Inhaltsverzeichnis
Das Problem der Referenz und der Bedeutung
in der Philosophie Hilary Putnams
Christian Straßer
15. September 2006
1 Einleitung
1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Struktur und Methodik dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Struktur und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 Putnams Bedeutungsbegriff und seine Stellung in der Geschichte der Philosophie
2.1 Historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Mill: Konnotation und Eigennamen . . . . . . . . . . .
2.1.2 Die deskriptionale Theorie der Eigennamen . . . . . . .
2.1.3 Die kausale Theorie der Eigennamen . . . . . . . . . .
Kripkes Kritik an der deskriptionalen Theorie der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kripkes kausale Theorie der Bedeutung . . . . . . . . .
2.2 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Warum Bedeutungen nicht im Kopf sind - einführende Gedankenexperimente zum Externalismus . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Wasser und Zwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2 Aluminium und Molybdän, Ulmen und Buchen . . . .
2.4 Die Rolle des Sprachkollektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Die sprachliche Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . .
Kausale Ketten und Experten . . . . . . . . . . . . . .
Die Drohung des Sprachspielpluralismus . . . . . . . .
2.5 Der Einfluss der Umwelt - Indexikalität . . . . . . . . . . . . .
2.6 Das Prinzip Vertrauensvorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7 Stereotypen und Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7.1 Stereotypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7.2 Semantische und syntaktische Marker . . . . . . . . . .
2.8 Der Bedeutungsvektor, Gebrauch und der Sprachspielinternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Referenz und Notwendigkeit
3.1 Kripke und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2 Kripkes Provokation: notwendige Aussagen a posteriori
Singuläre Identitätsaussagen . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeinerer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Putnams Argumentation in Die Bedeutung von ,Bedeutung’“
”
3.2.1 Das synchrone Argument . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Das diachrone Argument . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Variabilität der Extension und der Vorkommnisse . . .
Paradigmen und Typikalität . . . . . . . . . . . . . . .
Weitere Problematisierung mit Beispielen . . . . . . . .
Extension und die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . .
Extension im Kontrast von Umgangssprache und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2 De re versus De dicto . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3 Die inneren Struktur und die Wissenschaft . . . . . . .
3.3.4 Akzidenz, Essenz und die Varianz der Ähnlichkeitsrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kuhn und konkurrierende Essenzen . . . . . . . . . . .
Donnellan und die Arbitrarität der inneren Struktur . .
Hanna und der abduktive Essenzschluss . . . . . . . .
3.3.5 Wissenschaftliche Bedenken gegen das Zwillingserde Argument und der Eigenschaftsdualismus . . . . . . . . .
Kuhn und Hanna zum Ersten . . . . . . . . . . . . . .
Kuhn zum Zweiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.6 Apriorität der Identitätsaussagen . . . . . . . . . . . .
3.4 Putnams spätere Fassung des Begriffs der Notwendigkeit . . .
3.4.1 Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abschied von der metaphysischen Notwendigkeit . . . .
Die objektive physische commonsense Notwendigkeit .
Vagheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sprachspielrelativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fallibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Notwendigkeit und Kontextualität . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5.1 Analytizität und Rahmenprinzipien . . . . . . . . . . .
3.5.2 Notwendigkeit und Quasi-Notwendigkeit . . . . . . . .
3.5.3 Zurück zur Paradoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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97
4 Realismus und Referenz
100
4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
4.2 Kritik am metaphysischen Realismus . . . . . . . . . . . . . . 101
4.2.1 Reductio der idealen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 103
4.2.2 Indeterminiertheit der Referenz . . . . . . . . . . . . . 105
4.3 Sprache und Welt im internen Realismus . . . . . . . . . . . . 108
4.3.1 Einleitende Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4.3.2 Der ontologische Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . 110
4.3.3 Interner Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Eine versus viele Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Eine Welt ohne metaphysische Betonung . . . . . . . . 115
Putnams Wahrheitsbegriff im internen Realismus - Ein
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Sprachspielrelativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Bessere und schlechtere Texte . . . . . . . . . . . . . . 120
4.3.4 Indeterminiertheit der Referenz im internen Realismus? 122
4.3.5 Die Welt als gigantischer multidimensionaler Hase-Enten
Kopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.3.6 Exkurs: Putnam und die Quasi-Metaphorik . . . . . . 130
4.4 Die Wissenschaft und das Problem der Referenz . . . . . . . . 132
4.4.1 Kritik am Prinzip des Vertrauensvorschuss . . . . . . . 137
Reduction ad absurdum . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Warum und worauf vertrauen? . . . . . . . . . . . . . . 140
4.4.2 PVV und der interne Realismus . . . . . . . . . . . . 142
5 Ausblick
146
3
Kapitel 1
Einleitung
1.1
Motivation
Sich mit der Theorie der Bedeutung und Referenz zu beschäftigen ist in der
Philosophie in vielerlei Hinsicht sehr fruchtbar. Dies gilt, wie wir sehen werden, insbesondere für Putnams Philosophie. Hier kann man behaupten, dass
seine Gedanken zum Begriff der Bedeutung, wie er sie ausgehend von Schriften wie Meaning and Reference“ ([Put73b]) und in seiner bedeutenden Ab”
handlung The Meaning of ‘Meaning’“ ([Put75b]) entwickelt hat, den Motor
”
für vielerlei andere Denkansätze darstellen, die von klassisch metaphysisch
geprägten Themenfeldern bis hin zur Wissenschaftstheorie reichen.
Als sehr folgenreich wird sich dabei, was als die Wende hin zum Primat
der Referenz bezeichnet werden kann, erweisen.1 Mit Kripkes und Putnams
Ansätzen entwickelte sich eine kritische Gegenposition zu den bis dahin dominierenden deskriptionalen Bedeutungstheorien, die sich maßgeblich an Russells und Freges Konzeptionen orientieren, als auch zu operationalen oder
verifikationistischen Theorien.
Es soll kurz motivierend ein Ausblick gewährt werden auf Themengebiete, in denen sich die neue Theorie der Referenz ausgehend von Kripke und
Putnam prägnant niedergeschlagen hat.
In der Philosophie des Geistes kann man beispielsweise Putnams kritische
Distanzierung vom Funktionalismus als Konsequenz der neuen kausalen Bedeutungstheorie werten. Putnams bedeutungsexternalistische Überlegungen
ermöglichen ihm, zu einer umfangreichen Kritik des Mentalismus auszuholen,
für den Bedeutungen Produkte bzw. Funktionen2 der Gehirntätikeit darstellen (vgl. bspw. Repräsentation und Realität“ [Put88]).
”
Putnams Wissenschaftsphilosophie bewegt sich Hand in Hand mit sprachphilosophischen Betrachtungen (vgl. u.A. [Put74a]). Die geht manchen Autoren zu weit. So kritisiert Shapere diese Entwicklung massiv, da es sich
um eine Reduktion von philosophy of science“ auf philosophy of langua”
”
ge“ handle, die in einen Erklärungsnotstand gerät, wenn es um Begriffe der
Kontinuität und Vergleichbarkeit von Aussagen geht, denn beide are ex”
plained by looking at science not in terms of its linguistic aspects, but as
a process of inquiry in which reasons and evidence are provided for whatever changes are introduced“ ([Sha89] S.429).3 Andererseits kann Putnams
Denkansatz zur Bedeutung und Referenz als eine der wirksamsten argumentativen Stützen zur Kritik der einflussreichen wissenschaftsmethodologischen
Ansätze von bspw. Kuhn und Feyerabend (z.B. in [Put65a]), oder Popper
(z.B. in [Put74b]) gewertet werden. Putnams sprachphilosophische Überlegungen ermöglichen ihm einen Erklärungsansatz, warum wissenschaftlicher
Fortschritt möglich und verschiedene Theorien vergleichbar sind. Das Primat
der Referenz sichert einen gemeinsamen Bezug auf Entitäten, der in kontextsensitiven Ansätzen wie beispielsweise bei Kuhn zur Inkommensurabilität von
Theorien führt und damit wissenschaftlichen Fortschritt unmöglich macht.4
Nach Quines ersten großen Angriff auf Kants Begriffsopposition von ana”
lytisch“ und synthetisch“ stoß der damals noch junge Logiker Saul Kripke
”
mit Name und Notwendigkeit“ ([Kri81]) zu einer Erschütterung einer zwei”
ten zentralen Dichotomie im Denken Kants an: der Äquivalenz von Notwendigkeit und dem a priori“ Charakter von Aussagen, bzw. von Kontingenz
”
und dem a posteriori“ Charakter. Werden zunächst Eigennamen analysiert,
”
so nimmt sich Kripke am Ende der dritten Vorlesung auch Aussagen mit aposteriorischen Charakter wie Wasser ist H2 O“ vor und behauptet deren Not”
wendigkeit. Putnam verfeinert die Analysen (u.A. in [Put75b]) und integriert
sie in seine wissenschaftsphilosophischen Betrachtungen (vgl. v.a. [Put90a]).
Eine vieldiskutierte5 neue Verteidigungsstrategie eines wissenschaftlichen Essentialismus ist geboren.
Mit der Veröffentlichung seines Aufsatzes Brains in a vat“ ([Put81a])
”
sorgte Putnam mit einer Widerlegung des radikalen Descartschen Skeptizismus für Aufsehen. Die Argumentation beruht wesentlich auf seinem seman2
In der Sekundärliteratur kann man diesen Ansatz in verschiedenen Ausdrücken wiederfinden, so spricht u.A. Salmon von der theory of direct reference“ (vgl. [Sal81]), Sha”
pere spricht gar von einer theory of reference as opposed to a theory of meaning as the
”
key to solving the problem of theory comparison“ ([Sha89] S.424).
Putnam hat selbst lange einen Funktionalismus propagiert.
Zu Shaperes Kritik mehr in 4.4
4
Wenn man Fortschritt begrifflich nicht ganz einfach als quantitatives Anwachsen auffasst.
5
Vergleiche dazu die detaillierten Auseinandersetzungen wie Donnellan (in [Don93],
[Don83]), Salmon (bspw. in [Sal81], [Sal79]) oder Zemach ([Zem76]).
4
5
1
3
tischen Externalismus. Diese Schrift wird neben seinen modelltheoretisch geprägten Schriften wie Modelle und Wirklichkeit“ ([Put80a]) vielfach auch
”
als Angriff auf den metaphysischen Realismus gewertet.6
Vor allem in Opposition zum metaphysischen Realismus entwickelt Putnam beginnend in den späten 70iger Jahren seinen sog. internen Realismus.
In der Tradition Kants erkennt Putnam, dass unser Zugang zur Welt jeweils über conceptual schemes“ erfolgt. Im Gegensatz zu seiner Interpre”
tation Goodmans will er nicht die eine Welt aufgeben, in dem Sinne, dass
wir es sind, die sich verschiedene Welten durch bzw. in den verschiedenen
begrifflichen Zugängen konstruieren. Es soll sich aber auch nicht um eine
Fertigwelt“ im Sinne des metaphysischen Realismus, um eine noumenale,
”
geistunabhängige Welt handeln. Daneben soll Putnams Konzeption die mit
seiner Auffassung von Realismus unangenehme Indeterminiertheit der Referenz vermeiden. Hierbei verallgemeinert er u.A. Resultate aus der Philosophie
Quines zur Indeterminiertheit der Referenz und wendet sie neben anderen
modelltheoretischen Ansätzen kritisch gegen den metaphysischen Realismus.
Ausgehend von Überlegungen betreffend der Wahrnehmung vor allem beeinflusst von William James7 kommt der Realismus in Putnams Spätphase
nochmals unter einen neuen Nenner: der sog. direkte“ oder natürliche“ 8
”
”
Realismus. Kritisiert wird hier vor allem der Gedanke, dass der Zugang zur
Welt über eine Schnittstelle verläuft, etwa in der Wahrnehmung über sog.
Sinnesdaten, oder in der Sprache über symbolische Repräsentationen. Wenn
es auch richtig ist, dass uns Objekte nicht unabhängig von Begriffschemas“
”
gegeben sind, so sollen diese doch nicht als Kluft zwischen Kognitivem und
der Außenwelt“ aufgefasst werden. Die idea that our cognitive powers can”
”
not reach all the way to the objects themselves“ bezeichnet Putnam als di”
saster“ 9 . Eine, wenn nicht die zentrale Frage des internen Realismus“, das
”
how does language hook on to the world“ wird im direkten Realismus a
”
”
replay of the old ‘how does perception hook on to the world’ issue“ ([Put99]
S. 12).
Ich benutze den Begriff Theorie“ im Zusammenhang mit Putnams Schrif”
ten zu den Begriffen Bedeutung und Referenz im schwachen Sinne. Putnam
hat sich, wie auch Kripke wiederholt von dem Vorhaben distanziert, eine
Theorie der Bedeutung ausarbeiten zu wollen. Deshalb habe im Folgenden
der Begriff Theorie in diesem Zusammenhang jeweils die schwache Bedeutung, etwa systematisierter, strukturierter Denkansatz, aber ohne Anspruch
6
vgl. bspw. [Sch96]
vgl. etwa [Put90b], sowie die Dewey Lectures“ wiederveröffentlicht in [Put99]
”
8
vgl. [Put99] S. 10
9
[Put94a] S. 453, ebenso wörtlich in [Put99] S. 10
7
6
auf absolute Allgemeingültigkeit. Wie Putnam in späteren Schriften anmerkt,
unterliegt auch der Begriff der Bedeutung je nach Sprachspiel, das gerade gespielt wird, Schwankungen und die Bedeutung eines Ausdrucks kann jeweils
nur mit Hilfe von Ausdrücken aus dem Sprachspiel in dem er verwendet
wird erklärt werden. Dieser Sprachspiel-Internalismus macht eine umfassende Theorie der Bedeutung mit Anspruch auf Objektivität sehr problematisch.
Das macht es aber nicht weniger sinnvoll, vom Begriff der Bedeutung ein Bild
zu entwerfen.
1.2
Struktur und Methodik dieser Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen strukturiert:
In Kapitel 2 beschäftigen wir uns mit Putnams Bedeutungs- und Referenzbegriff und seine Stellung in der Geschichte der Philosophie. Wir untersuchen dabei zentrale Entwicklungen in der Philosophie des Eigennamens,
über die Anfänge bei Mill, die deskriptionale Theorie bei Russell und Frege, bis hin zu Kripkes kausaler Theorie. Wir verschaffen uns einen Überblick
über die zentralen Thesen aus Die Bedeutung von ‘Bedeutung’“ und anderen
”
wichtigen Schriften Putnams zum Thema Referenz und Bedeutung.
Aus den vielschichtigen Anwendungen von Putnams Konzeption von Bedeutung und Referenz wollen wir in Kapitel 3 Implikationen bzgl. des Begriffs
der Notwendigkeit problematisieren. Insbesondere wird dabei der modale Status von Aussagen wie Wasser ist H2 O“ untersucht. Wir stellen Putnams Ar”
gumentation im Anschluss an die Kripkes vor und beleuchten sie daraufhin
kritisch. Wir werden sehen, dass der Begriff der Notwendigkeit im Werk Putnams einem Wandel vollzieht, beginnend mit einer metaphysisch geprägten
Konzeption hin zu einer kontextuellen Quasi-Notwendigkeit.
Dies verweist auf Putnams kritische Abwendung vom metaphysischen
Realismus hin zum internen Realismus, weshalb wir uns im abschließenden
Kapitel 4 mit Referenz und Bedeutung in einem der zentralen Themenfelder, um die die Philosophie Putnams kreist, dem Realismus beschäftigen.
Wir stellen Putnams kritische Argumente gegen den metaphysischen Realismus vor, die sich an Überlegungen zur Referenz in Quine orientieren. Dann
nähern wir uns kritisch Putnams Konzeption des internen Realismus und
dem Verhältnis von Welt und Sprache als zentrales Problem der Philosophie
der Referenz an.
Als andere Applikation von Putnams Theorie der Bedeutung und Referenz wird in 4.4 kritisch untersucht, wie Putnam mit seinem Prinzip Vertrau”
ensvorschuss“ und damit verbunden mit dem Begriff der trans-theoretischen“
”
Terme ansetzt, eine realistische Wissenschaftsphilosophie zu entwickeln, die
7
Probleme der Inkommensurabilität, wie sie etwa in Kuhn und Feyerabend
auftauchen, zu vermeiden sucht.
1.3
Struktur und Methode
Die vorliegende Arbeit ist im Sinne einer immanenten kritischen Untersuchung von Putnams Begriff der Bedeutung und Referenz ausgerichtet. Putnams Philosophie richtet sich vielfach kritisch gegen andere theoretische
Ansätze, wie etwa im Bereich der Referenz gegen physikalistische, evolutionistische oder im strikten Sinne verifikationistische Ansätze. Wir sind dagegen
hauptsächlich an einer hinterfragenden Untersuchung von Putnams eigener
Konzeption interessiert. Die Anwendungen von Putnams Bedeutungs- und
Referenzbegriff sind, wie oben erläutert, vielschichtig und weitgreifend. Es
würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf alle in einem gebührenden
Sinne einzugehen. Deshalb konzentrieren wir uns in diesem Sinne auf paradigmatische Beispiele derselben, wie etwa die Frage nach der Notwendigkeit oder
die Implikationen in der Philosophie der Wissenschaft. Wie oben erwähnt,
verlagert sich das Primat von Putnams Philosophie in der Spätphase des direkten Realismus von der Sprache auf die Wahrnehmung. Die interessanten
Implikationen hinsichtlich des Begriffs der Referenz können in der vorliegenden Untersuchung nicht mehr berücksichtigt werden, und bleiben künftigen
Arbeiten überlassen.
Kapitel 2
Putnams Bedeutungsbegriff
und seine Stellung in der
Geschichte der Philosophie
2.1
Historischer Kontext
Um dem Leser die Möglichkeit zu geben, Putnams Theorie der Bedeutung
philosophiehistorisch angemessen einordnen zu können, wollen wir einen kurzen Überblick über wichtige Stationen der Problemgeschichte geben. Da sich
die kausale Theorie der Bedeutung vor allem ausgehend von der Theorie der
Eigennamen entwickelt hat1 , soll diese hier besonders unter die Lupe genommen werden.
2.1.1
Mill: Konnotation und Eigennamen
In A System of Logic“ hat Mill in zweierlei Hinsicht einen wichtigen Beitrag
”
zum Problem der Eigennamen gemacht. Erstens weist das Werk eine terminologische Strukturierung auf, die von da an als Standard betrachtet werden
kann und auf die vielfach zurückgegriffen wurde. Gemeint ist zum einen das
Begriffspaar Konnotation und Denotation und zum anderen die Dichotomie
von generellen und singulären Termini.
Zweitens vertritt Mill eine klassisch gewordene psychologische Auffassung der Eigennamen und ein Modell der direkten Referenz, auf das Kripke später in seinem wichtigen Beitrag Name und Notwendigkeit“ wieder
”
zurückkommt.
1
8
V.a. in Kripke Name und Notwendigkeit“ ([Kri81]).
”
9
Ein konnotativer Gebrauch eines Wortes liegt dann vor, wenn Entitäten
und Attribute mitbezeichnet werden. So bezeichnet des Wort Mensch“ di”
rekt einzelne Menschen, etwa Sie und mich, zum anderen indirekt Attribute,
etwa die Vernunftbegabung, etc., die den bezeichneten Entitäten vorwiegend
zukommen.2 Damit sind nicht mit-bezeichnende Ausdrücke dadurch gekennzeichnet, dass sie sich auf eine Entität oder ein Attribut allein beziehen.
Ebenso sind generelle Termini von singulären zu unterscheiden.3 Ein genereller Terminus kann dabei von jedem einzelnen aus einer unbegrenzten
”
Zahl von Dingen mit Wahrheit bejaht werden“ ([Mil43] S.47), verweist demnach auf eine Klassifizierung von bzw. Differenzierung zwischen Entitäten4 ,
während ein singulärer Terminus einen einzelnen Gegenstand bezeichnet.
Bei zweiteren sind definite Kennzeichnungen, deiktische singuläre Termini und Eigennamen zu unterscheiden. Singuläre Termini sind denotativ,
sie bezeichneten einen Gegenstand. Definite Kennzeichnungen wie z.B. der
”
Schüler von Sokrates“ sind auch konnotativ. Zu den deiktischen, d.i. hinweisenden Termini, zählen Demonstrativa wie dies“, er“, sie“, es“, oder
”
”
”
”
ich“. Eigennamen haben mit Mill keine Konnotation, sie sind nur denota”
tiv. Selbst ein Wort wie Travemünde“, bei dem man zunächst geneigt ist,
”
eine Konnotation anzunehmen, wie die Stadt an der Mündung des Flusses
”
Trave“, weist mit Mill keine solche auf. Die Trave könnte ausgetrocknet sein,
oder ihren Lauf verändert haben. Dennoch bezeichnen wir genau diese Stadt,
d.h. die Referenz ist nicht von der Fortdauer bestimmter Attribute abhängig.
Eigennamen bezeichnen direkt, denn [w]ir heften ein Merkmal zwar nicht
”
an den Gegenstand, aber, sozusagen, an die Vorstellung des Gegenstandes“ 5
([Mil43] S.56). Damit haben sie haben streng genommen gar keine Bedeu”
tung“ ([Mil43] S.56). Dieser Ansatz wird oft als psychologische Theorie der
Eigennamen bezeichnet.
2
Ich vermeide an dieser Stelle die Redeweise von wesentlichen Eigenschaften. Im Sinne Wittgensteins würde sich sonst die Frage ergeben, ob Wörter wie Spiel“ bei einer so
”
strengen Auslegung des Begriffs der Konnotation überhaupt über indirekte Mitbezeichnung verfügt. Mit Mill wäre allerdings die strenge Leseweise gegeben (also nicht die von
mir in dieser Arbeit verwendete), wie sich aus Aussagen wie der folgenden ergibt: Ein
”
jedes Wesen, das alle diese Attribute [- Mill listet vier wesentliche Attribute des Menschen,
die mitbezeichnet werden -] besäße, würde ein Mensch heißen, und jedes Wesen, das keines
derselben oder nur eines, oder zwei, oder auch drei ohne das vierte besäße, würde nicht so
heißen.“ ([Mil43] S.52)
3
Mill benutzt einen sehr allgemeinen Begriff vom Namen“, so dass er von allgemei”
”
nen“ und individuellen Namen“ spricht (vgl. [Mil43] S.41).
”
4
vgl. etwa die Bestimmung in [TW93] S.94
5
Nachdem Mill zunächst behauptet Eigennamen haften den Sachen selbst an“ ([Mil43]
”
S.54), geht er später über die Schnittstelle der Vorstellung. Dies hat den Grund, dass
Mill bei nicht (mehr) existierenden oder entfernten Entitäten sonst Schwierigkeiten in der
Zeichenverwendung sieht.
10
Wir wollen kurz auf einige der gängigen Schwierigkeiten dieser Theorie
eingehen. Eine Entität ist sukzessive, in verschiedenen Situationen, in je individueller konkreter Art gegeben. Die Frage ist nun, in welcher Beziehung der
Begriff der Vorstellung zu dieser Gegebenheit steht. Ist die Vorstellung nicht
allgemeiner Art, so gibt es ebenso viele Vorstellungen wie Gegebenheiten und
die Frage, was die Vorstellungen verbindet, ist offen. Andererseits ist von einer allgemeinen Vorstellung zu sprechen sinnlos, gerade weil Vorstellungen
jeweils konkreter Natur sind. Es stellt sich ebenso die Frage, inwiefern in diesem Ansatz Kommunikation möglich ist, denn wenn die Bedeutung jeweils
den einzelnen individuellen Vorstellungen anheftet“, so stellt sich wieder die
”
offene Frage nach dem Gemeinsamen, was den Vorstellungen zu Grunde liegt,
das Kommunikation möglich macht, das uns über dasselbe sprechen lässt.
2.1.2
Die deskriptionale Theorie der Eigennamen
Ausgehend von Frege und Russell kam es zu einer anderen, sehr einflussreichen Denkschule, die wir unter dem Namen deskriptionale Theorie der
”
Eigennamen“ zusammenfassen wollen.
Frege entwickelte, motiviert durch das Problem der informativen Identitätsaussagen, in Sinn und Bedeutung“ eine Theorie der Eigennamen, die
”
durch das Primat der Kennzeichnung geprägt ist.
Triviale Identitätsaussagen wie a = a“ oder a = b“ sind nicht infor”
”
mativ, sofern a und b verschiedene Namen sind, die dasselbe x bezeichnen
und x bezeichnet durch a und durch b in selber Art und Weise gegeben ist.
Eine informative Identitätsaussage ist genau dann gegeben, wenn a und b
dieselbe Entität bezeichnen, die allerdings in verschiedener Art und Weise
gegeben ist.6 Eine hinreichende Bedingung für eine Identitätsaussage a = b
ist demnach die Gleichheit der Referenz, und zusätzlich für eine informative Identitätsaussage die Verschiedenheit des Fregeschen Sinns von a und b.
Frege spricht von gleicher Bedeutung und verschiedenem Sinn.7
In diesem Sinn ist durch Hesperus ist Phosphorus“ eine informative Iden”
titätsaussage gegeben.8 Wäre nun die Bedeutung eines Eigennamens unmittelbar durch dessen Referenz gegeben, so wäre keine Identitätsaussage infor6
Eine Verschiedenheit kann nur dadurch zustande kommen, dass der Unterschied des
”
Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht.“
([Fre92] S.26/27)
7
Wie ersichtlich ist Freges Bedeutung das, was wir die Referenz nennen, während
Freges Sinn die Art und Weise der Gegebenheit eines Gegenstands ausmacht.
8
Offensichtlich sind uns beide Himmelskörper in verschiedener Art und Weise gegeben,
so verschieden, dass es empirische Nachforschung benötigt, sie als dieselben zu identifizieren.
11
mativ, d.h. für den Informationsgehalt der Identitätssätze spielt der konnotative Bedeutungsgehalt eine primäre Rolle. Eigennamen verweisen in diesem
Sinne für Frege auf Kennzeichnungen.
Sei etwa mythisches fliegendes Pferd“ die Kennzeichnung, für die Pegasus“
”
”
abkürzend steht. Dann ergibt sich mit obiger Form für den Satz Pegasus ist
”
weiß.“:
Russells Ansatz ist ebenso wie Freges deskriptional. Sein Ausgangsproblem ist das der Nullextension. Wir sprechen im folgenden bei Namen mit
leerer Extension von leeren Namen. Russell sieht ein Paradox in Aussagen
der Art
(i) es gibt mindestens ein x, so dass x ein mythisches fliegendes Pferd ist
und
Pegasus existiert nicht.“ 9
”
mit einer Theorie der Bedeutung von Eigennamen, die primär auf die Referenz ausgerichtet ist. Das Paradox gestaltet sich folgendermaßen:
Obige Aussage sei wahr, dann gibt es kein Einhorn, dann allerdings handelt der Satz von nichts. Gäbe es aber ein Einhorn, so dass mit der von
Russell kritisierten Auffassung der Ausdruck Einhorn“ bedeutungsvoll ge”
braucht wird, so ist die Aussage offensichtlich falsch. Die Aussage ist aber
dem gewöhnlichen Sprachgefühl nach zutreffend.
Da nun Russell allerdings an der klassischen Konzeption, dass die Bedeutung eines singulären Terms gerade die Referenz ist, festhalten will, schränkt
er zunächst die Eigennamen im strengen Sinne auf Wörter wie dies oder je”
nes“ ([Rus18] S.69) ein, wobei er an eine ostensive Verwendungsweise denkt.
Dagegen sind [d]ie Namen, die wir gewöhnlich verwenden [. . . ] in Wirklich”
keit Abkürzungen für Beschreibungen“ ([Rus18] S.69).10
Das Problem der leeren Referenz vermeidet Russell, indem er etwa Prädikationen der Art A ist B“ 11 in eine logisch korrekte Form übersetzt. Sei A∗
”
die Kennzeichnung, die A nach Russells Theorie abkürzt, so ergibt sich folgende Aussage:
(i) es gibt mindestens ein x, so dass A∗ auf x zutrifft [Existenz]
(ii) für alle y gilt, dass, wenn A∗ auf y zutrifft, so ist y identisch mit dem x
aus (i) [Eindeutigkeit]
(iii) B trifft auf x aus (i) zu [Korrektheit der Prädikation]
(ii) für alle y gilt, dass, wenn y ein mythisches fliegendes Pferd ist, so ist y
identisch mit x und
(iii) x ist weiß.
Für einen leeren Eigennamen A ist bereits Aussage (i) äquivalent zu falsch
und damit wird die Existenzaussage ebenso falsch. Dies trifft zu, da trivialerweise gilt:
∃x : A∗ (x) ∧ (∀y : A∗ (y) → y = x) ∧ B(x) → ∃x : A∗ (x) ,
bzw. die Negation der Aussage:
¬ ∃x : A∗ (x) → ¬ ∃x : A∗ (x) ∧ (∀y : A∗ (y) → y = x) ∧ B(x) .
Bei der existentiellen Quantifikation werden alle Gegenstände im Universum
durchlaufen und einzeln daraufhin überprüft, ob A∗ auf sie zutrifft.12 Für die
Variablen x und y ist damit jeweils die Referenz gesichert.
Die erste Folgegeneration von Frege und Russell war damit beschäftigt die
Theorie hinsichtlich diverser Schwierigkeiten zu verbessern. Prägnant war dabei der sog. Bündel-theoretische Ansatz. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist
die Feststellung eines Pluralismus an verschiedenen zutreffenden Kennzeichnungen. Es stellt sich die Frage, ob es eine einheitliche Bedeutung gibt, wenn
der Eigenname eine Abkürzung für verschiedene Kennzeichnungen darstellt.
Man fasst also die Kennzeichnungen zusammen und wählt die bezeichnete
Entität als diejenige, die entweder alle Kennzeichnungen erfüllt, oder aber
die meisten.13
vgl. Russells Beispiele wie Das Einhorn existiert nicht.“ ([Rus18] S.86) oder Der
”
”
gegenwärtige König von Frankreich ist kahl.“ ([Rus18] S.90).
10
Man könnte sagen, dass die Grammatik der Ausdrücke fälschlicherweise auf ein semantische Funktion verweist, die sie in Wirklichkeit nicht erfüllen.
11
Wobei A ein Eigenname im nicht-Russelschen Sinne ist, und B ein Attribut.
12
Offensichtlich kann in diesem Ansatz kein Verzicht geleistet werden auf Vorstellungsbilder, die bei einer Klassifizierung eines gegebenen Gegenstands beispielsweise als flie”
genden Pferd“ für Pegasus“ zum Vergleich herangezogen werden müssen. Damit ist es
”
fraglich, ob Russell in seinen späteren Schriften wie Introduction to Mathematical Phi”
losophy“ und The Philosophy of logical Atomism“ tatsächlich den früher (bspw. in The
”
”
Principles of Mathematics“) ansatzweise vertretenen Meinongschen Ansatz erfolgreich abwerfen konnte.
13
vgl. etwa Searle in Proper Names“ (in: Mind 67, 1958) oder den Wittgenstein aus
”
§79 in den Philosophischen Untersuchungen.
12
13
Formaler gilt:
∃x : A∗ (x) ∧ (∀y : A∗ (y) → y = x) ∧ B(x).
9
(2.1)
Wir wollen an dieser Stelle die deskriptionalen Theorien verlassen und zu
einem alternativen Ansatz übergehen, der mit den soeben vorgestellten hart
ins Gericht zieht.14
2.1.3
Die kausale Theorie der Eigennamen
Kripkes Veröffentlichung Naming and Necessity“ ist in zweierlei Hinsicht be”
merkenswert. Zum einen leitet es eine paradigmatische Wende in der Theorie
der Bedeutung von Eigennamen ein. Diese Wende distanziert sich kritisch
von den oben vorgestellten Ansätzen und schließt in gewisser Weise wieder
an Mills Konzeption an. Zum anderen stellen sich mit Kripkes kausaler Theorie der Referenz überraschende und weitgreifende Folgen für den Begriff der
Notwendigkeit ein. Diese Konsequenzen sollen erst in dem dafür vorgesehenen
Abschnitt weiter unten diskutiert werden. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die wichtigsten Aspekte von Kripkes Theorie der Bedeutung. Dies
ist insbesondere deshalb für unsere Untersuchung von Relevanz, da Putnams
Konzeption in mancher Hinsicht Kripkes Ansatz ergänzt und weiterentwickelt. Entstanden sind die beiden Ansätze nach Angaben von Putnam jedoch
unabhängig voneinander.15
Kripkes Kritik an der deskriptionalen Theorie der Bedeutung
Zunächst zu zentralen Punkten in Kripkes Kritik des deskriptionalen Ansatzes, für den die Bedeutung eines Eigennamens eine Kennzeichnung (bzw. ein
Bündel von Kennzeichnungen) ist.
Wenn die deskriptionale Theorie der Eigennamen gültig ist, so gelten
folgende Aussagen:
bezeichnend für dasjenige (eindeutige) x, für das ϕw (x) (sofern ein
solches existiert).
D (iv) Die Kennzeichnung (bzw. das Bündel der Kennzeichnungen) ϕw darf
nicht in dem Sinn zirkulär sein, dass der Begriff der Referenz von w
darin auftaucht (vgl. [Kri81] S.81).16
Formal ergibt sich für Forderungen (i) und (ii):
∀w : ∃ϕw : ∀x : ϕw (x) ∧ (∀y : ϕw (y) → x = y) ↔ x = ref( w“) (2.2)
”
Kripke fährt seine Kritik vielschichtig. Das epistemische Kriterium (iii) ist
gemessen am alltäglichen Gebrauch unrealistisch. Sprecher verfügen oftmals,
ja sogar meist, nicht über Kriterien, die (2.2) genügen. Dennoch unterstellen
wir Ihnen, dass sie sich auf die entsprechenden Referenten der Eigennamen
beziehen. Der Mann auf der Straße weiß über Richard Feynman vielleicht
nicht mehr, als dass er ein bekannter Wissenschaftler ist, d.h. [e]r denkt
”
vielleicht nicht, dass dadurch irgend jemand eindeutig herausgegriffen wird.
Und doch denke ich, dass er den Namen Feynman“ als Namen für Feynman
”
verwendet.“ ([Kri81] S.96) Putnam wird später Fälle dieser Art mit seiner
These der sprachlichen Arbeitsteilung erklären.17
Unabhängig von der Frage, ob es überhaupt in jedem Fall eine Kennzeichnung (bzw. ein Bündel von Kennzeichnungen) mit der Eigenschaft (2.2)
gibt, verweist Kripke darauf, dass dies praktisch vom einzelnen Sprecher nicht
benötigt wird. Man könnte aber immer noch behaupten, dass es zumindest
einen Experten geben müsste, der etwa eine solche Beschreibung von Eigennamen wie bspw. Aristoteles“ geben kann und auf den sich Sprecher berufen
”
können.18 In diesem Fall wäre (iii) daraufhin zu modifizieren, dass Sprecher
Das soll nicht heißen, dass es keine kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten
Theorien gegeben hat. Strawson hat bspw. sowohl Aufsätze gegen Russells, als auch gegen
Quines Ansatz veröffentlicht (ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung zwischen Russell
und Strawson wird z.B. in [Wol85] dokumentiert).
15
vgl. [Put88] S. 84, [Put73c] S. 35.
16
Kripke kritisiert hier anhand von Kneales Theorie die Auffassung Sokrates“ bedeute
”
der Mann, der ‘Sokrates’ genannt wurde“, die eine Zirkularität aufweist. Im Ausdruck
”
der Mann, der ‘Sokrates’ genannt wurde“ wird bereits der Begriff der Referenz implizit
”
vorausgesetzt, der doch eigentlich erklärt werden sollte, so dass der Informationsgehalt sich
darauf reduzieren ließe, dass der Name Sokrates“ eben auf den Mann [referiere], auf den
”
”
er referiere.“ ([Kri81] S.83) Kripke betont außerdem, dass ein Kriterium dieser Art nicht
einmal korrekt sein muss, und zwar weder im Sinn von (i) - es kann mehrere Personen
geben, die den Namen Sokrates“ trugen, noch im Sinn von (ii), denn möglicherweise ist
”
die Person, auf die wir mit Sokrates“ referieren gerade nicht Sokrates genannt worden,
”
sondern trug etwa einen völlig anderen Eigennamen (vgl. S.82).
Wir werden weiter unten sehen, dass Kripkes eigener Entwurf in dieser Hinsicht ebenfalls
zu modifizieren wäre und von Autoren wie Donnellan (vgl. seine historische ErklärungsTheorie in [Don74]) oder Evans (vgl. seine Theorie der dominanten kausalen Informationsursache in [Eva73]) auch modifiziert wurde, um solche Fälle abzudecken.
17
Dies wird näher diskutiert in Abschnitt 2.4.1.
18
Dies käme einem hybriden Ansatz aus Putnams Theorie der sprachlichen Arbeitsteilung mit der deskriptionalen Theorie der Bedeutung gleich.
14
15
D (i) Es gibt für jeden Eigennamen w eine Kennzeichnung oder ein Bündel
von Kennzeichnungen ϕw , so dass die Extension von ϕw höchstens
einelementig ist.
D (ii) Das eindeutige Element, das obiges ϕw erfüllt (bzw. die meisten der
Kennzeichnungen in ϕw erfüllt), falls ein solches existiert, ist der
Referent von w. Falls keines existiert, so referiert w nicht.
D (iii) All diejenigen Sprecher, die sich das Wort angeeignet haben, wissen von ϕw und dass ϕw obige Bedingungen erfüllt. Sie benutzen w
14
im Allgemeinen wissen, dass es ein ϕ mit der Eigenschaft (2.2) gibt, ohne
dieses konkret angeben zu können. Zusätzlich wissen Sprecher noch von der
Existenz von Experten, für die die ursprüngliche Forderung (iii) gilt.
Kripke verweist auch auf die Schwierigkeit eine Kennzeichnung ϕ anzugeben, die nicht zirkulär ist (und damit gegen (iv) verstößt). Es ist nicht
ausreichend für Einstein“ als Kennzeichnung anzugeben, er wäre derjenige
”
Mensch, der die Relativitätstheorie entwickelt habe. Denn bei der Angabe
des Bezugs von Relativitätstheorie“ würden die meisten Sprecher auf eine
”
Kennzeichnung wie Einsteins berühmte Theorie“ verweisen, was offensicht”
lich zirkulär ist. Doch auch hier könnte man wieder Experten analog zu oben
anführen, die in der Lage sind, die Beschreibung auf nicht zirkuläre Art und
Weise zu geben.
Es ist also mit oben die Frage offen, ob denn die jeweils beste (etwa den
Experten) zur Verfügung stehende Kennzeichnung immer von der Art ist,
dass sie unsere Forderung (2.2) erfüllt. Kripke stellt fest, dass es vorkommen
kann, dass sich im Nachhinein herausstellen kann, dass sich die Kennzeichnung, für die der Eigenname im Sinne der deskriptionalen Theorie steht, als
falsch herausstellt.
In seinem prominenten Gedankenexperiment hat der Mathematiker Gödel
nicht selbst die Mathematik, wie den Unvollständigkeitssatz der Arithmetik,
erarbeitet, sondern ein anderer Herr namens Schmidt. Was ist nun der Wahrheitswert eines Satzes wie
Gödel hat den Unvollständigkeitssatz der Arithmetik bewiesen.“
”
(2.3)
Auf wen referiert der Name Gödel“ in diesem Satz?
”
Nach obiger Theorie wäre Gödel“ lediglich eine Abkürzung für etwa
”
Der Mensch, der den Unvollständigkeitssatz der Arithmetik bewiesen hat.“ 19
”
Damit ist aber (2.3) wahr. Nach unserem üblichen Sprachgefühl referiert der
Name Gödel“ in (2.3) allerdings auf die Person mit dem Namen Gödel.
”
Somit ist der Satz (2.3) falsch.
Kripkes Kritik wird gerade in Fällen sehr akut, in denen wir über nur sehr
unsichere Quellen verfügen, etwa bei der biblischen Person Moses“, denn
”
die biblische Geschichte hätte [. . . ] eine im wesentlichen falsche Darstellung
”
19
Für komplizierte Konjunktionen von Kennzeichnungen ließen sich jeweils komplexere
Gedankenexperimente entwickeln. Aber man führe sich die entstehenden Probleme vor
Augen: Man verbinde etwa Gödels Geburtsdatum konjunktiv mit der Forderung, dass die
gesuchte Person das Unvollständigkeitstheorem entwickelt habe. In diesem Falle gibt es gar
keine Person die das Konjunkt erfüllt. Andere Bündeltheoretiker würden fordern, dass die
gesuchte Person die meisten der Kennzeichnungen erfüllt. Allerdings sind auch in solchen
Fällen unschwer Gegenbeispiele auffindbar.
