmanns Don Roque an Molières L‘Avare angelehnt
ist. Indem Valladares die Figur des Anselmo als viejo verde skizziert,
rekurriert er auf die aufklärerische Kritik an der Eheschließung zwischen PartnerInnen mit großem Altersunterschied, die auch Moratín
in El sí de las niñas (1806) thematisiert.436
Wie schon im Falle des ebenfalls aus Valladares‘ Feder stammenden Stücks El fabricante de paños wird eine Anpassung von Merciers
La brouette du vinaigrier an die spanischen Verhältnisse auch hier unter anderem durch das Element des Religiösen erreicht. El trapero de
Madrid beginnt mit einer Szene, die den Wollhändler Basilio als rechten Christen ausweist, als er seinen Diener Aniceto rügt, weil dieser
ohne Not vom Teufel und seinen Dämonen spricht.437 Zwar spielt die
435
Zu Jullefort als lächerlicher Figur vgl. Aggéri (1972: 28).
In Bezug auf die Änderung der Szenenreihenfolge verweist García Garrosa
(2012: 6) ihrerseits auf zwei wesentliche, durch Valladares vorgenommene Modifikationen: Zum einen rückt Merciers Anfangsszene das Gespräch zwischem dem gierigen,
die Kaufmannstochter begehrenden Schürzenjäger M. de Jullefort und einem Juwelier,
bei Valladares an das Ende des ersten Aktes, wobei der Juwelier in der spanischen
Fassung durch den Diener Aniceto ersetzt wird. Zum anderen erfolgt das Liebesgeständnis durch den Sekretär Dominique in La brouette du vinaigrier im Wissen darüber,
dass die angebetete Kaufmannstochter Mlle Delomer dem Schürzenjäger Jullefort versprochen ist, während Bernardo in El trapero de Madrid zum Zeitpunkt seiner Offenbarung gegenüber Rita, der Tochter des Wollhändlers, noch ahnungslos ist, dass diese
Anselmo heiraten soll.
437
Valladares (2000: 1, vv. 16-20): „ANICETO: Parece que tengo en mis dedos / algún demonio, señor. – DON BASILIO: ¿Tú tienes atrevimiento... / (Se levanta.) para
436
534 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Religion auch im Theater Merciers eine gewisse Rolle, beispielsweise
in L’Indigent438, nicht aber in La brouette du vinaigrier. Analog zu anderen Komödien Valladares‘ ist die Einbringung des Religiösen auch
hier ein Zugeständnis an die kirchliche Zensur. Wie in Bezug auf die
zuvor untersuchten Stücke bereits konstatiert werden konnte, steht
die wiederkehrende Präsenz des Religiösen in der comedia económico-sentimental den Säkularisierungstendenzen439 des ausgehenden 18.
Jahrhunderts in Spanien nicht notwendigerweise entgegen. Ebenso
wie in Duráns La industriosa madrileña440 dient sie auch in El trapero de
Madrid als ein Mittel, das die Identifikation des Publikums mit den auf
der Bühne agierenden Figuren ermöglicht.
In der französischen Vorlage wie in der spanischen Adaptation gleichermaßen präsent ist die Scham des Sohnes angesichts der schmachvollen Tätigkeit des Vaters. Dass es ausgerechnet das als anstößig empfundene Utensil des arbeitenden Menschen ist – die Schubkarre des
Essighändlers bei Mercier bzw. der Korb des Lumpensammlers bei
Valladares –, in dem das Geld zur Rettung des bankrotten Kaufmanns
Delomer bzw. Basilios in letzter Minute herbeigetragen wird, dürfte
das zeitgenössische Publikum in Frankreich und Spanien gleichermaßen erstaunt haben. Ist man zunächst geneigt anzunehmen, dass
den Berufen des Kaufmanns und des Lumpensammlers dadurch ein
äquivalentes Maß an Ehrbarkeit attestiert wird, wird dies durch die
genretypische Adelskonvention zunichte gemacht, auf die Valladares
auch in diesem Stück zurückgreift. Der Handwerkersohn Dominique
fils aus Merciers Stück hingegen muss sich nicht als adelig erweisen,
um ihn zu einem würdigen Kandidaten für die Ehe mit der reichen
Kaufmannstochter zu machen. In seinem Falle genügt das Geld seines
Vaters, des Essighändlers. Als wichtiger Faktor, der Einfluss auf die
Notwendigkeit der Adelskonvention in der spanischen comedia económico-sentimental hat, ist einmal mehr die Zensur ins Feld zu führen.
Wie schon bei Mercier wird dem Geld allerdings auch bei Valladares
nombrar en mi casa / al Príncipe del averno?” Aniceto hatte zuvor aus Ungeschick eine
Vase zerbrochen und weist dies nun einem ‚Dämon‘ zu, der ‚in seinen Fingern‘ sitze.
438
Vgl. Buthmann (1992: 146).
439
Vgl. den bereits zitierten Band von Tietz & Briesemeister (1992).
440
Vgl. Schuchardt (2015: 120).
7. Vir faber und vir rusticus
535
das Potenzial zugesprochen, sozial ausgleichend zu wirken.441 Diesbezüglich lässt sich im Vergleich zu früheren Stücken des Autors wie
etwa El fabricante de paños oder El carbonero de Londres eine Entwicklung ausmachen. Wie die folgende Replik Agustíns zeigt, bemisst sich
der Grad sozialer Gleichrangigkeit nun nicht mehr nur am Titel, sondern auch am Geld:
TÍO AGUSTÍN
¿Pues tu amo qué es más que yo?
A él le mantiene el comercio
de lanas, y a mí el de trapos:
el que más gane es más bueno,
y hasta ahora el que gana más
de los dos, no lo sabemos.
Por lo que a la sangre toca,
hijo, desde aquí te advierto,
que no la tiene mejor
tu amo que tú, conque siendo
esto así, déjame hacer [...].442
Wenn hier zwar der Leitspruch gilt, dass, wer über mehr finanzielle
Mittel verfüge, zugleich auch einen höheren gesellschaftlichen Status
innehabe („el que más gane es más bueno“), wird gleich im Anschluss
doch wieder das soziale Prestige des ‚Blutes‘ ins Feld geführt, das
Agustín hier als letztes, alle übrigen Aspekte übertrumpfendes Argument im Wettstreit um den höheren sozialen Status anbringt („Por lo
que a la sangre toca / [...] que no la tiene mejor / tu amo que tú“), denn
Agustín trifft diese Aussage in dem Wissen, dass er selbst adelig – und
damit im Geheimen überlegen – ist. Insofern wird auch in diesem
Stück nicht an den bestehenden feudalen Strukturen gerüttelt.
7.8.1. ¿Más? ¿O menos? Sexualdispositiv und Affektökonomie
Wie alle hier analysierten Komödien greift auch El trapero de Madrid
auf die Dreieckskonstellation als architektonische Grundstruktur der
Zur Rolle des Geldes bei Mercier und in Valladares‘ Adaptation vgl. auch Schuchardt (im Druck).
442
Valladares (1801: 10, vv. 703-713).
441
536 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Komödie zurück.443 In dieser Konstellation stehen einander bei Valladares zwei trianguläre Konfigurationen gegenüber: Das Dreieck um
die Kaufmannstochter Rita, um deren Hand der sie liebende Bernardo und der nach ihrer Mitgift trachtende Anselmo konkurrieren, und
der ménage à trois um die Nichte des Wollhändlers, Rosa, die von Leonardo und dessen Cousin Luis gleichermaßen zur künftigen Ehefrau
auserkoren wird. Merciers Original hingegen beschränkt sich auf eine
Dreiecksbeziehung, die zwischen M. de Jullefort, Dominique fils und
Mlle Delomer. Während Anselmo dem Brautvater „muy noble y muy
rico“444 erscheint, zieht Ersterer Bernardo, der (scheinbar) ebenso mittel- wie titellos ist, gar nicht erst als Schwiegersohn in Betracht. Der
Sohn des Lumpensammlers zeichnet sich allerdings in Analogie zum
Bergmann Genaro aus El carbonero de Londres durch seinen ‚Seelenadel‘ aus: „Es el mejor joven / que tiene el comercio”445, sagt der Wollhändler Basilio über seinen Sekretär. Was Rosa anbelangt, soll diese
nach dem Willen ihres Onkels Luis ehelichen, der ebenso wohlhabend
wie tugendhaft ist. Luis empfindet für Rosa eine zarte Neigung, sie
aber möchte niemand anderen als Leonardo ehelichen. Auf der Ebene der Komödienarchitektur besonders interessant ist, wie Valladares
in die Dreiecksbeziehung zwischen Rita, Bernardo und Anselmo eine
doppelte, symmetrisch aufgebaute Problematik des matrimonio desigual einflicht: Während die avisierte (Vernunft-)Ehe zwischen Anselmo und Rita durch eine Asymmetrie auf Altersebene gekennzeichnet
ist, droht bei der (Neigungs-)Ehe zwischen Rita und Bernardo ein finanzielles Ungleichgewicht.
Die Instabilität der Dreiecksbeziehungen, die am Ende zugunsten
der Eheschließung der einander in Liebe verbundenen Paare Rita-Bernardo und Rosa-Leonardo aufgelöst wird, illustriert Valladares‘ Komödie anhand einer Logik der Überbietung.446 Diese kommt anhand
des Gegensatzpaares más vs. menos wiederholt zum Ausdruck. Über
die leitmotivische Funktion des ‚Mehr‘ und des ‚Weniger‘ verknüpft
443
Vgl. auch Schuchardt (2016).
Valladares (1801: 4, v. 47).
445
Valladares (1801: 3; vv. 159f.).
446
Eine solche Logik der Überbietung sieht Komorowska (2018: 103) bereits in Lope
de Vegas El amigo hasta la muerte (1610-1612) gegeben, wo der Händlerssohn Bernardo
und der verarmte Adelige Sancho einander an selbstlosen Freundschaftsdiensten zu
übertreffen suchen. Komorowska spricht diesbezüglich von „sich ständig perpetuierende[n] Freundschaftsexzesse[n], die [ihrerseits] im Exzess enden“.
444
7. Vir faber und vir rusticus
537
die Komödie den unausgeglichenen Gefühlshaushalt der Figuren mit
dem Topos des matrimonio desigual. Finanziell und emotional ungleiche
Verhältnisse werden so mit einer aus den Fugen geratenen Affektökonomie korreliert. In diesem Zusammenhang markiert der literarische
Topos der ungleichen Ehe ein verändertes, dem Geist der Aufklärung
verpflichtetes Verständnis dieser Instanz: Gemeint ist die Tendenz,
der Neigungsehe den Vorrang vor der Vernunftehe zu geben. In der
comedia económico-sentimental geschieht dies, indem die komödientypischen Glückswechsel447 herangezogen werden, um die zwischen den
Liebenden bestehenden sozialen und finanziellen Asymmetrien auszugleichen. Dies ist in El trapero de Madrid dann der Fall, wenn das
doppelte, weil soziale und finanzielle Gefälle zwischen Rita und ihrem
Favoriten Bernardo durch Geld und das Greifen der Adelskonvention
austariert werden kann, während der zwischen Anselmo und Rita
bestehende Altersunterschied sich als unüberbrückbar erweist. Dass
finanzielle Asymmetrien hier innerhalb der theatralen Fiktion durch
Geld ausgeglichen werden können, das durch eine profane Tätigkeit
wie das Lumpensammeln erwirtschaftet wurde, und dass dies als legitim angesehen wird, deutet an, dass die bürgerliche Finanzkraft an
Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig offenbart aber die zur Anwendung
kommende Adelskonvention, dass das Geld des Bürgertums das gesellschaftliche Gewicht, das es im 19. Jahrhundert innehaben wird,
noch lange nicht erreicht hat.
Die Verschiebung von einer Eheschließung aus Vernunftgründen,
d.h. aus Erwägungen, die die Bewahrung oder Mehrung der Finanzen
und des Prestiges im Blick haben, hin zur Liebesheirat, lässt sich mit
der Unterscheidung zwischen dem Allianz- und dem Sexualdispositiv fassen, die Foucault in La volonté de savoir (1976) vornimmt. Das
Allianzdispositiv, das Foucault als „système de mariage, de fixation
et de développement des parentés, de transmission des noms et des
biens“448 definiert, bereitet im Verlauf des 18. Jahrhunderts dem Sexualdispositiv den Weg. Das Allianzdispositiv ist auf die Reproduktion
und Perpetuierung sozialer Beziehungsgeflechte ausgerichtet. Daher
darf die Wahl des passenden Ehepartners nicht dem Zufall überlassen
werden, sondern obliegt den sorgfältigen Erwägungen der Eltern als
autoritärer Instanz. Auch beim Sexualdispositiv geht es um Kontrolle,
447
448
Vgl. Fulda (2005: 22), s.o.
Foucault (1976: 140).
538 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
allerdings betrifft diese nun eine andere Ebene, und zwar „les sensations des corps, la qualité des plaisirs, la nature des impressions“,
und damit die Affektsteuerung.449 Beide, Allianz- und Sexualdispositiv, sind mit dem Ökonomischen verbunden. Geht es bei beim Allianzdispositiv um die Steuerung und das „Zirkulieren von Reichtümern“450, gerät beim Sexualdispositiv der Körper in den Mittelpunkt,
der Gefühle, Empfindungen und Triebe konsumiert und produziert.
Als Instanz zur Regulierung von Gefühlen und Affekten führt uns das
Sexualdispositiv zum Aspekt der Affektökonomie. Es ist gerade die
von Foucault konstatierte Gleichzeitigkeit von Allianzdispositiv und
Sexualdispositiv – nicht etwa die Ablösung des einen durch das andere –, aus der sich die Notwendigkeit ergibt, mit Gefühlen und Affekten
zu haushalten:
Dire que le dispositif de sexualité s’est substitué au dispositif d’alliance
n’est pas exact. [...] Historiquement, ailleurs, c’est autour et à partir du dispositif d’alliance que celui de la sexualité s’est mis en place. [...] [L]a question posée était celle du commerce permis ou défendu (adultère, rapport
hors mariage, relation avec une personne interdite par le sang ou le statut,
caractère légitime ou non de l’acte de conjonction).451
Foucaults Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass die Notwendigkeit der Affektregulierung mit der Thematik des matrimonio
desigual in engem Zusammenhang steht. Wird die Ehe nach dem Kriterium der Neigung und nicht mehr nach dem Kriterium des Standes
geschlossen, wirft dies zugleich die Frage nach der Legitimität und
Legitimierbarkeit bisher geächteter interpersonaler Beziehungen auf.
War die Ehe zwischen sozial und finanziell Ungleichen im Rahmen
des Allianzdispositivs noch illegitim, wird sie im Kontext des Sexualdispositivs möglich, obliegt aber nichtsdestotrotz der Notwendigkeit
der Rechtfertigung.
Die auf der Schwelle vom Allianz- zum Sexualdispositiv aufkeimende Frage danach, wann und vor allem in welchem Maße Gefühle
gestattet sind, wann man ihnen nachgeben darf und wann sie reguliert
werden müssen, kommt auch in El trapero de Madrid zum Tragen. Sie
449
Foucault (1976: 140).
Vgl. Foucault (1976: 141): „la circulation des richesses“.
451
Foucault (1976: 141ff.).
450
7. Vir faber und vir rusticus
539
offenbart sich dort anhand der fragilen Balance zwischen dem besagten ‚Mehr‘ („más“) im Sinne eines ‚Zuviel‘, und dem ‚Weniger‘ („menos“) im Sinne eines ‚Zuwenig‘. Dies zeigt sich etwa anhand der Figur
Rosas, als sie Leonardo ihre Zuneigung bekundet und zugleich Luis
aufs Entschiedenste ablehnt:
ROSA
Sí, Don Luis
me quiere, yo le aborrezco,
a ti te amo [Leonardo], no tendré
dificultad en que él mesmo
por mi voz lo sepa: ¿conque
si su pretensión desprecio,
y la tuya admito, qué
puede darte sentimiento,
porque si tienes lo más
cómo has de sentir lo menos?452
Rosas Rede nimmt auf Leonardos emotionalen Ausnahmezustand
Bezug, in dem er sich nicht nur deshalb befindet, weil er fürchtet, Rosa
an seinen Konkurrenten Luis zu verlieren, sondern auch, weil er sich
in einem klassischen double bind befindet,453 ist Luis doch nicht nur
sein Konkurrent, sondern auch sein Freund. Ohne Luis‘ Herzensdame zu kennen, hatte Leonardo dem Freund angeboten, ihn bei seiner
Brautwerbung zu unterstützen, indem er ihn begleitet. Valladares rekonstruiert hier nahezu spiegelbildlich die Figurenkonstellation aus
Diderots Le Fils naturel (1757), jenem Stück, das gemeinsam mit Le Père
de famille (1758) die Gattung des drame bourgeois begründet. Auch in Le
Fils naturel wird Dorval von seinem Freund Clairville gebeten, diesen
in seinem Werben um Rosalie454, die auch Dorval heimlich liebt, zu
unterstützen. In Valladares‘ Stück erkennt Leonardo erst dann das Dilemma, in das er sich selbst gebracht hat, als er erfährt, dass es sich bei
der von seinem Freund Luis begehrten Dame um Rosa handelt. Wie
452
Valladares (1801: 4; vv. 254-256).
Valladares (1801: 4; vv. 238-244): „Conque en una situación / como ésta, mira si
tengo / causa justa para estar / fuera de mí, pues a un tiempo / conspiran contra el amor
/ rendido que te profeso / hasta mi sangre y palabra, / y moriré si te pierdo.“
454
Auch die Namensähnlichkeit der Figur der Rosa zu Diderots Rosalie ist eine
offensichtlicher Verweis auf Le Fils naturel als Intertext von El trapero de Madrid.
453
540 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dorval muss sich auch Leonardo die Frage stellen, wem er nun die
Treue brechen soll: dem Freund – oder der Geliebten? Dieses Dilemma
der inneren Zerrissenheit sucht Rosa dadurch zu lösen, dass sie Leonardo gegenüber auf das nicht zu vernachlässigende Gewicht ihrer
eigenen Gefühle verweist und dieses als ‚Zünglein an der Waage‘ ins
Spiel bringt. Warum denn Leonardo einen Verlust („menos“) fürchten
müsse, wenn er doch ihr ‚Mehr‘ („más“) an Gefühl besitze? Dieser von
ihr gewährte amouröse ‚Kredit‘ müsse ihn doch, argumentiert sie, in
Sicherheit wiegen, sei sie doch entschlossen, ihre Abneigung Luis gegenüber so deutlich zum Ausdruck zu bringen („le aborrezco“), dass
dieser von einer Ehe Abstand nehmen müsse. Gerade das ‚Mehr‘ an
Gefühl, das Rosa hier als Trumpf ausspielt, ist aber ein ‚Zuviel‘. Dass
der Gefühlshaushalt hier aus dem Gleichgewicht geraten ist, offenbart
nicht zuletzt Leonardos melodramatisch bekundeter Wunsch, sterben
zu wollen, sollte er Rosa verlieren. Dieses dramatische Element, das
ein Überborden der Affekte anzeigt, kommt auch in anderen hier analysierten comedias económico-sentimentales populärer Prägung zur Anwendung, etwa in El carbonero de Londres.455
Während Rosas Entscheidung, Luis aus dem Feld zu schlagen, indem sie ihn zurückweist, das Gefühlschaos ihres Geliebten Leonardo vorübergehend zu befrieden vermag, manifestiert sich im zweiten
Dreiecksverhältnis zwischen Bernardo, Rita und dem ihr vom Vater
beschiedenen Ehemann Anselmo ein weiterer Gefühlsüberschuss,
und zwar, als Bernardo erfährt, dass Rita den reichen Alten heiraten
soll. Auch hier ist es die Kenntnisnahme über den Konkurrenten und
die drohende Niederlage, die aufseiten des sozial ungleichen Brautwerbers Gefühlswallungen auslöst, was die beiden Dreiecksverhältnisse um Rita, Bernardo und Anselmo sowie um Rosa, Leonardo und
Luis auf der Ebene der Komödienstruktur als symmetrisch ausweist.
BERNARDO
Recibiendo enhorabuenas,
y yo pésames funestos.
Ya vuestro padre me ha dicho
que os casáis con Don Anselmo
455
Vgl. Valladares (1801: 9, vv. 609f.).
7. Vir faber und vir rusticus
541
DOÑA RITA
Bernardo, ¿y lo sientes mucho?
BERNARDO
¡Oh Dios!
DOÑA RITA
Pues yo más lo siento.
BERNARDO
A disponer voy al punto
mi marcha a Paris [...].456
Die Liebenden treten hier in einen Wettstreit des Bedauerns angesichts ihrer misslichen Lage. Ritas Frage, wie sehr Bernardo den Entschluss ihres Vaters bedaure, ist rhetorischer Natur und ihrem Bedürfnis geschuldet, sich des Ausmaßes von Bernardos Liebe zu versichern.
Rita sucht Bernardos Verzweiflung, die er durch den hilflosen Ausruf
„Oh Díos!“ bekundet, zu übertreffen, indem sie bekräftigt, den Umstand ihrer durch den Vater beschlossenen Vernunftehe mit Anselmo
mehr zu bedauern, als Bernardo dies jemals könne. Damit impliziert
sie, dass ihre Liebe zu Bernardo größer sei als seine zu ihr. Bernardo
verzagt angesichts der sozialen und finanziellen Potenz seines Kontrahenten Anselmo und ist gewillt, das Feld zu räumen. Ritas Reaktion
ist ambivalent, bringt sie doch ebenso ihre Unbill zum Ausdruck, wie
sie ihm zugleich versichert: „sólo tú / eres mi bien y mi dueño“.457 Bezeichnend ist, dass das Gefühl hier den Reichtum als höchstes durch
die Ehe zu erlangendes ‚Gut‘ („bien“) ablöst, womit der Übergang
von der Vernunftehe zur Neigungsehe vollzogen ist. Wenn sich dies
am guten Ende bestätigt und die komödientypische (Doppel-)Hochzeit zwischen Rita und Bernardo sowie zwischen Rosa und Leonardo
stattfinden kann, wird das Gefühl dabei allerdings mitnichten von Finanzfragen und Standeserwägungen entkoppelt, denn es sind sowohl
ein Korb voller Geld als auch ein geheim gehaltener Adelstitel nötig,
um den Brautvater von Bernardos Eignung als Ehemann zu überzeugen. Dies verdeutlicht, dass Valladares‘ Stück exakt auf der von Foucault bezeichneten Schwelle zwischen Finanz- und Sexualdispositiv
456
457
Valladares (1801: 10, vv. 739-744).
Valladares (1801: 10, vv. 761f.).
542 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zu verorten ist, geht es hier doch ebenso wesentlich um den Ausgleich
von Interessen wie um die Regulierung von Affekten.
Die Thematik der (des-)igualdad social in Verbindung mit einer Austarierung der Gefühle durch eine Logik des más/menos manifestiert
sich im folgenden Dialog zwischen Rita und Bernardo am deutlichsten. Hier wird die auf der Schwelle vom Allianz- zum Sexualdispositiv
sich stellende Frage aufgeworfen, ob die Liebe die Kraft habe, sozial
ausgleichend zu wirken und Standesunterschiede, wie sie zwischen
der Kaufmannstochter und dem Sohn des Lumpensammlers bestehen,
auszumerzen, oder ob es nicht vielmehr ‚verrückt‘ (span.: „loco“, s.u.)
sei, einander trotz aller Standeskonventionen zu lieben. Damit wird
der Topos des amour fou, der sich für die Literatur des 19. Jahrhunderts
als prägend erweisen wird, vorausgedeutet:458
BERNARDO
Pero...
si por nacer yo infeliz
no logro lo que deseo.
¡qué mayor desgracia!
DOÑA RITA
Sí;
estamos iguales; luego
si menos feliz yo fuera
no fuera felice [sic] menos:
conque tú por desgraciado,
y yo por feliz, perdemos
tú la fortuna, y la dicha
yo.
BERNARDO
No hay duda, lo confieso;
pero a ser menos dichosa,
vos, y yo más feliz, creo,
que seríamos los dos
hoy dichosas en extremo.
458
Vgl. das Vorwort zu Sedaines Le philosophe sans le savoir. Die mésalliance hingegen
ist bereits im drame bourgeois nach Diderot ein Topos, den sich Sedaine seinerseits zum
Vorbild nimmt.
7. Vir faber und vir rusticus
543
DOÑA RITA
¿Pero no dices que amor
sabe igualar los sujetos?
BERNARDO
Sí sabe: mas se gradúa
de un amor loco en habiendo
en los amantes, notable
desigualdad.
DOÑA RITA
Ya; mas pienso
que aquel que no es loco, amando,
no tiene un amor perfecto.459
Das sich stellende Dilemma, ob die aus ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen unvernünftige Neigungsehe nicht einer
Verrücktheit gleichkomme, wird zunächst scheinbar dergestalt gelöst, dass eine Proportionalität zwischen dem Grad der Perfektion
der Liebe einerseits und dem Wahnsinn andererseits behauptet wird.
Demnach ist die Liebe mit dem höchsten Grad an Perfektion die, die
dem Wahnsinn am nächsten steht. Der Wahnsinn wird hier mit dem
Standesunterschied begründet. Demnach wäre also die Liebe mit
dem größtmöglichen Standesunterschied die Makelloseste, aber auch
die Irrationalste. Dabei darf es in der auf die Tugend der temperantia
ausgerichteten und an der Nikomachischen Ethik des iustum medium
orientierten Moralökonomie der sentimentalen Wirtschaftskomödie
natürlich nicht bleiben, weshalb Rita schließlich resigniert bekennen
muss: „[...] tan distintas / tu casa y mi casa advierto, / que por más que
lo yo sienta / no hallo a nuestro mal remedio.”460
Kann der Ausweg aus der Sackgasse der ungleichen Ehe nur in
einer Austarierung des gesellschaftlichen Gefälles durch blaues Blut
und Geld bestehen, besteht umgekehrt die einzige Möglichkeit, der
Vernunftehe zu entgehen, in dem Rückzugsort des Klosters, das uns
bereits aus Moratíns El viejo y la niña bekannt ist und das bei Comella
als ultimative Drohung seitens des Vaters, bei Moratín hingegen als
rettende Zuflucht erscheint. In Merciers La brouette du vinaigrier droht
459
460
Valladares (1801: 6, vv. 358-380).
Valladares (1801: 6, vv. 392-395).
544 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der Kaufmann Delomer ebenfalls, seine sich der Vernunftehe verweigernde Tochter ins Kloster zu schicken. In Valladares‘ Adaptation erscheint Rosa das Kloster deshalb als Strafe und Gefängnis, weil sie sich
nicht dazu berufen fühlt. Die Neigungsehe hingegen empfindet sie als
das größtmögliche Glück, ermögliche diese es doch, Gefühl („deseo“)
und Vermögen („dicha“461) zu verbinden:
DOÑA ROSA
[...] las que no tenemos
vocación de que en los claustros
nos encierren, en oyendo
que nos casan, es preciso
que el júbilo sea inmenso;
y mucho mayor si el novio
ha ganado nuestro afecto,
de antemano... entonces se une
la dicha con el deseo.462
‚Vermögen‘, verstanden als ‚Kapital‘, ist hier also nicht mehr zwingend gleichbedeutend mit ‚Geld‘, sondern vielmehr mit einem ausgeglichenen Gefühlshaushalt. Der Neigung nachzugeben, bedeutet für
diesen Haushalt ein emotionales Plus, sie zu ignorieren ein emotionales Minus.
Eine weitere Figur, die wie Rosa für die Neigungsehe plädiert, allerdings weniger aus Eigeninteresse denn aus Überzeugung, ist der
Lumpensammler Agustín. Auch an dieser Stelle offenbart sich in El
trapero de Madrid die Entwicklung hin zu einem zunehmend vom Sexualpositiv geprägten Konzept der Vaterrolle, das mit dem Familienbild der Aufklärung korreliert. Diesem neuen Typus des Vaters geht
es nicht mehr darum, den bzw. die finanziell und sozial vorteilhafteste/n EhepartnerIn auszusuchen, sondern darum, die väterlichen
Vgl. Diccionario de Autoridades (1732), vol. III: „DICHA. s. f. Felicidad, fortúna,
acontecimiento feliz, logro venturoso de lo que se desea. Algunos quieren tráhiga su
origen esta voz del verbo Latino Dito, as, que vale enriquecer. Latín. Felicitas. Secunda
fortuna. Prosper eventus. NIEREMB. Dictam. Mor. Decad. 1. Criados fuimos para ser
dichosos: y somos tan desdichados, que aun no conocemos nuestra dicha, o no la estimamos. SOLIS, Hist. de Nuev. Esp. lib. 5. cap. 15. Escapó a nado su bandera, con igual
dicha que valor.”
462
Vgl. Valladares (1801: 2, vv. 74-82).
461
7. Vir faber und vir rusticus
545
Präferenzen mit den Gefühlen der Kinder in Einklang zu bringen. Diesem Konzept entsprechend bringt Agustín das hohe Alter Anselmos
als Argument gegen dessen Eheschließung mit der wesentlich jüngeren Rita ins Spiel, eine Thematik die auch Moratíns Stücke El sí de la
niñas und El viejo y la niña vertiefen (s.o.).
DON BASILIO
Se casa [Doña Rita] con Don Anselmo
de Vargas.
TÍO AGUSTÍN
Bien le conozco;
pero señor Don Anselmo
es tan viejo como yo.
DON BASILIO
Pero es rico.
TÍO AGUSTÍN
Ya: mas eso
no es casarla con un hombre.
DON BASILIO
¿Pues con quién?
TÍO AGUSTÍN
Con el dinero:
y estas uniones muy pocas
veces, felices se vieron.463
Agustín transportiert das Familienbild der spanischen Spätaufklärung nicht nur über sein Plädoyer für die Neigungsehe, sondern auch
dadurch, dass er sich nicht als Autoritätsperson, sondern als Freund
und Vertrauter seines Sohnes versteht:
TÍO AGUSTÍN
¿Puedes encontrar Bernardo
un confidente más bueno,
463
Valladares (1801: 8, vv. 592-596).
546 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
un amigo más amable,
para guardar sus secretos
que un padre el más compasivo,
amoroso, dulce y tierno?464
Protagonisten wie der Kaufmann Wilson aus El fabricante de paños
(1784) sind zwar ebenfalls liebende Väter, die sich um das Schicksal
ihrer Nachkommen sorgen, an keiner Stelle bezeichnen sie sich allerdings als ‚Freunde‘ ihrer Kinder. Das gilt auch für den Bergmann
Ricardo aus El carbonero de Londres (1790), der eher die Rolle eines erfahrenen und zugleich konservativen väterlichen Ratgebers innehat.
Im Hinblick auf die Figur des Vaters ist also in El trapero de Madrid
ein deutliches Zugeständnis an das aufklärerische Familienbild zu
verzeichnen, demzufolge das Ideal der Freundschaft sowohl für die
Instanz der Ehe (vgl. Kap. 6.2) als auch für die Eltern-Kind-Beziehung
als Leitbild gilt.
7.8.2. Feudalstrukturen im bürgerlichen Gewand
Ebenso wie die Beziehung zwischen dem Fabrikanten Esteban und
seinem Lehrling Blas aus Duráns La industriosa madrileña reproduziert
auch die des Wollhändlers Basilio zu seinem Sekretär Bernardo das
in der spanischen Literatur seit dem Mittelalter vielfältig inszenierte
Verhältnis zwischen Lehnsherr und Vasall. Diese feudale Konstellation präsentiert sich in der comedia económico-sentimental im bürgerlichen Gewand und erfährt damit eine Aktualisierung. Ein Handlungselement, das die sentimentale Komödie neu in diese Konstellation
einbringt, ist, dass der Untergebene und sozial Unterlegene nun die
Tochter seines Herren begehrt. Wird dieses Begehren zunächst kritisch gesehen, darf der eben nur scheinbar Unterlegene am Ende zum
Überlegenen werden, indem er als Retter seines in die Bredouille gekommenen Herrn fungiert, seinen Kontrahenten durch moralische, finanzielle und/oder soziale Überlegenheit aussticht und/oder dadurch
triumphiert, dass er seine Herzensdame gewinnt. Diese Plotstruktur
verwendet Zavala y Zamora in El triunfo del amor y la amistad (1793)
ebenso wie Valladares in El trapero de Madrid. Sie kehrt, wenn auch mit
464
Valladares (1801: 9, vv. 635-640).
7. Vir faber und vir rusticus
547
umgekehrten Geschlechterrollen, in La industriosa madrileña wieder,
wo sich die arme Weberin als Gräfin erweist, die Estebans Textilfabrik
zudem durch ihre Kenntnisse ausgefeilter Webtechniken einen Vorteil
gegenüber der bedrohlichen französischen Konkurrenz verschafft.
Erfährt der Vasall im Feudalsystem die Anerkennung des Königs
dadurch, dass ihm vom Souverän ein Schwert überreicht wird, oder
indem er eine Rüstung oder Uniform erhält, die jeweils seinen Aufstieg in der militärischen und sozialen Hierarchie symbolisieren, erfährt dieser Akt in vielen der hier bereits untersuchten Stücke eine
aufklärerische Aktualisierung, die darin besteht, dass es nun Bürgersleute sind, denen symbolisch aufgeladene Objekte zum Dank für ihre
Taten überreicht werden. In den meisten bisher betrachteten comedias económico-sentimentales ist dieses Objekt ein Gewand, das einem
Untergebenen von einer ranghöheren Person nicht nur als Lohn für
besondere Verdienste überreicht wird, sondern zugleich als Auszeichnung dient. Auch wenn die Überreichung eines Kleidungsstücks den
Aufstieg nicht immer unmittelbar herbeiführt, markiert es zumindest
die Möglichkeit eines Wechsels auf die nächsthöhere Hierarchieebene.
Das Gewand, das beispielsweise der Textilfabrikant Esteban seinem
Lehrling Blas in La industriosa madrileña als Belohnung für seine Bemühungen am Webstuhl überreicht, ist zugleich eine Verheißung gesellschaftlichen Aufstiegs und mit der Absicht des Jünglings verknüpft,
selbst einmal ein erfolgreicher Unternehmer zu werden. In El carbonero
de Londres erhält der Bergmannssohn Genaro als Lohn für seine Treue
vom Monarchen eine Hauptmannsrobe, durch die er vom geächteten
Handwerker zum geachteten Mitglied des Militärs wird. Desgleichen möchte der Schneidermeister Cortines seiner Tochter durch ein
prunkvolles Gewand zu gesellschaftlichem Glanz verhelfen. Einmal
mehr erweisen sich Textilien damit als neue, Schwert und Rüstung
ablösende Marker sozialen Prestiges. Auch dies vermag – neben der
Stellung der spanischen Textilindustrie als ‚Sorgenkind‘ der Reformökonomie – die tragende Rolle des Textilgewerbes in den bisher analysierten Stücken zu erklären. Darin wird dieser Industriezweig durch
eine ganze Palette von Figuren repräsentiert, die vom Kaufmann über
den Textilfabrikanten bis hin zum Schneider und Lumpensammler
reichen. Was das mit der Auszeichnung des fleißigen Bürgers in der
comedia económico-sentimental obligatorisch einhergehende Königslob
anbelangt, fehlt auch dieses in El trapero de Madrid nicht, wenn Basilio
sich bei Agustín erkundigt, was sich denn in Gibraltar an militärischen
548 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Entwicklungen abzeichne und der Lumpensammler daraufhin zum
Herrscherlob ansetzt und bekundet, den König in seine Gebete einzuschließen.465
Dass die Figur des ebenfalls dem Textilgewerbe angehörenden
Wollhändlers Basilio der eines Feudalherren gleicht, legt Valladares‘
Stück dadurch nahe, dass es ihm nicht nur einen immensen Reichtum von dreieinhalb Millionen Peseten zuschreibt,466 der sich im weiteren Verlauf des Stückes auf vier Millionen erhöht,467 sondern auch
erwähnt, dass Basilio bei Hofe ein gern gesehener und einflussreicher
Gast ist:
BERNARDO:
[...]
su buen padre [de Rita], y mi señor
es poderoso en extremo,
y de gran fama en la Corte.
¿Y qué es el mío? ¡un trapero
infeliz! un hombre honrado;
pero que tiene un grosero
ejercicio; ¿y qué no es digna
la virtud de todo aprecio?
Es verdad. Pues en mi padre
siempre está reinando; ¿luego
por qué el mundo desestima
tan grande merecimiento?
Pero en fin sea mi padre
infeliz, sea en extremo
rico Don Basilio, sea
mi amo, y yo su criado, debo
465
Valladares (1801: 7, vv. 453-461): „Yo no entiendo / esas cosas: cada día / a Dios
dirijo mis ruegos, / para que a nuestro Monarca / glorioso, invicto y excelso / le llene
de bendiciones, / y le dé triunfos completos: / ésta mi obligación es, / en lo demás no
me meto.“ Der Verweis auf die spanische Belagerung Gibraltars (1779–1783) als dem
letzten Versuch der Krone, es von den Engländern zurückerobern, – eine Unternehmung, bei der auch Cadalso stirbt – stellt einen deutlichen Gegenwartsbezug her, mit
dem Valladares die Aktualität der zentralen Themen seines Stückes (Vernunft- vs. Neigungsehe; der gesellschaftliche Status des arbeitenden Menschen) bekräftigt. Zu den
spanischen Belagerungen und den Versuchen der Rückeroberung Gibraltars vgl. auch
Pietschmann (1993: 219ff.).
466
Vgl. Valladares (1801: 2, vv. 51f.).
467
Vgl. Valladares (1801: 11, vv. 804-807).
7. Vir faber und vir rusticus
549
esperar, pues me ama Rita,
el éxito que deseo,
pues en los riesgos de amor
tal vez son dichas, los riesgos.468
In dieser Replik hebt Bernardo das zwischen ihm als Sohn eines
Werktätigen und Basilio als einem ebenso reichen wie mächtigen
Kaufmann bestehende soziale Gefälle hervor. Arbeit erscheint auch
hier zunächst als gesellschaftlicher Makel, wenn Bernardo von Agustíns „grosero ejercicio“ spricht, der dazu führe, dass der Vater angesichts seines tugendhaften Charakters zwar ehrbar („honrado“), aber
dennoch geringgeschätzt sei („el mundo desestima“). Diesbezüglich
offenbart sich eine Parallele zwischen Agustín und dem Schneider
Cortines aus Trigueros‘ Los menestrales. In feudaler Terminologie bezeichnet Bernardo schließlich Basilio als seinen Herrn („amo“) und
sich selbst als dessen Diener („criado“), womit das Verhältnis der beiden nicht als bloßes Dienstverhältnis markiert ist, sondern auch als
eines, das Bernardos Treue gegenüber seinem Herrn verlangt. Das hierarchische Verhältnis zwischen Kaufmann und Sekretär orientiert sich
somit am feudalen Konzept der Lehnstreue des Vasallen gegenüber
seinem Feudalherren. Nicht nur erweist sich Bernardo als treuer Diener seines Herren, er legt darüber hinaus eine kaufmännische Risikobereitschaft an den Tag, die ihn als vir oeconomicus ausweist, als er die
Unwägbarkeiten seines Liebeswerbens um Rita als mögliche „dichas“
bezeichnet und damit dem kaufmännischen Leitspruch folgt, dass
ohne Risiko kein Gewinn zu erwirtschaften ist. In der Figur Bernardos
verbindet Valladares den feudalen Typus des loyalen Gefolgsmanns
mit dem aufklärerischen Typus des auf finanziellen und emotionalen
Gewinn bedachten vir oeconomicus, der sich allerdings stets im Rahmen der herrschenden Moral bewegen muss.
In Analogie zu den hier bereits analysierten Komödien über den
vir oeconomicus thematisiert auch Valladares‘ Stück die Kaufmannsehre. Für den Wollhändler Basilio zeigt sie sich darin, dass er, wie sein
Diener Aniceto gegenüber Anselmo bemerkt, nie bankrottging oder
Schulden hatte, und zudem über Bargeldbestände in Form von Silbermünzen verfügt. Dass sein Kapital überdies nicht ‚ruht‘, sondern
im Umlauf ist, weist Basilio zusätzlich als klugen Geschäftsmann aus.
468
Vgl. Valladares (1801: 6, vv. 418-420).
550 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Wie schon im Falle des Textilfabrikanten Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada und dem Kaufmann Bruno aus Comellas El hombre
agradecido ist es auch in El trapero de Madrid nicht allein die finanzielle
Potenz, die Macht und Ansehen des Kaufmanns begründet: Vonnöten
sind außerdem ein guter Geschäftssinn und ein exzellenter Ruf.469
7.8.3. Bürgerliche Finanzmacht und Lob der Arbeit
Als Basilios Diener Aniceto dem nach dem Vermögen des zukünftigen
Schwiegervaters trachtenden Anselmo gegenüber angibt, Basilio habe
niemals Schulden gehabt, entspricht dies nicht ganz der Wahrheit.
Wie man später in einem Dialog Basilios mit Agustín erfährt, schuldet der reiche Wollhändler ausgerechnet dem Lumpensammler „cien
doblones“. Wie es dazu kam, lässt Valladares‘ Komödie offen. Im
Gegensatz zum Kaufmann, dessen Geschäftsmodell auf der schnellen Abfolge von aufgenommenen Krediten, dem Ankauf von Ware,
ihrem Wiederverkauf, den daraus erzielten Einnahmen, Investitionen
und Wechseln besteht, sind dem Lumpensammler die Konzepte von
Wechsel und Kredit fremd, weshalb er stolz bekennt: „nunca he debido un cuarto“470. Diese Aussage veranlasst Basilio zu der Bemerkung:
„pocos pueden decir eso“.471 Im weiteren Verlauf der Komödie verringert sich das vermeintlich bestehende gesellschaftshierarchische
Gefälle zwischen dem Händler Basilio und dem werktätigen Agustín
zunehmend. Die Annäherung beider Figuren wird über die Aspekte Achtung, Geld, bürgerliche Tugend und schließlich Heldentum als
ehemals feudalem Wert vermittelt, der nun – wie von Jehle mit seinem
Konzept des ‚zivilen Helden‘ konturiert (vgl. Kap. 4.4) – in einen bürgerlichen Kontext eintritt. Don Basilio beglückwünscht Agustín dazu,
469
Vgl. Valladares (1801: 11, vv. 822-826). So entgegnet Aniceto auf Anselmos Frage
„[...] ¿Corre con buena fama [Don Basilio]?“, eine Frage, die eigentlich auf die Vermögensverhältnisse des Kaufmanns abzielt, gewitzt: „[...] Creo / que no quebró nunca.
Tiene / muy buena opinión, comprehendo / que está en giro su caudal, / no debe, y
hay plata. ¿Es esto / lo que preguntáis?“ Details über den kaufmännischen Kosmos
Don Basilios erfahren die ZuschauerInnen bereits durch die Verse 117ff., wo es um
die Geldströme und Wechsel geht, die zwischen Basilio und seinem holländischen Geschäftspartner Welferto fließen.
470
Valladares (1801: 7, v. 476).
471
Valladares (1801: 7, v. 477).
7. Vir faber und vir rusticus
551
dass dieser seinem Sohn Bernardo eine gute Erziehung hatte angedeihen lassen, wodurch der Wert der Erziehung als aufklärerisches Ideal
einmal mehr zum Ausdruck kommt:
BASILIO
Es mucha vuestra honradez
por la cual, y porque a vuestro
hijo Bernardo, habéis dado
buena educación, os quiero.472
In der seinem Filius zugedachten Erziehung offenbart sich zugleich
Agustíns Finanzkraft. Seinen Sohn nach Paris zu schicken, stellte für
den Lumpensammler keine finanzielle Herausforderung dar.473 Als
Bernardo sich weigert, dem Vater den Grund für seine gegenwärtige
Niedergeschlagenheit zu offenbaren und Agustín dessen Verstocktheit auf etwaige Schulden zurückführt, deutet sich schon an, wie vermögend Agustín ist, könnte er Bernardo doch ohne weiteres mit 500
Dublonen aushelfen:
TÍO AGUSTÍN
¿Pues por qué más no te explicas?
vamos, ¿te falta dinero?
toma, que en ese bolsillo
cincuenta doblones tengo,
(Lo saca y se lo entrega.)474
Die Frage, wie ein einfacher Lumpensammler so reich werden
konnte, beantwortet Valladares‘ comedia económico-sentimental in Form
eines wahren Loblieds auf die Werktätigkeit. In diesem Zusammenhang wird einerseits das entbehrungsreiche Leben des (körperlich)
arbeitenden Menschen beschrieben, andererseits aber auch Agustíns
‚Geschäftsmodell‘ skizziert, das auf drei Säulen beruht, die ihrerseits
drei bürgerliche Tugenden repräsentieren: die Werkarbeit, die die Tugend der industria symbolisiert; die Sparsamkeit, die hier an leiblicher
472
Valladares (1801: 7, vv. 498-501).
Vgl. Valladares (1801: 8, vv. 553-556). Wenn Agustín von Basilio gefragt wird:
„¿Pero no advertís que son / grandes los gastos para eso?“, entgegnet dieser: „He señor,
no faltaría / lo preciso para hacerlos.”
474
Valladares (1801: 9, vv. 659-663).
473
552 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Genügsamkeit festgemacht wird und für die Tugend der temperantia
steht; und letztlich die prudentia475 im Sinne der umsichtigen Vernunft,
die den Vater veranlasst, das erwirtschaftete Vermögen dem Sohn gegenüber geheim zu halten, um ihn nicht zur Prasserei zu verführen.
TÍO AGUSTÍN
Lo primero,
madrugando mucho, dando
abrigo sólo a mi cuerpo
con este tosco vestido,
y solamente comiendo
para vivir, sin vivir
para comer sólo, que esto
al cabo de muchos años
produce mucho dinero;
y más de cuarenta y cinco
hace que este oficio tengo.
Lo segundo, habiendo compras
abundantes en su tiempo,
y conservándola hasta
encontrar un corto premio;
aunque con verdad afirmo,
que nunca cometí el yerro
de la usura y que pagué
lo que compré a justo precio;
y lo tercero, ocultando
aquello que iba adquiriendo
a mi hijo, [...]
que si él llegase [...]
viéndose rico, fomento
daría a todos los vicios,
[...].476
475
Das Stück verweist darauf, dass sich auch Agustíns Sohn Bernardo und die
Kaufmannstocher durch die bürgerliche Tugend der prudentia auszeichnen. Damit
wird nahegelegt, dass sich Gleich und Gleich gut ergänzen. So bezeichnet Basilio Bernardo als vernünftig: „[...] es toda mi confianza / por su prudencia y talento.” Valladares (1801: 7, vv. 505f.). Bernardo wiederum schätzt an Rita, dass sie „muy prudente“
ist. Valladares (1801: 9, v. 687).
476
Valladares (1801: 27f., vv. 1034-1068).
7. Vir faber und vir rusticus
553
Dadurch, dass Agustín in genau dem Moment, in dem sich der
Kaufmann Basilio in höchster wirtschaftlicher Not befindet und sein
Hab und Gut gepfändet zu werden droht, mit einem Lumpenkorb voller Bargeld herbeieilt und obendrein offenbart, dass er ohne dessen
Wissen Basilios Haus gekauft hat, um es dem jungen Ehepaar Rita und
Bernardo einschließlich einer Mitgift von einer Millionen und 24.000
reales zu schenken, von denen nach Begleichung der Schulden Basilios noch eine halbe Million verbleibt,477 erscheint er als heldenhafter
Retter in der Not. Dieses wird in einer Replik Don Luis‘ deutlich, in
der von der „acción heróica del tío Agustín Velázquez“478 die Rede
ist. Bemerkenswert ist, dass Agustín auch hier und nach der Bekanntgabe seines Adelsstandes als „tío“ und nicht als „don“ bezeichnet
wird, was deutlich macht, dass die Adelskonvention hier nicht von
zentraler ideologischer, sondern eher von formaler479 Bedeutung ist.
Zudem bleibt Agustín durch die Fortführung seines Beinamens „tío“
als werktätige Figur markiert.
Hochsymbolisch ist die Szene, in der der vom Sohn so sehr verabscheute Korb des Lumpensammlers als anrüchiges Utensil des trabajo manual an zentraler Stelle auf der Bühne erscheint. In dem Korb,
den Agustín ironisch und in Anbetracht der Schambekundungen des
Sohnes als „odiosa cesta“480 bezeichnet, befindet sich das Geld, das
die Heirat zwischen der Kaufmannstochter Rita und Bernardo ermöglicht,481 allerdings erst nachdem die Adelskonvention in Kraft getreten ist.482 Von entscheidender Bedeutung in diesem Zusammenhang
ist der im Nebentext getätigte Hinweis, dass das Geld im Korb beim
Transport klingelt: „Mueven la cesta y suena el dinero.“483 Das Geld
findet damit nicht nur auf der Bühne Erwähnung, sondern ist in seiner Materialität von Bedeutung. Der Lumpenkorb wiederum verliert
durch das Geld seinen anstößigen Charakter und wird zum heilbringenden Utensil. Nicht umsonst erinnert das Klingeln des Geldes im Korb an das Glöckchen, das während der Eucharistiefeier die
477
Vgl. Valladares (1801: 27, vv. 1019-1025).
Valladares (1801: 28, v. 1080).
479
In diesem Sinne ist sie ein Element des populären Theaters, das dazu dient, die
Erwartungshaltung des Publikums zu befriedigen.
480
Valladares (1801: 27, v. 1011).
481
Vgl. Valladares (1801: 27, vv. 1011-1015).
482
Vgl. Valladares (1801: 25, vv. 843ff.).
483
Valladares (1801: 27, v. 1015).
478
554 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Transformation des Brotes in den Leib Christi ankündigt. Sieht das Publikum in Valladares‘ El carbonero de Londres im Kontext der Bergung
des Schatzes eine Spitzhacke auf der Bühne, so steht diese dort (noch)
nicht im Kontext der schmachvollen Werktätigkeit der Protagonisten,
sondern repräsentiert diese metonymisch.484 Die Werkzeuge Agustíns
hingegen sind bei nahezu jedem Auftritt der Figur auf der Bühne präsent. Schon bei seinem ersten Auftritt erscheint der Lumpensammler
mit den Insignien seiner Werktätigkeit, auf die Basilio dann auch noch
deiktisch verweist:
DON BASILIO
[...]
mas el tío Agustín, su padre [de Bernardo]
con todos los instrumentos
de su ejercicio, aquí llega.
Le quiero bien, que es un viejo
en extremo, honrado; tío...
(Sale el TÍO AGUSTÍN con su cesta y gancho.)485
Auch im Nebentext wird noch einmal explizit auf diese Werkzeuge hingewiesen, die Agustín sodann demonstrativ ablegt: „Deja a un
lado cesta y gancho.”486 Dass diese Werkzeuge die Instrumente einer
schweißtreibenden körperlichen Arbeit sind, macht Agustín in seiner
Rede explizit, wenn er von „el trabajo, el sudor, / y el afán de tanto
tiempo“487 spricht, während sein Sohn vor lauter Scham am liebsten
im Boden versinken möchte: „¿A qué venís? / ¡también traéis los instrumentos / de vuestro ejercicio! O Dios!“488
Obgleich die Werkzeuge in El trapero de Madrid öfter auftauchen
als in El carbonero de Londres, bleibt ihr Status ambivalent. Fungieren
diese Utensilien einerseits als rettende Werkzeuge und sind sie somit
handlungsentscheidend, dürfen sie andererseits nur um den Preis ihrer wundersamen Heilsfunktion auf der Bühne erscheinen. Dennoch
erfolgt in El trapero de Madrid ein entschiedeneres Lob der Arbeit als in
484
Zur Funktion von Werkzeugen in den genannten Stücken vgl. Schuchardt (2022:
205ff.).
485
Valladares (1801: 7, vv. 442-446).
486
Valladares (1801: 7, v. 503).
487
Valladares (1801: 24, vv. 777f.).
488
Valladares (1801: 24, vv. 783-786).
7. Vir faber und vir rusticus
555
anderen Stücke von Valladares‘. Dies zeigt sich in einem Dialog zwischen dem Wollhändler und dem Lumpensammler, in dem Basilio anmerkt, eine andere Tätigkeit („otro ejercicio“489) stünde dem tugendhaften Agustín besser zu Gesicht. Darauf entgegnet Agustín, seinen
Beruf gegen keinen anderen eintauschen zu wollen und bekräftigt,
dass seine Tätigkeit entgegen allem Anschein eine ehrbare sei:
TÍO AGUSTÍN
Ya: pero
creed que no abandonaría
por el más noble el que tengo.
Cuarenta y cinco años hace
que soy en Madrid trapero,
mas con tal felicidad
que ni aun me ladran los perros:
todo el mundo me conoce
y me estima: no hay empleo
en el que no pueda el hombre
ser virtuoso: mas aprecio
vestir este tosco paño,
pero llevar descubierto
mi rostro, que seda y oro
con el trabajo molesto,
de ocultarle a todo el mundo
por deudas, trampas o enredos.490
Im gleichen Maße, wie del Reys La modesta labradora und Valladares‘ El carbonero de Londres die idyllische Welt des Landlebens mit der
abgründigen Welt des Hofes kontrastieren, wird dieser Gegensatz
zwischen ‚einfach‘ und ‚pompös‘ auch hier bemüht, nun allerdings
im städtischen Kontext. Wie schon bei del Rey kommt auch hier die
einfache Tracht des arbeitenden Menschen ins Spiel, wenn Agustín
das „tosco paño“ (s.o.), das er trägt, über Seide und Gold stellt, für
seine Kleidung aber auch ein praktisches Argument anbringt, nämlich die Befürchtung, dass ein besseres Gewand durch seine Werktätigkeit beschmutzt werden könnte („que seda y oro / con el trabajo
molesto“, s.o.). Der ‚grobe Stoff‘ von Agustíns Berufskleidung bildet
489
490
Valladares (1801: 7, v. 481).
Valladares (1801: 7, vv. 480-497).
556 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ein Äquivalent zu Inés‘ einfacher Kleidung, über die sich der Marqués
in La modesta labradora mokiert, während die junge Frau durch ihr Verhalten die Würde ihrer bäuerlichen Tracht bekräftigt. Beide ProtagonistInnen, das Bauernmädchen Inés und der Lumpensammler Agustín, erweisen sich am Ende als adelig, und in beiden Stücken leitet sich
die Würde der Tracht des arbeitenden Menschen aus einem adeligen
Standesbewusstsein her. Beiden Komödien gemeinsam ist überdies,
dass auch hier der Wert des ser den des parecer überwiegt: Wie schon
in den Kaufmannskomödien gilt auch in El trapero de Madrid das Motto: Ein tugendhafter, da arbeitsamer Lebenswandel („no hay empleo
/ en el que no pueda el hombre / ser virtuoso“, s.o.) führt zu sozialer
Anerkennung („todo el mundo me conoce / y me estima“, s.o.). Daher
sei ein Leben, das sich zum trabajo manual bekennt, erstrebenswerter
als eines, das der Verstellung zu Zwecken der Selbstbereicherung diene („mas aprecio / [...] llevar descubierto / mi rostro [...] / que [... ] de
ocultarle”). Über die Figurenrede hält Valladares hier ein deutliches
Plädoyer für den gesellschaftlichen Wert des arbeitenden Menschen,
die hier eben nicht mehr schamhaft und mit verborgenem Gesicht,
sondern selbstbewusst und mit ‚offenem Visier‘ daherkommt, allerdings noch mit dem geheimen Trumpf des Adelstitels ausgestattet
sein muss, um bar jeden sozialen Zweifels zu sein.
Spielte die Dialektik von bürgerlichem Aufstiegswillen und der
Eindämmung desselben durch das Konzept des Staatsbürgers in Trigueros‘ Los menestrales eine zentrale Rolle, bekennt sich auch der Lumpensammler Agustín zu den Pflichten des Staatsbürgertums. Auch in
El trapero de Madrid wird der Begriff des „ciudadano“ mit der Kritik an
der Handwerksflucht verknüpft, und zwar, wenn der Lumpensammler auf seinen Sohn zu sprechen kommt:
TÍO AGUSTÍN
[...]
Ya sé que lo es: conque cómo
no ha de ser mi gozo extremo,
si en mi hijo logré formar
un ciudadano tan bueno.
Bien quise que se inclinase
a seguir mi propio empleo;
mas los hijos pocas veces
nos siguen, y más aquellos
7. Vir faber und vir rusticus
557
que por anhelar ser más
se olvidan de lo que fueron.491
Das entscheidende Argument, das den Sohn in den Augen des Vaters davon abhält, den väterlichen Beruf zu ergreifen, ist das „anhelar
ser más“. Dass der bürgerliche Wille, sozial aufzusteigen, bei Bernardo gegeben ist, zeigen sowohl die schon angeführte Szene, in der er
sich der Tätigkeit seines Vaters schämt als auch seine bereits dargelegte Risikobereitschaft in Geschäftsdingen.
7.8.4. Abermals Molière
Wurde bereits herausgearbeitet, wie sehr der mit Gefühlen ebenso wie
mit Gastfreundschaft geizende Kaufmann Don Roque aus Moratíns
El viejo y la niña dem Geizigen aus Molières gleichnamiger Komödie
gleicht, bietet Harpagon auch Valladares eine Vorlage für die Gestaltung des begehrlichen Alten Anselmo, dem weniger an Ritas Qualitäten als Ehefrau denn an ihrer Mitgift von einer Million reales492 gelegen ist: „[...] veremos / cómo se explica [Don Basilio], en el objeto /
del dote, que es el objeto / principal que me conduce / a esta boda.“493
Somit kann festgehalten werden, dass die Dramenproduktion Molières ebenso Moratín wie Valladares als Intertext dient, ein Umstand,
der für viele Stücke des spanischen 18. Jahrhunderts gilt. Schon Merciers La brouette du vinaigrier schlägt intertextuelle Brücken zu Molière,
dessen Werk Mercier wohlbekannt ist. 1776 verfasst er ein Stück mit
dem Titel Molière, das seinerseits auf der Vorlage eines gleichnamigen
Stückes aus der Feder Carlo Goldonis (1707-1793) basiert.494 Auch der
491
Valladares (1801: 7, vv. 517-526).
Vgl. Valladares (1801: 13, vv. 953f.).
493
Valladares (1801: 11, vv. 773-776).
494
Vgl. hierzu Guthmüller, Bodo (2004): „Molière im Spiegel Goldonis und Merciers“. In: Cañas Murillo, José/Schmitz, Sabine (eds.). Aufklärung: Literatura y cultura
del siglo xviii en la Europa occidental meridional. Frankfurt/Main: Lang, pp. 95-108, insbesondere pp. 99ff. Wie schon Goldoni mit seinem Drama Molière (1752) „weniger eine
Komödie im ‚Stil‘ Molières als eines jener ‚drames bourgeois avant la lettre‘“ geschrieben hatte, „mit denen sich Goldoni auf ein ‚genre sérieux italiano‘“ zubewegt, aktualisiert auch Mercier Goldonis Komödie Molière im Dienste seiner eigenen, an Diderots
Konzept des drame bourgeois angelehnten Dramentheorie, die Mercier in Du théâtre ou
492
558 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Umstand, dass sich La brouette du vinaigrier auf nur wenige Charaktere
konzentriert und damit einen engen bürgerlichen Kosmos fokussiert,
ist Aggéri zufolge ein Verweis auf Molière.495
Dass Anselmo bei Basilios Diener Aniceto vorab Erkundigungen
über die finanziellen Verhältnisse und das Geschäft seines künftigen
Schwiegervaters einholt, zeigt, dass er nicht nur bestrebt ist, aus der
Ehe mit Rita das größtmögliche Kapital zu schlagen, sondern auch,
dass er ein taktisch geschickt agierender Stratege und zudem verschlagen ist. Dies wird auch anhand seiner Sprache ersichtlich. Als er
Basilio nach der Höhe der Mitgift fragt, wählt er für das Geld eine
Paraphrase: „[...] qué beneficios paternos / hará vuestro corazón / tan
generoso y tan tierno / a vuestra hija.“496 Auch weisen ihn zahlreiche
apartes als verschlagenen Charakter aus.497
In Analogie zu M. de Jullefort bei Mercier ist auch Anselmo der
komische Charakter des Stückes. Als er auf seine zahlreichen Verlobungen zu sprechen kommt, die er stets aus finanziellen Erwägungen platzen ließ, wirft dies nicht nur ein Licht auf seinen schlechten
Charakter. Seine Ausführungen sorgen überdies in ihrer Derbheit für
Komik, wenn er beispielsweise zum Besten gibt, dass er auf die Ehe
mit einer zwar reichen, für damalige Verhältnisse aber vergleichsweise alten Dreißigjährigen spekuliert hatte, sich aber von dem Eheversprechen löste, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, die er allein
deshalb verurteilt, weil sie sich negativ auf die Besitzverhältnisse ausgewirkt hätte:
conocí un día en su aspecto
que se hallaba embarazada.
[...]
la maldita vieja
de aquel abundante seno
echó tres hijos, y tres
Nouvel essai sur l’Art dramatique (1773) und De la littérature et des littérateurs, suivi d’un
Nouvel examen de la tragédie françoise (1778) darlegt. Vgl. Guthmüller (2004: 99). Mercier
reizt an Goldonis Molière vor allem, dass er darin eine Präfiguration seiner eigene Dramenkonzeption sieht. Vgl. Guthmüller (2004: 107).
495
Vgl. Aggéri (1972: 30).
496
Valladares (1801: 12, v. 815).
497
Zu Anselmos Beiseitesprechen vgl. insbesondere Valladares (1801: 13, vv. 970ff.).
7. Vir faber und vir rusticus
559
partes del caudal se fueron
con los diablos.498
Aus dem Umstand, dass seine – stets nur gespielte – Zuneigung
von der Höhe der Mitgift abhängig ist, macht Anselmo keinen Hehl,499
was Aniceto dazu veranlasst, ihn aparte als „perverso“500 zu bezeichnen, d.h. als eine ihrem Stand nicht gerecht werdende, moralisch korrumpierte Person.501
7.9. Zwischenbilanz: Heldentum der Arbeit als soziale Evasion
Die vorausgehenden Analysen haben gezeigt, dass es die ambivalente
theatrale Inszenierung des vir faber als Repräsentant des Handwerks
ist, die die diskursiven Brüche der comedia económico-sentimental deutlich hervortreten lässt. Dass gerade die sentimentale Komödie durch
ideologische Widersprüche gekennzeichnet ist, konstatiert auch García Garrosa:
La exaltación de las virtudes de la burguesía permite que ésta se afirme
como grupo social frente a la nobleza. Ser burgués – parece ser la lección
del teatro sentimental – es ya tan digno como ser noble. No hay por qué
avergonzarse de una condición y unas actividades que os hacen ciudadanos honestos y útiles a la sociedad, que os enriquecen y os dan un poder
que acabará imponiéndose al de la nobleza; y, ante todo, que os procuran
la virtud, y con ella la felicidad. Pero a los burgueses eso no parece bastarles, y siguen pensando que ser noble es bien más estimable. Por eso, la
mayor parte de nuestras comedias concluyen con el ennoblecimiento del
protagonista plebeyo. De lo cual se deducen dos cosas: que el teatro sentimental encierra una importante contradicción ideológica, y que, a pesar
de todos, a finales del siglo xviii, la aristocracia sigue siendo un estamento
498
Vgl. Valladares (1801: 11f., vv. 830ff.).
Vgl. Valladares (1801: 12, vv. 897-899): „[...] Mi afecto / llegará a un millón de
grados, / si lleva un millón de pesos.“
500
Vgl. Valladares (1801: 12, vv. 909f.): „[...] / y que casar quiera mi amo / su hija
con este perverso.”
501
Vgl. Diccionario de Autoridades (1737), vol. V: „PERVERSO, SA. adj. Sumamente
malo, defectuoso en su línea [sic], depravado en las costumbres o [sic] obligaciones de
su estado.“
499
560 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
social con suficiente peso como para que los miembros de los demás estados quisieran asimilarse a ella.502
Fraglich ist, in welchem Maße die Adelskonvention in der Mehrzahl
der Stücke vor allem eine Konzession an den Publikumsgeschmack ist
und zu Zwecken der Identifikation mit den handelnden Figuren dem
Bedürfnis der ZuschauerInnen Genüge tut, in den Adel aufzusteigen,
oder inwiefern es darum geht, eine ideologische Maßgabe des aufgeklärten Absolutismus umzusetzen, derzufolge Handwerk und Werkarbeit nur dann mit einer Einheirat in großbürgerliche oder gar adelige
Kreise vereinbar sind, wenn sich die arbeitenden AspirantInnen503 am
Ende als adelig erweisen. Damit wird zwar die handwerkliche Tätigkeit symbolisch geadelt, gleichzeitig aber eine faktische Übertretung
der Standesgrenzen vermieden, sodass die Konventionen der feudalen Ständeordnung gewahrt bleiben. Wahrscheinlich ist, dass beide
Aspekte eine Rolle spielen, was abermals den Spagat veranschaulicht,
den die DramatikerInnen der spanischen Spätaufklärung zwischen
der Berücksichtigung populärer Plotstrukturen auf der einen und
Zensurzwang auf der anderen Seite vollziehen müssen.
Unstrittig ist, dass die Identifikation des Publikums mit den auf
der Bühne agierenden ProtagonistInnen der didaktischen Absicht des
Theaters dienlich ist, die darin besteht, den ZuschauerInnen die Wirtschaftszweige nahezubringen, die laut der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus am ehesten dazu geeignet sind, Spanien zu
einem florierenden Land zu machen. Neben Handel und Textilwirtschaft sind dies im Agrarstaat Spanien Handwerk und der Ackerbau,
jene Sektoren also, auf das das reformökonomische Programm des
Grafen von Campomanes seinen Schwerpunkt legt. Im Sinne dieses
Programms bringt die comedia económico-sentimental ihrem Publikum
nicht nur die für die Nationalwirtschaft bedeutsamen und förderungswürdigen Sektoren nahe, sondern zugleich Schlüsselbegriffe der Politischen Ökonomie: das Konzept des Staatsbürgertums mit den sich
aus ihm ergebenden Pflichten und den Wert der Arbeit als universelle
und im finanziellen ebenso wie im moralischen Sinne kapitalbildende
Tugend.
502
García Garrosa (1990: 174).
Ein singuläres weibliches Beispiel unter vielen männlichen ist die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña (vgl. Kap. 8.2.1f.).
503
7. Vir faber und vir rusticus
561
Die Identifikation des Publikums mit handwerklich oder im Ackerbau tätigen und sich am Ende als adelig erweisenden ProtagonistInnen,
die in der Mehrzahl der untersuchten Stücke die Rolle von Heldenfiguren einnehmen – z.B. der seinen König rettende Bergmann Genaro
oder der den Wohlstand des Kaufmanns Basilio wiederherstellende
Lumpensammler Agustín –, steht allerdings nicht allein im Dienst des
erzieherischen Auftrags des Theaters, sie ist auch ein unterhaltungsmedialer Katalysator gesellschaftlicher Konflikte: Die hier untersuchten
Beispiele eines populären sentimentalen Wirtschaftstheaters nähren
und befriedigen die evasiven Bedürfnisse der körperlich schwer arbeitenden Teile des Publikums, des vulgo. Dass Verfechter der Neoklassik
wie Jovellanos eben diesen Teil des Publikums aus dem Theater verbannen wollen,504 deutet auf den Einfluss dieser Schicht auf Themenwahl und Aufführungspraxis der Stücke hin. Immerhin stellt der vulgo
bis zu der von Jovellanos vorangetriebenen Erhöhung der Eintrittspreise im Jahre 1797 die Mehrzahl der ZuschauerInnen. Demnach gilt
es, das von den Neoklassikern gewünschte Publikum, den pueblo, dessen berufliche Tätigkeit in der ‚Kopfarbeit‘ des Kaufmanns und des
Fabrikanten besteht, von dem realen Publikum zu unterscheiden, das
sich mehrheitlich aus Werkarbeitenden zusammensetzt. Ginge es nach
Theaterreformern wie Jovellanos, gebührte dieser Zuschauergruppe,
ihrer Alltagswirklichkeit und ihrem Bedürfnis nach Zerstreuung kein
Raum, was sich in den neoklassischen Dramen entweder durch ein
großbürgerliches Setting niederschlägt oder dadurch, dass ambitionierte viri fabri, wie etwa bei Trigueros, auf ihren Platz in den unteren
gesellschaftlichen Rängen zurückverwiesen werden. Im Theater Comellas, das die Neoklassik mit dem populären Theater vereint, sowie
in den populären Stücken Valladares de Sotomayors, wird der arbeitende Mensch ebenso in seinen Vorlieben berücksichtigt wie figural
504
Vgl. dazu auch Tschilschke (2018: 252) mit Bezug auf Jovellanos (1998): Espectáculos y diversiones: „A ‚la gente pobre que vive de su trabajo, para la cual el tiempo es
dinero‘ [p. 214], como dice el famoso razonamiento a la vez economista y moralista,
liberal y paternalista de Jovellanos, si bien se le concede el derecho al tiempo libre y a
disponer libremente de ello, fuera del control del Estado, se le niega por otro lado o, al
menos, se desaprueba que frecuente el teatro: ‚Este pueblo necesita diversiones, pero
no espectáculos. No ha menester que el gobierno lo divierta, pero sí que le deje divertirse. En los pocos días, en las breves horas que puede destinar a su solaz y recreo, él
buscará, él inventará sus entretenimientos. Basta que se le dé libertad y protección para
disfrutarlos‘ [p. 183].“
562 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
repräsentiert, was den Erfolg dieser Stücke erklärt. Die ebenfalls beim
Publikum punktenden neoklassischen Komödien Moratíns hingegen
sind das Theater eines gehobenen Bürgertums. Die populäre Variante
der comedia económico-sentimental macht sich bestimmte Elemente der
Neoklassik zu eigen und bietet diese dem körperlich arbeitenden Volk
auf eine für dieses ansprechende Art dar, ohne dabei im ursprünglichen Sinne ‚volkstümlich‘ zu sein.
In den hier untersuchten sentimentalen Komödien populärer Prägung können die Stellvertreterfiguren dieses Volkes auf der Bühne
den Beschränkungen ihres einfachen Standes als HandwerkerInnen,
Bauern bzw. Bäuerinnen oder Kleinstgewerbetreibende letztlich entkommen, in bessere Verhältnisse einheiraten und der gesellschaftlichen Missachtung, die sie aufgrund ihrer Werktätigkeit erdulden
mussten, entfliehen. Mehr noch: Sie triumphieren über die, die sie verachtet hatten, wenn sich ihr über allem bürgerlichen Reichtum stehender Adel herausstellt. Die in der hispanistischen Literaturwissenschaft
lange Zeit gegenüber dem sentimentalen ökonomischen Theater populärer Prägung vorherrschende Nichtachtung und die Bevorzugung
der Neoklassik, gerechtfertigt mit fadenscheinigen Argumenten der literarischen Qualität, hat bis zu den mit dieser Denktradition brechenden Studien von Jorge Campos (1969) und Ivy McClelland (1979) den
Blick auf die Leistungen dieses Theaters für die Darstellung arbeitender Menschen und deren Selbstverständnis verstellt.505
Dass die Konvention des geheimen oder geheim gehaltenen Adels
im spanischen Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts weit häufiger anzutreffen ist als ein tatsächlicher gesellschaftlicher Aufstieg des
vir faber, wie ihn der Bergmann Genaro durch seine Ernennung zum
Hauptmann erfährt, zeigt, wie sehr auch die gemeinhin als ‚Bürgertheater‘ identifizierte sentimentale Komödie dem feudalen Status Quo
verpflichtet bleibt: Denn wenn sich am Ende diejenigen als adelig erweisen, die es ohnehin schon immer waren, wird damit die ‚rechte‘,
Vgl. auch Jehle (2010: 179), der ebenfalls konstatiert: „Die Rede vom ‚Neoklassizismus‘, die stets den ästhetischen Abgrund zwischen Moratíns Komödien und den
Werken Comellas in den Vordergrund gestellt hat, übersah allzu lange, dass beide
Richtungen die Sache der Aufklärung betreiben, indem sie der ‚clase media‘ zu ihrem
kulturellen Ausdruck und mithin zur Bildung eines sie unterscheidenden Bewusstseins verholfen hat.“ Dass ein solches Klassenbewusstsein des Bürgertums im 18. Jahrhundert überhaupt bestanden hat, bestreitet Maravall (s.o.), wenn er statt von einer
„conciencia de clase“ lediglich von einer „mentalidad burguesa“ spricht.
505
7. Vir faber und vir rusticus
563
d.h. die feudale Ordnung wiederhergestellt. Diese wird durch protoliberalistische und progressiv anmutende Stücke wie Comellas El
buen labrador ebenso wenig in Frage gestellt wie durch neoklassische
und im Hinblick auf das in ihnen entworfene Gesellschaftsbild konservative Stücke wie Trigueros‘ Los menestrales. Angesichts der omnipräsenten staatlichen und religiösen Zensur kann eine ‚andere‘ soziale
Ordnung nur sehr vereinzelt aufscheinen, beispielsweise in der durch
Comella entworfenen Abendmahlsszene.
Gerade der Aspekt der sozialen Evasion der arbeitenden Schichten in der Fiktion des Theaters offenbart abermals die katalysatorische
Funktion dieses Unterhaltungsmediums im Dienste der Politischen
Ökonomie. Indem Ehrbarkeit und sozialer Aufstieg des arbeitenden
vulgo auf die dramatische Fiktion verlagert werden, soll die Gefahr
eines Aufbegehrens des arbeitenden Volkes gegen das feudale System
gebannt werden, eine Sorge, die durch die revolutionären Ereignisse
im Nachbarland Frankreich befeuert wird. Neben dem neoklassischen
Theater erweist sich die populäre Variante der comedia económico-sentimental als ambivalenter Raum, in dem sich im vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus zum einen das im Entstehen begriffene Bewusstsein des Bürgertums und der Werktätigen figural manifestiert; zum
anderen dient dieses Theater als eine Art ‚Sedativum des Volkes‘.506
Geht man davon aus, dass sich der wirtschaftsreformerische Diskurs der Politischen Ökonomie über das Druckmittel der Zensur bis
ins populäre Theater hinein fortpflanzt, dann sind die wiederholten
Referenzen auf das Religiöse in den analysierten Stücken populärer
Prägung nicht allein Angebote zur Identifikation des Publikums mit
dem auf der Bühne Gespielten; vielmehr und vor allem sind diese
Referenzen Teil einer Strategie der Legitimation eines auf das kulturelle Feld des Theaters ausgeweiteten säkularen Regierungsdiskurses,
dem durch seine Kopplung an das traditionelle Element des Religiösen der Schrecken des Neuen genommen werden soll. Dass diese Legitimation des Theatralen durch das Religiöse auch in gegenläufiger
506
Dieser Begriff ist bewusst an Marx‘ vielzitierten Ausspruch „Opium des Volkes“
angelehnt, wie ihn Marx in der „Einleitung“ seiner Schrift Zur Kritik der Hegelschen
Rechtsphilosophie (1843/44) formuliert. Vgl. Marx, Karl (1976 [1927]): „Zur Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“. In: idem/Engels, Friedrich. Werke, vol. I.
Berlin (DDR): Karl Dietz, pp. 378-391, hier p. 378.
564 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Richtung funktioniert und (seltene) Momente der Subversion ermöglicht, veranschaulicht abermals Comellas besagte Abendmahlsszene.
Trotz ihres politischen Konformismus und ihrer ideologischen
Brüche, die in Los menestrales besonders deutlich hervortreten, deuten
die um die Typen des vir faber und des vir rusticus kreisenden comedias
económico-sentimentales auf eine Epochenschwelle zwischen feudalem
und bürgerlichem Werthorizont hin, die sich allerdings nur zaghaft
manifestiert. Besteht das Novum dieser Stücke einerseits darin, dass
sie für die Vereinbarkeit von körperlicher Arbeit und Adel plädieren, ist andererseits gerade in den populären Varianten sentimentaler Wirtschaftskomödien eine Entwicklung von einem eher rhetorisch
wirkenden hin zu einem prononcierteren Lob des körperlich arbeitenden Menschen zu verzeichnen. Auch hier ist es Comella, der mit seiner Komödie um den vir rusticus Benito ein Stück sentimentales Wirtschaftstheater kreiert, das sich eng am theoretischen ökonomischen
Diskurs seiner Zeit, im konkreten Fall an der physiokratischen Lehre,
orientiert, und diesen spätaufklärerischen Reformdiskurs nutzt, um
einen ephemeren alternativen Gesellschaftsentwurf aufzubieten, der
sich der Wirkmacht der theatralen Performanz in Verbindung mit
einer in der Bibel wurzelnden Bildsprache bedient. Die Abendmahlsszene, in der an einem Tisch alle Schichten versammelt sind, mutet
in diesem Zusammenhang wie eine soziale Utopie an. In Bezug auf
Comellas reformökonomisches Lehrstück über den Bauern als Wirtschaftshelden ist allerdings anzumerken, dass es in Anbetracht des
diskursgeschichtlichen Kontextes leichter gewesen sein dürfte, die seit
den Römern gut angesehene Landarbeit ins rechte Licht zu rücken als
das schon seit der Antike gering geschätzte Handwerk.
Konnte hier für die um den vir oeconomicus kreisenden comedias
económico-sentimentales nachgewiesen werden, dass deren moralökonomisches Wertesystem wesentlich auf einem Kanon bürgerlicher Tugenden wie der prudentia, der modestia und der industria fußt, bestätigt
dies Jehles These, dass es bei der aufklärerischen Theaterreform, die in
das ästhetische Gewand der Neoklassik gekleidet ist, um den „Umbau
des Theaters zu einer ‚escuela de virtudes‘“ geht, die dem pueblo, also
dem gehobenen Bürgertum, offenstehen soll.507 Für die untersuchten
Handwerkskomödien stellt sich dies anders dar: Die Tugend der prudentia wird vor allem in Valladares‘ El trapero de Madrid erwähnt. Dass
507
Jehle (2010: 133).
7. Vir faber und vir rusticus
565
dies in einem Stück der Fall ist, das als Einziges der hier untersuchten
die Figurentypen des vir oeconomicus und des vir faber auf der Bühne
vereint, zeigt, dass die Propagierung eines bürgerlichen Wertesystems
vor allem Komödien der spanischen Spätaufklärung kennzeichnet,
die die Kopfarbeit des ‚zivilen Helden‘ und eben nicht die schwere
körperliche Arbeit der ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ thematisieren. Daher verwundert es wenig, dass ausgerechnet dem im Handel
tätigen Sekretär Bernardo und der Kaufmannstochter Rita prudentia
attestiert wird. Valladares‘ El trapero de Madrid enthält aber kein so
programmatisches Plädoyer für einen Kanon bürgerlicher Tugenden,
wie es die Komödien über den vir oeconomicus kennzeichnet. Wenn
die Figur der Inés aus del Reys La modesta labradora als Verkörperung
der modestia erscheint, steht dies weniger im Zusammenhang mit ihrer
Bürgerlichkeit als vielmehr damit, dass diese Tugend Teil ihres adeligen Habitus‘ ist. Daraus folgt, dass sich in der comedia económico-sentimental die Bürgerlichkeit von Kaufleuten und Fabrikanten in deren
durch Tugenden repräsentiertem Wertehorizont manifestiert, während der Entwurf eines schichten- und mentalitätsspezifischen Wertesystems für den vir faber im ausgehenden 18. Jahrhundert in Spanien
noch nicht konstatiert werden kann. Die durch ihn vertretenen Tugenden sind – wenn überhaupt vorhanden – ein Abglanz der Tugenden
des vir oeconomicus.
Anders verhält sich dies in Bezug auf den vir rusticus Benito aus
Comellas El buen labrador. Die Tugend der industria ist hier einerseits mit der körperlich fordernden Arbeit des Pflügens verknüpft,
andererseits kennzeichnet sie den adeligen Benito ebenso wie eine
erlesene Reihe von Königen und Kaisern. Damit ist Comellas sentimentale Wirtschaftskomödie El buen labrador zusammen mit dem ihr
vorausgehenden Stück El pueblo feliz eine der wenigen, die offen für
die Vereinbarkeit der Adelszugehörigkeit mit einer fordernden physischen Tätigkeit plädiert. Der in El buen labrador inszenierte ‚Adel des
Bauern‘ führt einerseits die Tradition des barocken Theaters fort, reiche Bauern als personajes modélicos zu inszenieren, denen ein Aufstieg
in den Adel problemlos möglich ist.508 Andererseits bringt Comella
einen neuen Aspekt in die Thematik ein und nimmt damit zugleich
eine aufklärerische Aktualisierung der Figur des reichen Bauern vor:
Diese besteht darin, dass der Protagonist nicht primär als Verwalter
508
Vgl. die schon zitierte Studie von Díez Borque (1976: 345).
566 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seiner Ländereien auftritt, sondern auf der Bühne gemeinsam mit der
in Stellvertretung des Monarchen agierenden Figur des Conde beim
Pflügen und Säen zu sehen ist. Die durch Bühnenhandlungen erfolgende Vergegenwärtigung körperlicher Arbeit dürfte in ihrer performativen Unmittelbarkeit von größerer Wirkung gewesen sein als das
auf Diskursebene verharrende Handwerkerlob in Trigueros‘ Los menestrales.
Auffällig ist, dass die Mehrzahl der hier untersuchten Stücke, die
um den vir faber als männlicher Personifikation von Handwerk und
körperlicher Arbeit kreisen, ein Personal aufbietet, das mit dem Modeund Textilsektor im Zusammenhang steht. Ähnliches haben unsere
Analysen der comedias económico-sentimentales gezeigt, die den Figurentyp des vir oeconomicus in Gestalt von Kaufleuten und Fabrikanten
inszenieren. Konnte diesbezüglich herausgearbeitet werden, dass der
Sektor des Handels im Theater vor allem durch Großkaufleute personifiziert wird, die mit Wolle oder Stoffen handeln und auch der Sektor
der Industrie nahezu ausschließlich durch Textilfabrikanten repräsentiert wird, kreisen auch die sentimentalen Wirtschaftskomödien um
den vir faber mehrheitlich um Tätigkeiten, die mit Kleidungsstücken
und (Heim-)Textilien zu tun haben: Neben Schneidern, Schustern und
Lumpensammlern sind dies, wie unser Exkurs über Comellas El pueblo feliz gezeigt hat, Dörflerinnen, die Stickereien und Webarbeiten in
Heimarbeit als einer Arbeitsform vornehmen, die Reformökonomen
wie Campomanes explizit empfehlen (vgl. Kap. 8.2.3).
Die thematische Vorherrschaft des Textilsektors im Theater ebenso
wie in den ökonomischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts illustriert die immense Bedeutung, die Mode und der modererzeugenden Industrie in einer Epoche zukommt, in der prunkvolle Kleidung und Accessoires sich von einem dem Adel vorbehaltenen
Medium sozialer Distinktion zu (Luxus-)Artikeln wandeln, die all jenen, die über das nötige Geld verfügen, zur Verfügung stehen. Mode
erweist sich in diesem Zusammenhang als Mittel, mit dem man auch
ohne einen Adelstitel zu gesellschaftlicher Geltung – oder zumindest
ins Gespräch – kommen kann. Auch Haidts Studie (2011), auf die hier
bereits verwiesen wurde, zeigt eindrucksvoll, welcher enorme Bedarf
nicht nur an modischen Neuwaren, sondern vor allem an erschwinglicher Gebrauchtkleidung im 18. Jahrhundert in Spanien besteht,509 die
509
Vgl. Haidt (2011: 83ff. und 277ff.).
7. Vir faber und vir rusticus
567
dem jeweils neuesten ‚Schrei‘ angepasst wird. Haidt illustriert auch,
wie dieser Bedarf im teatro breve in weibliche Figuren wie die Änderungsschneiderin, Gebrauchtkleiderhändlerin und Flickschusterin
mündet.
Dass die viri fabri aus dem weiten Feld des Textilgewerbes nicht
ausschließlich die Rolle modellhafter Protagonisten innehaben, sondern dass sie, wie im Falle des Schneiders Cortines und des Schusters
Rafa aus Los menestrales, auch die am Ende abgestraften Missetäter
sein können, weist darauf hin, dass die durch den wachsenden Absatz
von Modeartikeln reich gewordenen Vertreter dieses Sektors paradigmatisch für einen gesellschaftlichen Wandel stehen, der bei den ‚alten‘
Eliten des feudalen Systems Besorgnisse hervorruft. Dass finanzielle
Potenz nun nicht mehr allein Adel und Großbürgertum vorbehalten,
sondern auch für die Vertreter des trabajo manual erreichbar ist, illustriert das beträchtliche Vermögen des Lumpensammlers Tío Agustín
aus El trapero de Madrid. Der Erwerb luxuriöser Kleidung durch das
Bürgertum und sein Hang zur Ostentation, mit dem es in Konkurrenz
zum Adel tritt, sind das Indiz einer gestiegenen sozialen Mobilität, die
durch das neoklassische Theater als Organ einer noch dem feudalen
System verpflichteten Regierung gerügt wird. Wie unsere Analyse
von Trigueros‘ Los menestrales gezeigt hat, geht mit der Rüge der Appell an die staatsbürgerlichen Pflichten einher, um den Ehrgeiz des
Einzelnen sogleich in den Dienst des Staates zu stellen, um nicht zu
sagen: den Aufstiegeswillen des Bürgertums der Gouvernementalität
unterzuordnen.
Sieht sich die zunehmende Durchlässigkeit der gesellschaftlichen
Schichten also im regierungsnahen neoklassischen Theater abgestraft,
wird sie im populären Theater zunehmend positiv gesehen. Dies veranschaulicht nicht nur das Beispiel des Lumpensammlers aus Valladares‘ El trapero de Madrid, wo die Ehrbarkeit dieser niederen Arbeit ein
ums andere Mal bekundet wird. Auch Comellas Komödien um den vir
rusticus und ihre performativen Inszenierung der Würde der physisch
fordernden (Land-)Arbeit zeigen dies. Der Leitsatz „el trabajo dignifica“, unter dem Huerta Viñas dessen Stücke zusammenfasst,510 ist auf
Valladares‘ sentimentale Wirtschaftskomödie um den durch Arbeit zu
Reichtum gekommenen Lumpensammler übertragbar. So kann festgehalten werden, dass es primär die populären Varianten der comedia
510
Huerta Viñas (1993: 177).
568 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
económico-sentimental sind, die im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit ihrer Darstellung von Handwerk, Landwirtschaft und
Kleingewerbe eine zwischen den Schichten vermittelnde Funktion
übernehmen, wie sie in Frankreich seit den 1720er Jahren das Pariser
Jahrmarktstheater innehatte. Nicht umsonst würdigt daher Huerta Viñas die Komödien Comellas für ihren Verdienst, die Ideale der spanischen und europäischen Aufklärung nicht nur transportiert, sondern
sie ZuschauerInnen aus dem Volk verständlich gemacht zu haben. Die
Progressivität von Comellas sentimentalem Wirtschaftstheater, die
hier einmal mehr herausgestellt werden muss, besteht mithin nicht allein in der szenischen Vermittlung der
a) vergleichsweise revolutionären Idee sozialer Gleichheit,
b) des ökonomischen und moralischen Wertes der Arbeit511 und
c) einer aufgeklärten Form der caritas,
sondern vor allem in der Art und Weise, wie Comella diese Ideen in
den ideologischen, religiösen und kulturellen Kontext des Spaniens
seiner Zeit einzubetten versteht. Dieses Theater, das Elemente des reformökonomischen Diskurses in sakrale Bühnen-Bilder zu übersetzen
vermag, veranschaulicht die von Franziska Schößler betonte Funktion
von literarischen Texten, als Interdiskurs im Sinne Jürgen Links (vgl.
Kap. 1) zu fungieren, indem sie entweder „durch die Verbindung von
ökonomischen Theoremen mit ihren Figuren innovative Wirtschaftskonzepte“ entwickeln oder „Spezialdiskurse popularisieren“.512
511
Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass wer – wie die ehrbaren Dörfler in den
Komödien Comellas – arbeitet, nicht auf den Gedanken kommt, Missetaten zu begehen. Entsprechend sind auch nur jene Figuren versucht, teils unmoralische, teils sogar
kriminelle Handlungen zu begehen, die die Arbeit verweigern. Die Kriminalität der
faulen figuralen Vertreter der unteren Schichten entspricht dem Ränkespiel des müßiggängerischen niederen Adels.
512
Schößler (2017: 285).
8.
WEIBLICHE TYPISIERUNGEN DES ÖKONOMISCHEN:
FEMINA OECONOMICA UND FEMINA FABRA
Dieser Teil unserer Studie wendet sich den weiblichen Typisierungen
des im reformökonomischen Sinne guten (Haus-)Wirtschaftens bzw.
des guten Handwerkens zu: der femina oeconomica und der femina fabra.
In Analogie zum vir oeconomicus und vir faber handelt es sich bei diesen weiblichen Figurentypen um Idealbilder wirtschaftender Frauen,
die neben der vorbildlichen weiblichen Haushaltsführung und dem
versierten Handwerken zugleich modellhafte Entwürfe ihres Geschlechts verkörpern. In diesem Sinne sind sie die Fiktionalisierung
von Wunschvorstellungen, in denen sich die von den aufklärerischen
Reformökonomen und Theaterreformern gewünschten Eigenschaften
der wirtschaftenden Frau in prototypischer Weise niederschlagen. Anders als im Falle des vir oeconomicus und des vir faber handelt es sich in
Anbetracht der geringen Anzahl, in der solche weiblichen Figuren im
spanischen Theater des ausgehenden 18. und anbrechenden 19. Jahrhunderts zu finden sind, um singuläre Charaktere. Allerdings weisen
sie Schnittmengen mit den Tugenden auf, die wir bereits in unseren
Analysen der männlichen Typisierungen einzelner Wirtschaftssektoren bestimmen konnten. Im Falle der theatralen Inszenierungen von
versiert haushaltenden und produzierenden Frauen sind diese Tugenden an aufklärerische ebenso wie an tradierte Vorstellungen von
Weiblichkeit gekoppelt. Daher zeugen sie von der Notwendigkeit,
außerhäusliche wirtschaftliche Tätigkeiten der Frau, wie sie etwa die
Figur der Cecilia aus der bereits untersuchten Komödie La industriosa
madrileña oder das autarke ökonomische Agieren der Doña Guiomar
aus dem nachfolgend analysierten Stück La familia a la moda repräsentieren, entweder durch die Tradition als Bestandteil eines konservativen Verständnisses spanischer Identität und/oder durch einen besonders tugendhaften Charakter zu legitimieren. Wie schon im Fall des
570 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vir oeconomicus beinhaltet diese Tugendhaftigkeit eine religiöse Komponente, die für die weiblichen Figuren in der deutlichen Markierung
des Umstands besteht, dass sie gute Christinnen sind.
Im Laufe der nachfolgenden Betrachtungen der durch das Theater
entworfenen wirtschaftenden bzw. handwerkenden Frauen und der
durch sie verkörperten Tugenden soll zum einen geklärt werden, inwieweit durch sie ein in Analogie zur Figur des vir oeconomicus stehender moralökonomischer Tugendkanon mit christlichen Fundamenten
entworfen wird und inwiefern dieser Tugenden enthält, die als spezifisch ‚weiblich‘ präsentiert werden. Im Zuge der Untersuchung des
Figurentypus der femina oeconomica sollen aber auch die in Kapitel 4
bereits angeklungenen Fragen beantwortet werden, ob die theatralen
Inszenierungen ökonomisch tätiger Frauen spezifische Formen weiblichen Wirtschaftens vorführen, ob sie von einem Wandel der Geschlechterrollen zeugen und ob sie dadurch womöglich einem neuen
Verständnis von Weiblichkeit den Weg bereiten. Dies betrifft auch die
Frage nach der Konformität oder Nonkonformität der durch das Theater dargestellten Formen weiblichen ökonomischen Agierens zum Reformtheater und zur Reformökonomie.
Der hier als femina oeconomica bezeichnete Typus der versiert wirtschaftenden Frau meint eine weibliche theatrale Figur, die in Analogie zum vir oeconomicus das ‚gute Wirtschaften‘ im Rahmen der durch
die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus gesetzten
Normen und Präskriptiven repräsentiert. Zugleich verkörpert dieser
Typus das durch das Reformtheater propagierte neue Bild des aufgeklärten Menschen. In diesem Sinne ist auch die weibliche Variante des versiert wirtschaftenden Menschen eine literarische Fiktion, in
der sich die theatrale und die ökonomische Reform kreuzen.1 Deren
Normen korrelieren mit Vorstellungen von Weiblichkeit, wie sie die
Geschlechterdebatten der spanischen Aufklärung formulieren. Wie
Bolufer Peruga feststellt, konzentrieren sich diese Debatten in erster
Linie auf die sozialen Eliten, d.h. auf Frauen aus dem Adel und dem
gehobenen Bürgertum. Demgegenüber sind Frauen aus den unteren
Klassen allein als Objekte der philanthrop motivierten, erzieherischen und wohltätigen Projekte der Aufklärer von Interesse, die ihnen
1
Wie Bolufer Peruga bemerkt, vollzieht sich die Reformierung einer Gesellschaft
notwendiger Weise auch über eine Neubestimmung der Geschlechterdifferenz. Vgl.
Bolufer Peruga (1995: 252).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
571
Bedürftigkeit, begrenzte mentale Fähigkeiten und infolgedessen das
Angewiesen-Sein auf patriarchale Anleitung unterstellen.2 Auch die
femina oeconomica, ja selbst die femina fabra, sind Repräsentantinnen der
Oberschicht bzw. erweisen sich am Ende der Stücke als solche.
Der Begriff der femina oeconomica steht also im Rahmen unserer Studie nicht für ein allgemein gültiges Konzept der wirtschaftenden Frau,
sondern für Repräsentantinnen des guten Wirtschaftens, wie sie das
Theater der spanischen Spätaufklärung im Rahmen seines spezifischen
historischen, politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Horizonts entwirft. Die femina oeconomica ist ein Typus des protoindustriellen Zeitalters und daher noch nicht durch die marxistische Kapitalismuskritik beeinflusst. Das bedeutet, dass wirtschaftende Frauen,
ebenso wie ihre männlichen Pendants, noch nicht als ‚Opfer‘ kapitalistischer Prozesse oder ausgebeutete Objekte erscheinen. Vielmehr ist
das Idealbild der femina oeconomica das Produkt einer Ökonomie, die
als Disziplin erst im Entstehen begriffen ist. Die Prämissen und Forderungen dieser in der Aufklärung wurzelnden Politischen Ökonomie
schlagen sich im Theater nicht nur in Form männlicher, sondern eben
auch weiblicher Typisierungen von Wirtschaft nieder. Anders als der
vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus verkörpern die femina oeconomica und die femina fabra aber keine einzelnen Wirtschaftszweige,
sondern kondensieren die Vorstellungen einer androzentrischen3 spanischen Reformökonomie über die ideale Rolle der Frau im mikround makroökonomischen Kontext, sei es der oikos oder die Nation.
In diesem Sinne führen diese Figuren weibliche Geschlechterrollen in
verschiedenen Betätigungsbereichen des wirtschaftlichen Feldes vor,
in denen Frauen gemäß der herrschenden Geschlechternormen aktiv
werden dürfen, von der Kopfarbeit des Haushaltens bis hin zur handwerklichen Arbeit am Webstuhl.
Mit der körperlichen Arbeit ist zugleich der Unterschied zwischen
femina fabra und femina oeconomica markiert. Da sie Waren mittels
ihrer Hände Arbeit produziert und als Frau im Produktionsprozess
eine bedeutsame und aktive Rolle einnimmt, ist die femina fabra eine
2
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 251f.).
Androzentrisch ist die Reformökonomie insofern, als sie auf einem patriarchalen
System der politischen Stellvertretungen beruht. Androzentrisch ist sie aber auch, da
sie mehrheitlich um den Mann als ökonomischen Akteur kreist. Die Frau hat allenthalben die Rolle einer Zuarbeiterin oder Stütze.
3
572 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
‚Protagonistin der Produktion‘ im eingangs skizzierten Sinne (vgl.
Kap. 4.4). Im Kontext der Geschlechterbilder des 18. Jahrhunderts sind
solche körperlich-handwerklichen Tätigkeiten notwendigerweise auf
den Textilsektor als den einzigen Bereich beschränkt, in dem weibliche
Arbeit keine moralischen Bedenken auslöst.4 Von der idealtypischen
theatralen Zeichnung von Frauen, die im Neuware produzierenden
Textilsektor tätig sind, sind Frauenfiguren zu unterscheiden, die in der
Gebrauchtkleiderbranche arbeiten und denen sich vor allem das sainete5 zuwendet. Die dort dargestellten Akteurinnen sind aufgrund ihres
niedrigen sozialen Rangs entweder zweifelhafte soziale Randgestalten, die in bemitleidenswerten Verhältnissen leben, oder komische Figuren.6 Ist die Textilbranche seit dem Mittelalter ein Handwerkszweig,
in dem vorwiegend Frauen tätig sind,7 rücken Frauen als Produzentinnen von Stoffen auch in den Fokus von Reformökonomen wie Campomanes (vgl. Kap. 3.4.2), dessen Bemühungen um die Professionalisierung der von ihm angeregten textilen Heimarbeit sich in der Arbeit
der Ökonomischen Gesellschaft von Madrid, der Matritense fortschreiben. Diese sucht mittellosen Frauen und Mädchen durch die Gründung von textilhandwerklichen Schulen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, mittels derer sie sich nicht nur selbst unterhalten, sondern
durch die sie zusätzliche Waren für den spanischen Markt bereitstellen
können, die angesichts einer eher spärlichen industriellen Produktion
4
Vgl. die in Kapitel 3.3.1. erwähnten Erlasse zu handwerklichen Tätigkeiten der
Frau, die ihr gestattet sind, wenn sie mit ihrem Geschlecht und der Sittsamkeit vereinbar sind.
5
Eine systematische Analyse der Darstellung der Werktätigen im Gebraucht- und
Altkleidermarkt leistet Haidt (2011). Hontanilla (2022: 195ff.) hat vor dem Hintergrund
aufklärerischer Weiblichkeits- und Männlichkeitsideale die ‚Domestizierung‘ körperlich arbeitender Frauen und Männer im sainete untersucht.
6
Vgl. Haidt (2011: 260) mit Bezug auf das sainete Anonymus (o.J.): El cuento de la
moza pobre. Biblioteca Histórica Nacional de Madrid, MS tea 220-41. Die Darstellung
der Gebrauchtkleiderhändlerinnen als zweifelhaft deckt sich Haidt zufolge mit der
Perspektive des spanischen Aufklärers und Reformökonomen Capmany y Montpalau
(1742-1813), der die in der Altkleiderbranche tätigen Frauen aus dem Madrider Viertel
San Vicente als „gentes sospechosas“ bezeichnet. Capmany y Montpalau Antonio de
(1863): Origen histórico y etimológico de las calles de Madrid. Madrid: Manuel B. de Quirós,
p. 112, zitiert in Haidt (2011: 260).
7
Vgl. Farr (2000: 41) sowie Musgrave (1997: 151ff.).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
573
dringend benötigt werden.8 Diese Unternehmungen auf der reformökonomischen Handlungsebene zeitigen Effekte in der Dramenpraxis, etwa wenn Durán mit seiner theatralen Figur der Weberin Cecilia
eine Frauengestalt entwirft, die nicht nur aus Madrid stammt, wo im
ausgehenden 18. Jahrhundert die ersten textilhandwerklichen Schulen
für Frauen entstehen, sondern die durch ihre Erwerbstätigkeit zudem
finanziell unabhängig ist. Bezeichnend ist im Hinblick auf den Bezug
dieser Figur zur Reformökonomie, dass sie sich ihre fama als Weberin
zunächst durch die von Campomanes als ideale Fertigungsform propagierte Heimarbeit erwirbt, bevor ihr handwerkliches Talent in der
Fabrik des Tuch- und Strumpffabrikanten von Olot entdeckt wird und
sie dort eine Anstellung erhält, dies allerdings zunächst nur in männlicher Tarnung und unter dem falschen Namen „Don Juan de Illescas“9.
8.1. Die femina oeconomica in spanischen Komödien der
Spätaufklärung
Bolufer beobachtet im Verlauf des 18. Jahrhunderts in Europa und
Spanien einen Wandel in den Geschlechterbildern, der mit den politischen, ökonomischen und sozialen Reformbemühungen der Aufklärer
in Zusammenhang steht.10 Insbesondere in Spanien, wo ein oft, wenn
auch zu Unrecht behaupteter Bevölkerungsschwund in biopolitische
Überlegungen mündet, geht die Durchführung einer ökonomisch motivierten Gesellschaftsreform, die das wirtschaftlich aktive und produktive Subjekt als neue ökonomische Größe in den Blick nimmt, mit
einer ‚Körperreform‘ einher, deren Zielpunkt die Frau ist.11 In diesem
Kontext legt der medizinische Diskurs ihre Rolle auf die der Mutter
fest, die in ihrer Verantwortung für die Reproduktion der Nation das
Verbleiben im Haus außerhäuslichen Vergnügungen vorziehen soll.12
Eine Beschränkung des weiblichen Aktionsrahmens auf das Haus
8
Vgl. Méndez Vázquez, Josefina (2016): Formación profesional de las mujeres en las
escuelas de la Matritense. Un proyecto político-económico en la España ilustrada. Oviedo:
Trabe.
9
Vgl. Gies (2022: 185), siehe Kap. 6.3.5.
10
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 262).
11
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 256).
12
Zu den medizinischen Diskursen über die Frau im Zusammenhang mit dem in
Europa und Spanien neu entstehenden Frauenbild vgl. Bolufer Peruga (1995: 258).
574 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
und eine Aufgabenverteilung, die also „komplementär dem Mann die
öffentliche, der Frau die private Sphäre“13 zuweist, hatte sich bereits
zwei Jahrhunderte zuvor in Juan Luis Vives‘ De Institutione feminae
christianae (1546) vollzogen und wird durch das Prosawerk La perfecta casada (1583) des aus Salamanca stammenden Theologieprofessors
und Augustinermönchs Fray Luis de León (1527-1591) fortgeschrieben. Wie Bolufer allerdings betont, befindet sich das Frauenbild der
spanischen Aufklärung auf der Schwelle zwischen den Weiblichkeitsentwürfen der frühen Neuzeit und denen des 19. Jahrhunderts:
La mujer dibujada como modélica en los enfoques ilustrados no era ya
(aunque en esta época se las evocara con frecuencia, y se reeditaran los
textos que las describían) la Perfecta casada sumisa y laboriosa, ni la ‚mujer
cristiana’ de Vives, culta, pero silenciosa y recluida; distaba de la ‚mujer
fuerte’ de la tradición cortesana, pero tampoco coincidía totalmente con el
‚ángel del hogar’, el modelo de mujer asexuada, doméstica y sentimental
que parece imponerse en las imágenes literarias de la segunda mitad del
siglo xix.14
Neu ist im spanischen 18. Jahrhundert die medizinisch-naturwissenschaftliche Legitimation der Reduktion der Frau auf den Raum des
Privaten, die nun jenseits der in der Antike wurzelnden und in der
Frühen Neuzeit wieder aufgegriffenen ‚Säftetheorie‘15 durch eine im
Entstehen begriffene ‚Wissenschaft der Fakten‘ gerechtfertigt wird.
Neu ist aber auch ein sich im Theater, im Roman, in der Presse und
in der Essayistik artikulierender bürgerlicher Wertehorizont, dessen
Dreh- und Angelpunkt das Sentimentale ist.16 Das Sentimentale als
eine ‚Palette feiner Gefühle‘17, zu denen auch die Freundschaft zählt (vgl.
Kap. 5.4.1), wird zum identitätsstiftenden Unterscheidungsmerkmal,
13
Hassauer (1997: 209).
Bolufer Peruga (1995: 261).
15
Zur Säftetheorie vgl. Hassauer (1997: 210). Hassauer nennt hier u.a. die Werke
des Arztes Juan Huarte de San Juan, darunter sein Examen de ingenios para las Sciencias
(1575) sowie seine Schrift Donde se muestra la diferencia de habilidades que hay en los hombres y el género de letras que a cada uno responde en particular. Hier wird Hassauer zufolge
„in klassischer Manier die intellektuelle Unfähigkeit der Frau über ihre Zugehörigkeit
zum kalten und feuchten Element“ bekräftigt.
16
Vgl. Bolufer Peruga (1998: 260).
17
Vgl. Bolufer Peruga (1998: 275; 277).
14
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
575
das die differenzierte „economía de las emociones“18 des berufstätigen
Bürgertums von der Rage und der Blasiertheit des untätigen Adels
unterscheidet. Denn im Gegensatz zu dem schon aus nichtigen Gründen in seiner Ehre verletzten Adeligen weiß der wirtschaftserfahrene
Bürger mit seinen Gefühlen zu haushalten. Durch seine nuancierten
Empfindungen setzt er sich aber nicht nur vom alten und insbesondere vom niederen Adel, sondern auch vom vulgo ab.19 Das bürgerliche
Empfindsamkeitsideal einer ‚Ökonomie der Gefühle‘ hat zugleich ein
neues Familienbild zur Folge, das wesentlich über die Literatur und
das breitenwirksame Medium des Theaters vermittelt wird:
La representación de la familia sensible se diferenciaba, pues, de la familia
aristocrática y la popular, cuyos comportamientos, por razones diversas,
los ilustrados consideraban indignos, y constituía el ideal con el que debían identificarse en el teatro, llorar en la novela y representar, a ser posible, en su propia vida los grupos ilustrados para ganarse la consideración
de tales.20
Damit wird das Theater zum Medium der Vermittlung neuer Familien- und Frauenbilder, die in Analogie zum wirtschaftenden Mann
auch die Frau als funktionales Rädchen im Getriebe des Staates konzipieren. Ihr, dem empfindsamen Nukleus21 der neuen bürgerlichen
Kernfamilie, die allmählich das Konzept des ‚ganzen Hauses‘22 abzulösen beginnt, obliegt es, die neue Moralökonomie des allumfassenden
(politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen) bourbonischen
Reformprogramms in die Familie hineinzutragen und mittels der Erziehung ihrer Kinder fortzuschreiben. Nützlichkeit, Produktivität, Tugend und Respekt gegenüber den patriarchalen aufgeklärten Autoritäten sind die neuen Werte, die der aufklärerisch-reformökonomische
Frauentypus seinem Nachwuchs vermitteln soll.23 Dabei verlangt ihre
Aufgabe den Frauen zuallererst Verzicht ab, müssen sie doch stets
18
Bolufer Peruga (1998: 279).
Vgl. Bolufer Peruga (1998: 279).
20
Bolufer Peruga (1998: 277).
21
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259). Dem aufklärerischen Frauenbild zufolge verfügt
die Frau der Oberschicht über die meiste Empfindsamkeit und ist daher am ehesten
geeignet, die neue ‚sentimentale’ Moralökonomie zu vermitteln.
22
Vgl. Stollberg-Rillinger (2000: 146), s.o. (vgl. Kap. 4.2).
23
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259).
19
576 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
daheim präsent sein, um ihrer erzieherischen Aufgabe nachkommen
zu können. Ihre Beschränkung auf das Haus fordert zuallererst der
medizinische Diskurs der europäischen Aufklärung, der entschieden
dafür plädiert, dass Mütter ihren Nachwuchs im Dienste des Kindeswohls selbst stillen mögen und diese wichtige Aufgabe nicht an
Ammen oder Mägde zu delegieren sei.24 Diese Forderung steht im
Zusammenhang biopolitischer Überlegungen über den Bevölkerungszuwachs.25 Auch die Frau wird in das pyramidal-hierarchische System
der bourbonischen Stellvertretungen eingebunden, wenn ihre über
die Presse26, das Theater und die Essayistik vermittelte Aufgabe darin
besteht, mit dem Haus zugleich die neuen bürgerlichen Werte zu hüten und diese an die nächste Generation weiterzugeben.27
Den Frauen des gehobenen Bürgertums und des niederen Adels
diese Domestizierung und völlige Beschränkung auf den Raum des
Häuslichen schmackhaft zu machen, ist die Aufgabe der ‚Medien der
Öffentlichkeit‘, zu denen neben der Presse auch das Theater zählt.
Dort kommt es zum Zweck der didaktischen Vermittlung des neuen
Frauenbildes zur Erfindung eines neuen theatralen Typus: der femina
oeconomica. Er dient zum einen dazu, dem weiblichen Publikum die
neue häusliche Rolle in ihren sentimentalen und ökonomischen Facetten vorzuführen und zu zeigen, dass es sich dabei um eine proaktive,
d.h. wertvolle Rolle im Sinne des aufklärerischen Nützlichkeitskonzeptes handelt, die im ökonomischen und sozialen Mikrokosmos der
Familie wertvolle Arbeit leistet. Diese rhetorische Anerkennung steht
in Analogie zum Handwerkerlob. Spanische sentimentale Komödien
präsentieren ab ca. 1770 Akteurinnen, die von ihrem häuslichen Aktionsfeld aus ökonomisch intervenieren, indem sie als Vertreterinnen ihres Eigeninteresses innerhalb der Familie – etwa im Ehehandel – auftreten oder gegenüber Dritten, die zumeist als Besucher von
24
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 258).
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 258).
26
Vgl. Völkl (2022: 227ff.; 282ff.). Zum unternehmerischen und kaufmännischen
Handeln in europäischen Moralischen Wochenschriften, die sich an ein männliches
und weibliches Publikum richten, vgl. Ertler, Klaus-Dieter (2022): „‚Spectatorial’ Entrepreneurs in the Moral Essays of the 18th Century“. In: Schuchardt, Beatrice/Tschilschke, Christian von (eds.). Protagonists of Production in Preindustrial European Literature
(1700-1800). Male and Female Entrepreneurs, Craftspeople, and Workers. Berlin: Lang, pp.
247-259.
27
Vgl. Bolufer Peruga (1995: 259).
25
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
577
außen in das Innere des Hauses kommen, die Interessen ihrer Familie
vertreten. Dass der Dreh- und Angelpunkt der in den sentimentalen
Wirtschaftskomödien der Spätaufklärung inszenierten weiblichen
(Trans-)Aktionen der oikos ist, zeugt von der von Bolufer beobachteten „presión en favor de una vida más doméstica“28, der sich Frauen
mit dem Fortschreiten der aufklärerischen Geschlechterdebatte ausgesetzt sehen.
In Anbetracht des begrenzten weiblichen Aktionsraums in den comedias de teatro setzt sich die vorliegende Studie das Ziel, Strategien
und Räume zielgerichteten und gewinnorientierten weiblichen ökonomischen Handelns zu erfassen, etwa im seltenen, wenn nicht gar
einzigartigen Fall, dass eine Frau entweder in Analogie zur männlichen Figur des Ordnungsstifters – und wenn auch nur vorübergehend – die Rolle einer mater familias einnimmt, wie es Doña Guiomar
aus María Rosa Gálvez‘ neoklassischer Komödie La familia a la moda
tut, oder wenn sie als ‚helfende Hand‘ des Hausherrn auftritt, wie
die Frauenfiguren aus Valladares‘ hier bereits untersuchtem Stück
El fabricante de paños. Insbesondere der Gattung der comedia económico-sentimental scheint daran gelegen zu sein, weibliche Leitbilder zu
entwerfen, die den Frauen im Publikum – insbesondere denen aus
der Oberschicht – im verengten Rahmen des oikos Leitfiguren weiblichen Handelns aufzeigen, die die neue Häuslichkeit durch die euphemistische und stereotype Überzeichnung der guten Ökonomin in
Gestalt der femina oeconomica attraktiv erscheinen lassen. Nötig sind
positive Leitbilder kompetenten weiblichen Wirtschaftens zumindest
aus der Sicht der männlichen Reformer deshalb, weil die meisten jungen Frauen im ausgehenden 18. Jahrhundert in Spanien nicht ausreichend auf die Aufgabe der Haushaltsführung vorbereitet sind.29 Dies
beklagt etwa Eugenio Larruga Boneta (1747-1803), der sich Schulen
wünscht, in denen die künftigen Ehefrauen in der Disziplin der Haushaltsführung unterwiesen werden sollen.30 Theatrale Vorbildfiguren
einer haushälterisch versierten Ehe- und Hausfrau finden sich daher
28
Bolufer Peruga (1995: 256).
Vgl. Jehle (2010: 196).
30
Vgl. Jehle (2010: 197) mit Bezug auf Larruga Boneta, Eugenio (1787): Memorias políticas y económicas sobre los frutos, comercio, fábricas y minas de España: con inclusión de los
reales decretos, órdenes, cédulas, aranceles y ordenanzas expedidas para su gobierno y fomento,
vol. I. Madrid: Benito Cano, p. 14.
29
578 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
nicht nur in sentimentalen Komödien mit Wirtschaftsbezug, sondern
auch in konventionellen neoklassischen Komödien wie Moratíns La
comedia nueva (1792), in der die Figur der Mariquita in der zweiten
Szene des zweiten Aktes selbstbewusst erklärt, über die notwendigen
Kompetenzen im Bereich der Handarbeit und der Erziehung hinaus
sogar lesen zu können und zudem in der Lage zu sein, eine Rechnung
zu begleichen.31 Damit entspricht sie dem aufklärerischen Ideal der
häuslichen und zugleich wirtschaftlich gebildeten Frau als weibliches
Analogon zum vir oeconomicus, wie ihn etwa der Textilfabrikant Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada repräsentiert (vgl. Kap. 6.2).
Guiomar ist eine Frauenfigur, die mit der sentimentalen und innerhäuslichen Leitlinie weiblichen ökonomischen Agierens innerhalb des
oikos bricht, indem sie nicht für das Innen, sondern für das Außen steht
und jegliche weibliche Sentimentalität vermissen lässt. Sie steht in harschem Kontrast zu der dem ‚zarten Geschlecht‘ von den männlichen
Aufklärern zugeschriebenen „naturaleza de mayor sensibilidad“32.
Mit der Figur der Guiomar stoßen wir auf einen singulären, da durch
und durch rationalen und autarken weiblichen Charakter, der einer
besonderen, diese exzeptionelle Figur gleich mehrfach absichernden
Legitimierung bedarf. Wie diese im Einzelnen ausgestaltet ist, untersucht der nachfolgende Abschnitt zu einem einzigartigen Rollenbild,
das 1800 bezeichnenderweise von einer der wenigen Dramatikerinnen
der spanischen Spätaufklärung entworfen wird.
8.1.1. Eine exzeptionelle femina oeconomica: Doña Guiomar aus María
Rosa Gálvez’ La familia a la moda (1805)
In ihrem am 14. April 1805 uraufgeführten und von der Zensur als
mustergültige neoklassische Komödie ausgewiesenen Stück33 entwirft Gálvez mit der Protagonistin Doña Guiomar eine Figur, die dank
ihrer ökonomischen Kompetenz die weibliche Entsprechung des vir
oeconomicus darstellt. Da sie in der Lage ist, nicht nur ökonomisch
31
Vgl. Jehle (2010: 201) mit Bezug auf Moratíns La comedia nueva Akt II, Szene 2,
ohne Seitenangabe: „Yo sé escribir y ajustar una cuenta, sé guisar, sé planchar sé coser,
sé zurcir, sé bordar, sé cuidar una casa; yo cuidaré de la mía, y de mi marido, y de mis
hijos, los criaré.“
32
Bolufer Peruga (1995: 259).