16
einer wirklichen Person sein können.“ ([Kri81] S.79)20
Kripkes Argument ist also ein epistemisches. Es mag zwar jeweils eine
Kennzeichnung für einen gegeben Eigennamen geben, so dass (2.2) erfüllt
wird. Da allerdings unsere Erkenntnis niemals gesichert ist, ist es im Allgemeinen unzulässig, den deskriptionalen Standpunkt zu vertreten. Kripke
veranschaulicht das auch dahingehend, dass wir im Allgemeinen bereit sind,
Fehlansichten zurückzuziehen, sofern sie sich als solche herausstellen. Die
Reaktion des Sprechers wäre eher ein Was, Gödel hat gar nicht das Un”
vollständigkeitstheorem entwickelt?“ als ein Ich habe immer auf Schmid
”
referiert bei Benutzung des Namens ‘Gödel’“.21
Dieses Argument verwendet Kripke auch im Sinne einer attributiven Verwendungsweise von Namen. In obigem Beispiel könnte man etwa die Kennzeichnung Das Argument in der dritten Zeile von Gödels Beweis . . .“ ver”
wenden, um auf Schmids Beweis zu referieren, im Glauben, dass es sich um
Gödels Beweis handelt. Man würde bei besserer Kenntnis einen Rückzieher
machen und den Namen Gödel“ durch Schmid“ ersetzen. Ebenso weist
”
”
Kripke darauf hin, dass derartige Fehlinformationen weit verbreitet sind.22
Kripke unterstellt der deskriptiven Theorie der Bedeutung eine Art semantischen Solipsismus, indem der Sprecher sich bezüglich dieser Auffassung
isoliert von der Sprachgemeinschaft dazu entschließen würde den Eigennamen synonym mit einer bevorzugten Kennzeichnung zu benutzen, [d]och
”
das ist es nicht, was die meisten von uns tun.“ ([Kri81] S.107) Wir werden
sehen, dass es Kripkes eigene Konzeption möglich machen wird, auf Personen
bzw. Entitäten zu referieren, die nicht vom einzelnen Sprecher identifiziert
werden können, im Gegensatz etwa zu verifikationistischen Auffassungen.
Eine andere kritische Betrachtung Kripkes läuft über den Begriff der
Möglichkeit. Er unterstellt der deskriptionalen Theorie folgende These:
∀w : ∃ϕw : : ∀x : ϕw (x) ∧ (∀y : ϕw (y) → x = y) ↔ x = ref( w“) (2.4)
”
Die in dieser These verlangte Notwendigkeit kann natürlich nicht eingelöst
werden. Es handelt sich bei ref( w“) mit Kripke in allen Welten um diesel”
be Entität, da mit seiner Konzeption Eigennamen starre Bezeichner sind.23
Dagegen sind Kennzeichnungen in der Regel keine starren Bezeichner, das
heißt, selbst wenn die Extension des Prädikats ϕw jeweils einelementig in
20
vgl. hierzu kontrastierend [Wit84] §79 S. 284, der gewöhnlich im Sinne der Bündeltheorie gewertet wird.
21
vlg. Abschnitt 2.6
22
Zum Beispiel wird gemeinhin angenommen, dass Peano die Axiomatik der natürlichen
Zahlen ins Leben gerufen hat, während es tatsächlich Dedekind war [Kri81] S.100).
23
Bei starren Bezeichnern handelt es sich um Ausdrücke, die in jeder möglichen Welt
dieselbe Entität bezeichnen. Wir gehen detaillierter auf dieses Thema in Kapitel 3 ein.
17
allen möglichen Welten wäre, so wäre die bezeichnete Entität nicht identisch
über alle möglichen Welten.
Es gibt beispielsweise eine mögliche Welt in der Gödel nicht Logiker geworden ist und demnach die Kennzeichnung der Mann der den Unvoll”
ständigkeitssatz entwickelt hat“ nicht zutreffend ist. Es ist allerdings auf
der anderen Seite fraglich, ob Vertreter der deskriptionalen Theorie (2.4)
vertreten würden. Eine Möglichkeit, bei Akzeptanz von Kripkes These der
starren Bezeichner, die wir an dieser Stelle einfach unterstellen wollen, um
den Zusammenhang nicht noch komplizierter zu gestalten, wäre, folgende
Modifikation anzubringen:
∀w : : ∃ϕw : ∀x : ϕw (x) ∧ (∀y : ϕw (y) → x = y) ↔ x = ref( w“) (2.5)
”
Dies bedeutet, dass die charakteristische Kennzeichnung jeweils von der möglichen Welt abhängt. Der Vertreter der deskriptionalen Theorie würde keineswegs behaupten, dass die Synonymie zwischen dem Eigennamen und der
charakteristischen Kennzeichnung über alle Welten hinweg gilt. Er würde
vielmehr darauf hinweisen, dass er keine Probleme hat mit modallogischen
Betrachtungen, da er jeweils von den Möglichkeiten der Entität sprechen
kann, die in der aktualen Welt über die charakteristische Kennzeichnung
identifiziert wird. In möglichen Welten muss sie, wie Kripke selbst zugesteht
nicht identifiziert werden.24 Für Kripke wiederum käme das einer Preisgabe der deskriptionalen Theorie gleich, da hier die Kennzeichnungen, für die
Namen doch abkürzend stehen sollten, nurmehr noch als Referenzfixierer
gebraucht werden. Eine Synonymie ohne modalen Abschluss ist eben keine
Synonymie.
Der Vertreter des deskriptionalen Ansatzes könnte selbstverständlich ganz
einfach den Begriffsapparat der metaphysischen Modalitäten ablehnen.
Wir werden auf den Begriff der Notwendigkeit weiter unten detaillierter
eingehen.
Obwohl es vereinzelt Fälle gibt in denen die deskriptionale Theorie der
Eigennamen funktioniert, so entspricht sie doch im Allgemeinen nicht dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch. So referiert der Name Jack the Ripper“ auf
”
diejenige Person25 die die meisten einer Reihe von Verbrechen begangen hat.26
Oder bei der ursprünglichen Taufzeremonie, etwa Hesperus ist der Stern,
”
den wir dort an dieser Stelle am Abend sehen“. Die meisten Fälle in denen
Beschreibungen bei der Einführung von Namen verwendet werden, sind allerdings solche, bei denen keine Synonymie beansprucht wird, sondern die
Kennzeichnung lediglich Mittel zur Festlegung der Referenz ist. So kann sich
die benutzte Beschreibung durchaus nachträglich als falsch erweisen, oder
sie kann ungenau oder vieldeutig sein und lediglich aus dem Kontext einen
eindeutigen Sinn erlangen.
Kripkes kausale Theorie der Bedeutung
Kripke skizziert im Anschluss an die oben geschilderten kritischen Betrachtungen einen Gegenentwurf, der in die Philosophiegeschichte als kausale
”
Theorie der Bedeutung“ eingegangen ist. Trotz der Kürze von Kripkes Schilderungen27 erwies sich dieser Entwurf als sehr folgenreich und soll an dieser
Stelle kurz erläutert werden.
Die Verwendung von Eigennamen ist dieser Theorie nach hauptsächlich
durch zwei Merkmale konstituiert. Zum einen die Taufe bzw. Namensgebung
und zum anderen die Weitergabe des Namens in der Sprachgemeinschaft.
Bei der Namensgebung wird die entsprechende Entität zunächst durch
Ostension oder Kennzeichnung oder eine Kombination beider identifiziert. Im
Falle der Benutzung einer Beschreibung wird diese in der Regel, wie bereits
erwähnt, nicht synonym verwendet.
Die Weitergabe des Namens ist dann korrekt im Sinne der kausalen Theorie der Eigennamen, falls der Empfänger des Namens [. . . ] intendier[t], ihn
”
mit derselben Referenz zu verwenden, mit der derjenige ihn verwendet, von
dem er ihn gehört hat.“ ([Kri81] S.113) In der Nachfolge von Kripke wurden
vielerlei Nachbesserungen und Weiterentwicklungen an der Konzeption, die
Kripke selbst lediglich als grobe Angabe einer Theorie“ ([Kri81] S.112) oder
”
als Bild“ ([Kri81] S.114) bezeichnet, von Autoren wie Putnam, Donnellan,
”
Evans oder Burkhardt entwickelt.28
2.2
Grundlegende Begriffe
Zum weiteren Verständnis ist es wichtig einige technische Termini einzuführen.
Putnam greift viel auf das seit der Logik von Port-Royal klassisch gewordene Begriffspaar der Extension und der Intension zurück.29 Den Begriff der
Extension“ verwendet Putnam in traditioneller Weise, so dass die Menge
”
”
der Dinge, auf die ein Ausdruck zutrifft, die Extension dieses Ausdrucks“
([Put81d] S.45) ist. Für die Intension tauchen in Putnams Texten verschie27
Sie sind im Wesentlichen auf den Seiten 112 bis 114 von [Kri81] enthalten.
vgl. etwa Donnellans [Don74], Evans [Eva73] oder Burkhardts [Bur85]
29
Dort, wie auch in Kants Logik ist von Inhalt (‘comprehension’) und Umfang (‘etendue’) die Rede (vgl. [TW93] S.132f).
28
24
vgl. etwa seine Diskussion auf S.46f
Es mag auch eine Frau sein.
26
vgl. [Kri81] S.94/110
25
18
19
den Gebrauchsweisen auf. In [Put75e] benutzt er den Begriff im traditionellen
auf Hamiltons Übersetzung von comprehension“ zurückgehenden Sinn. Der
”
Begriff wird von Putnam nicht näher spezifiziert, sondern als etwa der mit
”
[dem] Ausdruck verknüpfte ,Begriff’“ eingeführt. Ein Blick auf Standardbestimmungen mag helfen, sich besser in der Terminologie zurechtzufinden. So
beinhaltet in einem Vorschlag die Intension alle Attribute [. . . ], die der Be”
griff enthält, z.B. der Begriff des Rindes enthält u.a. die Attribute ,Tier’,
‘Säuger’, ‘Wiederkäuer’“ ([TW93] S.132). Andererseits wird vielfach [. . . ]
”
gesagt, die Intension ist der Begriff“ ([TW93] S.133).30 Oft, wenn Putnam
auf den traditionellen Bedeutungsbegriff referiert, so meint er die Intension.
Er macht zunächst auf die bekannte Einsicht aufmerksam, dass gilt
Haben zwei Ausdrücke dieselbe Extension, so folgt daraus
im Allgemeinen nicht, dass sie auch dieselbe Intension haben. (2.6)
Beispielsweise repräsentieren Würfel“ und regelmäßiges Polyeder mit sechs
”
”
quadratischen Flächen“ verschiedene Begriffe, jedoch ist die Extension jeweils
dieselbe.31
Es wird eine Aufgabe sein, die Umkehrung obiger Aussage zu überprüfen,
d.h.:
Haben zwei Ausdrücke dieselbe Intension, so folgt daraus
im Allgemeinen nicht, dass sie auch dieselbe Extension haben. (2.7)
Es wird Putnam im Folgenden u.A. darum gehen, nachzuweisen, dass Bedeutungen im Sinne von Intensionen nicht Extensionen bestimmen. Es ist
wichtig an dieser Stelle festzustellen, dass der Beleg von (2.7) hierzu ausreichend ist. Denn gelingt es, einen Ausdruck zu finden der mit derselben
Intension geäußert in einer Situation eine andere Extension hat als in einer
anderen, so spielt eben noch ein externer Faktor bei der Determination der
Extension dieses Ausdrucks mit eine Rolle.
Ebenso gilt es zu prüfen, ob Bedeutungen geistige Entitäten seien“ ([Put75e]
”
S.25). Oder ob sie vielmehr im Gefolge von Frege und Carnap als abstrakte,
objektive Entitäten ergriffen werden müssen. Doch auch hier bleiben wir mit
dem Begriff des Erfassens/Ergreifens“ im Geistigen, so dass sich die Frage
”
ergibt, ob Folgendes gilt:
Um die Bedeutung eines Ausdrucks zu kennen ist es hinreichend,
sich in einem bestimmten psychologischen Zustand zu befinden. (2.8)
30
31
So etwa mit Carnaps Konzeption der Eigenschaften“ (vgl. [Car47] §4).
”
Dies gilt sogar in allen möglichen Welten (vgl. [Put81d] S.47).
20
Folgenreich wird auch der Begriff des natural kind terms“ (NKT) sein.32
”
Putnam führt im Unterschied zu Philosophen wie Quine33 oder Molino34
keine Theore der NKTs, sondern führt sie vielmehr anhand paradigmatischer Beispiele, wie Wasser“, Tiger“, Zitrone“ oder Gold“ ein, die sich
”
”
”
”
offensichtlich hauptsächlich um chemische Elemente und Verbindungen, sowie biologische Arten gruppieren. Er unterscheidet hiervon Termini für physikalische Größen, wie Elektron“, Temperatur“ oder Elektrizität“.35 Put”
”
”
nam geht damit nicht auf die facettenreiche philosophische Diskussion ein,
wie NKTs am besten zu charakterisieren sind, oder ob es überhaupt solche
gibt, sondern setzt ein intuitives Verständnis des Lesers voraus. Im Allgemeinen werden NKTs so angesetzt, als denotieren sie Objekt-Gruppen, die
auf tatsächlich vorhandene Distinktionen in der Natur zurückgehen. Damit
unterscheiden sie sich etwa von Artifakten, die hinsichtlich unserer Intentionen bezüglich ihrer Funktionalität gruppiert werden. Sind zweitere generell
eher durch Wittgensteins Familienähnlichkeit geprägt, so weisen NKTs eine
essentielle innere Struktur auf. Es ist eine philosophische Streitfrage, ob diese wirklich existiert, ob uns diese epistemisch zugänglich ist36 , oder ob sie
bloß eine regulative Idee oder ein Bild repräsentiert, die bzw. das unserem
Sprachgebrauch zugrunde liegt.37
2.3
Warum Bedeutungen nicht im Kopf sind
- einführende Gedankenexperimente zum
Externalismus
Eine der zentralen Thesen Putnams ist, dass Bedeutungen nicht im Kopf sind:
Man kann’s drehen und wenden, wie man will, Bedeutungen sind einfach
”
nicht im Kopf.“ ([Put75e] S. 37). Das heißt, es ist nicht der Fall, das die
Intension, der Begriff, den jemand von einer Sache hat, der psychologische
Zustand, die derzeitige Synapsenkonstellation,38 die Bedeutung bestimmen.
Das soll nicht heißen, dass diese keine Rolle spielten. Sie sind jedoch zur
32
Wolfgang Spohn übersetzt diese in [Put75e] als natürliche Prädikate“ (vgl. S. 34).
”
vgl. [Qui69]
34
vgl. [Mol00] S. 168
35
Diese werden v.a. in [Put73c] thematisiert.
36
Locke etwa ist in dieser hinsicht Skeptiker, wie wir später sehen werden.
37
Wir werden sehen, dass Putnam mit seinem internen Realismus den Begriff einer
geistunabhängigen Welt aufgibt, zugunsten einer Welt, die wir mit unseren begrifflichen
Schemata in Objekte aufspalten. Die Frage, Gibt es H2 O“ wirklich?“ im Sinne von
”
”
noumenal, an sich, wird als sinnlos qualifiziert (vgl. Kapitel 4)
38
Dies ist eine beliebte These in der aktuellen Hirnforschung (vgl. etwa [Rot91]).
33
21
Bestimmung der Bedeutung nicht hinreichend.
Ist dies der Fall, so werden darüber hinaus noch andere Faktoren benötigt,
welche die Bedeutung eines NKTs festlegen. Hierfür führt Putnam zwei entscheidende Prinzipien ein: zum einen die Indexikalität und zum anderen die
linguistische Arbeitsteilung.
Um die These, dass für NKTs die Intension nicht die Bedeutung impliziert, zu untermauern, greift Putnam zu verschiedenen Gedankenexperimenten. Manche davon sollen einleitend im folgenden aufgeführt werden. Wir
versuchen jeweils anschließend verschiedene Prinzipien anzuführen, die als
notwendige Stützen für Putnams gewünschten Schluss vorauszusetzen sind.
In den darauf folgenden Abschnitten (2.4-2.8) werden Putnams Ansätze und
damit sein Begriff von Bedeutung und Referenz näher diskutiert.
2.3.1
Wasser und Zwasser
Es sei folgendes Szenario gegeben39 : Es gäbe irgendwo im Universum einen
Planten, den wir(!) Zwerde “ nennen wollen, welcher der Erde exakt gleicht.40
”
Die einzige Ausnahme besteht darin, dass die Flüsse, Seen und Meere der
Zwerde statt unserem irdischen Wasser (H2 O) ein dem Wasser makroskopisch
identisches Zwasser enthalten, das heißt, eine Substanz, das Wasser in allen für das gewöhnliche Auge wahrnehmbaren Eigenschaften exakt gleicht.41
Allerdings ist Zwasser auf mikroskopischer Ebene unserem Wasser ungleich,
denn es handelt sich nicht um die chemische Verbindung H2 O, sondern um eine völlig unterschiedliche Verbindung, die wir XYZ nennen wollen. Man nehme zusätzlich an, dort gäbe es für eine Person P einen exakten Doppelgänger
P ′42 Diese Personen sprechen auch identische Sprachen, z.B. deutsch.43
39
Das Gedankenexperiment wurde zunächst in [Put73b] (S. 700ff) veröffentlicht und
tauscht regelmäßig in Putnams Aufsätzen wieder auf (vgl. u.A. [Put88] S.72ff, [Put81d] S.
44f).
40
Alternativ könnte man auch von einem identischen Paralleluniversum ausgehen und
von der dortigen Erde sprechen.
41
In [Put88] nennt Putnam dies die phänomenologischen Eigenschaften (S.73).
”
42
Dies ist eigentlich schon in der ersten Anforderung enthalten, wenn man zur Beschaffenheit des Planeten auch seine Pflanzen- und Tierwelt rechnet. In diesem Fall gibt es für
eine jede Person einen Doppelgänger. Diese Doppelgänger gleichen den Originalen in jeder
Hinsicht, außer dass sie auf der Zwerde leben.
43
Das heißt z.B. dass in der Sprache von P ′ der Planet den wir Zwerde nennen Erde“
”
genannt wird. Dies erinnert an Kripkes mögliche Welten und den starren Bezeichners,
denn eine Person, die in der aktualen Welt Dunja“ genannt wird, bezeichnen wir in allen
”
möglichen Welten mit Dunja“, selbst wenn sie in einer dieser möglichen Welten etwa
”
Sabrina“heißt. Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die Zwerde keine
”
mögliche Welten Instanz der aktualen Erde ist. Das vorliegende Beispiel wird von Putnam
in [Put75e] ganz ohne mögliche Welten Semantik geführt.
22
Putnam konstatiert nun, dass, sofern die Bedeutung von der Intension determiniert wäre, so müsste bei identischem intensionalen Gehalt der Personen
P und P ′ auch jeweils die gleiche Bedeutung intendiert sein. Mit obigem Szenario ergibt sich dann aber folgende Problematik: angenommen die Personen
P und P ′ äußern (etwa in der identischen Situation, zum selben Zeitpunkt
relativ zu deren Geburt) den Satz: Die Flüssigkeit in Seen ist Wasser.“ Es
”
stellt sich dann die Frage, ob die Bedeutung des Wortes Wasser in der Sprache von P und der von P ′ differiert, falls die Intensionen von P und P ′ bzgl.
des Begriffes Wasser“ dieselben sind.
”
Man ist womöglich geneigt zunächst einzuwenden, dass, sofern in der
Sprachgemeinschaft von P (bzw. P ′ ) bekannt ist, dass Wasser H2 O (bzw.
XYZ) ist, die Intensionen unmöglich dieselben sein könnten44 . Deshalb verlagert Putnam das Beispiel ins Jahr 1750,45 bevor die chemischen Analysemöglichkeiten Menschen in den Sprachgemeinschaften von P bzw. P ′ in die
Lage versetzten, die innere chemische Struktur von Wasser bzw. Zwasser zu
entdecken. Putnam folgert nun daraus, dass Intension nicht die Extension
impliziert. Person P und P ′ verfügen über denselben intensionalen Gehalt
bei der Äußerung obigen Satzes, sie befanden sich im selben psychischen
”
Zustand“([Put75e] S.34).
Dennoch unterscheiden sich die Extensionen von Wasser“ geäußert auf
”
der Erde - nämlich Stoffe mit innerer Struktur H2 O - und Wasser“ geäußert
”
auf der Zwerde - nämlich Stoffe mit innerer Struktur XYZ.46 Dies ist nicht
unmittelbar einleuchtend, denn warum sollte das dem Wasser auf der Erde
makroskopisch gleichende Zwasser nicht auch in der Extension von Was”
ser“ in der Sprache der Erdenbewohner liegen? Putnam benötigt also einen
weiteren argumentativen Schritt, um nachzuweisen, dass die Intension nicht
die Bedeutung determiniert. Putnam muss ein Kriterium zur Bestimmung
der Extension einführen, das den Sprecherkontext, bzw. seine Lebens- und
Umwelt in solcher Weise berücksichtigt, dass Wasser-ähnliche Substanzen,
die nicht auf der Erde vorkommen, auch aus der Extension des auf der Erde
geäußerten Wasser“ ausgeschlossen sind.
”
44
In einer Gehirn-physiologisch materialistisch geprägten Lesart könnte man etwa behaupten, dass die Neuronenkonfiguration von P unmöglich identisch sein kann mit der von
P ′ bei Äußerung obigen Satzes (etwa da P im Gegensatz zu P ′ potentiell die Assoziation
H2 O aktivieren könnte, was kausal bereits in der vorliegenden Konfiguration hinterlegt
sein müsste).
45
Dies ist relativ zum entsprechenden Planeten zu denken.
46
evtl. jeweils mit gewissen Verunreinigungen
23
Wir wollen dies folgendermaßen formulieren:
für alle Stoffproben x gilt, dass x nicht in der Extension von Wasser“
”
geäußert von einem Erden-Sprecher ist, falls x keiner der paradigmatischen
Stoffproben auf dem Planeten Erde für Wasser gleicht. (2.9)
Wir können dies folgendermaßen formalisieren:
∀x : x ∈
/ ParaSet( Wasser“, L) → x ∈
/ Ext( Wasser“, L),
”
”
wobei L eine Lebenswelt ist, in der sich die Sprache, zu welcher der Signifikant Wasser“ gehört, entwickelt hat. Die Menge ParaSet( Wasser“, L) be”
”
zeichne alle Stoffproben, die zu paradigmatischen Stoffproben für Wasser“
”
in der Lebenswelt L in einer weiter unten genauer zu spezifizierenden Ähnlichkeitsbeziehung stehen. Umgekehrt könnte man obige Aussage auch für
die Extension von Wasser“ auf der Zwerde durchführen. Die Formulierung
”
von (2.9) weist dadurch eine gewisse Offenheit auf, dass das Wort gleicht“
”
noch nicht befriedigend inhaltlich gefüllt worden ist. Zwei Dinge gleichen
einander in gewissen Hinsichten. Es muss demnach eine bestimmte Hinsicht
ausgezeichnet werden.
Es ist zunächst die Frage offen, ob man das Gedankenexperiment auch
ohne Verweis auf eine konkrete chemische Struktur (hier H2 O) durchführen
könnte. Dafür müsste eine andere Ungleichheit von Wasser und Zwasser angeführt werden. Das Gedankenexperiment lässt jedoch per Definition dies
genau nicht zu. Der einzige Unterschied, der bleibt, ist das Wasser eben auf
der Erde vorkommt und Zwasser auf der Zwerde . Es wäre wenig einsichtig zu
behaupten, dass nur diejenigen Substanzen Wasser sein können, die auf der
Erde (oder etwa in unserem Sonnensystem) vorkommen. Das heißt, sollten
wir auf einem fernen Planeten genau dieselbe Substanz vorfinden, nämlich
H2 O, so wäre dies nicht Wasser. Auch ergäbe sich das Problem, wo man die
Extensionsgrenze territorial einschränken sollte: im deutschsprachigen Bereich, auf der Erde, in der Milchstraße?47
Wie soll also das gleichen“ in (2.9) (bzw. die Ähnlichkeitsbeziehung“
”
”
in der Formularisierung) verstanden werden? Für Putnam ist das, wie das
Experiment schon nahe legt, die (einzige48 ) innere Struktur der Extension
eines NKT . Wie bemerkt, nützt es nichts, makroskopische Eigenschaften
(durchsichtig, flüssig, etc.) anzugeben, da in diesen Hinsichten Zwasser dem
Wasser der Erde genau gleicht.49
Zusätzlich zu (2.9) muss, um die These Bedeutungen sind nicht im Kopf“
”
aufzuzeigen, noch der Zusammenhang zwischen Bedeutung und Extension
näher beleuchtet werden.
Man könnte bspw. behaupten, dass die Bedeutung eines Wortes verträglich ist mit zeitinvarianter Extension. Das heißt, dass die Bedeutung eines
Wortes gleich bleiben kann, selbst wenn sich die Extension desselben Wortes vergrößert oder verkleinert. Im quantitativen Sinne ist dies auch intuitiv
eingängig. So gibt es etwa heute viel weniger Maikäfer als noch zu Zeiten
unserer Großeltern. Dennoch gehen wir von einer Invarianz der Bedeutung
des Wortes Maikäfer“ geäußert von den verschiedenen Generationen aus.
”
Weniger intuitiv verständlich ist dagegen die These mit einer zeitinvarianten
Extension im qualitativen Sinn.50 Würden wir etwa behaupten, dass, wenn
Wasser geäußert vor 300 Jahren die Extension Substanzen mit innerer Struk”
tur H2 O“ hatte, und geäußert in 300 Jahren die Extension Substanzen mit
”
innerer Struktur H2 O oder XYZ“ haben wird, immer noch dieselbe Bedeutung haben kann? Wäre dies der Fall, so gefährdet dies Putnams Argument.
Nichts schließt zunächst aus, dass nicht eines Tage Erdenbewohner auch in
Kontakt kommen mit XYZ. In diesem Falle, so würde Putnam argumentieren, ist es ausgeschlossen, dass auch XYZ Wasser ist, da es nicht in hinreichender Ähnlichkeitsbeziehung steht zum hiesigen Wasser. Doch könnte man
dieses Argument aushobeln?
Was etwa, wenn Bewohner von der Zwerde mit Bewohnern von der Erde in
Kontakt treten und zu sprechen beginnen. Welche Sprache sprechen sie dann?
Deutsch oder Zwerden-Deutsch oder eine neue hybride Sprache. Was meinen
die Sprecher, wenn sie das Wort Wasser“ benutzen: Wasser oder Zwasser ?
”
Für die erste Generation mag dies noch dadurch zu beantworten sein, dass
jeder eben sein Wasser meint. Doch was nach etwa 200 Jahren. Was meinen
die ersten Erde-Zwerde -Kinder, wenn sie Wasser“ sagen. Könnte man nicht
”
in einem solchen Fall behaupten, dass die Bedeutung das Wortes Wasser“
”
gleich geblieben ist, jedoch hat sich die Extension qualitativ erweitert.51
vgl. diesbezüglich auch Zemach [Zem76] S. 118f., der auf einen ähnlichen Punkt aufmerksam macht.
48
Putnam denkt, wie sich herausstellen wird die Extension modulo innerer Struktur im
Allgemeinen im Singular. Es kann jedoch zu Ausnahmen kommen, wie etwa im Falle von
Jade. Dies wird uns weiter unten noch intensiver beschäftigen.
49
Es stellt sich jedoch die Frage, ob es wissenschaftlich vorstellbar ist, dass eine Substanz
eben jene makroskopischen Eigenschaften aufweisen kann, aber in der inneren Struktur
trotzdem abweicht. Für Putnams Gedankenexperiment ist es aber hinreichend anzunehmen, dass sie insofern gleich sind, dass die Geschichte auf der Erde und auf der Zwerde bis
zum Jahr 1750 in der Weise ähnlich abgelaufen sind, dass sich die besagten Personen P
und P ′ im gleichen psychischen Zustand befinden. Unsere Bedenken werden weiter unten
noch mit Kuhn weiter ausgeführt (vgl. 3.3.5).
50
Wenn wir von Extension im qualitativen Sinne sprechen, so meinen wir Äquivalenzklassen der in (2.9) erwähnten Ähnlichkeits- bzw. Gleichheitsrelation.
51
Man könnte auch trickreich in Wittgenstein-Manier folgendermaßen argumentieren:
24
25
47
Wir wollen deshalb zusätzlich fordern:
Die einem NKT zugehörige Extension ist bei invarianter Bedeutung ebenfalls
invariant:52
∀x ∀L1 , L2 ∀t1 , t2 :
Bed(x, L1 , t1 ) = Bed(x, L2 , t2 ) → Ext(x, L1 , t1 ) = Ext(x, L2 , t2 ). (2.10)
Man könnte auch die wenig eingängige These behaupten, dass die verschiedenen Extensionen von Wasser“ geäußert auf der Erde und geäußert
”
auf der Zwerde nicht nach sich ziehen, dass die Bedeutungen unterschiedlich
sind. Putnam würde dies ablehnen und dagegen folgendes behaupten:
für alle NKTs x und y gilt: falls die Extensionen (im Sinne von 2.9) von
x und y disjunkt sind, so haben x und y verschiedene Bedeutungen (2.11)
∀x, y ∀L1 , L2 : Ext(x, L1 ) 6= Ext(y, L2 ) → Bed(x, L1 ) 6= Bed(y, L2 )
Wir haben gesehen, dass Putnam sogar noch auf eine stärkere Aussage
zusteuert, nämlich:
für alle Stoffproben x und y gilt, dass, falls sich die innere chemische
Struktur von x von der von y unterscheidet, so ist höchstens eine der
beiden Stoffproben in der Extension von Wasser“. (2.12)
”
geäußert von P wäre. Putnam argumentiert dagegen, dass, wenn ein Raumschiff heute von einer Expedition von der Zwerde auf die Erde zurückkehren
würde, so würden die Astronauten behaupten: Auf der Zwerde bedeutet das
”
Wort ,Wasser’ XYZ.“([Put75e] S. 32), ohne dass dabei jedoch Bedeutung mit
Extension gleichgesetzt werden sollte. Auf die Begründung der Behauptung
2.9 wird später noch zurückzukommen sein.
Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass obige, sowie folgende
Bedeutungsanalysen im Sinne von Kripkes semantischer Bedeutung 53 durchgeführt werden. Das heißt, es werden Fälle nicht berücksichtigt, in denen der
Sprecher eine Referenz intendiert, die nicht mit dem allgemeinen Gebrauch
seiner Sprachgemeinschaft übereinstimmt, die also kontextuelle Sonderfälle
darstellen54
2.3.2
Aluminium und Molybdän, Ulmen und Buchen
Beim folgenden Beispiel bemühen wir analog zu vorher wieder die Erde, die
Zwerde und die Personen P und P ′ . Nun können die Planeten darüber hinaus
durchaus völlig gleich beschaffen sein. Einziger Unterschied ist jedoch, dass
das Wort Aluminium“ im Gebrauch der Menschen auf der Zwerde (unser)
”
Molybdän bedeutet, und Molybdän“ bedeutet auf der Zwerde Aluminium.55
”
Zudem sei angenommen, dass auf beiden Planeten ein Unterschied der bei-
Bei Auffinden des ersten Stoffes mit innerer Struktur XYZ entschließen sich die Erdenbewohner, diesen Stoff als paradigmatischen Stoff für Wasser anzusehen. Nun sind allerdings
die paradigmatischen Fälle nicht selbst als Wasser zu klassifizieren, da sie die conditio
sine qua non dafür abgeben, dass wir Klassifikationen machen können. Damit ergibt sich
bei der Erweiterung der Paradigmenmenge kein Widerspruch zu 2.9, wenn man für auf
”
dem Planeten Erde“ mit in der Lebenswelt der Erdenbewohner“ ersetzt. Das Argument
”
ist allerdings fadenscheinig. Weist uns Wittgensteins These, dass der Urmeter nicht einen
Meter lang ist, darauf hin, dass dieser eine sehr spezielle Rolle in Sprachspielen einnimmt,
so ist die These dennoch falsch. Denn um als Maßstab zu dienen, muss im Messvorgang
ein Vergleich vorgenommen werden. Man fragt sich sogleich, worin Dinge, die einen Meter
lang sind, dem Urmeter gleichen, wenn nicht darin eben einen Meter lang zu sein.
52
Die Extension sei dabei für einen Term x die Extension im qualitativen Sinn. Variablen t1 , t2 stehen stellvertretend für Zeitpunkte.
53
vgl. [Kri77], oder auch Donnellans attributive Bedeutung in [Don66], oder auch Saussures langue (vgl. hierzu auch [Bur85])
54
Es sind also Fälle gemeint, die Kripke als Sprecher-referenzielle Verwendungsweise“
”
bezeichnen würde (Donnellan hat hierfür den Ausdruck referentielle Verwendungsweise“).
”
Zudem werden selbstverständlich Verwendungsweisen ala Humpty Dumpty ausgeschlossen, in denen der Sprecher arbiträr Bedeutungen mit den vom ihm benutzten Wörtern
verbindet, wie sie bspw. in [Don68] diskutiert werden. Dennoch sei darauf hingewiesen,
dass selbst bei Sprecher-referenziellen Gebrauch der semantische Gebrauch miteinbezogen
werden muss (allerdings nicht die Humpty Dumpty“-Verwendungsweise), bzw. die bei”
den Gebrauchsweisen nicht strikt getrennt werden können. So könnte ein Alkoholiker auf
die Frage, was sich denn in dem Glas vor ihm befinde ironischerweise antworten Dort
”
befindet sich nur Wasser.“ Selbst in Donnellans Beispiel der referentiellen Bedeutung von
Johns Mörder ist verrückt“ das referierend auf den Mann auf der Anklagebank verwendet
”
wird muss ein Verständnis der semantischen Bedeutung (in Kripkes Sinn) vorausgesetzt
werden. Dies zeigt, dass offenbar trotz der Einschränkung der Bedeutungsanalysen auf
semantische Bedeutung die Ergebnisse in Sprechakten mit Sprecher-referentieller Färbung
entsprechend Verwendung finden können.
55
Putnam variiert dieses Beispiel auch noch mit den Wörtern Ulmen“ und Buchen“
”
”
und einem Sprecher, der die Extensionen der beiden nicht auseinander halten kann (in
diesem Falle Putnam selbst, vgl. [Put75e] S.36f). Ebenso führt er in [Put88] (S.57f) ein
Beispiel mit Rotkehlchen und Spatzen auf. Die Argumentation ist allerdings im Folgenden
enthalten. Das Beispiel mit Aluminium taucht bereits in [Put70] auf (vgl. S. 150) und
dann wieder in [Put73b] (S. 703).
26
27
Im allgemeineren Rahmen muss das für alle NKTs nachgewiesen werden.
Es genügt nicht, zu behaupten, dass die Extension von Wasser“ Teil der
”
Bedeutung von Wasser“ ist. Denn in diesem Fall spräche noch nichts ge”
gen die Behauptung, dass nicht auch XYZ Teil der Bedeutung von Wasser“
”
den Stoffe jeweils nur von Experten festgestellt werden kann. Die meisten
Menschen56 wissen lediglich, dass es einen Unterschied gibt, und das heißt
auch zu wissen, dass es Experten gibt, die jeweils im Falle des Falles befragt
werden könnten.57 Würde nun P die Zwerde besuchen, so wird er sich nicht
dessen bewusst sein, dass P ′ beim Gebrauch des Wortes Aluminium“ etwa
”
im Zusammenhang mit einer Bratpfanne Molybdän meint. Ganz im Gegenteil
werden sich die beiden bei Verwendungen des Wortes Aluminium“ in glei”
chen Situationen im gleichen psychischen Zustand befinden58 . Dies zeigt für
Putnam wiederum, dass die Behauptung, dass die Intension die Bedeutung
konstituiert, falsch ist. Lediglich ein Experten von der Erde ist in der Lage
den Unterschied in den Gebrauchsweisen festzustellen, z.B. dann wenn er ein
Labor auf der Zwerde betritt und bei Versuchen der Zwerde Wissenschaftler
eine inverse Etikettierungsweise bemerkt. Er wird dann bei der Rückkehr auf
der Erde zu Protokoll geben, dass auf der Zwerde Aluminium“ Molybdän
”
bedeute (und umgekehrt).
Das Gedankenexperiment ist jedoch nur in der Lage, die These, dass Bedeutungen nicht im Kopf sind, aufzuzeigen, falls folgendes gilt:
Das Kriterium für die Extension eines Ausdrucks (etwa Aluminium“) wird
”
durch die Experten-Meinung festgelegt (und nicht etwa durch die Mehrheit,
so etwa durch deren Gebrauchsweise, oder deren Kenntnisstand). (2.13)
Wäre dem nicht so, so könnte die Extension für Aluminium“ gerade
”
auch Aluminium und59 Molybdän sein. These 2.13 besagt auch, dass es nicht
zwei unterschiedliche Bedeutungen für bspw. Aluminium“ gibt: eine für den
”
Experten (die ausdifferenzierte) und eine für den Laien, zumindest falls für
die besagten NKTs (2.11) gilt.60
56
d.h. diejenigen, die keine ausgeprägten chemischen Vorkenntnisse haben
Das ist so noch ein wenig idealisierend und daher nicht ganz richtig. Man stelle sich
etwa das drastische Szenario vor, dass durch einen Virus die gesamte Erdbevölkerung bis
auf zwei Personen ausgelöscht worden ist. Diese beiden Personen sind jeweils nicht Experten und können den Unterschied zwischen Molybdän und Aluminium nicht benennen.
Dennoch sind sie sich aufgrund ihres Wissens (bspw. der blassen Erinnerungen aus dem
Chemie-Unterricht) bewusst, dass es einen Unterschied gibt.
58
etwa bei Äußerungen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Pfanne mit der
Aufschrift made of Aluminium“. Putnam ist hierbei etwas ungenau. Er spricht lediglich
”
davon, dass bei ihrem Gebrauch des Wortes Aluminium“ überhaupt kein Unterschied
”
”
hinsichtlich ihres psychischen Zustandes besteht.“([Put75e] S. 36)
59
im mengentheoretischen Sinn
60
Im Zusammenhangs mit Putnams Konzeption der linguistischen Arbeitsteilung (vgl.
Abschnitt 2.4.1) werden wir noch detaillierter und kritisch darauf zu sprechen kommen.
57
28
2.4
2.4.1
Die Rolle des Sprachkollektivs
Die sprachliche Arbeitsteilung
Wurde bereits in [Kri81] mit der kausalen Theorie der Referenz der Fokus weg
von der restriktiven Perspektive auf den einzelnen Sprecher mit den kausalen
Ketten hin auf die Sprechergemeinschaft (sowohl synchron als auch diachron)
gerichtet, so erfährt dieser Gedanke mit Putnams Begriff der sprachlichen
Arbeitsteilung eine neue Wendung. Wir haben oben auch ein gewisses argumentatives Defizit bemerkt bzgl. These (2.13), das nun aufgearbeitet werden
soll.
Kausale Ketten und Experten
Mit der These der sprachlichen Arbeitsteilung nimmt Putnam die epistemische Last vom Einzelsprecher und verlagert sie auf den Experten61 , denn
[s]prachliche Kompetenz und Verstehen sind nicht bloß Wissen“ ([Put73c]
”
S. 31). Wir haben bei Kripke gesehen, dass der Mann auf der Straße nicht
über eindeutig identifizierendes Wissen über etwa Aristoteles verfügen muss,
damit wir ihm unterstellen können, dass er sich sinnvoll über eben jenen
Philosophen aus Athen unterhalten kann. Es genügt, dass eine Kette von
Sprechern in einer kausalen Verbindung stehen zum Taufereignis. Ein Glied
einer Kette ist dabei dadurch gekennzeichnet, dass die noch nicht mit dem
Namen vertraute Person die Bedeutung (und das heißt in diesem Falle die Referenz) von der bereits mit dem Namen vertrauten Person übernimmt, indem
er die Intension hat, den Namen mit der gleichen Bedeutung zu benutzen.
Die Kettenglieder bei Kripke laufen zurück auf den zentrischen Punkt der
Taufe und verbinden somit den einzelnen Sprecher mit der Referenz eines Namen. In Putnams Bild sind wir in Reichweite diverser Experten, die über das
Wissen über die Extension von NKTs verfügen. Es gibt keinen singulären
Referenten, der in einem einmaligen Taufereignis seine Bezeichnung erhielt.
Die Extension von NKTs ist gewöhnlich über eine Vielzahl paradigmatischer
Fälle charakterisiert. Sie sind die Forschungsgrundlage der Experten, die uns
darüber aufklären, wie diese beschaffen sind. Sie sind es, auf die sich die
einzelne Sprecherin berufen kann. Man mag zwar nicht in der Lage sein,
einen Unterschied zwischen Molybdän und Aluminium zu benennen, aber
zumindest weiß man, dass es einen Unterschied in der Extension gibt und
61
In dieser Hinsicht wird von Putnam bereits in [Put70] Vorarbeit geleistet, ohne dass
der Begriff sprachliche Arbeitsteilung“ (Orig. linguistic division of labour“) hier schon
”
”
auftaucht (vgl. Fußnote 89 ). Das tut er zum ersten mal in [Put73b] (S. 704). Putnam
diskutiert diesen Begriff desweiteren u.A. in [Put75e] S.37ff, [Put88] S.57ff
29
dass es eine Expertin gibt, die im jeweiligen Falle Klarheit verschaffen kann.
Die Kripke’schen kausalen Ketten verschwinden in diesem Sinne nicht mit
Putnams Konzeption. Ganz im Gegenteil stehen wir in Verbindung zu den
Experten in gerade solchen kausalen Ketten. Wir haben die Intention gerade das zu meinen, wovon Experten sprechen, wenn sie einen entsprechenden
NKT benutzen. Wir, insbesondere auch die Experten, stehen ebenso in Verbindung zu den Vorgängergenerationen bis zurück zu derjenigen Generation,
die begann einen entsprechenden NKT zu benutzen.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Kontinuität der Referenz eines
Sprachkollektivs für einen NKT durch das kontinuierliche Vorliegen einer Expertenschaft gesichert ist. Ansonsten kann es zu einem Bruch kommen, wie
Putnam in [Put70] (S.151) anhand eines Gedankenexperiments aufzeigt. Angenommen ein irdisches Raumschiff deutschsprachiger Astronauten ist auf
einer Expedition in die Weiten des Weltraums unterwegs und abgeschnitten von jeglichem Kontakt mit der Erde. Auf dem Raumschiff befinden sich
sowohl Molybdän als auch Aluminium. Unglücklicherweise ist kein Experte
an Bord, der über ein Wissen von charakteristischen differierenden Merkmalen der beiden Materialien verfügt. Des weiteren sei angenommen, dass die
Astronauten von nun an Molybdän mit Aluminium“ bezeichnen und umge”
kehrt62 . In diesem Falle kommt es zu einem Bruch in der Bedeutung, denn
die neue Bedeutung von Aluminium“ ist Molybdän.63
”
Man ist nun versucht das Beispiel noch weiter zu verschärfen. Es wäre vorstellbar, dass kein Astronaut auf dem Raumschiff über ein Unterscheidungsmerkmal verfügt. Der einzelne Sprecher befindet sich nun in der seltsamen
Situation über keine ausreichende Methode und kein ausreichendes Wissen
zur korrekten Klassifizierung gegebener Probesubstanzen zu verfügen. Dennoch weiß er, dass es einen Unterschied gibt. Die offene Frage ist nun, auf was
das Wort Aluminium“ nun verweist, da in diesem Fall die kollektive Leistung
”
62
Das heißt sie verfügen über Methoden, einen Unterschied auszumachen, haben aber
nicht die erforderliche Kenntnis, dies als Grundlage einer korrekten Klassifizierung zu
benutzen.
63
Diese Diskontinuität aufgrund eines epistemischen Defizits (im weiteren Sinne als
Defizit des Kollektivs und nicht des Individuums) taucht in ähnlicher Weise auch in den
Beispielen von Gareth Evans (vgl. [Eva73]) auf. Während es bei Putnam um die Kontinuität der Verfügbarkeit eines Experten geht, handelt es sich bei Evans um die Kontinuität
im Wissen um die Geschichte (vgl. u.A. seine Napoleon Gedankenexperiment (S. 327f) und
dasjenige mit Ibn Khan“ (S. 330f)). Dies verweist selbstverständlich auch auf eine Ex”
pertenschaft, die mit ihren Nachforschungen jene Kontinuität sichern. In diesem Sinne
werden Putnams Thesen auch im Zusammenhang mit Eigennamen sehr aktuell. Es sei
noch angemerkt, dass Brüche in diesem Sinne natürlich auch auf andere Art und Weise
stattfinden können, wie Donnellans Nikolaus Beispiel veranschaulicht (vgl. [Don74] u.A.
S. 297).
30
der Sprachgemeinschaft nicht mehr intakt ist. Selbst die Zukunftsverwiesenheit der sprachlichen Arbeitsteilung hilft nicht, denn der Bruch ist in unserem
Beispiel endgültig. Selbst wenn nun das Astronauten-Sprachkollektiv jemals
ein solches Kriterium64 finden würde, wäre es immer noch fraglich, bzw. eine Frage der Konvention, welcher der beiden Ausdrücke welche Substanz
bezeichnet65 .
Solche Fälle zeigen auf, dass zwar die Astronauten einmal das Wort er”
worben“ haben, aber aus Putnams Distinktion zwischen einem Wissen um
die Bedeutung und der Fähigkeit über korrekte Identifikationskriterien zu
verfügen, durchaus folgen kann, dass sie ohne eigenes Zutun das Privileg
verlieren können.66
Man könnte den Zusammenhang auch anders formulieren: die kriteriale Autorität bei der Bestimmung von Extensionen von NKTs liegt bei den
Experten. Es kommt also zu einer gewissen Hierarchie innerhalb des Sprachkollektivs zugunsten der Gebildeten. Dieser Gedankengang weißt auch schon
auf ein anderes Putnam liebes Thema hin. Der nicht-Experte ist nämlich bei
von ihm vorgenommenen Klassifizierungen jeweils in der Lage, dass er in einem gewissen Sinn in einer Rückzugsposition befindet. Das heißt er lässt es
jeweils offen, ob sein Urteil bzgl. NKTs zutrifft, er ist jeweils offen für die Korrektur eines Experten. Wie Putnam v.a. in seiner Wissenschaftsphilosophie
hervorhebt, unterliegt auch der Experte dieser Rückzugshaltung gegenüber
den zukünftigen Forschungsresultaten.67
Wir sind im ersten Beispiel davon ausgegangen, dass Wasser auf der Erde
wirklich H2 O ist und sprachen davon, dass Person P gerade auf diese Substanz referiert. Dass Wasser wirklich68 H2 O ist, ist jedoch ein Resultat der
Chemie. Die korrekte Klassifizierung einer unbekannten Probe kann jeweils
nur ein Experte vornehmen. Nun gab es allerdings im Jahr 1750 noch keine
entsprechenden Experten. Die Extensionsklassifizierungshoheit ist in diesem
Falle also in die Zukunft gelagert69 .
64
Beachte, dass ein Unterscheidungskriterium nicht notwendigerweise ein solches sein
muss, dass sie in die Lage versetzt, korrekt zu klassifizieren.
65
Noch komplizierter wäre es, wenn noch später eines Tages plötzlich ein Dokument
auftauchen würde, das auf den korrekten Gebrauch der beiden Wörter vor dem Bruch
verweist. Das Beispiel ist dann analog zu Evans Ibn Khan“ Gedankenexperiment ([Eva73]
”
S. 330) zur Eigennamenproblematik, insofern es die offene Frage aufwirft, ob man nun den
Sprachgebrauch ändern soll (hinsichtlich des früheren Gebrauchs) oder nicht, sowie die
Frage, welcher Gebrauch der korrekte ist.
66
Gaynesford macht auf einen ähnlichen Punkt aufmerksam ( for suppose no one has
”
sufficient knowledge of the referent of a word to be able to identify it“ ([Gay06] S.103)).
67
vgl. Abschnitt 2.6
68
dabei sei an dieser Stelle ein gewisser Wissenschaftsoptimismus unterstellt
69
Man vergleiche im Gegensatz dazu die Kripkeschen Ketten, die mit dem Taufereignis
31
Diese Argumentation wird in dem Moment noch interessanter, wenn man
einen wissenschaftlichen Fallibilismus unterstellt, doch dazu später mehr.
Aus dem Prinzip der sprachlichen Arbeitsteilung entspringt nun für Putnam so etwas wie ein semantischer Egalitarismus:
Der Chemiker, der weiß, dass die Ordnungszahl von Gold 79 ist,
hat keine bessere Kenntnis der Bedeutung des Wortes Gold“,
”
sondern er weiß einfach mehr über Gold. ([Put88] S.59)
Die Drohung des Sprachspielpluralismus
Putnam weist darauf hin, dass mit zunehmende Arbeitsteilung in den Lebensgemeinschaften die Rolle der sprachlichen Arbeitsteilung zunimmt (vgl.
[Put75e] S. 38). Das alles lässt darauf schließen dass man es mit einer zunehmenden Dezentralisierung der kriterialen Pole der Extensionsbestimmung,
aber auch mit einer Zunahme der Distanz vom Mann auf der Straße zu diesen Polen, zu tun hat. Haben wir oben bei der Kritik der kausalen Theorie
der Referenz eine gewisse Problematik festgestellt in Fällen, bei denen das
Taufereignis weit zurück liegt, so dass es zu Brüchen der Ketten oder Disseminationen kommen kann, so liegt die Vermutung nahe, dass dieser Effekt
bei gewissen Ausdrücken evtl. auch hier zu Problemen führen könnte und
es so vielleicht doch zu einer Bedeutungsstreuung in diejenige des einfachen
Mannes und diejenige des Experten kommen könnte. Im Sinne Wittgensteins
könnte man dann sagen, dass dann zwei verschiedene Sprachspiele gespielt
werden, die lediglich einer gewissen Ähnlichkeit unterliegen (denn mit Sicherheit wären die beiden Bedeutungen nicht völlig entkoppelt).70
2.5
Der Einfluss der Umwelt - Indexikalität
Für unser erstes Gedankenexperiment mit der Zwillingserde und dem Wasser
sahen wir noch ein argumentatives Defizit bzgl. der Begründung der These
(2.9). Dies soll nun im Folgenden nachgeholt werden.
Wir sahen in der Argumentation des Gedankenexperiments, dass die Umwelt einen wichtigen Beitrag zur Festlegung der Referenz eines NKTs leistet.
Putnam formuliert das in der Aussage, dass [. . . ] Wörter wie ,Wasser’ eine
”
unbemerkt gebliebene indexikalische Komponente haben: Wasser ist etwas,
das in einer bestimmten Ähnlichkeitsrelation zum hiesigen Wasser steht.“
([Put75e] S.46)
jeweils in die Vergangenheit gerichtet sind. Damit ist der vorliegende Ansatz zeitlich sowohl
nach vorn als auch nach hinten gerichtet.
70
vgl. hierzu auch Abschnitt 3.3.1
32
Gewöhnlicherweise bezeichnen wir Wörter wie ich“, dies“ oder heute“
”
”
”
als indexikalisch, da sie in verschiedenen Kontexten oder bei verschiedenen
”
Verwendungen verschiedene Extension haben“ ([Put75e] S. 46). Nun stellen
wir jedoch mit Salmon fest, that the designation of a natural kind term
”
does not vary from one context of utterance to another.“ ([Sal81] S. 104)71
Die Extension von gewöhnlichen indexikalischen Wörtern ist eine Funktion
Ext(Term, Situation). So variiert etwa die Extension von ich“, wenn Gre”
tel das Wort äußert (nämlich {Gretel}) gegenüber einer Äusserung desselben durch Hänsel (nämlich {Hänsel}). Dagegen kann man für NKTs von
einer Funktion Ext(Term, P ) ausgehen, wobei P eine Menge paradigmatischer Fälle ist, und ein Gegenstand/Stoff/etc. genau dann in der Extension
liegt, falls er in einer vorgegebenen Ähnlichkeitsbeziehung zu einem Gegenstand/Stoff/etc. in P steht. In gewöhnlichen Fällen ist darüber hinaus P
einelementig (etwa im Falle von Gold eine Stoffprobe mit Atomnummer 79,
im Falle von Wasser eine Stoffprobe mit innerer molekularer Struktur H2 O,
etc.). In diesem Sinne schreibt Donnellan, dass ‘water’ is not itself an in”
dexical on either Twin Earth or Earth, but at a deeper level, at the level of
the specification of the paradigms whose underlying nature determines the
extension, indexicality enters [. . . ]“ ([Don93] S. 159). Ist die Indexikalität
von Wörter wie ich“ abhängig vom Äußerungskontext des Individuums, so
”
ist die Indexikalität von etwa Wasser“ abhängig vom Äußerungskontext ei”
ner ganzen Sprachgemeinschaft. Im Äußerungskontext der Erdenbewohner
sind die paradigmatischen Fälle von Wasser durch die innere Struktur H2 O
gekennzeichnet, auf der Zwerde dagegen durch XYZ.
Die Ähnlichkeitsrelation nennt Putnam im Falle von Wasser die Flussi”
dentität“ und es stellt sich als nächstes die Frage, wie diese zu bestimmen
ist. Diese ist mit Putnam durch die Natur unserer paradigmatischen Fälle
vorgegeben. The extension of our terms depends upon the actual nature
”
of the particular things that serve as paradigms, and this actual nature is
not, in general known to the speaker.“ ([Put73b] S. 711) Nicht nur ist sie
unter Umständen nicht jedem individuellen Sprecher bekannt, sondern sie
mag der ganzen Sprechergemeinschaft unbekannt sein. Dies liegt daran, dass
die Ähnlichkeitsrelation is a theoretical relation: whether something is or is
”
not the same liquid as this may take an indeterminate amount of scientific
investigation to determine“ ([Put73b] S. 702).
Akzeptiert man einmal die Indexikalität von NKTs , so sieht sich Putnam vor folgende Alternative gestellt: zum einen kann man zulassen, dass
71
Ebenso stellt Burge fest, dass it is clear that ‘water’, interpreted as it is in English,
”
or as English speakers standardly interpret it, does not shift from context to context“
([Bur82] S. 234). Vgl. auch [Don93] S. 157.
33
NKTs mit verschiedenen Extensionen trotzdem die gleiche Bedeutung haben (im Widerspruch zu (2.11))72 ; auf der anderen Seite könnte man davon
ausgehen, dass [. . . ] bei natürlichen Prädikaten ein Extensionsunterschied
”
ipso facto einen Bedeutungsunterschied ausmacht“ ([Put75e] S. 47). Putnam
befürwortet die zweite Möglichkeit. Zusammengefasst ergibt sich also damit
die erforderten Thesen (2.9) und (2.11).
Argumentativ hat Putnam dazu wenig zu bieten. Das heißt, das Kapitel
Indexikalität und Starrheit in [Put75e] liefert auch nicht den Ansatz einer
hinreichenden Begründung dieser These73 . Wenn er zu Beginn auf die ostensiven Definitionen und Stereotypen, die bei der Identifizierung der Extension
benutzt werden, verweist, so spricht das noch nicht gegen eine prinzipielle
Offenheit des Bedeutungsbegriffs, die ihn auch in die Lage versetzen würde
Zwasser , das heißt Mengen des Stoffs XYZ zu umfassen. Ein Verweis auf
obiges Gedankenexperiment hilft aus Zirkularitätsgründen nicht weiter. In
Repräsentation und Realität“ verweist Putnam mit Alan Berger auf die
”
Musterabhängigkeit des Lernens etwa des Wortes Wasser“, wobei gilt, dass
”
eine Substanz, die sich nicht so verhält wie diese Beispiele, wird nicht als
”
dieselbe Substanz gelten“ ([Put88] S. 77).
Die teilweisen überraschenden74 und weitreichenden75 Folgen dieses Ansatzes für den Begriff der Notwendigkeit werden wir weiter unten näher betrachten.
2.6
Das Prinzip Vertrauensvorschuss
Putnam führt in Sprache und Wirklichkeit“ ([Put75d] S. 54 ff.) ein neues
”
Prinzip ein: das Prinzip des Vertrauensvorschuss. Wir wollen an dieser Stelle
den Ansatz deskriptiv vorstellen. Vor allem soll das Prinzip später im Rahmen der Wissenschaftsphilosophie detaillierter kritisch beleuchtet werden, da
es sich gerade dort als sehr folgenreich erweist.
Das Prinzip des Vertrauensvorschuss schließt eng an zwei bereits oben
angeführte Charakteristika von Putnams Sprachphilosophie an. Zum einen
die Betonung des sozialen Aspekts der Sprache und zum anderen die wichtige
Rolle der Umwelt und der Referenz eines Terms.
Ein Taufereignis eines neuen Terms kann etwa auf dreierlei Weisen erfolgen. Zum einen ostensiv, deiktisch: so etwa unter deutender Armbewegung
und der Äußerung eines Satzes wie Dies ist (ein) . . .“. Wir wissen z.B. mit
”
Wittgenstein, dass ostensive Definitionen eine gewisse Unschärfe aufweisen
und damit Sprecher bereits mit einem Sprachspiel, das die deiktische Sprachhandlung einbettet, vertraut sein müssen.
Dieselbe Feststellung gilt für die zweite Art, einen neuen Term einzuführen,
die vor allem im wissenschaftlichen Rahmen oft im Zusammenhang mit neuen
theoretischen Begriffen auftritt. Terme werden mit Hilfe von Beschreibungen
eingeführt. Man kann dies auf zwei Arten tun: zum einen kann man etwa
definitorisch festsetzen: Der größte Planet im Weltall heiße Titan.“ Diese
”
Definition erfolgt unter Synonymie, denn Titan“ wird als gerade der Planet
”
definiert (welcher immer das sein mag), welcher der größte im Weltall ist.
Wenn man von gewissen Unschärfen im Beispiel absieht,76 so ist die Existenz
eines solchen Planten, und damit die Existenz von Titan gesichert.
Üblicher ist es jedoch im Wissenschaftsbetrieb Termini auf abduktive77
Weise einzuführen. Es stellt sich dabei folgendes Szenario ein: Der/die Wissenschaftler stellen eine Gruppe von auffallenden Effekten/Phänomenen P
fest. Man vermutet im Zusammenhang mit der derzeitigen Theorie78 , dass
diese Phänomene durch eine (abstrakte oder materielle) Entität verursacht
werden. Man führt einen neuen Term für diese Entität X ein, etwa in dem
Sinn X ist dasjenige, was P verursacht“.
”
Putnam betont nun, dass erstere, sowie letztere Vorgehensweise und Mischformen davon keine Synonymien stiften.“ ([Put75d] S. 54) Vielmehr pickt
”
”
die Beschreibung das heraus, worauf der Taufende sich beziehen will [. . . ].“
Wie ist der Verweis auf die Sprecherintention mit will“ zu verstehen?
”
So könnten sich viele der Phänomene aus P als nicht durch X verursacht herausstellen. Dies entspricht dem gewöhnlichen Gang der Wissenschaften. So meint Putnam, es wird sich jeweils fast sicher herausstellen,
”
dass kein Teilchen für genau die von mir angegebenen Effekte verantwortlich
ist.“ ([Put75d] S. 55)
Dies ist zudem verbunden mit dem oben angeführten Prinzip der Indexikalität. Man nehme etwa an, es gäbe irgendwo im Universum eine Entität
X ′ , die genau die Gruppe der Phänomene P verursacht,79 allerdings kom-
72
vgl. hierzu klassische indexikalische Wörter wie ich“.
”
Dies erinnert an Kripkes starre Bezeichner, die er mit folgenden Worten einführt:
Eine der intuitiven Thesen, die ich in diesen Vorträgen vertreten werde, ist die These,
”
dass Namen starre Bezeichnungsausdrücke sind.“ ([Kri81] S. 59)
74
Nicht für den Leser, der schon mit Kripkes [Kri81] vertraut ist.
75
Dass diese Folgen jedoch nicht ohne ein gewisses Maß an metaphysischen Essentialismus auskommen hat Salmon mit Hilfe tiefgreifender logischer Analysen gezeigt (vgl.
[Sal81] und [Sal79]).
76
Also die Frage, welches ein hinreichendes Kriterium darstellt, die Größe eines Planeten
anzugeben: Volumen, Masse, was wird gemessen (Atmosphäre, nur Oberfläche, etc.), etc.,
sowie die Frage danach, ob sich Planeten nach diesem Kriterium linear ordnen lassen.
77
Wir besprechen den Begriff der Abduktion genauer in Abschnitt 3.3.4
78
vor allem im Zusammenhang mit dem, was Putnam, wie wir später sehen werden, die
Rahmenprinzipien nennt
79
vgl. hierzu Putnams Selektronen“ ([Put75d] S. 58).
”
34
35
73
men diese nicht in der näheren Umgebung der Erde, etwa der Milchstraße,
vor. Putnam betont nun, dass wir uns trotzdem mit X“ nicht auf X ′ be”
ziehen. In diesem Sinn unterscheidet sich Putnams Konzeption von Wilsons
‘Prinzip der Nachsicht’. Wir unterstellen dem Sprecher nicht, zu beabsichtigen auf das zu referieren, was jeweils den deskriptiven Referenzfixierern
bei der Einführung des Terms am besten entspricht, oder die größtmögliche
”
Menge von Überzeugungen des Sprechers wahr macht“ ([Put75d] S. 56). Wie
wir soeben gesehen haben könnte das in Konflikt treten mit der von Putnam
konstatierten Rolle der Umwelt, aber ebenso zu Absurditäten etwa bei Benutzung von Eigennamen führen. Nach dieser Auffassung wäre etwa in Kripkes
Szenario, in dem Gödel nicht den Unvollständigkeitssatz bewiesen hat, sondern Schmid, der Satz Gödel bewies den Unvollständigkeitssatz“ wahr, da
”
Gödel“ hier auf Schmid referiert, indem der Referent Schmid die meisten der
”
(falschen) Überzeugungen, die der Sprecher über Gödel hat, bewahrheitet.
Darüber hinaus könnte es zu Inkonsistenzen mit der Theorie der sprachlichen Arbeitsteilung führen, da sich die Überzeugungen des Sprechers durchaus von denjenigen, die etwa Fachkundige in einer Sprechergemeinschaft haben, unterscheidet. Die Sprecherintention, im Sinne dessen worauf sich der
”
Sprecher beziehen will“ ist in diesem Sinne auf die Sprachgemeinschaft ausgerichtet, und nicht solipsistisch“.
”
Mit dem vorliegenden Ansatz geben wir vielmehr dem Experten, dem
Sprecher, einen Vertrauensvorschuss und unterstellen ihm, er würde vernünf”
tige Modifikationen seiner Beschreibung akzeptieren“ ([Put75d] S. 56). Es
stellt sich natürlich sofort die Frage nach Grenzen dessen, was Putnam als
vernünftige Modifikationen“ bezeichnet. Etwa im Zusammenhang mit ana”
chronistischen wissenschaftlichen Termini, wie Phlogiston“ scheinen diese
”
überschritten worden zu sein. Wir setzen uns mit dieser Problematik und den
Zusammenhang des Prinzips des Vertrauensvorschuss’ und dessen was Putnam mit Shapere als trans-theoretische Termini“ bezeichnet im Abschnitt
”
4.4.1 kritisch auseinander.
Wie oben festgestellt wurde, wissen wir oft nicht über die wirkliche Beschaffenheit dessen, was wir mit unseren Wörtern bezeichnen. Vielfach sind
uns diverse paradigmatische Fälle zugänglich, manchmal gehen wir von einer
Gruppe von Phänomenen aus und unterstellen etwas, das wir dafür ver”
antwortlich“ machen. Im Laufe unserer wissenschaftlichen Untersuchungen
finden wir (zumindest sofern wir an einem wie auch immer gearteten Begriff
der Konvergenz oder eines Fortschritts der Wissenschaften in qualitativer
Hinsicht festhalten) mehr über das, was wir zu bezeichnen beabsichtigen,
heraus. Nicht nur ist der gewöhnliche Sprecher mit dem Prinzip der sprachlichen Arbeitsteilung nicht genötigt, in diesem Sinne allwissend zu sein, dass
er den Mechanismus der Referenz dieses Terminus explizit oder auch nur
”
36
implizit“ zu kennen genötigt ist. Auch der Experte muss das nicht.80
2.7
2.7.1
Stereotypen und Marker
Stereotypen
Wir haben oben festgestellt, dass Putnam mit Hilfe der sprachlichen Arbeitsteilung die epistemische Last vom einzelnen Sprecher nimmt und auf Experten verteilt. Damit stellt sich natürlich die Frage, was denn dann ein Sprecher
wissen sollte, so dass man ihm zuschreiben kann, dass er auf den richtigen
Gegenstand referiert. Denn es ist keineswegs ausreichend, bspw. im Falle von
Tiger“ zu wissen, dass solche jeweils ausgedehnte Körper darstellen (vgl.
”
[Put75e] S. 64), denn der Sprecher könnte dann je eine enorme Klasse an
Fehlklassifizierungen vornehmen81 , bzw. besitzt er kein hinreichende Identifikationskriterium zumindest für einen Großteil der auftretenden Fälle82 .
Putnam stellt nun fest, dass es für NKTs jeweils eine Menge zugehöriger
Stereotypen gibt. Es gibt im Normalfall eine Vielzahl solcher Stereotypen,
das heißt man kann in der Regel nicht einen als den korrekten auszeichnen.
Ebenso sind Stereotypen von einer gewissen Unschärfe gekennzeichnet. Dabei sind Stereotypen nothing but standardized sets of beliefs or idealized
”
beliefs associated with terms“.
Putnam fragt sich dazu zunächst, was sich ein Sprecher bei einem Lernprozess aneignen müsste, so dass man davon ausgehen könnte, dass er ein
Wort wie Tiger“ erworben hat.83 Im Sinne Wittgensteins könnte man auch
”
fragen, was es braucht damit der Sprecher die Rolle des Wortes im Sprachspiel versteht, und damit den Witz“ desselben durchschaut. Hierfür führt
”
80
Putnam führt in diesem Zusammenhang auch ein Prinzip der vernünftigen Unwissenheit ein, das uns verbietet anzunehmen, dass irgendwelche Sprecher philosophisch
”
allwissend sind“ ([Put75d] S. 59) Es ist jedoch nicht klar, inwiefern dieses eine Aussage
trifft, die nicht bereits im Rahmen der linguistischen Arbeitsteilung bzw. des Prinzips des
Vertrauensvorschuss getroffen wurde. Wir haben bereits betont, dass Putnams Prinzip des
Vertrauensvorschuss auf dem Prinzip der linguistischen Arbeitsteilung, als auch auf dem
Prinzip der Indexikalität aufsetzt. Auch Putnam betont dies: Es sollte beachtet werden,
”
dass das Prinzip Vertrauensvorschuss mit seinem Hintergrund stets in Verbindung mit
dem Prinzip der vernünftigen Unwissenheit arbeitet.“ ([Put75d] S. 62)
81
Falls er eben diesen Satz im Sinne einer Identität liest
82
So dass er etwa unentschieden ist, ob ein Schneeball als Tiger“ zu klassifizieren wäre
”
(vgl. [Put75e] S. 66)
83
Putnam spricht hier vom Erwerben“ von Wörtern (vgl. [Put75e] S. 65) im Gegensatz
”
zum Erlernen einer Bedeutung“, da es sich im zweiten Fall so anhöre, als ob man so etwas
”
wie den Begriff erwerben würde. Der Begriff jedoch impliziert nicht die Bedeutung, wie
schon aufgezeigt wurde.
37
Putnam zwei Kriterium auf: (i) die Anerkennung des Sprachkollektivs seines
Wortgebrauchs. Jemand, der sich bei Schneebällen nicht sicher ist, ob diese
nicht auch zu den Tigern zu zählen sind, wird eine solche nicht zu erwarten
haben. Die zweite Forderung ist komplizierter und besagt, dass
(ii) seine [die des Sprechers] Stellung in der Welt und in seiner
Sprachgemeinschaft insgesamt so ist, dass die sozial bestimmte
Extension des Wortes Tiger“ in seinem Idiolekt die Menge aller
”
Tiger ist. ([Put75e] S.65)
Die Frage ist nun, wie dieses Kriterium inhaltlich zu füllen ist. Zunächst ist
unter Stellung in der Welt“ zu verstehen, dass die paradigmatischen Fälle,
”
denen sein Sprachkollektiv bei der Ausprägung des in Frage kommenden
NKTs ausgesetzt war die Extension der NKTs im Sinne der oben angeführten
Indexikalität von NKTs für ihn vorgeben. Ein Bewohner der Zwerde referiert
mit seiner Verwendung des Wortes Wasser“ eben gerade nicht auf hiesiges
”
Wasser, sondern auf Zwasser .
Nun ist die Frage, wie viel an Grundwissen84 bzw. welches Mindestmaß
”
an Kompetenz“ ([Put75e] S.66) der jeweilige Sprecher von sich aus mitbringen muss, dass die sozial bestimmte Extension des Wortes Tiger“ in seinem
”
”
Idiolekt die Menge aller Tiger ist“, die ja, wie wir mit Hilfe des Begriffs der
sprachlichen Arbeitsteilung gesehen haben, über die Experten letztlich bestimmt wird. Das heißt, dass diese sozial bestimmte Extension in seinem
”
Idiolekt“ nicht einfach die Extension in seinem Idiolekt bedeuten kann, wie
bspw. in Putnams Idiolekt, wie er zu gibt, die Extension von Buche“ Buchen
”
und Ulmen umfasst.
Welche Grundkompetenz ein Sprecher in semantischer Hinsicht mitbringen muss, unterscheidet sich von Ausdruck zu Ausdruck und von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft: etwa ist es vom Sprecher in mitteleuropäischen Breiten gewöhnlich nicht gefordert Buchen und Ulmen unterscheiden zu können, bei Sprachkollektiven, die mehr im Einklang mit der Natur
leben, mag es bei NKTs Bäume betreffend ganz anders sein. Dafür erwarten wir von Sprechern etwa Tiger von Leoparden unterscheiden zu können.
Allgemein gesprochen handelt es sich um konventionale und möglicherweise
”
unzutreffende Meinungen“.
84
Putnam kritisiert an Kripke u.A. in seiner kausalen Theorie der Namen diesen Punkt
vernachlässigt zu haben: Solange man nicht einige, den Träger des Namens betreffende
”
Überzeugungen hat, die wahr oder annähernd wahr sind, ist es bestenfalls müßig, zu
meinen, dass der Name in seinem Idiolekt auf diesen Träger referiert“ ([Put73c] S.36). Im
Sinne Putnams bietet sich an dieses Defizit mit Hilfe von Stereotypen abzudecken, wie
z.B. Aristoteles war ein antiker Philosoph.“
”
38
Es wird also von Sprechern das Teilen von gemeinsamen Stereotypen erwartet, die oft auch die Grundlage von Lernvorgängen bilden. Das heißt, auf
die Frage Was ist ein Tiger“ wird gewöhnlich mit der Angabe eines Ste”
reotyps geantwortet. Die Stereotypen bilden somit so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner85 eines Sprachkollektivs86 , sie sind obligatorisch“
”
([Put75e] S. 70 und S. 71) beim Erlernen und Benutzen der jeweiligen NKTs .
Damit wird at least an approximation to the normal use“ erreicht.
”
Das macht es unter Anderem auch möglich, sich Wörter anzueignen, ohne dass man je durch ostensive Definitionen auf die Extension hingewiesen
wurde. Es ist einem europäischen Kind auch möglich das Wort Tiger“ zu
”
erwerben, ohne je in einem Zoo gewesen zu sein. Es kann sich den Stereotyp über Zeichnungen in Bilderbüchern, oder über Erzählungen der Eltern
oder anderer Kinder angeeignet haben. Es gilt dann mit Putnam bereits als
kompetente Benutzerin des Wortes Tiger“. Dass bei deutschen Großstadt”
kindern der Stereotyp einer Kuh lila ist, bleibt mit Putnam noch jeweils
im Toleranzbereich, da Stereotypen von Mensch zu Mensch Schwankungen
ausgesetzt sind.87 Die Schilderungen Putnams lassen damit darauf schließen,
dass Stereotypen selbst in einer Familienähnlichkeit zueinander stehen.88
Die beiden genannten Aspekte für das Kriterium (ii) fasst Putnam in
[Put70] noch unter der Bezeichnung core facts“ (S. 148) zusammen. Den
”
Ausdruck gibt er in [Put75e] auf, da es sich beim Stereotypen gerade nicht
um faktisches Wissen handeln muss (vgl. die lila Kuh)89 . Stereotypen sind ein
elementares Konstituens von Sprachgebrauch. Language is not only used to
”
verify and falsify and classify; it is also used to discuss. The existence of standardized stereotypes [. . . ] is a necessity for discussion, not for classification.“
([Put78b] S. 116)
85
Das schließt nicht aus, dass es sich bei den Stereotypen eines Terms um eine im hohen
Maße heterogene Menge handeln kann. Der Stereotyp von Sprecher zu Sprecher abweichen.
86
Z.B. heißt es in [Put75e]: die Eigenschaft des Gestreiftseins taucht in allen normalen
”
Idiolekten auf (abgesehen von gestaltpsychologischen Feinheiten [. . . ])“ (S. 71).
87
Vergleiche hierzu Putnams Beispiel der blauen Zitronen in [Put70] S. 148.
88
Dieses Phänomen kann man auch bei Übersetzungen feststellen, so spricht Putnam
in [Put88], dass wahrnehmungsbezogene Prototype[n]“ bei Übersetzungen jeweils hinrei”
”
chend ähnlich sein sollen“ (S.71). Der Begriff der Familienähnlichkeit taucht in Putnams
Veröffentlichungen an verschiedenen Stellen auf (bspw. in [Put92c] S.43).
89
Hier heißt es zusammenfassend: (1) The core facts are the stereotype and the exten”
sion. (2) Nothing normally need be said about the extension, however, since the hearer
knows that he can always consult an expert if any question comes up.“ (S. 151)
39
2.7.2
Semantische und syntaktische Marker
Ein typischer Stereotyp für Tiger“ wäre etwa mit Tiger sind Tiere mit gel”
”
ben Streifen auf schwarzem Untergrund“ gegeben. Putnam stellt hier Prädikationen mit verschiedenen Graden an Zentralität fest. So ist die Aussage
Alle Tiger sind Tiere“ wesentlich zentraler und qualitativ weniger revidier”
bar als die Aussage Alle Tiger haben Streifen.“, wenn sie auch beide nicht
”
als analytisch zu werten sind.90 Solch wichtige und weitverbreitete Klassifi”
kationssystem[e]“ nennt Putnam mit Katz und Fodor91 semantische Marker.
Wie zu erwarten ist, distanziert sich Putnam von Katz und Fodor insofern, als
es für ihn im Allgemeinen keine Möglichkeit gibt, den semantischen Marker in
solcher Art zu erweitern, dass ein notwendiges und hinreichendes Kriterium
zur Extensionsklassifikation gegeben wäre92 .
Ebenso führt Putnam den Begriff des syntaktischen Markers ein, die Klassifizierungen bzgl. der Rolle, die ein Wort in der Syntax einer Sprache anzeigt:
so z.B. Substantiv, Verb, etc.
2.8
Der Bedeutungsvektor, Gebrauch und der
Sprachspielinternalismus
Abschließend stellt sich schließlich die Frage, was denn nun für Putnam Be”
deutung“ ist. Wir haben bereits die nötige Terminologie eingeführt um die
Frage zu beantworten. In Putnams Bild - er lehnt ausdrücklich den Versuch
eine Theorie zu konstruieren ab - der Bedeutung, ergibt sich diese als ein
Vektor bestehend aus den semantischen und syntaktischen Markern, dem
Stereotyp und der Extension. So ergibt sich beispielsweise für Wasser:
syntaktische Marker: Kontinuativum, konkret,
semantische Marker: natürliche Art, Flüssigkeit,
Stereotyp: farblos, durchsichtig, ohne Geschmack, durstlöschend,
etc.,
Extension: H2 O (mit oder ohne Beimengungen). ([Put75e] S. 94)
Wenn auch die Extension einen essentiellen Bestandteil der Bedeutung darstellt, so ist es weder necessary to know the inner constitution of a natural
”
90
Wir werden das weiter unten genauer diskutieren. Vgl. zum Begriff der Analytizität
etwa [Put62b], [Put62a] und aus der späteren Phase [Put94d].
91
in [KF63]. Vergleiche zu Putnams kritischer Auseinandersetzung mit Katz u.A.
[Put70] S.144ff , sowie zu Fodor u.A. [Put88] Kapitel 3, [Put92c] Kapitel 3
92
Wie dies Katz und Fodor mit Hilfe des Begriffes des Distinktors“ machen. Die beiden
”
stehen in dieser Hinsicht in der Tradition des oben geschilderten deskriptionalen Ansatzes.
40
kind to introduce the word into language in the first place“ ([Gay06] S. 110).
Dies geschieht bei NKTs gewöhnlich durch ostensive Definition.93 Auch ist
es für den erfolgreichen Gebrauch eines NKTs nicht notwendig, die innere
Struktur zu wissen. Für Kommunikationsprozesse und damit für das Verstehen von Sprache sind die ersten drei Argumente des Bedeutungs-Vektors
ausschlaggebend. In diesem Sinne kann Putnam betonen, that reference and
”
truth have less to do with understanding language than philosophers have
tended to assume“ ([Put78b] S. 99). Die vektorielle Konzeption von Bedeutung zeigt mit Juliet Floyd that we should stop trying to conceive of them
”
[Bedeutungen] as objects“ ([Flo05] S. 25), dann kommt es erst gar nicht zu
verwirrenden Fragen wie Where then are they [Bedeutungen] (if not in the
”
head )?“.
Für alle Komponenten des Bedeutungsvektors gilt, dass eine Änderung
zu einer Änderung der Bedeutung führen kann. Wir haben in Abschnitt 2.7.1
sowohl auf eine Heterogenität als auch auf eine gewisse Flexibilität der Stereotypen hingewiesen. Dennoch betont Putnam, dass if our stereotype of
”
a tiger ever changes, then the word ‘tiger’ will have changed its meaning“
([Put70] S. 148). Ebenso gilt für semantische Marker, dass if we stopped
”
using ‘gold’ as the name of a metal, or used it to name a different metal,
would the primary meaning change“ ([Put65a] S.128).94
Was gilt nun für das Verhältnis von Bedeutung und Extension in dieser Konzeption? Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, dass wir [. . . ] bei”
behalten: Bedeutung bestimmt Extension - per constructionem sozusagen“
([Put75e] S.95) Dies widerspricht keineswegs Aussagen wie Meaning does
”
not determine extension, in the sense that given meaning and a list of all the
‘properties’ of a thing [. . . ] one can simply read off whether the thing is a
lemon [. . . ].“ ([Put70] S.142) Putnam fasst das an anderer Stelle noch einmal
folgendermaßen zusammen: In my view, reference is fixed by meaning only
”
in the sense of being a component of meaning, but not in the sense that
meaning is a mechanism for fixing reference.“ ([Put78b] S. 115)95
93
Dies ist ein wichtiger Unterschied zu theoretischen wissenschaftlichen Termini, der
uns etwa in Abschnitt 4.4.1 noch beschäftigen wird.
94
Putnam hat sich nicht diesbezüglich zu Veränderungen der syntaktischen Marker
ausgesprochen. Es ist jedoch anzunehmen, dass er der unproblematischen Überlegung zustimmen würde, dass das Wort Tiger“ seiner Bedeutung verändert hat, sobald es etwa
”
als Verbum gilt.
95
vgl. auch: Meaning indeed determines extension; but only because extension (fixed
”
by some test or other) is, in some cases, ‘part of the meaning’.“ ([Put70] S.151)
41
Kapitel 3
Referenz und Notwendigkeit
3.1
Kripke und Notwendigkeit
In Name und Notwendigkeit“ veröffentlichte Kripke einschneidende und fol”
genschwere Betrachtungen zum Begriff der Notwendigkeit. Putnams Überlegungen schließen in vielerlei Hinsicht dort an und verfeinern diese.
Wir wollen zunächst einige grundlegende Begriffe einführen.
3.1.1
Grundlegende Begriffe
Welt gilt und was nicht mehr. Etwa stellt sich die Frage, ob eine mögliche
Welt noch gegeben wäre, in der dieser Stuhl (ich zeige auf einen Stuhl vor
mir) aus keinem derjenigen Moleküle bestünde, aus der er hier und jetzt besteht, oder in der Nixon ein Roboter wäre.1 Mit Kripke wäre dies nicht der
Fall.