33
Vgl. Andioc (2001: 64f.).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
579
kompetent zu handeln, sondern darüber hinaus eine Autorität auszuüben, die dazu führt, dass die fehlgeleiteten Mitglieder des kopfstehenden Haushaltes sich ihr schließlich beugen, ist Guiomar überdies die weibliche Variante des Typus des Ordnungsstifters. Wie
schon in Comellas El hombre agradecido wird auch in La familia a la
moda die im Haushalt herrschende Verkehrung der ökonomischen
und geschlechtlichen Verhältnisse, die Tschilschke als domus perversa
bezeichnet,34 bereits durch die im Nebentext beschriebene Bühnengestaltung deutlich. Dort ist die Rede von einer „[s]ala adornada con
el mayor lujo al gusto moderno, en la que habrá mesa y escribanía
[...]“35. Der Eindruck eines ‚kopfstehenden Haushalts‘ bestätigt sich,
als in der ersten Szene die Dienerin Teresa „vestida a la francesa ridículamente“36 auftritt und sie ihren Mitbediensteten Pablo aufscheuchen muss, der sich um neun Uhr morgens noch im Bett befindet.
Getreu dem Motto, dass faules Gesinde stets dem schlechten Beispiel der Herrschaft folgt, weilt auch der Hausherr Don Canuto am
helllichten Tag noch im Reich der Träume,37 ebenso wie seine Gattin
Madama38, als die resolute Ordnungsstifterin Guiomar im Hause der
Familie Pimpleas eintrifft. In die Rolle der Ordnungsstifterin – und in
die einer aufklärerischen Autorität – schlüpfen kann diese Figur nicht
34
Diesen Begriff wendet Tschilschke erstmalig auf Gálvez‘ Komödie an und weist
zugleich darauf hin, dass sich in einer ‚Verkehrung der Geschlechterordnung‘, wie sie
neben diesem auch andere Stücke der spanischen Spätaufklärung inszenieren, zugleich „Krisen der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung“ artikulieren, die sich
über „Krisen der Männlichkeit“ äußern. Vgl. Tschilschke (2014: 291). Vgl. auch idem
(2012b): „Quer zu Queer. Transgressionen der Geschlechter im spanischen Theater des
18. Jahrhunderts“. In: Fenske, Uta/Schuhen, Gregor (eds.). Ambivalente Männlichkeit(en).
Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive. Opladen: Budrich 2012, pp. 181198 sowie idem (2011): „‚¿Podrá ser verdad esta comedia?‘ Transgresiones del género
en los sainetes de Ramón de la Cruz“. In: Brandenberger, Tobias/Partzsch, Henriette
(eds.). Deseos, juegos, camuflaje. Los estudios de género y ‚queer‘ y las literaturas hispánicas –
de la Edad Media a la Ilustración. Frankfurt/Main: Lang, pp. 93-109.
35
Gálvez, María Rosa de (2001 [1805]): La familia a la moda. Comedia en tres actos y en
verso, ed. René Andioc. Salamanca: Universidad de Salamanca, p. 115.
36
Gálvez, María Rosa de (2001: 115).
37
Vgl. Gálvez (2001: 119f., vv. 65f. und 137, vv. 415ff.). Als Canuto endlich aufsteht,
um Guiomar zu begrüßen, beschwert er sich über die frühe Stunde, woraufhin seine
Schwester trocken bemerkt, es sei bereits 12 Uhr mittags.
38
Dieser ‚sprechende Name‘ weist die Figur als eine französischen Moden zugeneigte petimetra aus, was sich im Verlauf des Stücks natürlich bestätigt. Zu Madama als
petimetra vgl. Kap. 9.2.
580 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
zuletzt aufgrund ihres Witwenstandes: Während die heiratsfähige
oder verheiratete Frau auch in ihrer fiktionalen theatralen Erscheinungsform kaum Aktionsräume außerhalb des oikos hat,39 werden
der Witwe gewisse Handlungsspielräume zugebilligt.40 Da sie dem
Regime ihres Gatten durch dessen Dahinscheiden nicht mehr untersteht, genießt die Witwe besondere Freiheiten.41 Tschilschke attestiert
der femina oeconomica Guiomar eine gewisse Geschlechtslosigkeit, die
zum einen aus ihrem Witwenstatus und ihrem fortgeschrittenen Alter42, zum anderen aber auch daraus resultiere, dass diese Figur allgemeine Leitlinien des androzentrischen Rahmens des ökonomischen
Reformdiskurses aufgreife:
Wenn María Rosa Gálvez aus dem homo oeconomicus also eine femina oeconomica macht, dann bedient sie damit nicht primär einen weiblichen
Sonderdiskurs, sondern unterstreicht vielmehr umso wirkungsvoller
39
Vgl. Angulo Egea (2002: 285): „[...] las opciones de emancipación de la mujer
pasaban o por la vicaría o por el convento.”
40
Dies zeigt etwa das Beispiel des Theaters des Siglo de Oro, wo die Witwe als Prototyp der renitenten Frau und Verkörperung verdächtigen weiblichen Verhaltens figuriert. Vgl. Boyle, Margaret E. (2014): Unruly Women. Performance, Penitence, and Punishment in Early Modern Spain. Toronto: University of Toronto Press, p. 61. Dass Witwen
als theatrale Figuren gewisse Freiräume genießen, veranschaulicht auch das Beispiel
der Figur der Timotea aus Comellas El buen labrador, die eine halbgebildete erudita a la
violeta und damit eine komische Figur ist (vgl. Kap. 6.7.3).
41
Auf die Freiheiten, die der Witwenstatus mit sich bringt, geht auch Angulo Egea
(2002: 290) in ihrer Analyse von Comellas El indolente (1792) ein: „Doña Paula quedó
viuda y, aprovechando de la libertad que le ofrece su estado civil, anda coqueteando
con unos y con otros.“ Die Figur der Paula wird allerdings im Stück von Don Justo aufgrund ihres lasterhaften Lebenswandels gerügt. Vgl. Angulo Egea (2002: 298). Dieses
Beispiel zeigt, dass das im Theater des Siglo de Oro vorherrschende Bild der lasterhaften Witwe sich im 18. Jahrhundert zumindest in Teilen fortschreibt. Die Figur der
Guiomar führt durch ihre moralisierende Strenge einen Bruch mit diesem Bild herbei.
42
Einen ersten Hinweis auf Guiomars Alter liefert eine Replik der Dienerin Teresa,
in der es heißt: „[...] / mi ama se va a dedicar / desde ahora a trabajar / haciendo un
ramo de flores / para su vieja cuñada.” Gálvez (2001: 162, vv. 61ff.). Dass Teresa hier
so großspurig ankündigt, ihre Herrin arbeite nun und binde einen Strauß für ihre ‚alte
Schwägerin‘, ist ein ironischer Seitenhieb auf die Faulheit der petimetras, die sich ausschließlich ihrem äußeren Erscheinungsbild widmen. Dies erklärt auch den „ramo de
flores“, eine Art Sträußlein zum Anstecken, mit dem sich die petimetras zu schmücken
pflegen. Auch, dass Canuto bemerkt, dass Guiomars Reichtum ihr ‚das Gesicht wasche‘
(„Sobran cincuenta talegas / para lavarle la cara.”), also mögliche Ehepartner über ihr
Alter hinwegtröste, gibt einen Hinweis darauf, dass sie fortgeschrittenen Alters ist.
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
581
die Universalität dieses neuen Leitbildes einer bürgerlich-aufgeklärten
Gesellschaft. 43
Einzig der Umstand, dass sie sich wieder zu verheiraten droht, lässt
Tschilschke zufolge die Möglichkeit eines spezifisch weiblichen Agierens offen.44 Im Zuge der nachfolgenden Analysen soll geprüft werden, ob Guiomars Weiblichkeit rhetorischer Natur ist, ihr Geschlecht
also für ihr Wirtschaftsverhalten nicht weiter von Belang ist und keine Aussage über die Fähigkeiten wirtschaftender Frauen trifft, oder
ob sie im Gegenteil ein alternatives weibliches Rollenbild jenseits des
Gendermainstreams des spanischen Aufklärungsdiskurses verkörpert
und implizit mit dem Plädoyer dafür verbunden ist, Frauen mehr ökonomische Kompetenz zuzugestehen. Friederike Hassauer hat diesen
Aufklärungsdiskurs mit Fug und Recht als „Protektionsprojekt der
bourbonischen Krone“45 und „dezidiert christliche Aufklärung ‚von
oben‘“46 bezeichnet.
Dafür, dass das Geschlecht der Hauptfigur Doña Guiomar durchaus relevant ist, spricht, dass die Dramatikerin Gálvez eine Reihe
starker Frauenfiguren geschaffen hat, die Gies zufolge als Alter Egos
der Autorin betrachtet werden können, wird doch auch Gálvez von
ihren ZeitgenossInnen eine nicht unbeträchtliche Willensstärke nachgesagt.47 Dass Gálvez daran gelegen ist, als Dramatikerin ernst genommen zu werden, zeigt ihr Verzicht auf ein männliches Pseudonym,
was zur Folge hat, dass La familia a la moda zunächst von den Zensoren
abgelehnt und erst in einem zweiten Anlauf akzeptiert wird.48 Auch
ihre Tragödie Alí-Beyk (1802) weist sie im Vorwort selbstbewusst als
43
Tschilschke (2014: 295f.).
Vgl. Tschilschke (2014: 290).
45
Hassauer (1997: 215).
46
Hassauer (1997: 215).
47
Gies, David T. (2016): „María Rosa Gálvez de Cabrera, La familia a la moda (1805),
and the Multiple Anxieties of late Nineteenth-Century Spain“. In: Anales de la literatura
española contemporánea 41,4, pp. 153-172, hier p. 152. Wie neben Gies auch Andioc in
seiner Einführung zu La familia a la moda bemerkt, reichte Gálvez nach dem Scheitern
ihrer Ehe ein Scheidungsgesuch ein, was Andioc zufolge einigen Mut erforderte, insbesondere dann, wenn dieses Gesuch von der Frau ausging. Vgl. Andioc, René (2001):
„Introducción“. In: Gálvez, María Rosa de. La familia a la moda, ed. René Andioc. Salamanca: Grupo de Estudios del Siglo XVIII, pp. 7-101, hier p. 11.
48
Vgl. Gies (2016: 153).
44
582 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
„obra de una señora española“49 aus. Gies argumentiert außerdem,
dass Guiomar in La familia a la moda etwa dann als spezifisch weiblicher Charakter agiere, „when she expresses a desire to ‚liberate‘ Inés
from the convent cell in which she has been educated“50. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kritik an der Klostererziehung beispielsweise
in Moratíns neoklassischer Komödie El sí de las niñas (1806) von einem
Mann erhoben wird und es dort eine Frau ist, die ein Mädchen in ein
Kloster verbannen möchte. Die von Gies erwähnte Figur der Inés ist
die Tochter der fehlgeleiteten Eheleute Canuto und Madama Pimpleas, die als die ‚schlechten ÖkonomInnen‘ des Stücks von der ‚guten
Ökonomin‘ Guiomar51 gemaßregelt werden. Wie Tschilschke bemerkt,
fehlt in diesem Stück interessanterweise der „Argumentationsaufwand, der etwa in den Dramen Leandro Fernández de Moratíns betrieben wird“52, versucht die resolute Guiomar doch gar nicht erst, die
Fehlgeleiteten zu überzeugen. Stattdessen erlegt sie ihnen ein resolutes Sparprogramm auf und setzt ihre eigenen Interessen konsequent
auf einer legalen Basis durch, indem sie den Rechtsweg beschreitet.
Die durchgehende Rekurrenz auf einen juristischen Rahmen, die einer „bemerkenswerte[n] Verrechtlichung und Verschriftlichung der
Tauschbeziehungen“53 gleichkommt, erfolgt nicht nur für finanzielle,
sondern auch in ehelichen Belangen und ist, wie Tschilschke bemerkt,
eine Besonderheit des Stücks. Madama Pimpleas droht ihrer Tochter
Inés, die sich mit dem aussichtsreichen hombre de bien Carlos verheiraten möchte, mit dem Kloster, sollte die junge Dame nicht dem mütterlichen Wunsch entsprechen, einen mittellosen Marqués zu ehelichen,
der zwar ein „malgastador“, „tonto“ und „presumido“54 ist, in den
Augen von Madama aber allein aufgrund seines Adelstitels eine gute
Partie darstellt. Den schneidigen Carlos, der als Hauptmann einer Karriere beim Militär entgegensieht, lehnt Madama als Schwiegersohn ab,
weil dessen Vater Facundo, ein Anwalt und aufgeklärter Philanthrop,
sie allzu oft wegen ihrer Schulden und ihres verschwenderischen
49
Vgl. Gies (2016: 152). Zur misogynen Kritik an der Autorin im Memorial literario
vgl. auch Whitaker, Daniel S. (1993): „An Enlightened Premiere: The Theatre of María
Rosa Gálvez“. In: Letras Femeninas, 1-2, pp. 21-32, hier p. 23.
50
Gies (2016: 153).
51
Zu Guiomar als guter Ökonomin vgl. auch Gies (2022: 189ff.).
52
Tschilschke (2014: 289f.).
53
Tschilschke (2014: 290).
54
Alle Zitatfragmente aus Gálvez (2001: 133, vv. 342ff.).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
583
Lebenswandels gerügt hatte; nicht zuletzt aber auch deshalb, weil er
ihr eine große Summe Geld geliehen hatte.55 Mit der „nackten Macht
ihrer ökonomischen Überlegenheit”56 setzt Guiomar schließlich Carlos
als Inés‘ künftigen Ehemann durch. Es darf vermutet werden, dass
Guiomar sich auch deshalb mit ihrer jüngeren Geschlechtsgenossin solidarisiert, weil sie sich aufgrund eigener Erfahrungen mit deren auswegloser Lage identifizieren kann. Ihre Parteinahme wird aber auch
durch die moralökonomische Logik des Stücks gerechtfertigt, derzufolge die auf Seiten der Vernunft und des Rechts stehende durchsetzungsstarke Guiomar zugunsten der tugendhaften, aber schwachen
Jüngeren intervenieren muss. Eine ‚Affinität im Geiste‘ zwischen den
beiden Frauen tritt bereits in der zweiten Szene des ersten Aktes zutage, als die Dienerin Teresa auf Inés‘ altchristliche Wurzeln und ihren
Habitus als traditionsbewusste Gebirgsbewohnerin hinweist. Beides
teilt Inés mit ihrer Tante Guiomar.57
Wurde hier bereits darauf hingewiesen, dass das Kloster als ‚letztes
Mittel‘ elterlicher Autorität im spanischen Theater des ausgehenden
18. Jahrhunderts ein wiederkehrender Topos ist, nimmt es in Iriartes
La señorita malcriada ebenso wie in Gálvez‘ Stück die Funktion eines
drohenden Gefängnisses ein. Das Schicksal, eingesperrt zu werden,
bleibt Inés erspart, weil die resolute Tante ihren lasterhaften Eltern deren ohnehin als zweifelhaft dargestellte Autorität kraft Gesetzes entzieht. Wie schon in den Stücken um den vir oeconomicus interveniert
auch hier der ‚lange Arm‘ des Souveräns zugunsten der Tugendhaften, wenn der Anwalt Facundo mit einem königlichen Pfändungsbefehl herbeieilt,58 der die Eheleute Pimpleas der finanziellen Macht
55
Vgl. Gálvez (2001: 132, vv. 312ff.).
Tschilschke (2014: 290).
57
Vgl. Gálvez (2001: 121, vv. 101f.): „La señorita es ladina, / aunque huele a la Montaña.” In Bezug auf den Verweis dieser Replik auf das ‚Altchristentum‘ und die Traditionsliebe in dieser Gebirgsregion im Nordosten Kantabriens und Asturiens, vgl. Andioc
in Gálvez (ibid.), Fußnote 153: „Por haberse refugiado en ella la nobleza goda ante la
invasión árabe, se consideraba, como escribe F. Doménech, ‚cuna de hidalgos fuertemente arraigados en las tradiciones’.” Ohne Angabe der Quelle. Zu Guiomar und ihrer
regionalen Herkunft s.u.
58
Vgl. Gálvez (2001: 251, vv. 710ff.): „[...] / ha tenido a bien el Rey / el caudal de
estos señores, / a petición de acreedores, / secuestrar, según la ley. / Ésta es la orden,
mas podía / aún haber composición / si atendéis mi intercesión, / Doña Guiomar, por
ser mía: / condescended en pagar / de Don Canuto y su esposa / los atrasos generosa.”
56
584 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Guiomars ausliefert, ist sie doch die Einzige, die den drohenden Ruin
durch die sofortige Begleichung der Schulden der Familie Pimpleas
abzuwenden vermag. Dieses ‚providenzielle Moment‘59 legitimiert
zugleich die Autorität der weiblichen Ordnungsstifterin Guiomar, die
hier durch die königliche - und damit durch die höchste patriarchale
Autorität im Staat – unerwartet Schützenhilfe erhält.
Nicht nur die Figur Guiomar, auch die Dramatikerin Gálvez solidarisiert sich in ihrem Stück mit ihren Geschlechtsgenossinnen, was sich
etwa anhand der Figur des ungezogenen Neffen Faustino zeigt, Inés‘
Bruder. Dieser wird in der Komödie zum Sprachrohr der misogynen
Haltungen seiner Zeit („El diablo son las mujeres“60), die, so der Subtext des Stückes, schon allein deshalb nicht für voll zu nehmen sind,
weil sie von Männern ausgesprochen werden, denen es wie Faustino
an Bildung61 und geistiger Reife fehlt. So wird die Autorität der Rede
Faustinos durch die stereotype Überzeichnung seiner Figur kontinuierlich untergraben,62 mutet Faustino doch eher an wie ein verwöhntes
Bürschchen denn als ein junger Mann mit ernstzunehmenden Positionen zur Geschlechterfrage.63 Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt,
dass diese Figur in Anlehnung an die im Theater der Epoche verbreitete Figur des petimetre weibliche Züge aufweist.64 Im Einklang mit seiner Effeminiertheit tritt Faustino als „gossiper“65 auf, als Klatschbase,
die nichts Besseres zu tun hat, als Guiomar nach einer strapaziösen
Reise von über 500 Kilometern Wegstrecke66 über den neuesten Nachbarschaftstratsch in Kenntnis zu setzen.67 Seine nicht nur mit ihren
Finanzen, sondern auch mit Worten haushaltende Tante Guiomar
59
Vgl. Tschilschke (2014: 294).
Gálvez (2001: 162, v. 71).
61
Zur fehlenden Bildung Faustinos vgl. Kap. 9.1.4.
62
Vgl. Gies (2016: 154).
63
Mit nahezu kindlichem Trotz beharrt Faustino darauf, nach Frankreich gehen zu
wollen, wie seine Mutter es für ihn geplant hatte, und zwar auch dann noch, als Guiomar diesem Wunsch bereits entschieden widersprochen hatte. Vgl. Gálvez (2001: 193,
v. 579): „Tía, yo quiero ir a Francia.”
64
Zum vir profusus als einer devianten Männlichkeit vgl. Kap. 9.1. Zu Faustino als
vir profusus vgl. Kap. 9.1.4.
65
Vgl. Gies (2016: 154).
66
Vgl. Gálvez (2001: 121), Fußnote 157.
67
Vgl. Gálvez (2001: 125, vv. 167ff.). Passend zur ökonomischen Thematik des Stückes geht es darum, wer wem in welcher Höhe etwas schuldet. Dies entspricht der von
Tschilschke (2014: 288) beobachteten Durchdringung des Stücks mit ökonomischen
60
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
585
hingegen übernimmt Gies zufolge die Rolle eines ‚weiblichen Revisors‘68 und ist, wie Tschilschke treffend bemerkt, eine quasi-männliche
Autorität.69 In dieser Hinsicht steht sie den hier bereits untersuchten
männlichen Ordnungsstiftern in Nichts nach, eine Position, die in
dieser Form „auffällig, wenn nicht einmalig“70 ist: Mit dem ehrbaren
Anwalt Facundo kommuniziert sie auf Augenhöhe und schließt eine
Allianz, um den vielversprechenden jungen Leuten Carlos und Inés
die Heirat zu ermöglichen.
Die ordnungsstiftende Funktion Guiomars wird in der fünften Szene des ersten Aktes besonders hervorgehoben, in der sie die im Hause
Pimpleas herrschende Unordnung anprangert:
Guiomar
En tanto en su casa veo
mil criados holgazanes
jugando hasta en los zaguanes,
que es un desorden muy feo.
Por todas partes brillando
está la magnificencia
inútil, que a la indigencia
va el camino preparando.71
Wo in der Dienerschaft keine Ordnung herrsche, bemerkt Guiomar, sei es kein Wunder, dass die Herrschaft ihr Geld für sinnlosen
Pomp ausgebe. Der schöne Schein stehe der ‚hässlichen Unordnung‘
diametral gegenüber, ja bedinge diese und werde letztlich, so prognostiziert Guiomar, in den Ruin führen, eine Gefahr, die angesichts
der Höhe der Spielschulden des Vaters und der Ausgaben der Mutter
für Luxuswaren bereits akut ist (s.u.). Wie schon in Bezug auf das späte
Aufstehen der Dienerschaft, das sich durch das der Herrschaft erklärt,
zeigt Gálvez auch hier, inwiefern das schlechte Beispiel der Herren
das Fehlverhalten der Diener provoziert, ein Gedanke, der ganz im
Themen, die sich auch lexikalisch niederschlägt und die Tschilschke (ibid., Fußnote 7)
anhand einer Wortfeldanalyse minutiös nachweist.
68
Vgl. Gies (2016: 154): „In fact, all the men in the work come under Gálvez’s gendered scrutiny.“
69
Vgl. Tschilschke (2014: 286).
70
Tschilschke (2014: 286).
71
Gálvez (2001: 131, vv. 303ff.).
586 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Sinne des aufklärerischen Erziehungsgedankens steht. Was es heißt,
wenn – wie Madama großspurig erklärt – die Mode in einem Haus ihr
‚souveränes Regiment‘72 führt, fasst die scharfsinnige Guiomar gegen
Ende des Stücks prägnant und mit der für sie typischen lakonischen
Ausdrucksweise zusammen:
Guiomar
[...] hallo en vosotros
una familia a la moda:
la compone un jugador
con una esposa indolente
y un muchacho impertinente,
que sufrirlo causa horror.73
Auch hier wird offen markiert, dass schlechte Vorbilder die Wurzel des Problems sind: Weil Canuto ein leidenschaftlicher Spieler74
ist und darüber die Zügel des Haushaltes, über den er eigentlich gebieten müsste, nicht nur schleifen lässt, sondern sie überdies an seine
verschwenderische Gattin abtritt, ist der männliche Nachkomme des
Hauses zu einer wahren Plage geworden. Beide, Mutter und Vater,
sind den häuslichen Aufgaben, die der Reformdiskurs der Aufklärung
für sie vorsieht – der Erziehung und der Herrschaft über den Haushalt –, nicht nachgekommen. Demgegenüber erweist sich Guiomar als
versierte Ökonomin der Finanzen (sie ist reich), der Worte (sie verliert
nicht viele) und der Gefühle, denn zusätzlich zu ihrer Solidarität mit
Inés und dem von ihr geäußerten Missfallen angesichts des im Hause
regierenden Chaos lässt sie keine Emotionen erkennen. Ihre Sprache,
72
Gálvez (2001: 116, vv. 17f.): „Aquí, que reina la moda, / con imperio soberano
[...].”
73
Gálvez (2001: 223, vv. 265ff.).
Wie Tschilschke (2014: 289) konstatiert, ist Canuto kein Spielsüchtiger und daher
kein Opfer. Das Gleiche gilt für die Ausgaben Madamas für Mode: „Besonders hervorzuheben ist, dass auch das scheinbar völlig unökonomische Verhalten von Madama
de Pimpleas, die ihr Geld für Mode und Luxusartikel verschwendet, und die Spielleidenschaft ihres Mannes Don Canuto nicht als pathologische Sucht dargestellt werden,
sondern ebenfalls einer gewissen berechnenden Rationalität folgen, allerdings einer
höfisch-aristokratischen, ‚anökonomischen‘ Rationalität des ostentativen Konsums,
des Genusses und der Verschwendung, die im Widerspruch zur protobürgerlich-aufklärerischen Einstellung Doña Guiomars und damit gleichzeitig der auktorialen Intention des Stückes steht.“
74
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
587
die sich durch ironische Präzision auszeichnet, zeugt ganz von rationaler Distanznahme,75 was besonders deutlich wird, als ihr der Tanzlehrer Trapachino wortreich seine geheuchelte Zuneigung erklärt.76
Mit der wortkargen, ganz von Kalkül und Leidenschaftslosigkeit gekennzeichneten Guiomar, die in weiser Voraussicht Allianzen
schmiedet, entwirft Gálvez eine Figur, die sich dem Sentimentalen als
Basis des aufklärerischen Weiblichkeitsideals verweigert. Ebenfalls
bezeichnend ist, dass sie im Gegensatz zu vergleichbaren weiblichen
Figuren, etwa der vernünftigen Antonia aus El hombre agradecido, nicht
aus dem Inneren des in Unordnung befindlichen oikos heraus wirkt,
sondern dass sie von außen kommend auf den Haushalt Einfluss
nimmt. Dieser ‚Außenstatus‘ wird durch die wiederholten Verweise
auf ihre Identität als Bergbewohnerin (s.u.) deutlich markiert. Ihre Position außerhalb der domus perversa macht sie zur weiblichen Entsprechung männlicher Ordnungsstifter wie Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada oder Bruno aus El hombre agradecido. Eben weil Guiomar
nicht gemäß dem weiblichen Geschlechterideal der Reformer agiert,
sondern in emanzipatorischer Geste an das Ideal des hombre de bien angelehnt und demnach eine mujer de bien ist, ist sie nicht als eine femina
oeconomica im Sinne der aufklärerischen Reformdoktrinen zu bezeichnen, sondern vielmehr als alternativer Entwurf einer ‚exzeptionellen
femina oeconomica‘,77 die in der Vielzahl ihrer vermeintlich männlichen
Eigenschaften (Rationalität, Kalkül, Wortkargheit) quer zum häuslichempfindsamen Frauenbild des bourbonischen Reformdiskurses steht.
Ihren versierten Umgang mit Finanzen offenbart Guiomars Reichtum: Während Madama Pimpleas „veinte años de las rentas / del mayorazgo de mi hijo”78 für Modeartikel ausgegeben hat (ein Umstand, der
75
Diesbezüglich bemerkt Tschilschke (2014: 296): „Der demonstrative Sprachgebrauch einer exuberanten, selbstbezogenen, prinzipiell täuschungsverdächtigen
Rhetorik [Trapachino] wird dabei gegen einen kommunikativen, streng funktionalen,
effektiven und bis an die Grenzen der Unhöflichkeit ehrlichen Sprachgebrauch [Guiomar] ausgespielt.“
76
Vgl. Gálvez (2001: 227f.). Diese Szene wird in Kap. 9.1.2 einer eingehenderen Betrachtung unterzogen.
77
Dass „der Bereich traditioneller Weiblichkeitsvorstellungen spätestens in dem
Moment überschritten [wird], in dem das gute Wirtschaften [...] zum Paradigma guten Herrschens und Garanten gesellschaftlicher Ordnung wird“, konstatiert auch
Tschilschke (2014: 295).
78
Gálvez (2001: 167, vv. 149f.).
588 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
sie zugleich als schlechte Mutter ausweist), und die Spielschulden Canutos derart hoch sind, dass er selbst den Überblick darüber verloren
hat,79 verfügt Guiomar seit dem Tod ihres Mannes, der einst in Lima
Gerichtspräsident80 war, über ein Vermögen von einer Millionen81 reales. Das scheinhafte Spiel der lasterhaften Figuren des Stücks entrollt
sich ausgehend von der Frage, wie Guiomar dazu zu bewegen sei, die
Familie Pimpleas und ihre zwielichtigen Hausgäste, den Musiklehrer
Trapachino und den Marqués, als Erben einzusetzen. Dazu kommt es
natürlich nicht, denn Guiomars Allianz mit dem Juristen Facundo hilft
ihr, ein rechtsgültiges Testament aufzusetzen, das Madama und Canuto die Vormundschaft über ihre Tochter Inés entzieht,82 Guiomar als
neuen Vormund einsetzt und Inés unter der Bedingung zu Guiomars
Erbin erklärt, dass sie den vorbildlichen Carlos heiraten darf. Damit
ist der elterliche Wille außer Kraft gesetzt, das Glück der beiden im
aufklärerischen Sinne ‚vernünftigen‘ und tugendhaften83 jungen Menschen Carlos und Inés besiegelt und das Vermögen der reichen Erbtante den VerschwenderInnen Madama und Canuto entzogen.
Tschilschke zufolge ist die Figur der Guiomar nicht in erster Linie deshalb eine femina oeconomica84, weil sie finanziell potent ist oder
„über die maßgeblichen Vernunfteinsichten verfügt“85, die für das
‚gute Wirtschaften‘ im reformökonomischen Sinne erforderlich sind,
sondern vor allem deshalb, weil sie die Macht besitzt, ihre Vorhaben gegen alle Widerstände durchzusetzen. Ihr resolutes Auftreten
weist laut Tschilschke deutliche Parallelen zu den „dirigistischen
und interventionistischen Wirtschaftspraktiken“86 des bourbonischen
79
Vgl. Gálvez (2001: 196f.).
Vgl. Gálvez (2001: 194, vv. 593ff.): „Fue su esposo presidente / en Lima [...].” Wie
Andioc (ibid.) in einer Fußnote anmerkt, meint „presidente“ hier eher „regente“, also
den Vorsitz der kolonialen Gerichtsbarkeit („Audiencia“).
81
Vgl. Gálvez (2001: 141, vv. 483ff.): „[...] Pues, Canuto, / sábete que mis caudales /
llegan a un millón de reales, / que con descanso disfruto.“
82
Möglich ist dies, da Guiomar Facundo zum Finanzverwalter bestimmt und ihn
damit zu ihrem gesetzlichen Vertreter gemacht hatte. Vgl. Gálvez (2001: 249, vv. 691ff.).
83
Dass Inés’ Tugend bis hin zur Selbstaufopferung geht, zeigt sich, als sie sich zunächst weigert, in die durch Guiomar erfolgreich eingefädelte Ehe mit Carlos einzuwilligen, sollte die Mutter ihren Segen verweigern. Vgl. Gálvez (2001: 150, v. 696f.).
84
Auch Tschilschke (2014: 286) plädiert für eine solche Bezeichnung Guiomars.
85
Tschilschke (2014: 294).
86
Tschilschke (2014: 295).
80
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
589
Merkantilismus87 auf. Auch dieser Aspekt ist in unseren Augen als
Praxis der rhetorischen Legitimation dieser exzeptionellen Frauenfigur durch die patriarchale Autorität des Königs lesbar. Gerade die von
Tschilschke konstatierte Parallele zu den Maßnahmen der bourbonischen Reformökonomie ist insofern revolutionär, als die hier bisher
untersuchten, den vir oeconomicus inszenierenden Komödien um ein
paternalistisch-patriarchalisches Stellvertretersystem kreisen, in dessen Zentrum der Souverän als oberster Patriarch der Nation steht.
Eine Frau als strukturhomologisch und überdies juristisch autorisierte – und damit legitime – Stellvertreterfigur des Monarchen ist hingegen ein absolutes Novum. Dieser Aspekt, aber auch die Tatsache,
dass Gálvez die über die Figur des Faustino platzierte weibliche Kritik
an misogynen Haltungen in das unverdächtige Gewand der um 1800
bereits zur Konvention gewordenen neoklassischen Ästhetik kleidet,
spricht für die Relevanz der Geschlechtlichkeit der Figur der Guiomar,
durch die Gálvez die Autorität und ökonomische Kompetenz einer
Frau als Familienoberhaupt affirmiert. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Gálvez‘ Entwurf einer unbeirrbaren, resoluten, wortkargen,
durch und durch rationalen und durchsetzungsstarken Frauenfigur
weniger als ‚universelles Leitbild‘ des wirtschaftenden Menschen zu
betrachten, denn als Prototyp einer jenseits der Sentimentalität des género lacrimógeno und jenseits der aufklärerischen Präskriptive weiblicher Häuslichkeit kompetent wirtschaftenden femina oeconomica. Eben
weil ihre Protagonistin eine im Abgleich mit dem aufklärerischen Geschlechterentwurf ‚deviante Weiblichkeit‘ darstellt, sind die Figuren
in La familia a la moda so schematisch“88, die „Handlung so linear und
vorhersehbar“89 und der Ton so „streng“90, dass es den Anschein hat,
als setze Gálvez die Theatralität selbst zugunsten der formalen Konvention aufs Spiel.91
Dabei ist die übertrieben konventionelle und in der Tat langweilig
anmutende Form des Stücks aber gerade das Tarnkleid, in das Gálvez
Tschilschke (2014: 290) identifiziert das ‚gute Wirtschaften‘ Guiomars deshalb als
„merkantilistisch geprägte Wirtschaftsgesinnung“, weil die Witwe die „Frankophilie“
der petimetra Madama und ihren verschwenderischen Konsum französischer Waren
scharf rügt.
88
Tschilschke (2014: 297).
89
Tschilschke (2014: 297).
90
Tschilschke (2014: 297).
91
Vgl. Tschilschke (2014: 297).
87
590 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
ihre ‚unerhörte‘ Frauenfigur hüllen muss, damit diese die Schranken
der bourbonischen und der kirchlichen patriarchalen Zensur passieren kann. Neben den von Gies angeführten inhaltlichen Argumenten
(s.o.) spricht für die sowohl rhetorische als auch geschlechtlich bewusst gewählte Weiblichkeit Guiomars auch, dass die Schöpferin dieser ökonomisch ebenso autark wie kompetent agierenden Figur selbst
eine Frau ist.
Gerade weil Guiomar eine weibliche Figur mit Alleinstellungsmerkmal und eine ‚Wirtschaftsheldin‘92 darstellt, der die Wiederherstellung der ‚rechten Ordnung‘ zu verdanken ist, besteht die
Notwendigkeit, sie nicht nur in einen ästhetisch und strukturell konventionellen Rahmen einzubetten und ihr damit gewissermaßen den
Segen der staatlichen Reformer zu geben, sondern sie auch durch ihr
äußeres Erscheinungsbild, ihren Traditionalismus und betonten Katholizismus zu legitimieren. So gelingt es, sie von dem berechtigten
Verdacht zu befreien, die patriarchale Ordnung untergraben zu wollen. Diese Notwendigkeit ist vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt
der Aufführung der Komödie noch nicht allzu weit zurückliegenden
revolutionären Ereignisse in Frankreich umso mehr gegeben. Wie
auch Tschilschke bemerkt, werden mit
dem konstanten Hinweis auf die Herkunft Guiomars und ihrer Familie
[...] Wohlstand und Reformdenken legitimatorisch geschickt mit altspanischen Ursprüngen sowie dem christlichen Glauben verknüpft – und
gegen die Zustände in einer familia a la moda in Stellung gebracht.93
Als Vertreterin des alten, traditionellen Spaniens ausgewiesen wird
Guiomar bereits bei ihrem ersten Auftritt, wenn es im Nebentext zu
ihrer Kleidung heißt: „vestida ricamente a lo antiguo“94. Was darunter
zu verstehen ist, verdeutlicht Andioc: Während sich die petimetras als
Anhängerinnen der französischen Moden und Sitten (vgl. Kap. 9.2)
Eine ‚zivile Heldin’ in Anlehnung an Jehles Begriff des ‚zivilen Helden‘ (vgl.
Kap. 4.4) ist Guiomar insofern nicht, als sie keiner Berufstätigkeit nachgeht und es im
Gegensatz zu Figuren wie der Madama Sambrig aus Valladares‘ El fabricante de paños in
Guiomars Fall auch keine konkreten Hinweise auf eine Vermittlung kaufmännischen
oder unternehmerischen Wissens durch männliche Mitglieder des oikos gibt, die sich
diese femina oeconomica abgeschaut haben könnte. Guiomar agiert ganz und gar autark.
93
Tschilschke (2014: 293).
94
Gálvez (2001: 119).
92
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
591
in leichte und fließende Kleider hüllen, deren Röcke nicht allzu weit
ausgestellt sind und die dem weiblichen Körper eine gewisse Bewegungsfreiheit zubilligen, zeichnet sich die herkömmliche Kleidung
der spanischen Frau aus den gehobenen Schichten durch weit ausgestellte Rockteile aus, die die Mobilität einschränken95 und die, so
darf gemutmaßt werden, aus den in Spanien traditionell hergestellten schweren und dunklen Wollstoffen bestehen. Indem Gálvez ihre
Heldin in diese konventionelle und wenig modische Tracht kleidet,
verleiht sie ihr die zu ihrer Autorität als weibliche Ordnungsstifterin
passende Strenge – und wirbt womöglich indirekt für eine Bevorzugung traditioneller Waren aus heimischer Produktion. Ebenso wie die
konventionelle Komödienstruktur dient auch das betont konservative
äußere Erscheinungsbild Guiomars dazu, das ihr innewohnende revolutionäre Moment zu kaschieren.
Das gilt auch für ihren prononcierten Katholizismus, der bereits
durch den Verweis auf die altchristliche Genealogie ihrer Familie zutage tritt. Dass Guiomar nicht nur dem Blute nach eine ‚wahre‘ Christin ist, sondern den Katholizismus im Alltag praktiziert, wird deutlich,
als sie ihren in Glaubensfragen laxen Bruder Canuto (vgl. Kap. 9.1.4)
bittet: „[...] haz que se me ponga / La Virgen de Covadonga96, / Patrona
de las Montañas.“97 Die Charakterisierung der femina oeconomica Guiomar als Christin steht in struktureller Analogie zur betont christlichen
Figurenzeichnung von viri oeconomici wie Esteban aus Duráns La industriosa madrileña. Indem Gálvez ihre mit Macht, Autorität und Geld
ausgestattete Frauenfigur nahezu spiegelbildlich an den paternalistisch-patriarchalen Entwurf des vir oeconomicus anlehnt, auf die sentimentale Komponente aber nahezu gänzlich verzichtet, konstruiert sie
mit Guiomar eine ebenso singuläre wie alternative femina oeconomica,
die als autoritäre Matriarchin in der Lage ist, eine uneinsichtige petimetra wie Madama das Fürchten zu lehren. Bezeichnend ist in diesem
Zusammenhang auch der von Tschilschke beobachtete Umstand, dass
es in La familia a la moda zwei „femmes fortes bzw. Verkörperungen der
mujer varonil“98 sind, Guiomar und Madama, die ein Duell über die
95
Vgl. Gálvez (2001: 119, Fußnote 153).
Covadonga ist eine ‚Urstätte‘ der Reconquista, was Guiomar zu einer Altchristin
par excellence macht.
97
Gálvez (2001: 139, vv. 452ff.).
98
Tschilschke (2014: 295).
96
592 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Herrschaft im Hause Pimpleas ausfechten.99 Ungleich ist dieser Kampf
aufgrund der finanziellen Überlegenheit Guiomars. Angesichts dieser
beiden ‚starken Frauenfiguren‘ ist die Dauerhaftigkeit der von Guiomar an Canuto zurückgegebenen Verfügungsgewalt100 über das Haus
fraglich, zumal Guiomar diese an die Bedingung des ‚no malgastar‘ 101
knüpft.
8.1.2. Die Kette weiblicher Selbstaufopferungen in El fabricante de paños
Im Kontext unserer Analysen des Typus des vir oeconomicus als einer
männlichen Typisierung des Handels waren wir bereits auf die Bedeutung der Zeit bzw. der Zeitschere für die kaufmännische Tätigkeit eingegangen, die Jacques Le Goff veranlasst, das mittelalterliche
Zeitverständnis eines temps de l’église, der den Tagesablauf durch das
Läuten der Kirchenglocken gliedert, von dem für die (frühe) Neuzeit
charakteristischen temps du marchand zu unterscheiden, bei dem Warengeschäfte den Zeitablauf bestimmen, ein Verständnis, das der kapitalistischen Devise vorgreift, dass Zeit Geld ist. Während die petimetras
gerade eine schlechte Zeitökonomie kennzeichnet (vgl. Kap. 9.2), ist
das Merkmal der guten Ökonominnen ihr bewusster und ‚sparsamer‘
Umgang mit Zeit, der sich unter anderem in einer betonten Pünktlichkeit äußert. Wir erinnern uns an die Figur der Antonia aus Comellas
El hombre agradecido, die die auf der Bühne platzierte Uhr im Blick behält und das zu späte Eintreffen ihrer Schwägerin, der petimetra Blasa,
kommentiert. Ein sparsamer Umgang mit Zeit zeichnet auch Guiomar
aus, steht sie doch früh auf, während die petimetra Madama noch am
Mittag im Bett liegt.
Der bewusste Umgang der feminae oeconomicae mit Zeit offenbart
sich auch in Valladares‘ sentimentaler Wirtschaftskomödie El fabricante de paños. Dort überreicht Madama Sambrig ihrem in finanzielle
99
Der Herrschaftsanspruch Madamas über den Haushalt wird im Stück wiederholt
betont. Vgl. Gálvez (2001: 176, vv. 183f.; 214, vv. 109f. und insbesondere 242, vv. 594f.):
„[...] / no, nadie ha de gobernar / a mi familia ni a mí.” Dieser Anspruch steht im Gegensatz zu der vom Diener Pablo betonten Führungslosigkeit im Hause Pimpleas. Vgl.
Gálvez (2001: 164, vv. 89ff.): „Voy; pero si alguna vez / en esta casa hay gobierno / [...].”
100
Vgl. Gálvez (2001: 256, vv. 778ff.): „Yo, a pagar lo que tú debas, / hermano, y tú a
gobernar / tu casa sin malgastar”.
101
Vgl. Gálvez (2001: 256, v. 781).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
593
Schwierigkeiten geratenen künftigen Schwiegersohn, dem titelgebenden Tuchfabrikanten, gerade zur rechten Zeit die Mitgift ihrer Tochter
Fania, damit dieser ein Termingeschäft über 1.300 Guineen abschließen kann:
RICARDO
Se me ocasiona
un gran perjuicio, supuesto
que me esperan para hacer
un negocio, que en extremo
me es interesante, y si
tardo en hacerle, pierdo.
[...]
(MADAMA SAMBRIG, que ha estado atento a la respuesta de
RICARDO, y a la sorpresa de WILSON, saca de una cartera unos billetes, se levanta, y asiendo a WILSON de un brazo, le lleva a la izquierda
del teatro, y le habla aparte.)
MADAMA SAMBRIG
Oíd, Wilson.
Estos billetes, ya ha tiempo
que guardo, pues son la dote
de mi hija. Pagad con ellos.
[...]
No hagáis esperar a este hombre
por vuestro honor. Yo os lo ruego.
Mil y trescientas guineas
valen los billetes, y eso
es lo que importan las letras.
Tomad.102
Dass der weiblichen Akteurin der bestehende Zeitdruck bewusst
ist, zeigt sich darin, dass sie ihrem Schwiegersohn in spe ohne lange
Überlegung zu Hilfe eilt. Dem aufklärerischen Weiblichkeitsideal folgend, agiert sie – anders als die exzeptionelle femina oeconomica Guiomar – aus dem Inneren des oikos heraus als aufopferungsvolle und
damit konventionelle femina oeconomica, die sich schützend vor ihre
102
Valladares (o.J.: 4, vv. 214-225).
594 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Familie stellt und in ihrem entschiedenem Altruismus nicht zulässt,
dass Wilson ihr Angebot zurückweist.103 Als Kaufmannstochter104
weiß sie den Wert der Mitgift und den Wert der Wechsel, die Wilson
Ricardo schuldet, gegeneinander aufzurechnen. Hier zeigt sich der
Effekt eines mittelbaren Erwerbs kaufmännischer Fähigkeiten durch
Beobachtung des Geschäftsgebarens der männlichen Verwandten. Bezeichnend ist, dass Madama Sambrig in aller Heimlichkeit und ohne
das Wissen von Wilsons Geschäftspartner Ricardo agiert. Dies zeigen
ihre apartes, die stets ein ‚scheinhaftes Spiel‘ im Sinne Fuldas (vgl. Kap.
4.1) anzeigen bzw. Reden oder Vorkommnisse markieren, die die übrigen auf der Bühne befindlichen Figuren nicht registrieren. Heimlich agiert Fania, um Wilson den Gesichtsverlust zu ersparen, den er
erleiden würde, wenn Ricardo erführe, dass Wilson finanziell derart
klamm ist, dass er sich das für die Transaktion nötige Geld von seiner
künftigen Schwiegermutter leihen muss. Es geht also um die Aufrechterhaltung von Wilsons gutem Ruf, der sich wesentlich an seiner Liquidität bemisst. Madama Sambrigs freiwillige und vorzeitige Übergabe
der Mitgift ihrer Tochter Fania an Wilson, mit der sie zugleich deren
Zukunft vertrauensvoll in Wilsons Hände legt, metonymisiert performativ die Opfer, die Frauen zum Wohle männlicher Familienmitglieder zu erbringen haben. Sambrigs Verhalten steht ganz im Zeichen
eines weiblichen Agierens, das vom Gefühl familiärer Zuneigung geleitet ist. Damit weist Valladares das weibliche ökonomische Handeln
ganz im Sinne des aufklärerischen Weiblichkeitskonzepts als sentimental konnotiertes und zugleich von kaufmännischen Grundkenntnissen geleitetes Agieren aus.
Dass der (töchterliche) Apfel nicht weit vom (mütterlichen) Stamm
fällt, wird deutlich, als Wilsons zukünftige Gattin Fania dem Beispiel
ihrer Mutter folgt und ihre Diamanten hergibt, um einen Teil der
Schulden Wilsons bei seinen Gläubigern Jorge Astur und Jaime Ancur
– die Namensähnlichkeit zeigt ihre Austauschbarkeit – zu begleichen
und damit ein weiteres Fortschreiten der bereits in der Vollstreckung
begriffenen Pfändung der Geschäftsutensilien, Warenbestände und
103
Vgl. Valladares (o.J.: 4, vv. 232-235): „Vos, ella y yo, me parece / que una familia
debemos / componer desde hoy; con que / cuanto tengamos es vuestro.”
104
Vgl. Valladares (o.J.: 4, vv. 170-174): „[...] Mi padre / que hacía un gran comercio,
/ tuvo pérdidas frecuentes, y murió pobre.”
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
595
Haushaltsgegenstände zu verhindern.105 Die Kette der Nachahmungen des guten Tuns der älteren weiblichen Familienmitglieder durch
die jüngeren setzt sich fort, als das Kind Isabela, Wilsons Tochter aus
erster Ehe, sofort bereit ist, ihrem Vater ihre diamantene Kette zu überreichen, ja mehr noch, ihr eigenes Blut und Leben hinzugeben, damit
der philanthrope Unternehmer die ausstehenden Gehälter seiner Gesellen zahlen kann:
WILSON
[...]
¿Me darás tú sin reparo,
hija mía, ese collar
que no te es necesario?
ISABELA (Quitándoselo con prisa.)
Papá mío, mi collar
la sangre que circulando
está en mis venas, mi tierno
corazón, mi vida, cuanto
tengo, y puedo tener,
es todo vuestro. Tomadlo.106
In dieser anrührenden Szene greift das volle Pathos der sentimentalen Komödie. Auffällig ist, dass alle Figuren, die bereit sind, finanzielle und darüber hinausgehende Opfer zu bringen, um Wilson vor
dem Bankrott zu bewahren, weiblich sind. Anders als Madama Sambrig handelt das Kind Isabela hier allerdings nicht als femina oeconomica, sondern als folgsame Tochter und Spiegelbild ihres Vaters, die dessen Geschäftsethos – zügige Begleichung von Schulden, Ehrbarkeit,
christliche caritas – verinnerlicht hat. Hier veranschaulicht das aufklärerische Theater die positiven Effekte der Erziehung durch das gute
Beispiel der Eltern, wohingegen Gálvez‘ La familia a la moda die negativen illustriert, die das schlechte Vorbild der Eltern bei den Kindern
zeitigt. Indem die (guten) performativen Handlungen der Erwachsenen in Valladares‘ Stück durch die Kinderfiguren spiegelbildlich wiederholt werden, wie wir dies bereits im Kontext der christlichen caritas
erörtert hatten (vgl. Kap. 6.4.1), gestattet diese sentimentale Komödie
105
106
Vgl. Valladares (o.J: 13, vv. 291f.).
Valladares (o.J.: 16, vv. 454-466).
596 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
dem geneigten Publikum einen anrührenden Blick auf die Zukunft
der Tochter Isabela, die verspricht, dem Beispiel des christlichen Handelns ihres Vaters Wilson und ihrer Stiefmutter Fania zu folgen, sobald sie erwachsen ist.
Valladares‘ comedia económico-sentimental inszeniert mit dem Beispiel der gefühlsbetonten femina oeconomica Sambrig eine ganze Kette weiblicher Aufopferungen für das von dem Familienpatriarchen
betriebene Geschäft, eine Kette, die das weibliche Analogon der von
Gervais beschriebenen trusted chain of correspondents bildet (vgl. Kap.
5.2). Die Bereitschaft, mit dem eigenen Vermögen auch sich selbst zu
opfern, reicht von der Schwiegermutter Sambrig über die Tochter Fania bis hin zur Stiefenkelin Isabela. Der Aufopferungswille von Madama Sambrig geht so weit, dass sie ihren ehemaligen Verlobten Lord
Baltton, von dem sie einst tief enttäuscht und im Stich gelassen wurde,
um finanzielle Hilfen ersucht, um ihre Tochter, deren künftigen Ehemann und dessen Kinder aus erster Ehe vor dem finanziellen Ruin zu
bewahren:
MADAMA SAMBRIG
[...]
Si me hubiera la avaricia
preocupado, de riquezas
yo satisfecha estaría;
ya me resuelvo a escribirle [a Lord Baltton]
por ti, y verás que acredita
lo que digo.107
In dieser Passage offenbart sich nicht nur die finanzielle Großmut
Sambrigs, sondern neuerlich ihre durch Nachahmung erworbene Fähigkeit zu kaufmännischem Denken und Handeln, wickelt sie doch
gewissermaßen ein ‚Wechselgeschäft‘ ab, im Zuge dessen sie die Begleichung der ihr gegenüber bestehenden moralischen Schuld Lord
Balttons einfordert. In ähnlicher Weise wie der geizige Kaufmann Don
Roque an seine nur vermeintlich untreue Gattin Isabel die Forderung
stellt, ihre moralische Schuld durch eine Sühneleistung abzutragen,
fordert Sambrig in El fabricante de paños die Ummünzung der moralischen Schuld ihres einstigen Geliebten Lord Baltton in Geldmittel, die
107
Valladares (o.J.: 20, vv. 231-237).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
597
sie in weiblicher Selbstlosigkeit – und daher ganz dem aufklärerischen
Desiderat gemäß – nicht etwa für sich selbst oder ihre Tochter, sondern für den Patriarchen und Unternehmer Wilson verlangt. Damit
tritt sie ihre eigenen (weiblichen) Ansprüche an den vir oeconomicus als
das berufstätige (männliche) Oberhaupt der Familie ab und erweist
sich als eine im Einklang mit dem Geschlechterideal der Aufklärer stehende femina oeconomica, deren primäre Eigenschaft die gefühlsbetonte Selbstaufgabe108 ist, die hier zugunsten der Aufrechterhaltung der
Handlungsfähigkeit des Unternehmer-Paternalisten erfolgt.
8.1.3. Prudentia als Tugend der femina oeconomica
Eine durch Beobachtung und Nachahmung des männlichen Geschäftsgebarens geprägte femina oeconomica finden wir auch in Antonia, der
Schwester des gefallenen Kaufmanns Lorenzo aus der bereits untersuchten comedia económico-sentimental El hombre agradecido von Comella. Die Namensverwandtschaft dieser weiblichen Figur mit Antonio,
Shakespeares The Merchant of Venice (1600) ist zumindest augenfällig.
Wie Shakespeares Antonio verkörpert auch Comellas Antonia kaufmännische Tugenden, allerdings findet sich im Dramentext selbst kein
weiterer Hinweis auf Shakespeares Stück. Antonias hervorstechendste
Tugend ist die prudentia, die Besonnenheit, die sie gemäß dem aufklärerischen und reformökonomischen Tugendkanon als klug planenden
und handelnden Menschen ausweist. Wie Schaefer gezeigt hat, war es
noch „im ökonomischen Diskurs der Renaissance keineswegs selbstverständlich [...], prudentia überhaupt als [...] weibliche Tugend zu begreifen“.109 Anders als im Falle der Madama Sambrig ist es bei Antonia
108
Diese Selbstaufgabe geht mit der von Campos (1969: 49) konstatierten Eigenschaft Sambrigs einher, der Prototyp der tugendhaften und verfolgten weiblichen Unschuld zu sein. Ein solcher Typus wird uns im Folgenden in der Figur der femina fabra
Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña wiederbegegnen.
109
Schaefer (2018: 135). In der titelgebenden Protagonistin von Caggios „mit petrarkistischen und bukolischen Elementen“ (127) versetztem Zweiakter Flamminia prudente
(1551) macht Schaefer eine Frauenfigur aus, bei der prudentia als „eigenständige weibliche Tugend“ (135) erscheint, wurde diese Tugend doch bei Alberti und Torquato Tasso
noch als eine Eigenschaft betrachtet, die Frauen allein in Abhängigkeit vom Mann
besitzen. Schaefer (2018: 135) mit Bezug auf Alberti, Leon Battista (1999): I libri della
famiglia, eds. Ruggiero Romano, Alberto Tenenti & Francesco Furlan. Turin: Einaudi,
598 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
nicht das Gefühl, das ihre Handlungen bestimmt, sondern rationale
Überlegung. In dieser Hinsicht steht sie Guiomar näher als Sambrig.
Dass Antonia sowohl die Tugend der prudentia als auch die temperantia
verkörpert, wurde in dieser Arbeit bereits dargelegt (vgl. Kap. 5.2).
Schon unter den dramatis personae wird sie als „joven juiciosa“110 eingeführt, was die ihr eigene Tugend der Vernunft betont.111 Gerade dieser
Aspekt trifft in der Rezension des Stücks im Memorial literario auf eine
positive Resonanz.112 Dies ist insofern wenig erstaunlich, als Antonia
die Eigenschaften des ehrbaren Kaufmanns, wie sie Foronda in seiner Disertación sobre lo honrosa que es la profesión del Comercio nennt, in
mustergültiger Weise verkörpert. Eben dieser Umstand weist sie als
femina oeconomica aus. Ist der Kaufmann nach Foronda jemand, der
sich durch Mut auszeichnet und seine Rechte zu verteidigen weiß,113
handelt Antonia genau nach dieser Maxime, wenn sie sich gegen einen dreisten Gerichtsvollzieher zur Wehr setzt und eine klare Grenze
zwischen familiärem Mitgefühl und ökonomischer ratio zieht: Ersteres
endet da, wo Letzteres beginnt. Ihr Handeln ist vom Wissen darum
geleitet, dass ihr Bruder nicht schuldlos bankrottgegangen ist, sondern aufgrund seines mangelnden Widerstands gegenüber seiner verschwendungssüchtigen Gattin Blasa. Daher ist Antonia nicht willens,
p. 197 und Tasso, Torquato (1997): Discorso della virtù feminile e domnesca (1582), ed.
Maria Luisa Doglio. Palermo: Sellerio, p. 60. In Flamminias Fall manifestiert sich ihre
prudentia u.a. in ihrer „Standhaftigkeit“, die als „kluges und strategisches Handeln“
im Ehehandel erscheint, sowie als „Abwarten des richtigen Moments“. Schaefer (2018:
136). Das Stück thematisiert „ebenso Spielformen weiblicher prudentia“ wie es auf die
„ökonomische Unterweisung des weiblichen Publikums“ abzielt. Schaefer (2018: 145).
110
Vgl. Comella (1796: 1).
111
McCloskey verweist darauf, dass Thomas von Aquin prudentia allein der Vernunft zuordne, während die übrigen Tugenden (iustitia, temperantia und fortitudo im
Sinne von ‚Mut‘ bzw. ‚Tapferkeit‘) ihm zufolge den Verstand auf die Leidenschaften
anwendeten. Vgl. McCloskey, Deirdre (2007): The Bourgeois Virtues. Ethics for an Age of
Commerce. Chicago: The University of Chicago Press 2007, p. 254 mit Bezug auf Aquinas, Thomas (1984): „Treatise on the Virtues“ [1270]. In: idem. Summa theologiae, ed. &
trans. John Oesterle. Notre Dame: Indiana University Press, Ia, IIae, Q. 61, Art. 3 und 4,
pp. 112f. In II, II, Q. 47, Art. 1-2 heißt es auch über prudentia: ‚Die Klugheit ist nicht nur
hinsichtlich der Erwägung zu loben, sondern auch hinsichtlich der Umsetzung, die das
Ziel der auf das Tun gerichteten Vernunft ist‘ (meine Übersetzung).
112
Fernández Cabezón (2002: 114) mit Bezug auf Joaquín Ezquerras schon erwähnte Kritik in der Mai-Ausgabe (1790: 138).
113
Vgl. Foronda (1793a: 11f.).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
599
mit ihrem eigenen Vermögen für Lorenzos Schulden haftbar gemacht
zu werden. Diese rationale Einsicht veranlasst sie, dem vom Gericht
mit der Pfändung beauftragten Notar mit der nötigen Entschlossenheit entgegenzutreten:
Sale el Escribano con un Escribiente
y un Aguacil
Escrib.
Señora,
dadme la llave al momento
de ese otro quarto.
Ant.
Aquí está.
Pero mirad que os advierto,
que todo quanto contiene,
es mio propio, y ageno
de la quiebra, pues son bienes
que en la parte me cupieron
de la herencia de mis padres.
Escrib.
Eso Señora es enredo.
Ant.
Secretario, poco a poco;
hable usted con miramiento.
Escrib.
Y usted respete algo mas,
de la justicia los fueros.
Ant.
Los fueros de la justicia
en la justicia respeto;
pero no respetaré
al que quiera abusar de ellos
para insultar a una joven
con semejantes dicterios...
Con esa voz intimide
600 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
al pobre, y al jornalero
que ignoran quanto los Jueces
velan en hacer atentos
à sus Ministros, no à quien
sabe, que ustedes en ellos
si faltan a sus deberes
encuentran castigos fueros.114
Als der Gerichtsvollzieher Antonia List und Tücke vorwirft und
darauf pocht, sie möge die ‚Privilegien der Justiz‘ achten, kontert die
versierte femina oeconomica schlagfertig, dass sie sich als geschäftserfahrene junge Frau nicht von Reden dieser Art einschüchtern lasse,
die vielleicht einfachere Gemüter wie den Tagelöhner oder den Mittellosen beeindrucken mögen. Nicht nur markiert sie damit ihre ‚bürgerliche Würde‘, sondern kontrastiert ihr Vertrauen in die Justiz mit dem
rechtmäßigen Handeln des Bevollmächtigten – und offenbart damit
ihre genaue Kenntnis des Rechtssystems. Mit der für sie typischen
Umsicht, aber auch mit dem von Foronda beschriebenen kaufmännischen Mut, weicht sie nicht zurück, sondern droht dem dreisten Vollstreckungsgehilfen ihrerseits mit rechtlichen Konsequenzen. Dabei
wirft sie ihm Rechtsbruch vor („[...] la justicia / en la justicia respeto“,
s.o.). Antonia erweist sich in diesem Dialog nicht nur als kluge Verfechterin eigener Interessen, sondern auch als kompetente Staatsbürgerin, die ihre Rechte kennt und diese gegen eine Justiz, die das Recht
missbraucht, zu verteidigen weiß.
Antonia besitzt nicht nur die Tugend der temperantia, sie fungiert
– ähnlich wie der Textilfabrikant Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada – zudem als moral consultant, wenn sie das Fehlen dieser Tugend sowohl beim Gerichtsvollzieher als auch bei ihrer Schwägerin
bemängelt. Sie achtet nicht allein auf die juristisch korrekte Anwendung der Gesetze, sondern erweist sich überdies als Hüterin der
‚rechten Ordnung‘ im Hause, wenn sie bei den Dienern mehr Respekt
gegenüber der Herrschaft einfordert und die vorlaute Dienerin ihrer
Schwägerin aufruft, sich ihrer Herrin gegenüber respektvoller zu verhalten. In einem Selbstgespräch zu Beginn der ersten Szene des ersten
Aktes formuliert Antonia ein Stoßgebet, in dem sie ihren abwesenden Bruder anfleht, zur kaufmännischen Tugend der Bescheidenheit
114
Comella (1793: 2).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
601
zurückzufinden.115 Zugleich tadelt sie ihn für seine Heirat mit einer
faulen, vergnügungssüchtigen und verschwenderischen Adeligen,
weil eine solche ‚unnütze‘ eheliche Verbindung dem Kaufmannsstand
mehr schade als nütze:
Ant.
[...]
Que estos
sonrojos al Comerciante
malgastador é indiscreto
no corrijan? Ay hermano!
tu condescente genio con
tu muger, en qué abismo
te ha anegado de tormentos?
Por su vanidad y luxo
te vés en la cárcel preso,
sin amigos, sin apoyo,
sin caudales ni conceptos:
los desiguales enlaces
jamas acertados fueron
en el Comerciante.116
Was Antonia ihrem Bruder Lorenzo hier unterstellt, ist fehlende
Besonnenheit bei der Partnerwahl. Dass Antonia diesem schlechten
Beispiel nicht folgt und auch in dieser Frage von der prudentia geleitet
ist, zeigt sich in dem Umstand, dass sie sich den versierten Kaufmann
Bruno als Vertreter einer ‚sabia economía‘ (vgl. Kap. 5.2) als künftigen
Ehemann erwählt.
Die Tugend der prudentia kennzeichnet nicht nur die femina oeconomica Antonia, sondern auch die keusche, tugendhafte und handwerklich begnadete Weberin und femina fabra117 Cecilia aus Duráns La
industriosa madrileña, was deutlich wird, als sie ihren Leitspruch verlautbaren lässt: „[...] la prudencia / es el mejor norte y guia.“118 Besonders auffällig ist die Kopplung weiblicher wirtschaftlicher Kompetenz mit der Tugend der prudentia im Falle Guiomars: Vier Mal wird
115
Vgl. für alle Akt I.
Comella (1796: 2).
117
Den Begriff der femina fabra definiert Kap. 8.2.
118
Durán (o.J.: 25).
116
602 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der femina oeconomica in Gálvez‘ Komödie die Gabe der Besonnenheit
attestiert, drei Mal bescheinigt sie sie sich selbst.119 Ihrer Gegenspielerin Madama wird demgegenüber das Laster der imprudencia zugewiesen.120 Wurde hier bereits darauf hingewiesen, dass Jovellanos
in seinem Discurso económico sobre los medios de promover la felicidad de
Asturias neben der temperantia auch die prudentia als Element einer
patriotischen Haltung im Dienste des bien común feiert (vgl. Kapitel
5.2.), erweist sich prudentia in diesem Zusammenhang als säkulare
Tugend des berufstätigen, zunächst männlich imaginierten Staatsbürgers und Basiselement eines reformökonomischen Tugendkanons, zu
dessen Säulen auch die Mäßigung zählt. Während die beiden Frauenfiguren Antonia und Cecilia mittels ihrer Besonnenheit das ideale
Komplement ihrer künftigen Ehemänner bilden, also die perfekte Ergänzung des vir oeconomicus sind – des ehrbaren Kaufmanns bzw. des
philanthropen Unternehmer-Paternalisten –, bleibt Guiomar in ihrer
markierten Besonnenheit am Ende ein Solitär. Auch der Umstand, dass
Gálvez ihre weibliche Hauptfigur am Ende nicht ‚domestiziert‘, indem
sie ihr Stück in eine Doppelhochzeit münden lässt und Guiomar der
Autorität eines Ehemannes unterstellt – und das, obwohl Facundo ein
geeigneter Kandidat gewesen wäre –, spricht für eine Charakterisierung dieser Figur als eine exzeptionelle femina oeconomica jenseits des
aufklärerischen Weiblichkeitsdiskurses.
8.2. Die femina fabra im Kontext der escuelas patrióticas (1776-1813)
der Matritense
Wie James R. Farr in seiner Monographie Artisans in Europe über Frauen im Handwerk bemerkt, stellen diese in der Historiographie nicht
zuletzt aufgrund der schmalen zur Verfügung stehenden Datenbasis
einen blinden Fleck dar, sodass der Blick der Geschichtswissenschaft
auf die wirtschaftende Frau lange Zeit allein auf ihre Rolle im Haushalt fokussiert war:
119
Vgl. Gálvez (2001: 160, v. 24; 175, v. 276; 189, v. 493; 248, v. 684).
Vgl. Gálvez (2001: 218, v. 185). Dort bezeichnet der Anwalt Facundo Madama
als „imprudente“.
120
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
603
We now know that huge amounts of artisanal work were done by women, and we know that the household economy, largely the preserve of the
woman, was inextricably linked to the craft and market economy beyond
the home. [...] [T]he fact remains that artisanal organization, political
expression, public life, and identity in early modern Europe were overwhelmingly masculine, and it is precisely because of the strongly gendered assumptions of the Old regime and their uniquitous inscription in
the historical record left to the scrutiny of historians that the primary subject of this book will be men.121
Seit Ende der 1990er Jahre jedoch widmet sich die Historiographie
zunehmend der Rolle, die Frauen als Handwerkerinnen historisch
einnehmen, etwa, wenn sie die Betriebe ihrer verstorbenen Gatten in
leitender Funktion weiterführen.122 Im Zuge der Entdeckung des zuvor ruhenden nationalwirtschaftlichen Potenzials von Frauen durch
Reformökonomen wie Campomanes (vgl. Kap. 3.3.2 und 3.4.2) kommt
es in Spanien im ausgehenden 18. Jahrhundert durch eine Initiative
der Sociedad Económica von Madrid, der Matritense, die Méndez Vázquez in ihrer erhellenden Studie explizit als den ‚verlängerten Arm
des aufgeklärten Absolutismus‘ (meine Übersetzung)123 ausweist, zu
Bemühungen, so genannte escuelas patrióticas zu etablieren, die in Analogie zu den escuelas-fábrica von Campomanes stehen und die insbesondere mittellosen Frauen, Witwen und jungen (Waisen-)Mädchen
‚nützliches Wissen‘ in textilen Fertigungstechniken vermitteln sollen.
Dieses Wissen soll es ihnen erlauben, sich selbst und ihre Familien zu
unterhalten, ohne auf kirchliche Einrichtungen wie Hospize angewiesen zu sein. In diesem Sinne steht die Gründung dieser Art von Werksschulen auch im Dienste einer durch den Staat in Angriff genommenen Säkularisierung des Wohlfahrtssystems, ist der Besuch dieser
Bildungsstätten doch für die Schülerinnen kostenlos.124 Die Gründung
121
Farr (2002: 6f.).
Zum Status deutscher Meisterswitwen als Meisterinnen ohne formale Ausbildung vgl. Werkstätter (2001: 144ff.). Zu weiblichen Zünften im 18. Jahrhundert in
Frankreich vgl. Musgrave (1997: 151ff.). Zu staatlichen Schulen des Textilhandwerks
für Frauen im 18. Jahrhundert in Spanien vgl. Méndez Vázquez (2016: 117ff.).
123
Méndez Vázquez (2016: 96): „La Matritense, brazo ejecutor del despotismo ilustrado [...].”
124
Dass die Schulen kostenlos sind, ist zugleich ihr Schwachpunkt, hängt ihre
Finanzierung durch den Staat, die zumeist durch den chronischen Mangel an Geldmitteln gekennzeichnet ist, doch an einer Wirtschaft mit großen konjunkturellen
122
604 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der ‚patriotischen Schulen‘ durch die Matritense zeugt zum einen von
der aufklärerischen Überzeugung, dass Fortschritt vor allem durch
Wissen und institutionelle Wissensvermittlung in staatlicher Hand zu
erreichen sei; sie ist zum anderen durch das aufklärerische Bestreben
gekennzeichnet, Armut nicht wie in den Jahrhunderten zuvor durch
Almosen zu bekämpfen, sondern aus Bettlern ciudadanos útiles zu
machen: StaatsbürgerInnen also, die einer sinnvollen Beschäftigung
nachgehen, die nicht nur ihnen selbst nutzen soll, weil sie ihnen ein
Einkommen garantiert,125 sondern idealerweise auch der Nationalwirtschaft Profite beschert.126 An den vier Schulstandorten San Andrés, San Ginés, San Sebastián und San Martín127 werden Garne und
Stoffe produziert und Schülerinnen zugleich im Spinnen und Weben
von Woll-, Leinen- und Hanfgarn unterwiesen.
Wie auch im Falle der Gründung der escuelas-fábrica ist ein wesentlicher Aspekt bei der Einführung der Patriotischen Schulen für Frauen und Mädchen die Einrichtung einer staatlichen Alternative zum
Ausbildungsmonopol der von den Reformökonomen, insbesondere
von Campomanes (vgl. Kap. 3.4.2), scharf kritisierten Zünfte. Deren
Prinzip der ‚Ausbildung durch Imitation‘128 widerspricht zum einen
der aufklärerischen Vorstellung systematisch-technischer Wissensvermittlung. Zum anderen sperren sich die Zünfte gegen eine Aufnahme
von Frauen in ihre Reihen, sodass die Erlaubnis, dass sie textilgewerbliche Tätigkeiten jenseits der Zunftbindung ausüben dürfen, durch die
bereits erwähnten Erlasse von 1779 bzw. 1784 verfügt werden muss
Schwankungen. Zu den finanziellen Engpässen der Schulen der Matritense durch Konjunkturschwankungen vgl. Méndez Vázquez (2016: 34 u. 128ff.). Die Unterfinanzierung der Schulen weist sie (2016: 163ff.) minutiös anhand ihrer Ausstattung nach. So
sind die Ausbildungsstätten beispielsweise in barackenähnlichen Gebäuden mit spärlicher Möblierung und noch spärlicherer technischer Ausstattung untergebracht.
125
Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an Niphos Konzept vom Einkommen als Form der Existenzsicherung, vgl. Kap. 3.2.2.
126
Wie Méndez Vázquez (2016: 226f.) zeigt, scheitert die von der Matritense intendierte Selbstfinanzierung der Schulen an dem schwerfälligen Absatz der dort hergestellten Produkte, der womöglich auf Vorbehalte der Kaufleute hinsichtlich der Qualität der Waren zurückzuführen ist.
127
Vgl. Méndez Vázquez (2016: 121).
128
Vgl. dazu die bereits in Kap. 3.4.2 zitierte Textstelle aus Campomanes (1975: 93),
in der er die Ausbildung durch die Zünfte, die weder Anreize durch Prämierungen
schaffen noch ein systematisches Wissen über Arbeitsabläufe und technische Prozesse
vermitteln.
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
605
(vgl. Kap. 3.2.1).129 Dass die Zünfte sich nicht nur in Spanien, sondern
in ganz Europa seit dem Mittelalter auf ein patriarchalisch-paternalistisches System gründen, das sich im Zeitalter der Aufklärung hartnäckig hält, betont auch Farr. Während weibliche Zunftmitglieder noch
im Mittelalter keine Seltenheit sind, werden sie bis zu Beginn des 19.
Jahrhunderts immer mehr verdrängt.130
Throughout the Old regime, hierarchy and discipline were joined by paternalism in defining corporatism. Society was theoretically structured on
the microcosm of the family, the prescriptive model of which was the paterfamilias. A well-ordered society [...] was based upon the well-ordered
family, which was supposedly regulated and disciplined by the father, the
male head of the household. Of course, women were construed to be, in
the nature of things, inferior to men [...]. Patriarchy as a specific legal system may have been directly challenged in the late seventeenth and eighteenth centuries, notably by Locke and his followers, but paternalism did
not die a sudden death.131
Wenn die Matritense also ab 1776 das Projekt ihrer textilhandwerklichen Schulen für Frauen und Mädchen in Angriff nimmt und die
Verantwortung für die so entstandenen textilhandwerklichen Schulen
ab 1787 auf die Junta de Damas de Honor y Mérito übergeht, wird damit
eine staatliche Alternative zum ohnehin als defizitär betrachteten Ausbildungssystem der Zünfte geschaffen, die sich dezidiert an Frauen als
eine von den Zünften vernachlässigte Gruppe richtet, die potenziell
129
Vgl. Fuentes (2014: 214): „[...] by 1779 edicts had not only eliminated the obstacles for qualified women to enter into guilds but had exhorted the guilds to accept them,
and finally in 1784, the year following the edict with which this essay opens, another
proclamation afforded illegitimate children the right to join guilds.”
130
Vgl. Farr (2000: 37): „The institutional world of work was overwhelmingly male,
and so women hold a very small place in our discussions of guilds, if not in the world
of economic practice [...]. In general, all across Europe women saw their formal, independent participation in guilds narrow from the Middle Ages to the eighteenth century. Although their presence was not entirely eroded, guildsmen and magistrates joined
to increasingly exclude them from a range of guilds, leaving them in guilds which
society placed little social value and deemed ‚unskilled‘.” Im Handwerk tätige Frauen
finden sich auch in Frankreich vor allem im Textilgewerbe, das nur geringe Einkünfte
verspricht. Einen entsprechend niedrigen sozialen Status haben diese Frauen inne. Vgl.
Farr (2000: 41).
131
Farr (2000: 33).
606 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in der Lage ist, die Zahl der in der Textilproduktion tätigen StaatsbürgerInnen zu erhöhen. Obgleich Jacobs das fortschrittliche Denken
Campomanes‘ im Discurso sobre la educación de los artesanos y su fomento
(1775) lobt, wo der Minister im Kontext seines Modells einer industria
rural dispersa die Gleichstellung der Frau im Arbeitsprozess verlangt,
weil sie über die gleichen geistigen Fähigkeiten verfüge wie der Mann
und nur schlechter ausgebildet sei,132 muss zu bedenken gegeben werden, dass Campomanes weniger an der Einführung neuer Geschlechterrollen gelegen ist, als an Frauen als Mittel zur Erhöhung der nationalen Produktion.
Dass diese Erkenntnis über die nationalwirtschaftliche Bedeutung
weiblicher Arbeit allerdings nicht ohne (positive) Folgen für die vorherrschenden Geschlechterbilder bleibt, schlägt sich nicht zuletzt im
Theater der spanischen Spätaufklärung nieder: Die Weberin Cecilia
aus Duráns schon untersuchtem Stück mit dem bezeichnenden Titel La
industriosa madrileña erscheint vor dem Hintergrund des Wissens über
die escuelas patrióticas wie als eine mustergültige potenzielle Absolventin dieser Schule, die sie allerdings – so wissen wir durch das Stück
– nie besucht hat. Dadurch, dass die Figur der Cecilia eine begnadete
Autodidaktin ist, die sich auf dem Dachboden ihrer Tante selbst in den
raffiniertesten französischen Webtechniken erfolgreich versucht hat,
metonymisiert sie das handwerkliche Können spanischer Frauen, das
die Webkünste des ungeschickten (männlichen) Lehrlings Blas mühelos aussticht. Zu welchen handwerklichen Großtaten, mögen sich
zeitgenössische ZuschauerInnen gefragt haben, wäre diese begnadete
Frau erst in der Lage gewesen, wenn sie professionelle Unterweisung
durch die in den staatlichen Textilschulen tätigen maestras133 erhalten
hätte? Auch in dieser Hinsicht ist Duráns Komödie ein Paradebeispiel
des reformökonomisch inspirierten neoklassischen Theaters, dessen
„sentencias y buenas máximas“134 der Rezensent im Memorial literario
132
Vgl. Jacobs (1996b: 87) mit Bezug auf Campomanes, Rodrigo Conde de (1968
[1775]): Discurso sobre la educación popular de los artesanos y su fomento, ed. Antonio Elorza. In: Revista de trabajo, 24, pp. 281-485, hier p. 447: „La mujer tiene el mismo uso de
razón que el hombre; sólo el descuido que padece en su enseñanza la diferencia, sin
culpa suya.“ Vgl. auch Jacobs (2001: 66).
133
Zu den maestras als Lehrerinnen in den escuelas patrióticas und der internen Organisation dieser Schulen vgl. Méndez Vázquez (2016: 139ff.).
134
Vgl. die Rezension im Memorial literario in der Februar-Ausgabe, zitiert in Campos (1969: 48). Vgl. auch Gies (1996: Titel).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
607
lobt. Im gleichem Maße wie diese Komödie ein Lehrstück über den vir
oeconomicus ist, inszeniert es die ideale Handwerkerin, die femina fabra,
einen Typus, von dem es im spanischen Theater der Spätaufklärung
nur wenige gibt. Gies mutmaßt, dass es sich bei Cecilia womöglich um
die einzige Figur dieser Art handeln könnte, nicht ohne jedoch einzuräumen, dass dies durch weitere Forschungen zu prüfen wäre.135
Mag die Figur der Weberin Cecilia im Theater der Epoche auch
ohne Gleichen sein, gilt dies nicht für die femina fabra im Allgemeinen. Fuentes etwa verweist in ihrer Studie über die Darstellung von
Madrider HandwerkerInnen in den comedias de teatro und sainetes des
18. Jahrhunderts darauf, dass die Schauspielerin Mariana Cabañas
bereits 1757 und fast zwanzig Jahre vor Campomanes‘ Reformüberlegungen mit dem sainete Las mujeres solas ein Stück verfasst hatte, in
dem im Handwerk tätige Frauen zu sehen sind:
[...] approximately thirty years before the royal proclamation regarding
the dignity of work, a female actor not only performed but authored a sainete which lauds women who practice their craft and earn a living wage.
Las mujeres solas was written by the actress Mariana Cabañas whose name
appears as author of the sainete which accompanied the 1757 production
of the play El mas justo rey de Grecia, published by Eugenio Gerardo Lobo
in 1729. The makeup of the list of characters, Aristómenes, Lisando, Menícrates, Cleón, Thelemón and Veleta was fairly uncommon because it consisted of all male characters, and in case the reader and/or public missed
it the final verses of the play, reiterated the novelty of a Spanish comedy
with no female roles. [...] Las mujeres solas served as an extraordinary complement to the play’s 1757 production in two manners: 1) by inverting the
gender of the actors performing the male roles it surpassed the novelty,
and 2) by subverting the form and content of a traditional sainete it transcended into a social commentary on gender roles, marriage and financial
independence of female actors.136
Cabañas‘ sainete ist nicht etwa deshalb bemerkenswert, weil dort
Frauen in Männerkleidern auftreten oder weil sie ihrem Heim den
135
Gies (1996: 453) zufolge kreiert Durán mit Cecilia eine im Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts singuläre Figur, haben wir es doch mit „uno de los pocos (hay
más?) personajes femeninos en el teatro español“ zu tun, „que no sólo trabaja sino que
se mantiene con el trabajo propio“.
136
Fuentes (2014: 225).
608 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Rücken kehren, was, wie Fuentes bemerkt, schon in den comedias des
Siglo de Oro häufig der Fall ist, sondern vielmehr, weil hier männliche
Geschlechterrollen von Frauen übernommen werden, die auf der Bühne agieren, als ob sie Männer wären.137 In ähnlicher Weise, wie sich
Cecilia mittels ihrer Hände Arbeit selbst unterhält, ist auch in Las mujeres solas ganz konkret vom finanziellen Ertrag die Rede, den eine der
Figuren als Reinerlös ihrer auf dem Markt getätigten Verkäufe nach
Hause trägt.138
8.2.1. Die Weberin Cecilia aus Duráns La industriosa madrileña
als femina fabra
Wie im vorausgehenden Abschnitt gezeigt wurde, ist Duráns La industriosa madrileña für den Bereich des spanischen Theaters weder das
erste noch das einzige Stück, das sich selbst mittels ihrer Arbeitskraft
unterhaltende Frauen zeigt, 139 wohl aber eine von wenigen comedias de
teatro, die nicht nur eine finanziell autarke Protagonistin, sondern eine
Handwerkerin in tragender Rolle inszeniert. Wie aber kann Cecilia als
– wie Gies mutmaßt – singuläre Figur einen weiblichen Typus wie die
femina fabra begründen, wenn Typen doch wiederkehrende Figuren
mit immergleichen Eigenschaften sind? Die Antwort ist schon im Titel
von Duráns Stück angelegt: In Analogie zu sentimentalen Komödien
wie El fabricante de Londres, die die Berufsbezeichnung des in Protagonistenrolle agierenden vir oeconomicus bereits im Titel tragen, erschafft
Durán mit La industriosa madrileña y el fabricante de Olot ein Stück Wirtschaftstheater, das dem darin inszenierten vir oeconomicus ein weibliches Analogon an die Seite stellt, das seine Ideen handwerklich umzusetzen vermag. ‚Die fleißige Madriderin und der Fabrikant von Olot‘
(meine Übersetzung) verkörpern den aufklärerischen Gedanken einer
doppelten – ökonomischen und moralischen – Bereicherung von Ehemann und Ehefrau. Wie die femina oeconomica dies für den häuslichen
137
Fuentes (2014: 226).
Fuentes (2014: 226).
139
Ein weiteres Stück dieser Art ist Valladares‘ Komödie Las vivanderas ilustres (1792)
über eine Gruppe von Marketenderinnen in der Gegend um Barcelona. Vgl. Valladares
de Sotomayor, Antonio (1792): Las vivanderas ilustres. Madrid: Librería de Quiroga.
Quelle: https://bibliotecavirtualmadrid.comunidad.madrid/bvmadrid_publicacion/es/
consulta/registro.do?id=15159, Zugriff: 10.09.2022.
138
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
609
Bereich leistet, vereint auch die femina fabra bürgerlich-christliche Tugenden mit wünschenswerten weiblichen Eigenschaften gemäß des
aufklärerischen Frauenbildes, die wiederum mit Leitgedanken der
Reformökonomie verknüpft werden. Im Fall der femina fabra betreffen
diese handwerkliche Kompetenzen im Bereich des Textilsektors. Im
Unterschied zur Mehrzahl der hier skizzierten feminae oeconomicae, die
ihre im Handel tätigen männlichen Familienmitglieder unterstützen,
ist die femina fabra eine Protagonistin der Produktion. Auch ihr gutes
Wirken und Werken dient am Ende ihrem zukünftigen Gatten, der
hier nicht umsonst ein Textilfabrikant ist.
Wie Gies in seinen Studien zu Duráns Komödie anmerkt, wird die
bürgerlich-christliche Tugend der industria in Duráns Komödie nicht
allein durch männliche Figuren, sondern wesentlich auch über Cecilia personifiziert.140 Über sie wird zudem die von den Ökonomen
der Epoche angestrebte Reform der Arbeitsprozesse mit der neoklassischen Reform des Theaters verknüpft,141 ein Umstand, der Cecilias
Rolle in dieser Komödie umso zentraler erscheinen lässt. Die Genese dieser Figur kann als direkte Reaktion des Theaters auf die bereits
genannten königlichen Erlasse der späten 1770er und frühen 1780er
Jahre betrachtet werden, die auch Frauen die Ausübung einer ihrer
Physis und der Sittlichkeit angemessenen Arbeit zugestehen. In gewisser Weise verkörpert die Weberin Cecilia die um die weibliche Arbeitskraft bereicherte Handwerkskunst, ohne die die industrielle Textilproduktion im 18. Jahrhundert nicht auskommen kann. In diesem
Zusammenhang darf allerdings nicht übersehen werden, dass Cecilia
sich in der Fiktion des Dramas zunächst als Mann verkleiden muss142
und erst ‚offiziell‘ als Weberin in der Fabrik des Textilunternehmers
von Olot tätig sein kann, nachdem sie enttarnt worden war und ihr
seitens des Ministers Prudencio als Stellvertreterfigur des Monarchen
eine Anerkennung für ihre Webkunst zuteilwurde. Damit erhält die
weibliche Handwerkerin ihre Legitimation von hochoffizieller Seite
140
Vgl. Gies (1996: 453) sowie idem (2022: 184ff.).
Zu beiden Aspekten, vgl. Gies (1996: 453).
142
Dass Frauen sich als Männer verkleiden, bezeichnet Angulo Egea (2002: 288) als
ein „recurso clásico“ des Theaters des 18. Jahrhunderts, „que seguía entusiasmando
al público“. Dieses szenische Mittel findet sich im Theater Comellas etwa in Natalia y
Carolina (1798) oder La Amelia o el amor conyugal (1794). Vgl. Angulo Egea (2002: 288).
Die männliche Verkleidung ermöglicht den weiblichen Protagonistinnen „una libertad
inusual para cualquiera mujer del siglo xviii“. Angula Egea (2002: 297).
141
610 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
und durch eine Kette patriarchaler Stellvertreterfiguren, an deren
Ende der Souverän steht.
Cecilias Konzeption als ideale Ergänzung Estebans und die Funktion beider Figuren, eine eheliche Idealbesetzung im aufklärerischen
Sinne zu repräsentieren, gilt es nun mit Blick auf die Plotstruktur zu
vertiefen, die kursorisch Elemente eines Abenteuerromans aufweist,
ohne dass dies gegen die Einheiten von Ort und Zeit verstieße. Wie sie
selbst berichtet, verdiente sich Cecilia ihren Lebensunterhalt in der bereits dargelegten (vgl. Kap. 6.3) Imitation französischer Stoffmuster,143
eine Tätigkeit, die sie mit solcher Kunstfertigkeit und Hingabe auszuüben imstande war, dass, wie sie selbst sagt,
[...] en cinco años
adquirí una buena renta
y el apreciable renombre
de Industriosa madrileña.144
Wie anhand der zitierten Textpassage deutlich wird, fußt Cecilias Kapital – ebenso wie das des Tuchfabrikanten Eugenio aus Iriartes
La señorita malcriada – nicht allein auf ihrem handwerklichen Können,
sondern ebenso auf einem guten Ruf als Handwerkerin, der sich hier
in ihrem Beinamen zeigt. Auch hier erscheint die durch das Adjektiv „industriosa“ bezeichnete Eigenschaft des Fleißes und mit ihr die
Arbeit als bürgerliche Tugend des Berufsbürgertums. Durch ihr handwerkliches Geschick als Imitatorin ausländischer Waren ist sie zusammen mit Esteban und dessen unternehmerischem Talent in der Lage,
den vor allem in der Qualität der Erzeugnisse begründeten Wettbewerbsvorteil französischer Konkurrenzprodukte auf dem Textilmarkt
auszugleichen. Dem in den Abschnitten zum vir oeconomicus bereits
dargelegten Handlungsmuster der comedia económico-sentimental der
spanischen Spätaufklärung gemäß, dem zufolge sich das moralische
und wirtschaftliche Kapital der am Ende in der Ehe vereinten ‚guten‘
Ökonomen und Ökonominnen zu einem doppelten Haben mehrt, findet das textilgewerbliche Dream Team Cecilia und Esteban am Ende
zusammen.
143
144
Durán (o.J.: 8).
Durán (o.J.: 8).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
611
Dass diese Verbindung keiner ökonomischen ratio folgt und keine
von langer Hand geplante Vernunftehe ist, sondern eine Verbindung
aus Neigung, entspricht dem foucaultschen Sexualdispositiv: So betont das Stück die „natural simpatía“145 zwischen den künftigen Ehepartnern sowie ihre „ideas tan conformas“146. Der philanthrope Unternehmer-Paternalist und die talentierte Weberin werden durch ein
wohlmeinendes und die Arbeitsamen belohnendes Schicksal zusammengeführt, das Cecilia nicht nur mit Esteban vereint, sondern zudem
in einer wundersamen Fügung offenbart, dass die vermeintlich aus
einfachen Verhältnissen stammende Weberin eigentlich eine marquesa
ist.147 Wiederum ist es Prudencio als Statthalter des Monarchen, der
die frohe Kunde überbringt und die Fleißigen entlohnt. Der ‚heimliche Adel‘ als wiederkehrende Plotstruktur der comedia-económico sentimental kann hier als eine Strategie der Legitimation dieser ebenso
singulären wie prototypischen ‚Protagonistin der Produktion‘148 verstanden werden: Über die Betonung ihres gehobenen sozialen Status
werden alle moralischen Bedenken hinsichtlich ihres trabajo manual
ausgeräumt.
Bemerkenswert ist, dass in Duráns Komödie nicht allein Fleiß
und Engagement Garanten gesellschaftlichen Aufstiegs und privaten Glücks sind, sondern dass das Rad der Fortuna als gattungsspezifisches Charakteristikum der Komödie auch in diesem Lehrstück
eines aufklärerischen Wirtschaftstheaters immer noch eine große
Rolle spielt. In Anbetracht des zentralen Stellenwertes der Religion
in Duráns Stück erscheinen die glücklichen Wendungen, die Cecilia
schließlich von allen im Verlauf der Intrige der Antagonisten gegen
sie erhobenen Vorwürfe freisprechen, als Ausdruck des Willens eines
wohlmeinenden Schöpfergottes, der nun auf allerhöchster Ebene die
fleißige Weberin reinwäscht und sie schließlich mit besagtem Adelstitel entlohnt, ein im Doppelsinn149 erhebendes Moment, das durch eine
dramaturgische Pause zusätzlich hervorgehoben wird:
145
Durán (o.J.: 28).
Durán (o.J.: 9).
147
Durán (o.J.: 34).
148
Zu Cecilia als ‚Protagonistin der Produktion‘ vgl. auch Gies (2022: 183ff.).
149
Erhebend ist dieser Augenblick zum einen für Cecilia, die in den Adel aufsteigt,
zum anderen für die ZuschauerInnen, die der tugendhaften und zuvor durch allerlei
Widrigkeiten gebeutelten Figur diesen Aufstieg gönnen.
146
612 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Prud.
[...] el cielo que no sufre
ver la inocencia abatida,
ha hecho que por su boca
se vean desvanecidas
las sospechas declarando
que es usted::– [sic]
D. Cec.
¿Qué soy, señor?
D. Prud.
El gozo el habla me quita.
¡Marquesa!150
In diesem Zusammenhang gilt es zu betonen, dass es Cecilias handwerklicher Arbeitseifer war, der diese göttliche Fügung überhaupt
erst möglich gemacht hatte, wurde der Marqués de la Muralla doch
erst durch Cecilias vielgerühmte „industria“ auf sie aufmerksam, beabsichtigte sie zu ehelichen und stieß im Zuge der Verifizierung ihrer
Blutsreinheit – der feudalen limpieza de sangre – auf ihre edle Abstammung, sodass Cecilia zusätzlich zu ihrem Titel und Estebans Hand der
materielle Reichtum des Geschlechts derer von Muralla zufällt.151
Bemerkenswert ist hinsichtlich der am Ende der Komödienhandlung notwendig erfolgenden Eheschließung Cecilias aktive, ja in Anbetracht des historischen Kontextes nahezu offensive Rolle: Während
Esteban noch rätselt, wem Cecilias Hand denn nun zufalle, reicht sie
ihm bereits die ihre. Damit gewinnt Esteban auch das mit dem Bekanntwerden von Cecilias Adelsstand gewonnene Vermögen, sodass
sich die finanziellen Sorgen des redlichen Fabrikanten in Wohlgefallen auflösen. Auch diese Kopplung von ehelichem und finanziellem
Glück ist typisch für die comedia económico-sentimental der spanischen
Spätaufklärung.152 Cecilia agiert ihrerseits als ihres eigenen Glückes
Schmiedin153 und steht daher der herkömmlichen Rolle von Frauen in
150
Durán (o.J.: 34).
Durán (o.J.: 34).
152
Vgl. Schuchardt (2014; 2016).
153
Durán (o.J.: 34): „D. Cec. [...] mi mano está destinada / ya. D. Est. ¿A quién? D. Cec.
A quien la estima / como debe. D. Est. ¿Quién es ese? D. Cec. Es... a quien reconocida
151
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
613
der Gattung Komödie entgegen, die im Kontext des Ehehandels zumeist als Waren fungieren, um die im Kontext eines männlichen Kalküls gefeilscht wird, das die mit einer möglichen Ehe einhergehenden
Vorteile in Bezug auf Stand, Vermögen und soziale Beziehungen erwägt.154 Auch aus weiblicher Perspektive steht bei der Transaktion des
Ehehandels viel auf dem Spiel, hängen doch von der Wahl des Ehepartners ökonomische Sicherheit und individuelles Glück ab.
8.2.2. Göttliche Interventionen: Die Weberin und der Dornbusch
In unserer Analyse der Darstellung des philanthropen UnternehmerPaternalisten als theatrale Typisierung der spanischen Textilindustrie
wurde bereits auf die Bedeutung des Religiösen in Duráns La industriosa madrileña eingegangen. Die religiöse Dimension erstreckt sich
jedoch nicht nur auf den männlichen Protagonisten, sondern auch
auf die weibliche Hauptfigur. Wie Guiomar aus Gálvez‘ La familia a
la moda ist auch ein weiblicher Charakter wie die finanziell autarke
Cecilia moralisch verdächtig, weshalb das Stück die Tugendhaftigkeit dieser femina fabra besonders hervorheben muss. Nicht nur wird
ihr schon im Titel die bürgerliche Tugend der industria zugewiesen
und im weiteren Verlauf der Handlung wiederholt affirmiert. Ihr ‚unerhörter‘ körperlicher Einsatz am Webstuhl wird überdies dadurch
legitimiert, dass es sich bei ihrem handwerklichen Können um eine
göttliche Gabe handelt, der sich die so Gesegnete nicht verweigern
kann, ohne sich ihrem Schöpfer gegenüber undankbar zu erweisen.
Wie Franziska Schößler gezeigt hat, unterliegen körperlich arbeitende
Frauen seit dem 19. Jahrhundert dem Generalverdacht sexueller Käuflichkeit.155 Auch im Falle unserer protoindustriellen Figur erscheint es
notwendig, ihre Keuschheit im Sinne der christlichen castitas zu betonen. Diesen Zweck erfüllt im Rahmen der Plotstruktur Cecilias Bericht
/ quisiera con esta mano / rendirle una Monarquía. Da la mano á Don Estevan, y esta la
recibe con el maxor gozo.”
154
Zur strategischen Bedeutung der Ehe im 18. Jahrhundert in Spanien vgl. auch
Pérez Álvarez, María José (2016): „Mujeres, familia y sociedad en la montaña leonesa
en el siglo xviii“. In: García Hurtado, Manuel-Reyes (ed.). El siglo xviii en femenino. Madrid: Síntesis, pp. 191-218, hier p. 200.
155
Vgl. Schößler (2017: 89f.).
614 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
über Silvestres sexuelle Annäherung156 während ihrer Flucht nach
Perpignan. In diesem Zusammenhang wird das biblische Motiv des
Dornbuschs bemüht und damit jeder Zweifel darüber ausgeräumt,
dass Cecilia in der göttlichen Gnade steht:
Cec.
[...]
mas como siempre da el cielo
con el mal la medicina,
me deparó unas zarzas,
corro a buscar acogida
en ellas; y como ciego
de cólera me seguía,
qual caballo desbocado,
en ellas se precipita,
de modo que todo el rostro
se lastimó en las espinas,
y se tiró contra el cielo
dando voces desmedidas.157
Dass es hier ausgerechnet ein Busch ist, der sich der verfolgten Unschuld Cecilia just im Moment höchster Bedrängnis als Unterschlupf
darbietet, dürfte beim damaligen Publikum die biblische Szene aufgerufen haben, in dem Gott sich Moses offenbart. Zwar ist hier kein
Feuer im Spiel und der Schöpfer zeigt sich auch nicht unmittelbar;
wohl aber verweist Cecilias Erwähnung des Himmels (span.: „cielo“),
der ‚mit dem Übel‘ auch gleich die dagegen wirksame ‚Medizin‘ (meine Übersetzungen) bereithält, auf eine zweifellos göttliche Intervention, die sodann den Sturz des begehrlichen Reiters und seines symbolischen ‚hohen‘ Rosses verursacht. Auf diesem sitzt der Schurke auch
im übertragenen Sinne deshalb, weil er adelig ist. Mit der Erwähnung
der ‚Medizin‘ bedient sich die Weberin einer in der Reformökonomie
gebräuchlichen Krankheits- und Heilungsmetaphorik (vgl. Kap. 3.2).
Der nach dem Heiligen Kosmas benannte Ort San Cosme, in dessen
156
Vgl. Durán (o.J.: 25): „[...] ese bárbaro de hermano / de usted, viendo que partía
/ yo de Olot, me fue siguiendo / hasta cerca de la hermita / de San Cosme: allí insistió
/ en irse en mi compañía; y al ver que eran mis desprecios / mayores que sus caricias,
con irracional furor / intentó una acción indigna.“
157
Durán (o.J.: 25).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
615
unmittelbarer Umgebung sich das Geschilderte ereignet, ist nicht zufällig gewählt: Sankt Kosmas ist der Schutzpatron der Ärzte, Chirurgen und anderer im Dienste des Heilens stehender Berufsgruppen.158
Die Koinzidenz von Ortsname und Ereignis unterstreicht einmal mehr
die Offenbarung des göttlichen Willens in einer komödientypischen
glücklichen Wendung der Ereignisse, die sich auch in Estebans Reaktion auf Cecilias Bericht widerspiegelt: „[...] quando el cielo / me
ha concedido esta dicha, / no dudo que hoy se verán / mis esperanzas
cumplidas.“159
Nicht nur die für die Komödie charakteristischen Schicksalswenden, sondern auch Cecilias handwerkliches Geschick erweisen sich in
Duráns Stück als göttliche Fügung. So sind Cecilias ‚göttliche‘ (meine
Übersetzung)160 Hände in der Lage, außergewöhnliche Stoffmuster
herzustellen, wie Don Prudencio in einem Dialog Don Pablo anerkennend verlauten lässt. Mit dieser Replik sowie durch das bereits in der
Liste der dramatis personae herausgestellte Talent Cecilias als einer
„jóven Madrileña, industriosa en imitar telas extrangeras de hilo“161,
wird die von Alberto Struzzi in Diálogo sobre el comercio de estos reynos
de Castilia (1624) formulierte These in Zweifel gezogen, dass die heimischen Provinzen mit ihrer Textilproduktion „no acertarán a hazer
las obras de imitación a las estranjeras, ni tan baratas como las que
se hazen en Milán, Nápoles, Alemania, Venecia, Flandes, Inglaterra
y otras partes“.162 Dass Cecilias Gabe, ausländische Stoffmuster perfekt nachzuahmen, hier an so prominenter Stelle herausgestellt und
158
Vgl. Reichert, Eckhard (1992): „Kosmas und Damian“. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, ed. von Traugott Bautz. Band 4. Herzberg: Bautz 1992, pp.
539–540.
159
Durán (o.J.: 25).
160
Durán (o.J.: 29): „D. Prud. ¿Qué libro es ese? / – D. Pab. De muestras de telas. – /
D. Prud. Son exquisitas: mirándolas / ¿se sabe de dónde vienen? – D. Pab. De las manos
de esa niña. – D. Prud. Si ellas texen estas cosas / se pueden llamar divinas.“
161
Durán (o.J.: 1).
162
Struzzi, Alberto (1624): Diálogo sobre el comercio de estos reynos de Castilia. Madrid:
ohne Verlagsangabe, ed. & comment. Márquez, Javier (1942): „El Diálogo de Alberto
Struzzi”. In: El Trimestre Económico, 9, 33 (1), pp. 86-119, hier pp. 96f. Struzzi beklagt
in diesem Zusammenhang, dass Spanien zwar über reiche Vorräte an Seide verfüge,
es aber an Arbeitern und Produzenten mangele, um die Bedürfnisse des Marktes zu
stillen. Zudem fehle es aber auch an Man Power, um die produzierten Waren zu transportieren. Vgl. Struzzi (1942: 97). Damit bringt er das Problem der despoblación als ‚Sorgenkind‘ der frühen Merkantilisten ins Spiel.
616 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
in der Figurenrede noch einmal aufgegriffen wird,163 stellt einen deutlichen Bezug zu den ab 1750 ergriffenen Maßnahmen zur Förderung
der Konkurrenzfähigkeit Spaniens auf dem europäischen Textilmarkt
dar: 1786, drei Jahre bevor Durán sein Lehrstück über den ehrbaren
Fabrikanten und die handwerklich begabte Weberin verfasst, erhalten
nach den Produzenten von Seidenstoffen (1778) und Segeltuch (1784)
auch die Tuchfabrikanten spanienweit die Erlaubnis, französische Waren nachzuahmen.164 Zuvor war jeder Handwerksbetrieb durch Vorgaben der lokalen Zünfte an die Produktion eines bestimmten Stoffes
und Stoffmusters gebunden.165 Valencianische Seidenweber hatten
das Privileg, Stoffe aus Lyon zu imitieren, bereits zwischen 1750 und
1760 erhalten.166 Maßnahmen dieser Art stellen sich bewusst gegen
die oft rigide gehandhabten Regularien der Zünfte, sind sie es doch,
die aufgeklärte Reformökonomen wie beispielsweise Campomanes
in seinem Discurso sobre la educación popular als Haupthemmnis für
die Einführung neuer Fertigungstechniken sehen.167 Die stringente
Einbettung der Figur der femina fabra Cecilia in den reformökonomischen Diskurs des aufgeklärten Absolutismus kann als eine weitere
Strategie der rhetorischen Legitimierung dieser außergewöhnlichen
‚Protagonistin der Produktion‘ betrachtet werden, durch die Durán
den gewagten Entwurf seiner körperlich arbeitenden Titelheldin an
den über jeden Zweifel erhabenen patriarchalen Diskurs der Gouvernementalität koppelt. Damit sichert Durán seine femina fabra über die
beiden obersten spanischen Autoritäten von Staat und Kirche doppelt ab. Eine dritte Strategie der Absicherung besteht im geschlechtlichen Maskenspiel: Während die wie ein Mann – und damit progressiv – agierende, da mit gängigen weiblichen Genderrollen brechende
Figur der Doña Guiomar aus La familia a la moda in ein Tarngewand
aus Witwenschaft, Traditionalismus und Religiosität gekleidet sein
muss, hüllt sich Cecilia umgekehrt zunächst in eine männliche Verkleidung, um als Weber in der Textilfabrik von Olot ihr volles Talent
zeigen zu können. Dadurch, dass Durán auf das „cross-dressing“168 als
163
Vgl. Durán (o.J.: 8), s.u.
Vgl. Herr (1988: 105).
165
Vgl. Herr (1988: 115).
166
Vgl. Herr (1988: 105).
167
Vgl. Herr (1988: 105).
168
Vgl. Gies (2022: 187f.), s.o.
164
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
617
etablierten und beim Publikum beliebten „coup de théâtre“169 des spanischen Theaters rekurriert, bettet er Cecilias Status als autarke ökonomische Akteurin und singuläre femina fabra in ein bewährtes theatrales
Verfahren ein, wodurch das Unkonventionelle dieser weiblichen Figur
abgefedert wird.
8.2.3. Die Figur der Leandra und das reformökonomische Prämiensystem
in Comellas El pueblo feliz (1789)
Die am 9. September 1789 uraufgeführte neoklassische Komödie El
pueblo feliz von Comella ist ein weiterer Versuch, ein mustergültiges
Propagandatheater zu instaurieren, das für die bourbonische Theaterreform ebenso wirbt wie für die Reformökonomie.170 Die aufklärerische Fortschrittsutopie ist in der Anfangsszenerie bereits Wirklichkeit
geworden:
El teatro figurará la plaza principal de un pueblo grande, en cuyo foro estará
la casa de la villa con sus balcones, enfrente de ella habrá una fuente magnífica
recién construida, con pilón y caño que todavía no corre, y arriba un adorno de
gusto, que à su tiempo arrojará agua natural. En las puertas de las casas se verán
hilando Blasa, Benita, Antonia. Juana y otras Aldeanas, junto á ellas dos niños
machacando cáñamo y dos niñas desmontando trigo, y por último dos ancianos, el
uno haciendo pleyta y el otro soguilla; mientras cantan el siguiente coro festivo se
verá el Corregidor con el tio Simón observando la fuente.171
Allein die Ausführlichkeit des Nebentexts, der Auskunft über das
Bühnenbild und den Aufbau der ersten Szene gibt, veranschaulicht
die Bedeutung des Schauplatzes, den Comella als einen reformökonomischen locus amoenus zeichnet und der wie eine theatrale Synopse
von Campomanes‘ Discurso sobre la industria popular und Jovellanos‘
Informe sobre la Ley Agraria anmutet. Im Abschnitt „II.2. Por agua“172
169
Vgl. Gies (2022: 186).
Auch Campos (1969: 37) bezeichnet das Stück als „casi un teatro de propaganda“.
171
Comella, Luciano Francisco (1789a): El pueblo feliz, comedia en quatro actos,
representada por la compañía de Manuel Martínez, el día 9 de septiembre de 1789.
O.A.O., p. 1. Der Text steht auch im Stück selbst kursiv.
172
Vgl. Jovellanos (1998: 420ff.).
170
618 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seiner Abhandlung preist Jovellanos die Vorzüge eines ausgebauten
Bewässerungs- und Kanalsystems für die nationale Landwirtschaft.
Der zunächst noch nicht funktionstüchtige, aber am guten Ende des
Stücks dann fröhlich sprudelnde Brunnen als Symbol (schließlich erfolgreicher) bourbonischer Bemühungen um die spanischen Infrastrukturen – Straßen, Kanäle, Bewässerung – wird von fleißig spinnenden Frauen gesäumt. Wie von Campomanes vorgeschlagen, betätigen
sich hier nicht nur Frauen, sondern auch Kinder und Alte in der Textilproduktion und verarbeiten exakt die vom Minister erwähnten, da in
Spanien lokal schon vorhandenen Rohmaterialien: Aus Esparto-Gras
(„soguilla“, s.o.) drehen sie dünne Seile und spinnen Hanfgarn („cáñamo“, s.o.). Auch der Ackerbau fehlt nicht in dieser Szene, da auf der
Bühne Weizen („trigo“, s.o.) gedroschen wird. Gekrönt wird das produktive dörfliche Idyll dadurch, dass alle Anwesenden parallel zu den
ausgeübten Tätigkeiten fröhlich vor sich hinsingen, eine Szenerie, die
an den Anfang von del Reys La modesta labradora erinnert und sich in
den bereits erläuterten Topos der alabanza de aldea fügt (vgl. Kap. 6.6).
Wie schon Comellas El buen labrador kreist auch der Plot dieses Stückes um einen gegenüber seinen säumigen Pächtern unnachgiebigen
Adeligen mit Standesdünkel, Don Alonso Gil Porras, der seiner faulen,
koketten und handwerklich unbegabten Tochter Ana auf unlauteren
Wegen zu der Auszeichnung verhelfen möchte, die der Corregidor des
siebenhundert Seelen zählenden Örtchens173 für diejenige Dorfbewohnerin ausgelobt hat, die mit der besten Handarbeit aufwarten kann.
Auch dieses Plot-Element entspricht eins zu eins den Vorschlägen von
Campomanes, der in seinem Discurso sobre la industria popular angeregt
hatte, die besten Arbeiten der Lehrlinge eines textilen Handwerksbetriebes mit Medaillen oder Prämien auszuzeichnen; zum einen, um
Leistungsanreize zu schaffen, zum anderen, um Maßstäbe für die
Unterscheidung qualitativ hochwertiger von minderwertigen Arbeiten zu setzen.174 In realiter umgesetzt wird Campomanes Vorschlag
schließlich durch die escuelas patrióticas der Matritense: Diese führen
ein Prämiensystem ein, das die jeweils besten Web- und Spinnarbeiten
der Schülerinnen auszeichnet.175
173
Vgl. die acotación zu Beginn des Stückes in Comella (1789: 1): „La Escena es una
población de setecientos vecinos, inmediata á una de las principales Capitales de la Peninsula.”
174
Vgl. Campomanes (1975: 93) sowie dazu Kap. 3.3.1.
175
Vgl. Méndez Vázquez (2016: 182ff.).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
619
Auch in El pueblo feliz soll die beste von einer Frau hergestellte
Handarbeit mit einer „medalla de oro / y cien ducados“176 prämiert
werden. Wie die zuvor untersuchten Stücke über männliche Typisierungen einzelner Wirtschaftssektoren in Gestalt des vir oeconomicus,
vir rusticus und vir faber stimmt auch dieses Stück den obligatorischen
Lobgesang auf reformökonomische Tugenden wie industria und temperantia an.177 Bereits in der ersten Szene des ersten Aktes werden
einschlägige reformökonomische Topoi wie die Nützlichkeit (utilidad) des Einzelnen für die Gemeinschaft und die Arbeit als einzige
Quelle der felicidad pública aufgerufen. Dies geschieht ganz im Zeichen
der ebenso von Campomanes wie von Foronda gelobten ‚zivilisatorischen‘ Kraft der Arbeit als moralökonomischer Größe. Der Appell,
sich der segensbringenden Heimarbeit zu widmen, wird in Comellas
Stück von einem corregidor mit dem sprechenden Namen Don Benigno
ausschließlich an die Frauen des Dorfes gerichtet:
Hijas mias, la labor
es el móvil verdadero
de la dicha; la que inunda
los hogares de los pueblos
de riquezas; la que aparta
á los hombres del exceso;
la que alivia á la casada
es sus afanes caseros.178
Bezeichnenderweise ist hier nicht von der Frau im Allgemeinen,
sondern konkret von der Ehe- und Hausfrau die Rede, die mittels ihrer Hände Arbeit Glück und Segen in das traute Heim bringt. Auch in
diesem Stück ist die Rede vom ‚Seelenadel‘ des tugendhaften Fleißigen: „[...] al bueno, / si no es noble, le ennoblece / su virtud [...].“179 Dessen Lob geht einher mit der aufklärungstypischen Adelsschelte, wobei
die superbia als Kennzeichen des Adels der industria der Dorfbewohner gegenübergestellt wird, um so den harschen Kontrast zwischen
den Todsünden der Aristokratie und den Tugenden der arbeitenden
176
Comella (1789: 2).
Vgl. Comella (1789: 2).
178
Comella (1789: 2).
179
Comella (1789: 3).
177
620 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Bürger zu verdeutlichen.180 Wie für Comella typisch, finden sich allerdings jenseits der üblichen, im neoklassischen Theater wurzelnden
Lobrede auf das staatliche System auch liberalistische Anklänge: Wie
schon die hijosdalgos aus El buen labrador wird auch der Hidalgo Alonso aus El pueblo feliz nicht nur als blasierter Taugenichts, sondern als
blutsaugender Tyrann gezeichnet, dem jedes Mittel recht ist, sich auf
Kosten der schwer arbeitenden Dorfgemeinschaft zu bereichern. Die
Härte des Tyrannen führt, wenn auch nicht zur bewaffneten Revolte,181 so doch dazu, dass die Dörfler dem Adeligen ihre Dienste – und
damit auch die Bewirtschaftung seiner Felder – verweigern:
Sim.
[...] á un tirano
no quieren servir. La impia
dureza de vuestro pecho
ácia la piedad, irrita
de modo su corazón,
que vuestro pan desestiman
para enseñaros á ser
sensible con las desdichas
del triste, y manifestaros
que con esta acción benigna
se hacen mas nobles que vos
con toda vuestra hidalguia.182
Typisch für den im Theater Comellas anklingenden Liberalismus
ist, dass sich eben nicht das gehobene Bürgertum, sondern die einfache Landbevölkerung durch ‚differenziertes Empfinden‘ von einem
Adel unterscheidet, dessen Affekte durch Todsünden wie avaritia183
und superbia (s.o.) befeuert werden. In El pueblo feliz finden sich überdies Szenen, die Comella in seinem später verfassten Stück El buen
180
Vgl. u.a. Comella (1789: 11): „Mozas. Si el labrador loas campos / no cultivara /
fueron menos los soberbios / los que le ultrajan. / Que su trabajo / fomenta la soberbia
/ del cortesano.“
181
Dies wäre in Anbetracht der Entwicklungen in Frankreich und der staatlichen
Zensur undenkbar gewesen.
182
Vgl. Comella (1789: 12).
183
Als geizig ausgewiesen wird Alonso bereits in der ersten Szene, als er einer säumigen Witwe und Pächterin die für sie lebensnotwendige Stundung ihrer Schulden
verweigert. Vgl. Comella (1789: 4).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
621
labrador nahezu spiegelbildlich wiederholen wird, etwa die des säenden und pflügenden Regierungsbeamten, hier verkörpert durch die
Figur des corregidor Benigno, der sich für eine solche Tätigkeit nicht
zu schade ist und ebenfalls von ackerbauenden Prinzen zu berichten
weiß.184 Auch hier rekurriert Comella also auf die physiokratische Motivik. Dass Benigno selbst als paternalistische Stellvertreterfigur des
Souveräns fungiert, wird unmissverständlich klar, als er den armen
Florencio aufklärt, dass der ‚gute‘ (d.h. der aufgeklärte) Richter den
Armen genauso sein Ohr schenke wie der Souverän, sei der Richter
doch dessen Repräsentant.185 Ähnlich liberalistisch wie die Szene, in
der die Bauern gegen Alonsos Tyrannei aufbegehren, mutet auch hier
eine Tafel-Szene an. Ähnlich wie der ‚gute Bauer‘ Benito im später verfassten Stück El buen labrador lädt auch der ‚gute corregidor‘ Benigno
die Armen ein, an seiner Tafel Platz zu nehmen und nährt sie mit Birnen und allerlei anderen guten Speisen.186
Eine weitere Parallele zu El buen labrador ist die Allianz des ausbeuterischen und verschlagenen Hidalgo Alonso mit dem korrupten
Schreiber, dem Escribano, der damit den corregidor als seinen Dienstherrn verrät. Der Adelige und der Schreiber schmieden eine Intrige,
um zum einen Benigno aus dem Dorf zu vertreiben, zum anderen aber
auch, damit der Preis für die beste Handarbeit, auf den die mittellose Leandra die besten Aussichten hat, Alonsos Tochter Ana zufallen
möge.187 Damit torpedieren die Lasterhaften zugleich das sich anbahnende Eheglück zwischen Benigno und Leandra. Wie schon Cecilia
verkörpert auch die Figur der Leandra die verfolgte Unschuld, ist sie
doch eine ebenso fleißige wie tugendhafte Waise, die bei ihrem Onkel,
dem Apotheker Antolínez lebt. Während Leandra ihre handwerkliche
Begabung dazu nutzt, unermüdlich zu spinnen, haben es Alonso und
der Schreiber darauf abgesehen, Leandras guten Ruf zu zerstören. Im
184
Vgl. Comella (1789: 19): „Benign. [...] no me desdeño quando / la humanidad me
lo ordena / de dar á todos exemplo / [...] que yo degrado / mi caracter con aquestas /
ocupaciones [...] es una idea errada, / y que ha habido y hay / Príncipes que no desdeñas / en los ocios del reynar / de las artes las faenas.”