Es stellt sich in einer solch materialistischen Betrachtungsweise die Frage,
wie viele Moleküle man abziehen oder austauschen kann, um noch vom selben
Gegenstand in einer möglichen Welt zu sprechen.2 Kripke verweist hier auf
den vagen Begriff einer Evidenz, die sich durch die Intuition des Philosophen
einstellt.3 Diese Betrachtungsweise ist selbstverständlich unbefriedigend. So
unterliegt sie einem Anthropozentrismus. Es ist allerdings nicht verständlich,
warum Begriffe wie Möglichkeit und Notwendigkeit einen anthropozentrischen Charakter haben sollten. Ebenso ist die Intuition verschiedener Philosophen diesbezüglich unterschiedlich, was dazu führt, dass diese Begriffe
einem gewissen Relativismus unterliegen. Die Frage danach, was noch als
mögliche Welt gilt, bzw. nach der Erreichbarkeitsrelation, die oft zu diesem
Zweck eingeführt wird, verweist demnach auf einen minimalen Essentialismus
seitens Kripkes.4
Wird der Begriff der Möglichkeit in Kripke mit Hilfe der Stipulierung von
kontrafaktischen Situationen eingeführt, unter Berücksichtigung des oben
konstatierten minimalen Essentialismus, so ist dennoch nicht ganz klar, inwiefern sich Möglichkeiten von bloßen Denkbarkeiten5 unterscheiden. Einen
Unterschied gibt es, denn [e]s könnte natürlich eine Frage sein, ob eine solche
”
Welt möglich ist“ ([Kri81] S. 54).
Modale Begriffe werden von Kripke oft durch die Semantik der möglichen
Welten motiviert. Mögliche Welten werden über kontrafaktische Beschreibungen festgelegt. Sie sind deshalb nicht phantomhafte Duplikate der ‘Welt’“
”
([Kri81] S. 28) und werden als solche nicht durch starke Fernrohre entdeckt“
”
([Kri81] S. 54), sondern sind lediglich ein möglicher Zustand (oder Geschich”
te) der Welt“ ([Kri81] S. 23), sie sind gegeben durch die deskriptiven Bedin”
gungen, die wir mit [ihnen] verbinden.“ ([Kri81] S. 54) Wenn auch mögliche
Welten ‘vollständige Weisen, wie die Welt hätte sein können’ oder Zustände
”
oder Geschichten der gesamten Welt“ ([Kri81] S. 26) beschreiben, so muss
der vollständige kontrafaktische Verlauf von Ereignissen in der Praxis nicht
”
beschrieben“ ([Kri81] S. 27) werden. Die kontrafaktischen Angaben, die zur
Beschreibung einer möglichen Welt ausreichen kommen in diesem Sinne einer
Es ist möglich, dass . . .“ ([Kri81] S. 23) Formulierung gleich. Das heißt, dass
”
ausgehend von der aktualen Welt, also unserer wirklichen Welt, bestimmte
Prädikationen, wie etwa Nixon war der Präsident der Vereinigten Staaten“,
”
verändert werden. Eine mögliche Welt wäre demnach eine solche, in der Nixon nicht Präsident der Vereinigten Staaten war (aber etwa Schauspieler).
Es ist hierbei ein gewisser intuitiver“ Toleranzspielraum und eine gewis”
”
se Vagheit“ ([Kri81] S. 62) dahingehend zu beachten, was noch als mögliche
Gegeben, er ist in Wirklichkeit ein Mensch.
Der Leser sieht sich an Hobbes’ bekanntes Problem des Schiff des Theseus und das
damit verbundene Problem der Transitivität der Identitätsrelation erinnert (vgl. De Cor”
pore“ Teil 2 Kap. 11). Dieses Problem wird reaktualisiert von Chandler in seiner Kritik
der direkten Theorie der Referenz in [Cha75] und detailliert besprochen von Salmon in
[Sal81] (Appendix I).
3
Wenn jemand denkt, dass die Vorstellung einer notwendigen oder kontingenten Ei”
genschaft [. . . ] eine Vorstellung von Philosophen ist, die keinen intuitiven Gehalt hat,
dann irrt er sich.“ ([Kri81] S. 52) Kripke versucht sich auch an so etwas wie einen Be”
weis“ ([Kri81] S. 131) für die essentialistische These Wenn ein materieller Gegenstand aus
”
einem bestimmten Stück Materie entstanden ist, dann hätte er aus keiner anderen Materie
entstehen können.“ Salmon zeigt, dass dies nicht ohne essentialistische Voraussetzungen
möglich ist und verweist auf eine Unterredung mit Kripke, in der dieser zusichert, dass it
”
was probably not part of his intention [. . . ] to derive a nontrivial version of essentialism
without relying on anything essentialist beyond the theory of direct reference.“ ([Sal81] S.
214)
4
Salmon in [Sal81] zeigt, dass dieser nicht aus der Theorie der direkten Referenz abgeleitet werden kann, sondern unabhängig davon angenommen wird.
5
engl. concievableness“ Vgl. auch die Diskussion in [Put90a] S. 55ff.
”
42
43
1
2
Oben angeführte Schwierigkeiten bzw. Unklarheiten erbt der Begriff der
Notwendigkeit, der in folgender Art und Weise mit Rekurs auf mögliche Welten eingeführt wird.
Eine Aussage ist notwendig wahr, falls sie in allen möglichen Welten wahr
ist. Ein Sachverhalt ist möglich, wenn er in mindestens einer möglichen Welt
gilt.
Ein weiterer grundlegender Begriff ist der des starren Bezeichners“ 6 . Ein
”
solcher ist gegeben, wenn ein Ausdruck in jeder möglichen Welt denselben
Gegenstand bezeichnet, sofern dieser in der jeweiligen Welt existiert.7 Für
Kripke sind Eigennamen starre Bezeichner. Auch diese Einsicht beruht auf
einer Intuition8 und wird nicht weiter diskutiert.
Kripke macht nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die modalen Begriffe der Möglichkeit und der Notwendigkeit säuberlich von epistemischen
Begriffen getrennt werden müssen, denn der Begriff, um den es mir hier
”
geht, ist nicht ein Begriff der Erkenntnistheorie, sondern der Metaphysik“
([Kri81] S. 45). Insbesondere besteht keine Synonymie zwischen Apriorität
und Notwendigkeit, d.h. der apriorische Erkenntniswert einer Aussage und
deren Notwendigkeit sind nicht gleichbedeutend. Kripke behauptet sogar,
dass diese nicht koextensiv sind. So gibt es seiner Meinung nach Aussagen,
wie z.B. Der Urmeter in Paris ist einen Meter lang.“, die entgegen herkömm”
licher Meinung nicht notwendig sind.9 Auch mag es Aussagen geben, die
notwendig sind, sich aber prinzipiell unserer Erkenntnis entziehen, so etwa
bestimmte mathematische Thesen, wie das letzte Fermatsche Theorem oder
die Goldbachsche Vermutung (vgl. [Kri81] S. 46f).
3.1.2
Kripkes Provokation: notwendige Aussagen a posteriori
Kripkes scharfe begriffliche Trennung von Epistemologie und Modalität macht
sich semantisch darin bemerkbar, dass weder das Begriffspaar a priori - not”
wendig“ noch das Begriffspaar a posteriori - kontingent“ synonym sind. Man
”
6
engl. rigid designator“
”
Kripke führt darüber hinaus auch auf starke Weise starr“ bezeichnende Ausdrücke
”
ein, die sich auf notwendig existierende Gegenstände beziehen (vgl. [Kri81] S. 59). Es fragt
sich sogleich, ob es solche gibt und welche es denn wären. Kripke geht hierauf nicht weiter
ein.
8
Kripke bezeichnet sie als intuitive These“ (vgl. [Kri81] S.59)
”
9
Mit Wittgenstein ist der Stab weder 1m lang, noch nicht einen Meter lang, da er
als Maßstab selbst die conditio sine qua non des Sprachspiels des Meter-Messens ist (vgl.
[Wit84] §50, S. 268/269). Kripke geht jedoch davon aus, dass Wittgenstein hier irrt, und
dass in der aktualen Welt der Stab einen Meter lang ist (vgl. auch Fußnote 51 auf Seite
26).
7
44
könnte nun trotzdem annehmen, dass in beiden Fälle jeweils gilt, dass das
eine Prädikat jeweils das andere impliziert im Sinne
A ist a priori → A ist notwendig ,
A ist notwendig → A ist a priori ,
A ist a posteriori → A ist kontingent ,
A ist kontingent → A ist a posteriori.
(3.1)
(3.2)
(3.3)
(3.4)
Doch auch dies ist laut Kripke nicht der Fall. In beiden Fällen herrscht nicht
bloß keine Koextensionalität, sondern alle vier angeführten Implikationen
sind im Allgemeinen falsch und können durch Gegenbeispiele falsifiziert werden. Es seien folgende Beispielsätze angeführt:10
Der Urmeter in Paris ist nicht notwendigerweise einen Meter lang.“ (3.5)
”
Wasser ist notwendigerweise H2 O.“ (3.6)
”
Hesperus ist notwendigerweise Phosphorus.“ (3.7)
”
Es gilt: Satz (3.5) falsifiziert (3.1) und (3.4), Sätze (3.6) und (3.7) falsifizieren
(3.2) und (3.3).11
Kripke ist folglich in [Kri81] darum bemüht die Validität von Aussagen
(3.5), (3.6) und (3.7) aufzuzeigen. Da sich Putnam hauptsächlich mit Aussagen der Art (3.6) beschäftigt, sind wir an dieser Stelle darum bemüht,
Kripkes Argumentation bzgl. der Notwendigkeit der Wahrheit von Aussagen
aposteriorischen Charakters aufzuzeigen.
Singuläre Identitätsaussagen
Zunächst demonstriert Kripke die Notwendigkeit von Identitätsaussagen wie
(3.7), die Eigennamen beinhalten. Es wird folgendermaßen argumentiert:
Hesperus“ und Phosphorus“ sind Eigennamen und dadurch starre Bezeich”
”
ner. Als solche bezeichnen sie in jeder möglichen Welt ein und denselben Gegenstand, sofern dieser existiert (wir nennen diesen Gegenstand auch Ve”
nus“).
Eine notwendige Aussage ist in jeder möglichen Welt wahr.
Es sei also eine beliebige mögliche Welt W⋆ gegeben, in welcher der durch
Phosphorus“ bezeichnete Gegenstand refW⋆ ( Phosphorus“) und der durch
”
”
Hesperus“ bezeichnete Gegenstand refW⋆ ( Hesperus“) existieren. Nun wis”
”
sen wir, dass aufgrund der starren Bezeichnung gilt:
refW⋆ ( Phosphorus“) = refWa ( Phosphorus“) und
”
”
refW⋆ ( Hesperus“) = refWa ( Hesperus“)
”
”
10
11
(3.8)
(3.9)
Vgl. für (3.5) [Kri81] S.65ff, (3.6) [Kri81] S. 147 und (3.7) [Kri81] S. 127.
Offensichtlich gelten ebenso die Äquivalenzen: (3.1) ↔ (3.4), sowie (3.2) ↔ (3.3).
45
Ebenso gilt, wie uns die Wissenschaft versichert:
refWa ( Phosphorus“) = refWa ( Hesperus“)
”
”
Nun gilt mit (3.8), (3.9) und (3.10), dass
(3.10)
refW⋆ ( Phosphorus“) = refW⋆ ( Hesperus“)
”
”
Zusammenfassend wurden im Beweis folgende Argumente benutzt:
(3.11)
MWS der mit Hilfe der Semantik der möglichen Welten definierte Begriff
der Notwendigkeit;
SB die These, dass Eigennamen starre Bezeichner darstellen;
WR die Wahrheit der wissenschaftlichen Aussage, dass Hesperus identisch
mit Phosphorus ist.
Ein wissenschaftlicher Anti-Realist wird von WR wenig beeindruckt sein.
Dieser würde den Sachverhalt folgendermaßen formulieren: Falls Phosphorus identisch ist mit Hesperus, so ist diese Identität notwendigerweise. Dies
ändert jedoch nichts an Kripkes radikaler These, dass es notwendige Aussagen
a posteriori gibt.12 Denn auch der Skeptiker muss zugestehen, dass entweder
die Aussage Phosphorus ist identisch mit Hesperus“ oder deren Negation
”
in der aktualen Welt gilt. Damit ist diese jedoch mit obiger Argumentation notwendig wahr, unabhängig davon, ob wir darum wissen (können) oder
nicht.
Für die Aussage (3.6) kann man unter Beibehaltung von MWS und WR
analog argumentieren, falls man den Begriff der starren Bezeichnung in an”
gemessener Weise“ auf NKTs erweitert.13
Allgemeinerer Rahmen
In seiner dritten Vorlesung in [Kri81] verlässt Kripke das Terrain der Eigennamen und betrachtet Identitätsaussagen mit NKTs und Substanzbegriffen.14
Neben (3.6) zählen Aussagen wie Gold hat Ordnungszahl 79“ 15 , Licht ist
”
”
ein Photonenstrom“ 16 , Katzen sind Tiere“ 17 und Wärme ist die Bewegung
”
”
von Molekülen“ 18 zu paradigmatischen Beispielen.
12
sofern obige Argumentation korrekt ist
vgl. dazu weiter unten
14
vgl. [Kri81] S. 133-177.
15
vgl. u.A. [Kri81] S. 142
16
vgl. u.A. [Kri81] S. 147
17
vgl. u.A. [Kri81] S. 144
18
vgl. u.A. [Kri81] S. 150
13
46
Um ein Analogon zum Begriff der starren Bezeichnung für NKTs aufzuzeigen, entwirft Kripke in diesem Textabschnitt ein Skizze einer Theorie
der Referenz von NKTs . Wir versuchen im folgenden die zerstreuten Bemerkungen dazu ein wenig zu strukturieren. Wenn Kripke behauptet: Der
”
ursprüngliche Begriff von Katze ist: diese Art von Ding, wobei die Art durch
paradigmatische Fälle identifiziert werden kann.“ ([Kri81] S. 141), so verweist
er auf das, was Putnam die Indexikalität19 von NKTs nennt. Die Referenz
von NKTs wie Katze“ wird in Bezug auf paradigmatische Fälle aus der
”
Umgebung, Lebenswelt der Sprachgemeinschaft bestimmt.
Dieser Umweltfaktor ist prioritär zu wissenschaftlichen Kategorisierungen
bzw. Attributierungen, d.h. es ist nicht so, dass der alte Begriff des Tigers
”
durch eine neue wissenschaftliche Definition ersetzt wurde“ ([Kri81] S. 139)
als diese etwa als Säugetiere bestimmt wurden, so dass etwa ausgeschlossen
wird, dass Reptilien, die makroskopisch unseren Tigern exakt gleichen, keine
Tiger sind. Die Dependenz der Referenz von NKTs von paradigmatischen
Fällen schließt diese Möglichkeit bereits vor jeglicher wissenschaftlicher Untersuchung aus.
Nun behauptet Kripke, dass wenn wissenschaftliche Entdeckungen Aus”
sagen darüber anstellen, was dieser Stoff ist“, so handelt es sich dabei um
keine kontingenten Wahrheiten, sondern um notwendige Wahrheiten im
”
strengst-möglichen Sinn“ ([Kri81] S. 143). Dies ist deshalb der Fall, weil wir,
wenn wir kontrafaktische Situationen mit einem bestimmten NKT beschreiben, wir eben gerade von diesem NKT ausgehen, der gerade so beschaffen
ist wie die paradigmatischen Fälle aus unserer Umgebung, denn [w]ir haben
”
einen bestimmten Referenten festgelegt, für die wirkliche Welt und alle möglichen Welten“ ([Kri81] S. 151). Wir reden “wenn wir über andere mögliche
Welten reden, über dieses Phänomen in der Welt“ ([Kri81] S. 149).
Man beachte die Ähnlichkeit zum Begriff des starren Bezeichners, wie wir
ihn oben eingeführt haben. Wenn wir über Peter in einer anderen möglichen
Welt reden, so sprechen wir über gerade diesen Peter. Ebenso verhält es sich
mit Begriffen wie Wasser. Die Analogie ist jedoch inhaltlich nicht ausreichend
bestimmt, da es sich nun nicht mehr um singuläre Termini handelt.20
Bei physikalischen Entitäten wie Licht und Wärme kann man nicht so einfach auf paradigmatische Fälle verweisen, wie bei NKTs wie Tiger, Wasser
oder Gold. Beide lösen innere Phänomene aus, zum einen visuelle Eindrücke,
zum anderen Wärmeempfindungen, sind aber nicht identisch mit diesen21 ,
sondern referieren jeweils auf ein äußeres Phänomen“ ([Kri81] S. 147). Die
”
19
vgl. Abschnitt 2.5
Mehr dazu weiter unten.
21
Trotzdem bedeutet der Ausdruck ‘Wärme’ nicht ‘was immer Leuten diese Empfin”
dungen gibt‘“ ([Kri81] S. 150)
20
47
genannten Empfindungen dienen lediglich als Identifikationshilfen, wir fixieren über sie die Referenz.22 Dennoch ist Licht bspw. nicht synonym [. . . ]
”
mit ‘dasjenige, das uns den visuellen Eindruck gibt, dasjenige, das uns zum
Sehen verhilft - was immer es sein mag.’“ ([Kri81] S. 149). Dies ist auch nicht
notwendig der Fall, denn man kann sich eine mögliche Welt vorstellen, in der
die Augen der Menschen nicht funktionieren. Wenn wir allerdings über Licht
sprechen in dieser möglichen Welt, so sprechen wir über Licht das so beschaffen ist wie Licht in der aktualen Welt, da die Referenz von Licht“ gerade
”
über diese Indexikalität bestimmt wird.
Gerade diese Indexikalität ist es, die oben angeführte Identitätssätze notwendig macht, falls diese in unserer Welt, also der aktualen Welt wahr sind.
Falls Wasser in dieser Welt H2 O ist, so ist es dies auch in jeder möglichen
Welt in der Wasser existiert, gerade deswegen, weil sich die Referenz von
Wasser“ über diese Indexikalität bestimmt, d.h. eben den paradigmatischen
”
Beispielen von Wasser in einer bestimmten Hinsicht“ zu gleichen.
”
Die bestimmte Hinsicht“ besteht nun gerade darin, dass Kripke geltend
”
macht, dass NKTs bzw. wissenschaftliche Entitäten wie Wärme oder Licht
über eine gemeinsame innere Struktur verfügen. Aufgabe und Leistung der
Wissenschaft ist es demnach uns über diese Struktur aufzuklären.
Der Nachweis der Notwendigkeit der Aussage Wasser ist H2 O“ gestaltet
”
sich demnach folgendermaßen.
IND Die Referenz von Wasser“ bestimmt sich indexikalisch über paradig”
matische Fälle. Wenn wir kontrafaktuale Situationen beschreiben, so
gehen wir von unserem Wasser aus.
ISE Exemplare aus der Extension von Wasser“ haben eine gemeinsame
”
innere Struktur.
WR Wissenschaftliche Untersuchungen haben die innere Struktur von Wasser als H2 O identifiziert.
Es sei eine beliebige mögliche Welt W⋆ gegeben, in der Wasser existiert.
Für eine beliebige Stoffprobe P des W⋆ -Wasser muss nun mit MWS gezeigt
werden, dass es sich dabei um H2 O handelt. Dies folgt jedoch unmittelbar
aus IND zusammen mit WR.
Offenbar übernehmen IND und ISE die Rolle, welche die rigiden Designatoren bei den Eigennamen übernommen haben und in dieser Hinsicht sind
”
Begriffe für natürliche Arten also viel näher mit Eigennamen verwandt, als
22
150)
gewöhnlich angenommen wird“ ([Kri81] S. 145).23 In diesem Sinn bemerkt
Hanna, dass natural kinds [. . . ] are rigid designators, because they pick out
”
the microphysical essences of the kinds themselves“ ([Han98] S.507). Bezeichnet ein starrer Designator ein und denselben Gegenstand in allen möglichen
Welten24 , und wird dieser anhand der aktualen Welt fixiert, so geht man bei
NKTs über den Umweg dieser mikrophysischen Wesenheiten“. Das heißt, es
”
gibt keine Invarianz der Quantität der Extension, wie bei Eigennamen, sondern die einer essentiellen Qualität: bezeichnet wird alles, was diese innere
Struktur hat, und diese wird in der aktualen Welt anhand paradigmatischer
Fälle fixiert. Zu einer starre Bezeichnung in diesem Sinn kommt etwa bei Deskriptionen von makroskopischen Eigenschaften wie bspw. gelbes Metall“
”
von NKTs nicht.25
3.2
Putnams Argumentation in Die Bedeu”
tung von ,Bedeutung’“
Im Kapitel Indexikalität und Starrheit“ in [Put75e] (S.40-47) setzt sich Put”
nam ebenfalls mit aposteriorischen Identitätsaussagen bzgl. NKTs wie Was”
ser ist H2 O“ auseinander. Diese Betrachtungen knüpfen in vielerlei Hinsicht
an oben geschilderte Gedanken Kripkes in [Kri81] an. Es wurde oben bereits
auf die begrifflich Nähe von Kripkes rigider Bezeichnung“ und Putnams
”
Indexikalität“ hingewiesen. Auch Putnam bestätigt dies, indem er beide als
”
zwei Seiten einer Münze“ bezeichnet ([Put75e] S.47).
”
Putnams Behauptung ist analog der Kripkes formuliert mit Hilfe der Semantik der möglichen Welten: Haben wir einmal herausgefunden, dass Was”
ser (in der wirklichen Welt) H2 O ist, so gilt nichts als mögliche Welt, worin
Wasser nicht H2 O ist.“ ([Put75e] S.45)
Die Begründung der These verläuft wie folgt:
23
Auch in diesem Sinn findet sich Kripke in der Tradition von Mill, der bzgl. genereller
Termini von allgemeinen Namen spricht, nur mit dem Unterschied, dass alle allgemeinen
Namen in Mill konnotativ sind, was wie soeben herausgestellt bei Kripke für NKTs nicht
der Fall ist. Vgl. hierzu [Kri81] S. 146.
24
sofern dieser existiert
25
Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht solche Behauptung auch notwendige Wahrheiten darstellen, etwa dann, wenn man davon ausgeht, dass die innere Struktur makroskopische Eigenschaften vollständig determiniert (vgl. hierzu später 3.3.5).
Unsere Weise des Identifizierens von Licht hat eine Referenz festgelegt.“ ([Kri81] S.
”
48
49
3.2.1
Das synchrone Argument
Es sei eine mögliche Welt W2 gegeben, die zur wirklichen Welt W1 identisch
ist, mit der Ausnahme, dass dort nicht die chemische Struktur H2 O, sondern XYZ existiert. Makroskopisch sei jedoch zwischen den Substanzen kein
Unterschied auszumachen. Dort wird mit Wasser“ eben jene Substanz be”
zeichnet. Mit Putnam ergibt sich nun aber aus der Indexikalität von NKTs ,
dass Wasser“ keine konstante relative Bedeutung“ haben kann, d.h. ,Was”
”
”
ser’ in W1 und W2 bedeutet dasselbe; nur ist eben Wasser in W1 H2 O und in
W2 XYZ“ ([Put75e] S.42). Dies folgt nicht bereits unmittelbar aus der Indexikalität im schwachen Sinn (2.9). Selbst, falls das Argument für die These Be”
deutungen sind nicht im Kopf“ ausreichend ist bei einer Interpretation von
Ähnlichkeit, die lediglich auf physikalische Merkmale, nicht aber auf die innere Struktur referiert26 , so muss hier im Sinne einer strengeren Indexikalität
argumentiert werden, eine solche, die auf die innere Struktur einer Substanz
abzielt, um zu garantieren, dass Wasser notwendigerweise H2 O ist. Mit (2.9)
wird zwar ausgeschlossen, dass das nicht auf der Erde vorkommende XYZ
nicht in der Extension von Wasser“ ist27 , sofern die Ähnlichkeitsbeziehung
”
als Gleichheit der inneren molekularen Struktur28 aufgefasst wird, allerdings
wird eine Heterogenität bezüglich der inneren Struktur der Stoffproben aus
der Menge der paradigmatischen Fälle für Wasser“ so nicht ausgeschlossen.
”
Eine strengere Auffassung wie bspw. (2.12) ist dazu erforderlich.
In der Tat steuert Putnam auf diese Aussage zu. Putnams Ähnlichkeitsrelation, die sog. Flussidentität“, wird als Gleichheit der inneren molekularen
”
Struktur festgesetzt.29 Putnam behauptet:
festhalten, da wir später noch darauf kritisch zurückkommen werden:
Die paradigmatischen Fälle von Wasser“ weisen typischerweise eine
”
gemeinsame innere Struktur auf. (3.12)
Wie kann das begründet werden? Es scheinen zunächst drei Ansätze möglich:
Zum einen könnte man argumentieren, dass uns die Wissenschaften zu dieser
Erkenntnis gebracht haben. Zum anderen könnte man behaupten, dass dies in
der Grammatik von NKTs liegt. Schließlich kann man dies auch als regulative
Idee interpretieren. Gerade im Sinne von regulativen Ideen zu argumentieren
wäre für Putnam gefährlich. Stellt sich die unterstellte gemeinsame innere
Struktur lediglich als eine solche heraus, so ist es außerordentlich schwierig die
gewünschte Notwendigkeit zu begründen, denn was wir aus welchen Gründen
auch immer als regulativen Rahmen festlegen, muss keineswegs mit der Natur
der Dinge einhergehen. Es mag so durchaus sein, dass die Suche nach inneren
Strukturen die Wissenschaften sehr vorangetrieben hat, dennoch impliziert
dies keineswegs die Existenz eben dieser. Putnam gibt uns zunächst keine
Anhaltspunkte zu dieser Art von strenger Indexikalität, doch wir wollen seine
Argumentation weiter verfolgen.
3.2.2
Das diachrone Argument
In Frage kommen etwa Merkmale wie der Faktor der Lichtbrechung, der Siedepunkt,
etc. Wenn aber Unterschiede solcher Oberflächenmerkmale festgestellt werden, so wird
das von Wissenschaftler als Index gewertet, dass es einen Unterschied bzgl. der inneren
Struktur gibt. In diesem Sinne wird auch so indirekt auf die abweichende innere Struktur
verwiesen.
27
Sofern nicht ausdrücklich anders festgesetzt soll immer Wasser“ gesprochen von ei”
nem Bewohner von W1 sein.
28
nach gängiger Molekulartheorie aufgefasst. Diese Ergänzung wird sich später noch als
wichtig herausstellen.
29
Es handelt sich im Sinne der Semantik der möglichen Welten um eine sog. Querwelt”
Relation“.
Hat Putnam bisher in sozusagen synchroner, bzw. horizontaler Weise im Sinne von einer weit entfernten Zwillingserde, oder einer anderen möglichen Welt
argumentiert, so denkt er sich im Folgenden auch eine Situation aus, die den
Bedeutungsbegriff im diachronen Sinn ausleuchten soll. So wird für ein X,
das nicht die Substanz mit Nummer 79 im Periodensystem der Elemente darstellt, behauptet, dass es genauso wenig in der Extension des altgriechischen
”
,qrnsv
ä ’ [liegt], auch wenn ein Grieche im Altertum X irrtümlich für Gold
ä ) gehalten hätte“ ([Put75e] S.48).
(oder vielmehr für qrnsv
Das Argument ist, dass es in der Intention der antiken Sprecher liegt,
gerade das Element zu bezeichnen, das die gleiche allgemeine verborgene
”
Struktur habe wie jedes normale hiesige Goldstück“ ([Put75e] S.49).
Hier führt Putnam einen Begriff der Normalität, bzw. Typikalität ein.
Dies ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die Mehrheit der paradigmatischen Fälle gerade diese allgemeine verborgene Struktur aufweisen. Der Sprecher befindet sich also in einer Rückzughaltung bzgl. seiner Klassifizierungen
in der Hinsicht, dass er sich dann verbessern ließe, wenn diese bzgl. der Ähnlichkeitsbeziehung bzgl. typischer paradigmatischer Fälle scheitern würde.
Es ist dabei eine epistemische Frage, inwiefern unser Wissen uns schon Aufschluss geben kann, welches die innere Struktur eines NKTs ist. Man kann
50
51
Eine zu einer beliebigen möglichen Welt gehörende Entität x ist
”
genau dann Wasser, wenn sie damit, was wir in der wirklichen
Welt alles Wasser“ nennen, flussidentisch ist [. . . ].“ ([Put75e]
”
S.44)
Putnam setzt hier offensichtlich eine Homogenität der inneren Struktur alles
dessen voraus, was wir in Normalfällen“ Wasser“ nennen. Wir wollen dies
”
”
26
demnach auch davon sprechen, dass die linguistische Arbeitsteilung auf einen
wissenderen Forscher in der Zukunft ausgedehnt wird und damit nicht bloß
synchron bzgl. der Sprachgemeinschaft in der sich der Sprecher momentan
aufhält, sondern auch diachron hinsichtlich zukünftiger Angehöriger und vor
allem zukünftiger Spezialisten wirkt.30
3.3
Wir geben vielleicht so etwas wie eine operationale Definition oder
ein Bündel von Eigenschaften an, doch niemals mit der Absicht,
den Namen und die Kennzeichnung zu Synonymen zu machen;
”
vielmehr gebrauchen wir den Namen als starren Designator“ für
Dinge der Natur, die Dinge normalerweise haben, wenn sie der
Kennzeichnung genügen. ([Put75e] S.52)32
Kritische Diskussion
In diesem Abschnitt wollen wir auf mögliche Einwände zu sprechen kommen.
Die Putnamschen und Kripkeschen These um Identitätssätze mit aposteriorischen Charakter haben eine Vielzahl von Reaktionen und kritischen Bemerkungen ausgelöst. Wir wollen auf wichtige Gedanken aus der Sekundärliteratur eingehen, aber auch unabhängig davon das Thema problematisieren.
3.3.1
und auch für Aristoteles’ Sprachgebrauch untypisch NKTs im Sinne operationaler Definitionen einzuführen.
Variabilität der Extension und der Vorkommnisse
Ein Einwand gegen die These, dass die Extension des NKTs Gold“, geäußert
”
von Aristoteles, lediglich Fälle einschließt, welche die Periodenzahl 79 aufweisen, wäre, zu behaupten, dass dieser keineswegs zustimmen würde, dass er
obige Substanz X notwendigerweise nicht mit Gold “ gemeint hat. Vielmehr
”
könnte Aristoteles behaupten, dass die Extension von Gold“, geäußert zu
”
seiner Zeit, alle Fälle umfasst, die typische Gold-Tests seiner Zeit bestehen.
Man könnte nun sagen, dass Gold“ geäußert von Aristoteles dennoch
”
dieselbe Bedeutung hat wie Gold“ geäußert von Einstein und demnach eine
”
Theorie vertreten wie die oben erwähnte, von Putnam abgelehnte Konzeption, dass NKTs eine konstante relative Bedeutung aufweisen. So ist etwa mit
indexikalische Ausdrücke wie ich“ eine solche Struktur gegeben. Dies ange”
wandt auf NKTs widerspräche der von Putnam favorisierten These (2.10).
Ebenso könnte man mit (2.10) von einem Bedeutungsbruch zwischen Aristoteles’ Gold“ und Einsteins Gold“ ausgehen. So könnte man etwa mit
”
”
Kuhn argumentieren, dass die wissenschaftliche Revolution der Molekularchemie zu inkommensurablen Sprachgebräuchen vor und nach der paradigmatischen Wende geführt hat.31
Putnams Entgegnung ist ganz im Sinne der trad. Kritik der kausalen
Theorie der Bedeutung an der deskriptionalen Theorie. So ist es für unseren
30
vgl. hierzu [Put73a]
Kuhn argumentiert in [Kuh90a], dass für den NKT Gold“ die kausale Theorie noch
”
am ehesten in Frage kommt, aber bereits mit Beispielen wie Wasser“ sich ganz erhebliche
”
Mängel einstellen. Vgl. weiter unten.
31
52
Die Formulierung ist jedoch bei näherer Betrachtung etwas heimtückisch.
Zugestanden, dass Aristoteles auch den NKT Gold“ im Sinne der starren Be”
zeichnung gebraucht, so ist damit noch nicht entschieden, was er mit Gold“
”
starr bezeichnet. Etwa könnte seine starre Bezeichnung alle Stoffe beinhalten,
die dieselbe innere Struktur aufweisen wie unser Gold und ebenso dieselbe
innere Struktur aufweisen, wie X. Der Grund könnte bspw. darin zu suchen
sein, dass sehr viele der paradigmatischen Fälle, und das heißt eben auch,
der Stoffe, die faktisch als Gold“ bezeichnet werden, von der zeitgenössi”
schen Sprachgemeinschaft Aristoteles’, eben jene innere Struktur aufweisen
und demnach typisch“ sind. Diese Vorgehensweise wäre damit ganz im Sin”
ne von Kriterium IND . In diesem Sinne würde dies für den Sprachgebrauch
zur Zeit von Aristoteles der Homogenitäts-These (2.12) widersprechen.33
32
Die Übersetzung an dieser Stelle halte ich in vielerlei Hinsicht für suboptimal. Die
Stelle lautet im Original:
We may give an ‘operational definition’, or a cluster of properties, or whatever,
but the intention is never to ‘make the name synonymous with the description’.
Rather ‘we use the name rigidly’ to refer to whatever things share the nature
that things satisfying the description normally possess. ([Put75b] S.238)
Ich biete hierfür folgenden Übersetzungsvorschlag an:
Wir geben vielleicht so etwas wie eine operationale Definition oder ein Bündel
von Eigenschaften an, doch niemals mit der Absicht, den Namen und die
”
Kennzeichnung zu Synonymen zur Beschreibung machen“; vielmehr gebrau”
chen wir den Namen als starren Designator“, um solche Dinge zu bezeichnen,
die von gleicher Natur sind, die auch jene Dinge normalerweise besitzen, welche
die Beschreibung erfüllen.
33
Kuhn spricht etwa in [Kuh90a] davon, dass die Konzeption der starren Bezeichnung
noch am ehesten kontextuell innerhalb eines wissenschaftlichen Paradigmas korrekte Anwendung findet. Inwiefern dieser Gedanke auch im Geiste von Putnams The analytic
”
and the synthetic“ ([Put62a]) oder seinem internen Realismus“ steht, soll weiter unten
”
diskutiert werden.
53
Paradigmen und Typikalität
Die eben beschriebene Situation verweist auf das Problem, was als typische
paradigmatische Beispiele zählen kann, und ob die Menge der paradigmatischen Fälle und der diesbezügliche Begriff der Typikalität“, der von Putnam
”
recht beiläufig eingeführt wird, zeitlich und bzgl. der Sprechergemeinschaften
und deren Lebenswelten variant sind. Hierfür ist es wichtig, zu klären, was
als paradigmatischer Fall für einen NKT zählt.
Man kann so den Ansatz vertreten, dass ein solcher etwa (auch) immer
dann vorliegt, wenn eine Stoffprobe einen (oder alle) zu dieser Zeit verfügbaren Klassifizierungstests besteht. In diesem Sinne wäre X ein paradigmatischer Fall für Gold“ zur Zeit von Aristoteles. Dieser Ansatz ist in dem Sinn
”
zirkulär, indem der Verweis auf Klassifizierungstests seinerseits auf paradigmatische Fälle zurückverweist. So gibt uns ein solcher Test zwar, modulo
eines wissenschaftlichen Fallibilismus34 , Antwort auf die Frage, ob eine Stoffprobe x Gold ist. Was aber Gold ist lässt sich letzten Endes, wenn man wie
Putnam die deskriptionale Theorie der Bedeutung verabschiedet hat, nur
unter Verweis auf paradigmatische Fälle klären.
Analog zur kausalen Theorie der Eigennamen könnte man die Menge der
paradigmatischen Fälle auf diejenigen Stoffproben beschränken, welche bei
einem NKT -Analogon zum Taufereignis bei Eigennamen eine Rolle spielten,
etwa in dem Sinn, dass die Stoffe darunter fallen, die von einer ersten Generation von Sprachbenutzern mit dem Ausdruck Gold“ (bzw. dem Ausdruck
”
für Gold in dieser Sprache) bezeichnet worden sind. Doch im Gegensatz zur
gewöhnlich einmaligen Taufe bei Eigennamen35 sind Sprecher bei NKTs immer wieder zu neuen Taufen“ in dem Sinn genötigt, dass die Extension von
”
NKTs nicht in einer singulären Raum-Zeit-Kontinuität gegeben ist.36 Die
Extension ist dynamisch im Lebensraum einer Sprachgemeinschaft gegeben.
Sprecher sind immer wieder zu neuen Klassifikationen gezwungen. Und selbst
im Sinne des sehr vagen Begriffs einer ersten Generation“ gibt es gewöhn”
lich nicht das Taufereignis, denn dies ist uns zum einen normalerweise nicht
(mehr) zugänglich und zum anderen wäre es durchaus möglich, dass dieses
im Falle von Gold“ gerade bzgl. des Stoffes X vorgenommen worden ist.
”
Dies wäre unserem Sprachgefühl nach jedoch kein Grund, diesem Ereignis
Priorität gegenüber anderen darauf folgenden Klassifizierungen von Gold“
”
34
zu diesem Problemfeld weiter unten mehr.
Evans zeigt in geistreichen Gedankenexperimenten wie etwa dem von Goldlöckchen“
”
in [Eva73], dass sogar bei Eigennamen eine seltsame Pluralität von Taufereignissen und
damit ebenso bzgl. der Extensionsfrage in Spiel kommen kann.
36
Auch Kuhn weist in [Kuh90a] auf dieses Problem mit Hilfe seines Begriffs redubbing“
”
hin.
35
54
zu geben.
Man stelle sich etwa vor, dieses erste imaginäre Taufereignis fände folgendermaßen statt: Ein Sprachbenutzer sagt vor einer Gruppe von Zeugen Dies
”
ist Gold.“ und deutet dabei auf den Stoff X, der makroskopisch unserem
Gold annähernd gleicht, allerdings über eine andere innere Struktur verfügt.
Die nächsten Klassifizierungen werden von Menschen im Sinne der kausalen Theorie der Bedeutung jedoch zum allergrößten Teil für Stoffe mit der
Periodenzahl 79 vorgenommen, obwohl diese im Sinne des kausalen Ketten
Kriteriums jeweils intendieren auf dasselbe zu referieren, wie der Benutzer
von dem sie den Begriff Gold“ (ausgehend von unseren initialen Taufereig”
nis) erlernt haben.37
Putnams Begriff der Typikalität bzgl. der paradigmatischen Fälle scheint
hier einem Majoritätskriterium gleich zu kommen. Da die Mehrheit der Dinge, die mit Gold“ bezeichnet werden, solche Dinge sind, welche die innere
”
Struktur aufweisen, die Periodenzahl 79 zu besitzen, sind es gerade diese,
die als typische paradigmatische Fälle zu bezeichnen sind. Aristoteles mag
sich der Heterogenität der von ihm mit Gold“ bezeichneten Dinge bzgl. der
”
inneren Struktur noch nicht im Klaren sein. Dennoch müsste man ihm mit
Putnam unterstellen, dass er den Terminus im Sinne einer regulativen Idee
benutzt, die besagt, dass die Extension von Gold“ gerade die Stoffe sind,
”
die mit der großen Mehrheit der paradigmatischen Fälle die innere Struktur
teilen und dass es einen solchen Großteil gibt, der gerade ein und dieselbe
innere Struktur aufweist. Oder aber es entspricht der Grammatik von NKTs ,
dass sie auf gerade oben bestimmte Stoffe verweisen.
Die Menge der paradigmatischen Fälle kann sich so durchaus quantitativ
erweitern.38 Was jedoch in der Regel invariant ist, ist die durchschnittliche
Verteilung bzgl. der Heterogenität der inneren Struktur etwa von Stoffen
mit Periodenzahl 79 und Stoffen mit der inneren Struktur wie X. In diesem
Sinne würde Aristoteles, könnte er heute an einem Experiment teilnehmen,
dass ihm aufzeigen würde, dass zwischen X und dem Stoff den wir Gold
bezeichnen ein empirisch feststellbarer Unterschied besteht, und dass der
Großteil der Stoffe, die typischerweise als Gold“ bezeichnet wurden, gerade
”
Stoffe mit Periodenzahl 79 sind, uns zustimmen, wenn wir sagen: X ist nicht
”
Gold“.