185
Vgl. Comella (1789: 31): „[...] el / buen Juez / no distingue, en el santuario / de la
justicia, de clases los sujeto [...] / [...] ¿Sabes tú / a quien representa un Juez? / Representa al Soberano.” Auch die hier bekundete Gleichheit vor dem Gesetz entspricht dem
von Comella auch in El buen labrador inszenierten Gleichheitsgrundsatz.
186
Vgl. Comella (1789: 28).
187
Vgl. Comella (1789: 7).
622 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Zuge ihrer Intrige stellen sie sowohl Leandras castitas als auch ihre
Redlichkeit in Frage. Damit steht insgesamt nicht weniger als ihre „reputación“188 auf dem Spiel, das in geschäftlichen Dingen – so auch im
Ehehandel – höchste bürgerliche Gut, dessen Bedeutung hier bereits
für die viri oeconomici Eugenio aus Iriartes La señorita malcriada und Wilson aus Valladares‘ El fabricante de paños skizziert wurde. Wie bereits
in Bezug auf die Weberin Cecilia ausgeführt, ist im Falle weiblicher
Figuren und insbesondere dann, wenn es sich um eine handarbeitende femina fabra handelt, ihre Keuschheit eine notwendige Säule ihres
guten Rufes. Ausgerechnet Leandra, die sich durch „gracia“, „aplicación“, „virtud“ und „modestia“189 auszeichnet, wird nun ein heimliches nächtliches Rendezvous unterstellt, das eigentlich die lasterhafte
Adelstochter Ana mit dem umtriebigen Priester hatte, ein Handlungselement, durch das Comella seine Adelskritik mit der Kritik am Klerus
kombiniert. Für die ‚Protagonistin der Produktion‘ Leandra steht mit
ihrem guten Ruf zugleich ihre Existenz auf dem Spiel, kann sie ohne
ein untadliges Ansehen doch kaum eine Ehe schließen, schon gar nicht
mit jemandem von Benignos Rang und Namen. Damit nicht genug, ist
sie schon allein deshalb in der moralischen Bredouille, weil sie ausgerechnet den Mann liebt, der nicht nur über das Preisgeld entscheidet, sondern auch über einen Gerichtsprozess, bei dem sie als Klägerin
auftritt.190 So kann sie ihm ihre Gefühle nicht gestehen, ohne sich dem
Verdacht auszusetzen, seine Entscheidung beeinflussen zu wollen. In
einem ähnlichen Dilemma befindet sich Benigno als modellhafter191
und daher auch emotional unbestechlicher Verwaltungsbeamter. Auch
er ist Leandra zugeneigt, urteilt ihr gegenüber aber umso härter, um
188
Vgl. Comella (1789: 27): „Leand. [...] si no hay quien me ampare / mi reputación
de perder.”
189
Für alle hier genannten Tugenden Leandras, die Antolínez auflistet, vgl. Comella (1789: 21).
190
Vgl. Comella (1789: 16). Bei dem Prozess geht es um nichts weniger als um Leandras ökonomisches Wohl und Wehe: Ihr Vater hatte dem Tagelöhner Florencio Land
verkauft, ohne dabei Leandra als erbberechtigte Tochter zu berücksichtigen. Nach dem
Tod des Vaters beansprucht Leandra auf Drängen ihres geldgierigen Onkels Antolínez
die auf Florencio übergangenen Felder, die auch er für das eigene Überleben dringend
benötigt.
191
Vgl. Comella (1789: 3): „Sim. Se puede decir que sois / de Magistrados modelo.“
Modellhaft ist Benigno deshalb, weil er die Bürger den Adeligen gleichstellt. Auch hier
findet sich der Demokratiegedanke Comellas, den wir bereits in El buen labrador herausgearbeitet hatten (vgl. Kap. 7.7.4).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
623
sich nicht dem Verdacht der Bevorzugung auszusetzen. Teil des sich
schürzenden Knotens der Komödienhandlung ist in diesem Stück,
dass Leandra von ihrem Onkel, der eine bürgerliche Präfiguration des
kapitalistischen Gewinnmaximierers ist und dessen Sprache ganz und
gar vom Ökonomischen affiziert ist,192 genötigt wird, Benigno zu ihren
Gunsten zu beeinflussen. Der Gewinn, den Antolínez sich davon verspricht, ist, dass ihm die Nichte nicht länger zur Last fällt, indem sie
erstens das Preisgeld gewinnt und zweitens Benigno als gut verdienenden Kronbeamten heiratet. Davon erhofft sich der Apotheker auch
eine Entschädigung für das für Leandra bereits aufgewendete Geld.
Nicht nur die Ehe, auch die dabei im Spiel befindlichen Gefühle sind
für den Apotheker Teil eines Tauschgeschäfts, denn Leandra soll Benigno seine Gefühle durch ihrer beider Eheschließung vergelten: „[...]
/ que tú le pagas su afecto, / y que estás pronta á premiarle / con un
dichoso himeneo“193. Dass dies im Tausch gegen den Handarbeitspreis
geschieht, zeigt das Verb „premiarle“, das an den von Benigno ausgesetzten „premio“ gemahnt.
Teil des enredo ist eine Reihe von (Liebes-)Briefen, die für zusätzliche Verwicklungen sorgen, sodass es nach Außen den Anschein hat,
als wäre Leandra tatsächlich unkeusch und durchtrieben, und das, obwohl sie sich in ihrer Aufrichtigkeit den zweifelhaften Ratschlägen des
Onkels verweigert, Benigno auf der emotionalen Ebene zu bestechen.
Freilich gehören die Liebesbriefe eigentlich Ana, Alonsos Tochter. Da
Leandra dem Onkel nicht den gewünschten Ertrag einbringt, wird sie
schließlich vor die Tür gesetzt und wähnt sich, kurz bevor alles ein
gutes Ende findet, „sin estimación, sin bienes / sin domicilio y amparo / sin sentirse del delito / mi corazón agoviado“194. Ihre verzweifelte Situation setze sie, so schwant der Jungfrau, den „tiros fieros del
voluptuoso osado“195 aus. In ihrer Verzweiflung fleht sie schließlich
um himmlischen Beistand und droht dabei schon in die ökonomische
192
Vgl. Comella (1789: 8ff.). Antolínez bezeichnet Leandra Benigno gegenüber
metaphorisch als „acreedora“, habe sie doch aufgrund ihres mittellosen Status als
Waise einen Anspruch auf den Preis. Er spekuliert gegenüber Leandra auf mögliche
Gewinne: „[...] que ganarás premio y pleyto“. Er spricht davon, „[que] economizar
debemos“, und unterbreitet selbst dem ‚Himmel‘, also Gott, Geschäfte: „Pero al Cielo /
en descuento de mis culpas / ofrezco estos vilipendios.“
193
Comella (1789: 9).
194
Comella (1789: 29).
195
Comella (1789: 30).
624 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Metaphorik ihres Onkels zu verfallen, als sie den Himmel bittet, sie
entweder auf der Stelle dahinzuraffen oder den ‚Bankrott‘, den ihr Ansehen erleiden musste, zu ‚minimieren‘196.
Als Benigno schließlich in Stellvertretung des Königs („el cargo
que el Rey me ha dado“197) zu der von den Frauen des Dorfes herbeigesehnten Preisverleihung schreitet, hat Leandra den Gerichtsprozess zwar bereits verloren, der von Alonso und dem Escribano
eingefädelte Schwindel allerdings fliegt auf, sodass der verfolgten
Tugend doch noch Gerechtigkeit zuteilwird: Als nämlich neben zwei
für ihre Spinnkünste bekannten Dörflerinnen auch die in der Handarbeit ungeschickte Ana, Alonsos Tochter, für ihre Borten ausgezeichnet wird, weckt das das Misstrauen Benignos. Und tatsächlich erweist
ein näherer Blick auf die Borte die Buchstaben „L – e – a – n“, sodass
die Arbeit zweifelsfrei als Leandras identifiziert werden kann. Vom
Vorwurf der Unkeuschheit befreit wiederum ausgerechnet Ana die
gute Leandra und zeigt damit weibliche Solidarität, kann sie es doch
nicht weiter mit ansehen, dass die Herzensgute, die ihr voller (naiver)
Freude zu dem Handarbeitspreis gratuliert hatte, weiter unter dem
Verdacht der sexuellen Umtriebigkeit steht.198 Damit fällt der von Benigno angekündigte „lauro / de laborioso“199 Leandra zu. Diese wird
nicht nur durch den König mittelbar ausgezeichnet,200 sondern auch
mit Benigno als Ehegatten gesegnet. Wie schon in La industriosa madrileña (vgl. Kap. 6.3.3) greift auch hier das Pastoratsprinzip, wenn
die dem willkürlichen Adeligen Alonso scheinbar schutzlos ausgelieferten Dorfbewohner sich am Ende des Schutzes des aufgeklärten
Kronbeamten sicher sein können. Dieser agiert als selbstloser ‚Hirte‘
seiner ‚Schafe‘ (die Dörfler selbst nennen ihn „nuestro padre“201 bzw.
196
Comella (1789: 30): „[...] El cielo santo / de una vez conmigo acabe, / ó minore
mis quabrantos.“
197
Comella (1789: 36).
198
Vgl. Comella (1789: 37): „Ana. Viendo su virtud no debo / dexar que padezca
tanto / ved que ese papel es mío.” Damit auch Ana am Ende moralisch entlastet ist,
heiratet sie schließlich den Priester, was möglich ist, da nicht alle Geistlichen im 18.
Jahrhundert das Keuschheitsgelübde ablegen. Als der am Vertauschen der Handarbeiten Schuldige wird der Schreiber ausgemacht. Vgl. Comella (1789: 36).
199
Comella (1789: 35).
200
Vgl. Comella (1789: 35): „Coro. A recibir el premio / venga la aplicación / que la
piedad dispensa / de nuestro protector. / Viva, viva, viva / nuestro protector.”
201
Comella (1789: 38).
8. Weibliche Typisierungen des Ökonomischen
625
„nuestro protector“202), als er das ihm vom König brieflich angebotene höchstrichterliche Amt in Granada ausschlägt und es stattdessen
vorzieht, als aufgeklärter Stellvertreter des obersten Patriarchen der
Nation weiter über seine ‚Herde‘ zu wachen, um der „soberbia“203 des
Adels und dem „engaño“204 des Schreibers die geballte „virtud“205 des
unparteiischen Richters entgegenzusetzen, die sich nun auch noch um
die industria der tugendhaften femina fabra Leandra bereichert sieht.
Anders als die femina oeconomica Doña Guiomar steht die Figur der femina fabra Leandra ganz im Zeichen der aufklärerischen Leitlinien von
Häuslichkeit und Sentimentalität, als sie wiederholt himmlischen Beistand erfleht, unschuldig vor sich hin leidet und ihre inneren Kämpfe in soliloquios ausficht. Passiv harrt sie damit der göttlichen Gnade,
während die resolute Guiomar unerschrocken zur Tat schreitet.
8.3. Zwischenbilanz: Femina oeconomica und femina fabra diesseits
und jenseits aufklärerischer Paternalismen
Während das altgriechische Nomen oikonomia, das Ursprung des modernen Begriff ‚Ökonomie‘ ist, vom grammatischen Geschlecht her
weiblich ist,206 ist die durch die Sektoren Landwirtschaft, Industrie
und Handel repräsentierte Wirtschaft im aufklärerischen Verständnis
männlich kodiert. In spanischen sentimentalen Wirtschaftskomödien
der Spätaufklärung zeigt sich dies anhand einer großen Mehrzahl an
viri oeconomici, fabri und rustici gegenüber einer Minderzahl an feminae
oeconomicae und feminae fabrae, wobei der Typus der femina rustica allenthalben in der Figur der Inés aus del Reys La modesta labradora angedeutet wird (vgl. Kap. 7.6.2). Was die Rolle von Frauen als wirtschaftliche Akteurinnen im Theater anbelangt, fügen sie sich mehrheitlich
in das aufklärerische sentimentale und häusliche Weiblichkeitsideal.
Eine von außen kommende, autark wirtschaftende und gänzlich
202
Comella (1789: 38).
Comella (1789: 38).
204
Comella (1789: 38).
205
Comella (1789: 38).
206
Zur dediziert weiblichen Kodierung der oikonomia durch griechische Philosophinnen der Antike vgl. Reuthner, Rosa (2009): „Philosophia und oikonomia als weibliche Disziplinen in Traktaten und Lehrbriefen neupythagoreischer Philosophinnen“.
In: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, 58, 4, pp. 416-437.
203
626 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
unsentimentale femina oeconomica wie Doña Guiomar ist eine Singularität, weshalb sie hier als ‚exzeptionelle femina oeconomica‘ identifiziert
wurde. Die durch das spanische Theater der Spätaufklärung inszenierten feminae oeconomicae (Guiomar, Madama Sambrig) und feminae
fabrae (Cecilia, Leandra) zeigen einmal mehr die Diskursverschränkungen zwischen der bourbonischen Reformökonomie, etwa den Vorschlägen eines Campomanes zur weiblichen Textilproduktion oder zu
Forondas Konzept kaufmännischer Tugenden, und einem Theater,
in das die Leitlinien des ökonomischen und kulturellen Reformprogramms der Krone vor allem auf interdiskursiver Ebene Eingang halten, was sich zuvorderst in den Figurenreden zeigt. Bemerkenswert
ist, dass der Einfluss des ökonomischen Reformdiskurses nicht nur bei
Autoren des regierungsnahen Reformtheaters wie Moratín und Iriarte
spürbar ist, sondern auch in der Dramenproduktion volksnaher Dramatiker wie Valladares und Comella.
Die hier untersuchten weiblichen Typisierungen des aufklärerischen Leitbildes weiblichen ökonomischen Agierens zeugen überdies
von dem ‚von oben‘ ausgeübten politischen Druck. Dieser Druck bewirkt, dass Gálvez als eine von wenigen Dramatikerinnen den ästhetischen Schulterschluss mit den Neoklassikern suchen muss, um ihre
alternative femina oeconomica in einem durch die Zensur gesteuerten
Theaterbetrieb auf die Bühne bringen zu können. Gerade das Beispiel
von Gálvez‘ Figur der Guiomar zeigt aber auch die Nischen, in denen
alternative Weiblichkeitsentwürfe konturiert werden können. Möglich
ist dies allein unter Voraussetzung, dass solche Alternativentwürfe
erstens in das Tarnkleid des casticismo, also des Traditionellen, gehüllt
sind, und dass die so gezeichneten Frauenfiguren zweitens den Preis
zahlen, dass sie entweder vorübergehend als Männer getarnt sein
müssen (wie Cecilia), oder gänzlich männliche Eigenschaften und Verhaltensweisen an den Tag legen müssen (wie Guiomar), um in ihrem
wirtschaftlichen Agieren glaubhaft Autorität ausüben zu können.
9.
TYPISIERUNGEN DER MISSWIRTSCHAFT:
VIR PROFUSUS, FEMINA PROFUSA UND DIE PALETTE
DER NORMVERLETZUNGEN
Nachdem bisher die RepräsentantInnen eines im Sinne der Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus und einer aufklärerischen
Moralökonomie ‚guten Wirtschaftens‘ untersucht wurden, widmen
wir uns nun männlichen und weiblichen theatralen Typisierungen
der Misswirtschaft im Kontext der Politischen Ökonomie der spanischen Spätaufklärung. Auch bei diesen fällt auf, dass sie in Analogie
zu den feminae oeconomicae und feminae fabrae sowie im Gegensatz zu
den durch ihre Berufstätigkeit charakterisierten viri oeconomici, fabri
und rustici nicht bestimmte Wirtschaftssektoren repräsentieren, sondern vielmehr für verschiedene Formen der Normverletzung stehen,
von denen die bedeutsamste das Zuwiderhandeln gegen die staatlich
verfügte Norm darstellt, dass jede/r Einzelne am opus magnum der felicidad pública mitwirken muss. Indem vir profusus und femina profusa
die für ihren Figurentyp namensgebende Verschwendung betreiben,
missachten sie das Gebot des guten und verantwortungsvollen Wirtschaftens im Dienste des Gemeinwohls. Wie bereits ausgeführt, wird
die Gemeinschaft der Nation, deren Wohl die VerschwenderInnen
aufs Spiel setzen, in den bestreffenden Stücken durch den oikos als
wirtschaftlichem Mikrokosmos und Pars pro Toto der Nation repräsentiert. Dort richten der vir profusus bzw. die femina profusa monetären und sozialen Schaden an.1 Ihr Hang zur Misswirtschaft manifestiert sich in einem achtlosen, impulsiven und zum Exzess neigenden
Umgang mit Finanzen, Ressourcen, Gefühlen und Zeit. Auch hier werden Wirtschaft und Moral aneinander gekoppelt, denn das schlechte
1
Wie Haidt (2003: 148) ausführt, sind gute haushälterische Fähigkeiten eine Geschlechternorm, die vor allem für Frauen als Hüterinnen des oikos gilt.
628 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Haushalten erscheint in den untersuchten Stücken stets als Folge eines
lasterhaften Charakters. Wie schon die RepräsentantInnen des guten
Wirtschaftens sind auch die VertreterInnen der Misswirtschaft Vehikel der Inszenierung einer modellhaften aufklärerischen Reform- und
Moralökonomie. Indem die ‚guten WirtschafterInnen‘ in den hier
untersuchten neoklassischen und sentimentalen Komödien über die
schlechten ÖkonomInnen triumphieren, wird Wirtschaftsverhalten
gemäß der reformökonomischen Norm belohnt, die Zuwiderhandlung hingegen bestraft.
Ein weiteres Merkmal der im spanischen Theater ab 1750 inszenierten schlechten ÖkonomInnen ist, dass ihre wirtschaftliche und
politische Normverletzung an eine ganze Palette weiterer Grenzüberschreitungen geknüpft ist. Erstens betrifft dies die Transgression von
Geschlechternormen, wie sie etwa für den spanischen Mann durch
das durch Virilität, Geselligkeit und Tugendhaftigkeit gekennzeichnete Ideal des hombre de bien gesetzt werden. Für die Frauen wiederum
gelten die Verhaltensregeln keuscher Zurückhaltung, der Häuslichkeit in Form von Hausarbeit und Zurückgezogenheit sowie der Bescheidenheit, die ebenfalls überschritten werden. Zweitens kommt es
zur Missachtung sozialer Normen: Dazu zählen
1. das Gebot des Respekts der Jugend vor dem Alter, das sich in Höflichkeit und Gehorsam niederschlägt;
2. das korrekte Verhalten bei der Brautwerbung;
3. die Wahrung der Klassengrenzen als Norm des Allianzdispositivs
im Kontext einer feudalen Gesellschaftsordnung:
4. die Wahrung religiöser Normen durch ein Verhalten, das von wahrem Glauben und Demut zeugt.
Sofern es sich bei den beiden Figurentypen des vir profusus und der
femina profusa um junge Menschen handelt, sind sie bereits durch ihre
Adoleszenz als Schwellenfiguren markiert. In diesem Falle befinden
sie sich am Scheideweg zwischen dem rechten Pfad der Tugend und
dem Holzweg des Lasters, auf dem sie bereits einige Schritte zurückgelegt haben. Wie sich dies in den vorausgehenden Kapiteln bereits
angedeutet hatte, ist der Hang zur Normverletzung zumeist das Resultat einer fehlgeschlagenen Erziehung, was Korrekturversuche seitens des Figurentypus des Ordnungsstifters bzw. – wie im Falle von
Gálvez‘ La familia a la moda – der Ordnungsstifterin hervorruft. Ein
9. Typisierungen der Misswirtschaft
629
hier bereits zur Sprache gekommenes Beispiel ist die Señorita malcriada
Pepita aus Iriartes gleichnamigem Stück. Ihr impulsives, unbedachtes
allzu zwangloses und verschwenderisches Verhalten – man denke an
die Szene, in der sie die Kastagnetten achtlos in den Brunnen wirft
(vgl. Kap. 6.1) – entspricht dem einer femina profusa. Insbesondere der
vir profusus wird zuweilen durch Dritte korrumpiert und zur Normverletzung angestiftet, wofür ihn seine fehlgeleitete Erziehung anfällig macht, wie etwa Mariano, der señorito mimado aus Iriartes so betitelter Komödie.
Neben diesen ‚Verführten‘ findet sich im spanischen Theater der
Spätaufklärung eine Mehrzahl von viri profusi und feminae profusae, die
ohne schlechte äußere Einflüsse durch und durch verdorben sind, was
zumeist dann der Fall ist, wenn sie adeligen Geblüts und von Standesdünkel erfüllt sind, wie etwa Blasa aus Comellas El hombre agradecido,
oder wenn sie – wie der Schuster Rafa aus Trigueros‘ Los menestrales
– aus den durch das Feudalsystem gesetzten Standesgrenzen auszubrechen suchen, indem sie sich als Adelige ausgeben, was auch auf
den Musik- und Tanzlehrer Trapachino aus Gálvez‘ neoklassischer
Komödie La familia a la moda zutrifft. Diese Figur verdeutlicht neben
dem Subtypus des petimetre bzw. der petimetra eine fünfte und letzte
Form der Normverletzung: die der kulturellen Grenzüberschreitung.
Der kulturellen Transgression machen sich die viri profusi und feminae profusae schuldig, indem sie entweder, wie im Falle des Italieners
Trapachino, als Ausländer Moden und Gebräuche ihres Landes nach
Spanien ‚importieren‘ oder indem sie, wie die petimetres und petimetras, ausländische Moden, Sitten und Gebräuche unhinterfragt übernehmen, ja geradezu danach gieren.2
2
Vgl. Kap. 3.2.2. Dass der petimetre die kulturelle Alterität des Nicht-Spanischen
repräsentiert, habe ich auch in Schuchardt (2014: 271) ausgeführt. Diese Fremdheit ist
bereits in dem Begriff selbst angelegt, der ein französisches Lehnwort ist. Die Bezeichnung petimetre stammt von dem französischen Begriff petit-maître. War dieser Terminus
im Frankreich des 17. Jahrhunderts zunächst noch auf das eitle Erscheinungsbild des
adligen Höflings bezogen, vgl. Haidt (1998: 111), schließt das sich im 18. Jahrhundert
herausbildende spanische Lehnwort ebenso den Adel ein wie Mitglieder der sich als
neue gesellschaftliche Kraft herausbildenden Bourgeoisie, aber auch Diener und Teile
des arbeitenden Volkes. Vgl. Haidt (1999: 34). Haidts Einschätzung widerspricht der
von Heße (2008: 161) vorgenommenen Zuordnung des petimetre zur Oberschicht, s.u.
630 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
9.1. Geschlechtliche Normverletzung: der petimetre als Variante
des vir profusus und Verkörperung transgressiver
Männlichkeit
Die wohl prominenteste männliche theatrale Typisierung der Misswirtschaft ist der petimetre, den unsere Studie als eine Variante des vir
profusus identifiziert. Er ist, ebenso wie sein weibliches Pendant, die
petimetra, ein im Theater – d.h. in der neoklassischen und sentimentalen Komödie sowie im sainete –, in der Prosa, etwa in Cadalsos Cartas
marruecas3, sowie in der Presse wiederkehrender Figurentypus.4 Der
petimetre bildet die Negativfolie des durch den bourbonischen Staatsapparat propagierten Männlichkeitsentwurfes, der sich im hombre de
bien als Ideal des aufgeklärten und gebildeten spanischen Mannes
kondensiert. Während der hombre de bien die Tugend der moderatio
verkörpert, repräsentiert der petimetre die Todsünde der gula, der Völlerei, die sich nun nicht mehr im ungezügelten Genuss von Nahrungsmitteln, sondern im maßlosen Konsum von Waren niederschlägt, was
auch für die petimetra gilt. Die durch die Moral der den petimetre in
Szene setzenden Theaterstücke scharf gerügte, exzessive Neigung
dieses Figurentyps zum Erwerb ausländischer, insbesondere französischer Luxusgüter und Textilien lässt explizite Bezüge zur merkantilistischen Kritik an der negativen Außenhandelsbilanz Spaniens und
den protektionistischen Maßnahmen erkennen, die die bourbonische
Politik zum Schutz des heimischen Marktes vor importierten Textilien
und Accessoires ergreift. Während sich der vir oeconomicus als wahrer
hombre de bien durch soziale Kompetenz, Philanthropie, die Fähigkeit
zum Mitleid, Wissensdurst, Bildung und durch beruflichen ebenso
wie durch privaten Erfolg auszeichnet,5 ist der petimetre ein mittelloser
Egozentriker, der nicht sein eigenes Geld, sondern das der Anderen
für seine modischen Eskapaden verprasst. Seine finanziellen Mittel
muss er entweder ergaunern, sei es von gutgläubigen Menschen von
außerhalb, sei es von Verwandten innerhalb des oikos, in dem er lebt.
3
Zum petimetre bei Cadalso vgl. Díaz Marcos (2006: 57ff.).
Vgl. hierzu die Studie von Heße (2008).
5
Vgl. Schuchardt (2014: 270). Zur Konzeption des hombre de bien in den moralischen Wochenschriften vgl. Heße (2008: 113ff.). Vgl. außerdem Bolufer Peruga, Mónica
(2007): „‚Hombres de bien‘: modelos de masculinidad y expectativas femeninas, entre
la ficción y la realidad“. In: Cuadernos de Ilustración y Romanticismo, 15, pp. 7-31.
4
9. Typisierungen der Misswirtschaft
631
Mit dem ökonomischem Mikrokosmos der eigenen Familie gefährdet
er zugleich das wirtschaftliche Gedeihen der Nation,6 zum einen, weil
er fremdes Geld ausgibt, zum anderen, weil er selbst nicht arbeitet.
Während die männlichen theatralen Typisierungen guten Wirtschaftens – der vir oeconomicus, vir faber und vir rusticus – im Dienste der felicidad pública emsig an den Fundamenten des Hauses der spanischen
Nation bauen, schaut der vir profusus in Gestalt des petimetre nicht nur
untätig zu, sondern torpediert das Projekt aktiv. Heße kommt in ihrer
Analyse der Darstellung des petimetre in den Moralischen Wochenschriften zu dem Schluss, dass es darin trotz aller modischen Exaltiertheit dieses Typus nicht um die Missbilligung eines bestimmten
Lebensstils gehen könne, wenn sich dieser mit Uhren, Federn, Hüten
und Gehstöcken sowie mit im Vergleich zur herrschenden Mode sehr
kurzen Gehröcken schmücke. Vielmehr ziele
das Problembewusstsein für die Effeminiertheit und Lethargie der spanischen Gesellschaft auf die Konstituierung einer neuen, aufgeklärten
Männlichkeit [ab], deren ganzes Streben dem Gemeinwohl sowie dem
sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt des Vaterlandes verpflichtet ist.7
Unter Bezugnahme auf das Wörterbuch der Real Academia von 1737
verweist Heße auf zwei den petimetre kennzeichnende Komponenten:
die „kritikwürdige Bedachtsamkeit eines jungen Mannes auf Äußerlichkeiten“8 auf der Ebene der Figurenzeichnung und die „Angst vor
Überfremdung“9 auf der metonymischen Ebene, da der petimetre eben
dieses kulturelle, wirtschaftliche und geschlechtliche Fremde verkörpert. Mit dem petimetre werde überdies „ein Mann beschrieben, der
mit seiner Neigung zu modischer Eitelkeit in eine bis dahin eindeutig weibliche Domäne einbricht“10. Heße charakterisiert den petimetre
im Gegensatz zum hegemonialen Männlichkeitsideal des hombre de
6
So bemerkt Haidt (1998: 151) in Bezug auf den zeitgenössischen reformökonomischen Diskurs: „[...] Economists understood that home work was indeed productive in
that the household was the minimum unit of governance, the smallest unit of what at
the national level was an organized and flourishing economy.“
7
Heße (2008: 175).
8
Heße (2008: 157).
9
Heße (2008: 157).
10
Heße (2008: 158). Diese Einschätzung teilt Heße mit Haidt, vgl. (1998: 107f.).
632 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
bien als „untergeordnete Männlichkeit“11. Gleichzeitig stellt sie seinen
Hang zur „geschlechtliche[n] Grenzüberschreitung“12 heraus: Durch
seine Effeminiertheit gerate die aristotelisch-teleologische Konzeption der Geschlechter ins Wanken, nach der das Weibliche nur eine
unvollständige und daher minderwertige Variante des Männlichen
sei. Damit verlören „beide Geschlechter [...] ihre bisherige Eindeutigkeit“13. Jehle bezeichnet den petimetre seinerseits als eine ‚hybride
Subjektform‘14, die Antagonismen vereine. Dies geschehe wesentlich
über das Äußere: Kleidung, Frisur und das habituelle Gebaren: „Im
ästhetischen Erscheinungsbild des petimetre sind die großen gesellschaftlichen Gegensätze verdichtet: die der Klassen und Geschlechter
sowie der Gegensatz von Stadt und Land.“15 Die petimetría sei überdies
eine von Adel und gehobenem Bürgertum mit Verachtung betrachtete „kulturelle Verbrüderung mit sozialen Randgestalten“16, die man
durch Erlasse zu unterbinden suche.17
Eine über Kleidung operierende Form sozialer Transgression betreiben nicht nur die petimetres, sondern auch die petimetras, indem sie
– obgleich Angehörige der Oberschicht18 – in Kleidung und Verhalten die majos und majas der urbanen Unterschicht imitieren. Über die
Figur des petimetre vollzieht sich die Kritik der neoklassischen Theaterreformer an Verhältnissen, „in denen populare [sic] Lebensweisen
und Umgangsformen sich aus kirchlicher Vormundschaft ausgrenzen
und auf die Oberklassen ausstrahlen“19. Aufgrund der Weigerung der
modeversessenen und stilbewussten Männer und Frauen, ihr Konsumverhalten der merkantilistischen Doktrin anzupassen, kann die
petimetría als Negierung der Leitlinien der Politischen Ökonomie des
aufgeklärten Absolutismus, und damit als passiver Protest gegen die
11
Vgl. Heße (2008: 166).
Heße (2008: 167).
13
Heße (2008: 167).
14
Vgl. Jehle (2010: 194).
15
Jehle (2010: 194).
16
Jehle (2010: 191).
17
Jehle (2010: 191) verweist diesbezüglich auf einen Erlass vom 5. Mai 1784.
18
Vgl. Heße (2008: 161), s.o.
19
Jehle (2010: 192). Der Reiz, den der majismo auf den Adel ausübt, wurde in
Kapitel 2 bereits skizziert. Zur Repräsentation von majas und majos in den sainetes
Ramón de la Cruz‘ und den diesbezüglichen reformökonomischen Bezügen vgl.
Hontanilla (2022).
12
9. Typisierungen der Misswirtschaft
633
gouvernementale Bevormundung betrachtet werden. Angesichts der
Tendenz des petimetre zu normverletzendem und grenzüberschreitendem Verhalten soll die durch ihn metonymisch repräsentierte
Männlichkeit hier als ‚transgressive Männlichkeit‘ bezeichnet werden. In gleicher Weise repräsentiert die petimetra, wie wir an späterer
Stelle ausführen werden, eine Form der Weiblichkeit, die die ihrem
Geschlecht gesetzten Grenzen überschreitet. Was den petimetre anbelangt, weist er trotz seiner geschlechtlichen Transgressivität keine homoerotischen Neigungen auf,20 sondern ist vielmehr darum bemüht,
eine Ehefrau zu finden, die seinen extravaganten Lebensstil durch ihre
(hohe) Mitgift finanziert.
9.1.1. Das Phänomen der petimetría im Kontext der aufklärerischen
Luxusdebatte
In der im 18. Jahrhundert in Spanien aufkeimenden Debatte um den
Nutzen und Schaden von Luxusartikeln werden reformökonomische
ebenso wie moralische und religiöse Argumente bemüht. Das diesbezügliche Für und Wider wird ebenso in der Literatur, etwa in Cadalsos Cartas marruecas (1789)21, verhandelt wie in der Presse, aber auch
in ökonomischen und religiösen Traktaten. Hans-Joachim Lope identifiziert aufseiten der Befürworter des Luxus zwei Lager: Diejenigen,
die aus makroökonomischer und merkantilistisch-protektionistischer
Warte gegen importierte Luxuswaren Stellung beziehen und heimische befürworten, und die makroökonomisch denkenden Liberalisten,
die für den Freihandel und folglich auch für die Einfuhr von ausländischen Luxusgütern plädieren, wie etwa Foronda.22 Campomanes,
20
Vgl. Haidt (1999: 72).
Zur Luxusdebatte in den Cartas Marruecas vgl. Haidt (1998: 151ff.) sowie Lope
(1992: 143) und Díaz Marcos, Ana María (2006): La edad de seda. Cádiz: Universidad
de Cádiz, pp. 57ff. Zum Einfluss Montesquieus auf Cadalsos Haltung zum Luxus vgl.
Martínez Mata, Emilio (2014): „Cadalso y Montesquieu: lujo y doux commerce“. In: eHumanista, 27, pp. 63-70.
22
Vgl. Lope, Hans-Joachim (1992): „¿Mal moral o necesidad económica? La polémica acerca del lujo en la Ilustración española”. In: Tietz, Manfred (ed.). La secularización
de la cultura española en el Siglo de las Luces. Wiesbaden: Harrassowitz, pp. 129-150, hier
p. 146 mit Bezug auf Foronda, Valentín de (1793c): „Disertación sobre la Nueva Compañía de Indias Orientales, leída en la Junta pública que celebró la Sociedad Bascongada
21
634 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
der das Thema gewohnt pragmatisch und mit Blick auf seinen Nutzen
für die heimische Industrie betrachtet,23 gehört zu den makroökonomisch denkenden Protektionisten. In seinem Discurso sobre la educación
popular de los artesanos y su fomento (1775) plädiert er für die königliche
Förderung eines ‚nützlichen Luxus‘, der in der von ihm propagierten
Heimarbeit und im Familienverbund, also in der industria rural dispersa,
produziert werden soll.24 Die Argumentation ist biopolitisch, wenn der
Minister Luxuswaren als Motor der Industrie und Basis für Bevölkerungswachstum anführt25, ein Standpunkt den er mit Romá y Rosell
(s.u.) teilt. Sempere y Guarinos stellt in seiner Historia del lujo, y de las
leyes suntuarias (1788)26 die Ambiguität von Luxuswaren heraus, die er
als vicio útil, als ‚nützliches Laster‘, bezeichnet und letztlich befürwortet.27 Das Kreisen der Debatte um die Pole vicio und virtud führt Lope
auf den Einfluss der Schriften David Humes zurück,28 deren Auswirkung auf die spanische Luxusdebatte María Elósegui Itxaso in ihrer
Studie (1991) en détail nachweist.29 Ähnlich wie später Diderot30 unterscheidet schon Hume zwischen einem adeligen ‚Ostentationsluxus‘
(lujo de ostentación) und einem gemäßigten und eher dem bürgerlichen
Lager zuzuordnenden ‚Kommoditätsluxus‘ (lujo de comodidad), der im
el año de 1784, día de San Carlos en la villa de Vergara”. In: idem. Miscelanea, ó coleccion
de varios discursos en que se trata de los asuntos siguientes: 1.º de lo honrosa que es la profesión
del comercio. Madrid: Manuel González, pp. 42-61, hier p. 61: „[...] séamos comerciantes-filósofos y, desde luego, labraremos nuestra felicidad y la de Asia.” Dies ist die entgegengesetzte Haltung zu Campomanes, vgl. die nachfolgende Fußnote.
23
Vgl. hierzu Campomanes‘ (1975: 88f.) Äußerung zur Qualität französischer
Stoffe in seinem Discurso sobre el fomento de la industria popular und sein gleichzeitiges
Plädoyer für ein importverbot asiatischer Webwaren.
24
Vgl. Vicente, Marta M. (2006): Clothing the Spanish Empire: Families and the Calico
Trade in the Early Modern Atlantic World. New York: Palgrave Macmillan, p. 74.
25
Vgl. Lope (1992: 142) mit Bezug auf Campomanes, Pedro Rodríguez Conde de
(1775-1777): Discurso sobre la educación popular y su fomento, 5 vols., hier vol. I. Madrid:
Sancha, pp. 339ff.
26
Vgl. Sempere y Guarinos, Juan (1973 [1788]): Historia del Lujo y de las Leyes Suntuarias de España, 2 vols., ed. facsimile Madrid: Atlas.
27
Vgl. Sempere y Guarinos (1973, II: 204).
28
Vgl. Lope (1992: 147).
29
Vgl. Elósegui Itxaso, María (1991): „Hume y la polémica sobre el lujo”. In: Taula,
quaderns de pensament, 16, pp. 59-77.
30
Zum Luxusverständnis Diderots vgl. Strugnell, Anthony (1983): „Diderot on Luxury, Commerce and the Merchant“. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century,
217, pp. 83-93.
9. Typisierungen der Misswirtschaft
635
Gegensatz zum aristokratischen Gepränge das Resultat redlicher Arbeit
sei und daher das individuelle und das öffentliche Glück miteinander
in Einklang bringe.31 Mehr noch als dem Denken Humes ist Sempere y
Guarinos allerdings Montesquieus L’Esprit des Lois (1748)32 verpflichtet.
Für Montesquieu ist Luxus ein Indikator zivilisatorischen Fortschritts,
ein teleologischer Prozess, den er anhand verschiedener Etappen der
Menschheitsgeschichte – von der Jagd über Viehzucht und Ackerbau
bis hin zum Handel – nachzeichnet.33 Montesquieus positive Haltung
zum Luxus nimmt Bernard de Mandeville in seiner Fable of the Bees
(1714) vorweg. Mandevilles Position ist allerdings weitaus radikaler
ist als die Montesquieus, wenn Mandeville in ironischer Zuspitzung
mit dem Luxus sogar Betrug und Hochmut rechtfertigt: „Fraud, Luxury and Pride must live / While we benefits receive.”34. Ein solches
Denken ist der spanischen Luxusdebatte nicht zuletzt aufgrund ihrer
31
Vgl. Pérez Abril, Dora (2009): „Lujo, moda y modernidad en la prensa española
del siglo xviii”. In: Res publica, 22, pp. 249-256, hier p. 251. Die Differenz zwischen beiden Formen des Luxus schlägt sich Pérez Abril zufolge in direkter Weise in Bernardo
Joaquín Dánvila Villarrasa Lecciones de Economía civil (1779) nieder, wo Dánvila zwischen dem besagten lujo de comodidad und lujo de vanidad unterscheidet. Vgl. Pérez Abril
(2009: 251, FN 2), mit Bezug auf Dánvila Villarrasa, Bernardo Joaquín (1779): Lecciones
de Economía civil. Madrid: Joaquín Ibarra, ohne Angabe der Seite bei Dánvila.
32
Zu Montesquieus mehr als wohlwollender Haltung gegenüber dem Handel und
seinen Luxusgütern vgl. Larrère, Catherine (1999): „Montesquieu: commerce de luxe
et commerce d’économie”. In: Desgraves, Louis (ed.). Actes du colloque international tenu
à Bordeaux, du 3 au 6 décembre 1998 pour commémorer le 250e anniversaire de la parution de
‚L’Esprit des lois’. Bordeaux: Académie Nationale des Sciences, Belles Lettres et Arts
de Bordeaux, pp. 467-484. Zur französischen Luxusdebatte insgesamt vgl. Provost,
Audrey (2014): Le luxe, les Lumières et la Révolution, insbesondere Kap. 6: „Les usages
politiques du luxe et conclusion“. Champ Vallon: Seyssel, pp. 123-158.
33
Vgl. Martínez Mata (2014: 66) mit Bezug auf Montesquieu, Louis Sécondat de
(21985): De l‘esprit des lois (1748). In: idem. Œuvres complètes, ed. Roger Caillois. Paris:
Gallimard, p. 381.
34
Vgl. Volkmann, Laurenz (2017): „Der ehrbare Kaufmann vor Adam Smith. Streifzüge durch eine literarische Entstehungsgeschichte in Großbritannien“. In: Lütge,
Christoph/Strosetzki, Christoph (eds.). Der ehrbare Kaufmann zwischen Bescheidenheit
und Risiko. Wiesbaden: Springer, pp. 61-77, hier pp. 74f. Zu Mandevilles Bienenfabel
vgl. Rommel (2006), pp. 13ff. and 63ff. In Bezug auf den Kontrast zwischen Montesquieu und Mandeville vgl. Rétat, Pierre (2013): „Luxury”. In: Dictionnaire Montesquieu.
Quelle: http://dictionnaire-montesquieu.ens-lyon.fr/en/article/1376473009/en/, Zugriff:
15.03.2022, p. 4: „Mandeville vaunted the benefits of luxury and vanity, the harmony of
individual interests, and denounced the moral falsity of noble honor [...] the sarcastic
tone [Mandeville] often adopted no doubt was completely foreign to Montesquieu.“
636 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
kulturell-religiösen Prägung durch den Katholizismus fremd, die bewirkt, dass auch die Befürworter des Konsums von Luxusartikeln stets
darum bemüht sind, ihre Argumente in ein wirtschaftliches Für und
ein moralisches Wider zu gliedern und das Thema so in der gebotenen
Ambivalenz darzustellen.35
Ebenfalls 1788 erscheint ein paradigmatischer Beitrag der Luxusgegner, der anonym verfasste, vermutlich aus der Feder José de Espinosa y Bruns36 stammende und von Floridablanca an María Francisca
de Sales Portocarrero, Condesa de Montijo (1754-1808), geschickte Discurso sobre el lujo de las señoras y proyecto de un trage nacional, in dem eine
einheitliche Tracht für Damen verschiedener Stände angeregt wird,
die es erlauben soll, den sozialen Rang einer Frau eindeutig erkennbar
zu machen. Das Projekt wird von Floridablanca selbst angeregt, stößt
aber auf den entschiedenen Widerstand37 der Junta de Damas, der die
Condesa das Projekt auf Bitten Floridablancas vorstellt.38 Als Begründung für seinen Vorschlag einer Einheitstracht führt der Verfasser die
moralische Korruption der Frauen durch Luxusartikel an, die Leidenschaften und Gier weckten. Zudem argumentiert auch er biopolitisch,
indem er die Furcht vor einem Bevölkerungsschwund schürt, und
merkantilistisch, indem er den aus importierten Luxuswaren entstehenden Schaden für die heimische Industrie als immens beziffert.
35
Vgl. Álvarez Barrientos (2005: 113): „[...] dado que el lujo, que se solía entender
desde una perspectiva moral como un aspecto negativo de la civilización, era visto,
desde el aspecto económico, como un modelo de hacer avanzar la sociedad y de enriquecerla”. Dass Luxusgegenstände im 18. Jahrhundert auch bei religiösen Praktiken
eine immer größere Rolle spielen, etwa bei der Einkleidung der bei den Osterprozessionen getragenen Marienfiguren, weist Alicia Andueza Pérez am Beispiel der Provinz
Navarra nach. Vgl. Andueza Pérez, Alicia (2007): „Lujo y devoción: donaciones a los
ajuares textiles de algunas Vírgenes navarras”. In: Cuadernos de la Cátedra de Patrimonio
y Arte Navarro, 2, pp. 11-28.
36
Vgl. Aguilar Piñal, Francisco (1993): Bibliografía de autores españoles del siglo xviii,
vol. III: D-F. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, p. 205. Dort wird
Brun als Verfasser des Discurso político-económico sobre el luxo de las señoras y proyecto de
un trage nacional genannt. Zum Beruf des Verfassers gibt Aguilar Piñal (ibid.) an, dass
dieser Buchhalter in einer Tabakmanufaktur in Sevilla gewesen sei
37
Zur Ablehnung des Vorschlags einer Einheitstracht durch die Junta de Damas vgl.
Bolufer (1998: 169).
38
Vgl. Andioc, René (2001): „Introducción“. In: Gálvez, María Rosa de. La familia a
la moda, ed. René Andioc. Salamanca: Universidad de Salamanca, pp. 11-101, hier p. 91.
9. Typisierungen der Misswirtschaft
637
Aufseiten der Befürworter betont Romá i Rosell in Las señales de la
felicidad de España y los medios de hacerlas eficaces (1768) nicht nur den
Nutzen, sondern die Notwendigkeit des Luxus als Motor der heimischen Industrie.39 Auch Manuel de Aguirre hebt in seinem Discurso sobre el lujo (1787) die Vorteile von Luxusgütern für die spanische Nation
hervor,40 bleibt dabei aber ganz der traditionellen Argumentationslinie verpflichtet, wenn er zugleich betont, dass Luxus aus christlicher
Perspektive eine Quelle moralischer Korruption sei und daher eine
Gefahr darstelle.41 Unter dem Einfluss von Adam Smiths Plädoyer für
den wirtschaftlichen Nutzen von Luxusartikeln42 versucht zwischen
1781 und 1787 eine anonyme Gruppe von Luxusbefürwortern, unter
denen die Forschung Reformökonomen wie Jovellanos und Samaniego ausgemacht hat,43 in der Moralischen Wochenschrift El Censor das
Dilemma zwischen moralischer Verwerflichkeit und ökonomischem
Nutzen des Luxus aufzulösen, indem sie darauf hinweist, dass die katholische Doktrin nur einen relativen, nicht aber einen absoluten Verzicht auf Luxusgüter vorschreibe. In der Argumentationslinie Humes
und Diderots unterscheiden sie einen der felicidad pública zuträglichen
und einen ihr abträglichen Luxus. Der Erstgenannte führe zur Erhöhung der Beschäftigung, der Produktivität und des Fleißes und sei
daher wirtschaftlich ebenso wie sozial nützlich und begrüßenswert.
Der Zweitgenannte ‚schlechte‘ Luxus hingegen sei ein Relikt des alten
Systems, in dem untätige und sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernde Adelige die nationale Wirtschaft schädigten, indem sie
39
Vgl. Vicente (2006: 72).
Vgl. Díez Rodríguez, Fernando (2000): „La apología ilustrada del lujo en España.
Sobre la configuración del hombre consumidor“. In: Historia Social, 37, pp. 3-25.
41
Vgl. Díez Rodríguez (2000: 14).
42
Vgl. Vicente (2006: 74).
43
Vgl. Díez Rodríguez (2000: 18) mit Bezug auf Caso González, José Miguel (1989):
„El Censor, ¿periódico de Carlos III?”. In: El Censor. Obra periódica, ed. por José Miguel
Caso González. Oviedo: Universidad de Oviedo/Instituto Feijoo de Estudios del Siglo
xviii, pp. 755-799, ohne Seitenangabe: „Caso González mantiene la tesis de que la publicación [del Censor] se gestó en el círculo de los tertulianos de la condesa de Montijo,
[...] recibió el pleno apoyo y la financiación de Carlos III y acogió, en sus páginas, las
colaboraciones anónimas de los ilustrados más importantes de la época: la propia Condesa, Tavira, Estanoslao de Lugo, Urquijo, Samaniego, Meléndez Valdés, Jovellanos,
etc.” Dass Jovellanos an der Serie beteiligt war, ist auch insofern wahrscheinlich, als er
als Redakteur der Zeitschrift fungierte.
40
638 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
sich ihrer produktiven Funktion verweigerten.44 1789 schließlichveröffentlicht Manuel Romero de Álamo im Memorial Literario ein langes
Traktat über den Luxus.45 Einer merkantilistisch-protektionistischen
Dialektik folgend, differenziert auch er zwischen einem in wirtschaftlicher Hinsicht förderlichen Konsum heimischer Luxuswaren und
einem als schädlich gebrandmarktem Konsum importierter Artikel.
Diese Unterscheidung sei für Märkte umso bedeutsamer, je stärker
ihre Industrien im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten
seien.46 In einer zwischen 1787 und 1788 erscheinenden Serie im Correo de Madrid über das Wohl und Wehe von Luxusgütern resümiert
Aguirre in der schriftlichen Auseinandersetzung mit einem anonymen
Briefeschreiber die in der zeitgenössischen Debatte vorgebrachten
Pros und Contras.47
Wie viele der Themen der spanischen Reformökonomie ist auch die
Luxusdebatte kein Phänomen des 18. Jahrhunderts. Seit dem 15. Jahrhundert diskutieren spanische Moralisten, Philosophen, Kleriker und
Politiker das Für und Wider von Luxusgütern, wobei die Luxusgegner
vor 1750 bei weitem überwiegen. Schon in den 1630ern finden sich
allerdings auch Apologeten des Luxuskonsums, wie etwa Arias Gonzalo mit seinem Memorial en defensa de las mujeres de España (1636)48,
der die von den Moralisten, u.a. von Fray Tomás Ramón,49 ersonnenen
44
Vgl. Díez Rodríguez (2000: 18). Zur Argumentationslinie der im Censor abgedruckten, insgesamt neun Artikel zur Luxusthematik vgl. auch Elósegui Itxaso (1991:
67ff.).
45
Vgl. Martínez Chacón, Elvira (ed.) (1989): Efectos perniciosos del lujo: Cartas de D.
Manuel Romero de Álamo al Memorial Literario (1789). Oviedo: Servicio de Publicaciones,
zitiert in Díez Rodríguez (2000: 5ff.).
46
Vgl. Díez Rodríguez (2000: 10).
47
Vgl. Díez Rodríguez (2000: 11). Weitere literarische, journalistische, moralische
und moraltheologische Beiträge zur spanischen Luxusdebatte beleuchtet Lope (1992:
129ff.).
48
Vgl. González Cañal, Rafael (1991): „El lujo y la ociosidad durante la privanza de
Olivares; Bartolomé Jiménez Patón y la polémica sobre el guardainfante y las guedejas”. In: Criticón, 53, pp. 71-96, hier p. 67 mit Bezug auf Gonzalo, Arias (1636): Memorial
en defensa de las mujeres de España y de los vestidos y adornos de que usan. Lisboa: Antonio
Álvarez.
49
Dieser bemüht den Topos der mundo al revés, wenn er die Exzesse luxuriöser
Anzüge und Schmuckstücke aufs Schärfste rügt. Vgl. González Cañal (1991: 76) mit
Bezug auf Fray Tomás Ramón (1635): Nueva prematica de reformacion contra los abusos
de los afeytes, calçado, guedejas, guardainfantes, lenguaje critico, moños, trajes y excesso en el
9. Typisierungen der Misswirtschaft
639
Vorschläge und Gesetze für Kleidungsvorschriften zurückweist und
dafür plädiert, dass die SpanierInnen selbst entscheiden sollten, was
sie tragen möchten. Ähnlich wie ihre Nachfolger im 18. Jahrhundert
stören sich auch die Luxuskritiker des 16. und 17. Jahrhunderts an
der Übernahme ausländischer Moden. Alonso Carranza etwa prangert in seinem Discurso contra malos trajes y adornos lascivos (1636)50 den
guardainfante an, einen weit ausgestellten Rock, den Diego Velázquez
(1599-1660) in seinem berühmten Gemälde Las Meninas (1656) verewigt hat. Carranza zufolge ist diese aus Frankreich stammende ‚diabolische Erfindung‘ ideal dazu geeignet, ungewollte Schwangerschaften zu verheimlichen, woher auch der französische Name rührt.51 Die
Positionen der Luxuskritiker von 1500 bis 1800 ähneln einander darin,
dass sie moralische und ökonomische Bedenken gegen einen Luxuskonsum äußern, der sich zunächst über Kleidung und Mode und dann
über neue Praktiken der Körperpflege – Frisuren, Rasuren, Kosmetik,
Parfums – manifestiert. So liest man im Guzmán de Alfarache (1599) eine
ironische Beschreibung der Galane, die mit ondulierten Haartollen herumstolzieren, die Hände mit Hilfe von Pülverchen, Seifen und Tinkturen und ‚anderen Schweinereien‘ (s.u., meine Übersetzung) sorgsam
pflegen, und überhaupt mit allerlei Pomp ausgestattet sind, der sonst
nur Frauen zugestanden wird:
Traía copete y sienes ensortijadas. Si esto era propio, no fuera justo, dándoselo Dios, que se tiznara la cara ni arrojara en la calle semejantes prendas.
Pero si es verdad, como dices, que se valía de untos y artificios de sebillos,
que los dientes y manos, que tanto loaban, era a poder de polvillos, hieles,
jabonetes y otras porquerías, confesársete cuanto dél dijeres y seré su capital enemigo y de todos los que cosa semejante tratan; pues demás que son
actos de afeminados maricas, dan ocasión para que dellos murmuren y se
uso del tabaco: fundada en la divina escritura y dotrina de los Santos Padres para todos estados
necessaria. Zaragoza: Diego Dormer.
50
Vgl. González Cañal (1991: 74) mit Bezug auf Carranza, Alonso (1636): Discurso
contra malos trajes y adornos lascivos. A Felipe IV, el mayor Señor del Orbe y a sus supremos
Consejos de Justicia y Estado. Rogación en desestación de los grandes abusos en los trajes y
adornos nuevamente introducidos en España. Madrid: María de Quiñones.
51
Vgl. González Cañal (1991: 79) mit Bezug auf Carranza (1636: fol. 22): „[...] porque lo ancho y pomposo del traje, que comienza con gran desproporción desde la cintura, les presta comodidad para andar embarazadas nueve y diez meses, sin que desto
puedan ser notadas, [...], y con este se le dio el nombre de guard enfant, por el efeto.”
640 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
sospecha toda vileza, viéndolos embarrados y compuestos con las codas
tan solamente a mujeres permitidas. 52
In dieser Passage tritt die Besorgnis über die Effeminierung spanischer Männer durch Praktiken der Mode und der Körperpflege ebenso deutlich zu Tage wie in den reformökonomischen, journalistischen
und literarischen Inszenierungen des petimetre. Sowohl bei der Kritik
am effeminierten Galan des 17. Jahrhunderts als auch in der Charakterisierung des petimetre als geschlechtlichem Grenzgänger kommt
es zu einer Verknüpfung zwischen der ‚Verweiblichung‘ des Mannes
und dem Laster der Faulheit, schließen sich körperliche oder geistige
Arbeit und die Investition in das äußere Erscheinungsbild doch dem
zeitgenössischen Verständnis nach aus.53 Wie schon im Falle des petimetre münden die ‚übertriebene‘ und damit ‚unmännliche‘ Körperpflege sowie die modische Selbstinszenierung des Galans auch im 17.
Jahrhundert in das Aufkommen eines satirischen theatralen Typus des
marión, den Luis Quiñones de Benavente (1581-1651)54 im Entremés del
marión (o.J.) persifliert.55 Bereits in den Debatten des 17. Jahrhunderts
spielt modische Kleidung also als Mittel der geschlechtlichen Transgression eine Rolle. Nicht erst seit dem 15. Jahrhundert ist Mode ein
bedeutender Marker sozialen Status. Daher befürchten schon Moralisten wie Tomás de Torquemada (1420-1498) angesichts der allgemeinen Tendenz zu opulenter Kleidung eine Aufweichung der bislang
hart verlaufenden Standesgrenzen, da Adelige und reiche Bürger optisch kaum mehr unterscheidbar seien.56
52
Vgl. González Cañal (1991: 91) mit Bezug auf Alemán, Mateo (1983): Guzmán de
Alfarache, ed. Francisco Rico. Barcelona: Planeta, pp. 121f.
53
Für das 17. Jahrhundert zeigt dies das Beispiel Bartolomé Jiménez Patóns und
seines Discurso de los tufos, copetes y calvas (1639). Vgl. González Cañal (1991: 90) mit
Bezug auf Jiménez Patón, Bartolomé (1639): Discurso de los tufos, copetes y calvas. Baeza:
Juan de la Cuesta, fol. 40.
54
Lange Zeit galt Francisco de Quevedo (1580-1645) als Autor dieses entremés. Zu
den Gründen, die für eine Autorschaft Benaventes sprechen, vgl. Tobar Quintanar, María José (2017): „El marión, entremés en dos partes atribuido a Quevedo: cuestiones de
subgénero, datación y autoría“. In: Analecta Malacitana, 42, pp. 31-56.
55
Vgl. González Cañal (1991: 94) mit Bezug auf Cotarelo y Mori, Emilio (1911):
Colleción de Entremeses. Loas, Bailes, Jácaras y Mojigangas, vol. II. Madrid: Bailly, p. 723a.
56
Vgl. González Cañal (1991), p. 75 mit Bezug auf Rodríguez Cacho, Lina (1989):
Pecados sociales y literatura satírica en el siglo xvi: los „Coloquios” de Torquemada. Madrid:
U.A.M, p. 137: „[...] entre los escritores del siglo xvi, los nuevos usos y costumbres
9. Typisierungen der Misswirtschaft
641
Der 1788 präsentierte Vorschlag einer nationalen Einheitstracht
für Damen deutet darauf hin, dass es in der aufklärerischen Luxusdebatte weder allein um merkantilistische noch um moralische oder
religiöse Argumente geht. Was mit dem Aufstieg des Bürgertums in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neuerlich auf dem Spiel steht,
ist die Funktion von Mode als Mittel sozialer Distinktion,57 da die
Verfügbarkeit von Luxusartikeln für jene, die es sich leisten können,
auch hier zur äußerlichen Ununterscheidbarkeit von Adeligen und
Bürgerlichen führt. Wie gezeigt werden konnte, thematisieren Stücke
wie Trigueros‘ Los menestrales den aus adeliger Sicht bedrohlich erscheinenden Umstand, dass sich der gesellschaftliche Rang mit dem
finanziellen Aufstieg des berufstätigen Bürgertums zunehmend an
dem zur Verfügung stehenden Kapital bemisst.58 Der steigende Wohlstand ermöglicht nun auch begüterten Kaufleuten, Unternehmern, ja
sogar (männlichen) Handwerkersmeistern die Ostentation durch Kleidung (vgl. Kap. 7.3.2) und exquisite Einrichtungsgegenstände (Kapitel
5.3.).59 Konsumwaren gewinnen zunehmend die Funktion, Ausdruck
von Individualität und Entscheidungsfreiheit zu sein, ein Umstand,
der den Reformern angesichts der revolutionären Entwicklungen in
Frankreich ein Dorn im Auge ist. Bei der Oberschicht verstärkt die
bürgerliche Ostentation das Bedürfnis, sich optisch zu distanzieren,
was die Bürgerlichen ihrerseits veranlasst, ebenfalls mehr in Äußerlichkeiten zu investieren. Dies löst einen regelrechten Ansturm auf die
neueste, eleganteste und ausgefallenste Mode und die dazu passenden Accessoires aus,60 was nicht nur den bereits beschriebenen Boom
preocuparon bastante más por la confusión social y el peligro de indistinción de clases
que acarreaban”. Vgl. auch González Cañal (1991: 93ff.) sowie Bolufer (1998: 186; 200).
57
Die These von der Bedeutung von Kleidung für die soziale Unterscheidbarkeit
stützt Elósegui Itxaso (1991: 65): „De este modo se transluce las graves incidencias socio-políticas de quienes atacaban el lujo en todas las clases sociales alegando como
motivo que el lujo igualaba a la sociedad, lo que se considera indignante; si se generalizaban una serie de prendas y modos de vestir ya no se podía distinguir al rico del
pobre por su porte exterior.”
58
Vgl. Bolufer (1998: 186; 200).
59
Zur Selbstdarstellung des Bürgertums durch Einrichtungsgegenstände vgl. auch
die bereits erwähnte Studie von García-Fernández (2011).
60
Dass sich Prozesse sozialen Wandels an einem veränderten Konsumverhalten ablesen lassen, zeigen Torras Elías, Jaume/Yun Casalilla, Bartolomé (2003): „Historia del
consumo e historia del crecimiento. El consumo de tejidos en España, 1700-1850”. In:
Revista de Historia Económica, 21, pp. 17-41, hier p. 37, die ab den 1750er Jahren einen
642 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
des Gebrauchtkleidermarktes begründet, sondern auch die Luxusdebatte neu entfacht.
Im Kontext der petimetría als urbanem und höfischem Phänomen61
wird die modische Fusion mit den Unterschichten, den ebenfalls genuin urbanen Figuren des majo und der maja, zur Zielscheibe der Kritik derjenigen, die nicht ohne Grund eine Nivellierung sozialer Differenzen durch das ‚System Mode‘62 befürchten, ein Verwischen von
Klassengrenzen, das seinerseits das Kapital als neues Mittel sozialen
Aufstiegs affirmiert. Damit ist die Gesellschaft der spanischen Spätaufklärung an der Schwelle zum Kapitalismus angelangt. Analog
dazu konstatieren Jaume Torras Elías und Bartolomé Yun Casalilla für
das Spanien des 18. Jahrhunderts eine messbare ,Merkantilisierung
sozialer Beziehungen‘63 und für bürgerlich dominierte urbane Zentren
wie Barcelona und Madrid einen Verlust des ‚adeligen Luxusmonopols‘64. In ihrem Verlangen nach ausländischen Luxusgütern65 ist die
transgressive geschlechtliche Figur des petimetre als eine Manifestation
des vir profusus das Kondensat des kulturell, sozial und geschlechtlich
Suspekten. In dieser Figur kreuzen sich die Furcht vor der sozialen
Ununterscheidbarkeit und die Angst vor der geschlechtlichen In-Differenz, was von den ab 1750 sich abzeichnenden gesellschaftlichen
und sexualnormativen Veränderungen zeugt.66 Gerade weil der Typus des petimetre diffuse Ängste verdichtet, muss er in den Augen von
Moralisten und Reformökonomen nicht nur moralisch verurteilt und
juristisch verfolgt, sondern überdies der Lächerlichkeit preisgegeben
werden, um dieser suspekten Gestalt ihren Schrecken zu nehmen. Wie
„creciente consumo de textiles” beobachten. Dieser steht im Kontext einer zunehmenden Differenzierung von Produkten im Textilsektor, die bei den VerbraucherInnen Bedürfnisse weckt und den Konsum zusätzlich anstachelt. Marktführend sind dabei, das
bestätigen auch die Autoren dieses Artikels, zunächst englische Webwaren wie die in
Kapitel 2 schon erwähnten new draperies. Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 24f.).
61
Vgl. Heße (2008: 164f.).
62
Vgl. Barthes, Roland (2015): Système de la mode. Paris: Seuil.
63
Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 26), meine Übersetzung, wo von „una creciente mercantilización de relaciones sociales” die Rede ist, die sich an der Beschaffenheit und den Preisen der durch bestimmte soziale Schichten erworbenen Waren und
Güter ablesen lässt.
64
Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 27), meine Übersetzung. Dort ist vom „monopolio del consumo suntuario” die Rede.
65
Vgl. Haidt (2003: 148).
66
Vgl. Bolufer (1995: 252).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
643
der folgende Abschnitt zeigen wird, ist es die in geschlechtlicher und
kultureller Hinsicht als fremdartig empfundene Präsenz des petimetre,
die im Fokus der theatralen Satire steht.
9.1.2. Kulturelle Normverletzung: Der vir profusus als Verkörperung
merkantilistisch motivierter Xenophobie
Die Angst vor der Überschwemmung des heimischen Marktes durch
ausländische, insbesondere durch französische Waren mündet im Falle der theatralen und journalistischen Darstellungen des petimetre in
eine regelrechte Xenophobie, die es notwendig erscheinen lässt, das
Französische – sei es die Mode, seien es die nach französischen Modeartikeln gierenden petimetres und petimetras, die französische Lebensart oder die Franzosen selbst – der Lächerlichkeit preiszugeben.
Zahlreiche Beispiele finden sich nicht nur im neoklassischen Theater,
sondern auch und vor allem in der Kurzgattung des sainete, so auch
in Comellas Saynete67 nuevo: El alcalde proyectista. Dort äußert ein durch
sein mangelhaftes Spanisch und französische Spracheinsprengsel als
Franzose markierter Modist:
Mod. O usté estar muy engañados:
yo hacer los zorros, las batas,
los gorros, los cacafalcos,
y os turcos; [...].
[...]
Y yo sacar muchos quartos
del luxo español con esto,
y luego à Francia llevarlos.68
Wie schon in Comellas El hombre agradecido wird auch hier die
Thematik von Aktiv- und Passivhandel aufgeworfen, dieses Mal allerdings nicht aus der Sicht des spanischen ‚Verlierers‘, sondern aus
der Perspektive des französischen Profiteurs, der an der Konsumsucht
der spanischen VerbraucherInnen seine rege Freude hat und ihnen das
67
Neben der neoklassischen Komödie ist es die Kurzgattung des sainete, die den
petimetre am häufigsten inszeniert.
68
Comella (o.J.: 8).
644 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
‚Geld‘ faktisch ‚aus der Tasche zieht‘ („sacar muchos quartos“). Bemerkenswert ist, dass es trotz der Beliebtheit der aus England und
Holland importierten new draperies (vgl. Kap. 2) kaum theatrale Figuren gibt, die Vertreter des englischen oder holländischen Textilwarenhandels zur Zielscheibe des Spotts machen. Dies mag an der unmittelbaren Nachbarschaft zwischen Frankreich und Spanien und den
zahlreichen Kriegen liegen, die Spanien vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte mit dem Nachbarn führt. Dass England Frankreich auf
dem Gebiet textiler Innovationen im 18. Jahrhundert überlegen und in
Europa marktführend ist,69 legt allerdings nahe, dass die Schelte des
spanischen Theaters gegen Frankreich und seine Luxuswaren nicht
allein in merkantilistischen Besorgnissen wurzelt, sondern überdies
mit den zahlreichen Invektiven französischer Aufklärer gegen die spanischen Rückständigkeit in Zusammenhang steht.70 Wie sich im Folgenden zeigen wird, sind in diesem Kontext auch die politischen Entwicklungen im vor- und nachrevolutionären Nachbarland von nicht
zu unterschätzender Bedeutung.
Wenn Witthaus in Bezug auf den ersten „Discurso preliminar“
(1754) von Graefs Discursos mercuriales (1751-1754 und 1755-1756)
konstatiert, dass Ausländer dort als Widersacher wahrgenommen
werden, die die Existenz Spaniens gefährden, deckt sich dies mit der
Perspektive der Mehrzahl von Graefs Zeitgenossen. Aus Graefs Sicht
bedrohen Ausländer die Existenz Spaniens, „indem sie [...] zumeist als
falsche Ratgeber und schlechte Ärzte Spanien seinem Elend überlassen und damit im europäischen Kontext übervorteilen“71. Die Eigenschaft, schlechte Ratgeber zu sein, weisen auch die in spanischen Komödien der Spätaufklärung auftretenden ausländischen Figuren auf,
beispielsweise der italienische Tanzlehrer Trapachino aus La familia a
la moda. Dass neben Franzosen auch Italiener72 im spanischen Theater
als lächerliche Figuren figurieren, erklärt sich durch den Einfluss von
Elisabetta Farnese (1694-1766) alias Isabel de Farnesio, der Gattin
69
Das Angebot britischer Hersteller ist variantenreicher und modischer als das anderer Anbieter. Vgl. Torras Elías/Yun Casalilla (2003: 24): „Es ahora bastante claro que
durante la mayor parte del siglo xviii dominó en la industria textil británica este tipo
de innovación, que diversificaba los productos sin salir del marco técnico establecido.”
70
Vgl. Tschilschke (2009), s.o.
71
Witthaus (2008: 276).
72
Heße (2008: 159) zufolge karikiert der Typus des petimetre den französischen in
Verbindung mit dem italienischen Lebensstil.
9. Typisierungen der Misswirtschaft
645
Felipes V., die neben dem beim Volk äußerst unbeliebten Minister
Esquilache einen ganzen Stab italienischer Berater an den spanischen
Hof beruft.73 Auf den Einfluss dieser ‚italienischen Fraktion‘ geht auch
die Beliebtheit der Oper in höfischen Kreisen zurück, die von Italienern komponiert und inszeniert wird. Dem elitären Spektakel der
Oper, das von der breiten Masse des Volkes als Anzeichen eines ‚italienischen Kulturimperialismus‘ betrachtet wird, setzen spanische Dramatiker und Komponisten die zarzuela als eine Form des Musiktheaters entgegen, die durch Ramón de la Cruz populär gemacht wird, das
„Selbstbewusstsein der unteren Klassen“74 kristallisiert und bis heute
als Essenz volkstümlicher spanischer Identität gilt.
Der Tanzlehrer Trapachino ist nur eines von vielen Beispielen für
den Typus des durchtriebenen, geldgierigen und doppelzüngigen
Ausländers, der bei den Spaniern Bedürfnisse nach Überflüssigem
weckt. Auch dieser Figurentypus ist mit seinem lasterhaften Charakter, seiner Misswirtschaft und seiner wenn auch nicht transgressiven,
so doch devianten Männlichkeit,75 eine Variante des vir profusus. Vom
hegemonialen Männlichkeitsideal der spanischen Aufklärung weicht
er insofern ab, als er durch das doppelte Spiel, das er treibt, der Redlichkeit des vir oeconomicus entgegensteht. Während sich der vir oeconomicus und hombre de bien nicht scheut, unliebsame Wahrheiten
auszusprechen, heuchelt der vir profusus in Gestalt des zwielichtigen
Ausländers Sympathie, weil er sich davon einen finanziellen Vorteil
erhofft. Dies zeigt sich in La familia a la moda deutlich im Verhalten Trapachinos gegenüber der femina oeconomica Doña Guiomar: Obwohl aus
seinen Repliken deutlich hervorgeht, dass er die resolute Dame verabscheut – er bezeichnet sie als „vieja asquerosa“76 und gibt an, dass er
ihr ‚aufgeblasenes‘77 Gehabe nur schwer ertragen könne –, macht er ihr
von dem Moment an den Hof, in dem er Wind davon bekommt, dass
die wohlhabende Witwe in Erwägung zieht, erneut zu heiraten. Bei
73
Eine ebenso ausführliche wie erhellende Analyse des italienischen Einflusses auf
Politik, Ökonomie und Gesellschaft im 18. Jahrhundert in Spanien nimmt Gittermann
(2008) vor, vgl. insbesondere pp. 29-92 und 205-285.
74
Jehle (2010: 165).
75
Den Begriff der ‚devianten Männlichkeit‘ beziehe ich von Wolters, Nicholas A.
(2015): „Fashioning the Deviant Male Body in Tomás de Iriartes El señorito mimado“. In:
Romance Notes, 55, 2, pp. 163-173.
76
Gálvez (2001: 159, v. 5).
77
Vgl. Gálvez (2001: 159, v. 7): „sufrir su maldito flato“.
646 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
seiner Brautwerbung bedient er sich einer metaphernreichen, blumigen und barocken Sprache,78 die die scharfzüngige Guiomar treffend
als „conveniente [...] / a un galán de Calderón“79 bezeichnet, bevor sie
trocken nachsetzt, Trapachino habe weniger schwülstig gesprochen,
als er sie einst um Geld gebeten habe: „mas de las dos onzas de oro /
me hablabais muy llanamente“80. Damit gibt sie zu erkennen, dass sie
den Schwindler durchschaut. Dieser hat es nicht nur auf Guiomars
Vermögen abgesehen, sondern ist noch dazu ein rechter Schwerenöter, der neben Madama Pimpleas und ihrer Tochter Inés auch der
Dienerin Teresa nachstellt.81 Diese sexuelle Maßlosigkeit steht der temperantia als Tugend des vir oeconomicus entgegen und ist ein Merkmal
devianter Männlichkeit.
Trapachino wird bereits bei seinem ersten Auftritt explizit auktorial als lächerlicher Ausländer ausgewiesen, wenn es im Nebentext zu
Beginn der elften Szene des ersten Aktes hinsichtlich des Auftritts der
Figur heißt: „[...] Trapachino vestido ridiculamente a la italiana“.82 Auch
dass Trapachino dem Sprössling der Familie, Faustino, Musik- und
Tanzunterricht gibt, weist ihn als suspekten Vermittler neuer Moden
aus. Heße zufolge ist es die „andauernde habituelle Verunsicherung
adeliger Männlichkeit“83 im 18. Jahrhundert in Spanien, die diese anfällig für neue und ungewohnte Praktiken macht, was sich in einer
erhöhten Bereitschaft manifestiert, fremde Sitten und Gebräuche zu
übernehmen,84 darunter Tänze, Moden und Ausdrücke. Im aufklärerischen Spanien, wo die Angst vor Überfremdung allgegenwärtig ist,85
stößt dies nicht nur seitens der Konservativen, sondern auch seitens
der Theaterreformer, die sich kurioserweise selbst wesentlich am französischen klassischen Theater und an der französischen sentimentalen
Komödie orientieren, auf Ablehnung. Diese aus der Verunsicherung
tradierter Männlichkeitsideale resultierende Xenophobie erklärt die
ins Gewand der Satire gekleidete Präsenz von Tanz-, Benimm- und
78
Vgl. Gálvez (2001: 227ff.).
Gálvez (2001: 228f., vv. 362 u. 370).
80
Gálvez (2001: 229, vv. 365f.).
81
Zur Liebelei zwischen Trapachino und Teresa vgl. Gálvez (2001: 255, vv. 765f.).
Zu Trapachinos Schwerenöterei vgl. Gálvez (2001: 159, vv. 9ff.).
82
Gálvez (2001: 149).
83
Heße (2008: 166).
84
Heße (2008: 166).
85
Vgl. Heße (2008: 166).
79
9. Typisierungen der Misswirtschaft
647
Musiklehrern (nicht nur) im neoklassischen spanischen Theater des
18. Jahrhhunderts.
Auch hier ist die Verlächerlichung ein probates Mittel des Umgangs mit einem Fremden, das verunsichert. Die Ängste sind darin
begründet, dass die ausländischen ‚Lehrerfiguren‘ nicht nur als Vermittler ihrer jeweiligen Disziplin (Musik, Gesang, Tanz, Mode) fungieren, sondern zugleich unliebsame Verbreiter neuer Umgangsformen sind, die bestehende Traditionen abzulösen und außer Kraft
zu setzen drohen. In diesem Sinne ist der unterrichtende Ausländer
ein Gefährder der bestehenden Ordnung. Theatral manifestiert sich
dieses Bedrohungsempfinden in der analogen Zeichnung von Lehrer
und Schüler: Da Trapachino moralisch verkommen ist, fällt auch sein
Faustino negativ auf, und zwar durch nachlässige Kleidung und mangelnde Körperhygiene.86 Wohin die Unterweisung in ausländischen
– in diesem Falle englischen87 – Tänzen führt, illustriert in La familia
a la moda eine durch und durch komische Szene, in der Faustino in
Ermangelung einer Partnerin mit einem Stuhl um seinen Vater herumtanzt,88 der seinerseits bemüht ist, eine Liste seiner Spielschulden
anzufertigen und dabei wie ein Schulkind wirkt, das sich mit den Rätseln höherer Mathematik herumplagt. Diese Szene führt performativ
vor Augen, dass im Hause Pimpleas der Wahnsinn das Zepter führt.
Wahnwitzig muten auch Trapachinos Geschichten an, in denen er sich
als untergetauchter Prinz89 ausgibt, der aufgrund eines mysteriösen
Vergehens aus seiner Heimat verbannt wurde. Dieses Märchen stößt
bei der leichtgläubigen Familie Pimpleas auf ein dankbares Publikum,
wohingegen die lebenskluge femina oeconomica Guiomar der barock
ausgeschmückten Geschichte keinen Glauben schenkt, sondern in
Trapachino einen flüchtigen Verbrecher vermutet.90 Auch Guiomar
ist allerdings nicht davor gefeit, dem durchtriebenen Italiener auf den
Leim zu gehen, kauft sie ihm doch für zwei Goldunzen eine Uhr ab,
86
Vgl. Gálvez (2001: 123f.), Akt I, Szene 3. Faustino tritt in schmutziger Kleidung
und mit zerzaustem Haar voller Stroh auf. Zudem ‚stinkt er wie die Pest‘, wie Guiomar
anmerkt, vgl. Gálvez (2001: 124, v. 142.), meine Übersetzung.
87
Vgl. Gálvez (2001: 195, v. 626).
88
Vgl. Gálvez (2001: 197, vv. 628ff.).
89
Vgl. Gálvez (2001: 151, vv. 646 sowie 227, vv. 339ff.).
90
Vgl. Gálvez (2001: 151, vv. 640ff.).
648 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die nur zwei Peseten wert ist.91 Dieses kleineren Erfolges unbeachtet
ist der Italiener ein Repräsentant wirtschaftlichen Misserfolges: Nicht
nur hatte Trapachino Faustino ein Jahr lang Musikunterricht erteilt,
ohne dafür bezahlt worden zu sein, auch wird er von einer „gavilla
fiera / de fastidiosos ingleses“92 verfolgt, von einer ‚wilden Bande‘ englischer Gläubiger (meine Übersetzung). Die Engländer figurieren somit zumindest in Trapachinos Fabulierereien als Kaufleute und Geldverleiher, mit denen nicht zu spaßen ist.
9.1.3. Korrumpierte Jugend oder libertinage? Die Figur des Mariano
aus Iriartes El señorito mimado, o la mala educación (1787)
Die titelgebende Figur des Mariano aus Tomás de Iriartes El señorito mimado erfüllt die Eigenschaften des vir profusus in exemplarischer
Weise. Der junge Mann von zwanzig Jahren fällt durch normverletzendes Verhalten auf, das die soziale, geschlechtliche und ökonomische Ebene betrifft. In Ermangelung einer im aufklärerischen Sinne
guten – d.h. einer strengen und konsequenten – Erziehung, ist er zum
einen durch andere korrumpiert, durch die allzu nachsichtige Mutter93
ebenso wie durch die betrügerische Witwe Doña Mónica. Zum anderen zeigt sich in seinem Wunsch nach Selbstbestimmung aber auch
ein unbändiger Freiheitsdrang. Soziale Normen überschreitet Mariano, indem auch er sich entgegen der Vorgaben des Männlichkeitsideales des hombre de bien verhält: Er lügt, betrügt und faulenzt; Mutter
und Onkel behandelt er respektlos; ein ihm von seiner Verlobten Flora
anvertrautes Liebespfand, ein Miniaturporträt ihrer selbst, verspielt
91
Vgl. Gálvez (2001: 253f., vv. 755ff.) sowie die in der Ausgabe von Andioc (2001:
254), erklärend angebrachte Fußnote.
92
Vgl. Gálvez (2001: 160, vv. 27ff.).
93
Marianos nachsichtige Erziehung wird durch seine Mutter, Doña Dominga,
durch Don Christóval, den aus Amerika heimgekehrten Onkel, sowie durch den Diener Pantoja zum Ausdruck gebracht. Vgl. Iriarte (1972: 624): „D. Christ. Nó, Amiga:
contra su Madre, / Sí, contra usted sola clamo. / ¡Qué crianza! – Ahora todos / Hemos
de pagar el daño, / Quando de nadie es la culpa / Sino de usted. – Lo bonazo / De ese
genio, ese amor ciego / Al Hijo, el mimo, el regalo...”. Inwiefern diese verhätschelnde
Form der Erziehung, diese ‚blinde Liebe‘ (s.o.), versagt hat, konkretisiert Domingas
Diener Pantoja: „Pantoja. Azotes! oh! ni nombrarlos. / Sujeción! no se hable de eso. /
Reprehender! contrabando.” Iriarte (1972: 630).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
649
er94 und umgibt sich zudem mit zwielichtigen Gestalten weit unterhalb seines gesellschaftlichen Standes, darunter ein Alchimist und
Betrüger. Auch dadurch, dass er schreckhaft und zur Waffenkunst
nicht zu gebrauchen ist, verkörpert Mariano das Gegenteil traditioneller spanischer Virilität. All dies fasst sein Onkel, der Ordnungsstifter
des Stückes, treffend zusammen, als er Mariano noch vor dessen erstem Auftritt explizit figural als jemanden charakterisiert, der in jeder
Hinsicht dem männlichen Ideal der aufgeklärten berufstätigen Oberschicht widerspricht:
D. Christ.
[...]
Es que ese Caballerito
cumplirá presto veinte años
sin saber ni persignarse;
que está lleno de resabios,
de mil preocupaciones;
que es temoso, afeminado,
superficial, insolente,
enemigo del trabajo;
incapaz de sujetarse
a seguir por ningún ramo
una carrera decente.95
In seiner effeminierten Furchtsamkeit, die bereits auf seine petimetría
hindeutet, in seiner Weigerung zu arbeiten, sich Autoritäten zu beugen
und eine seinem Stand angemessene berufliche Laufbahn anzustreben,
ist Mariano das Gegenteil eines ‚zivilen Helden‘. Seine Spielleidenschaft und die beträchtliche Zeit, die er in den „[...] insignes / aulas de
Cúpido y Baco“96 sowie in den „Caféës [sic], mesas de trucos / nobles
garitos, fandangos / de candil, y otras tertulias /perfumadas del cigarro“97 verbringt, weist ihn nicht nur als Verschwender aus, sondern auch
als jemanden, der Tabubrüche begeht, indem er Orte frequentiert und
94
Zur sozialen, ökonomischen und affektiven Bedeutung des Miniatur-Porträts
vgl. Davis, Kathleen (2007/2008): „Portrait of Flora. Value and Exchange in El señorito
mimado“. In: Letras Peninsulares, 20, 2-3, pp. 273-281.
95
Iriarte (1972: 626).
96
Iriarte (1972: 632).
97
Iriarte (1972: 632).
650 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Umgang mit Personen hat, die für einen jungen Mann seines Standes
indiskutabel sind.98 Seine ständige Geldnot führt dazu, dass er Gegenstände aus dem Besitz seiner Mutter und sogar ein für seine Verlobte
gedachtes Geschenk verpfändet.99 Implizit auktorial charakterisiert ihn
das Stück als petimetre, als er am helllichten Tag im Morgenmantel und
ausgestattet mit weiteren verräterischen Accessoires – etwa dem „bastoncito de petimetre“100 – seinen ersten Auftritt hat und mit dem unpassenden Aufzug zugleich seine schlechte Zeitökonomie offenbart. Die
Dienerin Felipa weist ihm explizit das Attribut der „marcialidad“101 zu,
jene an Unverschämtheit grenzende Direktheit des majo, die sich der
petimetre zu eigen macht und die auch die Figur der Pepita aus Iriartes ähnlich aufgebauter Komödie La señorita malcriada an den Tag legt.
Beide Stücke repräsentieren die typisierte männliche bzw. weibliche
Variante eines verzogenen jungen Menschen, wobei Mariano in seinem
singulären Streben nach Autarkie die Grenzen des Typs durchbricht,
als er sich den Disziplinierungsmaßnahmen102 des Ordnungsstifters beharrlich widersetzt und auf sein Recht auf individuelle Freiheit pocht.
98
Vgl. Iriarte (1972: 642).
Vgl. Iriarte (1972: 661f.). Aufgrund seiner Spielschulden, die sich auf zwanzig
Goldunzen belaufen, vgl. Iriarte (1972: 665), versetzt er einige Uhren, die seiner Mutter
gehören, und einen als Verlobungsgeschenk für Flora gedachten diamantenen Siegelring, der symbolisch für die Besiegelung der Ehe und die Einlösung des Eheversprechens steht. Dies ist neben der Miniatur das zweite Liebespfand, das er ungeachtet des
affektiven Werts achtlos beim Glücksspiel einsetzt. Damit zeigt Mariano die mangelnde Wertschätzung, die er Flora entgegenbringt, aber auch seine Unreife und Unfähigkeit zur Ehe, die in der ersten Szene des ersten Aktes auch sein Onkel Christóval offen
anspricht. Vgl. auch Floras Replik in Iriarte (1972: 667): „¿Quiere a una Dama de veras
/ quien desprecia su retrato?“ Marianos Unehrlichkeit offenbart sich, als er dem treuen
Diener Pantoja die Schuld zuweist. Vgl. Iriarte (1972: 663).
100
Iriarte (1972: 648): „D. Christ. [...] / Cercado de Amigos falsos, / de locos, de estafadores; / y sin dejar de la mano / los naipes, ya contrayendo / deudas por fútiles
gastos, [...].”
101
Vgl. Iriarte (1972: 652): „Vaya usted viendo! Hai quien dice / que este Mozo es
atronado; / y á mí su marcialidad / me gusta... horror!”
102
Vgl. Wolters (2015: 165), der treffende Bezüge zu Foucaults Surveiller et punir
(1975) herstellt und die Disziplinierungsmechanismen, denen Mariano seitens des Onkels ausgesetzt ist, mit den Versuchen des Ancien Régime in Frankreich vergleicht, einen
‚unterworfenen‘ Körper zu formen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass
wie Fausto auch Marianos Onkel Christóval das aufklärerische Männlichkeitsideal verkörpert und auch in dieser Hinsicht die typischen Eigenschaften des aufklärerischen
Ordnungsstifters aufweist.
99
9. Typisierungen der Misswirtschaft
651
Indem der petimetre Mariano als Mitglied der Oberschicht und als
jemand, der Einkünfte aus Landbesitz bezieht, seine Zeit mit zwielichtigen Gestalten vertändelt und ihnen sogar sein Majoratsgut als
Wohnsitz zur Verfügung stellt, betreibt er eine von den Theaterreformern missbilligte Verbrüderung der Oberschicht mit den Unterschichten. Diese soziale Entgrenzung manifestiert sich zuvorderst äußerlich,
d.h. in Kleidung und Verhalten. Unterscheiden sich der volkstümliche
majo und der dem gehobenen Bürgertum und dem Adel angehörende
petimetre einerseits durch stilprägende Kleidungsstücke103, sucht der
petimetre andererseits den majo zu imitieren, sei es, indem er sich Versatzstücke dessen typischer Tracht aneignet, sei es, indem er dessen
großspuriges Verhalten nachahmt. Beide Typen kennzeichnet, dass
sie jede Form der Höflichkeit, der Rücksichtnahme und der Hilfsbereitschaft vermissen lassen und als exaltierte Egozentriker die soziale
Konvention der sociabilidad missachten. Auch im Falle Marianos ist die
von den Theaterreformern missbilligte Verbrüderung der Oberschicht
mit der Unterschicht optisch markiert, wenn es über Mariano heißt:
„D. Christ. Pasando noches enteras / fuera de casa, mudando / el trage de Caballero / en capote Xerezano.”104 Indem Mariano den Anzug
eines jungen Herrn der besseren Gesellschaft von Madrid gegen den
Umhang eines andalusischen majo tauscht, der als besonders wagemutig, heißblütig und großspurig gilt und somit ‚soziale Mimikry‘105
103
Jehle (2010: 195) nennt diesbezüglich den chambergo, den breitkrempigen Hut
des majo im Gegensatz zum Dreispitz des petimetre, sowie das Haarnetz des majo, das
dazu dient, seine „wilde Mähne“ zu bändigen. Ein Haarnetz für Frauen, cofia genannt,
tragen nur petimetras. Dieses Haarnetz ist ein willkommenes Hilfsmittel, wenn den Damen keine Zeit für aufwändige Frisuren bleibt. Den majo kennzeichnet außerdem sein
langer Mantel, die capa, während der petimetre die französische redingote trägt, eine Art
doppelreihiger Gehrock, der ursprünglich aufgrund seines kürzeren Schnitts vor allem zum Reiten gedacht war. Beide modischen Merkmale des majo, der breitkrempige
Hut und der lange Mantel, werden 1766 durch den italienischstämmigen spanischen
Minister Leopoldo de Gregorio, Marquese di Squillace, span. „Esquilache“, verboten,
was unter anderem den bereits erwähnten und nach ihm benannten Volksaufstand
auslöst (vgl. Kap. 2).
104
Iriarte (1972: 648).
105
Das Phänomen kultureller Mimikry und die daraus resultierenden hybridisierenden Effekte im kolonialen Kontext hat Homi K. Bhabha in The Location of Culture
(1994) untersucht. Vgl. Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture. London:
Routledge, pp. 85ff.
652 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
betreibt, zeigt sich ein verwegener Hang zur Normüberschreitung,106
der nicht recht zu der ihm attestierten Schreckhaftigkeit und dem effeminierten Gehabe zu passen scheint.
In meinem Artikel über Mariano als petimetre und Spieler habe ich
dargelegt, dass die Figur des dem Glücksspiel verfallenen Mariano
ähnlich wie Figuren aus deutschen Spielerdramen des 18. Jahrhunderts gestaltet ist. Wie sie erscheint auch Mariano nicht als Erzschurke,
sondern als Verführter.107 Die Zeichnung der Figur des Mariano als
Naivling, der den Manipulationen der in jeder Hinsicht falsch spielenden Doña Mónica108 etwa dann erliegt, als er ihr die Geschichte von
den auf dem Dachboden seines Majoratsguts hausenden Kobolden
abkauft,109 widerspricht dem in seiner Figurenrede zutage tretenden
Hang zur Rebellion, der den jungen Mann Kathleen Davis zufolge sogar als libertin110 ausweist.111 Letzterer offenbart sich in einem Dialog
106
Zu Mariano als sozial devianter und geschlechtlich transgressiver Gestalt vgl.
auch Wolters (2015: 165ff.).
107
Vgl. Schuchardt (2014: 277f.) mit Bezug auf Jahn, Bernhard (2010): „Das Spiel
des Zufalls und die Ökonomie des Dramas. Zur Darstellung von Glücksspielern im
Theater des 18. Jahrhunderts“. In: idem/Schilling, Michael (eds.). Literatur und Spiel.
Zur Poetologie literarischer Spielszenen. Stuttgart: Hirzel, pp. 133-149, hier p. 134.
108
Diese gibt sich als Witwe aus Almagro aus und wahrt nach Außen den Anschein
von Anstand, während sie in Marianos Majoratsgut allerlei Böses ausheckt und sich
am Ende als eine Trickbetrügerin aus Granada erweist, die es zu einiger krimineller
fama gebracht hat und deren wahrer Name Antoñuela ist. Schon Russell P. Sebold hat
im Vorwort seiner Ausgabe zu Iriartes Stück darauf hingewiesen, dass der Klang des
Vornamens „Mónica“ auf ihre dämonische (span.: „demoníaca“) Veranlagung hindeutet, womit sie zugleich als eine Mariano korrumpierende Erzschurkin ausgewiesen ist.
Überhaupt sind es in El señorito mimado die Frauen – die Mutter und Mónica – die
Marianos Devianz zu verantworten haben.
109
Vgl. Iriarte (1972: 633f.). Mit Hilfe der Finte der vermeintlichen Kobolde, die auf
dem Dachboden rumoren und hinter denen sich natürlich Mónicas Spießgesellen verbergen, gelingt es der Betrügerin, Mariano dazu zu bewegen, ihr sein Majoratsgut als
Wohnstätte zu überlassen.
110
Eine prototypische Verkörperung des libertin ist der Comte de Valmont aus Choderlos de Laclos‘ Briefroman Les liaisons dangereuses (1782). Freiheitsliebend, egozentrisch und sich gegen Normen und Gesetze wendend, schmiedet er Pläne, die weit in
die Zukunft reichen. David McCallam weist darauf hin, dass André Malraux (19011976) und Georges Poulet (1902-1991) den libertin daher als ‚Existenzialisten avant la
lettre‘ bezeichnet haben. Vgl. McCallam, David (2003): „The Nature of Libertine Promises in Laclos‘s Les Liaisons dangereuses“. In: The Modern Language Review, 98, 4, pp.
857-869, hier p. 857.
111
Vgl. Davis (2007/2008: 275).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
653
mit seinem Gegenspieler Fausto, der seinerseits große Gefühle für Marianos Verlobte Flora hegt und durch seine Berufstätigkeit als Kaufmann, sein dezentes Auftreten, seine geschäftliche Ehrbarkeit112, seine
Diskretion und die Wahrung sozialer Normen ein prototypischer hombre de bien ist. Während Fausto seinen Gegnern selbst dann nicht zürnt,
als er ihnen vor Gericht unterliegt,113 bekennt Mariano offen, dass er
seinem Gegenspieler und Konkurrenten um Floras Hand nichts Gutes gönnt.114 Der starrsinnige junge Mann wendet sich offensiv gegen
das durch den aufgeklärten Absolutismus und seine Reformökonomie
propagierte Menschen- und Männerbild:
D. Maria.
[...]
Usted no sabe vivir.
siempre metido en cuidades
de sus pleitos, de su hacienda;
revolviendo unos legajos,
unos librotes... sirviendo
su empleo como un esclavo...
Nó, Señor, la libertad.– 115
Was Mariano hier anprangert, ist also eine der Sklaverei gleichkommende Unterwerfung des Individuums unter die Pflichten des
Staatsbürgertums, und damit unter die Gouvernementalität der absolutistischen Reformökonomie. Dass er die Freiheit beschwört und auf
sein Recht auf Vergnügen pocht, macht ihn zu einem rücksichtslosen
Verfechter des Selbstinteresses. Ein zielbewusster Gewinnmaximierer
ist er dennoch nicht, da er sein Kapital nicht zu mehren weiß, sondern
es im Gegenteil verschwendet. Den von Fausto eingeforderten „trato
112
Obwohl er sich in einem geschäftlichen Rechtsstreit mit Floras Vater Don Alfonso befindet, legt er ihm gegenüber ein freundschaftliches Verhalten an den Tag. Vgl.
Iriarte (1972: 645f.). „D. Alfonso. [...] Los que pleitan se miran / Con odio. – D. Fausto.
No soi tan baxo. / Me han dicho que apele. – ¿Para qué? Para arruinarnos. – D. Alfonso.
Es así.”
113
Vgl. den bereits erwähnten Rechtsstreit zwischen Anselmo und Fausto.
114
Als Mariano erfährt, dass Fausto vor Gericht gegen Anselmo verloren hat, macht
er aus seiner Schadenfreude keinen Hehl. Vgl. Iriarte (1972: 649).
115
Iriarte (1972: 649).
654 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
/ decente“116, die Wahrung der Form, die Höflichkeit, Komplimente,
das gebildete Gespräch, das Lesen, schlichtweg: alle Formen aufklärerischer Geselligkeit, weist Mariano als Zwänge zurück:
D. Maria.
[...]
Lo demás es vivir mártir. –
Estos afilosofados
le meten á un hombre en prensa.
Si uno se paséa, malo;
si juega, peor.117
Besteht das aufklärerische Stereotyp des petimetre darin, dass er
kleingeistig und dumm sowie den Komödien und dem Spaziergang
zugeneigt ist,118 greift Mariano genau diese Aspekte in seiner Rede auf
(„Si uno se paséa [...], / Si juega [...]“) und geht zum Gegenangriff auf
das reformökonomische Männlichkeitsideal über, das die totale Selbstaufopferung („vivir mártir“) im Dienste des absolutistischen Staates
verlangt. Damit ist die von Iriarte ersonnene Figur, die ja dazu dienen
soll, den ZuschauerInnen das schlechte und verdammenswerte Verhalten des vir profusus vor Augen zu führen, ein zugleich subversiver
Charakter, der die libertine Gegenstimme zum theatralen Monodiskurs des reformbestrebten Staatsapparates bildet. Gerade deswegen
muss der rebellische Jüngling am Ende dreifach bestraft werden: Er
verliert nicht nur Flora als eine ebenso wohlhabende wie tugendhafte
Partie,119 sondern mit der Inhaftierung Mónicas und ihrer Entourage
auch seine sozialen Bezugspunkte. Zudem muss er mit dem verhassten Onkel an einen gefängnisähnlichen Ort fern aller Vergnügungen
reisen, „A un Colegio, ú otro encierro“120, und folglich in eine Disziplinierungsanstalt, wie sie Foucault in Surveiller et punir121 skizziert.
116
Vgl. Iriarte (1972: 650).
Iriarte (1972: 651).
118
Vgl. Heße (2008: 162).
119
Inwiefern Mariano aus der Ehegleichung „subtrahiert“ wird, wie die zuvor bestehenden Dreiecksbeziehungen aufgelöst werden und die durch sie beschleunigte
Handlung letztlich zur Ruhe kommt, habe ich unter Bezugnahme auf Fuldas Konzept
der Strukturhomologie in Schuchardt (2016: 176ff.) untersucht.
120
Vgl. Iriarte (1972: 726).
121
Vgl. Foucault, Michel (1975): Surveiller et punir. Paris: Gallimard.
117
9. Typisierungen der Misswirtschaft
655
Die Figur des Ordnungsstifters, Christóval, wird zum Prototyp des
Displizinierers schlechthin, wenn er die Rolle eines Wärters einnimmt,
der bis zum Moment der moralischen Besserung über den devianten
Sprössling wacht.
9.1.4. Religiöse Normverletzung: Aberglaube, falsche Schwüre, Häresie
Neben der sozialen und geschlechtlichen Normverletzung kennzeichnet Mariano auch der Hang zur religiösen Grenzüberschreitung, was
zeigt, inwiefern der Figurentyp des vir profusus die Tugenden des vir
oeconomicus ins Gegenteil verkehrt: Aus Sparsamkeit wird Verschwendung, aus männlicher Tapferkeit effeminierte Feigheit, aus Soziabilität Egoismus, aus bürgerlichem Verantwortungsbewusstsein verantwortungslose Herumtreiberei, aus Philanthropie Niedertracht, aus
Glaube Häresie, aus Bildung gefährliches Unwissen. Marianos Aberglaube wiederum ist sowohl das Resultat seines mangelnden Wissens
als auch die Kehrseite des katholischen Glaubens. Beide führen dazu,
dass er Doña Mónica auf den Leim geht – und zu seinem schlussendlichen Ruin. Nicht nur glaubt er an die von ihr erfundenen Kobolde,
sondern auch an die Mär, dass ihr Schwager – ein Alchimist – in der
Lage sei, aus Steinen Gold zu machen.122 Dass die Anfälligkeit der Figur für Täuschungen aus ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem
aufklärerischen Bildungsideal resultiert, wird spätestens dann klar,
als Mariano Fausto gegenüber stolz bekundet, niemals ein Buch in die
Hand zu nehmen.123
Leichtgläubige Opfer durch einen Mangel an Bildung, der daraus
resultiert, dass die Figuren ihre Zeit auf die falschen Dinge verwenden, sind auch beiden viri profusi aus La familia a la moda, Vater Canuto
und Sohn Faustino Pimpleas. Während der Vater ein hochverschuldeter Spieler und unfähiger pater familias ist, der – ähnlich wie die Figur Lorenzos aus El hombre agradecido – den Kapriolen seiner Gattin
zunächst ohnmächtig gegenübersteht, geht Faustino Trapachino auf
den Leim, als er ihm seine Uhr anvertraut. Beide Figuren kennzeichnet ein laxer Umgang mit der Religion, der sich in teils aberwitzigen
Schwüren äußert, etwa in Faustinos Ausruf: „Por vida / de la lanza de
122
123
Vgl. Iriarte (1972: 635).
Vgl. Iriarte (1972: 650).
656 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Longinos!“124 Canuto schwört bei Vielerlei, von der Sonne über die
Person, die Christus die Fesseln anlegte, bis hin zu Christus selbst.125
Faustino hingegen schwört anstatt bei „Cristo“ bei „Chicho“126. Während Faustino also in religiösen Belangen den nötigen Ernst vermissen
lässt, schreckt sein Vater nicht davor zurück, in seinen porvidas sogar
den Teufel anzurufen („Por vida del diablo, hermana [...]“127), als er
von seiner Schwester seiner Meinung nach zu früh – d.h. um zwölf
Uhr mittags – geweckt wird. Faustinos Neigung zu kuriosen Schwüren wird von der gläubigen Katholikin Guiomar scharf gerügt, die
ihrerseits das Fehlen einer Heiligenstatuette in ihrem Schlafzimmer
bemängelt:128
FAUSTINO:
[...]
Voto y juro...
Guiomar
No, por Dios,
hijo, no jures y vete,
porque me tiembla el copete
de oír votar a los dos.129
Kennzeichnet Canutos und Faustinos Gebaren ein allzu laxer Umgang mit der Religion, der teils aus Unwissen resultiert, finden sich
unter den viri profusi auch veritable Häretiker. Zwei anschauliche
124
Vgl. Gálvez (2001: 234, v. 247). Hierzu merkt Andioc in einer Fußnote (ibid.)
an: „Los ‚votos y porvidas‘ del hijo son tan variados y originales como los del padre:
Longinos fue el centurión que, según la leyenda, atravesó el pecho de Jesús crucificado,
convirtiéndose más tarde en mártir del cristianismo.”
125
Vgl. Gálvez (2001: 137; 178; 236).
126
Gálvez (2001: 198, v. 640). Andioc zufolge, vgl. ibid., handelt es sich hierbei um
einen Euphemismus, wohl, um den Namen des Herrn nicht zu schmähen, was insofern
erstaunt, als Faustinos Vater Canuto kurz zuvor wörtlich bei „Cristo“ geschworen hatte. Vgl. Gálvez (2001: 184, v. 405). Auch hier wird ausgesagt, dass der Apfel nicht weit
vom Stamm fällt. „Chicho“ ist das Hypokoristikum der Namen Narciso und Francisco,
was dem Ausruf Komik verleiht und Faustinos Rede einmal mehr als unreflektiertes
Geplapper offenbart.
127
Gálvez (2001: 137, v. 411).
128
Vgl. Gálvez (2001: 139, vv. 447ff.).
129
Gálvez (2001: 140, vv. 471ff.).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
657
Beispiele sind Simón und Silvestre aus Duráns La industriosa madrileña, von denen der erste ein Betrüger, der zweite ein geldversessener
adeliger Taugenichts ist, der mit dem Betrüger paktiert, um die sich
anbahnende Ehe zwischen seinem Halbbruder Esteban und der Weberin Cecilia zu hintertreiben und von seinem alternden Vater Geld
zu ergaunern. Beide geben sich als „serpientes luciferinas“130 zu erkennen, nachdem sie bereits als Kriminelle enttarnt wurden. Wie ich
an anderer Stelle131 gezeigt habe, weist Silvestre überdies drei wesentliche Eigenschaften des petimetre auf: den Hang zur Verschwendung,
die damit verbundene Geldgier und die Faulheit. Dass er immense
Summen aus dem Besitz seines Vaters, Don Pablo, veruntreut und dafür eine Gefängnisstrafe von einem Jahr verbüßen muss, zeigt, dass
bei diesem Figurentyp die Grenzen zwischen Verschwendertum und
Delinquenz, d.h. zwischen moralischer und gesetzlicher Normüberschreitung, fließend sind:
D. Prud.
¿Sabe ha malgastado [Silvestre] mas de cien libras?
D. Pab.
Señor, ¡tan enorme exceso!...
D. Prud.
Consta de sus mismas firmas;
y así para que deteste
tan perversas compañías,
y se resuelva á ganar
decentemente la vida,
con un par de grillos puestos
saldrá luego de esta Villa
á estar un año encerrado.132
Wie schon im Falle Trapachinos äußert sich auch Silvestres deviante Männlichkeit in einem ausgeprägten sexuellen Verlangen,
das ihn dazu veranlasst, der Weberin Cecilia nachzustellen und dabei selbst vor Gewalt nicht zurückzuschrecken (vgl. Kap. 8.2.2). Im
130
Durán (o.J.: 33).
Vgl. Schuchardt (2015: 118).
132
Durán (o.J.: 33).
131
658 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Falle Silvestres gesellt sich Adelsdünkel zu seinen übrigen negativen
Eigenschaften. Auch er repräsentiert den im spanischen Theater der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederkehrenden Figurentypus
des ökonomisch dysfunktionalen, da untätigen, aber nichtsdestotrotz
hochmütigen Adeligen, wie er uns bereits in den Figuren Don Gil de
Monteligeros aus Comellas El buen labrador und des Marqués aus Gálvez‘ La familia a la moda begegnet war.
Was den Betrüger Simón anbelangt, offenbart er sich auch dann
als Häretiker, als er die religiöse Geste des Bekreuzigens benutzt, um
den vom ihm betriebenen Schwindel glaubwürdig erscheinen zu lassen: Er gibt sich als Anwalt der Real Audiencia von Barcelona aus, der
geschickt worden sei, damit man ihm eine Summe, die Silvestre dem
Gericht schulde, aushändigen möge:
Sim.
Sí, es de fuerza
Forma la Cruz con los dedos
que jure usted á esta Cruz
de decirme con certeza
quanto en esta casa pasa.133
Wie sein Spießgeselle scheut auch Silvestre sich nicht, die Religion
zu missbrauchen, wenn es gilt, sich einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. So gibt er vor, ins Kloster gehen zu wollen, was, wie sich am
Ende herausstellen wird,134 nur eine Finte ist, um dem Vater weiteres
Geld aus der Tasche zu ziehen:
D. Pab.
Porque veas que tu hermano
piensa ya de otra manera,
ahora en mi misma alcoba
le acabo de dar licencia
para entrarse Religioso
y dexarte á ti su hacienda.135
133
Durán (o.J.: 2).
Vgl. Durán (o.J.: 33): „D. Pab.: „¡Y hoy le pedías á D. Silv. / dinero para ser frayle!“
135
Vgl. Durán (o.J.: 5).
134
9. Typisierungen der Misswirtschaft
659
Nicht nur der Adel, auch Vertreter des niederen Klerus werden in
Duráns Komödie der aufklärerischen Kritik ausgesetzt. Aussagekräftig ist diesbezüglich Estebans Reaktion auf Silvestres vermeintliche
religiöse Berufung:
D. Est.
Como él sepa que ha de holgar,
tendrá vocacion perfecta.
[...]
Sé, Padre, que hemos nacido
los dos de Madres diversas,
rica la suya, y la mia
constituida en pobreza;
pero a los dos nos han dado
educacion tan opuesta,
que yo de pobre soy rico,
y él de rico está en miseria.136
Silvestre sei schon allein deshalb zum Mönch berufen, bemerkt Esteban sarkastisch, weil er dann das tun könne, was er am besten beherrsche: das Nichtstun („ha de holgar“). Zum einen ist dieses Urteil
ein Echo der reformökonomischen Kritik an der wirtschaftlichen Unproduktivität des Klerus. Ähnliches deutet der Minister D. Prudencio
am Ende des Stückes an, wenn er nach Simóns und Silvestres Verhaftung versetzt: „[...] los hombres que no se aplican / á las artes ó á
las ciencias / son del estado polillas.”137 In subversiver Zweideutigkeit sind damit offensichtlich nicht nur die beiden Missetäter und der
Adel alten Schlages gemeint, sondern auch der Klerus, dessen Vertreter ebenfalls das Potenzial haben, als viri profusi zu figurieren. Eine
wiederkehrende Figur im aufklärerischen spanischen Theater ist dementsprechend der lüsterne Priester.138 Überdies verdeutlicht die Replik
136
Vgl. Durán (o.J.: 5).
Durán (o.J.: 32).
138
Vgl. Comellas Saynete nuevo: El alcalde proyectista, in dem ein solcher Priester auftritt. Über diesen äußert sich der Lehrer, der in diesem Stück ebenso wie der erste Bürgermeister die Stimme der aufgeklärten Vernunft repräsentiert: „Maest. Destruye una
nube / la fruta del campo,/ pero los Abates / la de los poblados. / De estos nubarrones /
nos libre San Pablo, [...].“ Comella (o.J.: 7). Der Klerus erscheint hier in der für Comella
typischen Ironie als ‚Geißel Gottes‘.
137
660 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
die zunehmende soziale Mobilität innerhalb einer sich wandelnden
Gesellschaft, für die beispielhaft Esteban steht: Der Chiasmus ‚arm geboren – reich geworden‘ / ‚reich geboren – verarmt‘ veranschaulicht
die Narrative des Auf- und das des Absteigers. Während Estebans
Vita den finanziellen und sozialen Aufstieg des vir oeconomicus durch
Arbeit repräsentiert, steht der aufgrund seiner Untätigkeit finanziell
und sozial verlierende vir profusus Silvestre für den Abstieg mangels
Fleißes, wird er doch vom aussichtsreichen Spross einer reichen Mutter und eines adeligen Vaters erst zum Betrüger und dann zum Gefängnisinsassen.
Was den Zusammenhang zwischen moralischer Verwerflichkeit,
ökonomischer Inkompetenz und vorgetäuschter bzw. mangelnder
Religiosität anbelangt, ist das spanische Theater der Spätaufklärung
reich an Beispielen: Der abgründige Villianz aus Valladares‘ El fabricante de paños etwa heuchelt die christliche Tugend der caritas, was
deutlich wird, als sich am Ende des Stückes herausstellt, dass er die
Armen in Schottland um ihr Vermögen gebracht hatte.139 Ironischerweise wird die „caridad“140 von Villianz explizit erwähnt und ihr Fehlen als sicherer Weg in das Unglück bezeichnet, ein Pfad, den auch
er am Ende beschreiten wird, als seine Schändlichkeiten schließlich
entdeckt werden. Als ebenfalls gottloser Mensch erweist sich der betrügerische Schuster Rafa aus Trigueros‘ Los menestrales, der, anders
als es sich für einen gottesfürchtigen Spanier und Altchristen gehört,
weder Rosenkranz noch Stundenbuch in den Taschen hat:
DON JUAN
Registran a Rafa y le sacan lo que se dice, lo cual pone D. Juan
sobre la mesa.
Registrad... registrad... Unos papeles...
un rejón... un bolsillo remendado...
otra pistola ¡Vaya que no le encuentran
ningunas horas141 ni ningún rosario!142
139
Vgl. Valladares (o.J.: 11, vv. 63ff.).
Vgl. Valladares (o.J.: 11, vv. 102ff.): „[...] pues cuando / no hay caridad en un
hombre, / su fin será desastrado.”
141
Wie Aguilar Piñal in einer Fußnote bemerkt, sind mit „horas“ Stundenbücher
gemeint. Vgl. Trigueros (1997: 185).
142
Trigueros (1997: 185, vv. 1819ff.).
140
9. Typisierungen der Misswirtschaft
661
Im Zusammenhang mit den für Trigueros‘ Stück bestimmenden
Topoi von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Blindheit und Sehen (vgl.
Kap. 7.3.1) wird hier von einer Stellvertreterfigur des Monarchen das
verborgene (d.h. das wahre) Innere des Schusters nach außen gekehrt.
Der Umstand, dass Rafa ausgerechnet von einem Stellvertreter der
Gouvernementalität enttarnt wird, nimmt den von Foucault in seiner
Auseinandersetzung mit Jeremy Bentham beschriebenen Überwachungsmechanismus des Panoptikums vorweg.143
9.2. Die femina profusa in Gestalt der petimetra
Während sich der vir profusus in eine ganze Reihe von figural personifizierten Normverletzungen auffächert – vom petimetre über den
Ausländer als Vermittler suspekter Sitten bis hin zum Betrüger und
Häretiker, wobei die Übergänge zwischen diesen Typen fließend sind
– konzentrieren sich die normverletzenden Eigenschaften der femina
profusa im theatralen Figurentyp der petimetra. Ihre normativen Transgressionen stehen mit der Pflege des eigenen Erscheinungsbildes im
Zusammenhang, die Mengen an Waren (Kleidung, Accessoires, Körperpflegemittel) und Geld verschlingt, aber auch wertvolle Zeit. Daher
ist die petimetra nicht nur eine schlechte Haushälterin, sondern auch
eine schlechte Zeitökonomin. Die Stunden des Tages, die sie nicht auf
Äußerlichkeiten verwendet, gibt sie sich Vergnügungen hin, die ihre
Sichtbarkeit im Öffentlichen Raum garantieren: Spaziergängen (span:
„paseos“), Bällen, Festen und Stierkämpfen. Sowohl die schlechte Zeitökonomie der petimetra als auch ihre Vergnügungssucht veranschaulicht die zu später Stunde von einem Ball heimkehrende petimetra Blasa aus Comellas El hombre agradecido. Da sich die petimetra jeglicher
Arbeit verweigert – seien es haushälterische Tätigkeiten und Handarbeiten, sei es die Beaufsichtigung der Dienerschaft, Tätigkeiten, die sie
in ihrem adeligen Standesdünkel ebenso verachtet wie jedwede Form
der Berufstätigkeit –, ist es das Geld der übrigen Mitglieder des oikos,
das sie für französische Luxusartikel verausgabt. In Blasas Fall ist es
das Geld des Ehemannes, im Falle Madamas aus Gálvez La familia a la
moda das Geld der reichen Schwägerin Guiomar, im Falle der petimetra
Jerónima aus Nicolás Fernández de Moratíns neoklassischer Komödie
143
Vgl. Foucault (1975).
662 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
La petimetra (1762) wiederum das ihres Vormunds und Onkels. Was
die Abneigung der petimetra gegen die Arbeit anbelangt, entsprechen
Verhalten und Hochmut144 der Figur Blasa gegenüber der Kaufmannschaft nahezu wörtlich der von Foronda in seiner Disertación verurteilten Haltung des spanischen Adels.145 Im folgenden Passus verwendet
Foronda bezeichnenderweise das Verb „blasonear“146 als Bezeichnung
für die adelige Herablassung:
Estos fantasmones, oprobio de la Nación e indignos descendientes de los
ilustres progenitores de que tanto blasonan, creen incompatible con su orgullo todo lo que no sea empuñar una espada o vestirse una toga, y se olvidan de que estas profesiones son gloriosas no por otro título que porque
aquélla sirve intrépidamente a la Nación cuando conspiran los enemigos a
oprimir nuestra libertad y ésta porque cuida de hacernos justicia en nuestras quejas al mismo tiempo que conserva el vigor de las leyes, alma de la
tranquilidad.147
Dass sich der Typus femina profusa in der comedia económico-sentimental der spanischen Spätaufklärung und in der neoklassischen Komödie vor allem in der Gestalt der petimetra niederschlägt, ist Ausdruck einer stereotypen Vorstellung vom weiblichen Verhältnis zur
Ökonomie, die Schößler auch in literarischen Texten der beiden nachfolgenden Jahrhunderte beobachtet: „Konsumption als Luxuskonsum,
aber auch als industrielles Massenphänomen wird im 19. und 20. Jahrhundert nahezu ausschließlich als weibliche, egoistisch-hedonistische
Praxis aufgefasst.“148 In diesem Zusammenhang weist Schößler darauf
hin, dass der ökonomische ebenso wie der literarische „Mehrheitsdiskurs des 19. Jahrhunderts“149 dem weiblichen Geschlecht mit dem
144
Vgl. Comella (1796: 13): „[...] de las tertulias, compuestas / todas de mugeres y
hombres, / que en nada jamas se emplean, / porque son nobles [...].“
145
Diese Adelskritik bietet Joaquín Ezquerra, der selbst zum aragoneser Adel zählt
und das Stück in der Mai-Ausgabe des Memorial literario (1790) rezensiert (vgl. pp. 134146, hier p. 140), seinerseits Anlass zur Beanstandung, sieht er darin doch „una sátira dirigida a algunas personas de alto rango“. Zitiert in Fernández Cabezón, Rosalía
(2002): „El teatro de Luciano Comella a la luz de la prensa periódica”. In: Dieciocho, 25,
1, pp. 105-120, hier p. 115.
146
Foronda (1793: 1).
147
Foronda (1793: 1).
148
Schößler (2017: 32).