Zusammenfassend muss demnach, damit Putnams Schluss argumentativ
gestützt wird, IND wie oben schon erwähnt, noch entsprechend im Sinne
einer Typikalität der in IND berücksichtigten Paradigmen, erweitert wer37
Zemach führt ein ähnliches Gedankenexperiment in [Zem76] an (S. 124).
Auch qualitativ ist eine Erweiterung möglich. So weist Kuhn darauf hin, dass etwa
1750 noch liquidity was an essential property“ ([Kuh90a] S.311). Auf die damit verbun”
denen Schwierigkeiten sei später eingegangen.
38
55
den. Ein von Putnam hierzu immer wieder motiviertes Kriterium ist das der
relativen Häufigkeit. IND wäre demnach folgendermaßen zu verfeinern:
Quantitatives Vorkommen in W0
IND⋆ Die Referenz von Wasser“ bestimmt sich indexikalisch über paradig”
matische Fälle. Die zu berücksichtigenden Fälle unterliegen einer Typikalität. Wenn wir kontrafaktische Situationen beschreiben, so gehen
wir von flussidentischen Substanzen zu diesen Fällen aus.
TYP Die Typikalität bestimmt sich über die relative Häufigkeit von Untergruppen der Menge der Paradigmen, die jeweils im Sinne der Flussidentität abgeschlossen sind. Als typisch bezeichnen wir solche Untermengen mit hoher Typikalität.
t0
t1 Zeit
FI Die Flussidentität bestimmt sich über die Gleichheit der inneren Struktur.
Abbildung 3.1: Gedankenexperiment zum Verhältnis von paradigmatischen
Fällen, innerer Struktur und der Frage nach der Extension: Welt W0
ISE⋆ Es gibt für NKTs jeweils eine oder eine kleine Anzahl an typischen
Mengen von paradigmatischen Fällen.
horizontale Achse die Zeit. Die kontinuierliche Kurve repräsentiert die einer
bestimmten Sprachgruppe G bekannten Vorkommnisse von Substanzen X
mit der inneren Struktur H2 O, die gestrichelte Kurve solche von Substanzen
Y mit einer anderen inneren Struktur, etwa XYZ. Zum Zeitpunkt t0 sollen
die initialen Taufereignisse für den Begriff Wasser“ stattfinden42 . Zum Zeit”
punkt t1 macht das Sprachkollektiv G die Entdeckung, dass Substanzen X
sich von Substanzen Y unterscheiden. Das heißt nicht notwendigerweise, dass
man Aufschluss hat über die innere Struktur, sondern lediglich, dass man etwa über Klassifikationsverfahren verfügt, die in die Lage versetzen, empirisch
Stoffproben aus X von solchen aus Y zu scheiden.
In Welt W0 (Abbildung 3.1) ist das Distributionsverhältnis von Vorkommnissen von H2 O zu Vorkommnissen von XYZ in etwa konstant über den Zeitraum [t0 , . . . , t1 ]. Zum Zeitpunkt t1 und zu späteren Zeitpunkten wird man
im Sprachkollektiv G mit Putnam sagen: Stoffe aus Y sind kein Wasser,
”
nur solche aus X sind Wasser.“ Die Forschung, die an der inneren Struktur
von Wasser interessiert ist, wird sich mit Stoffproben aus X beschäftigen. Ist
man zum Zeitpunkt t1 nicht mit der inneren Struktur vertraut, so wird man
aus den Oberflächenmerkmalen, die es möglich machten, X von Y zu unterscheiden, darauf schließen, dass diese eine verschiedenartige innere Struktur
aufweisen.
Wir kontrastieren W0 mit W1 . Auch hier ist die Distribution der beiden
Substanzen in etwa konstant über den Zeitraum von t0 bis t1 und zwar in der
Hinsicht, dass Vorkommnisse von X quantitativ ungefähr gleichwertig sind
Die Auflockerung von Regel ISE⋆ in dem Sinne, dass es nicht zwingend
notwendig ist, dass es gerade eine typische Untermenge an paradigmatischen
Fällen gibt, macht sich mit NKTs wie Jade bemerkbar.39 Ganz in diesem
Sinne schreibt Putnam: Wenn auf der Erde H2 O und XYZ gleich verbreitet
”
wäre [. . . ]; es wäre dann korrekt zu sagen, es gäbe zwei Sorten von Wasser.“
([Put75e] S.56) Sprachbenutzer finden sich in solchen Fällen in einer Rückzugsposition dahingehend, dass sie sich bereitwillig von einem Experten, auch
von zukünftigen, in ihren Klassifikationen korrigieren lassen.
Im folgenden werden wir u.A. die aufgestellten Kriterien kritisch analysieren.
Weitere Problematisierung mit Beispielen
Wir wollen dieses Resultat noch kritisch mit Beispielen weiter denken40 , die
in Abbildungen 3.1, 3.2, 3.3 und 3.4 illustriert sind.
Jede Abbildung findet in einer anderen Welt statt (W0 bis W3 ).41 Die
vertikale Achse repräsentiert quantitatives Vorkommen von Stoffproben, die
39
Jade steht für zwei unterschiedliche chemische Substanzen: zum einen Jadeit und zum
anderen Nephrit. Vgl. [Put75e] S. 56. Joseph LaPorte widmet in [LaP04] dem Thema Jade
eine ausführliche Analyse (S. 92ff.).
40
Diese werden nicht zu unrecht so manchen Leser an Evans Napoleon Gedankenexperimente in [Eva73] erinnern.
41
Es spielt hierbei keine Rolle, ob es sich um mögliche Welten oder entfernte Planeten
handelt.
56
42
Unsere Ausdrucksweise ist gerade auch in Hinsicht auf obige Bemerkung bzgl. der
Vagheit des Begriffs einer initialen Taufe bei NKTs stark idealisierend.
57
Quantitatives Vorkommen in W1
Quantitatives Vorkommen in W2
t0
t1 Zeit
Abbildung 3.2: Gedankenexperiment zum Verhältnis von paradigmatischen
Fällen, innerer Struktur und der Frage nach der Extension: Welt W1
mit Vorkommnissen von Y . In solchen Fällen werden mit Putnam Sprecher
aus dem Sprachkollektiv G zum Zeitpunkt t1 und später etwa eine Aussage der folgenden Art treffen: Es gibt verschiedene Sorten von Wasser mit
”
verschiedenen inneren Strukturen.“
In Welt W2 zeichnet es sich historisch so ab, dass zwar zum Zeitpunkt t0
vergleichbar zur Welt W0 überverhältnismäßig viele der Stoffproben aus X
stammen. Jedoch wird schon sehr kurz darauf der Lebensraum von Sprachkollektiv G mit mehr und mehr Substanzen aus Y bereichert. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass die Sprachgruppe ihre Umgebung ändert (etwa
durch Völkerwanderung oder Expansion) oder dass sich die Umwelt derselben ändert. Wichtig ist hier, darauf hinzuweisen, dass erst zum Zeitpunkt
t1 Sprecher aus G in der Lage sind, einen empirischen Unterschied zwischen
Stoffproben aus X und solchen aus Y auszumachen. An diesem Beispiel wird
deutlich, dass Putnam allgemeine Rede von der Verbreitung von Substanzen
auf der Erde“ zu kurz greift. Es geht eher um die Verbreitung von Substan”
zen im Lebensraum eines Sprachkollektivs.
Doch auch dies, für obige Beispiele noch genügend, ist für die Szenarien
von Welt W2 und W3 noch zu ungenau. Scheinbar ist auch ein gewisser Zeitfaktor mit entscheidend. So wird man in Welt W2 im Sprachkollektiv vom
Zeitpunkt t1 an wohl eher wie in W1 verfahren. Man wird wohl argumentieren, dass der Zeitraum, in dem das Verhältnis von Vorkommnissen von X
und Vorkommnissen von Y etwa ausgewogen war, sehr prägnant ist.
In Welt W3 ist man zum Zeitpunkt t1 wohl eher geneigt analog zu Welt W0
vorzugehen. Die äußerst lange Phase in der das quantitative Verhältnis von
Vorkommnissen von X gegenüber Vorkommnissen von Y überproportional
58
t0
t1 Zeit
Abbildung 3.3: Gedankenexperiment zum Verhältnis von paradigmatischen
Fällen, innerer Struktur und der Frage nach der Extension: Welt W2 . Für
den grau hinterlegten Bereich gilt, dass Sprecher aus dieser Zeit den Terminus Wasser“ mit einer anderen Extension bzw. Bedeutung verwenden (vgl.
”
spätere Diskussion im Text).
Quantitatives Vorkommen in W3
t0
t1 Zeit
Abbildung 3.4: Gedankenexperiment zum Verhältnis von paradigmatischen
Fällen, innerer Struktur und der Frage nach der Extension: Welt W3
59
ist, scheint sich hier prägend auf das künftige Sprachverhalten auszuwirken.
Zusammenfassend gilt es also festzuhalten, dass Putnams Ansatz mit ähnlichen Schwierigkeiten behaftet ist, die Autoren wie Evans und Donnellan an
der frühen Phase der kausalen Theorie der Eigennamen kritisierten.43
Wir sehen, dass jeweils vor dem Zeitpunkt t1 sich die Menge der paradigmatischen Fälle und die Typikalität der Untermengen ändern können, ohne
dass sich die Sprecher darüber im Klaren sind. In diesem Sinne ist es auch
falsch, der Taufsituation zu viel Bedeutung zuzugestehen. Wir werden später
sehen, dass, wenn man einen wissenschaftlichen Fallibilismus unterstellt, sich
eine ähnliche Problematik nach dem Zeitpunkt t1 ergibt.
Extension und die Zukunft
Wir haben gesehen, dass sich mit Putnam ein hinreichendes Kriterium für
die korrekte Klassifikation der Extension von NKTs wie Wasser“ mit Hil”
fe der Expertise der zukünftigen Wissenschaftler einstellt. So verfügt etwa
Aristoteles noch nicht über das Wissen von der inneren Struktur von Gold
und führt so sehr wahrscheinlich Fehlklassifikationen durch. Wie wir gesehen haben, unterstellt ihm Putnams Konzeption allerdings eine Rückzughaltung gegenüber der fortgeschrittenen Kenntnis zukünftiger Forschungen.
Aristoteles würde z.B. zustimmen, wenn ihn ein Forscher auf eine fehlerhafte
Identifikation von Narrengold als Gold hinweisen würde.
Während diese Beobachtung bei konstanten Distributionsverhältnissen
zunächst eher unproblematisch erscheinen mag, so kommt man in Szenarien
wie z.B. illustriert in Abbildung 3.3 in Schwierigkeiten. So hat man in Welt
W2 im grau hinterlegten Bereich einen wesentlich höheren Anteil an Stoffproben mit innerer Struktur H2 O. Mit Putnams Indexikalitätsbegriff, der
sich, wie sich oben herausstellte, an einem Majoritätskriterium orientiert,
wäre die Extension von Wasser“ für Sprecher in diesem Zeitraum alle Stoffe
”
mit innerer Struktur H2 O. Durch Expansion bzw. Völkerwanderung unserer Sprachgruppe verändern sich nun die Distributionsverhältnisse in dem
Sinne, dass etwa gleich viele Stoffproben mit innerer Struktur H2 O wie solche mit innerer Struktur XYZ gegeben sind. Dieses neue Verhältnis bleibt
konstant bis zum Zeitpunkt, in dem es Sprechern aus G möglich ist durch
chemische Analyse die inneren Strukturen auszumachen. Wir haben oben
argumentiert, dass es am einleuchtendsten ist, davon auszugehen, dass man
das Wort Wasser“ wohl künftig für Stoffe mit beiden inneren Strukturen
”
verwenden wird.
Würde sich jedoch in einer möglichen Welt Wα die Expansion bzw. die
43
vgl. hierzu u.A. [Eva73], [Don74]
60
Völkerwanderung unserer Gruppe so gestalten, dass sich die Umwelt bzgl. der
Distributionsverhältnisse im grauen Bereich nichts maßgeblich verändert, so
würde man zum Zeitpunkt der Entwicklung von chemischen Analysemethoden analog zur Welt W0 verfahren und den Begriff Wasser“ lediglich für
”
Stoffproben mit innerer Struktur H2 O verwenden.
Das soeben durchgeführte Gedankenexperiment scheint sich vor allem in
zwei Punkten kritisch gegen Putnams Konzeption zu wenden.
Zum einen könnte man annehmen, dass hierdurch der Notwendigkeitscharakter von Identitätsaussagen wie Wasser ist H2 O“ in Frage gestellt wird.
”
So spricht nichts dagegen, dass Wα von W2 aus eine mögliche Welt darstellt.
Jedoch wäre mit Putnam in W2 die Aussage
Wasser tritt in zwei Sorten auf: als H2 O und als XYZ.“
”
(3.13)
notwendig, während in Wα die Aussage
Wasser ist H2 O.“
”
(3.14)
notwendig ist. Es hängt nun aber von einer kontingenten Entwicklung ab,
ob sich das Szenario in W2 oder dasjenige in Wα einstellt. Damit ist jedoch
weder (3.13) noch (3.14) notwendig.
Putnam könnte sich nun folgendermaßen verteidigen. Es geht bei Aussagen wie (3.13) und (3.14) gerade um Wasser in der Bedeutung und Verwendungsweise zum Zeitpunkt t1 und später, und nicht im Sinne einer Verwendungsweise einer Sprachgruppe für die die Extension durch die Indexikalität
im Sinne der Distributionsverhältnisse in der Umwelt der Sprecher verschiedenartig ist. In unserem Beispiel ist dies im grau hinterlegten Bereich der
Fall. Nimmt man den Sprachgebrauch zum Zeitpunkt t1 so wird durch das
Majoritätskriterium in Welt Wα die Extension für Wasser dadurch vorgegeben, dass sich darin alle Stoffe mit innerer Struktur H2 O befinden. Das von
Sprechern aus G benutzte Wort Wasser“ bezeichnet Stoffe aus der Exten”
sion starr, d.h. in allen Welten. Dadurch ist die Aussage (3.14) geäußert in
Wα von Sprechern aus unserer Gruppe wahr und notwendig. Analog verhält
es sich mit Sprechern in W2 und dem Satz (3.13).
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wenn man mit einer in die Zukunft verlagerten sprachlichen Arbeitsteilung argumentiert, auf welche Zukunft sich diese richtet. Wenn man für einen beliebigen Sprecher zu einem
Zeitpunkt im grauen Bereich argumentiert, dass sich die Extension seiner
Verwendung des Wortes Wasser“ auf zukünftige Resultate der Forschung
”
richtet, so ergibt sich eine gewisse Ambivalenz, wenn man gleichzeitig unterstellt, dass es (mind.) die zwei möglichen Entwicklungen hinsichtlich der
Welten W2 und Wα gibt. Putnam wäre hier wohl gezwungen dahingehend
61
zu argumentieren, dass das Argument der sprachlichen Arbeitsteilung unter
Einbeziehung der Zukunft nur dann Gültigkeit besitzt, wenn die Distributionsverhältnisse der Umwelt einer Sprechergemeinschaft in etwa konstant
bleiben.
Diese Argumentationsweise verweist allerdings noch auf ein anderes für
Putnam unliebsames Problem. Denn die Frage, was die Extension des Wortes
Wasser“, verwendet von einem Sprecher A in Welt W2 zu einem Zeitpunkt
”
im grauen Bereich ist, muss nun unter Einbeziehung der Indexikalität dahingehend beantwortet werden, dass dies lediglich Stoffe mit innerer Struktur
H2 O beinhaltet und damit von der Extension von Wasser“ geäußert von
”
einem Sprecher B zum Zeitpunkt t1 abweicht. Das heißt insbesondere, dass
Wasser“ geäußert von A nicht verlustfrei in Wasser“ für Sprecher zum Zeit”
”
punkt t1 übersetzt werden kann.
Wir werden im Abschnitt 3.3.4 sehen, dass mit Kuhn sich dieses Problem
nicht erst in unserer fiktiven Welt W2 , sondern bereits in unserer Welt mit
dem Begriff Wasser ergibt.
Extension im Kontrast von Umgangssprache und Wissenschaft
Diese Art von Extensionsbruch stellen Donnellan und Canfield nicht bloß
in diachroner Hinsicht fest, sondern auch in synchroner bzgl. der umgangssprachlichen und der wissenschaftlichen Verwendungsweise. So schreibt Canfield:
We can suppose that prior to the discovery that purified water
”
consists of H2 O, no one distinguished criteria for being water
from symptoms“ for being water. Against this background one
”
could introduce a criterion for being water, namely that it be
H2 O. Typically in such a case both uses of water“ survive side
”
by side.“ ([Can83] S.126)
Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass wir schon im Rahmen der
sprachlichen Arbeitsteilung auf ein analoges Problem aufmerksam gemacht
haben.44
3.3.2
De re versus De dicto
Putnams Majoritätskriterium zur Bestimmung der Extension eines NKTs ist
de re, da einzig die Distributionsverhältnisse von Vorkommnissen mit unterschiedlichen inneren Strukturen für die korrekte Benennung verantwortlich
44
Quantitatives Vorkommen in W4
t0
t1 Zeit
Abbildung 3.5: Gedankenexperiment zum Verhältnis von paradigmatischen
Fällen, innerer Struktur und der Frage nach der Extension: Welt W4 .
sind. Autoren wie Donnellan in [Don83] und Canfield in [Can83] kritisieren
dies.
Das in Abbildung 3.5 illustrierte Gedankenexperiment soll dies problematisieren. Das Verhältnis von Vorkommnissen von Stoffproben mit innere
Struktur H2 O und solchen mit XYZ ist konstant. Zum Zeitpunkt t0 kommt
der Begriff Wasser“ in Umlauf. Zum Zeitpunkt t1 verfügt die Sprachgrup”
pe über den begrifflichen Apparat und die Analysemethoden, um die innere
Struktur von Stoffproben X als H2 O und von Stoffproben Y als XYZ zu bestimmen. Die Frage ist nun, ob das Sprachkollektiv den Ausdruck Wasser“
”
nun für Stoffe aus X, Stoffe aus Y oder für beide verwenden wird.
In vorigen Beispielen war die Distribution der beiden Stoffe entweder etwa
ausgewogen, oder sehr einseitig und die Entscheidung schien intuitiv wesentlich eingängiger zu sein als in diesem Fall. Hier scheinen die Alternativen,
dass nur Stoffe aus X mit Wasser“ bezeichnet werden, aber auch jene, bei
”
der beide Stoffe mit Wasser“ bezeichnet werden, gleichwertig zu sein. In der
”
Entscheidung kommt ein konventionales Element zum Vorschein.
3.3.3
Die inneren Struktur und die Wissenschaft
Wir wollen uns im folgenden mit einem anderen Gedankenexperiment beschäftigen, das Putnams Realismus der inneren Struktur herausfordert, wie er ihn
vor allem in seinem Kapitel Seien wir Realisten“ 45 propagiert. Unser Beispiel
”
ist in Abbildungen 3.6 und 3.7 illustriert.
45
[Put75e] S.48-52
vlg. Abschnitt 2.4.1
62
63
a
a
a
αβγ
H2 O
innere Struktur?
b
c
b
b
c
c
b
a
b
Altertum
Heute
c
XY
c
d
d
d
d
d
3000
3500
Abbildung 3.6: Gedankenexperiment: Paradigmenwechsel der Molekularchemie. führt zu unterschiedlichen Konzeptionen der inneren Struktur und damit
zu unterschiedlichen Extensionen und paradigmatischen Beispielen.
Die horizontale Achse repräsentiert die Zeit. Die vier Stationen - Altertum, Heute, Jahr 3000 und Jahr 3500 - repräsentieren jeweils einen unterschiedlichen Stand der Wissenschaft. Im Altertum war die Molekularchemie
noch nicht entwickelt. Verschiedene Substanzen wie etwa Eis46 wurden hier
noch nicht als Wasser“ klassifiziert. Heute geht man davon aus, dass die dem
”
Wasser inhärente Struktur H2 O ist. Die Menge aller Stoffproben, die heute
potentiell als Wasser“ klassifiziert werden, ist im Vergleich zum Altertum
”
unterschiedlich. Die ausgefüllten Kreise in Abbildung 3.6 entsprechen den
Substanzen, die im jeweiligen wissenschaftlichen Modell als Wasser“ gelten.
”
Im Jahr 3000 ereignet sich nun in unserem Gedankenexperiment etwas
ganz außergewöhnliches: Es stellt sich heraus, dass die Molekularchemie, so
wie sie heute bekannt ist, falsch ist. Es könnte so etwa der Fall sein, dass
diese lediglich approximativ richtig ist, vergleichbar der Newton’schen Elementarteilchenphysik im Zusammenhang mit der Einstein’schen Relativitätstheorie. Radikaler mag man auch annehmen, dass die Terminologie der heute gebräuchlichen Molekulartheorie in dem Sinne keinen korrespondierenden
Gegenpart in der Welt hat, wie etwa Begriffe wie Phlogiston“.
”
So könnte es darüber hinaus der Fall sein, dass man eine tiefere“ innere
”
Struktur entdeckt, die es erlaubt, präzisere Voraussagen zu treffen und bestimmte neu entdeckte Phänomene zu erklären, die mit der herkömmlichen
46
vgl. diesbezüglich [Kuh90a] S. 311, nach dem im Altertum der flüssige Aggregatzustand als essentielle Eigenschaft von Wasser angesehen wurde. Dies wird weiter problematisiert in Abschnitt 3.3.4
64
Molekulartheorie nicht erklärt werden konnte. Die neue innere Struktur sei
in der Terminologie der neuen Theorie mit Hilfe einer neuen auf griechischen
Kleinbuchstaben basierenden Schreibweise als αβγ gegeben.
Nun ist allerdings dieser wissenschaftliche Umschwung nicht ohne Konsequenzen für die Extension des Wortes Wasser“ von sich gegangen. So weist
”
die große Mehrheit der Stoffe, die ehemals als H2 O klassifiziert wurden, auch
die innere Struktur αβγ auf47 , dennoch mag es mit den neueren feineren
Test gelingen, für manche Strukturen nachzuweisen, dass diese nicht die innere Struktur αβγ aufweisen, aber etwa eine andere innere Struktur, die etwa
in der neueren Notation mit αβδ gegeben ist. Es seien dabei nur recht wenige
Fälle, in der neuere Klassifizierungstests andere Ergebnisse liefern in Anwendung auf solche Stoffproben, die früher als H2 O klassifiziert wurden. Wären
solche Vorfälle recht häufig, so würde man wohl eher davon sprechen, dass
Wasser die zwei Sorten αβγ und αβδ enthält. Es soll auch manche wenige
Fälle geben, in denen Stoffe, die vorher als nicht-H2 O klassifiziert worden
sind, nun den αβγ-Test bestehen. Auch dies sei wieder auf den approximativen Charakter der ehemaligen Molekulartheorie zurückzuführen.
Es sei erwähnt, dass dieses Gedankenexperiment eine Konvergenz-Theorie
der Wissenschaften nicht ausschließt. Ein gemäßigter Realist kann das geschilderte Szenario ohne Konsistenzprobleme so auslegen, dass die neue Theorie über die innere Struktur gegenüber der Molekulartheorie, so wie sie heute
gebräuchlich ist, näher an der Wahrheit ist (was auch immer das für ihn
bedeuten mag). Gemäßigt ist unser Realist dann in der Hinsicht, dass er
den heutigen Stand der Wissenschaft nicht als die Wahrheit“ über die Welt
”
auslegt, sondern etwa lediglich als gute Approximation.
Das Gedankenexperiment lässt sich nun analog weiter führen. So könnte
es im Jahre 3500 wieder zu einer ähnlichen wissenschaftlichen Revolution
kommen, mit ähnlichen Folgen wie oben geschildert.
In Abbildung 3.7 ist ein überblickhafter Querschnitt über Extension, bzw.
die paradigmatischen Fälle der jeweiligen wissenschaftlichen Begriffe, die als
jeweils innere Struktur von Wasser gelten, aufgezeigt. Mit a ist dabei die
noch in diesem Sinne vorwissenschaftliche Betrachtungsweise im Altertum
bezeichnet. Die Bezeichnungen b, c, d orientieren sich entsprechend an Abbildung 3.6.
Dieses Gedankenexperiment scheint zu zeigen, dass die oben erwähnte
Rückzugsposition, die etwa Aristoteles bei der Verwendung von NKTs wie
Wasser“ einnimmt, angewendet auf kontemporäre Sprecher die Notwendig”
keit von Identitätsaussagen wie Wasser ist H2 O“ bedroht, wenn man nicht
”
47
Oben war ja dahingehend der approximative Erklärungscharakter der alten Theorie
erwähnt worden.
65
bc
d
c
b
a c
d
d
d
ab c
d
3.3.4
ab
Von vielen Autoren wird Putnams Konzeption aus dem Blickwinkel auf essentielle Eigenschaften und deren Verhältnis zu sog. Oberflächeneigenschaften
kritisiert.50
ab
c
Akzidenz, Essenz und die Varianz der Ähnlichkeitsrelation
Kuhn und konkurrierende Essenzen
Abbildung 3.7: Überblick über die verschiedenen Extensionen die sich
abhängig von den verschiedenen inneren Strukturen in den diversen wissenschaftlichen Modellen ergeben (vgl. Abbildung 3.6).
zumindest zusätzlich voraussetzt, dass Wasser tatsächlich H2 O ist (und damit WR), selbst wenn man mit Putnam die Ungültigkeit der These von der
relativ konstanten Bedeutung vertritt.48
Das für Putnams Typikalität benötigte Majoritätskriterium ist in obigem
Beispiel nicht bedroht, obwohl bei den jeweiligen wissenschaftlichen Revolutionen die Menge der paradigmatischen Fälle sich sozusagen jeweils an den
Rändern ändert. Käme es in solchen Fällen zu einer Inhomogenität der inneren Struktur der alten paradigmatischen Fälle, in der zwei oder mehrere
der neuen inneren Strukturen quantitativ einen zu großen prozentualen Anteil tragen, so würde man wohl terminologisch eher von verschiedenen Sorten
sprechen.
Ein weiteres Problem stellt sich dadurch ein, dass die wissenschaftliche
Entwicklung auf einen infiniten Regress von Paradigmenwechseln verweist.
Durch diesen ist die eigentliche Extension“ eines NKTs niemals gegeben
”
und die aktuelle ist jeweils immer nur vorläufig. Einzig wenn man einen
strengen wissenschaftlichen Realismus annimmt, der besagt, dass sich die
Analysemethoden etwa im atomaren Bereich lediglich verfeinern49 kann man
dieser Gefahr entgehen. Dann stellt sich allerdings ein anderes Problem ein,
das in 3.3.4 behandelt wird.
48
Wir gehen später noch auf eine Variante ein, die bei Kuhn in [Kuh90a] auftritt und
die mit einer diesem Gedankenexperiment ähnlichen Argumentation begründet wird.
49
So etwa die Entwicklung der Isotopentheorie auf die zeitgemäße Theorie der Atome
folgend.
Kuhn weist zunächst darauf hin, dass das, was als essentielle Merkmale von
NKTs jeweils gilt, zeitlich variant sind. So gilt etwa im Jahre 1750, dass Wasser was an elementary body of which liquidity was an essential property.“ 51
”
So ergibt sich das Problem, dass selbst, wenn man die Rückzugsposition für
einen Sprecher im Jahre 1750 in Kauf nimmt, so wäre eine 1-zu-1 Übersetzung nicht sinnvoll. Der Gebrauch im Jahre 1750 wies dem Wort Wasser“
”
eine völlig andere Rolle zu, als dies jetzt der Fall ist. Man sprach damals eben
nur von dem, was wir heute als liquid H2 O“ ([Kuh90a] S.312) bezeichnen
”
würden.
Das heißt, selbst wenn man Kripkes oft zitierten Satz Der ursprüngli”
che Begriff von Katze ist: diese Art von Ding“ akzeptiert, so ist damit noch
nicht entschieden, was dies kriterial heißen soll. In Putnams Terminologie ist
damit noch nicht ausgemacht, welches die Kriterien für die Ähnlichkeitsbedingungen sind. Dies verweist lediglich darauf, dass Stoffe in der Extension
von bspw. Wasser“ hinsichtlich bestimmter essentieller Eigenschaften gleich
”
sein sollen. Für Wasser war im Jahre 1750 eine dieser essentiellen Eigenschaften der flüssige Aggregatzustand. Man könnte dies so sehen, als ob Kuhn auf
zusätzliche Merkmale aufmerksam macht, die mit der inneren Struktur in
Konkurrenz treten. Das, was als Wasser“ im Jahre 1750 galt, bestimmte
”
sich faktisch eben nicht über die innere Struktur (H2 O), sondern es tritt das
notwendige Kriterium des flüssigen Aggregatzustands hinzu.52
In diesem Licht ist es daher nicht unmittelbar einleuchtend, warum ein
Sprecher aus dem Jahre 1750 der Identitätsaussage Wasser ist H2 O“ zu”
stimmen sollte, selbst wenn ihn ein Wissenschaftler aus unserer Zeit belehren
würde über molekularchemische Zusammenhänge und ihm in Laborversuchen
demonstrieren würde, dass sich die molekulare Struktur von flüssigem H2 O
bei Erhitzen zu Dampf bzw. bei Gefrieren zu Eis nicht ändert. Er würde dann
eher mit einem Satz Eis und Wasser haben dieselbe innere Struktur“ und
”
50
Donnellan spricht hier von ,surface’ properties“ ([Don83] S.96), Kuhn von superfi”
”
cial qualitites“ ([Kuh90a] S.313).
51
[Kuh90a] S.311, Hervorhebung von mir
52
Selbst Putnams Terminus Flussidentität“ ist in dieser Hinsicht eher verwirrend.
”
66
67
Wasser ist flüssiges H2 O“ reagieren, aber an seiner Konzeption von Wasser
”
als Flüssigkeit festhalten.
Not until the 1780s, in an episode long known as the ,Chemical
Revolution’, was the taxonomy of chemistry transformed so that
a chemical species might exist in all three states of aggregation.
Thereafter, the distinction between solids, liquids, and gases became physical, not chemical. ([Kuh90a] S.311)
Man könnte nun motiviert sein, die Identitätsaussage so abzuändern, dass
unser Sprecher aus dem Jahre 1750 zustimmen könnte
Wasser ist flüssiges H2 O.“
(3.15)
”
Doch mit dieser Nothilfe sieht Kuhn Putnams Konzeption für NKTs zurückschlittern in all die Probleme der deskriptionalen Theorie der Bedeutung,
welche die kausale Theorie bei Eigennamen erfolgreich vermeiden konnte.
For if two properties are required, why not three or four? Are
we not back to the standard set of problems that causal theory
was intended to resolve: which properties are essential, which
accidental; which properties belong to a kind by definition, which
are only contingent? [. . . ] Is deuterium hydrogen, for example,
and is heavy water really water? And what may one say about a
sample of close-packed particles of H2 O in rapid relative motion
at the critical point [. . . ] at which the liquid, solid, and gaseous
states are indistinguishable? Is it really water? ([Kuh90a] S.312)
Donnellan und die Arbitrarität der inneren Struktur
Donnellan führt in [Don83] ein Gedankenexperiment durch, das versucht eine
Extensionsvarianz bei wissenschaftlichen Revolutionen nachzuweisen. Eine
Zwillingserde sei so gestaltet, dass für alle chemischen Elemente jeweils ein
Isotop den Großteil der Elemente ausmacht. Hinsichtlich der Sprache und
der Wissenschaft sei jedoch die Situation auf beiden Planeten identisch.
Aufgrund dieser Ausgangslage scheint es Donnellan für die Bewohner der
Zwillingserde not psychologically implausible [. . . ] to be more taken with,
”
so to speak, the isotope number of a bit of substance rather than with its
atomic number“ ([Don83] S.100), was dazu führt, dass diese identify water
”
with protium oxide and exclude what we call ‘heavy water’ - deuterium or
tritium oxide.“ ([Don83] S.101)53
Das heißt aber für Donnellan, dass ausgehend von derselben sprachlichen
Basis und anschließend an dieselben wissenschaftlichen Entdeckungen die Extension des Wortes Wasser“ auf beiden Planeten unterschiedlich festgelegt
”
wird, je nachdem, was man als essentielles Merkmal von Wasser festlegt: die
Isotopnummer oder die Atomnummer.
Analog würde man auf dieser Zwillingserde als Gold“ lediglich ein be”
stimmtes Isotop bezeichnen. Das Majoritätskriterium behält dabei Gültigkeit, da ein NKT jeweils gerade Stoffe deren innere Struktur gerade der Isotopnummer korrespondiert, die im Sinne der Distribution den Großteil auf
der Zwillingserde ausmacht.
Es stellt sich damit jedoch eine gewisse Arbitrarität bezüglich dessen,
was als innere Struktur gelten soll und damit verbunden bezüglich der Frage, was paradigmatische Beispiele und typische Untermengen derselben sind,
ein. Dies ist also wieder ein Fall in dem der von Putnam favorisierte ‘de re’
Charakter einem ‘de dicto’ Charakter weichen muss.
Damit ist nun die Frage nach der Extension bei gleicher sprachlicher
und wissenschaftlicher Ausgangslage abhängig von gewissen Dispositionen
der Sprachgemeinschaft, v.a. der Wissenschaftler, welche nach einer paradigmatischen Wende die Interpretation eines neuen wissenschaftlichen Modells
vornehmen. In diesem Sinne ist es nicht mehr verständlich, dass NKTs have
”
the same extension before and after scientific discoveries and the mapping
of those terms on to those discoveries.“ ([Don83] S.103) Eine neues wissenschaftliches Modell macht in seiner Interpretation vielfach zumindest partiell
eine Abbildung von alltagssprachlichen Termini auf wissenschaftliche Klassifikationen erforderlich. Es ist gerade hier, wo Donnellan a small wobble“
”
([Don83] S.102) lokalisiert.
Wenn Donnellan hier von einer Disposition seitens der Sprecher to be
”
struck more by isotopes than by element“ ([Don83] S.103), so geht es hier
gerade um die Frage, was Wissenschaftlicher als essentielles Merkmal von
bspw. Wasser akzeptieren: ist es eine innere Struktur der Art Ψ2 O, wobei
man für Ψ eines der Isotope 1 H,2 H oder 3 H einsetzt oder handelt es sich
lediglich um etwa 1 H2 O?
In diesem Sinne scheint es falsch zu sein, dass die Wissenschaft die Essenz
von NKTs entdeckt. Wiederum schleicht sich ein de dicto“ Moment in den
”
sprachlichen Prozess ein. Wissenschaftler setzen bei der Interpretation ihrer
Modelle Referenten fest. Dieser Vorgang ist nicht willkürlich, er orientiert
sich am Sprachgebrauch in der Alltagssprache, sowie am Sprachgebrauch in
wissenschaftlichen Vorgängermodellen. In diesem Sinne ist er immer auch de
”
re“. Mit Donnellan müssen wir zugeben,
53
Hier sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung schweres Wasser“ für Tritiumoxid
”
falsch ist.
that nature, after all, does not fully determine the extension of
68
69
vernacular natural kind terms, and science is not wholly responsible for discovering their true extension. ([Don83] S.104)
Donnellans Gedankenexperiment ist nicht ohne Probleme. So war der
Begriff des Isotops wissenschaftlich erst viel später zugänglich als die Entdeckung etwa, dass Wasser, oder vorsichtig ausgedrückt, eines Großteils dessen,
was wir Wasser“ nennen, H2 O ist54 . Er setzt die simplere Atomtheorie sogar
”
voraus.
Donnellan ist sich dieses Umstands bewusst und bezeichnet ihn als his”
torical accident“ ([Don83] S.104). Das scheint dem Einwand allerdings nicht
genüge zu tun, da die wissenschaftshistorische Abfolge notwendig für den
Begriff des Isotops die atomare Theorie voraussetzt. Kann man trotzdem
mit Donnellan eine Kontingenz der Frage, was als Gold“ bezeichnet wird
”
unterstellen?
Zunächst müsste sich auch auf der Zwillingserde die atomare Theorie
entwickeln, was schließlich dazu führt, dass auf der Zwillingserde festgestellt
wird, dass sehr große Teile des gelblich glänzenden Stoffes, was etwa in manchen Bergen aufgefunden wurde, eine innere Struktur hat, die man mit der
atomaren Nummer 79 charakterisieren kann. Erst später findet man heraus,
dass es ein stabiles Isotop desselben, und dass es darüber hinaus 18 instabile
Radioisotope gibt.
Wir illustrieren die gegebene Situation in Abbildung 3.8. Dabei sind die
Vorkommnisse von diversen Isotopen von Gold schematisch dargestellt.55
Zum Zeitpunkt t1 entwickle sich die atomare Theorie, die Klassifizierungen von Stoffen im Sinne der Periodentafel zulässt. Zu diesem Zeitpunkt ist
die Wissenschaft noch nicht ausgereift genug, um unterschiedliche Isotope
auszumachen. Allerdings findet bereits für diese Theorie die Abbildung von
umgangssprachlichen Wörtern auf wissenschaftliche Klassifizierungen statt.
Dies ging in unserer Welt in einer Weise vor sich, dass der Begriff Gold“ für
”
Stoffe verwendet worden ist, die atomare Nummer 79 haben. Dies ist gerade
dadurch motiviert, dass man festgestellt hat, dass die Stoffe die man vormals als Gold bezeichnet hat, bei den neu entwickelten Klassifizierungstest
vorwiegend als Element mit Nummer 79 identifiziert worden sind.
Nach Donnellan müssten Wissenschaftler auf der Zwillingserde zum Zeitpunkt t1 eine Überlegung von folgender Art gemacht haben: Vielleicht sind
”
die Analysemethoden und unsere atomare Theorie zum jetzigen Zeitpunkt
54
Der Begriff des Isotops geht auf Frederick Soddy zurück, der 1921 unter anderem
dafür den Nobelpreis für Chemie erhielt.
55
Die Darstellung ist in keiner Weise realistisch. So verfügt Gold über 19 Isotope, dargestellt sind aber bloß drei Linien. Für unser Argument sind die genauen Zahlenverhältnisse
allerdings nicht von Belang.
70
Quantitatives Vorkommen
t0
t1
t2 Zeit
Abbildung 3.8: Gold und seine Isotope. Die Linien repräsentieren verschiedene Isotope von Gold und deren Vorkommnisse. Die Linie oben repräsentiert
dabei den stabilen Standardfall. Zeitpunkt t1 : Entwicklung der atomaren
Theorie und Klassifikation von Gold mit Nummer 79. Zeitpunkt t2 : Entwicklung der Theorie der Isotope. Ausgehend davon Identifikation von Gold
Isotopen.
noch nicht ausgeprägt genug. Wir sollten mit der Abbildung des Wortes
‘Gold’ besser noch auf spätere Stadien unserer wissenschaftlichen Entwicklung warten. Dann stellt sich vielleicht heraus, dass der Großteil dessen, was
wir umgangssprachlich als Gold bezeichnen eine feinere innere Struktur besitzt als uns momentan theoretisch zur Verfügung steht.“
Es steht dann folgendes Kriterium im Hintergrund:
IS⋆ Die essentielle innere Struktur von Gold ist jene, die Mehrheit der Stoffproben, die Umgangssprachlich als Gold bezeichnet werden, besitzen.
Gibt es eine (kohärente56 ) Hierarchisierung von immer feiner werdenden inneren Strukturierungen, so ist das ausschlaggebende dasjenige
auf der tiefsten Ebene.
Dies entspricht offensichtlich nicht der unserer Praxis im Falle von Gold.
Geht man hierbei von einem wissenschaftlichen Fortschritt hinsichtlich
der Präzision im mikroskopischen Bereich aus, so ist ein infiniter Regress
nicht ausgeschlossen.
Man könnte alternativ auch ansetzen, dass Bewohner der Zwillingserde zunächst zum Zeitpunkt t1 dazu übergehen, Gold das zu nennen, was
56
Im Sinne einer naturwissenschaftlichen Theorie kohärent: so ist z.B. die Struktur
von Isotopen eine Verfeinerung der atomaren Theorie aus t1 . Wir werden später noch auf
inkohärente innere Strukturen eingehen.
71
in Klassifizierungstests die atomare Nummer 79 erhält. Zum Zeitpunkt t2
jedoch wieder die Extension einschränken zugunsten des am häufigsten auftretenden Isotops. Der Unterschied zu oben ist, dass man die Abbildung
der alltagssprachlichen Begriffe auf wissenschaftliche Klassifikationen nicht
ins Unendliche abschieben muss, sondern lediglich immer neue Abbildungen
vornimmt. Diese sind jedoch nicht wie vormals von der Alltagssprache in die
Wissenschaftssprache, sondern von einer alten Theorie in eine neue. Aber
auch hier ergibt sich das Problem, das die tatsächliche Extension niemals
endgültig bestimmt wird.
Im Grunde wird bei der Rede von einer Abbildung von Alltagssprache
in die Wissenschaftssprache im Sinne von NKTs schon idealisiert. So waren
Begriffe wie Gold und Wasser schon vor dem Zeitpunkt t1 wissenschaftlich
geprägt. Auch hier gab es schon Klassifikationstest, die Gold von anderen
Gold-ähnlichen Substanzen unterschieden haben und dementsprechend ist
dem wiederum eine Unterscheidung vorhergegangen, die die einen Stoffproben eben als Gold und die anderen lediglich als Gold-ähnlich identifiziert
und damit den alltagssprachlichen Wort Gold“ diese Extension zugewiesen
”
haben.
So mag die Extension in den jungfräulichen Zeiten der Wissenschaften
noch weit größer gewesen sein als im Mittelalter. Ich spreche hierbei vorsichtshalber von der Extension eines Wortes, wie sie der Gebrauch festschreibt,
denn wie oben gesehen unterstellt Putnam mit seiner Rückzughaltung, dass
die Extension, im eigentlichen“ Sinn, gleich geblieben ist. Das würde für
”
Putnam mindestens bedeuten, dass ein Sprecher X in der jungfräulichen
”
Zeit“ der Wissenschaft den Extensionsveränderungen, in einer Kette von verschiedenen Abbildungen von Begriffen vor einer wissenschaftlichen Revolution (oder weniger drastisch: einer entscheidenden wissenschaftlichen Entdeckung) in solche nach dieser, jeweils zustimmen würden, weil die Wissenschaft
jeweils mehr und mehr das Wesen des betreffenden NKTs bestimmt.
Stimmt man Putnam mit dieser in die Zukunft verwiesenen Arbeitsteilung zu, so fährt Donnellan mit seiner Kritik schweres Kaliber auf. Denn
ist die Entscheidung, what way to go“ bzgl. der Abbildung an einer Stelle
”
der Kette arbiträr, etwa bei der Frage, ob Gold nun die Menge aller Isotope des Elements mit atomarer Nummer 79, oder eine Untermenge derselben
oder etwa nur das am häufigsten auftretende bezeichnet, so ist die eigent”
liche“ Extension des Wortes Gold“, die je auch bereits unser Sprecher X
”
gemeint hat, ambivalent. Die Frage, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir
NKTs benutzen, wäre vieldeutig und damit wäre der Begriff einer eigent”
lichen“ Extension und damit verbunden einer eigentlichen“ Essenz eines
”
NKTs unnütz.
War die Entscheidung der irdischen Wissenschaftler, nach Entdeckung
der Isotope von Gold, die Extension desselben nicht weiter einzuschränken
(und damit das essentielle Charakteristikum der inneren Struktur auf ein
solches Isotop zu fixieren) de re oder hätte sie je nach kontingenter psychischer Konstitution derselben auch anders verlaufen können? Was wäre
bspw. passiert, falls sich die atomare Theorie und die Isotopen-Theorie zur
selben Zeit entwickelt hätten (also im Falle t1 = t2 )? Man stelle sich etwa
die Situation vor, dass Menschen im Mittelalter ein (sehr dickes) Buch mit
dem Stand der Wissenschaften (v.a. der Chemie und der Physik) etwa aus
dem Jahre 1930 auffinden würden. Dies wäre in einer Weise verfasst, die es
ihnen ermöglicht selbst, Apparaturen für Klassifikationen herzustellen und
paradigmatische Experimente durchzuführen und außerdem in einer solchen
Weise, dass höher gebildete Menschen in der Lage wären, die Theorien zu verstehen. Man nehme zusätzlich an, dass die mittelalterlichen Wissenschaftler
diese Theorien als wahr, oder zumindest als die besten Theorien akzeptieren,
die sie kennen. Wie würden diese die Abbildung von NKTs auf die Klassifizierungen der neuen Theorie vornehmen: im Sinne der Zwillingserde, oder
sowie auf der Erde, oder gar ganz anders?
72
73
Hanna und der abduktive Essenzschluss
Eine von den vier Kantischen Kritiken des wissenschaftlichen Essentialismus,
die Hanna in [Han98] präsentiert, problematisiert die empirische Unzugänglichkeit der Mikrostruktur von Substanzen in der Natur.
Bereits Locke wies darauf hin, dass es Sachverhalte im Umfang alles
”
Seienden“ gibt, für die weder die Sinnes-, noch Selbstwahrnehmungen ein
”
Mittel bietet, Vorstellungen davon unserer Seele zuzuführen.“ ([Loc72] S.169)
Aufgrund unseres begrenzten perzeptiven Vermögens können wir nur indirekt mit Hilfe von Apparaturen Aufschluss gewinnen über tiefere mikroskopische Strukturen. The microstructures cannot be directly percieved.“([Han98]
”
S.510)
Hanna stellt sogar noch eine schärfere These auf: Thus real essences
”
are both perceptually and conceptually closed to us.“Nicht nur haben wir
keinen Zugriff auf die Mikrostrukturen, sondern diese sind unserem Zugriff
gänzlich entzogen. Damit ist die Rede von indirekten“ Zugriff nur in ei”
ner recht beschränkten Interpretation sinnvoll. Was uns zugänglich ist, sind
lediglich makroskopische und jeweils nur bis zu einem gewissen Grad mikroskopische Eigenschaften,57 die wiederum durch die unzugänglichen mikroskopischen Merkmale determiniert sind.
Jene unsichtbaren Körperchen bilden die thätigen Theile des Stof57
abhängig von der vorhandenen Apparatur
fes und das bedeutendste Werkzeug der Natur; von ihnen hängen
nicht allein alle zweiten Eigenschaften ab, sondern auch die meisten ihrer natürlichen Wirksamkeiten; allein es fehlen uns die genauen Vorstellungen ihrer ersten Eigenschaften, und so bleiben
wir in einer unheilbaren Unwissenheit über Das, was sie betrifft.
([Loc72] S.169/170)
In unseren Nachforschungen sind wir darauf angewiesen mit Hilfe von
Hintergrundannahmen von diesen makroskopischen Eigenschaften auf mikroskopische Strukturen zu schließen. Hinzu kommt die Problematik, dass selbst
die Weise wie uns Sinneseindrücke gegeben sind, bereits overdetermined by
”
theory“ ist. Dieses Schlussverfahren charakterisiert Hanna als abduktiv“.
”
Der sog. abduktive Schluss“ geht zurück auf Peirce.58 Umberto Eco be”
zeichnete diese Schlussmethode auch als detektivisch“. Mit Peirce hat dieser
”
eine große Bedeutung bei Wahrnehmungsprozessen, sowie im Prozess der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis.
Jemand müsste völlig verrückt sein, wollte er leugnen, dass der
Wissenschaft viele wirkliche Entdeckungen gelungen sind. Aber
jedes einzelne Stück wissenschaftlicher Theorie, das heute fest gegründet dasteht, ist der Abduktion zu verdanken. ([Pei34] S.172)
Im Gegensatz zu den Schlussweisen der Induktion und zur Deduktion
geht die Abduktion von einer Regel und einem Resultat aus um auf den Fall
zu schließen. Formal wird in Abduktionen von a → b und b auf a geschlossen. Selbstverständlich hat sie deshalb keine Beweiskraft. Es gibt gewöhnlich
eine Unzahl an Regel der Form x → b. Ausgehend von einem Phänomen
b ist Abduktion der Vorgang, in dem eine erklärende Hypothese gebildet
”
wird“ ([Pei32c] S.171). Sherlock Holmes zeichnet sich dadurch aus, alle in
Frage kommenden Regeln geschickt auszuschließen, so dass am Schluss nur
noch eine übrig bleibt. Diesen Luxus hat die Wissenschaft nicht. Die Welt
der Physik ist wesentlich zu komplex. Hypothesen werden immer neuen Experimenten unterworfen und können wenn keinerlei besondere Gründe für
”
ihre Ablehnung vorhanden sind, zulässig sein“ ([Pei32c] S.197).
[U]nd wir kommen hier nicht über Das hinaus, was einzelne Versuche erreichen lassen, ohne dass man weiß, ob sie in einem anderen
Falle wieder eintreffen. Das hindert das sichere Wissen der allgemeinen Wahrheiten über die Naturkörper, und unsere Vernunft
führt uns nur wenig über einzelne besondere Thatsachen hinaus.
([Loc72] S.171)
58
vgl. [Pei32c]
74
Doch die Abduktion bleibt dem Charakter nach bloße Vermutung, was
Peirce zu folgender Bemerkung veranlasst: Unfehlbarkeit in wissenschaftli”
chen Belangen ist für mich unwiderstehlich komisch“ ([Pei32b] S.9), die an
Locke’s wissenschaftlichen Skeptizismus erinnert:
Ich möchte deshalb zweifeln, ob trotz aller Fortschritte der Menschheit in Erfindungen und den Erfahrungskenntnissen bezüglich der
Natur die wissenschaftliche Erkenntnis derselben je erreicht werden wird;[. . . ] allein da die entsprechenden Vorstellungen uns abgehen, so ist eine wissenschaftliche Erkenntnis und die Entdeckung allgemeiner, belehrender und unzweifelhafter Wahrheiten
über dieselben uns unmöglich. ([Loc72] S.170/171)
Hanna folgert damit mit Kant, ähnlich wie Sellars, dass die real essence“
”
der modernen Version des wissenschaftlichen Essentialismus is nothing but
”
a certain kind of Kantian thing-in-itself - a modern scientific version of the
noumenon“([Han98] S.512) und bezichtigt sie des tranzendentalen Realismus. Einsicht in die inneren Strukturen der Dinge könne man nur mit Hilfe
einer intellektuellen Anschauung“ nehmen, die aber uns endlichen Wesen
”
mit Kant versagt bleibt.
3.3.5
Wissenschaftliche Bedenken gegen das Zwillingserde Argument und der Eigenschaftsdualismus
Kuhn und Hanna zum Ersten
Als notwendige Voraussetzung des Zwillingserden-Gedankenexperiments muss
es möglich sein, dass sich zwei Substanzen hinreichend bzgl. der makroskopischen Eigenschaften gleichen, obwohl die eine als innere Struktur H2 O und
die andere XYZ aufweist. Kuhn kritisiert dies in [Kuh90a] scharf.
Für Kuhn ist es schlichtweg unvereinbar mit der kontemporären chemischen Theorie, dass es Substanzen gibt with properties very nearly the same
”
as water but described by an elaborate chemical formula“(S. 310).
Vielmehr wäre solch eine Entdeckung eine schwerwiegendes Indiz von the
”
presence of fundamental errors in the chemical theory that gives meanings to
compound names like ‘H2 O’ and the unabbreviated form of ‘XYZ′ .“Sie käme
als möglicher Auslöser einer wissenschaftlichen Revolution und eines damit
verbundenen Paradigmenwechsels in Frage, indem sie zum Diktum Back to
”
the drawing board! Something is badly wrong with chemical theory.“ führt.
Auch Hanna betont, dass, nur wenn ein wissenschaftlicher Essentialist,
der mit Hilfe des Zwillingserde-Gedankenexperiments argumentiert, “is at
75
least a ‘property dualist’ as regards microstructural and macroscopic properties, can the Kripkean and Putnamian Twin Earth examples work“([Han98]
S. 500). Das heißt zunächst, dass makroskopische Eigenschaften nicht mit
mikroskopischen identisch oder zumindest analytisch äquivalent sind.
Es stellt sich die Frage, ob man aus der Argumentation Putnams Folgerungen machen kann bezüglich des Zusammenhangs zwischen makroskopischen und mikroskopischen Eigenschaften. Determiniert die innere Struktur die sog. Oberflächeneigenschaften, oder ist das Verhältnis von schwächerer Modalität in dem Sinne, dass es bzgl. dieses Verhältnisses divergierende
mögliche Welten gibt. So etwa könnte man annehmen, dass in einer Welt
Gold nicht gelblich, sondern bläulich ist. Ist damit Kants Aussage Gold ist
”
ein gelbes Metall“ 59 , wenn nicht von analytischem Charakter, so doch notwendig? Hume ist in dieser Hinsicht sehr skeptisch: die Natur könnte sich
bzgl. ihrer mikroskopischen Struktur verändern, trotzdem, dass sie für uns
und unsere Fähigkeit sie wahrzunehmen gleich bleibt:
Man irrt, wenn man meint, die Natur der Dinge aus vergangenen
Fällen erkannt zu haben. Ihre verborgene Natur und folglich alle
ihre Wirkungen können sich ändern, ohne dass ihre sinnlichen
Eigenschaften wechseln. [[Hum69] S. 37]
Für Hanna steht fest, dass Putnam hier keine Notwendigkeit unterstellen
kann:
[S]cientific essentialists who follow Kripke and Putnam must [Herv.
CS] regard it as weaker than logical equivalence (to account for
Twin Earth cases) and may even regard it as weaker than extensional equivalence (if Twin Earth is in the actual world). [[Han98]
S. 505]
Es scheint als wären wir in der seltsamen Situation, dass, was einerseits
für das Gedankenexperiment mit Hanna vorausgesetzt werden muss, auf der
anderen Seite dasselbe mit Kuhn vereitelt. Denn gerade der Eigenschaften
Dualismus ist es, der mit Kuhn nicht mit der gängigen wissenschaftlichen
Theorie vertretbar ist.
Doch ist Hannas Kritik gerechtfertigt? Ich behaupte, dass Putnam durchaus nicht einen notwendigen Zusammenhang zwischen innerer Struktur und
makroskopischen Merkmalen für sein Gedankenexperiment voraussetzen muss.
Er könnte ansetzen, dass die innere Struktur alle anderen Merkmale einer
Substanz notwendig determiniert. Makroskopische Eigenschaften sind für die
59
vgl. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, S. 126, [Kan77]
76
inneren Strukturen H2 O und XYZ gleich, aber sie unterscheiden sich sehr
wohl in mikroskopischen Eigenschaften, die allerdings im Jahre 1750 noch
nicht zugänglich waren. Die causal connection between the microphysically”
defined substratum and the macroscopic properties“ kann so durchaus als
notwendig gesehen werden.
Wäre sie dies nicht, so wäre die Argumentation gefährlich nahe an Humes
oben zitierten Einwand, nach dem sich die Natur in ihrer mikroskopischen
inneren Struktur verändern kann, während die uns zugänglichen Merkmale
derselben invariant bleiben. Denn warum sollte ein Dualismus von mikroskopisch und makroskopischen Eigenschaften, der notwendigerweise die Naturkausalität als kontingent betrachtet nicht diesen radikalen Schritt auch
unternehmen. Prinzipiell steht dem nichts mehr im Weg. In diesem Sinne
muss Putnam an einer notwendigen Kausalitätsbeziehung zwischen innerer
Struktur und anderen Merkmalen einer Substanz festhalten.
Kuhn zum Zweiten
Es bleibt allerdings zu betonen, dass Kuhns Kritik unbeeindruckt dessen
dennoch bestehen bleibt. Wie könnte Putnam dieser kontern. In anderen
Worten: kann sein Gedankenexperiment in einer Weise geeignet angepasst
werden?
Man kann zwei Strategien zulassen: Zum einen folgt Putnam Kuhn dahingehend, dass er in einem (angepassten) Gedankenexperiment eine wissenschaftliche Revolution zulässt. Zum anderen könnte er versuchen, dahingehend zu parieren, die Unterschiedlichkeit der auf der Zwillingserde aufgefundenen Substanz nicht in einer mit der gängigen Theorie kohärenten differierenden inneren molekularen Struktur zu suchen, sondern etwa auf einer
tieferen“ Ebene.
”
Da das Gedankenexperiment im Kontext zweier recht zentraler Thesen
Putnams auftaucht, wollen wir sehen, wie sich diese jeweils zu den vorgeschlagenen Lösungen verhalten.
Selbst, wenn die Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert von der Entdeckung von Zwasser maßgeblich erschüttert werden würde, so bleibt das
Gedankenexperiment in seiner Funktion der These Bedeutungen sind nicht
”
im Kopf“ Plausibilität zu verschafften doch unangetastet. Denn wie auch
immer die Nachfolgetheorie ausfallen wird, so muss sie doch jeweils Wasser
auf der Erde und solches auf der Zwerde als unterschiedliche Substanzen behandeln. In diesem Sinn haben das Wort Wasser“ geäußert von Personen P
”
und von P ′ verschiedene Bedeutung.
Anders steht es mit der These, dass Wasser notwendigerweise H2 O ist.
Denn offensichtlich war die zeitgemäße chemische Theorie nach der es mole77
kulare Verbindungen wie H2 O gibt falsch. Was sollte es also noch bedeuten,
trotzdem an der Identitätsaussage festzuhalten. Man könnte höchstens noch
daran festhalten, dass H2 O notwendigerweise eine gute Annäherung ist. In
diesem Fall stellt sich allerdings die Schwierigkeit ein, was das, wenn nicht
rein instrumentalistisch gedeutet, ontologisch heißen soll. Dass die molekulare
Theorie des zwanzigsten Jahrhunderts bessere Vorhersagen für experimentelle Tests machen kann als Theorien des Mittelalters, während eine mögliche
Nachfolgetheorie wiederum daran gemessen werden wird, inwiefern sie über
kurz oder lang mindestens dieselbe Prognosefertigkeiten haben wird, wie unsere chemische Theorie, aber dabei Krisenphänomene, wie den Unterschied
zwischen Wasser und Zwasser erklären kann, ist leichter einsichtig.
Schwieriger wird es wissenschaftliche Konvergenzmodelle auch in ontologischer Sicht zu deuten. Denn, was soll als Maßstab dafür dienen, ob ein
Modell wie das zeitgemäße Molekülmodell mit H2 O oder ein mögliches Nachfolgemodell, nachdem wie in Abschnitt 3.3.3 Wasser als αβγ modelliert wird,
näher oder weiter von der wahren Natur“ von Wasser entfernt ist. Gerade
”
im Falle, dass ein wissenschaftliches Modell als falsifiziert gilt stellt sich die
Frage, was es heißen soll, dass H2 O approximativ die Wahrheit trifft. Man
ist eher geneigt zu sagen, es war schlichtweg falsch.
Wir wollen deshalb versuchen, das Gedankenexperiment dahingehend abzuändern, dass Kuhns Einwand nicht mehr gültig ist. Es müsste ein Unterschied zwischen Wasser und Zwasser ins Feld geführt werden, der gerade
keine wissenschaftliche Revolution nach sich zieht. Man könnte etwa Unterschiede auf subatomarer Ebene ins Feld führen, ähnlich der Theorie der
Isotope. Ich weiß nicht, inwiefern die zeitgemäßen chemischen und physikalischen Theorien flexibel genug sind und ein Szenario unterstützen könnten,
bei dem diese in einem tieferen Bereich“ derart manipuliert oder angerei”
chert werden, dass die Theorie der molekularen Zusammensetzung ala H2 O,
CO2 , etc. Gültigkeit behält, und auf einem fernen Planten ein H2 O existiert,
dass sich auf dieser neu entdeckten subatomaren Ebene gänzlich von unserem
H2 O unterscheidet.
Doch nehmen wir an, dies wäre möglich. Dann stellt sich die Frage, ob
wir nicht sagen würden Wasser tritt auch in der Form Zwasser auf.“ an”
statt Es gibt auf Zwerde eine Substanz, die Wasser makroskopisch gleicht,
”
aber kein Wasser ist.“ Meiner Einschätzung nach wäre es eher ersteres. Fest
steht jedoch, dass sich dies nicht ‘de re’ einscheiden lässt. Doch damit ist
dem Putnamschen Argument ein Großteil seiner Zugkraft entzogen, denn es
liegt nicht fern zu behaupten, dass es eine mögliche Welt gäbe, in der sich
die Erdenbewohner für ersteres, eine zweite in der sie sich für zweiteres entscheiden würde. In einem solchen Fall noch davon zu sprechen, dass Wasser
notwendigerweise H2 O ist, scheint schlichtweg falsch zu sein.
78
Wäre es dagegen aus irgendeinem Sinne notwendig, dass Menschen sich
bzgl. erster Aussage verhalten, so hätte das Gedankenexperiment keinerlei
Zugkraft mehr hinsichtlich der These Bedeutungen sind nicht im Kopf“,
”
da man nun unterstellen müsste, dass ja Wasser“ geäußert von P dasselbe
”
bedeute wie geäußert von P ′ . Bezüglich der Identitätsaussage würde das Gedankenexperiment dann lediglich in Aussicht stellen, dass die Struktur H2 O
auf tieferer Ebene heterogen auftreten kann.
Zusammenfassend gilt festzustellen, dass Kuhns Kritik ernst zu nehmen
ist, gerade auch in dem Sinn, wie sie zeigt, dass die Gefahr eines wissenschaftlichen Fallibilismus in Putnams eigenen Gedankenexperimenten präsent ist.
In Sinne eines solchen kann man der Aussage Wasser ist notwendigerwei”
se H2 O“ allerhöchsten mit dem Vorsatz Wenn Wasser wirklich H2 O ist“
”
Validität zugestehen.
3.3.6
Apriorität der Identitätsaussagen
Gleich zu Beginn der Kritik der reinen Vernunft weist Kant auf die vom ihm
vertretene Unmöglichkeit von notwendiger Erkenntnis a posteriori hin:
Erfahrung lehrt uns zwar, daß etwas so oder so beschaffen sei,
aber nicht, daß es nicht anders sein könne. Findet sich also erstlich ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird,
so ist er ein Urteil a priori; [. . . ] Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori,
und gehören auch unzertrennlich zu einander. [[Kan98] B3/B4,
S.53]
Ganz in der Tradition obigen Zitats versucht Hanna zu zeigen, dass die
Notwendigkeit von Sätzen wie
HP Hesperus ist Phosphorus.
GE Gold ist das Element mit atomarer Nummer 79.
a priori wissbar ist. Als Veranschaulichung bemüht er folgenden bewußt fehlerhaften Beweis dafür, dass einige analytische Aussagen nur a posteriori
erkennbar sind:60
(1) Folgende Aussagen sind aposteriorische Wahrheiten und können in dieser
Fähigkeit empirisch festgestellt werden:
Kant ist ein Junggeselle. Kant ist nicht verheiratet.
Ebenso ist es sowohl epistemisch als auch logisch möglich, dass obige
Aussagen falsch sind.
60
vgl. [Han98] S. 516
79
(2) Dennoch ist es notwendig und analytisch, dass folgende Aussage gültig
ist:
KB Wenn Kant ein Junggeselle ist, so ist er nicht verheiratet.
(3) Also ist KB analytisch notwendig und a posteriori.
Nun ist aber KB nach Hanna selbstverständlicherweise analytisch a priori. Weder die Notwendigkeit noch der apriorische Charakter von KB werden
dabei dadurch beeinträchtigt, dass
(i) durch die direkte Referenz von Kant“ beinhaltet KB nicht eliminier”
bare empirische Konstituenten
(ii) KB is made true by an empirical fact (as it happens Kant is indeed
”
unmarried)“ ([Han98] S. 517)
(iii) KB is knowable a posteriori (its consequent is empirically verifiable)“
”
(iv) es ist epistemisch möglich, dass Kant verheiratet ist.
Zur weiteren Analyse schließen wir uns hier der von Casullo getroffenen
recht nützlichen Unterscheidung von
WW Wahrheitswert einer Aussage ϕ, der Frage, ob ϕ wahr oder falsch ist;
von WW und GMS abhängt. One cannot know the specific model status
”
of a proposition unless one knows both its general modal status and its truth
value.“
Dies sollte nicht vorschnell dahingehend interpretiert werden, dass gilt:
falls eine Aussage speziell modalen Status notwendig und wahr“ besitzt,
”
so folgt, dass sie wahr ist (in der aktualen Welt). So gibt es Aussagen über
Individuen oder Gegenstände, die in der aktualen Welt nicht existieren. Etwa
Aussagen über meinen Bruder, der lediglich in möglichen Welten existiert,
in denen meine Mutter ein weiteres männliches Kind zur Welt gebracht hat.
Die Aussage Mein Bruder hat blaue Augen“ ist in der aktualen Welt weder
”
wahr noch falsch. Man könnte eher sagen, dass sie in gewisser Weise keinen
Sinn hat. Aus der Kenntnis um den speziellen modalen Status einer Aussage
allein lässt sich im Allgemeinen noch nicht der Wahrheitswert der Aussage
ableiten. Es könnte nämlich durchaus sein, dass mindestens eine Individuum
oder ein Gegenstand der Aussage in der aktualen Welt nicht existiert.
Wir wollen also zum besseren Verständnis folgende Formularisierungen
für einen Satz ϕ vornehmen:
(
def W ϕ Ind(ϕ) ⊆ U(W )
⋆
(3.16)
W ϕ=
⊤
sonst
(
Ind(ϕ) ⊆ U(Wa )
def Wa ϕ
WW(ϕ) =
(3.17)
nicht definiert sonst
def
SMS spezieller modaler Status einer Aussage ϕ, der Frage, ob ϕ notwendig
oder kontingent wahr bzw. falsch ist;
GWS(ϕ) = (∀W ∈ M : W ⋆ ϕ) ∨ (∀W ∈ M : W ⋆ ¬ϕ)
def
ϕ∃ = ∃W : (W ⋆ ϕ) ∧ (Ind(ϕ) ⊆ U(W ))
def
SWS(ϕ) = ∀W ∈ M : W ⋆ ϕ ∧ ϕ∃
GMS genereller modaler Status einer Aussage ϕ, der Frage, ob ϕ notwendig
oder kontingent ist (was auch immer der Wahrheitswert ist)
an.61 Wir können uns nun genauer ausdrücken: Hanna versucht zu zeigen,
dass der spezielle modale Status von HP und GE ‘notwendig wahr’ ist62 und
dies a prori erkennbar ist.
Wir wollen zunächst hervorheben, dass WW und GMS einer Aussage
logisch unabhängig sind. So stellt etwa Goldbachs Vermutung ein Beispiel
dafür dar, dass [o]ne can know that p is a mathematical proposition and
”
that all mathematical propositions are necessary but not know whether p is
true or false.“ 63 Dagegen muss herausgestellt werden, dass SMS wesentlich
61
vgl. [Cas03b] und [Cas03a]
Man kann dagegen durchaus geneigt sein, obiges Kant Zitat nur im Sinne von GMS
auszulegen.
63
[Cas03b] Abschnitt 3.2
62
80
(3.18)
(3.19)
(3.20)
Hierbei sei Ind(ϕ) die Menge aller Individuenkonstanten in ϕ, M die Menge
aller möglichen Welten, U(W ) das Universum einer Welt W , sowie Wa die
aktuale Welt. Es sei darauf hingewiesen, dass SWS(ϕ) genau dann wahr ist,
wenn ϕ notwendig wahr ist. In den Fällen, dass ϕ nicht notwendig ist, oder
notwendig falsch ist, ist SWS(ϕ) falsch.
Vieles an dieser Stelle hängt von der Frage ab, was als mögliche Welt
gelten soll, also welche Welten die Menge M beinhaltet. Vielfach wird eine
mögliche Welt im Sinne von Leibniz64 als konsistent beschreibbare Welt angesetzt.65 Es stellt sich die metaphysische Frage, in welchem Verhältnis die
Menge aller konsistent beschreibbaren Welten A zur Menge aller möglichen
64
65
vgl. etwa §173 in der Theodizee.
vgl. etwa Brittan in [GGB78] S. 17
81
Welten stehen. Die Unterstellung einer Koextensivität, aber auch A ⊂ M
sind jedoch als nicht triviale Zusatzannahmen zu werten. Darüber hinaus
stellt sich jedoch auch die Frage, ob es sinnvoll ist, an einer Modalität festzuhalten, die sich ähnlich dem Kantischen ‘Ding an sich’, der beschränkten
menschlichen Existenz entzieht. Ein pragmatischer Begriff der Möglichkeit
und der Notwendigkeit könnte so für eine Identifikation von A und M argumentieren. Will man dagegen an einem metaphysischen, im Gegensatz zu
einem in obiger Hinsicht anthropomorphen Begriff der Modalität festhalten,
so stellt sich etwa die Frage, ob nicht manche konsistent beschreibbare Welten metaphysisch unmöglich sind. Dann stellt sich die Frage, ob nicht die
Welt, in der das fliegende Spaghettimonster“ existiert über die konsistente
”
Beschreibbarkeit (wenn es denn möglich ist eine solche konsistente Beschreibung der Welt zu geben) hinaus auch metaphysisch möglich ist. Doch gerade
diese Frage ist wegen ihrer Unbeantwortbarkeit aus pragmatischer Hinsicht
eine Sackgasse.
Insbesondere gilt für eine Aussage ϕ:66
SMS(ϕ) → GMS(ϕ)
(3.21)
Wir führen nun folgende epistemische Prädikate ein:
(iv) Es gelte ϕ1 ∧ ϕ2 , so K(ϕ1 ∧ ϕ2 ) ↔ K(ϕ1 ) ∧ K(ϕ2 )
Beweis.
(i) Sei Q = K. Insbesodere gilt apriori(ϕ1 → ϕ2 ) → K(ϕ1 → ϕ2 ). Damit
gilt K(ϕ2 ). Für Q = apriori gehe analog vor.
(ii) Angenommen apriori(ϕ2 ). Dann gilt jedoch wie in (i) gezeigt apriori(ϕ1 ).
Gilt dagegen ¬K, so gibt sich ebenfalls ein Widerspruch zu (i).
(iii) Die Behauptung folgt unmittelbar aus der Symmetrie von (i) und (ii).
(iv) Trivial.
Lemma 2. Es gelte ϕ1 ∧ ϕ2 , dann
(i) apriori(ϕ1 ∧ ϕ2 ) ↔ apriori(ϕ1 ) ∧ apriori(ϕ2 )
• K(ϕ) ist wahr, falls der Wahrheitswert von ϕ erkennbar ist.
• apriori(ϕ) ist wahr, falls der Wahrheitswert von ϕ a priori erkennbar
ist.
• aposteriori(ϕ) ist wahr, falls der Wahrheitswert von ϕ a posteriori erkennbar ist.
• aposteriori⋆ (ϕ) ist wahr, falls der Wahrheitswert von ϕ nur aposteriori
erkennbar ist.
Falls darüber hinaus gilt: Ind(ϕ) ⊆ U(Wa ), so hat man:
SMS(ϕ) → WW(ϕ),
apriori(WW(ϕ)) ∧ apriori(GMS(ϕ)) → apriori(SMS(ϕ))
(ii) apriori(ϕ1 ↔ ϕ2 ) ∧ aposteriori⋆ (ϕ1 ) → aposteriori⋆ (ϕ2 )
(iii) apriori ϕ1 ↔ ϕ2 → Q(ϕ1 ) ↔ Q(ϕ2 ) .
(3.22)
(3.23)
(ii) aposteriori⋆ (ϕ1 ∧ ϕ2 ) ↔ aposteriori⋆ (ϕ1 ) ∨ aposteriori⋆ (ϕ2 ) ∧ K(ϕ1 ) ∧
K(ϕ2 )
Beweis.
(i) trivial. (Beachte jedoch, ohne die Einschränkung ϕ1 ∧ϕ2 wäre die Äquivalenz ungültig. Sei etwa ϕ1 = ¬ϕ2 = eine Aussage, die unbeweisbar ist.)
(ii) →“: Mit Lemma 1 (iv) gilt: K(ϕ1 )∧K(ϕ2 ). Angenommen apriori(ϕ1 )∧
”
apriori(ϕ2 ), dann mit (i) auch apriori(ϕ1 ∧ ϕ2 ), doch dies ist ein Widerspruch.
←“: Mit Lemma 1 (iv) gilt: K(ϕ1 ∧ϕ2 ). Angenommen es gilt apriori(ϕ1 ∧
”
ϕ2 ), dann allerdings mit (i) auch apriori(ϕ) ∧ apriori(ϕ2 ). Dies ist ein
Widerspruch.
Allgemeiner gelten folgende Zusammenhänge:
Lemma 1. Es gilt:
Lemma 3. Es gilt
(i) Für Q ∈ {K, apriori} gilt: apriori(ϕ1 → ϕ2 ) ∧ Q(ϕ1 ) → Q(ϕ2 )
66
Dies folgt unmittelbar aus der Definition.
82
(i) SMS(ϕ) → GMS(ϕ)
(ii) SMS(ϕ) ↔ GMS(ϕ) ∧ ϕ∃
83
Beweis. Folgt beides direkt aus der Definition.
Satz 3.3.1. Es gilt
Wir führen an dieser Stelle die beiden Prädikate ϕJ (x) für x ist Jungge”
selle“ und ϕl (x) für x ist ledig“ ein. KB ist in diesem Sinn
”
ϕJ (Kant) → ϕl (Kant)
(KB)
Bei KB handelt es sich lediglich um eine Instantiierung der allquantifizierten Aussage
∀x : ϕJ (x) → ϕl (x)
(KBa)
KBa folgt jedoch direkt aus der analytischen apriorischen Aussage, dass
ein Junggeselle ein unverheirateter Mann ist und ist somit auch apriori notwendig wahr: apriori(SWS(KBa)).
Wir wollen zurückkehren zur Aussage KB. Mit KBa weiß man apriori,
dass für eine Entität x, welche auch immer, sofern es eine mögliche Welt
gibt, in der x existiert, gilt: ϕB (x) → ϕl (x). Es ist sogar denknotwendig, und
gilt damit sogar in jeder denkbaren Welt, in der x existiert. In diesem Sinne
gilt auch KB und ist apriori notwendig: all parties to this debate will agree
”
that (KB) is analytic a priori“ ([Han98] S. 516).Formal heißt das, da wir
apriori(KBa) haben, gilt gerade nicht
aposteriori⋆ (ϕJ (Kant)) ∧ aposteriori⋆ (ϕl (Kant)) → aposteriori⋆ (KB).
Auch Kant betont:
Alle analytische Urteile beruhen gänzlich auf dem Satze des Widerspruchs, und sind ihrer Natur nach Erkenntnisse a priori, die Begriffe, die ihnen zur Materie dienen, mögen empirisch sein, oder
nicht. [[Kan77] S. 125]
Bereits These (ii, S. 80) ist keineswegs einleuchtend, denn KB ist wahr,
ob nun Kant in Wirklichkeit verheiratet war oder nicht.
These (iii) ist in dem Sinne richtig, dass sowohl die Frage, ob Kant ein
Junggeselle ist, als auch ob er ledig ist, a posteriori entschieden werden kann.
Dies, so ist zu betonen, heißt allerdings nicht, dass KB nur a posteriori
entschieden werden könnte.
Hanna macht nun die überraschende Feststellung: Like (KB), (GE)’s
”
specific modal status is known only a priori.“ ([Han98] S. 517) und ebenso
(HP) is known to be true only a priori“ ([Han98] S. 519). Wir jedoch
”
behaupten folgendes:
84
SMS(HP) ∧ K(SMS(HP)) → aposteriori⋆ (SMS(HP)).
Beweis. Mit Lemma 1 (iii) und Lemma 3 (ii) gilt:
aposteriori⋆ (SMS(HP)) ↔ aposteriori⋆ GMS(HP) ∧ HP∃
Mit Lemma 2 (ii) gilt:
aposteriori⋆ (SMS(HP)) ↔
aposteriori⋆ (GMS(HP)) ∨ aposteriori⋆ (HP∃ ) ∧ K(HP) ∧ K(HP∃ )
Aufgrund der Apriorität der kausalen Theorie gilt apriori(GMS(HP)).67 Das
heißt, aufgrund der kausalen Theorie der Eigennamen ist es apriori möglich
darauf zu schließen, dass HP notwendig ist, was auch immer der Wahrheitswert dieser Aussage ist. Zu zeigen wäre dann noch aposteriori⋆ (HP∃ ).
Ist es a priori erkennbar, ob es eine mögliche Welt gibt, in der HP wahr
bzw. falsch ist? Gibt es etwa im Sinne der konsistenten Beschreibbarkeit eine
Welt, in der HP gilt?
Mit der Theorie der rigiden Referenz hängt dies davon ab, ob in der aktualen Welt HP gilt, da Hesperus“ und Phosphorus“ in jeder möglichen Welt
”
”
gerade denselben Referenten haben wie in der aktualen Welt. Würde man
umgekehrt über apriorisches Wissen der Gültigkeit von HP in einer möglichen Welt verfügen, so würde dies mit der unterstellten apriorischen Theorie
der Referenz heißen, dass auch die Frage Wa HP apriori zu entscheiden
wäre. Im Unterschied zu KB, eine Instantiierung der allquantifizierten notwendig wahren Aussage KBa, muss, um die Frage nach der Identität von
Hesperus und Phosphorus zu beantworten, empirisch nachgeforscht werden.
Die Frage ist nicht begrifflich a priori zu beantworten.
Mit obiger Bemerkung gilt damit
apriori(GMS(HP)) ∧ aposteriori⋆ (HP∃ )
Somit ist die Behauptung gezeigt.
Im Gegensatz zu KB ist man im Falle von HP auf den empirical fact“
”
aus (ii) angewiesen, zur Erkenntnis des Wahrheitswertes. Ebenso gilt hier im
Gegensatz zu KB im Sinne von (iii), dass HP nur knowable a posteriori“
”
ist.
67
Hanna pointiert (vgl. [Han98] S. 519, wie auch Casullo ([Cas87] S. 164), dass Kripke
dies notwendig voraussetzt.
85
Analog verhält es sich mit GE. Hanna jedoch kontert damit, festzustellen,
dass the essential microphysical properties that it ascribes to natural kinds“
”
keine empirical properties“ ([Han98] S. 518) sind. Die in GE vorgenommene
”
Identifikation ist based entirely on the Metaphysical Doctrine“, sie ist keine
”
empirical identification“ , da essential microphysical properties are non”
”
empirical properties“ ([Han98] S. 519).
Selbst wenn GE auch als a priori philosophical theory“ entworfen wer”
den kann, so ist die Frage ob sie in der Wirklichkeit - Wa GE - gilt die Frage
danach, ob sie sich in der Erfahrung bewährt. Richtig ist, dass, wenn man
mit Hume die empirische Unzugänglichkeit der inneren Strukturen und mit
Peirce die Abduktion als wissenschaftliche Methode unterstreicht, lediglich
mit Hilfe eines nicht-trivialen wissenschaftlichen Realismus geschlossen werden kann, dass überhaupt Erkenntnis über den Wahrheitswert von Aussagen
wie GE gewonnen werden kann. Tut man dies, so ist es allerdings falsch
mit Hanna zu behaupten, der spezielle modale Status solcher Aussagen wäre
apriori erkennbar.
Wir haben jedoch die stärkere Behauptung nachgewiesen, dass wenn HP
notwendig ist und dieses erkannt werden kann, so nur a posteriori.
3.4
Putnams spätere Fassung des Begriffs der
Notwendigkeit
In Is water necessarily H2 O?“([Put90a]) distanziert sich Putnam kritisch von
”
Kripke’s Konzeption. Damit antwortet er auf die Kritik von Ayer in [Aye82].
Ebenso wurde eine Vielzahl anderer Einwände gegen die bis dahin sich recht
stark ähnelnden Ansätze von Kripke und Putnam vorgebracht, so dass eine
Entgegnung Putnams gefordert war. Dies gibt ihm zusätzlich die Gelegenheit
seine Referenz/Bedeutungstheorie wie er sie ausgehend von [Put75e] entwickelt hat in ein transparenteres Verhältnis zur neueren Konzeption des internen
Realismus zu setzen68 . Der Bedeutungs-Externalismus und der Internalismus
von Putnams Version des Realismus verunsicherte Interpreten bei der Frage
nach der Konsistenz dieser Ansätze bis dahin.