149
Schößler (2017: 283).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
663
Fehlschluss, dass Frauen eine besondere Kauflust und Affinität zum
Konsum aufwiesen, den Hang zur Misswirtschaft unterstellt. Die Sorge um den allzu leichtfertigen Umgang der Frauen mit Geld und die
Zweifel an ihrer naturgegebenen – d.h. ohne männliche Unterweisung
oder Kontrolle – vorhandenen Kompetenz als ‚Wirtschafterinnen‘, ist
auch im 18. Jahrhundert in Spanien allgegenwärtig.150 Dabei kann, wie
Schößler anmerkt, Luxuskonsum durchaus als ökonomische Tätigkeit
und Arbeit betrachtet werden, und zwar insofern, als „er ökonomisches Kalkül, Zeit, die Antizipation von Bedürfnissen und Fachwissen
verlangt“.151
9.2.1. Die petimetra als Heimsuchung einer als männlich und national
imaginierten Wirtschaft152
Aussagekräftig im Hinblick auf die geschlechtliche Kodierung der
Wirtschaft in einem ökonomischen Reformdiskurs, der sich im Medium eines ebenfalls im Fokus der Reformer stehenden Theaters fortschreibt, ist die männliche Typisierung der Wirtschaftssektoren Handel, Industrie, Ackerbau und Handwerk (vgl. Kap. 5 bis 7). Wenn – wie
hier schon festgehalten wurde – die Wirtschaft im theatralen Imaginären der spanischen Spätaufklärung männlich ist, so gilt dies in den Augen der meisten Autoren des 18. Jahrhunderts auch für die Politik.153
Wie die bereits skizzierten Varianten des vir profusus, aber auch die
schon erörterten Beispiele reformökonomischer Diskurse erkennen
lassen, imaginieren die Memorias, Discursos – und mit ihnen das reformierte Theater – die durch die guten ÖkonomInnen repräsentierte
Modellwirtschaft überdies als rein spanisch, und damit als national.
In den Augen der merkantilistisch orientierten Reformökonomen, deren Perspektive die hier untersuchten Komödien reproduzieren, soll
das nationale ökonomische System frei von fremden Einflüssen sein,
wie sie in den hier analysierten Stücken zum einen durch französische
150
Vgl. Bolufer (1995: 257).
Schößler (2017: 32).
152
Einzelne Elemente der Ausführungen zu Moratíns Komödie La petimetra sind
dem Artikel Schuchardt (2014) entnommen.
153
Vgl. Bolufer (1995: 256), die in Bezug auf die europäischen Gesellschaften des
Antiguo Régimen von der Wirtschaft und der Politik als einem Kompetenzbereich
spricht, der als ausschließlich männlich wahrgenommen wird.
151
664 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Importwaren, zum anderen durch die sie vertreibenden Ausländer
und deren neue, durch Maßlosigkeit gekennzeichneten Sitten repräsentiert werden. In das imaginäre Konstrukt einer männlich-national
dominierten Ökonomie, die eine aufgeklärte Elite von mehrheitlich
adeligen Patriarchen154 wohlwollend und mit Blick auf die felicidad pública lenkt, in diese ‚heile Welt‘ also, interveniert die petimetra als ein
weiblicher Typus, der sich mittels seines ausgeprägten Konsums aktiv
in das Marktgeschehen einmischt und es durcheinanderbringt, indem
er eben nicht die soliden nationalen, sondern die exaltierten importierten Waren bevorzugt.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es die petimetras und eben
nicht die petimetres sind, die in der neoklassischen Komödie und im
sainete ganze Szenen mit der Auswahl von Modeartikeln füllen, während ihre männlichen Pendants bei ihren Auftritten allenfalls durch
einzelne modische Marker als petimetres erkennbar sind, wie beispielsweise Mariano durch seinen Gehstock (s.o.). Dies lenkt den Blick auf
die petimetra als Konsumentin ausländischer Waren. Ein paradigmatisches Beispiel ist die nie zur Aufführung gebrachte Komödie La petimetra von Moratín dem Älteren, in der der Autor mit der Figur der
Jerónima den theatralen Prototyp der petimetra entwirft: äußerlich attraktiv,155 aber moralisch verkommen, da zur Täuschung neigend, nahezu ausschließlich an ihrem äußeren Erscheinungsbild interessiert,
exzessiv in ihren Ausgaben für Kleidungsstücke und Accessoires und
zugleich mittellos. Die beträchtliche Mitgift156 ihrer um den Haushalt
154
Wir erinnern uns diesbezüglich an Figuren wie Duráns Unternehmer Esteban,
Comellas vir rusticus Benigno und den ehrbaren Kaufmann Bruno.
155
Dies wird in einer Replik des in Jerónima verliebten Sekretärs Damián deutlich,
der ein petimetre und damit vom selben Schlag ist wie seine Angebetete. Vgl. Fernández
de Moratín, Nicolás (1996 [1762]): La petimetra, ed. David T. Gies. Madrid: Castalia, p.
71, vv. 235ff., p. 66, vv. 34ff.: „hallé una dama tan bella / que no cabiendo en el labio /
su perfección no la pinto, / pues, siendo hermoso milagro, / la apoco si la exagero, / la
ofendo si la retrato.“
156
Diese beläuft sich auf 17.000 Dukaten, wie wir gleich in der ersten Szene vom
petimetre Damián erfahren, der es auf dieses Geld abgesehen hat. Vgl. Moratín (1996
[1762]: 67, vv. 86f.). Damián ist kein Angehöriger der Oberschicht, sondern ein Schreiber und kleiner Angestellter, aber in seinem Kleidungsstil als petimetre ausgewiesen,
was Heßes Gleichsetzung der petimetres mit den gehobenen Schichten abermals widerspricht. Nichtsdestotrotz möchte Damián gerne zur Elite gehören und gibt sich als
adeliger Majoratsgutsbesitzer aus. Zur petimetría Damiáns vgl. Moratín (1996 [1762]:
70, vv. 188ff.) und die dortige Replik der Dienerin Martina: „Sí, señor, mucho galón, /
9. Typisierungen der Misswirtschaft
665
und die Dienerschaft bemühten, arbeitssamen und bescheidenen Kusine María gibt sie als die ihre aus, um ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt zu erhöhen. Ein weiteres Kennzeichen der theatralen Variante
der petimetra ist also der Gegensatz zwischen äußerer Attraktivität und
innerer Lasterhaftigkeit.
Was die Ebene der Strukturhomologien anbelangt, steht der petimetra in den hier untersuchten Komödien die femina oeconomica als das
Gegenteil jener zu Verschwendung neigenden femina profusa gegenüber, die die petimetra verkörpert: fleißig, klug, sparsam, tugendhaft
und – zumindest was die eigene Person betrifft – nicht an Äußerlichkeiten interessiert. Eine solche femina oeconomica ist neben María aus
La petimetra auch Antonia aus Comellas El hombre agradecido, die im
krassen Gegensatz zu ihrer kapriziösen Schwägerin, der petimetra
Blasa, steht. In der Konstellation weiblicher Antonyme erfüllt die petimetra eine entscheidende Funktion: das schöne Innere der ansonsten
eher unscheinbaren Tugendhaften durch die eigene Lasterhaftigkeit
zum Strahlen zu bringen.157 Dies gilt auch für die durch französische
Einflüsse korrumpierte Madama Pimpleas: Erst ihr Egozentrismus
und ihr aufgeblasenes Gehabe rücken ihre sittsame, an Auftritten und
Wortbeiträgen jedoch arme Tochter Inés ins rechte Licht, sodass der
geringe Grad der theatralen Ausgestaltung dieser Figur als Zier, nämlich als Bescheidenheit, erscheint.
Der ökonomischen Funktion der petimetra als Konsumentin gemäß, nehmen in Moratíns Stück Jéronimas Ankleideprozess und die
dabei involvierten Gegenstände großen Raum und entsprechend viel
que ayer lo desechó el amo, / mucha vuelta con festón, / buena media y buen zapato, /
sombrero fino, y la capa / con tanto terciopelazo, / espadín preso al ojal, / cual venera o
relicario; / y todo esto ¿en qué se funda?, / en que soy Don Damián Pablos, / escribiente
de un señor, / con ración de nueve cuartos, / acribillado de trampas / a puro pedir prestado / y andar engañando bobas / con fingidos mayorazgos.“ Wie schon im Falle Jerónimas kontrastieren hier der äußere Schein und das Blendertum mit dem wahren Sein.
157
Dass diese Äußerlichkeiten trotz des vielen auf sie verwendeten Geldes keinen
Pfifferling wert sind, verdeutlicht eine Replik der Dienerin Martina, die das vernunftgeleitete und fleißige Pendant ihrer Herrin María ist: „[...] la tal dama, / sin ser juicio
temerario, / entre veinte compañeros / valdrá cuatro y cinco ochavos / ella, su dote y
su ropa“. Moratín (1996 [1762]: 70, vv. 204ff.). Ähnlich fällt das Urteil von Don Félix’
Diener Roque über Jerónima aus: „Esta madama fatal, / Exsahumada con incienso, /
que la faltan, según pienso, / ocho cuartos para un real / [...].” Moratín (1996 [1762]:
102, vv. 1265ff.).
666 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Spielzeit ein, genauer gesagt: den gesamten Vormittag158 einer Handlung, die ganz im Sinne der neoklassischen Regel von der Einheit der
Zeit einen einzigen Tag umfasst. Volle drei Szenen (8-11)159 des ersten
Aktes verwendet Moratín darauf zu zeigen, wie sich Jerónima von ihrer Dienerin Ana frisieren lässt, auch, als Félix und Damián den Kusinen zwischenzeitlich einen Besuch abstatten. Dies veranlasst den höflichen160 Félix zu der vorsichtigen Frage, ob man störe.161 Einen ähnlich
großen Raum nehmen die verwendeten Kleidungsstücke und Accessoires französischer Provenienz ein, etwa der „pitibú“162, vermutlich
abgeleitet vom französischen „petit boucle“163 (dt.: „kleine Locke“),
ein Haarschmuck, den Jerónima auf keinen Fall an zwei Tagen in Folge tragen zu können meint, denn, so fragt sie ihre Dienerin Ana: „¿[...]
dónde has visto tú /que una mujer de mis prendas / use dos veces
seguidas / una cosa mesma?“164. Der adelige Standesdünkel tritt hier
offen zutage.165 Der Begriff „prendas“, der im Spanischen ‚Kleidungsstücke‘ ebenso bezeichnet wie ‚gute Eigenschaften‘, führt dem potenziellen Publikum Jerónimas Grundproblem vor Augen: Die sorgsam
ausgewählte Kleidung dient dazu, über innere Mängel hinwegzutäuschen. Ein weiteres szenischen Raum einnehmendes Modeaccessoire
ist der Fächer. Jerónima wählt zwischen dreien aus, wobei auch hier
die Maßgabe gilt, dass was gestern noch tragbar war, heute schon passé ist.166 Diese Szene dient nicht nur dazu, die ZuschauerInnen über
158
Wie erfahren zudem, dass María im Gegensatz zu Jerónima früh aufsteht, ihren
häuslichen Pflichten, z.B. dem Kochen, nachkommt, das sie – wenn auch nicht klaglos
– für Jerónima mit übernimmt. Vgl. Moratín (1996 [1762]: 76, vv. 410f.): „María: Ya ves
que tú no haces nada / y yo siempre cocinera [...].“
159
In der Ausgabe von Gies fehlen die Szenenangaben. Diese beziehe ich aus der
Ausgabe Fernández de Moratín, Nicolás (1857): La petimetra. Madrid: Rivadeneyra.
Quelle: https://www.cervantesvirtual.com/obra/la-petimetra/, Zugriff: 10.09.2021.
160
Félix ist nicht nur höflich, sondern am Hofe aufgewachsen und ein Adelsspross.
Vgl. Moratín (1996 [1762]: 81, vv. 584ff.).
161
Vgl. Moratín (1996 [1762]: 82, vv. 637f.).
162
Moratín (1996 [1762]: 71, vv. 235ff.).
163
Vgl. die erläuternde Fußnote von Gies mit Verweis auf John Dowlings (1981)
Ausgabe der sainetes von Ramón de la Cruz, vol. I, Madrid: Castalia, p. 124.
164
Moratín (1996 [1762]: 72, vv. 244ff.).
165
In einer Replik Marías weist diese sich und ihre Kusine als Adelige aus, vgl.
Moratín (1996 [1762]: 78, vv. 476ff.). Dennoch lebt María „con modesta, / decente, no
escandalosa, / bien limpia, y no deshonesta“ (ibid.).
166
Vgl. Moratín (1996 [1762]: 91f., vv. 948ff.).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
667
die verschwenderische Vielfalt der zur Verfügung stehenden Luxusobjekte aufzuklären, sie gibt überdies über die Vergnügungen Auskunft, denen sich Jerónima hingibt, als die Dienerin Ana die Fächer
nach dem Anlass benennt, zu dem sie getragen wurden: „ ¿Cuál quereis? ¿el de la fiesta / de los toros de Aranjuez? / [...] / ¿El del peneque?
[...] / ¿Del empedrado?”167 Dass Jerónima nicht nur rauschenden Festen, sondern auch Stierkämpfen beiwohnt, gibt sowohl über ihren ocio
und ihre mangelnde Häuslichkeit Auskunft als auch über ihre normverletzende Allianz mit den Unterschichten. Spanische Aufklärer –
wie etwa Jovellanos in seiner Memoria sobre espectáculos y diversiones
públicas (1796)168 – weisen den Stierkampf als Unterhaltung des Pöbels
zurück und begrüßen dessen Verbot durch Carlos III. im Jahre 1785.
Der sich anhand der erwähnten Luxusgegenstände169 manifestierende materielle und zeitliche Exzess offenbart neben der (reform-)
ökonomischen Normverletzung170 auch eine geschlechtliche. Beide
kennzeichnen den Typus der femina profusa: Im gleichen Maße wie der
vir profusus in Gestalt des petimetre in seiner modischen Extravaganz
verweiblicht erscheint, verweigert sich die femina profusa in Gestalt
der petimetra die den Frauen durch die Reformökonomie zugedachte
biopolitische Funktion. Indem sie ihre gesamte Zeit auf den Konsum,
das Sich-Herausputzen und zweifelhafte Vergnügungen verwendet,
erteilt sie der weiblichen Rolle als Hausfrau und Mutter eine Absage.171 Die sich aus der weiblichen petimetría ergebende biopolitische
167
Vgl. Moratín (1996 [1762]: 92, vv. 949ff.).
Vgl. Jovellanos (1998: 154). Wie Carnero (ibid.) in einer Fußnote anmerkt, ist
die ablehnende Haltung Jovellanos‘ gegenüber dem Stierkampf paradigmatisch für die
spanische Aufklärung, in deren Verlauf sich die aufgeklärte Elite von Spektakeln dieser
Art distanziert, die als Vergnügungen des niederen Volkes betrachtet werden. Wie Jovellanos (1998: 151f.) selbst ausführt, war der Stierkampf eine Form der Unterhaltung,
die seit dem 13. Jahrhundert bevorzugt vom Adel frequentiert wurde und Bestandteil
höfischer Feste war.
169
Desweiteren sind dies „las cintas / las sortijas, las pulseras, / el collar, el ramillete, / los guantes, caja y frasquera / el reloj, las arracadas / y lo que sabes que lleva / una
mujer de mi porte”, also Ringe, Armbänder, Halsketten, kleine Blumengebinde zum
Anstecken, Handschuhe, Kästchen mit Kosmetik, eine Uhr und Ohrhänger. Moratín
(1996 [1762]: 92, vv. 957ff.). Blumen als Haarschmuck finden auch an anderer Stelle
Erwähnung, vgl. Moratín (1996 [1762]: 83, vv. 644ff.).
170
Gemeint ist die Verletzung der reformökonomischen Präskriptive, dass heimische Waren importierten vorzuziehen sind.
171
Vgl. Haidt (1998: 109f.).
168
668 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Problematik, die mit den poblationistischen Besorgnissen der Reformökonomen im Zusammenhang steht (vgl. Kap. 3), tritt auch in der kinderlosen Ehe der petimetra Blasa und des Kaufmanns Lorenzo aus Comellas El hombre agradecido zutage. Da Blasa sich bis spät in die Nacht
herumtreibt, steht sie für die Reproduktion nicht zur Verfügung –
nicht nur, weil sie schlicht abwesend ist, sondern auch, weil exzessive
und unangemessene Vergnügungen aus Sicht der Aufklärer der weiblichen Gesundheit schaden und die Fruchtbarkeit mindern. So unterstellen die medizinischen Traktate der spanischen Aufklärung in Anlehnung an ausländische Schriften172 einen Zusammenhang zwischen
physischer und moralischer Gesundheit.173 Die Figur Madama aus
Gálvez‘ La familia a la moda führt aber noch ein anderes aus der petimetría resultierendes biopolitisches Problem vor Augen, das sich auf die
leichtfertige Übernahme fremder Gebräuche gründet: In Frankreich
ist es im 18. Jahrhundert in höheren Kreisen üblich, dass Eheleute getrennte Schlafzimmer haben. Diese fremde Sitte führt die Madama im
eigenen Hause als letztes verbliebenes Mittel ein, als ihr Mann Canuto
sich am Ende ‚bekehrt‘, ihr das Kommando über den oikos entreißt
und sich die ‚Hosen‘ buchstäblich wieder ‚anzieht‘.174
172
Vgl. Bolufer (1995: 258), die als Quellen William Buchan (1729-1805), Auguste
Tissot (1728-1797), Achille Guillaume Bègue de Presle (1735-1807) und Jean-Baptiste
Pressavin (1734-1799) nennt.
173
Vgl. Bolufer (1995: 258). Die in den Moralischen Wochenschriften veröffentlichten Ratschläge an Frauen und Mütter, die ihnen ihre biopolitische Verantwortung
für das Gedeihen der Nation bewusstmachen sollen, identifiziert Bolufer als Mittel,
die bewusst Druck auf die Frauen ausüben und ihnen die Verhaltensnormen der Reformpolitik nahebringen sollen: „Entrelazando estrechamente salud física y moral, [los
discursos médicos] tendían a indicarles como saludables modos de vida domésticos,
alejados del tráfago de la sociabilidad, de la esclavitud de la moda y de los ‚excesos’
mundanos, presidios por la moderación y la templanza.”
174
Gálvez (2001: 252, vv. 727ff.): „CANUTO: Pués yo, que estoy aburrido / de sufrirte, y afrentado, / si a la orden lugar has dado, / obraré como marido: / me ataré
bien los calzones, / a mi hija casaré / [...] y no repliques.” Darauf antwortet Madama:
„Bien puedes lisonjearte / de que a la fuerza he cedido; pero desde hey ten sabido / que
pongo mi cama aparte.” Wie Andioc (ibid.) in einer Fußnote bemerkt, war dies bis zu
dieser Stelle der einzige Aspekt, der Madama noch zu einer „perfecta petimetra afrancesada“ gefehlt hatte. Das afrancesamiento bezeichnet in der spanischen Aufklärung die
unkritische und allzu eifrige Übernahme französischer Moden, Sitten und Gebräuche.
Entsprechend werden petimetres auch als afrancesados bezeichnet. Eine Wiederbelebung
erfährt der pejorative Begriff im Kontext der napoleonischen Besetzung Spaniens im
Jahre 1808.
9. Typisierungen der Misswirtschaft
669
Im gleichen Maße, wie der ausländische vir profusus Überfremdungsängste zum Ausdruck bringt und damit über die habituelle
Verunsicherung175 der Männer der spanischen Oberschicht Auskunft
gibt, ist auch die femina profusa ein theatrale Figur, die soziale, ökonomische, kulturelle und geschlechtsbezogene Ängste – und mit ihnen
biopolitische Besorgnisse – verdichtet und ihnen ein figurales Gesicht
gibt. Auch dieser weibliche Figurentypus ist in seiner stereotypen
Überzeichnung und Lasterhaftigkeit der Zielpunkt einer reformorientierten, ökonomischen ebenso wie gendernormativen und theatralen
Kritik, die sich auf der Bühne in Form der Karikatur niederschlägt. Der
Lächerlichkeit preisgegeben werden muss die renitente Frauenfigur
deshalb, weil sie nicht nur das männlich-nationale Wirtschaftssystem,
sondern auch den Gesellschaftsentwurf des patriarchalen Stellvertretersystems des aufgeklärten Absolutismus bedroht. In dieser Hinsicht
ist die durch die petimetra karikierte Gestalt der sachkundigen176 Konsumentin und Expertin in Sachen Mode letztlich ein Schreckgespenst,
das die männlichen Domänen der spanischen Nationalwirtschaft
ebenso heimsucht wie den patriarchal dominierten oikos.177
Mit ihrem ungezügelten Konsum ausländischer Luxusgüter ruft
die petimetra nicht in erster Linie deshalb so großen Widerstand bei
den Aufklärern hervor, weil sie das Kapital von Familie und Nation
aufs Spiel setzt, sondern weil sie sich erstens der patriarchalen Ordnung und deren biopolitischer Präskriptive verweigert, und zweitens
die soziale Nivellierung und Demokratisierung durch Kleidung praktiziert. Dass dazu insbesondere im Falle der weiblichen petimetría noch
nicht einmal große finanzielle Potenz von Nöten ist, zeigt Haidt (2011).
Viele petimetras, die eben nicht nur aus dem Adel, sondern auch aus
dem Bürgertum und den unteren Schichten stammen, arbeiten ihre
Kleidung selbst um und/oder verwenden gebrauchte Kleidungsstücke als Basis für neue.178 Accessoires wie Borten, Spitzen, Federn und
Schmuck dienen in diesem Zusammenhang dazu, Altes aufzuwerten.
175
Vgl. Heße (2008), s.o.
Sachkundig ist sie deshalb, weil sie die bessere Qualität und den modischen Stil
der ausländischen Waren zu schätzen weiß.
177
Hayek, Friedrich August von (21976): Individualismus und wirtschaftliche Ordnung.
Salzburg: Wolfgang Neugebauer, p. 22, zitiert in Bauer (2015: 25). Hayek hat seinerseits
den homo oeconomicus als „Gespenst“ bezeichnet. Diesen Gedanken greift Vogl bereits
im Titel von Das Gespenst des Kapitals (2010) auf.
178
Vgl. Haidt (2011: 146ff.).
176
670 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Dies verdeutlicht auch eine Szene aus La petimetra, in der die Dienerin
Ana ihre Herrin Jerónima darauf hinweist, dass sie sich ungeachtet
ihrer knappen finanziellen Mittel weiterhin als petimetra ausstatten
könne, weil Ana in der Lage sei, deren Kleidung so umzunähen, dass
sie wie neu aussehe:
ANA:
[...]
otra ninguna habrá
que pueda poner decente
con menos costa a su ama,
pues de cualquier trapo viejo
formado un vestido dejo,
digno de la mejor dama,
que los vestidos de hoy día
no son de coste, señora;
[...].“179
Wie Haidt anhand diverser sainetes und unter Hinzuziehung historischer Studien veranschaulicht, ist das, was hier formuliert wird, im
18. Jahrhundert in Spanien gängige Praxis.180
9.2.2. Die unsichtbare Hand der Konsumentin und die weibliche Wollust
Im vorausgehenden Abschnitt konnte die petimetra als eine den Feudalstaat heimsuchende Spektralgestalt identifiziert werden, eine aktionsbezogene weibliche Autarkie ebenso repräsentiert wie die konsumbezogene Demokratisierung und die daher liberalistisch anmutet.
Auch Bolufer weist darauf hin, dass die aufklärerische Luxuskritik,
die sich im Roman, im Theater und in der Presse181 in der Gestalt der
petimetra kondensiert, im Grunde eine Kritik am Luxuskonsum der
179
Vgl. Moratín (1996 [1762]: 74f., vv. 350ff.). Während die Dienerin Ana im Nähen
geschickt ist, gilt für Jerónima „[que] ni sabe coser un punto / ni sabe echar sal a un
huevo“. Moratín (1996 [1762]: 102, vv. 1279f.).
180
Vgl. Haidt (2011: 147f.).
181
Zu den aufklärerischen Polemiken über die petimetra in Literatur und Presse vgl.
Haidt (2003: 141ff.) und Hontanilla (2003: 52f.; 55ff.). Hontanilla untersucht überdies
die Darstellung der petimetra in der spanischen Malerei (Goya).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
671
„mujer plebeya“182 sei. Die petimetra metonymisiert den Typus der
selbstbewusst agierenden, marktsteuernd wirkenden Verbraucherin.
Smith hat diesen Mechanismus in The Wealth of Nations (1776) mit
der Metapher der ‚unsichtbaren Hand‘ beschrieben. Eben weil dieser
‚neue‘ Typ der Verbraucherin den national orientierten Ministern und
Reformökonomen ein Dorn im Auge ist, muss er im absolutistischen
Reformtheater im Büßergewand des doppelten Fremden erscheinen.
Als Fremde, da außerhalb des patriarchalen Regimes stehend, ist diese
Gestalt zum einen durch ihre libertine Weiblichkeit markiert. Fremd
ist sie zum anderen aufgrund ihrer ‚unweiblichen‘ Egozentrik, die sich
am ‚guten‘ Ende der untersuchten Komödien insofern rächt, als die
petimetra nicht nur moralisch abgestraft wird, sondern zudem machtund mittellos dasteht.183 Durch diese Ohnmacht wird sie in ihrer Rolle
als marktsteuernde und das Schicksal des oikos beeinflussende ökonomische Akteurin ‚stillgestellt‘, damit die gattungstypische Befriedung
der turbulenten Transaktionen am Komödienende gelingen kann. Die
Notwendigkeit, die petimetra als Strafe für ihr konsumzentriertes Verhalten handlungsunfähig zu machen, erklärt sich auch daraus, dass
Aktivität traditionell männlich und Passivität weiblich konnotiert ist.
In ihrem aktiven Marktverhalten verweigert sich die durch das Stereotyp der petimetra repräsentierte Käuferin dem zeitgenössischen Idealbild passiver Weiblichkeit, für das exemplarisch Cabarrús‘ Intervention gegen die Beteiligung von Frauen in der Matritense steht:
Cabarrús considérait que la présence des femmes dans les espaces sociaux
des hommes pouvait les distraire de leurs occupations sérieuses pour les
plonger dans la recherche frivole des faveurs de ces dames. Implicitement
selon lui, la sexualité des femmes constituait une menace qui empêchait
les deux sexes de collaborer dans un registre différent de celui de la galanterie ou du rapport amoureux.184
Die Konsumentin hingegen nimmt als bedeutsames Teilelement der
‚unsichtbaren Hand‘ Einfluss auf Märkte und Produktionsprozesse.
182
Vgl. Bolufer 1998: 181).
Zu Abstrafung der Figur der Jerónima aus La petimetra vgl. Schuchardt (2014:
274ff.) und eadem (2016: 176ff.).
184
Vgl. Bolufer (2011: 494f.). Sofern rationale Gründe vorliegen, befürwortet Cabarrús allerdings durchaus die Scheidung. Vgl. Bolufer (1998: 262). Damit bewegt er sich
auf der Linie Diderots.
183
672 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Indem ihre Nachfrage darüber bestimmt, was gehandelt und produziert werden soll, untergräbt sie die Autorität der Kaufleute und
Unternehmer-Paternalisten, aber auch die der marktlenkend eingreifenden Reformökonomen im Dienste der Politischen Ökonomie des
aufgeklärten Absolutismus unter Carlos III. und IV.185
Während mit dem „petimetre ein männlicher Figurentyp entworfen
wird, der mit seiner Neigung zu modischer Eitelkeit in eine weibliche Domäne einbricht“186, interveniert die petimetra also in die Männerdomäne des nationalen Wirtschaftssystems. Darauf, dass Mode
und Modeartikel im spanischen 18. Jahrhundert nicht nur zum Indikator sozialer Mobilität, sondern auch zum Mittel weiblicher Macht
werden, verweist Bolufer.187 Gerade weil die petimetra diese weibliche Macht verkörpert, darf sich ihre Lasterhaftigkeit nicht auf die
Todsünde der gula, die hier als materielle Unersättlichkeit erscheint,
beschränken. Vielmehr muss sie sich zugleich in luxuria, d.h. in der
Ausschweifung des außerehelichen sexuellen Verlangens, niederschlagen. Indem das Theater die petimetra nicht nur als exzessive Konsumentin, sondern zuweilen auch als Spielerin188 zeichnet, die sich in
einem gemischtgeschlechtlichen Milieu bewegt, setzt sich die Figur
dem Verdacht sexueller Leichtlebigkeit aus.189 Bezeichnenderweise ist
dieser theatrale Kurzschluss zwischen lujo (dt.: „Luxus“) und lujuria
(dt.: „Lüsternheit“) der kirchlichen Luxuskritik entnommen,190 was
185
Diesen Befund bestätigt auch Hontanilla (2003: 55): „[...] the petimetra became
the clearest threat to the delicate balance of the economic projects of the government.“
186
Heße (2008: 158).
187
Vgl. Bolufer (1998: 308f.).
188
Vgl. die Figur der Blasa aus Comellas El hombre agradecido. Als diese durch Bruno unerwartet an Geldmittel gelangt, die eigentlich für die Sanierung des kaufmännischen Haushaltes bestimmt sind, gibt sie diese sogleich aus, u.a., um neben Rechnungen für Modeartikel auch ihre Spielschulden zu begleichen. In dieser Szene wird der
laxe Umgang der petimetra mit Geld performativ vor Augen geführt, was umso mehr
wirkt, als Geld hier tatsächlich auf der Bühne präsent ist, während sonst nur darüber
geredet wird: „Mil reales al Zapatero. Separa dinero. / Quatro mil a la Francesa / de las
gasas. Otros quatro / para el que baylar me enseña / y para una relox de moda / doce
onzas. Aun me queda / mucho dinero, bien puedo / echarme en la faldriqueta. [...] para
el juego de esta noche / otras diez [...].“ Comella (1796: 5f.). ...
189
Dies steht ganz im Gegensatz zur Zeichnung der femina fabra Cecilia, die selbst
dann, als sie von Silvestre bedrängt wird, über jeden Zweifel an ihrer Keuschheit erhaben ist.
190
Vgl. Bolufer (1998: 183).
9. Typisierungen der Misswirtschaft
673
abermals191 zeigt, dass sich der säkulare aufklärerische Reformgeist
dann etablierter religiöser Topoi bedient, wenn es seinen didaktischen
Zwecken dient.
Die durch die femina profusa in Gestalt der petimetra verkörperten
Laster führen uns zum Luxuskonzept Mandevilles. Dazu bemerkt
Vogl:
Natürlich ist der Mensch – so heißt es auch bei Mandeville – von Affekten,
Begierden und Leidenschaften beherrscht, darunter sogar ehemalige Todsünden wie superbia, avaritia, envidia, luxuria, also Hochmut, Geiz, Neid,
Ausschweifung, die das Herz der Menschen entflammen. Allerdings, so
geht Mandevilles Argument weiter, sind eigentlich nicht die maßvollen
Neigungen, sondern gerade die maßlosen wirklich erfinderisch, listig und
produktiv; und mehr noch, es lässt sich erkennen, dass all diese verschiedenen Leidenschaften sich wechselseitig aufrufen und in Bewegung halten, dass sie sich schließlich gegenseitig balancieren und kompensieren.192
Das Mandeville zufolge von Affekten und Begierden geleitete, freie
Treiben des Marktes, dieses liberalistische Walten der ‚unsichtbaren
Hand‘ im Sinne Adam Smiths, kann das patriarchalische Stellvertretersystem des aufgeklärten Absolutismus in Spanien, das stets darauf
bedacht ist, die dem Luxus anhaftenden moralischen Zweifel zu betonen, ebenso wenig dulden wie die Rolle der Frau als marktbestimmende Akteurin. Wie schon der vir profusus bedient auch die femina profusa
das Narrativ, dass die (moralisch, geschlechtlich, ökonomisch, politisch) Devianten stets verlieren (müssen). In diesem Sinne kompensieren sie im Medium der theatralen Fiktion eine sich auf der Ebene der
ökonomischen Realität manifestierende Verunsicherung.
Für die Misogynie der spanischen Aufklärungsbewegung bezeichnend ist, dass die große Gruppe der französischen Kaufleute, die mit
der Machtergreifung der Bourbonen zahlreich nach Spanien emigriert
war193 und althergebrachte sozio-kulturelle sowie ökonomische Werte
herausgefordert hatte, indem sie bei der weiblichen Käuferschaft die
191
Das erste in dieser Arbeit genannte Beispiel war die Instrumentalisierung der
kirchlichen Theaterzensur durch die neoklassische Theaterreform (vgl. Kap. 4).
192
Vogl (2010: 34).
193
Konkrete Zahlen zu den französischen Emigranten liefert Pérez-García (2013:
90) auf der Basis des 1764 unter Carlos III. erhobenen Zensus.
674 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Nachfrage nach Luxusgütern befeuerte,.194 im Theater der Spätaufklärung mitnichten so präsent ist wie das durch die petimetra verkörperte
Gespenst der spanischen Konsumentin. Insofern französische Händler im Theater auftauchen, wie etwa der Modist aus Comellas El alcalde
proyectista, treten sie eher im sainete auf als in den comedias de teatro, die
ja den Zielpunkt der bourbonischen Theaterreform bilden. Dort begegnen wir ihnen zumeist in Gestalt des Krämers. Die Großkaufleute,
die den spanischen Binnenmarkt tatsächlich bestimmen, finden sich
dort nicht. Wenn also aus dem potenten Großkaufmann der lächerliche Kleinhändler wird, werden Ängste im Theater durch figurale Diminutiva kompensiert. Männliche Figuren dieser Art sind allerdings
weitaus seltener als Karikaturen der Konsumentin in Gestalt der petimetra. Statt sich also auf die finanziell potente männliche Konkurrenz aus dem Ausland ‚einzuschießen‘, die in Spanien Dependancen
in Form von Handelshäusern195 unterhält, richtet sich die merkantilistisch motivierte Kritik des Theaters gegen die einheimischen Frauen.
9.3. Zwischenbilanz: Das Maskenspiel der Metonymien
und der reformökonomisch-christliche Kanon der
Tugenden und Laster
Figurentypen wie der vir profusus und die femina profusa, die in ihrem
normenüberschreitenden Verhalten von Ängsten vor dem Außerkrafttreten der herrschenden Ordnung zeugen, lassen – so scheint es – tiefere Einsichten in die tatsächlichen sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu als idealisierte
Typen wie der vir oeconomicus und die femina oeconomica. Beide, vir profusus und femina profusa, repräsentieren ein vom reformökonomischen
Narrativ der felicidad pública verdrängtes Element: die Wahlfreiheit
der Konsumentin bzw. des Konsumenten. Sie veranschaulichen überdies die Heimsuchung aufklärerischer Geschlechterbilder durch eine
transgressive Männlichkeit bzw. Weiblichkeit. Das nicht nur in Spanien, sondern im gesamten aufklärerischen Europa kursierende Ideal
des wirtschaftlich und sozial funktionalen Menschen fußt Habermann
194
195
res.
Vgl. Pérez-García (2013: 91).
Vgl. das in Kap. 2.3 genannte Beispiel der französischen Compagnie Roux-Frè-
9. Typisierungen der Misswirtschaft
675
zufolge maßgeblich auf Smiths Theory of Moral Sentiments (1759) und
dem dort entworfenen Konzept der inneren und äußeren Gerichtsbarkeit. Letzteres weist Parallelen zu Benthams Modell des Panoptikums
auf, in dem das Individuum stets der Kontrolle einer es reglementierenden Gesellschaft unterliegt.196 Habermann zeigt anschaulich, wie
mit dem Konzept der inneren und äußeren Gerichtsbarkeit bei Smith
auch die
weiße, männliche und bürgerliche Identität hegemonialen Verschiebungen unterworfen [ist]. Es handelt sich nicht länger um die Rationalität des
freien Individuums als Grundlage der Rationalität, sondern Rationalität
wird zunehmend als unternehmerische Rationalität definiert.197
Schon Mitte des 18. Jahrhunderts wird also ein Konzept des Subjekts entworfen, das ‚Unternehmer seiner selbst‘ ist. Für die aber, die
„einen Mangel an Initiative zeigen, an Anpassungsfähigkeit, Dynamik,
Mobilität und Flexibilität“198, bedeutet dies, dass sie damit ihre Unfähigkeit zur Schau stellen, ein „freies und rationales Subjekt zu sein“199.
Mit dem hegemonialen Konzept des homo oeconomicus geht das bereits
skizzierte Ideal hegemonialer Männlichkeit einher,200 dessen Gegenbild der vir profusus ist: Da dieser ein wertloser, weil nicht funktionaler
Bestandteil des Nationalstaates ist, hat er zugleich sein Recht auf persönliche Freiheit verwirkt. In den untersuchten Komödien zeigt sich
das, wenn Charaktere wie der libertine Mariano oder Silvestre und
Simón am Ende ins Gefängnis (bzw. an gefängnisähnliche Orte) verbannt werden. Die petimetra verliert am Ende der hier untersuchten
Stücke insofern ihre (Wahl-)Freiheit, als ihr keine Handlungsoptionen
mehr bleiben: finanziell mittellos (Jerónima), von ihrem Kommando
über den oikos entbunden (Madama; Blasa) und/oder ehelich an einen
ebenfalls mittellosen Taugenichts gebunden (Jerónima), bleibt ihnen
nichts als sich in das männliche Regime der Ordnung zu fügen.
Habermann erachtet die Theorien Adam Smiths als deshalb besonders anschlussfähig für die Politischen Ökonomien der europäischen
196
Vgl. Habermann (2008: 172).
Habermann (2008: 173).
198
Habermann (2008: 173).
199
Habermann (2008: 173).
200
Vgl. Habermann (2008: 173).
197
676 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Aufklärung, weil sie die Rolle des Staates neu definieren:201 Einerseits
steht der Staat, wie Smith ihn konzipiert, über der Gesellschaft. Andererseits ist die Legitimität dieses Staates an die Freiheit der funktionalen Individuen der bürgerlichen Gesellschaft gebunden, die ihm
also Grenzen setzen.202 Während dies für England und Schottland aufgrund der dort bereits Mitte des 16. Jahrhunderts vollzogenen politischen Veränderungen Gültigkeit hat, trifft es für das absolutistische
Spanien insofern nur bedingt zu, als der Wert des Individuums sich
auch dort zwar an seiner Funktionalität und Produktivität im nationalen ökonomischen System bemisst, die Freiheit des Einzelnen aber
dort endet, wo sie mit dem feudalen System und den sozialen und
politischen Privilegien seiner Trägerschichten – der Krone, ihrem Verwaltungsapparat, dem mit ihnen paktierenden Adel, der Religion (weniger der Kirche als zunehmend an Einfluss verlierender Institution)
– in Konflikt gerät. Dies offenbart der Umstand, dass das aufklärerische (sentimentale) Wirtschaftstheater Ökonomie als ein System der
staatlichen Stellvertretungen inszeniert.
Was die Darstellung Frankreichs und der spanischen Xenophobie
anbelangt, verstellt eine Betrachtung, die sich allein auf die merkantilistische Perspektive beschränkt, den Blick auf das durch die comedia económico-sentimental sowie durch die neoklassische Komödie der
spanischen Spätaufklärung betriebene Maskenspiel203 der Metonymien. Dieses Maskenspiel bildet das literarische Analogon zum bourbonischen System hierarchisch-pyramidaler Stellvertretungen. Zum
einen steht im Rahmen dieses durch die Komödie204 initiierten Spiels
201
Habermann (2008: 175).
Vgl. Habermann (2008: 175).
203
Ein ähnliches Maskenspiel beobachtet Bolufer (1995: 253) auch in der Presse des
ausgehenden 18. Jahrhunderts, wo neben ökonomischen Debatten etwa über den Luxus auch die Geschlechterdebatte in Form eine „querella de las mujeres“ (ibid.) ausgetragen wird. Das Maskenspiel kommt in der Presse zum Tragen, wenn die Beiträger
der Moralischen Wochenschriften ihre eigene Position hinter teils fiktiven Leserbriefen
tarnen oder imaginäre Dialoge entwerfen, denen sie durch Authentizitätsfiktionen die
nötige Autorität verleihen.
204
Fulda (2005: 26) zufolge ist das komödientypische ‚scheinhafte Spiel’, das in Verwechslungen, Verkleidungen, Listen und Intrigen besteht, eine weitere Strukturhomologie zwischen dem Geldmarkt und der Gattung Komödie. In diesem Sinne ist auch
das hier beschriebene ‚metonymische Maskenspiel‘ eine Strukturhomologie: Wie der
mögliche Gelderwerb sich in kalkuliertem bis listigem Handeln vollzieht (das beginnt
mit dem Feilschen auf dem Markt und reicht bis zur Börsenspekulation), so werden die
202
9. Typisierungen der Misswirtschaft
677
das durch die ‚französisierten‘ petimetres und petimetras sowie durch
seine Tanzlehrer und Modisten repräsentierte ‚fremde‘ Frankreich in
der Kritik. Dieses erscheint als jugendgefährdender Verbreiter neuer
Moden und Sitten – und damit als ein im Umbruch befindliches politisches System, das auf eine liberalistische Zukunft hindeutet. Eben
weil das vorrevolutionäre, insbesondere aber das revolutionäre und
post-revolutionäre Frankreich bürgerliche Werte (fraternité – égalité
– liberté) repräsentiert, ist dort, wo im spanischen Theater der Spätaufklärung vermeintlich eine merkantilistisch motivierte Überfremdungsangst in Szene gesetzt wird, vermutlich eher die Angst vor dem
politischen Umsturz gemeint. Damit wird das Ökonomische zu einer
Metonymie des Politischen. Zum anderen zielt die im Theater performativ inszenierte Kritik der Reformer auf die eigene Bevölkerung, auf
ökonomisch, politisch, sozial, gesetzlich und geschlechtlich deviante
Männer und Frauen: Die Abweichung des vir profusus und der femina
profusa von den durch die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus gesetzten Normen versinnbildlicht das Pochen bestimmter Gruppen von Individuen innerhalb des spanischen Staates auf das
Bürgerrecht der Freiheit. In Form der Karikatur und typisierten Überzeichnung setzen spanische Wirtschaftskomödien des ausgehenden
18. Jahrhunderts die ‚Normverletzer‘ als Gefährder des bien común in
Szene, die am Ende den eigenen finanziellen und sozialen Ruin beklagen müssen.
Die Imitation der Unterschichten – der majos und majas – durch die
petimetres und petimetras der Oberschicht und die äußerliche Ununterscheidbarkeit der petimetras aus der Unterschicht von den Damen
des gehobenen Bürgertums und Adels, eine In-Differenz, die durch
eine boomende Gebrauchtkleiderbranche und findige Schneiderinnen ermöglicht wird, führen zu einer steigenden Durchlässigkeit der
Standesschranken, die den Reformern von Wirtschaft, Theater und
Gesellschaft schon allein deshalb suspekt sein muss, weil sie selbst
dieser Oberschicht angehören. Dass eine derartige soziale Nivellierung durch Mode in der Lage ist, soziale Spannungen zu mildern,
Handlungsstruktur und die komische Wirkung der Komödie wesentlich von scheinhaften und täuschenden Aktionen – Verkleidung, List, Intrige – getragen. Vgl. Fulda
(2005: 26) mit Verweis auf Martini (1974: 21).
678 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
wird dabei übersehen. Da also Mode und Kleidung205 ihre Bedeutung
als Mittel sozialer Distinktion206 verlieren, sind es nun die in der comedia económico-sentimental artikulierten ‚Facetten feiner Gefühle‘207, mit
Hilfe derer sich die reformorientierte Elite der Aufklärer vom Pöbel
distanziert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass vir profusus und femina profusa als Gegenentwürfe zum wirtschaftlich erfolgreichen vir oeconomicus und zur umsichtigen femina oeconomica über
diese emotionalen Nuancen gerade nicht verfügen: Ihr emotionaler
Dauerzustand ist der Affekt, der sich nicht allein in einem undifferenzierten und aus dem Gleichgewicht geratenen Gefühlshaushalt,208
sondern vor allem in Lastern wie Gier (gula), Wollust (luxuria), Wut
(ira) und der Faulheit (acedia) niederschlägt. Diese den vir profusus
bzw. die femina profusa kennzeichnenden Laster entsprechen vier der
sieben christlichen Todsünden. Zwei weitere, Hochmut bzw. Eitelkeit (superbia) und Neid (invidia), werden durch das Bedacht-Sein
beider Figurentypen auf den äußeren Schein und/oder die Intrige
repräsentiert, die sie zum Zwecke finanzieller Vorteile spinnen. Die
Laster bzw. Todsünden des vir profusus und der femina profusa stehen
205
Zum Unterschied zwischen Mode und Kleidung vgl. Venohr, Dagmar (2010):
Medium macht Mode. Zur Ikonotextualität der Modezeitschrift. Bielefeld: transcript, insbesondere den Abschnitt „Medien der Mode“, pp. 31-61. Während Kleidung ausschließlich funktional ist, indem sie wärmt oder schützt, kennzeichnet Mode nicht nur der
ästhetische Mehrwert, sondern auch, dass sie innerhalb des semiotischen Systems
‚Mode‘ als solche präsentiert wird. Kleidung, die als Mode erkannt und präsentiert
wird, bezeichnet Venohr (2010: 32) unter Bezugnahme auf Barthes‘ Système de la mode
als „Modekleidung“.
206
Dass es bei der neoklassischen und aufklärerischen Kritik an der petimetría um
soziale Distinktion geht, bestätigt auch Jehle und verweist darauf, dass es toleriert wurde, wenn adelige Herren das Verhalten der petimetres imitierten und der Dame beim
Gehen den Arm reichten. Legten Vertreter der Unterschichten hingegen das gleiche
Verhalten an den Tag, kam dies einem Skandal gleich. Vgl. Jehle (2010: 193) mit Bezug
auf Kany (1932: 203).
207
Bolufer (1998: 275; 277), s.o. (vgl. Kap. 8.1).
208
McCloskey (2007: 279) konstatiert, dass auch der klassischen, d.h. der antiken
Tugendethik gemäß „evil“ gleichbedeutend mit „imbalance“ war. Aber auch ein
Ungleichgewicht der Tugenden wurde als gesellschaftsschädigend angesehen, wie
McCloskey in Bezug auf die Haltung des englischen Bischofs Joseph Butler (1692-1752)
ausführt. „Self-interest was a matter of prudence and courage, benevolence, love and
justice. But neither could flourish without temperance [...]“. McCloskey (2007: 285) mit
Bezug auf Butler, Joseph (1736 [1725]): „Fifteen Sermons“. In: idem. The Analogy of Religion and Fifteen Sermons. London: The Religious Tract Society, pp. 335-528, hier p. 352.
9. Typisierungen der Misswirtschaft
679
den Tugenden des vir oeconomicus, faber und rusticus sowie der femina oeconomica und fabra diametral entgegen. Als solche konnten wir
im Zuge unserer Analysen temperantia (Mäßigung), prudentia (Besonnenheit), industria (Fleiß), caritas (christliche Nächstenliebe) und eine
ausschließlich auf die Frau bezogene voreheliche castitas (Keuschheit)
identifizieren. Die temperantia bildet den Gegensatz zur gula, die prudentia den zur ira, die industria den zur acedia, die castitas einer Doña
Cecilia den zur lujuria einer Doña Blasa und die caritas eines Esteban
den Gegensatz zur Häresie eines Simón. Damit kombinieren sentimentale, neoklassische und populäre Komödien der spanischen Spätaufklärung bürgerlich-christliche Tugenden wie Fleiß, Besonnenheit
und die Mäßigung (industria, prudentia und temperantia), christliche
Tugenden (caritas und castitas) und christliche Todsünden (gula, ira,
acedia, luxuria) sowie das Vergehen der Häresie zu einem Katalog der
Tugenden und Laster. Während die Tugenden das Modell des durch
den bourbonischen Reformismus gewünschten idealen Staatsbürgers
bzw. der Staatsbürgerin umreißen, ist deren verdammenswertes Gegenbild aus einer Kombination von Lastern zusammengesetzt. Beide,
der modellhafte Typus guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie und der abschreckende Typus eines Wirtschaftens entgegen
den staatlichen Leitlinien des aufgeklärten Absolutismus, werden
dem Publikum über das didaktische Medium des Theaters performativ vor Augen geführt. Dabei ist bezeichnend, dass die säkulare Politische und Kulturelle Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus ihren
Entwurf des ‚neuen Menschen‘ taktisch geschickt auf einen christlichen Tugendkanon stützt, der durch die Didaxe der Kirche bereits
fest im Volk verankert und entsprechend anschlussfähig ist.
10.
FAZIT: SAKRALE ÖKONOMIE
In den Analysen dieser Arbeit konnte das Konzept des homo oeconomicus als vir oeconomicus, und damit als ‚ökonomischer Mann‘, identifiziert werden. Als Figurentypus des spanischen Theaters der Spätaufklärung verkörpert er in Gestalt eines ‚Kopfarbeiters‘ und ‚zivilen
Helden‘ ideales männliches Wirtschaftsverhalten in Handel und Industrie. Das ökonomische Agieren dieses Figurentyps folgt den Leitlinien
der bourbonischen Reformökonomie des aufgeklärten Absolutismus
im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, und damit zugleich der
Politischen Ökonomie einer Gouvernementalität, der angesichts leerer
Staatskassen an der Erhöhung der nationalen Produktivität gelegen
ist. Das zu diesem Zweck durchzusetzende Reformprogramm wird
über das Medium des Theaters und die Form der sentimentalen sowie
der neoklassischen Wirtschaftskomödie didaktisch vermittelt. Ebenso wie in den Diskursen der Reformökonomie selbst sind es auch im
theatralen Diskurs, d.h. in der Figurenrede, das ‚öffentliche Glück‘ (felicidad pública) und das ‚Gemeinwohl‘ (bien común), die als rhetorische
Begründungen für die nationale Bedeutung des ‚guten Wirtschaftens‘
im Sinne der bourbonischen Vorgaben angeführt werden. Die Politische Ökonomie des aufgeklärten Absolutismus in Spanien wird durch
ihre figuralen Verkörperungen in der Gattung der comedia-económico
sentimental populärer und neoklassischer Prägung, die diese Studie als
privilegiertes Genre der Vermittlung ihrer Leitlinien der ausgemacht
hat, nicht nur diskursiv, sondern auch performativ (in Form des Pastoratsprinzips), strukturell (in Form von Strukturhomologien) und
intersubjektiv (anhand menschlicher Schicksale) vermittelt.
Die gesichtslosen Sektoren von Handel und Industrie erhalten
durch die Figuren des ehrbaren Kaufmanns und des philanthropen
Unternehmer-Paternalisten ein figurales Antlitz mit wiederkehrenden
Eigenschaften und in ihrer geschlechtlichen Verkörperung durch den
682 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vir oeconomicus zudem ein dem aufklärerischen Männlichkeitsideal
entsprechendes Leitbild wünschenswerten Wirtschafts- und Sozialverhaltens. Vom vir oeconomicus, der als ziviler Held reine Kopfarbeit
leistet und dessen Schreibtischtätigkeit im Theater durch Bühnenutensilien wie Sekretär, Feder, Papier und Uhr angezeigt wird, konnten
der vir faber und der vir rusticus als ‚Protagonisten der Produktion‘
und männliche Verkörperungen des Handwerks und der Landwirtschaft unterschieden werden. Diese beiden Typen zeigen nicht nur
die Aktionsräume männlicher produktiver Tätigkeiten in Handwerk,
Rohstoffförderung und Landwirtschaft auf; durch ihre Zeichnung als
vorbildhafte Protagonisten und produktive Kräfte dienen die Letztgenannten überdies dem Zweck, der körperlichen Arbeit (span.: trabajo
manual) das ihr anhaftende Stigma zu nehmen und sie als neuen gesellschaftlichen Wert mit moralisierenden sowie damit zugleich zivilisatorischen Effekten zu etablieren.
Obgleich arbeitende Menschen infolge der bourbonischen Wirtschaftsreformen faktisch keine Verbesserung ihres sozialen Status erfahren, attestiert ihnen die sentimentale Komödie in einem Akt der
symbolischen Kompensation den ‚Seelenadel‘, ein Konzept, das als
‚Tugendadel‘ schon in Benimmfibeln wie Vila y Camps‘ El noble bien
educado von 1776 (vgl. Kap. 3.4.3) erscheint. Die rein rhetorische Würdigung des körperlich arbeitenden Mannes durch die comedia económico-sentimental steht ganz im Einklang mit der Real Cédula von 1783 und
anderen Erlassen der 1770er und 1780er Jahre, die der Erweiterung
des im Handwerk tätigen Personenkreises dienen und die sich als einflussgebend für die theatrale Produktion erweisen. Maßgeblich hierfür sind sowohl Verbote wie die Zensur als auch politisch gesetzte Anreize wie Preise und Prämien, aber auch mittelbar – nämlich über die
Theaterkritik – einflussnehmende Medien wie das von Regierungsvertretern beeinflusste Presseorgan des Memorial literario. All diese Faktoren führen dazu, dass sich die Vorgaben dieser Erlasse in einem Zweig
des Theaters der spanischen Spätaufklärung niederschlagen, der hier
als ‚aufgeklärtes sentimentales Wirtschaftstheater‘ identifiziert wurde
und als direkte Reaktion des Unterhaltungssektors auf die kulturellen,
ökonomischen und politischen Reformbestrebungen des aufgeklärten
Absolutismus unter Carlos III. und IV. verstanden werden kann. Die
privilegierte Form dieses Theaters ist die Gattung der Komödie mit
ihrem stets guten Ende. Über sie können wirtschaftliche Erfolgsnarrative entfaltet werden, die dazu dienen, die tatsächlich als krisenhaft
10. Fazit: Sakrale Ökonomie
683
empfundene Wirtschaftslage Spaniens zu kompensieren, das im Vergleich zu konkurrierenden europäischen Nationen im europäischen
und transatlantischen Handel sowie in der industriellen Produktion
ins Hintertreffen geraten war und auch im landwirtschaftlichen Bereich mit Engpässen in der Nahrungsmittelversorgung zu kämpfen
hatte.
In den comedias económico-sentimentales der spanischen Spätaufklärung wird zum einen die Ehrbarkeit des körperlich arbeitenden Mannes – des Schneiders, Bergmanns und Lumpensammlers – rhetorisch
bekundet. Zum anderen führen diese Stücke dem Publikum über den
weiblichen Figurentypus der femina fabra vor, dass auch Frauen zumindest im Textilsektor ohne Verlust des sozialen und moralischen
Ansehens als Produzentinnen tätig sein können und sollen. Mit der
im Verlauf der Analysen vorgenommenen Unterscheidung zwischen
männlichen ‚zivilen Helden‘ und im Rahmen des Haushaltes versiert
wirtschaftenden Frauen wie der femina oeconomica auf der einen Seite,
und ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ wie dem vir rusticus, dem vir
faber und der femina fabra auf der anderen Seite, wurde erstmals eine
Ausdifferenzierung des vagen Konzepts des homo oeconomicus nach
geschlechtsspezifischen Betätigungsfeldern und möglichen Aktionsräumen in verschiedenen Wirtschaftssektoren vorgenommen. Die
schematischen Aspekte dieses Konzepts haben sich deshalb als besonders geeignet für die Analysen der hier betrachteten Dramentexte
erwiesen, weil – wie die klassische Ökonomie – auch das spätaufklärerische spanische Theater holzschnittartige Typisierungen wirtschaftlicher Akteure vornimmt, die keine Individualität zulassen. Typenhaft
sind diese deshalb, weil es sich um funktionale Zuspitzungen handelt,
die dazu dienen, nationalwirtschaftliche Prozesse und aufklärerische
Wirtschaftstheorie durch Narrative von Erfolg und Misserfolg zu veranschaulichen. Zum besseren Verständnis der ZuschauerInnen werden abstrakte Wirtschaftsmechanismen durch stereotype – und damit
epistemologisch leicht zugängliche – Figuren repräsentiert und die
Theorie reformökonomischer Leitlinien in konkrete theatrale Handlungen übersetzt.
Dadurch, dass in sentimentalen Komödien der spanischen Spätaufklärung männliche Figurentypen mit wiederkehrenden Eigenschaften
die Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Handel repräsentieren,
wird auch die Wirtschaft selbst männlich kodiert. Deren diverse Aktionsräume verdichten sich im bürgerlichen Haushalt, im oikos, wo
684 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
im 18. Jahrhundert die Trennung von Geschäfts- und Privaträumen
noch nicht vollständig vollzogen ist, obgleich sich dieser Raum in der
spanischen ebenso wie in der europäischen Spätaufklärung mehr und
mehr in einen Ort bürgerlicher Innerlichkeit zu verwandeln beginnt.
Diese Tendenz zur Verinnerlichung schlägt sich, wie hier gezeigt werden konnte, gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in der allmählichen bühnentechnischen Umgestaltung des dargestellten häuslichen
Raums nieder (vgl. Kap. 5.3f.). Dennoch bleibt der Übergang zwischen
privaten und geschäftlichen Besorgnissen, zwischen den inneren Gefühlswelten der Figuren und ihrem betont rationalen bzw. irrationalen Agieren im Außen fließend, ja mehr noch: Das gute bzw. das
schlechte Wirtschaften im privaten Inneren ist an den Gewinn bzw.
Verlust im geschäftlichen Außen gekoppelt. So müssen all jene, die im
Inneren des oikos nicht zu haushalten wissen, auch in den geschäftlichen Belangen des Außen scheitern. Diesen Außenraum sehen die
ZuschauerInnen nur selten szenisch repräsentiert. Stattdessen wird er
durch Botenberichte oder Briefe allein in der Imagination des Publikums evoziert und stellt sich dabei meist als bedrohlich und voller
Unwägbarkeiten dar.
Identifikationsangebote für die ZuschauerInnen unterbreitet die
comedia económico-sentimental im verdichteten Raum des Haushalts,
indem sie statt unberechenbarer Individuen wiederkehrende Figurentypen mit immergleichen Eigenschaften inszeniert. Sofern es sich bei
diesen Typen um gute ÖkonomInnen bzw. ProduzentInnen handelt,
wie sie der vir oeconomicus, der vir faber, der vir rusticus, die femina oeconomica und die femina fabra repräsentieren, dienen diese dazu, einen
aufklärerischen und reformökonomischen Tugendkanon vorzuführen, in dem sich neue bürgerliche Ideale wie Arbeit, Fleiß und der ökonomische Umgang mit Zeit mit christlichen Tugenden wie caritas und
weiblicher castitas verbinden, und sich zugleich als mit einem Adelstitel kompatibel erweisen. Dem Tugendkanon der sentimentalen Wirtschaftskomödie wird wiederum ein Katalog an ebenfalls figural verkörperten Lastern gegenübergestellt. Auch dabei kommt das Religiöse
ins Spiel, denn die christlichen Todsünden erfahren durch die Laster
der auf der Bühne agierenden viri profusi und feminae profusae eine aufklärerische und reformökonomische Aktualisierung. So wird aus der
Todsünde der Völlerei (gula) der aus merkantilistischer Perspektive zu
verurteilende massenhafte Konsum ausländischer Waren, der auf der
Bühne als das Laster der Verschwendung erscheint.
10. Fazit: Sakrale Ökonomie
685
Traten in den barocken Fronleichnamsspielen, den 1765 im Zuge
der bourbonischen Theaterreform verbotenen autos sacramentales, Allegorien wie ‚die Schönheit‘ („La Hermosura“ 1), ‚die Vernunft‘ („La
Discreción“) und ‚das Gesetz der Gnade‘ („La Ley de Gracia“) auf,
setzt die aufklärerische comedia económico-sentimental Typen aus der
Arbeitswelt in Szene, deren Aktionsraum auf den Bühnenraum und
die durch ihn repräsentierten ökonomischen Handlungsfelder konzentriert ist. Ähnlich jedoch wie die Figuren der autos sacramentales,
wo ‚der Reiche‘ („El Rico“) in Stellvertretung aller Reichen und ‚der
Arme‘ („el Pobre“) stellvertretend für alle Armen steht, haben auch
die Typen der comedia económico-sentimental gerade dadurch, dass die
durch sie verkörperten Eigenschaften Wiedererkennungscharakter haben, eine metonymische Funktion. Der vir oeconomicus beispielsweise
ist zwangsläufig nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern immer auch ein aufgeklärter Philanthrop, der sich durch Fleiß (industria),
affektive und finanzielle Mäßigung (temperantia) und Nächstenliebe
(caritas) auszeichnet und zudem in seinem paternalistisch-belehrenden und autoritären Habitus das aufklärerische Männlichkeitsideal
verkörpert. Analog dazu zeichnet sich die versiert wirtschaftende femina oeconomica nicht allein durch haushälterische Fähigkeiten, sondern ebenfalls durch Fleiß, emotionale und finanzielle Besonnenheit
(prudentia), Mäßigung in emotionalen und finanziellen Dingen, Rücksichtnahme und zusätzlich durch (vor- bzw. außereheliche) Keuschheit (castitas) aus. Stets ist sie dem Wohl ihrer Familie verpflichtet und
in ihrem ökonomischen Wirken auf den Bereich des oikos konzentriert.
Demgegenüber durchbrechen die lasterhaften schlechten ÖkonomInnen geschlechtliche, wirtschaftliche, soziale und aufklärerische Normen. Als Männer sind sie effeminiert und faul, als Frauen überschreiten sie die räumliche Grenze des familiären Inneren und vergnügen
sich im Außen, was sie dem Verdacht der Lasterhaftigkeit aussetzt.
Damit vernachlässigen die weiblichen Vertreterinnen der Misswirtschaft ebenso die ihnen durch die Reformökonomie zugedachte biopolitische Aufgabe der Reproduktion wie sie gegen das für Frauen
geltende Gebot der familiären Fürsorge verstoßen. Beide, vir profusus und femina profusa, öffnen dem ausländischem Fremden Tür und
Tor, indem sie die auswärtigen Moden und Sitten ins Innere des oikos
1
Siehe für diese und alle im Folgenden genannten Figuren: Calderón de la Barca,
Pedro (1997): El gran teatro del mundo, ed. John Jay Allen. Barcelona: Crítica.
686 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
holen. Als VerschwenderInnen sind sie sowohl in ihrem Umgang mit
Finanzen als auch in ihrem Umgang mit Affekten exzessiv. Die feinen
und gemäßigten Gefühle, mit denen die ‚zivilen HeldInnen‘ und ‚ProtagonistInnen‘ der Produktion aufwarten, lassen sie vermissen.
Über die holzschnittartige und typenhafte Zeichnung der Figuren
entrollt sich eine metonymische Kette der Stellvertretungen, in der die
Figuren nicht für sich selbst, sondern für das wiedererkennbare Gesicht
der nationalen gemäßigten Reform bzw. für ihr maßloses Anderes stehen: entweder für die aus dem Ausland kommende Revolte oder für
die den heimischen Reformen gegenüber misstrauische Haltung des
unaufgeklärten vulgo. Die tugendhaften Züge dieser Gesellschafts-,
Wirtschafts-, Kultur- und Geschlechterreform sind stets die gleichen.
Das gilt auch für die Gefühle, die durch die auf der Bühne agierenden
Charaktere zur Schau gestellt werden, sei es Verzweiflung angesichts
von Bankrott und/oder übler Nachrede, sei es amouröse Zuneigung,
sei es freundschaftliche Verbundenheit. Im Falle der viri und feminae
profusi sind diese wiederkehrenden Gefühle die ungezügelte Gier, die
Missgunst oder die (vor allem adelige Figuren kennzeichnende) Wut
angesichts des (finanziellen oder amourösen) Erfolges der guten WirtschafterInnen im Vergleich zum eigenen Verlust. Die Freundschaft,
die besonders dann, wenn es um den vir oeconomicus, sein männliches
Netzwerk und seine zukünftige Ehefrau geht, als aufklärerisches Ideal
inszeniert wird, hat ebenfalls metonymische Funktion, führt sie doch
die patriotische Verbundenheit der Staatsbürger der spanischen Nation vor, eine Verbindung in Form einer Kette, die die Grundstruktur
des guten Wirtschaftens im Sinne der Reformökonomie bildet und die
Abhängigkeit der Gemeinschaft vom Einzelnen – und umgekehrt –
symbolisch vor Augen führt (vgl. Kap. 5.2). Dass diese Struktur die
Glieder der spanischen Nation mittels einer ganzen Reihe staatsbürgerlicher Verpflichtungen (wirtschaftliche und biologische Produktivität, zeitökonomische Effizienz, Unterwerfung unter das patriarchale
Regime der Gouvernementalität) aneinanderkettet und zugleich den
Verlust von Freiheit und Individualität mit sich bringt, hat insbesondere das vorausgehende Kapitel veranschaulicht.
Was die Anthropologisierung des Ökonomischen anbelangt, vollzieht sie sich auf den Bühnen der spanischen Spätaufklärung nicht in
erster Linie in einzelnen Stücken, sondern durch ein ganzes Panorama
aus comedias económico-sentimentales. In ihrer Gesamtschau erklären die
analysierten sentimentalen Wirtschaftskomödien das Ökonomische
10. Fazit: Sakrale Ökonomie
687
mittels einer Palette von jeweils ähnlich angelegten Figurentypen
beider Geschlechter zum unerlässlichen Teil des ‚Menschseins‘ – und
damit zu einer menschlichen Grundbedingung. Glaubt man den Inszenierungen dieses Genres, sind das menschliche Leben, das Lieben
und die soziale Interaktion immer auch ein Wirtschaften, d.h. ein SichIm-Ehehandel-Verkaufen, ein Konsumieren, ein Handeln und Verhandeln, ein Produzieren und Reproduzieren von Waren, Gütern, Normen und Nachkommen. Genau dieser Umstand weist die sentimentale
Komödie, die comedia sentimental, zugleich als Wirtschaftskomödie,
als comedia económico-sentimental aus. Es sind die wiederkehrenden
Momente, in denen die temperantia in den hier untersuchten Stücken
als zentrale Tugend des aufklärerischen Wertehorizonts erscheint,
die verdeutlichen, dass ein maßvolles und erfolgreiches Wirtschaften
nicht ohne ein erfolgreiches Haushalten mit Gefühlen möglich ist. Die
Ehe als der gattungskonforme glückliche Schlusspunkt der Komödie
korreliert in diesem Zusammenhang mit der biopolitischen Aufgabe,
die die Gouvernementalität den StaatsbürgerInnen zusammen mit
dem reformpolitischen Gebot zuweist, sich wirtschaftlich nützlich zu
machen. Die in dieser Arbeit untersuchten Beispiele der feminae profusae und viri profusi führen dem Publikum vor Augen, dass Menschen
dann ökonomisch, sozial und amourös scheitern, wenn sie nicht arbeiten, schlecht haushalten, auf ihre Freiheiten pochen oder die sozialen
Schranken des – in den untersuchten Komödien trotz aller Tendenzen
zur Verbürgerlichung dann doch affirmierten – feudalen Systems zu
umgehen suchen. Figuren dieses Typs enden mittellos, machen eine
wirtschaftlich und moralisch ‚schlechte Partie‘ oder finden am Ende
gar keine/n EhepartnerIn. Nicht selten werden sie an heterotope Orte
wie Erziehungsanstalten oder Gefängnisse verbannt.
Die comedia económico-sentimental der Spätaufklärung anthropologisiert das Ökonomische jedoch nicht nur, indem sie das Wirtschaften
als conditio sine qua non des aufklärerischen Menschseins inszeniert.
Sie präsentiert es überdies als ‚sakrale Ökonomie‘. Dies gelingt mittels zahlreicher intertextueller Verweise auf biblische Narrative: das
letzte Abendmahl, den geteilten Mantel, das Gleichnis vom Sämann,
den Dornbusch. Das Zuwiderhandeln gegen die Vorgaben einer damit ‚heiliggesprochenen‘ (Reform-)Ökonomie wird dementsprechend
als Akt der Häresie in Szene gesetzt, weshalb sich der vir profusus,
zugleich als Häretiker, mindestens aber als laxer Gläubiger erweisen
muss, während die femina profusa die christliche Tugend der castitas
688 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
vermissen lässt. Beide Figurentypen kennzeichnet ein Egozentrismus,
der wider den Grundsatz der christlichen caritas ist. À rebours gelesen,
befreien sie sich – aus Sicht der Gouvernementalität freilich auf unzulässige Weise – von den staatsbürgerlichen Ketten, mit Hilfe derer die
bourbonische Reformpolitik des aufgeklärten Absolutismus ihre ‚zivilen HeldInnen‘ und ‚ProtagonistInnen der Produktion‘ nicht nur aneinanderzubinden, sondern auch in einen engen moralökonomischen
Rahmen mit feststehenden Geschlechterbildern zu zwängen versucht.
Dass die theatrale Anthropologisierung des Ökonomischen in den
symbolischen und intertextuellen Rahmen des Religiösen eingebettet
bleibt, folgt einerseits didaktischen Überlegungen (vgl. Kap. 9.3). Andererseits deutet die durch die Referenz auf den religiösen Bezugsrahmen erfolgende ‚Sakralisierung des Ökonomischen‘ jene Ablösung der Religion durch das Geld voraus, die Balzac drei Jahrzehnte
später in seiner Novelle La Maison Nucingen (1838) narrativ vermitteln wird.2 In diesem Sinne sind die in den untersuchten Stücken zur
Anwendung kommenden religiösen Elemente kein Zugeständnis an
die Kirche als Institution, geschweige denn ein Glaubensbekenntnis.
Vielmehr wird durch sie die Entthronung der Institution Kirche und
ihrer Symbolsprache durch die um sich greifende Macht des Ökonomischen vorbereitet. Dies zeigt sich insbesondere in den Momenten, in
denen die religiösen Symbole, Intertexte und performativen Gesten in
den Dienst der rhetorischen Legitimation der ökonomischen Akteure
gestellt werden.
Nicht zufällig ist der durch die Figurentypen metonymisierte Kanon wirtschaftlicher und geschlechtlicher Tugenden und Laster an die
allegorischen Figuren der autos sacramentales angelehnt. Damit vollzieht sich die Ablösung dieses mit Allegorien operierenden religiösen
Schauspiels durch die comedia económico-sentimental als dessen aufklärerische Aktualisierung. Sie wird mit dem durch die Staatsmacht
vorangetriebenen Verbot von Schauspielen mit religiösen Inhalten,
2
Vgl. Balzac, Honoré de (1989 [1838]): La Maison Nucingen, précédé de Melmoth reconcilié, ed. Anne-Marie Meininger. Paris: Gallimard, insbesondere p. 187. Dort bemerkt
Blondet, eine der vier Figuren, die die Geschichte des Bankhauses Nucingen in anekdotischer Form kolportieren: „Il n’y a plus de religion dans l’État.“ Damit ist die
Opferung des Religiösen zugunsten des Kapitals in einem Staat vollzogen, in dem auf
Kosten der Allgemeinheit spekulierende Bankiers wie Nucingen die Macht an sich gerissen haben, indem sie als Finanzgeber des Staates fungieren.
10. Fazit: Sakrale Ökonomie
689
zu denen neben den autos sacramentales auch die comedias de santos
zählen, gesetzlich forciert. Wie die hier angestellten Analysen gezeigt
haben, wird die gouvernementale Macht als impulsgebende Instanz
eines reformierten sakralen Wirtschaftstheaters durch die stete Referenz auf den Souverän als göttlich legitimierte Macht in ihrer Autorität
bekräftigt. Dadurch wird zusammen mit der Reformpolitik auch der
Souverän als ihr Ausgangspunkt ‚sakralisiert‘. Diese symbolische ReSakralisierung des Königtums durch die comedia económico-sentimental
hat, genauso wie der dem körperlich arbeitenden Menschen attestierte
Seelenadel, kompensatorische Funktion und gleicht die bereits skizzierte Profanisierung der Rolle des Souveräns (vgl. Kap. 3.1) im Zuge
der Ökonomisierung des bourbonischen Staatsapparats auf symbolischer Ebene aus.
Dem Pastoratsprinzip, das etwa Durán in La industriosa madrileña inszeniert, kommt dabei eine zweifache Schlüsselrolle zu: Im von
Foucault dargelegten Sinne treten die männlichen Repräsentanten der
säkularen Gouvernementalität mit ihren performativen Handlungen
an die Stelle des ebenfalls performativ agierenden Priesters. Während
dieser die Gläubigen im Diesseits (nur) segnet und der Lohn für gute
Taten (erst) im Jenseits3 erfolgt, prämieren Stellvertreter der gouvernementalen Macht wie Minister, Richter und Inspektoren die reformkonformen Schafe schon im Diesseits. Auch in seiner theatralen Inszenierung leistet das Pastoratsprinzip also der Säkularisierung Vorschub.
Zudem versinnbildlichen die auf der Bühne agierenden Stellvertreterfiguren des Souveräns die wachsamen Augen der gouvernementalen
Macht. Damit ist die comedia económico-sentimental reformökonomische
Lehranstalt und theatrales Panoptikum zugleich.
Da Aufklärung nun aber im eingangs skizzierten Sinne (vgl. Kap.
1) kein Prozess ist, der ausschließlich von oben nach unten, sondern
ebenso horizontal verläuft, ist auch das Theater aller Reformbemühungen der Krone zum Trotz nicht als ein Sprachrohr zu betrachten,
aus dem die politische Botschaft des aufgeklärten Absolutismus ohne
Verzerrungen, Störgeräusche oder Unterbrechungen erklänge. Das ist
unter anderem deshalb der Fall, weil das Theater auch im 18. Jahrhundert ein auf Gewinn bedachtes Wirtschaftsunternehmen ist, das es sich
3
Die erst im Jenseits erfolgende Belohnung für gute Taten durch den Schöpfergott
ist eine Handlungskonstante des auto sacramental, so auch in Calderóns El gran teatro
del mundo.
690 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
nicht leisten kann, ohne Rücksicht auf den Publikumsgeschmack und
dessen Bedürfnis nach Unterhaltung zu agieren. Entsprechend kann
das Schauspiel der sakralen Reformökonomie nicht ohne Störelemente
stattfinden. Ein solches Element ist beispielsweise Doña Guiomar, jene
exzeptionelle femina oeconomica, die sich unter einem neoklassischen
Tarnkleid bereits die Hosen4 einer gänzlich unsentimentalen männlichen Autorität angezogen hat und als zivile Heldin herbeieilt, um ihre
Familie aus dem Außen5 heraus vor dem moralischen und finanziellen Ruin zu bewahren. Ein vermutlich bewusst inszenierter und den
wachsamen Augen der Zensur offenbar entgangener Augenblick des
Bruchs ist auch der Moment, in dem die biblische Symbolik der von
Comella in El buen labrador ausgestalteten Abendmahlsszene statt der
sakralen aufklärerischen Reformökonomie liberalistische und damit
antimonarchistische Werte performativ vermittelt. Ein Rauschen im
theatralen Diskurs entsteht überdies, wenn ein Stück wie Los menestrales rhetorisch zwar das Lob des Handwerkers in den Vordergrund
stellt, letztlich aber die Undurchlässigkeit eines feudalen Systems affirmiert, in dem der Schuster entweder bei seinem Leisten zu bleiben
hat oder im Gefängnis endet. Zu solchen Störfällen kommt es freilich
nur selten. Nichtsdestotrotz verdeutlichen gerade sie, dass (Macht-)
Diskurse immer auch das aus ihnen Ausgeschlossene und Verdrängte
offenbaren.
Das aufklärerische Reformtheater der spanischen Spätaufklärung
ist zumindest in den Momenten, in denen die propagandistische Instrumentalisierung des Theaterbetriebs gelingt, Teil des gouvernementalen Machtdiskurses. Genau diese Ambition macht das reformierte
Theater aber auch anfällig für Heimsuchungen durch spektrale Erscheinungen wie die femina profusa. Geistererscheinungen dieser Art
führen dazu, dass im patriarchalen und autoritären Reformdiskurs
verdrängte Ängste und Unsicherheiten angesichts sich bereits abzeichnender Veränderungen zum Ausdruck kommen. Die den Markt
heimsuchende Konsumentin in Gestalt der petimetra ist eine Wiedergängerin solcher psychologischer Verdrängungsprozesse. Verdrängt
wird auch der Umstand, dass es sich beim politischen und ökonomischen System der Spätaufklärung um ein im Umbruch begriffenes
4
Vgl. Gálvez (2001: 252, vv. 729ff.), s.o. (vgl. Kap. 9.2.1).
Dieses Außen wird symbolisch durch die fernen Berge angezeigt, aus denen die
Figur stammt.
5
10. Fazit: Sakrale Ökonomie
691
handelt, das sich vom protoindustriellen und feudalen zum kapitalistischen und republikanischen zu wandeln beginnt. Wie die Schriften
Forondas und Cabarrús‘ zeigen, hat im Zuge dieses Prozesses auch
der Liberalismus bereits an die Pforten der spanischen Nation geklopft. Die Anthropologisierung des Ökonomischen, wie sie die comedia económico-sentimental vornimmt, offenbart eine sich bereits im
Vollzug befindliche Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die neben
den familiären, geschlechtlichen und freundschaftlichen Beziehungen
sowie den inneren Empfindungen auch die Religion betrifft. Die Gouvernementalität als Initiatorin dieses Prozesses bleibt selbst nicht von
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12.
PERSONENVERZEICHNIS
Agamben, Giorgio 175
Aggéri, Robert 532, 558
Aguilar Piñal, Francisco 367, 406ff., 438ff.,
456ff., 484, 636, 660
Aguirre, Manuel de 139, 637f.
Akdere, Çinla 23, 208
Alas, Leopoldo (Pseud.: Clarín) 330, 353,
400
Alberti, Leon Battista 232, 597
Alcalá Galiano, Antonio 104, 139, 346
Alemán, Mateo 640
Alembert, Jean-Baptiste le Rond d‘ 34,
103, 420ff.
Alfonso X. 411
Alonso, José 160
Álvarez Barrientos, Joaquín 42, 44, 123,
196, 202, 217, 313, 320, 340, 355, 395,
636
Álvarez Osorio de Redín, Miguel 413
Amar, Josefa de 257
Andioc, René 42, 313, 320, 381, 439, 446,
470, 579, 581, 588ff., 636, 648, 656, 668
Angulo Egea, María 200f., 218ff., 263,
275, 281f., 283, 289, 295, 304, 312,
334, 396f., 504, 580, 609
Aquin, Thomas von 250f., 410, 462, 598
Aranda, Pedro Pablo Abarca de Bolea,
Conde de 60, 73, 89ff., 146, 193
Arendt, Hannah 415, 424f.
Argemí d‘Abadal, Lluís 124ff.
Arias, Antonio Sandalio de 136
Aristoteles 26, 195, 246f., 260ff., 277,
335, 339, 413ff.
Armona y Murga, José Antonio de 452
Arreguí, Juan P. 285f.
Arriquíbar, Nicolás de 104, 132, 151,
166, 347, 457
Arroyal, León de 32, 135, 139f., 257
Arteta de Monteseguro, Antonio 142,
189, 346f., 351, 426f.
Artola, Miguel 265
Astigarraga, Jesús 34, 42, 87, 118, 120,
125ff., 136f., 148ff., 347
Augustinus 279f., 410, 415, 462
Azpiazu, José Antonio 155f., 182, 389
Babeau, Patrice 12, 409
Bachelard, Gaston 288
Bachmann-Medick, Doris 35f.
Bacon, Francis 187, 422, 426
Balke, Friedrich 297
Balzac, Honoré de 208f., 239, 330, 688
Bandhauer-Schöffmann, Irene 230, 238
Barber, Elinor G. 218, 252
Barceló, Pedro 59
Baron, Christine 205f.
Barrenechea, José María 346f.
Barthes, Roland 642, 678
Bas Ordóñez, Guillermo 156
Bauer, Manuel 35f., 49ff., 225, 329, 669
Bayle, Pierre 127
Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron
de 206, 213, 246, 318f., 375, 388, 485
Bègue de Presle, Achille Guillaume 668
Béguelin, Heinrich von 172
Belda Planas, Francisco 330
Belgrano, Manuel 129
Belluga de Moncada, Juan 112
Benavides, Manuel 182
Bentham, Jeremy 225, 233f., 661, 675
744 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Berghoff, Hartmut 25
Bergmann, Barbara 226
Bernhart, Toni 435
Bertucci, Paola 422f.
Beysterveldt, Antonie A. van 302
Bhabha, Homi K. 651
Bielfeld, Jakob Friedrich von 93, 104,
182, 185
Bitar Letayf, Marcelo 103
Blaschke, Bernd 38, 50, 223, 230ff.
Blumenberg, Hans 20
Bly, Peter A. 330
Bolufer Peruga, Mónica 44, 94, 107, 151,
257, 286, 289, 570ff., 630, 636, 641f.,
663, 668, 670, 671ff.
Borsò, Vittoria 12, 26, 34
Borstel, Stefan von 17
Botella y Andrés, Francisco 353, 400
Botelou, Claude 136
Botero, Giovanni 112, 117
Botti, Domingo 246
Bourdieu, Pierre 226, 272, 501f.
Bourgoing, Jean-François de 72, 370
Boyle, Margaret E. 580
Brandenberger, Tobias 579
Brandstetter, Gabriele 209
Braudel, Fernand 433
Bravo-Villasante, Carmen 369
Briesemeister, Dietrich 202, 367, 534
Brieva, Matías 509
Bruna y Ahumada, Francisco de 426
Brunel, Antoine 442
Brunner, Horst 434
Brunner, Otto 219
Buchan, Williams 668
Buthmann, Sigrid 531, 534
Butler, Joseph 678
Butler, Judith 39
Cabarrús, Francisco Conde de 64, 66,
104, 126, 129. 138f., 160, 204, 248,
257, 273, 300, 305ff., 342, 351, 671,
691
Cadalso, José 106, 117, 120, 293, 301,
517, 528, 548, 630, 633
Calderón de la Barca, Pedro 380, 489,
504, 646, 685, 689
Callahan, William J. 252f.
Camacho, Francisco 316
Cámara, Sixto Sáenz de la 353, 400
Camarero, Manuel 439
Campillo y Cossio, José del 88f., 103
Campomanes, Pedro Rodríguez, Conde
de 32, 44, 55, 58, 65, 68, 69f., 79, 81,
95, 100ff., 111ff., 129ff., 143ff., 160ff.
172ff., 183f., 186, 190f., 216, 265, 267,
306, 344, 345ff., 351f., 357f., 420, 426f.,
438, 448, 457, 506ff., 527, 560, 566,
572f., 603ff., 616ff., 626, 633f.
Campos, Jorge 42, 169, 282, 344, 351,
528, 562, 597, 606, 617
Cañadas, Ivan 47
Cañas Murillo, Jesús 22, 43, 274, 557
Cang-hi 512
Cantillon, Richard 103f., 118, 126, 132
Capmany Surís y de Montpalau, Antonio de (Pseud.: Palacio, Miguel Ramón del) 426f., 572
Carande, Ramón de 488
Carlos II. 57, 116f., 417
Carlos III. 19, 37, 53, 58, 60, 73, 86, 88f.,
92, 131, 140, 146, 154ff., 167, 181,
183, 257, 300, 347, 459, 472, 509, 528,
667, 672f., 682
Carlos IV. 32, 53, 86f., 89, 120, 131, 160,
170f., 513, 672, 682
Carnero, Guillermo 91, 134, 161, 202,
320, 667
Carolet, Denis 430
Carranza, Alonso 639
Carrera Pujal, Jaime 509
Carvajal y Lancaster, José de 89, 265
Caso González, José Miguel 135, 637
Castellano Castellano, Luís 100, 110,
118, 137, 364
Castrillón, Álvarez de 37, 62f., 64, 66,
69, 73ff., 76f., 91, 109, 153, 517, 523f.
Cavillac, Michel 225, 249
Caxa de Leruela, Miguel 111, 114, 291,
293
Ceballos, Jerónimo de 112
Cester, Joaquín 149, 156
Chambers, Ephraim 425, 436
Chaves Montoya, María Teresa 320
12. Personenverzeichnis
Cicero, Marcus Tullius 411
Cladera, Cristóbal 277
Clarín alias Leopoldo Alas 330, 353, 400
Clavijo y Fajardo, José 258, 367, 439
Colbert, Jean-Baptiste 30, 72, 97, 103,
110, 116, 121, 179, 392, 420, 426, 428
Collingwood, Sharon Lynn 429
Comella, Luciano Francisco 48, 53, 109,
127, 200, 204f., 220ff., 246f., 254ff.,
263ff., 280ff., 303f., 310ff., 321ff.,
337, 339, 344, 347, 363, 376, 381, 392,
395ff., 407, 409, 431, 437, 452, 478f.,
483, 504ff., 543, 550, 561ff., 579ff.,
609, 617ff., 626, 629, 643, 658ff., 672,
674, 690
Condillac, Étienne Bonnot de 32
Connell, Raewyn 237
Cotarelo y Mori, Emilio 640
Coulon, Mireille 42, 123, 320, 431
Couplet, Philippe 127
Courcelle, Olivier 422f.
Courcelle-Seneuil, Jean Gustave 238
Craywinckel y Hunneus, Francisco de
79
Crozet, François 61
Cruz, Ramón de la 42f., 123, 158, 196,
225, 280, 311, 366, 371, 377, 431, 579,
632, 645, 666
Dabout, Pedro 129
Dällenbach, Lucien 492
Dánvila Villarrasa, Bernardo Joaquín
635
Davis, Kathleen 649, 652
Dekker, Thomas 436f., 527
Défert, Daniel 26, 176
Defoe, Daniel 437f.
Deza, Lope de 114
Díaz Marcos, Ana María 630, 633
Díaz Marroquín, Lucía 340
Díaz Millán, Luis 499
Diderot, Denis 31, 34, 103, 137, 174,
195f., 217, 271, 284, 320, 344, 420,
422ff., 539, 542, 557, 634, 637, 671
Díez Borque, José María 240, 250, 301,
428, 479ff., 489, 498, 530, 565
745
Domínguez Ortiz, Antonio 57ff., 143,
413ff., 441ff., 482, 499
Dormer, Diego Jorge 158, 639
Dowling, John 42, 220, 310, 666
Duhamel du Monceau, Henri-Louis
130, 174, 420, 423
Durán, Francisco 44, 222, 243, 324, 330,
333, 343ff., 380ff., 409, 441, 451, 470,
479, 485, 495, 510, 511ff., 528, 534,
546, 560, 573, 591, 597, 601, 606ff.,
638, 644, 657ff., 689
Ebeling, Dietrich 316
Ebeling, Markus 343
Ebenhoch, Markus 11
Egido López, Teófanes 87, 367, 443
Eguílaz, Luís de 219
Elorza, Antonio 41, 104, 106, 121, 132,
139, 142, 606
Elósegui Itxaso, María 634, 638, 641
Eltis, David 33
Engelsing, Rolf 248
Ensenada, Zenón de Somodevilla y
Bengonechea Marqués de la 88ff.
Ertler, Klaus Dieter 21, 105, 134, 576
Espinosa y Brun, José de 277, 405, 636
Esquilache, Leopoldo de Gregorio
Marqués de 61, 99, 645, 651
Ewald, François 26, 176
Ezquerra, Joaquín 598, 662
Fabel, Oliver 228
Fajen, Robert 180
Falaky, Fayc̦al 423
Farnese, Elisabetta 644
Farr, James 72, 75, 145, 357, 403ff., 462,
500, 572, 602ff.
Favart, Charles-Simon 430
Feijoo, Benito Jerónimo 20, 32, 96, 105,
139, 342, 360, 366, 516, 637
Félibien, André 419
Felipe III. 59, 183
Felipe IV. 417, 639
Felipe V. 19, 87, 98, 177, 179, 183, 253,
265, 367
Fenouillot de Falbaire de Quingey,
Charles Georges 213, 371f., 373f.
746 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Ferber, Marianne A. 226ff.
Fernández Cabezón, Rosalía 218, 221f.,
260, 292f., 396, 504, 516, 598, 662
Fernández de Moratín, Leandro 202,
240, 307ff., 341, 396, 582
Fernández de Moratín, Nicolás 48, 205,
259, 280, 282, 305, 312, 367, 379,
438f., 661, 664, 666
Fernández de Navarrete, Martín 105,
110f., 113
Fernández Sebastián, Javier 120
Filangieri, Gaetano 104, 133, 166
Floeck, Wilfried 106
Floridablanca, José Moñino y Redondo,
Conde de 60, 90, 100, 131, 347, 636
Fodor, Michael 318, 320, 329, 388, 392
Folbre, Nancy 227, 229
Fontana, Alessandro 126
Fontanella, Lee 355
Force, Pierre 162
Forner, Juan Pablo 274
Foronda, Valentín de 55, 93, 95, 104,
129, 133, 151, 156, 161, 164, 182ff.,
204, 210, 216, 252f., 268, 277, 346,
351, 389, 422, 598, 600, 619, 626, 633,
662, 691
Fos, Joaquín Manuel 75, 370
Foucault, Michel 25f., 30, 47, 90, 93, 157,
175ff., 311, 362, 537f., 541, 611, 650,
654, 661, 689
Francos Rodríguez, José 353, 400
Frank, Ana Isabel 509
Frigerio, Bartolomeo 229
Fuente Merás, Manuel de la 109, 111f.,
157
Fuentes Quintana, Enrique 37, 41, 57,
62, 91, 93, 100, 105, 115, 124, 126,
165, 251, 316
Fuentes, Yvonne 31, 43f., 211, 213, 216f.,
220, 233, 253, 271, 292f., 300, 392,
411, 412ff., 439, 445, 488, 605, 607f.
Fulda, Daniel 38, 207f., 226, 254f., 270,
272, 281, 284f., 315, 370, 294, 443,
464, 537, 594, 654, 676f.
Fuzelier, Louis 430
Gálvez de Cabrera, María Rosa 36, 44,
205, 225, 280, 289, 577ff., 591f., 595,
602, 613, 626, 628f., 636, 645ff., 656f.,
661, 668, 690
Gamborino, Miguel 430f.
Gándara, Abate de 79, 103ff., 121
García Asensio, Miguel 439
García de la Concha, Víctor 320
García Garrosa, María Jesús 31, 43f.,
142f., 210f., 214ff., 246, 253, 271,
291ff., 303, 317, 321, 323, 341, 344,
371ff., 394, 396, 401, 405, 409, 441,
530ff., 560
García León, José María 82
García Sánchez, Justo 170
García Sanz, Ángel 160
García-Fernández, Máximo 157, 287,
641
Gausa, Miguel de Múzquiz y Goyeneche, Conde de 306, 342
Gehring, Petra 177
Geisler, Eberhardt 113, 220, 249, 252,
269, 478
Gelz, Andreas 92, 106, 180
Generés, Miguel Dámaso 119, 346, 351
Genovesi, Antonio 58, 95, 104, 155, 166
Gerhard, Ute 25
Gerstner, Jan 404
Gervais, Pierre 255, 267ff., 292, 596
Gies, David Thatcher 12, 26, 38, 44, 127,
217, 219, 232f., 267, 274f., 298, 330,
347, 350ff., 369, 399f., 573, 581ff.,
606ff., 664, 666
Gil, Tomás 334
Gittermann, Alexandra 58, 61, 88, 92,
104, 135, 140, 155, 160, 166, 171, 645
Godoy, Manuel de 60, 65, 67, 90, 120,
135, 140, 170
Goldoni, Carlo 206, 226, 484, 557f.
Gömmel, Rainer 72, 97, 126, 135
González Cañal, Rafael 638ff.
González de Cellorigo, Martín 105,
112f., 117, 267
González de Mendoza, Juan 127
González Enciso, Agustín 72
González Llanas, Félix 353
Gonzalo, Arias 638
12. Personenverzeichnis
Gottsched, Johann Christoph 94, 284
Gournay, Vincent de 103, 174
Goya, Francisco de 33, 43, 68, 408, 670
Graef, Juan Enrique 21f., 82, 105f., 142,
181, 182f., 236, 263, 266, 275, 361,
421, 426f., 644
Greimas, Algirdas J. 518
Grewe, Andrea 429ff.
Grice-Hutchinson, Marjorie 67, 82, 103,
108f., 117, 165, 316
Gronemann, Claudia 45, 250
Grünnagel, Christian 220
Guevara, Antonio de 487f.
Guinard, Paul Jacques 247, 261, 294,
304, 318ff., 372ff., 381ff., 396
Gumbrecht, Hans-Ulrich 279f., 355
Gusdorf, Georges 273
Gutiérrez de los Ríos, Gaspar 416, 481
Guzmán, Pedro de 413
Habermann, Friederike 49f., 224ff.,
387f., 392, 674ff.
Habermas, Jürgen 279, 286f., 290, 295
Hahn, Kurt 220
Haidt, Rebecca 43, 53, 123, 267, 404,
430ff., 566, 572, 627, 629, 631, 633,
642, 667, 669f.
Hale, Jane A. 131, 271
Hartmann, Heidi 227
Hassauer, Friederike 301, 574, 581
Hauptmann, Gerhart 353
Hayek, Friedrich August von 669
Healey, F.G. 419ff., 464
Hechel, Andrea 18
Heller, Jakob C. 404
Hempel, Dirk 230f.
Henn, Volker 316
Henningsen, Peter 298
Heras, Natalia 261
Herr, Richard 41, 67, 69, 70, 72ff., 145,
345, 355, 370, 509, 616
Herrera de Contreras, García 112
Heße, Kristina 45, 236f., 365, 592, 629ff.,
642, 644, 646, 654, 669, 672
Hobbes, Thomas 461, 493
Hobisch, Elisabeth 21, 134
747
Hoffmann, Judith 48, 194ff., 219, 230,
238, 273, 319f., 438f., 452
Hohl, Peter 245, 329
Holbach, Rudolf 316
Hontanilla, Ana 43, 123, 267, 426, 572,
632, 670, 672
Horia, Vintilă 331
Huarte de San Juan, Juan 574
Huerta Viñas, Fernando 526f., 568f.
Hume, David 20, 104, 133, 164, 185, 187,
634f., 637
Hunter, George K. 436
Hurtado de Alcocer, Pedro 112
Iriarte, Tomás de 38, 42, 124, 193, 206,
222, 240, 259, 280, 301, 305, 307f.,
312, 324, 333ff., 343f., 379f., 390,
393, 396, 440, 442, 453, 479, 550, 578,
583, 587, 600, 610, 622, 626, 629, 645,
648ff.
Isenmann, Mechthild 316
Jacobs, Helmut C. 68, 191, 408, 414ff.,
423, 426f., 448, 462f., 606
Jahn, Bernhard 652, 654
Jehle, Peter 23, 38, 48, 47, 189, 193ff.,
239ff., 258, 282f., 304, 311f., 364, 391,
395, 417f., 446, 458, 550, 562, 564,
577f., 590, 632, 645, 651,654, 678
Jiménez Patón, Bartolomé 638, 640
Johnson, Jerry L. 323
Joseph II. 508, 511
Joubert, Claude 421
Jovellanos, Gaspar Melchor de 20ff., 55,
65, 68, 76, 85, 91, 95ff., 100, 104ff.,
111, 117, 131ff., 161ff., 172, 178, 180,
183, 186, 191ff., 258, 262f., 273f.,
302, 306, 323, 348f., 357, 360f., 377,
380, 438f., 440, 488, 509f., 561, 602,
617f.637, 667
Justi, Johann Heinrich Gottlob von 93
Kaiser von China 506ff.
Kamecke, Gernot 120, 171
Kammler, Clemens 177
Kantorowicz, Ernst 97f., 471
Kany, Charles E. 200, 678, 311
748 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Kaplan, Steven L. 425
Kendrick, Matthew 437
Klein, Inga 24f., 27, 30
Klump, Rainer 72, 97, 126, 135
Koepp, Cynthia 424f.
Komorowska, Agnieszka 11, 240, 250f.,
275, 302, 317, 493, 536
Kopf, Kristin 435
Krauss, Werner 248, 300, 366
Künzel, Christine 230f.
Küpper, Joachim 297
La Fontaine, Jean de 428, 430
La Force, James Clayburn Jr. 360
Laborde, André 171
Ladvenant, María 68, 196
Lafarga, Francisco 484
Lagarde, André 217f.
Lama, Miguel Ángel 274
Larrère, Catherine 635
Larruga Boneta, Eugenio 577
Lascoumes, Pierre 26
Le Goff, Jacques 254, 592
Le Guin, Elisabeth 199
Lecomte, Louis 128
Leibniz, Gottfried Wilhelm 127
Leinwand, Theodore B. 329
Lemke, Meike 227, 230
Lenoble, Eustache 531
Léon, Fray Luis de 257, 481
Lesage, Alain-René 429f.
Lescarbot, Marc 278
Lessing, Gotthold Ephraim 31, 94, 284
Lillo, George 31, 210ff., 247, 260, 299f.,
336, 392, 437
Link, Jürgen 25, 47, 280, 568
Llanos Mardones, Bernadita 217, 298,
302, 357
Llombart Rosa, Vicent 27, 32f., 62, 65,
85ff., 96, 99, 130, 132, 134f., 161f.,
167ff., 178, 347, 360, 506f.
Llorens, Vicente 355
Lluch Martín, Ernest 93, 124ff., 160, 165,
346f.
Lope, Hans-Joachim 633f., 638
López Barahona, Victoria 45
López Bravo, Mateo 413
López de Ayala, Adelardo 219, 400
López de Ayala, Ignacio de 319, 411,
439
López, François 135
López, Roberto J. 32
López-Cordón Cortezo, María Victoria
86ff., 106, 164, 203f., 472
Lorenzo Álvarez, Elena de 196, 261
Loyseau, Charles 418
Lukacs, John A. 279, 286ff.
Lütge, Christoph 24, 82, 185, 225, 269,
254, 316, 635
Luzán, Ignacio de 37, 196f., 204, 280f.,
335
Mably, Gabriel Bonnot de 133, 511
Macanaz, Melchor de 98, 252f., 367, 426,
472
MacLachlan, Colin 58, 69, 72, 87ff., 150,
252f., 318
Mahalik, Christa
Manrique, Gómez 411, 472f.
Maravall, José Antonio 42, 62, 238, 181,
218, 222, 252ff., 273f., 278f., 300f.,
304f., 307, 312f., 335, 342, 344, 348,
350f., 397, 402, 410ff., 479ff., 562
Marcandier, Philippe 174
Marcos Martín, Alberto 60ff., 84, 96,
140ff., 159
Marti, Marc 34, 96, 98ff., 112, 124ff.,
152f., 159, 274, 306, 311, 392, 487f.,
527f.
Martin, Isabelle 429, 433f., 437
Martín Rodríguez, Manuel 115f., 148
Martínez Chacón, Elvira 638
Martínez de Mata, Francisco 117
Martínez Mata, Emilio 633, 635
Martinuzzi, Paola 430, 432f.
Marx, Karl 208f., 402f., 563, 571
Maschewski, Felix 49, 227
Mayans y Siscar, Gregorio de 92, 367
McCallam, David 652
McClelland, Ivy 42, 213, 216f., 282, 292,
303, 439, 562
McCloskey, Deirdre/Donald 12, 210f.,
226ff., 241, 254, 259, 262, 345, 598,
678
12. Personenverzeichnis
McTague, Michael J. 329
McVeagh, John 331
Medinilla, Baltasar de 112
Meléndez Pelayo, Marcelino 308f., 484
Melon, Jean François 110
Mendels, Franklin F. 77
Méndez Vázquez, Josefina 419, 573,
603f., 606, 618
Mercader Riba, Juan 60
Mercado, Tomás de 247, 251
Mercier, Louis-Sébastien 206, 213, 215,
217, 292, 302, 318, 388, 409, 482,
531ff., 543, 557f.
Mercier de la Rivière, Paul Pierre 133
Merkle, Sebastian 366
Mestre, Antonio 366f.
Michalitsch, Gabriele 233
Michard, Michel 217f.
Michel, Karin 37
Mill, James 171
Mill, John Stuart 224, 233f., 296
Milliot, Vincent 428ff.
Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti,
Comte de 103, 128f., 132
Molina, Garcés de 112
Möller, Beate 22, 68, 134, 166, 168, 171
Moncada, Sancho de 105, 110ff., 130f.
Moncín, Luis 261, 367
Montagut Contreras, Eduardo 168
Montemayor, Jorge de 488
Montengón, Pedro 488, 528
Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 106, 126f., 133, 185, 210, 633,
635
Montijo, María Francisca de Sales Portocarrero, Condesa de 92, 636f.
Moral Roncal, Antonio Manuel 424,
447f., 449f.
Müller, Ursula 237
Muñoz, Antonio (alias Ramos, Enrique)
98, 104, 216, 349, 427, 512
Musgrave, Elizabeth 145, 572, 603
Narbona, Eugenio de 112
Nebrija, Antonio de 411
Necker, Jacques 104, 166
Nelson, Bryan 330
749
Nelson, Julie A. 226f.
Nicolosi, Battista 172
Niklaus, Robert 213, 215, 246ff., 318f.,
329, 375f., 398
Nipho, Francisco Mariano 93, 120, 604
Nixon, Jude V. 331
Normante y Carcavilla, Lorenzo 119,
165, 344, 347
North, Michael 255
Nuth, Hildegunde 331
O’Boyle, Edward 229
O’Connor, Carrie 330
Ocampo Suárez-Valdés, Joaquín 12, 21,
28 41, 67f., 70f., 74, 76f., 82, 85ff., 90,
96, 99, 101ff., 111, 119f., 132, 134f.,
138ff., 153, 156ff., 167ff., 185f., 346f.,
351, 360f., 410ff., 420, 456f.
Ocaño, Marco 198
Olavide y Jáuregui, Pablo de 32, 92,
104, 126, 131f., 135, 174f., 438, 457,
488, 509
Onaindía, Mario 92, 193
Ortiz, Luis de 105, 110, 113, 116, 413
Österbaur, Veronika 11, 343
Ozanam, Didier 87
Palacio, Miguel Ramón del (alias Capmany Surís y de Montpalau, Antonio de) 426f., 572
Palacios Fernández, Emilio 42, 247, 271,
281f., 302, 304, 367, 396, 409, 452,
484, 490
Pannard, Charles-François 430
Pantaleoni, Maffeo 229
Pappano, Margaret Aziza 435f.
Pappas, John 271
Pareto, Vilfredo 229
Parr, Rolf 25, 177
Partzsch, Henriette 579
Passeron, Jean-Claude 501
Pataky-Kosove, Joan L. 220, 293
Patiño, José 88f.
Pattullo, Henry 129
Peñaflorida, Xavier María de Munibe e
Idiáquez, Conde de 132, 150
750 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Perdices Blas, Luís 33, 73, 105, 108f.,
111ff., 126, 129ff., 158, 167, 174f., 488
Perea Rodríguez, Óscar 412
Pérez Abril, Dora 635
Pérez Álvarez, María José 613
Pérez Galdós, Benito 330, 353, 400
Pérez-García, Manuel 41, 43, 78, 80f.,
83, 122f., 267ff., 673f.
Pérez Magallón, Jesús 274, 305
Pérez Sarrión, Guillermo 41, 60f., 70,
74f., 78ff., 88ff., 101, 115, 122, 141,
145f., 346
Pérez y López, Antonio Xavier 139, 142,
426
Perkins Gilman, Charlotte 233
Perrupato, Sebastián 92
Perry, Norma 246, 318
Persky, Joseph 229
Petty, William 103
Pietschmann, Horst 57ff., 115, 261, 335,
355, 446, 470, 505, 548
Pignol, Claire 23, 208
Piketty, Thomas 209
Pinot, Virgile 511f.
Pinto, Mario di 220f., 396
Piron, Alexis 430
Platon 259
Plumard de Dangeul, Louis-Joseph 174
Poirson, Martial 12, 409, 433
Polt, John H.R 488
Ponz, Antonio 509
Pressavin, Jean-Baptiste 688
Proust, Jacques 174
Provost, Abbé de 303
Provost, Audrey 635
Quesnay, François 104, 125f., 128f., 135,
511f.
Quiñones de Benavente, Luis 639f.
Quintana y Lorenzo, Manuel José 426
Quinto, Agustín de 136
Ramón, Tomás Fray 638
Ramos, Enrique (Pseud.: Muñoz, Antonio) 98, 104, 216, 349, 427, 512
Ramos-Gorostiza, José Luis 33
Rautzenberg, Markus 297
Régaldo, Marc 247, 329
Reichel, Jörn 434
Reichert, Eckhart 615
Reichert, Friedrich 316
Reina, Casiodoro de 379, 382
Rejón y Lucas, Diego Ventura 488
Rétat, Pierre 635
Reufels, Bernd 17
Reuthner, Rosa 625
Rey, Fermín del 405, 407ff., 437, 469, 479,
483ff., 504, 519, 555, 565, 618, 625
Reyes Palacios, Felipe 484
Ribadeneyra, Pedro de 100
Rice, Nicole R. 435f.
Richarz, Irmintraut 279
Richter, Sandra 50
Riedel, Wolfgang 35
Riehl, Wilhelm 286f.
Ripa, Cesare 232
Ripoll, Domingo María 431
Rivière, Paul-Pierre Mercier de la 133
Robles, Juan de 413
Rodríguez Cacho, Lina 640
Rodríguez de la Flor Adánez, Fernando
320
Rodríguez, Rodney T. 330
Rohrbeck, Johannes 44
Rollán, Cristina 182
Romá y Rosell, Francisco 347, 634
Rommel, Thomas 218, 231, 260, 299f.,
329, 635
Rosser, Gervase 404
Rother, Wolfgang 44
Roulston, Chris 288f.
Rouse, Michel 429
Rousseau, Jean-Jacques 29, 138f., 162,
198, 236, 306, 319, 366, 391
Rousselot de la Surgy, Jacques Philibert
126, 511
Rudolf, Gerd 298
Ruhe, Cornelia 227, 230
Rust, Holger 232, 245, 331ff.
Saavedra Fajardo, Diego de 117
Sahelly i Sabi, Àngels M. 75
Sala Valldaura, Josep María 44, 196,
199, 218
12. Personenverzeichnis
Salomon, Noël 489
Samaniego, Félix María 151, 637
Sánchez, Juan José 355
Sánchez, Pedro Antonio 140
Sánchez Agesta, Luis 139, 516
Sánchez-Albornoz y Aboín, Nicolás 251
Sánchez-Blanco, Francisco 302, 305, 307
Sánchez de Arévalo, Rodrigo 411
Sánchez Pérez, Aquilino 66
Sarrailh, Jean 41, 370
Sartre, Jean-Paul 493
Savary, Jacques 82, 85, 238, 344, 392, 434
Schaefer, Christina 200, 262, 597f.
Schaub, Mirjam 297
Schilling, Michael 652
Schlünder, Susanne 11, 33, 45, 225f.,
296f., 310f., 334, 368, 389f.
Schmid, Wolfgang 316
Schmitt, Christian 404
Schneider, Ulrich Johannes 177
Schomacher, Esther 223f., 226, 229, 234,
297f., 377
Schößler, Franziska 226ff., 568, 613,
662f.
Schuhen, Gregor 225, 235, 289, 431, 579
Schumpeter, Joseph A. 46, 70, 91, 95,
122, 124ff., 136f., 160, 178, 229, 238
Sebold, Russell P. 42, 197, 204, 301,
308f., 334ff., 342, 352
Sedaine, Jean-Michel 246, 255, 302, 319,
375f., 388, 430, 542
Semedo, Álvarez 127
Sempere y Guarinos, Juan 92, 440, 634f.
Serna, Juan M. 33
Serra, Narciso 219
Sevilla, Isidoro de 415
Sewell, William Jr. 425
Sheridan, Frances 303
Shi, Zhan 126ff.
Skambraks, Tanja 522
Smith, Adam 20, 32, 37, 50f., 104, 118f.,
121, 160ff., 178f., 211f., 216, 218, 224,
228f., 233ff., 346, 388, 392, 403, 635,
637, 671, 673, 675f.
Sombart, Werner 238
Souny, Claudine 330
Spranger, Eduard 229
751
St. Victor, Hugo de 415f.
Stackelberg, Jürgen von 218
Stahl, Andrea 11, 45, 76, 153, 296f., 334,
497
Stahl, Christian 237
Steele, Richard 120, 186, 206, 319
Stollberg-Rillinger, Barbara 219, 575
Strosetzki, Christoph 11f., 24, 82, 185,
225, 247ff., 277, 280, 316, 329, 344,
392, 413, 635
Strugnell, Anthony 634
Struve, Karen 12, 33, 187
Struzzi, Alberto 615
Suárez Cano, Patricia 41, 90, 410f., 413f.
Süssenbach, Christina 233
Tamayo y Baús, Manuel 219, 399
Tasso, Torquato 597
Terwey, Alexander 17
Thoma, Yann 12, 409
Thomasseau, Jean Marie 247, 329
Thompson, Edward P. 50, 194
Tietz, Manfred 12, 106, 119, 200, 202,
206, 249ff., 367, 414, 426, 469, 470,
534, 633
Tissot, Auguste 668
Tobar Quintanar, María José 640
Tooze, Adam J. 25
Topete, Jorge Alberto 270, 283
Toro, Alfonso de 300f., 340
Torquemada, Tomás de 640
Torras Elías, Jaume 641f., 644
Torres Naharro, Bartolomé 120, 412
Townsend, Joseph 355
Trigault, Nicolas 127
Trigueros, Cándido María de 214, 221,
241, 278, 302, 406, 408, 427, 438ff.,
468, 479, 489, 495, 495ff., 530, 549,
556, 561, 563, 566f., 629, 641, 660
Trigueros, Serafín 129
Trott, David 430
Tschilschke, Christian von 11f., 36, 41,
43f., 86, 105ff., 109ff., 119, 180, 205,
225f., 231, 234, 241, 279, 289, 333,
343, 347, 366, 442f., 488, 509, 561,
576, 579ff., 591, 644
Tull, Henry Jethro William 131
752 Die Anthropologisierung des Ökonomischen in spanischen Komödien
Turgot, Anne Robert Jacques 32, 103,
135
Ulloa, Bernardo de 103, 110, 117, 158
Urban, Urs 11f., 36, 49, 113, 124, 206,
220, 225, 482
Urzainqui, Inmaculada 202, 240, 347,
350, 367f.
Usoz Utal, Javier 125, 128f., 136, 138,
351
Uztáriz, Jerónimo de 103, 110, 158, 253,
346
Valencia, Pedro de 413
Valera, Cipriano de 379
Valladares de Sotomayor, Antonio 53,
204, 214, 216, 243, 281, 283, 246f.,
261, 292, 294f., 303f., 317ff., 333, 338,
364, 371ff., 393ff., 406ff., 450, 464ff.,
482, 515, 530ff., 559ff., 577, 590,
592ff., 608, 622, 626, 660
Van Cleve, John 248, 329
Varela Suanzes-Carpegna, Joaquín 118
Varela, José Luis 355
Vázquez, Juan 112
Vega Carpio, Lope Félix de 194, 196,
201, 220, 250f., 255, 301, 317, 414,
478, 487ff., 536
Velázquez, Diego 639
Vendrix, Philipp 430
Venohr, Dagmar 678
Ventura Rejón y Lucas, Diego 488
Vergil 481f., 518
Vicens Vives, Jaume 60f., 64, 67, 448,
500
Vicente, Marta M. 634
Viera y Clavijo, José de 439
Vila y Camps, Antonio 186, 682
Vilar Berrogain, Jean 109
Villamediana González, Leticia 120
Villarutia, Jacobo de 303
Villena, Enrique de 411
Viner, Jacob 116
Vitore, Hugo de 416
Vives, Juan Luis 257, 574
Vogel, Jakob 25
Vogl, Joseph 25f., 30, 35ff., 49, 93, 163,
210ff., 227, 245, 362, 364, 391f., 398,
454, 461, 493ff., 669, 673
Völkl, Yvonne 258, 299, 576
Volkmann, Laurenz 50, 231, 236, 635
Voltaire 107, 126ff., 246ff., 271, 302, 421
Voltmer, Rita 316
Wachendorff, Elke 297
Walter, Rolf 115, 124
Ward, Bernardo 100, 104, 110, 118, 131f.,
137, 159, 160, 162, 167, 174, 194, 229,
352, 364, 422, 457
Wegmann, Jürgen 260, 264, 339
Weinstock, Alexander 94, 273
Werkstätter, Christine 145, 603
Whitaker, Daniel S. 582
Wiedner, Saskia 220
Windmüller, Sonja 24f., 27, 30
Witthaus, Jan-Henrik 20ff., 49, 65, 88ff.,
101, 103, 106, 120, 122, 142, 181, 183,
222, 236, 263, 266, 275, 277, 305, 361,
397f., 421, 425, 427, 644
Woelki, Marion 227, 230
Wolf, Burkhardt 49, 227
Wolters, Nicholas A. 645, 650, 652
Wörsdörfer, Anna 195, 367
Wunderlich, Werner 49, 223, 229, 232,
400
Wyngaard, Amy S. 136f., 488
Young, Arthur 70
Yun Casalilla, Bartolomé 641f., 644
Zavala y Zamora, Gaspar 53, 204, 215,
217f., 246f., 261, 275, 281, 283, 291ff.,
317ff., 381, 392ff., 546
Zeibig, Dieter 260, 264, 339
Zeisberg, Simon 200, 225, 262
Zhu, Qianzhi 128
Ziegler, Béatrice 227, 230
Zilkens, Hubertus 260, 264, 339
Zill, Rüdiger 297
Zumel, Enrique 219
Beatrice Schuchardt ist Privatdozentin in der Iberoromanischen
Literaturwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster und ehemalige DFG-Stipendiatin. Aktuell vertritt sie
eine Professur für Spanische und Französische Literatur- und
Kulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Forschungsschwerpunkte umfassen E-Mail-Romane der hispanophonen und frankophonen Romania, die
lateinamerikanische novela negra sowie weibliches Schreiben
im Kontext von Exil und Migration in den Literaturen des Maghreb, Québecs und der Karibik.
Colección
La Cuestión Palpitante
Los siglos xviii y xix en España
Die Anthropologisierung des Ökonomischen
M
it der ‚Anthropologisierung des Ökonomischen‘
untersucht die vorliegende Studie, wie das
Wirtschaften in sentimentalen Wirtschaftskomödien
der Spätaufklärung (1762-1805) zur menschlichen Grundbedingung erklärt wird: Indem Traktate spanischer Reformökonomen des ausgehenden
18. Jahrhunderts ihren konkreten Niederschlag in Komödien
des spanischen Reformtheaters finden, wird dieses zum didaktischen Medium der Vermittlung guten und schlechten
Wirtschaftsverhaltens. Erstmals seit Schumpeter wird hier
ein aktueller deutschsprachiger Überblick über Strömungen
wirtschaftlichen Denkens im aufklärerischen Spanien und ihre
Vorläufer geboten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass dann,
wenn vom ‚ökonomischen Menschen‘ die Rede ist, meist der
‚ökonomische Mann‘ gemeint ist, entwickelt dieser Band für die
Figurentypen des aufklärerischen Reformtheaters in Spanien
ein geschlechts- und sektorspezifisches begriffliches Instrumentarium, das vom vir oeconomicus bis zur femina profusa
reicht. Neben Transferprozessen zwischen ökonomischem und
theatralem Diskurs und dem aufkeimenden Liberalismus steht
eine für Spanien charakteristische Bedeutung des Religiösen im
Fokus der Analyse, die mit dem Förderpreis der Universitätsgesellschaft Münster e.V. ausgezeichnet wurde.