Putnam versucht in einer minimalistischen Reinterpretation von Kripke
in einem intern Realistischen Gestus den für ihn unbequemen metaphysischen
Ballast abzuwerfen. Dabei werden von ihm vor allem zwei interdependente
Begriffsfelder anvisiert: den der Identität und den der modalen Begriffe der
Notwendigkeit bzw. der Möglichkeit. Putnam versucht so mit seinen sich bis
dahin verstärkten Zweifeln am Begriff der metaphysischen Notwendigkeit“
”
und damit am flat claim that it is metaphysically necessary that water is
”
H2 O“ ins Reine zu kommen“.69 Dabei wird Kripkes ‘de re’ Konzeption
”
durch eine solche ersetzt, bei der zum einen konventionellen Aspekten und
zum anderen einem Fallibilismus Einlass gewährt werden. Es geht Putnam
darum to assimilate his [Kripke’s] metaphysical intuitions to the linguistic
”
intuitions that other analytic philosophers talk about“, die metaphysischen
Annahmen sollten auf ein Niveau reduziert werden to the point where Car”
nap might have accepted it.“ ([Put90a] S. 64)
3.4.1
Notwendigkeit
Abschied von der metaphysischen Notwendigkeit
Bevor Putnam einem objektiven Notwendigkeitsbegriff Platz verschafft, geht
es ihm um eine Kritik am traditionellen und vor allem Kripkes Begriff einer
metaphysischen Notwendigkeit“, bzw. das, was Putnam selbst in [Put75e]
”
als logische Notwendigkeit“ bezeichnet hat. Metaphysische Notwendigkeit
”
ist bestimmt durch das Wesen der Dinge, durch transzendente Faktoren. In
diesem Sinne kann man sie als ‘de re’ spezifizieren.
Diesen Begriff, oder zumindest die Frage der epistemischen Zugänglichkeit
einer metaphysischen Notwendigkeit verabschiedet Putnam zusammen mit
Ayer als sinnlos.70
Die Frage nach einem akzeptablen Begriff der Notwendigkeit ist für Putnam eng verbunden mit der Frage nach einem akzeptablen Begriff der Identität. So ist nach Kripke die Frage danach was noch als dieser Stuhl gilt und
was nicht mehr, ‘de re’. There is (according to Kripke) a fact of the matter
”
as to what it is to be Aristotle.“ ([Put90a] S. 65)
Dabei werde von Kripke der Intuition als fundamentale Kapazität des
Verstandes eine Fähigkeit zum Entdecken von metaphysischer Notwendigkeit
zugestanden. Kripke is not doing rational reconstruction; he is engaged in
”
(what he views as) metaphysical discovery.“ ([Put90a] S. 67) Doch gerade
diese metaphysischen Intuitionen stellt Putnam in Frage. Sie sind durch
linguistic intuitions“ ([Put90a] S. 64) zu ersetzten.
”
Eine oft auftauchende Kritik ist verbunden mit der Frage nach der Transitivität der Identität. Es sei n die Anzahl der Moleküle eines Tisches T .
Der i-te Tisch sei Ti in einer hypothetischen Situation, wobei dieser n − i
68
Dies wird so nicht, wie die beiden anderen Punkte, programmatisch von Putnam
vorgegeben. Deshalb ist Teil der folgenden Analyse diese Verträglichkeit von internem
Realismus zum Bedeutungs-Externalismus heraus zu arbeiten.
86
69
to come clean“ [Put90a] S. 55
”
Er und Ayer könnten nicht fathom what this sort of ‘metaphysical discovery’ is
”
supposed to come to.“ ([Put90a] S. 67)
70
87
Moleküle weniger hat als T aktual hat. Is there supposed to be a fact of
”
the matter as to when the hypothetical table stops being ‘=’ (identical ) with
the table I am pointing to?“ ([Put90a] S. 67)
Putnam ersetzt in seiner minimalistic reinterpretation of Kripke“ den
”
strengen logischen Begriff der Identität, den Kripke verwendet, mit dem Begriff der sortalen Identität. Der vor allem von Wiggins und Ayer geprägte Begriff wird in Putnams Aufsatz nicht eingehend besprochen. In diesem Sinne
sollen an dieser Stelle lediglich die für Putnams Ansatz wichtige Charakteristika betont werden.
Der Begriff der sortalen Identität kommt gewöhnlich einher mit der Feststellung, dass es so etwas wie eine ‘bare’ Identität, eine solche, die nicht
relativ auf einen bestimmten Begriff gedacht wird, nicht gibt, oder zumindest sich unserem epistemischen Zugang entzieht. Dagegen ist die sortale
Identität jeweils relativ bzgl. eines Begriffs - eines Begriffs etwa, der eine
mögliche Antwort auf eine Was ist das?“ Frage darstellt.
”
Hinzu kommt für Putnam im Falle der sortalen Identität eine zweite Relativität: Criteria of table-identity are conceived of (by me anyway) as to
”
some extent up to us.“ ([Put90a] S. 67) Dies steht wiederum im Gegensatz
zur logischen Identität. Während die logische Identität entdeckt werden muss,
da sie ‘de re’ - den Dingen selbst entspringt, so wird die sortale Identität zu
einem gewissen Grad legitimiert und ist in diesem Sinne ‘de dicto’.71
Wir werden weiter unten noch darauf eingehen, was für Putnam nun als
Kriterium etwa der Identität von NKTs zählt. Für Kripke stellt sich dagegen diese Frage nicht: Kripke rejects the very idea of ‘criteria of identity.“
”
([Put90a] S. 66) Für ihn ist Identität ein primitiver Begriff, der keinerlei
weiteren Erklärung bedarf. Möglichkeit ist in diesem Sinne zu verstehen als
modale Eigenschaft von Dingen. Um zu bewerten, ob eine hypothetisch gegebene Situation über etwa diesen Stuhl möglich ist, bedarf es nach Putnam mit
der sortalen Identität gewisser explicit or implicit criteria of table-identity“,
”
während es für Kripke darum geht, intuitive Einsichten in das Wesen des
Stuhls, an intuitiv grasp of the limits of the possibilities in which the hypo”
thetical object would bear the primitive logical relation ‘=’ to the table I am
pointing to“ ([Put90a] S. 67) zu erreichen und auf Grundlage dieser, obige
Frage zu beantworten.
Putnam strebt nun eine Konzeption an, die unabhängig ist von der Rede
von möglichen Welten. Es geht ihm um the question only concern[ing] actual
”
substances“ ([Put90a] S. 69). Es geht darum, was für aktuale Substanzen
im Sinne der sortalen Identität möglich und notwendig ist, nicht im Sinne
von Kripke der aussichtslosen Aufgabe nachzuhängen, mit Hilfe intuitiver
71
Putnam spricht von discovered“ und legitimated“ (vgl. [Put90a] S. 64).
”
”
88
Einsichten in das Wesen von Substanzen nach Bedingungen Ausschau zu
halten, die über alle möglichen Welten invariant sind.
I now think that the question, ‘What is the necessary and sufficient condition for being water in all possible worlds?’ makes
no sense at all. And this means that I new reject ‘metaphysical
necessity. [[Put90a] S. 70]
Die objektive physische commonsense Notwendigkeit
Nach obiger Konzeption scheint es, als gebe Putnam jeglichen Objektivitätsanspruch auf. Das ist jedoch nicht der Fall, denn I still accept a notion
”
of objective nonlogical modality.“ ([Put90a] S. 70) Diese ist im Bereich der
physischen Möglichkeit aufzusuchen: We cannot just stipulate physical pos”
sibilities.“ ([Put90a] S. 71) Hier hält Putnam an einem commonsense Bild
fest.
Die Frage etwa, ob ein Perpetuum Mobile möglich ist, ist faktisch, und
keine Frage danach ob wir darum wissen oder jemals darum wissen werden.
Es gibt demnach objective facts about what is possible and impossible in
”
the world.“ ([Put90a] S. 56) Dieses Bild des working scientists“ ([Put90a] S.
”
57) ist nun ausschlaggebend für die Art und Weise, wie wir NKTs benutzen.
Wir unterstellen dabei den nicht-epistemischen Charakter der physikalischen
Gesetze. Es taucht an dieser signifikanten Stelle verstärkt der Begriff des
Bildes in Putnams Text auf. Es heißt hier:
We picture the term ‘water’ as becoming connected at some point
in its history with the idea that substances possess a subvisible
structure [. . . ]. It is part of that picture that the subvisible structure explains why different substances obey different laws. This,
‘has the same composition and (therefore) obeys the same laws’
becomes the criterion of substance-identity. We picture ‘water’
as acquiring a ‘rigid use [. . . ] [[Put90a] S. 60/61]
Dieses Bild ist sozusagen mit der Zeit der Grammatik von NKTs eingeschrieben worden. Wenn wir solche Begriffe benutzen, entspricht es unseren
sprachlichen Intentionen, dass wir mit ihnen gerade das meinen, was auch
immer dieselbe Tiefenstruktur“ hat, wie die Mehrzahl der Paradigmen. Un”
terschiedlichkeiten in der Tiefenstruktur sind dabei dafür verantwortlich, dass
verschiedenes gesetzmäßiges Verhalten auftritt. In Putnam heißt es we pic”
ture as“. Es handelt sich nicht mehr um einen epistemischen Zugang zum
sprach-unabhängigen Wesen von Substanzen, sondern vielmehr um eine Beschreibung der Art und Weise, wie wir die Welt sprachlich wiedergeben.72
72
vgl. zu Putnams Verhältnis zu Bildern auch Seite 121
89
Die Objektivität liegt dabei in den Naturgesetzen, the search for such
”
laws is the search for something objective (as objective as anything is).“
([Put90a] S. 68), das heißt aber nicht, dass sie vom Wissen oder von den
”
möglichen Erkenntnissen der Menschen unabhängig sind“ ([Put88] S. 192),
unabhängig von dem, was die Mehrheit der Kulturangehörigen glaubt“ je”
doch sehr wohl. In diesem Sinne kann der Begriff des physikalischen Gesetzes
als eines der grundlegenden regulativen Bilder unseres Sprachgebrauchs angesehen werden, welche die Grammatik, den Gebrauch von NKTs orientieren.
We didn’t know those laws [diejenigen, denen die Mehrzahl der
Paradigmen gehorchen] when we introduced the term ‘water’, but
we already had the concept of a physical law, and the concept of
discovering a physical law, and that is all we needed to formulate
this notion of substance identity.
Es stellt sich nun selbstverständlich die Frage nach dem Verhältnis von
Sprache und Welt in dieser Konzeption. Wie ist die Rede vom Faktischen zu
verstehen. Dies wird uns weiter in Kapitel 4 beschäftigen.
Vagheit
Mit dem Begriff der wissenschaftlichen Gesetze tritt in Putnams Konzeption
eine gewisse Vagheit ein, der er sich durchaus bewusst ist. Putnam veranschaulicht dies am Beispiel des Begriffs der Isotope. Isotope etwa von Eisen
treten in allen paradigmatischen natürlich auftretenden Fällen in einem gewissen Proportionsspielraum auf. Es gibt jedoch auch Techniken monoisotopische Stoffproben herzustellen. Ist ein Kriterium für Substanz-Identität nun
vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich zwei Substanzen gesetzmäßig
gleich verhalten, so stellt sich die Frage, ob die monoisotopische Stoffprobe der gleichen Substanz angehört. Ebenso kann bei natürlich auftretenden
Stoffproben die Proportionen der Isotope innerhalb eines Toleranzspielraums
unterschiedlich ausfallen, so dass leicht unterschiedliches Verhalten an den
Tag tritt.
Unsere Klassifizierungen unterliegen in solchen Fällen unseren Interessen.73 Doch gefährdet dies nicht die gesuchte Objektivität, den nicht konventionalistischen ‘de re’ Charakter? Zunächst gilt herauszustellen:
But the fact that there is some component of interest relativity
here, and, perhaps, some drawing of arbitrary lines, does not
change the fact that the degree of arbitrariness is infinitesimal
compared to that arbitrariness in the ‘almost the same matter at
73
Well, it may depend on our interests.“ ([Put90a] S. 68)
”
90
the time of origin’ criterion for identity of tables. [[Put90a] S.
68/69]
An dieser Stelle sei auf eine bemerkenswerte Perspektivenveränderung
hingewiesen, die Putnam in [Put90a] geradezu unter der Hand durchführt.
Noch in [Put75e] war die innere Struktur das Kriterium für Substanz-Identität.
Auf Seite 60 heißt es: In the terms I am using today ([. . . ]), it is sufficient
”
to take ‘has the same physicochemical composition and obeys the same laws’
to be the criterion of ‘substance-identity [Herv. CS]’“, während es auf Seite 68 heißt: I would propose the following as a condition for the adequacy
”
of any proposed criterion of substance-identity: the criterion must have the
consequence that A and B are the same substance if and only if they obey
the same laws.“ In diesem Sinne scheint sich eine deutliche Bewegung von
dem mit etwa Peirce der menschlichem Erkenntnis nur auf dem mutmaßlichen Weg der Abduktion zugänglichen Kriterium der Gleichheit der inneren
physiko-chemischen Struktur hin zu einem Kriterium des gleichartigen, relativ einer geltenden Theorie gesetzmäßigem Verhalten abzuspielen. Es wird
zwar an dem Bild festgehalten, dass verschiedenartiges gesetzmäßiges Verhalten auf eine Verschiedenheit der Mikrostruktur zurückzuführen sei, doch
die Rede von der Mikrostruktur selbst als Kriterium wird schließlich zuletzt
verdrängt. Ist dies als weiterer anti-metaphysischer Schritt seitens Putnams
zu werten? Schließlich ist das gesetzmäßige Verhalten von Stoffproben, wenn
auch immer gesehen durch die Sichtweise einer bereits gegebenen Theorie
und über entsprechende Testgeräte, empirisch eher“ zugänglich als die ver”
borgene, und nur aufgrund dieses Verhaltens durch Abduktion gewonnene
innere Struktur.
Eine Konsistenz dieser Konzeption mit Aussage wie What he [the scien”
tist, CS] intended all along [. . . ] was to refer to whatever had the ‘deep
structure’ of his terrestrial paradigms, and not to whatever had the superficial characteristics he knew about.“ ([Put90a] S. 60) herzustellen ist nur
dann möglich wenn man die Rede von laws“ nicht als wissenschaftsinterna”
listisch relativ zum gegenwärtigen Theorie-Standard zu sehen, sondern externalistisch, als Rede von objektiv geltenden Naturgesetzen, verbunden mit
the idea that the search for such laws is a search for something objective“
”
([Put90a] S. 68).
Wir werden in Abschnitt 4.4 näher auf diese Themenstellung eingehen.
Sprachspielrelativismus
Wie von Kritikern wiederholt herausgestellt ist es nicht unmittelbar einleuchtend, die vergleichbar strengen kriterialen Maßstäbe aus der Wissenschaft
91
auch auf die Alltagssprache anzuwenden.74 Auch Putnam grenzt oben gewonnene Erkenntnisse vor allem auf den wissenschaftlichen Sprachgebrauch
ein. Das heißt jedoch für ihn nicht, dass beide Sprachgebräuche nicht wechselseitig voneinander abhängig sind. In welcher Art und Weise, wird hier
jedoch von Putnam nicht weiter thematisiert. Es gilt herauszustellen, dass
the layman’s ‘water’ is not the chemically pure water of the scientist, and
”
just what ‘impurities’ make something no longer water but something else
([. . . ]) is not determined by scientific theory.“ ([Put90a] S. 69)
Die in konkreten alltagssprachlichen Kontexten gegebenen Verwendungsweisen von Ausdrücken wie Wasser“ ist also nicht durch die wissenschaft”
liche Intention gekennzeichnet, gerade das zu bezeichnen, was im Sinne der
Substanz-Identität in der Mehrzahl der gegebenen paradigmatischen Beispiele gleich“ ist.75 Die Ausdrücken wie Wasser“ innewohnende“ Grammatik
”
”
”
ist also heterogener, sprachspielrelativer und flexibler als noch zu Zeiten von
Die Bedeutung von ‘Bedeutung’“ angenommen.
”
Das oder die Bilder, die mit Wittgenstein den Sprachspielen unserer Lebensform zugrunde liegen, formen in ihrer regulativen Funktion unsere Redeweisen und Sprechgewohnheiten nicht in der von Putnam früher angenommenen strikten und einseitigen Form. Man könnte mit Wittgenstein davon
ausgehen, dass in der Umgangssprache Sätze wie Dies ist Wasser.“ geäußert,
”
während auf eine mehr oder weniger unreine“ Wasserpfütze oder einen Wei”
her gezeigt wird, die Funktion von grammatischen Sätzen übernehmen. Mit
ihrer Hilfe erlernen wir die Funktionsweise von Wörtern wie Wasser“, sie
”
geben uns Regeln vor, wie wir diese zu benutzen haben.
In wissenschaftlichen Sprachspielen werden solche Sätze jeweils in anderen Kontexten, in denen vergleichsweise reinere Formen von Wasser gegeben
sind, geäußert. Dies geschieht meist in Verbindung mit gesetzmäßig auftretenden Verhalten, Klassifizierungsexperimenten, und der Rede von inneren
Strukturen. Die Regeln, die etwa Physik-, oder Chemieschüler und Studentinnen mit Hilfe dieser grammatikalischen Sätze lernen sind anders, wenn
auch verwandt mit denen der Alltagssprache. Fälle wie der oben skizzierte
monoisotopische Fall, werden mit Hilfe der in den grammatikalischen Sätzen
implizit gegebenen Sprachregeln nicht im strikten Sinne geregelt, so wie es
im Tennisspiel keine Regel gibt, wie hoch man den Ball spielen darf.76 In solchen Fällen kommen konventionalistische Faktoren, Interessen ins Spiel. Es
kommt zu einer gewissen Freiheit: Make up the rules while you go along.“ 77
”
74
vgl. etwa Abschnitt 3.3.1
Damit antwortet er auf die in Abschnitt 3.3.1 dargestellte Kritik.
76
vgl. [Wit84] S. 279, § 68
77
vgl. [Wit84] S. 287, § 83
75
92
Fallibilismus
It is built into the rigid use (plus the criterion for substanceidentity) that our empirical discoveries may lead to revisions in
what we are willing to call ‘water’ in a given hypothetical situation. [[Put90a] S. 61]
Putnam stellt einen Fallibilismus in zweierlei Hinsicht in Aussicht. Zum einen
bezüglich der Paradigmen: es können sich im Laufe der Untersuchungen bestimmte Paradigmen als ungültig herausstellen: those paradigms are defea”
sible paradigms“ ([Put90a] S. 60). Putnam vertritt, obwohl nicht genauer
erläutert, ein Majoritätskriterium bzgl. der paradigmatischen Fälle.
Die andere Art von Fallibilismus ist radikaler. But [. . . ] what should we
”
say if we later find out that we made a huge mistake? That water is XYZ
after all and not H2 O?“ ([Put90a] S. 61) Wie sind in einem solchen Fall
vor der neuartigen wissenschaftlichen Entdeckung getroffene Aussagen wie
Wasser ist notwendigerweise H2 O“ zu bewerten? We should say that what
”
”
we said was wrong.“ ([Put90a] S. 61) Offensichtlich ist in Putnams Theorie
the claim that it is necessary that water is H2 O [. . . ] a defeasible claim“
”
([Put90a] S. 61).
Dies scheint selbstwidersprüchlich, denn wie kann eine Aussage ψ, welche die Notwendigkeit einer Aussage ϕ behauptet, selbst anfechtbar sein,
ohne dass gerade durch die Anfechtbarkeit der Aussage ψ gerade eben widersprochen wird? Denn, ist eine Aussage ϕ notwendig, so ist sie gerade nicht
anfechtbar. Doch die Anfechtbarkeit von ψ überträgt sich offensichtlich auf
ϕ. This is what Ayer finds to paradoxical to be right.“ ([Put90a] S. 61)
”
Um zu verstehen, wie Putnam diese Schwierigkeit zu meistern versucht,
wollen wir Putnams Begriff der Notwendigkeit näher untersuchen.
3.5
Notwendigkeit und Kontextualität
In zwei Veröffentlichung - The Analytic and the Synthetic ([Put62a]) und It
ain’t necessarily so [Put62b]) - aus dem Jahre 1962 beschäftigt sich Putnam,
vor allem motiviert und als Reaktion auf die radikalen Ergebnisse von Quine, mit der Frage nach der Distinktion von analytischen und synthetischen
Aussagen, und damit verbunden mit dem Begriff der Notwendigkeit.
1994 greift Putnam in Rethinking Mathematical Necessity ([Put94d]) damalige Überlegungen wieder auf und aktualisiert sie.
93
3.5.1
Analytizität und Rahmenprinzipien
In seinem 1951 erschienenen Artikel Two Dogmas of Empiricism“ [Qui51]
”
stellt Quine die nach wie vor radikale und kontroverse These auf, dass die
traditionelle Scheidung von analytischen und synthetischen Aussagen nicht
akzeptabel wäre. Putnam hat ein ambivalentes Verhältnis zu dieser These.
Einerseits ist sie begrüßenswert, indem sie die Philosophie aus einem dogmatischen Schlummer weckte, andererseits ist sie zu wenig differenziert.
Quine is surely right that the old notion of analyticity has collapsed, and
”
I see no point in reviving it.“ ([Put94d] S. 252) Andererseits begrüßt Putnam
jedoch die Kritik etwa von Strawson und Grice, nicht so sehr die theoreti”
cal reasons“, sondern vielmehr dahingehend, dass der Sprachgebrauch eine
Übereinstimmung der Sprecher bei der Verwendung bestimmter Aussagen
aufweist, die darauf hinweist, dass there must necessarily be some kind of
”
distinction present“ ([Put62a] S. 35).78 Wie ist dieser Sprachgebrauch zu erklären; What is the point of the game‘“ ([Put62a] S. 36)? Putnams Ziel ist
”
es, uns in die Lage zu bringen, dass we should be able to indicate the nature
”
and the rationale of the analytic-synthetic distinction.“
Wenn die Dichotomie von analytischen und synthetischen Aussagen nicht
haltbar ist, jedoch die Art und Weise, wie wir Sprache benutzen auf eine Heterogenität verschiedener Ausdrucksklassen hinweist, wie kann man dies begrifflich fassen? Putnam versucht die Dichotomie durch ein multidimensional
”
continuum“ ([Put62a] S. 40) zu ersetzen. Die Pole sind etwa Konventionalität und different kinds of systematic import“ ([Put62a] S. 39). So haben
”
etwa Aussagen wie Es gibt eine Vergangenheit“ an overwhelming amount
”
”
of systematic import - so much that we can barely conceive of a conceptual system which did not include the idea of a past [. . . ] that the idea of
ever making a transition from one to the other seems fantastic.“ ([Put62a]
S. 39). Wenn es auch borderline cases“ ([Put62a] S. 65) gibt, so gilt den”
noch, dass es just a enormous number of statements which are not happily
”
classified as either analytic or synthetic“ ([Put62a] S. 38) gibt. Das heißt,
wenn auch die strenge Dichotomie mit Quine aufgegeben werden muss, so
muss doch einer Heterogenität verschiedener Gebrauchsweisen Rechnung getragen werden. Der spezielle Charakter bestimmter ehedem fälschlicherweise
als analytisch klassifizierter Sätze wie Red is a color“ darf nicht zugunsten
”
eines homogenen Bildes aufgegeben werden, indem man etwa an der alten
Begriffsopposition orientiert statuiert, dass die Klasse der analytischen Sätze
nullextensiv ist.
Bestimmte Aussagen haben relativ zu einem body of knowledge“ ([Put62b]
”
S. 662), oder wie er sich später ausdrückt, um den nichtepistemischen Cha78
Hervorhebungen von mir. Im Original ist die ganze Stelle hervorgehoben.
94
rakter mehr zu unterstreichen, zu einem conceptual system“ ([Put94d] S.
”
251), einen special status“ ([Put62a] S. 45), sie nehmen eine special ro”
”
le“ ([Put62b] S. 662) ein. So gibt es etwa eine Gruppe von Aussagen, die
Putnam als Rahmenprinzipien“ 79 bezeichnet. Diese sind durch ihre zentrale
”
Rolle innerhalb bzw. bzgl. eines begrifflichen Schemas charakterisiert. Durch
diese wird konstituiert und sie dienen als Hilfen dafür, wie wir Experimente
analysieren, wie wir Voraussagen machen. Durch sie ist vorgegeben welches
die varianten und welches die invarianten Parameter innerhalb eines wissenschaftlichen Modells sind. Sie selbst geben dadurch einem wissenschaftlichen Paradigma und seiner Entwicklung Halt und Direktive. In diesem Sinne
können sie selbst nicht durch isolierte Experimente widerlegt werden, da sie
selbst den Grund, die conditio sine qua non, vorgeben, auf dem Korrekturen
und Veränderungen einer Theorie vor sich gehen.
Das begriffliche System zeichnet sich dabei als ein network“ aus, als
”
a massive allience of beliefs“ mit deeply embedded collateral information“
”
”
([Put62a] S. 40). Nicht isolierte einzelne Sätze sind dabei dem Strafgericht
”
der Erfahrung“ 80 ausgesetzt, sondern jeweils ein komplexes interkonnektive, interdependentes System, indem verschiedene Sätze verschiedene Rollen
einnehmen, die manche als zentraler, andere als näher an der Peripherie auszeichnen.
Wittgensteins Metapher vom Fluss kommt nicht von ungefähr in den
Sinn.81 Putnam deutet in Rethinking Mathematical Necessity 82 expliziter auf
die Ähnlichkeit hin.
Sätze, die über einen gewissen Grad an Zentralität verfügen, können zwar
bzgl. deren Wahrheitsansprüche oder auch bzgl. deren Zentralität und der damit verbundenen Rollenverteilung umgestürzt werden, allerdings nicht durch
isolierte Experimente, sondern jeweils dadurch, dass ein alternatives Modell
das alte ablöst. So erging es etwa der euklidischen Geometrie mit Einsteins
Relativitätstheorie.
Before Einstein, geometrical principles had exactly the same status as analytic principles, or rather, they had exactly the same
status as all the principles that philosophers mistakenly cite as
analytic. After Einstein, especially after the general theory of relativity, they have exactly the same status as cosmological laws:
this is because general relativity establishes a complex interdependence between the cosmology and the geometry of our universe.
79
framework principles“ vgl. [Put62a] S. 48
tribunal of experience“ [Put62a] S. 40
81 ”
vgl. [Wit89] §96-§99
82
[Put94d] S. 253/254
80 ”
95
[[Put62a] S. 50]
It is because of the cluster character of geometrical concepts that
the methods usually suggested by operationists for demonstrating
the falsity of Euclidean geometry by isolated experiments would
not have succeeded before the development of non-Euclidean geometry. If someone had been able to construct a very large light-ray
triangle and had shown that the sum of the angles exceeded 180◦ ,
even allowing for measuring errors, he would not have shown the
ancient Greek that Euclidean geometry was false, but only that
ligth did not travel in straight lines. [[Put62b] S.665]83
Die Rahmenprinzipien werden folglich nicht experimentell widerlegt, sondern
werden vielmehr durch die Akzeptanz eines neuen systematischen begrifflichen Korpus abgelöst, der eine Alternative zum alten System darstellt. Die
Art und Weise, wie wir die arbitrary fixed points in our natural language“
”
([Put62a] S. 68) stecken, entscheidet dabei darüber, was als wahr und falsch
gilt. Für die Rahmenprinzipien selbst gilt dabei: The reality is that they are
”
true because they are accepted [Herv. CS] as true“.84
Vielfach ist die Aufgabe oder Veränderung von Rahmenprinzipien nicht
vorstellbar, so dass für eine Sprachgruppe something that was literally in”
conceivable turned out to be true.“ ([Put62b] S. 664) Dazu bedarf es neuer
mathematischer Modelle, die das, was zuvor noch als begrifflicher Widerspruch gelten kann, Paradoxie-frei darstellen. Die Gründe für die Akzeptanz
eines neuen Systems sind tiefgreifend und betreffen nicht nur wissenschaftliche Faktoren, since moral and social questions depend on how we decide to
”
speak“ ([Put62b] S. 668).
3.5.2
Notwendigkeit und Quasi-Notwendigkeit
Was gilt nun in solch einem relativierten“ Modell als notwendig? Putnam
”
geht dazu über, auch die modalen Begriffe der Notwendigkeit und Möglichkeit
zu relativieren. Zunächst führt er eine qualitative Nuancierung ein, indem er
davon spricht, dass manche Aussagen tend to be less necessary“ ([Put62b]
”
83
vgl. auch: But I want to suggest that before the work of nineteenth-century mathema”
ticians, the principles of Euclidean geometry were as close to analytic as any nonanalytic
statement ever gets. [. . . ] no experiment that one could describe could possible overthrow
them, by itself.“ [Put62a] S. 48
84
Vgl. auch bzgl. obigen Beispiels: The use of spatial locations requires, however,
”
the acceptance [Herv. CS] of some systematic body of geometrical theory. To abandon
Euclidean geometry before non-Euclidean geometry was invented would be to ‘let our
concepts crumble’.“ [Put62b] S. 665
96
S. 660) als andere. Ebenso spricht er von necessary relative to the appro”
priate body of knowledge“ ([Put62b] S. 662), bzw. später weniger epistemisch
quasi-necessary“ ([Put94d] S. 251) relativ zu einem conceptual scheme“.
”
”
Den Terminus quasi-notwendig“ führt Putnam ein, weil es ihm zufolge
”
merkwürdig ist, etwas als notwendig zu bezeichnen, wovon man doch keine
Garantie besitzen kann, dass es nicht doch einmal revidiert werden wird. Aber
er betont zugleich, dass the traditional philosophical distinction between
”
statements necessary in some eternal sense and statements contingent in
some eternal sense is not workable“ ([Put62b] S. 670) und später
The illusion that there is in all cases a fact of the matter as to
whether a statement is ‘necessary or only quasi-necessary’ is the
illusion that there is a God’s-Eye View from which all possible
epistemic situations can be surveyed and judged; and that is indeed an illusion. [[Put94d] S. 258]
Während sich im ersten Zitat der Putnam des internen Realismus“ bereits
”
ankündigt, ist im zweiten Zitat dieser Übergang bereits mit der Aufgabe
der absoluten Gottesperspektive vollzogen. Wahrheit und Notwendigkeit sind
Begriffe, die außerhalb von je gegebenen begrifflichen Systemen keinen Sinn
machen. Es gibt keine Metaperspektive über die Systeme hinaus.
Die Situation, d.i. das Auffinden solcher Modelle, sowie die Unvorstellbarkeit einer Revidierung bestimmter Sätze, vergleicht Putnam mit dem Lösen
von Rätseln: we are able to give the words a sense only after we know the so”
lution“ ([Put94d] S. 254). In diesem Sinne kann es sinnlos sein, zu behaupten
that B is ‘unrevisable’, but neither can we intelligibly say ‘B can be revised“
”
([Put94d] S. 254), da wir nicht in der Lage sind, Situationen zu beschreiben,
in denen wir sagen würden, dass ein bestimmter Glaube falsifiziert wäre.
3.5.3
Zurück zur Paradoxie
Wir wollen an dieser Stelle noch einmal rekapitulieren. Es ergab sich in Abschnitt 3.4.1 eine Paradoxie, die man mit obigen Überlegungen auch als eine
Spannung zwischen einer externalistischen und einer internalistischen Tendenz in Putnams Denken charakterisieren kann.
Ein Externalismus ergibt sich durch die rigide Designation von NKTs .
Die Extension eines NKTs bestimmt sich über paradigmatische Fälle. Dabei benutzen wir solche Ausdrücke, at least for ordinary scientific purpo”
ses“ ([Put90a] S. 68) orientiert an einem regulativen, bzw. orientierenden
Bild, für das gilt: die Extension eines NKTs bestimmt sich über SubstanzIdentität der Mehrheit der Paradigmen. Für den kriterialen Rahmen für
97
Substanz-Identität gilt, dass gleiche Substanzen den gleichen Gesetzen gehorchen müssen und Substanzen, die den gleichen Gesetzen gehorchen, sind
identisch. Das unseren Sprachspielen zugrunde liegende Bild ist auch dadurch charakterisiert, dass Naturgesetze eine Rolle spielen, die von Putnam
als objektiv bezeichnet werden.
In diesem Sinne, orientiert am commonsense Sprachgebrauch, statuiert
Putnam eine objektive physikalische Notwendigkeit.
Der Internalismus, von dem oben die Rede war, soll folgendermaßen charakterisiert werden. An Stelle eines absoluten Notwendigkeitsbegriffs, ein solcher aus einer Gottesperspektive, geht Putnam zu einem relativierten Notwendigkeitsbegriff über. Sowie in Is Water Necessarily H2 O der absolute85
Begriff der Identität zugunsten eines relativierten Begriffs einer sortalen Identität aufgegeben wird, kommt auch nun ein relativierter Begriff der Notwendigkeit ins Spiel. Die Sprachspiele der natürlichen Sprache, bzw. mit Wittgenstein auch weiter gefasst: die Lebensform einer Sprachgruppe, ist mit Putnam
jeweils eingebettet in ein hoch komplexes, vernetztes und interdependentes
Begriffs- und Bildernetz. Manche Sätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie
etwa durch isolierte Experimente nicht widerlegt werden können, und dass
sie vorgeben, z.B. wie wir Experimente auswerten, welches die variablen und
welches die invariablen Parameter eines physikalischen Modells sind. Metaphysisch geprägte Begriffe, wie der der Notwendigkeit, oder die Wahrheit,
sind nun jeweils ausschließlich relativ zu begrifflichen Systemen gegeben.
gültig. Jedoch ergibt sich bezüglich der empirischen Unwiderlegbarkeit die
Einschränkung, dass diese nicht mit isolierten Experimenten, sondern nur unter Akzeptanz eines Alternativmodells geschehen kann. In diesem Sinne könnte Putnam durchaus Kuhn’s Kritik zustimmen. Würde man entdecken, dass
Wasser nicht H2 O ist, so nur dadurch dass ein neues chemo-physikalisches
Modell das alte Atommodell ablöst.
Putnam löst also den Begriff der Notwendigkeit im absoluten Sinne nicht
ersatzlos auf. Sätze, die wir gewöhnlich als notwendig bezeichnen, spielen
eine besondere und zentrale Rolle innerhalb unseres begrifflichen Systems,
wenn wir ihnen auch nicht in sinnvoller Weise die üblichen metaphysischen
Attribute wie etwa (i) und (ii) geben können.
Ähnlich den Philosophischen Gedankengebäuden von etwa Wittgenstein,
stellt sich auch bei Putnam die Frage der Selbstanwendung in besonderer
Schärfe. Auch Putnams Sätze und Überzeugungen entspringen einem konzeptuellen System oder einem für unsere Lebensform konstitutiven Zusammenspiel ebensolcher. Welcher Wahrheitswert, welche Modalität kommt seinen Feststellungen zu Gute. Sie sind in dem Sinne quasi-notwendig bzgl. des
Putnam-Begriffssystems, quasi-wahr etwa in der Putnam-Schule.
[. . . ] what is possible is a matter of two things: the range of selfconsistent possible situations we have in mind and the conventions for describing those situations in our language. [[Put90a] S.
62]
Nun ändern sich konzeptuelle Systeme, wissenschaftliche Modelle beanspruchen in ihrer Sukzession, die Wirklichkeit besser zu beschreiben, besser zu
erklären. Was früher als notwendig wahre Aussage galt, gilt heute als falsch.
Aussagen, wie Wasser ist H2 O“ sind in Putnams Sicht mit der Terminolo”
gie aus [Put94d] quasi-notwendig, denn die Aussage, dass Wasser ist H2 O
”
(quasi-)notwendig ist, ist selbst defeasible“.
”
Haben wir diesen Sachverhalt noch in Abschnitt 3.4.1 als scheinbar paradox charakterisiert, so war dies noch nicht unter Berücksichtigung des relativen Begriffs der Quasi-Notwendigkeit“. Die Paradoxie entsprang der dem
”
Begriff der Notwendigkeit unterstellten Charakteristik, dass notwendig gerade auch (i) empirisch unwiderlegbar und (ii) für immer gültig heißt. Für
den Begriff der Quasi-Notwendigkeit sind sowohl (i) als auch (ii) nicht mehr
85
von Putnam meist der logische“ Begriff der Identität genannt
”
98
99
Kapitel 4
Realismus und Referenz
4.1
Überblick
Das Themenfeld Realismus nimmt in Putnams Philosophie einen ganz zentralen Stellenwert ein. Im nächsten Abschnitt wollen wir versuchen, uns einen
Überblick zu verschaffen über zentrale begriffliche Spannungsfelder innerhalb
derer im Werk Putnams der Realismus in seinen Spielarten diskutiert wird.
Putnam war und ist über sein gesamtes Werk ein großer, sowie einflussreicher Verfechter des Realismus. Das soll allerdings keineswegs als Indiz für
eine Konstanz diesbezüglich in seinem Denken gewertet werden, denn welchen Realismus Putnam vertrat, hat sich oft geändert, was ihm den Ruf eines
philosophischen Chamäleon eingebracht hat. Angefangen mit einem frühen,
in Putnams Terminologie ‘metaphysischen Realismus’, gab er diese Auffassung schnell als naiv und zu wenig reflektiert auf. Es kam zu einer sehr einflussreichen Phase des internen bzw. pragmatischen Realismus, der in seiner
Spätphase übergeht in einen von William James beeinflussten direkten bzw.
natürlichen Realismus.
Begleitet wurden Putnams Reflexionen über den Realismus stets maßgeblich von der Frage “‘Wie ‘hängt’ die Sprache an der Welt?”’ [Put86] S. 203)
und er sieht sich damit in der Tradition der Denker der linguistischen Wende
in der Philosophie.1 Sprachphilosophische Betrachtungen spielten und spielen unter dem stetig größer werdendem Einfluss der Philosophie des späten
Wittgenstein eine - manchen Kritikern zu - dominante Rolle. Im Zusammenhang mit dem Begriff der Interpretation nutzt Putnam oft, hauptsächlichen hinsichtlich kritischer Stellungnahmen zu traditionellen philosophischen
Standpunkten, modelltheoretische Argumente.
So verteidigt er, wenn auch nicht im strengen Sinne, die Dichotomie
1
Wie etwa Frege, Carnap, Wittgenstein und Russell.
100
von theoretischen und Beobachtungstermen in von Craigs’s Theorem.2 Sehr
prägnant werden modelltheoretische Argumente v.a. kritisch jeweils im Sinne
einer reductio ad absurdum gegen den metaphysischen Realismus angewendet. Wir präsentieren die Resultate in Abschnitt 4.2.
Wie oben bereits erwähnt ist eines von Putnams Hauptanliegen eine
Klärung des Verhältnisses von Sprache und Welt. Nachdem Putnam mit
seiner kritischen Abkehr vom metaphysischen Realismus den Begriff einer
WELT, d.i. einer geistunabhängigen Welt, als sinnlos entlarvt hat, stellt sich
die Frage, was Putnam an Stelle dieser im internen Realismus setzt. Dies soll
in Abschnitt 4.3 geklärt werden.
In kritischer Auseinandersetzung mit Philosophen wie Thomas Kuhn macht
sich Putnam ausgehend von einem spezifischen Modell über die Referenz wissenschaftlicher Termini für die Konvergenz der Wissenschaften stark. Es wird
von ihm der Begriff des trans-theoretischen Terms im Zusammenhang mit
seinem Prinzip des Vertrauensvorschuss stark gemacht. Putnam richtet sich
wiederholt massiv gegen Kuhns und Feyerabends Theorie der Inkommensurabilität bzw. gegen jegliche Theorie, welche die Bedeutung und Referenz von
Termen kontextuell ausschließlich konstituiert durch das wissenschaftliche
Modell ansetzt. Wir haben uns in Abschnitt 2.6 bereits einleitende Gedanken zu diesem Themenkomplex gemacht und wollen die Auseinandersetzung
in Abschnitt 4.4.1 noch weiter verfolgen.
4.2
Kritik am metaphysischen Realismus
Wir wollen zuerst Realismenarten in zwei zentrale Gruppen gliedern: einen
metaphysischen und einen kopernikanischen.
Vertreter des metaphysischen Realismus halten an einer vom Geiste, vom
Mentalen, von der Sprache unabhängigen Welt fest. Diese Welt ist im Kantischen Sinne noumenal, sie ist die Welt, wie sie an sich ist. Putnam notiert diese Welt oft als DIE WELT“.3 Später spricht Putnam von einer
”
Fertigwelt“ 4 mit einer ’eingebauten’ Struktur“ 5 , denn andernfalls könn”
”
”
ten Theorien verschiedener Struktur die Welt nicht richtig ‘kopieren’ [. . . ]
und Wahrheit verlöre ihren absoluten Charakter“ ([Put82c] S. 181). Wahrheit wird hier als Korrespondenz eines Satzes mit der Wirklichkeit radikal
nicht-epistemisch gefasst.6 ‘Verified (in any operational sense) does not im”
2
vgl. Fußnote 90
vgl. etwa [Put77] S. 123, [Put91] S. 406, etc.
4
in Anlehnung an Nelson Goodman
5
etwa Kausalbeziehungen, vgl. auch [Put84b]
6
vgl. etwa [Put77] S. 125
3
101
ply ‘true’, on the metaphysical realist picture, even in ideal limit.“ ([Put77]
S. 125), das, wie im folgenden aufgezeigt werden soll, von Putnam kritisiert
wird. Diesem gemäß gibt es genau eine wahre Theorie, ein wahres Modell
der Welt, nämlich gerade das, was die geistesunabhängige Struktur der Welt
kopiert“, die darauf wartet, abgelesen“ zu werden.7
”
”
Im Gegensatz zu diesen Ansätzen gehen Spielarten des kopernikanischen
Realismus mit Kant den Weg der kopernikanischen Wende.8 Die uns empirisch zugängliche Welt ist uns jeweils ‘nur’ bezüglich unseres begrifflichen
Rahmens möglich, sie ist jeweils vorkonzeptualisiert und für uns. Eine noumenale Welt an sich ist uns nicht zugänglich.
We cannot test a version [der Welten für uns] by comparing it
with a world undescribed, undepicted, unperceived [. . . ]. While
we may speak of determining what versions are right as ‘learning
about the world’, ‘the world’ supposedly being that which all
right versions describe, all we learn about the world is contained
in right versions of it; and while the underlying world, bereft of
these, need not be denied to those who love it, it is perhaps on
the whole a world well lost. [[Goo78] S. 4]
Mit Denkern wie u.A. Nelson Goodman, Thomas Kuhn9 und Hilary Putnam
kommen verschiedene Spielarten desselben auf. Mit Putnams internen Realismus wollen wir uns in Abschnitt 4.3 beschäftigen.
Putnam führt verstreut über seine Veröffentlichungen verschiedene Strategien gegen den metaphysischen Realismus. Da diese sehr mit unserem Thema der Referenz verbunden sind, wollen wir einige davon unter die Lupe
nehmen.
7
Putnam charakterisiert den Metaphysischen Realismus wie folgt:
Nach dieser Perspektive besteht die Welt aus einer feststehenden Gesamtheit
geistesunabhängiger Gegenstände. Danach gibt es eine wahre und vollständige Beschreibung dessen, ‘wie die Welt aussieht’, und zur Wahrheit gehöre
eine Art Korrespondenzbeziehung zwischen Wörtern bzw. Gedankenzeichen
und äußeren Dingen und Mengen von Dingen. [[Put81d] S. 75 (Übersetzung
wurde von mir leicht verändert und ist nun enger am Originaltext orientiert)]
8
vgl. [Kan98] B XV
Speziell gilt das für den späten Kuhn und dessen Konzeption des Post-Darwinian
”
Kantianism“ (vgl. [Kuh90b] S. 104)
9
102
4.2.1
Reductio der idealen Theorie
Putnam stellt wiederholt fest, dass die Erkenntnis der einen wahren und
”
vollständigen Beschreibung“ der WELT nur aus der unabhängigen Beobachterperspektive Gottes als gerade diese erkannt werden kann. Das Motiv des
”
metaphysischen Realisten ist [. . . ] die Rettung des Gottesgesichtspunkts, d.h.
der EINEN WAHREN THEORIE.“ ([Put81d] S. 105) Dies führt nun aber
zu der skeptischen Einsicht, dass selbst eine ideale Theorie, die man sich
als complete, consistent, to predict correctly all observation sentences (as
”
far as we can tell), to meet whatever ‘observational constraints’ there are
[. . . ], to be ‘beautiful’, ‘simple’, ‘plausible’, etc.“ ([Put77] S. 125) vorstellen
mag, die unter epistemisch idealen Bedingungen rational akzeptierbar ist,
falsch sein könnte, d.h. im Sinne des metaphysischen Realismus nicht das
Korrespondenzkriterium erfüllt.
Putnam zeigt in Realism and Reason“([Put77]) und ausführlicher in
”
Modelle und Wirklichkeit“ ([Put80a]), dass diese Anschauung in unintelli”
”
gibility“ ([Put77] S. 126) mündet. In diesem Sinne kann man das Argument
als eine reductio ad absurdum werten. Es würde den Rahmen dieser Arbeit
sprengen, detailliert auf den modelltheoretischen Hintergrund einzugehen.
Deshalb sollen die Resultate lediglich kurz motiviert und anschließend die
Konsequenzen problematisiert werden.
Putnams Argument setzt an, zu zeigen, dass, sofern eine (konsistente)
ideale10 Theorie gegeben ist, diese in allen Modellen aus der nicht-leeren
Klasse der ‘intendierten’ Modelle wahr ist und damit im Sinne des Korrespondenzkriteriums als wahr gelten muss.11 Wir sind im Sinne der Idealität
an einer Theorie T interessiert, die alle operationalen und alle theoretischen
Bedingungen erfüllt.12 Operationale Begriffe entstammen dabei dem perzep10
Putnam ist sich durchaus der Vagheit, sowie der Interessensrelativität ( ’ideal’ [ist]
”
selbst ein leicht interessenrelativer Begriff“ [Put80a] S. 123) der ‘Idealität’ bewusst. Putnam führt über den Begriff der idealen Theorie auch den Begriff der perfekten, gottgegebenen Theorie ein ( the set of all true sentences“ [Put77] S. 135).
”
11
Die Argumentation ist zu finden in [Put77] S. 125ff., [Put80a] S. 113ff. Selbstverständlich ist sie auch in den nicht-intendierten Modellen wahr, doch dies wird sich erst im
nächsten Abschnitt als folgenreich erweisen.
12
Eine Vagheit des Begriffs der Idealität einer Theorie stellt sich auch bezüglich der
theoretischen Bedingungen ein. Über die Forderung, dass diese eine optimale Formalisierung eine ‘idealen’ wissenschaftlichen Position sein soll, stellt sich die Frage, welche anderen
theoretischen Vorbedingungen erfüllt sein sollen. Mit Kant könnte man etwa das Prinzip
des Determinismus fordern. Dies scheint allerdings im Laufe der Wissenschaftsgeschichte
vom Status des in Putnams Sinne kontextuell Apriorischen verdrängt worden zu sein (etwa
in der klassischen Kopenhagen-Interpretation oder der GRW Interpretation der Quantenmechanik, vgl. [Put05]). Ergo ergibt sich im Begriff der theoretischen Bedingungen eine
Kontext-, evtl. auch Interessens-Relativität.
103
tiven Vokabular P ( Begriffe, die beschreiben, was wir sehen, fühlen, hören
”
etc.“ ([Put80a] S. 113) speziell im Zusammenhang mit Experimenten), sowie
Handlungsvokabular H ( aufheben, schieben, ziehen, [. . . ]“). Zudem führt
”
def
Putnam ein Beobachtungsvokabular B = P ∪ H und eine Menge der makroskopisch beobachtbaren Dinge und Ereignisse S ein.13 Die operationalen
Bedingungen an unsere Theorie werden dann durch eine Valuierungsfunktion
auf allen endlich-stelligen Prädikaten über Elemente aus S repräsentiert.14
Ebenso sei T eine Formalisierung einer ‘idealen’15 wissenschaftlichen Theorie.
Da unsere Theorie T wegen ihrer Idealität konsistent ist, ist es eine Konsequenz aus Gödels Vollständigkeitssatz, dass sie auch ein Modell besitzt,
mit dem Satz von Löwenheim-Skolem folgt sogar, dass sie Modelle für jede
unendliche Kardinalität besitzt.16
Hierbei kommt es zu nicht ‘intendierten’ Modellen. Man nehme beispielsweise an, dass das Universum etwa α viele (beobachtbare) Entitäten und
Ereignisse hat, wobei α abzählbar unendlich sei. Eine Theorie der Welt hat
demnach ein ‘intendiertes’ Modell derselben Kardinalität. Mit obiger Argumentation hat die Theorie aber auch Modelle mit überabzählbarer Kardinalität. Solche Modelle werden als ‘nicht-intendiert’ bezeichnet.17
Ebenso ist mit obiger Argumentation klar, dass es wahre Modelle für T
gibt mit der Kardinalität α. In all diesen ‘intendierten’ Modellen ist T wahr.
Doch damit ist T wahr, denn, wie Putnam berechtigterweise einwendet, ist
im Sinne der Korrespondenztheorie der Wahrheitsbegriff gerade nichts anderes als wahr in der intendierten Interpretation (oder ‘in allen intendierten
”
Interpretationen’, falls es mehr als eine vom Sprecher intendierte - oder gestattete - Interpretation geben darf).“ ([Put80a] S. 116)
Wir wollen an dieser Stelle Putnams Argument noch einmal rekapitulieren: Der Metaphysische Realismus unterstellt eine strenge Dichotomie von
Geist, bzw. Sprache und Welt. Deshalb ist es für den Vertreter dieser Auffassung möglich, dass eine ‘ideale’ Theorie falsch sein könnte. Mit modelltheoretischen Argumenten allerdings gelingt es Putnam zu zeigen, dass eine
ideale Theorie über wahre ‘intendierte’ Modelle verfügt.
13
Putnam motiviert die Inklusion von Ereignissen in Berufung auf Richard Boyd, da
einige der Entitäten, die wir direkt beobachten können, Kräfte sind (wir können Kräfte
”
fühlen, und Kräfte sind keine Gegenstände.“ ([Put80a] S. 114)
14
Wir orientieren uns hier an der späteren Fassung in [Put80a], da so das Problem der
nicht-trivialen ontologischen Voraussetzung, dass THE WORLD has (or can be broken
”
into) infinitely many pieces“ aus [Put77] vermieden werden kann, und dagegen lediglich
angenommen werden muss, dass S eine Kardinalität von mindestens ω besitzt.
15
wie oben skizziert
16
Es handelt sich genauer um die aufwärts“-Variante.
”
17
So gibt es etwa überabzählbare Modelle der natürlichen Zahlen.
104
The supposition that even an ‘ideal’ theory (from a pragmatic
point of view) might really be false appears to collapse into unintelligibility. ([Put77] S. 126)
Wie könnte der metaphysische Realist seine Auffassung verteidigen? Er
müsste insistieren, dass es sich bei den erfüllenden ‘intendierten’ (im modelltheoretischen Sinn) Modellen gerade nicht um die Interpretation handelt, die der Sprecher, auf welche Weise auch immer, tatsächlich intendiert.
Er muss eine Theorie entwickeln, der zufolge Interpretationen anders be”
stimmt werden als durch die Bestimmung von Modellen.“ Für Putnam sind
die Standardstrategien für ein solches Unternehmen im höchsten Maße unbefriedigend.
So etwa die magische Theorie“ der Referenz. Von ihr gibt es zwei Spiel”
arten: zum einen berufen sich Vertreter derselben auf mysteriöse Kräfte des
”
Geistes“ im Sinne einer ‘Intentionalität’.18 Zum anderen wird die Magie auf
der Seite der Entitäten der WELT angesiedelt, indem diese selbstidentifi”
zierend“ sind, also ihre Referenz sozusagen frei Haus für den Sprecher zur
Verfügung stellen. Solche Modelle sind in dieser Phase in Putnams Denken
als ‘ad hoc’ zu disqualifizieren.Referenz wird in solchen Ansätzen zu ei”
nem okkulten Phänomen“ ([Put82c] S. 176), zu metaphysischem Klebstoff“
”
([Put86] S. 207).
Eine andere Möglichkeit ist etwa mit der (materialistisch geprägten) kausalen Theorie der Referenz gegeben, wie sie etwa Fodor vertritt, oder in
anderweitig physikalistischen, sowie evolutionistischen Ansätzen.
4.2.2
Indeterminiertheit der Referenz
Mit dem Vollständigkeitssatz ergibt sich noch eine andere Angriffsfläche für
Putnam. Dadurch, dass es für jede beliebige unendliche Kardinalität19 für eine Theorie mit einem unendlichen Modell jeweils ein Modell mit der entsprechenden Kardinalität gibt,20 ergibt sich die Frage, wie man die ‘intendierten’
Modelle fixieren bzw. heraus greifen kann.
Wie oben bemerkt, sind die Strategien, die dem metaphysischen Realismus zur Verfügung stehen, für Putnam unbefriedigend. Wir werden weiter
unten Putnams Lösungsvorschlag, den internen Realismus, untersuchen. Wie
Richard Schantz richtig bemerkt, hat oben vorgeschlagene modelltheoretische
18
nicht zu verwechseln mit obigem modelltheoretisch geprägten Begriff der ‘intendierten’ Modelle, wie er in [Put80a] auftaucht (nicht in [Put77]).
19
also ≥ ω
20
sowie mit dem Theorem von Löwenheim-Skolem auch ein abzählbares
105
Argumentation einen gravierenden Nachteil“ ([Sch96] S. 297): Sie ist ledig”
lich auf Logik erster Stufe anwendbar.
Jedoch kommt es zu einer anderen Formulierung des Arguments der Indeterminiertheit der Referenz, das Putnam etwa in Vernunft, Wahrheit und
”
Geschichte“ ausarbeitet.21 Wir benötigen im Folgenden wieder die mögliche Welten Semantik und eine Intensionsfunktion, die als Input jeweils eine mögliche Welt und ein Prädikat erhält. Die ‘Intension’ bildet nun gerade auf die Extension des gegebenen Prädikats in der gegebenen Welt ab:
Intension(W, P) = Ext(P, W ).22 Ebenso sei hier darauf hingewiesen, dass es
sich bei dieser Konzeption um mögliche WELTEN handelt, also um geistesunabhängige Welten ganz im Sinne der Ontologie des metaphysischen Realisten. Putnam macht sich nun an, Quines Indeterminiertheits-Thesen etwa
aus Word and Object“ (1960) oder detaillierter in Ontological Relativity“
”
”
(1968) auf einen sehr viel weiteren Bereich“ ([Put81d] S. 55) zu übertragen.
”
Putnams Gedanke ist folgender: aufgrund einer strengen Dichotomie, eines Dedekindschen Schnitts zwischen mentaler Welt und der WELT muss sich
der metaphysische Realist bei der Beantwortung der Frage How does lan”
guage hook up to the world?“, als der Frage nach der Extension der Sprache
und damit nach der Interpretation unserer Intensions-Funktion, auf Kriterien
bzgl. der Wahrheitsbedingungen ganzer Sätze beschränken. Magische Theorien der Referenz werden von Putnam ebenso abgelehnt wie physikalistische
(Harty Field23 ), evolutionäre24 oder kausale (Fodor25). Wenn es also keine
externen Bedingungen (etwa Kausalität, selbstidentifizierende Entitäten, Gedankenstrahlen etc.) gibt, die eine mögliche Interpretation der Zeichen der
Sprache leisten, so bleiben nach Putnam dem metaphysischen Realisten lediglich operationale und theoretische Bedingungen an Wahrheitswerten von
Sätzen.
Putnams Argument lautet dann wie folgt: durch Vorbedingungen der eben
geschilderten Art kann nicht bestimmt werden, worauf sich unsere Termini
”
beziehen“ ([Put81d] S. 54), denn es gibt stets unendlich viele verschiede”
ne Interpretationen der Prädikate einer Sprache [. . . ], durch die den Sätzen
in allen möglichen Welten die ‘richtigen’ Wahrheitswerte zugeordnet wer-
den, gleichgültig, wie diese ‘richtigen’ Wahrheitswerte herausgegriffen werden.“ ([Put81d] S. 57).
Putnams Argument ist mit einem formal recht aufwendigen Beweis verbunden26 , den wir an dieser Stelle nicht rekapitulieren wollen. Wir wollen
uns lediglich das Permutationsargument“ kurz veranschaulichen. Der Witz
”
des Arguments besteht darin, dass gezeigt werden kann, dass die Intension27
von sprachlichen Zeichen unter Beibehalt des Wahrheitswertes von ganzen
Sätzen permutiert werden kann. Putnam veranschaulicht dies etwa mit einer
Interpretation von Katze“ zum einen durch Katzen und zum anderen durch
”
Kirschen (Putnam notiert das Zeichen verwendet unter letzterer Interpretation als Katze⋆ ). Selbstverständlich müssen bei der erwünschten Invarianz des
Wahrheitswertes ganzer Sätze entsprechend andere Zeichen auch hinsichtlich ihrer Intension permutiert werden: so z.B. das Zeichen Matte“ (etwa
”
durch die Interpretation Baum ). Durch geschickte Fallunterscheidung über
mögliche Welten gelingt es schließlich unendlich viele Permutationen der Interpretation einer gegebenen Sprache unter Beibehalt der Wahrheitswerte
von ganzen Sätzen zu bewerkstelligen.
Es gelingt mit Putnam dem metaphysischen Realisten nicht, alleine basierend auf operationalen und theoretischen Vorbedingungen an Wahrheitswerte ganzer Sätze eine Interpretation als die richtige heraus zugreifen. Ein
philosophischer Ansatz, der zu einer Indeterminiertheit der Referenz, bzw.
der Interpretation führt, ist jedoch für Putnam im Gegensatz etwa zu ( Put”
nams“) Quine oder Derrida,28 inakzeptabel.
Es ist an dieser Stelle natürlich von zentralem Interesse, ob es Putnam
mit seiner Konzeption des internen Realismus gelingt, die Probleme der Indeterminiertheit der Referenz zu vermeiden.
26
Dieser ist im Anhang von [Put81d] enthalten
im obigen extensionalen Sinne bzgl. möglicher Welten
28
vgl. etwa [Put90d] S. 263:
27
If meaning and reference are indeterminate, does the notion of what the
native ‘really means’ by gavagai make any sense, then? Quine forthrightly
(though in the strange company of such thinkers as Derrida) answers ‘no’.
There is, Quine says, no ‘fact of the matter’ as to what a word refers to.
21
im Kapitel Ein Problem der Bezugnahme“ S. 45ff
”
Dieser Begriff der Intension ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Intension
wie er in den ersten beiden Teilen verwendet wird (im Gegensatz zu Extension). Putnam
verweist auch explizit darauf, dass der Begriff nicht mit Bedeutung gleichzusetzen ist.
Man vergleiche etwa die Koextensionalität von ‘Lebewesen mit Herz’ und ‘Lebewesen mit
Niere’, die doch nicht bedeutungsgleich sind (vgl. [Put81d] S. 47 und [TW93] S. 133).
23
dieser wird kritisiert etwa in [Put81d] S. 68ff.
24
vgl. etwa [Put92a] ( Evolution won’t give you more intentionality than you pack into
”
it.“ S. 33) oder [Put81d] S. 61ff.
25
vgl. etwa [Put88] S. 91ff, [Put92e] S. 35ff
22
106
Auch Derrida wird für seinen Sprachinternalismus, indem die Vorstellung eines vom Sys”
tem unabhängigen ‘Bezeichneten’ zusammengebrochen ist“ ([Put92i] S. 267) und für die
These es gebe nur Texte“ ([Put86] S. 203) kritisiert.
”
107
4.3
Sprache und Welt im internen Realismus
4.3.1
Einleitende Worte
Putnams Position des internen Realismus, der auch als kleiner Realismus“ 29 ,
”
realismus“ (mit kleinem ‘r’)30 , sowie von Putnam später bevorzugt als prag”
”
matischer Realismus“ 31 bezeichnet wird, wurde von ihm einmal in folgender
metaphorischer Weise auf den Punkt gebracht:
the mind and the world jointly make up the mind and the world.
(Or to make the metaphor even more Hegelian, the Universe
makes up the Universe - with minds - collectively- playing a special role in the making up.) ([Put81b] p.xi)
The rich and ever-growing collection of truths about the world
is the joint product of the world and language users. Or better
(since language users are part of the world), it is the product
of the world, with language-users playing a creative role in the
process of production. ([Put91] S. 423)
Es ist zugegebenermaßen nicht einfach zu verstehen, was Putnam damit
meint. Ist Putnam Konstruktivist, verliert er sich in einer Paradoxie, ist diese
Haltung verträglich mit dem Begriff des Realismus, ist es Putnam möglich die
unliebsame Indeterminiertheit der Referenz zu vermeiden, führt seine Auffassung in eine Inkommensurabilität etwa verschiedener wissenschaftlicher
Auffassungen? Die Rezeption ist bunt-gestreut hinsichtlich der Interpretation.
Putnam macht es seinen Interpreten in vielerlei Hinsicht schwer: zum
einen war der interne Realismus in stetigem Wandel, v.a. hinsichtlich der
Auffassung, was Wahrheit ist, bzw. allgemeiner zur gnoseologischen Fragestellung des Zusammenhangs von Wahrheit und Wissen/Erkenntnis.32 Zum
anderen ist es zunächst nicht einfach, sich einen Überblick über die Vielzahl von Aufsätzen, die den internen Realismus behandeln, zu beschaffen,
doch gerade dies ist nötig, um sich ein umfassendes Bild dieser Position zu
verschaffen.
Da eine Überarbeitung des traditionellen Bildes vom Verhältnis Sprache
und Welt eine zentrale Motivation und Anliegen von Putnams neuer Form des
Realismus darstellt, spielt die Frage nach Referenz darin selbstverständlich
29
[Put90e] S. 246
[Put90c] S. 26
31
[Put87a] S. 17
32
vlg. etwa Abschnitt 4.3.3
eine zentrale Rolle und es liegt demnach ganz im Sinne unserer Untersuchung,
den internen Realismus unter die Lupe zu nehmen.
Eine paradigmatische Wende im Denken Putnams kommt auf einen Nenner, wenn er in Realism and Reason“ den Begriff interner Realismus“ 33
”
”
in Opposition zum Metaphysischen Realismus einführt. Zunächst noch eingeführt als eine empirische Theorie,34 bildet er sich schon bald zu einer philosophischen Position aus.
Was ist also in Putnams neuer Konzeption an Stelle der strengen Dichotomie zwischen Sprache/Mentalem und der geistunabhängigen Welt zu
setzen?
Ein erster Ansatz, der sich an verschiedenen Stellen in Putnams Werk
wiederfindet, ist der eines Kontinuums zwischen den beiden Polen des Konventionellen und des Faktischen. There is continuum stretching from choices
”
which, by our present lights, are just choices of a way of talking to question of what are plainly empirical fact, but there is no ‘Dedekind cut’ which
divides this continuum into what is true by convention alone and what is
not.“ ([Put91] S. 408)35 Ein Problem ist hierbei, dass es scheint, als wäre bei
der Kontinuumsthese begrifflich die Dichotomie, und damit der Begriff der
WELT vorausgesetzt. Zumindest stellt sich die Frage, worauf fact“ in der
”
obigen Formulierung referiert, das den Gegenpol zu Konvention darstellen
soll. An anderen Stellen heißt es, dass die Rede von der noumenalen Welt
nicht im Sinne eines idealen Limits verstanden werden kann, sondern sich als
Unsinn herausstellt. Wiederum an anderen Stellen stellt Putnam mit Kant
Überlegungen zu einer möglichen Denknotwendigkeit einer noumenalen Welt
als Grundlage unserer Erfahrung“, obgleich die Rede als Unsinn zu klassifi”
zieren ist.
(Aber möglicherweise hat Kant recht: Vielleicht können wir nicht
umhin, zu denken, dass es irgendwie eine geistunabhängige ‘Grundlage’ unserer Erfahrung gibt, selbst wenn der Versuch, über sie
zu reden, sofort zu Unsinn führt.) ([Put80c] S. 169)
Gibt es gar (in Anlehnung an Wittgensteins berühmtes Bild aus dem Tractatus) eine Putnamsche Leiter, die wir nach Erklimmen des internen Realismus wegschmeißen dürfen/sollen? Oder sollte man die Dialektik der eingangs
erwähnten Metapher ernst nehmen, und was hieße dies? Wie bewerkstelligt
Putnam den Spagat, nicht in das Extrem der Fertigwelt“ auf der einen, und
”
33
[Put77] S. 123
Putnam bemerkt auch, dass der Realismus als Erklärung des Erfolgs der Wissenschaft
selbst den Status einer wissenschaftlichen Hypothese hat (vgl. [Put75f] S. 79)
35
vgl. hierzu auch Es ist eine graduelle Angelegenheit, was tatsächlich und was kon”
ventionell ist“ ([Put90e] S. 249)
30
34
108
109
auch nicht in das Extrem, dass ‘es nur den Text gibt’“ ([Put86] S. 213) auf
”
der anderen Seite zu fallen?
Vielleicht erreichen wir ein klareres Bild, wenn wir eine andere Problemstellung betrachten, die Putnams internen Realismus als Antwort motiviert
hat: den begrifflichen Relativismus und den damit zusammenhängenden ontologischen Pluralismus.
4.3.2
Der ontologische Pluralismus
Oben haben wir das Problem behandelt, dass selbst bei einer einzelnen gegebenen Theorie, der metaphysische Realismus nicht fähig ist eine der vielen möglichen Interpretationen als intendiert heraus zugreifen. Ein anderes
Problem ergibt sich dadurch, dass sowohl Wissenschaft, als auch Umgangssprache von einem ontologischen Pluralismus geprägt sind.36 Putnam veranschaulicht dies anhand verschiedener Standardbeispiele, die wiederholt in
seinen Aufsätzen auftauchen. Besonders frequentiert treten dabei Beispiele
zum ontologischen Status von Objekten bzw. von Punkten auf.
So kann man Punkte im Sinne von nulldimensionalen Objekten als existierende Entitäten ansetzen. Genauso gut könnte man jedoch auch behaupten,
dass Punkte lediglich idealisierte Limes-Konstruktionen über Strecken sind.
In diesem Sinne gäbe es in der WELT Punkte als nulldimensionale Objekte
nicht.37
Man stelle sich ein Universum bestehend aus drei Bällen vor. Man kann
nun behaupten, dass in diesem Universum genau drei Objekte existieren.
Wenn man allerdings mereologischen Summen auch den Objektstatus zugesteht, so existieren nicht drei, sondern sieben Objekte in unserem BeispielUniversum.38
Es ergibt sich also eine fundamentale Theorie-Relativität von zentralen
ontologischen Begriffen, wie Objekt, Kardinalität (des Universums), etc. Vielfach gibt es empirisch äquivalente Theorien mit ontologisch sich widersprechenden Voraussetzungen.
Man könnte nun versuchen, sich mit Übersetzungs- bzw. Reduktionsstrategien zu behelfen. Man könnte etwa behaupten, dass die beiden unterschiedlichen Ansätze, da sich ein Übersetzungs- bzw. Reduktionsschema angeben
lässt, nicht inkompatibel hinsichtlich dessen, was sie in der WELT abbilden,
sind. Putnam kritisiert dies auf zweierlei Weise: zum einen sind Übersetzungsschemata nicht eindeutig gegeben. So könnte man etwa Punkte als Li-
miten von allen Strecken der Länge 2−x oder aber auch 3−x ansetzen. Welche
Übersetzung ist die richtige? Oder sind alle korrekt? Dann aber hat the lan”
guage [. . . ] more than one correct way of being mapped onto THE WORLD“
([Put77] S. 135). Zum anderen handelt es sich um keine Referenz-erhaltende,
sowie um keine synonymen Übersetzungen, vielmehr sind sie holistisch. Sei
etwa ein Universum aus einem roten und einem schwarzen Ball gegeben, so
hat der Ausdruck Objekt, das halb rot und halb schwarz ist“ keine synony”
me Übersetzung in der Sprache desjenigen, der mereologische Summen den
Objektstatus versagt. Entitäten aus der Extension der einen Sprache gehen
in der Übersetzung verloren. Ebenso mag eine Reduktion in beide Richtungen möglich sein, oder die Entitäten zugunsten derer reduziert wird (etwa
Zahlentheorie in Mengenlehre) mögen verdächtig erscheinen“.39
”
Wie geht der metaphysische Realist mit dieser Situation um? Er wird behaupten, dass höchstens eine der in unseren Beispielen jeweils zur Auswahl
stehenden beiden ontologischen Sichtweisen der der Welt zugrunde liegenden
eingebauten“ Struktur entsprechen kann: there is a ‘fact of the matter’ as
”
”
to which one is true.“ ([Put77] S. 131) Gerade hinsichtlich empirisch äquivalenter und somit erfahrungsmäßig unentscheidbarer ontologischer Ansätze
geht dies einher mit einem Skeptizismus.
Man könnte versuchen, den metaphysischen Realismus entsprechend anzupassen: einen bescheidenen40 , bzw. einen ausgeklügelten41 Realismus. Dieser geht davon aus, dass es eine Eigenschaft der WELT ist, dass sie auf
zweierlei, bzw. mehrerlei Art und Weise ‘abgebildet’ werden kann.
Man könnte geneigt sein, diesen moderaten Realismus auf zweierlei Arten
anzusetzen. Einmal so, dass die ‘wahren Abbildungen’ die der WELT ‘eingebaute’ Struktur isomorph abbilden (d.h. insbesondere wird die Kardinalität
erhalten).42 Putnam scheint vor allem einen solchen im Sinn zu haben, wenn
er schreibt it can happen that what we picture as ‘incompatible’ terms can
”
be mapped onto the same real object - though not of course within the same
theory.“ ([Put77] S. 132)
Eine andere Möglichkeit wäre, die Abbildungen als holistisch wahr anzusetzen. Dies heißt, dass die WELT multistrukturell angesetzt wird, so dass
in verschiedenen Hinsichten isomorphe Abbildungen existieren. Es gibt also
nicht eine eingebaute Struktur, sondern derer viele. Man vergleiche die Welt
in diesem Modell mit Wittgensteins Hase-Enten-Kopf. In einer Hinsicht ist
39
vgl. etwa science itself, and not just ‘ordinary language’, is deeply pluralistic in its
”
ontology.“ ([Put84b] S. 95)
37
vgl. [Put77] S. 130ff, [Put87b] S. 102f.
38
vgl. etwa [Put87b] S. 96f.
im Orig. seem suspicious“ und weiter some people think sets are very suspicious
”
”
entities“ ([Put87b] S. 102).
40
Curtis Brown nennt diese Form des Realismus einen modest realism“ (in [Bro88]).
”
41
Putnams Terminus ist sophisticated realism“ (in [Put77]).
”
42
Das oben erwähnte Problem, dass es dann auch Modelle mit abweichender Kardinalität gibt, sei hier ausgeblendet.
110
111
36
er Ente, in einer anderen Hase. Aus Sicht der ‘Enten-Theorie’ ist die ‘HasenTheorie’ falsch, da die Welt aus dieser Sicht eben eine Ente und kein Hase
ist. In ersterem Modell wären die Objekte der Welt jeweils multidimensionale
Hasen-Enten-Köpfe. Es gibt eine transzendente43 Entität, die zum einen als
nulldimensionaler Punkt, zum anderen als Limes von Strecken ‘abgebildet’
werden kann.44
Die erste Möglichkeit des moderaten metaphysischen Realismus kritisiert
Putnam mit seinem Beispiel der mereologischen Summen. So ist gerade auch
die Frage nach der Kardinalität der Welt Theorie-relativ.45
Putnam hat einen Grund bzgl. der Quantität und der Qualität mit welcher der ontologische Pluralismus auftritt, der obigen Ansatz seiner Meinung
nach sinnlos macht:
The fact is, so many properties of THE WORLD [. . . ] turn out
to be ‘theory-relative’ that THE WORLD ends up as a Kantian
‘noumenal’ world, a mere ‘thing in itself’. If one cannot say
how THE WORLD is theory-independently, then talk of all these
theories as descriptions of ‘the world’ is empty. ([Put77] S. 133)
Goodman spricht in diesem Sinne von einer world well lost“ ([Goo78] S.
”
4). Sind zentrale und so viele Eigenschaften der unterstellten Welt jeweils
nur relativ zu einer gegebene Theorie gegeben, so macht es nach Putnam
keinen Sinn, der WELT in einem absoluten Sinne etwa die Eigenschaft zu
unterstellen, dass sie admits of these different mappings“ ([Put77] S. 132).
”
Wie schon anschließend an den Abschnitt zur Indeterminiertheit der Übersetzung fragt sich der Leser sicherlich, wie Putnam diese Problem zu vermeiden sucht. Im folgenden Abschnitt wollen wir uns mit seiner Konzeption des
internen Realismus befassen.
43
Putnam spricht oft von transzendental“ wenn er eigentlich transzendent“ meint.
”
”
Diese im der anglistischen analytischen Philosophie weit verbreitete Ungenauigkeit ist vor
allem dann störend, wenn im selben Aufsatz von Kant die Rede ist.
44
Brown scheint in seinem Aufsatz unentschlossen zu sein, welche Variante er denn
meint. Seine Rede von einer Welt mit infinitely many classifications“ und die weitere
”
Argumentationslinie scheint auf unsere holistische Variante zuzulaufen - verwirrend ist an
dieser Stelle jedoch die Rede davon, that it contains infinitely many different kinds of
”
objects [. . . ] the world ‘in itself’ has more objects then we usually talk about, not fewer“
([Bro88] Abschnitt 1). Diese Konzeption unterliegt jedoch derselben Putnamschen Kritik
wie die erste Variante der moderaten metaphysischen Realismus.
45
then even the cardinality of the world becomes theory relative“ ([Put77] S. 133)
”
4.3.3
Interner Realismus
Putnams interner Realismus ist vor allem motiviert durch die oben geschilderten Probleme, denen ein metaphysischer Realismus nicht Herr werden kann
und die demnach, will man wie Putnam am Realismus festhalten, nach einer
alternativen Position verlangen. Putnams Problemstellung erinnert sehr an
die Kants. Der sog. Kopernikanischen Wende liegt auch die Auffassung zugrunde, dass der Zugang zu der Welt jeweils über Kategorien, über ein System
von Begriffen einher geht, so dass Kant schließlich behaupten kann, dass wir
der Welt die Gesetze vorschreiben. Neben dem tranzendentalen Idealismus
will jedoch auch Kant an einem Realismus, einem empirischen festhalten. Es
kommt also nicht von ungefähr, dass Putnam in Kant einen Vorläufer des
internen Realismus sieht.
Mir scheint, Kant wird am besten so gelesen, dass er als erster das
vorschlägt, was ich eine ‘internalistische’ oder ‘intern realistische’
Wahrheitsauffassung genannt habe [. . . ] ([Put80c] S. 167)46
Ein anderer Denker in Auseinandersetzung zu und inspiriert von dessen Werk
sich der interne Realismus entwickelt hat ist Nelson Goodman. Wie oben
schon angedeutet teilt Putnam mit diesem vor allem den kritischen Ansatz
hinsichtlich des metaphysischen Realismus. Beide, Putnam und Goodman,
stehen einer post-Kantian“, im Gegensatz zu einer neo-Kantian“, Philoso”
”
phie nahe, in der die Dichotomie von Begriffsschema und Welt abgeschwächt
bzw. aufgegeben wird.47
Die Wege trennen sich jedoch, wenn es um den konstruktiven Gegenentwurf geht.48 Wir wollen den Faden des obigen Abschnitts noch einmal an
der Stelle des ontologischen Pluralismus bzw. des konzeptuellen Relativismus
aufnehmen.
Eine versus viele Welten
Wir hatten festgestellt, dass verschiedene (sogar empirisch äquivalente) Theorien über wechselseitig widersprechende und damit unvereinbare Ontologien
verfügen können. Dies nimmt Goodman zum Anlass, von einer Pluralität
von Welten zu sprechen. Und da unvereinbare Versionen nicht auf dieselbe
”
Welt zutreffen können, schließt er, dass sie auf verschiedene Welten zutreffen
können, ‘wenn überhaupt auf irgendeine Welt’.“ ([Put92i] S. 259) An dieser
46
vgl. auch Fußnote 60
vgl. zu dieser Terminologie [Put90d] S. 261
48
Wir wollen, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, Putnams Goodman“
”
erläutern. Es bleibt nicht der Raum, um diese Interpretation kritisch zu analysieren.
47
112
113
Stelle widerspricht Putnam. Während seine Wertung von Goodmans Ansatz
aus Ways of Worldmaking“ im Jahre 1982 noch recht positiv ist,49 ändert
”
sich Putnams Tonfall zunehmend. Er unterstellt Goodman, dass die Rede
von vielen Welten hinsichtlich eines radikalen konstruktivistischen Ansatzes
zu deuten ist, denn die Welten wären in von uns gemacht“. Mitten in der
”
”
gegenwärtigen analytischen Philosophie entspringt eine Form des Idealismus,
so extrem wie die Hegels oder Fichtes“ ([Put92i] S. 255), Theologisch könn”
te man sagen, Goodman macht den Menschen zum Schöpfer.“ ([Put92i] S.
257) Dagegen setzt Putnam einen gerade in seiner Einfachheit verwirrenden
Leitsatz:
Aber die Welt ist kein Produkt, sie ist nur die Welt. ([Put90e] S.
249)
Zunächst ist festzustellen, dass Putnam sowohl einen radikal konstruktivistischen Ansatz ablehnt,50 als auch eine Pluralität der Welten“: etwa für die
”
konkurrierenden ontologischen Ansätze aus obigen Beispielen ist festzuhalten, dass die beiden Beschreibungen ein und dieselbe Welt beschreiben und
”
nicht zwei verschiedene Welten“ ([Put92i] S. 264).
Es stellt sich natürlich sogleich die Frage Welche Welt?“, denn anschlie”
ßend an die Kritik am metaphysischen Realismus kann es sich nicht um die
noumenale Welt handeln. Was bleibt für die Bestimmung der Bedeutung des
Welt-Begriffs dem internen Realisten übrig, wenn er von verschiedenen Beschreibungen ein- und derselben Welt spricht? Anders: auf was referiert das
Wort Welt“ in der Sprache des internen Realisten?
”
Es ist nicht diese Wirklichkeit, so wie sie ist, unabhängig von diesen
”
Redeweisen“ ([Put92i] S. 264), so weist Putnam einen seiner imaginären Gegenspieler zurecht, denn die Welt unabhängig von unseren Beschreibungen
ist eine world well lost“. Es besteht daher kein Anlass an[zu]nehmen, dass
”
”
die Wirklichkeit unabhängig von unseren Beschreibungen beschrieben werden
kann“ ([Put92i] S. 264).
Die Frage bleibt trotzdem bestehen, ob nicht gerade die Rede von ein”
und derselbe Welt“, die durch inkompatible, sich gegenseitig widersprechende Theorien beschrieben werden kann, auf eben eine solche Welt, die hinter
49
So schreibt er:
Auch wenn er davon redet, dass wir viele Welten machen, so meint er doch
nicht, dass es im Sinn von David Lewis (oder der Science-fiction) viele Welten
gebe, sondern dass Richtigkeit relativ zu Mittel und Mitteilung ist. ([Put82c]
S. 198)
50
vgl. auch: To deny, as I do, that there is a ‘ready-made world’ is not to say that we
”
make up the world.“ [Put92e] S. 58
114
den Beschreibungen steht, verweist. Wenn es etwa heißt: sie werden zur
”
Beschreibung desselben Sachverhalts verwendet“ ([Put92i] S. 260), verweist
dann Sachverhalt“ auf einen von den Beschreibungen unabhängigen Gegen”
part in der noumenalen Welt? Nein, so antwortet Putnam, er führe [. . . ]
”
damit keine transzendentale Ontologie von Sachverhalten ein“ ([Put92i] S.
260). Er referiert vielmehr auf einen Sachverhalt, der mit einer mit Wittgenstein language in place“ 51 bereits schon gegeben ist. [Ich] habe [. . . ] mit
”
”
Sachverhalt bloß das gemeint, was jederman mit diesem Ausdruck meinen
würde, der ihm keine metaphysische Bedeutung gibt.“ ([Put92i] S. 261)
Eine Welt ohne metaphysische Betonung
Was ist dieser Sachverhalt“ auf den sich beide Beschreibungen beziehen,
”
auf den sich jedermann ohne metaphysische Betonung beziehen kann? Der
”
Stuhl vor mir“ 52 , auf ihn beziehen sich die Beschreibungen, von ihm handeln
sie. Aber, ist dieser Stuhl nun ein Objekt in der noumenalen Welt? Nein. Ein
anderes Beispiel: In Is the Causal Structure of the Physical Itself Something
”
Physical?“ beschäftigt sich Putnam mit der Frage des ontologischen Status
der Kausalität und stellt deren Kontext- und Interessensrelativität heraus.
Auf was beziehen wir uns nun wenn wir sagen A ist die Ursache von B“ inner”
halb eines Sprachspiels, das uns einen begrifflichen und Interessens-relativen
Rahmen vorgibt?
Putnam stellt hier die zentrale Bedeutung dessen, was er mit Husserl die
Lebenswelt nennt, heraus: [causality] certainly exists in our ‘life world’“.
”
In der Lebenswelt können wir the problematic idea of ‘really existing’“
”
([Put84b] S. 89) hinter uns lassen. Hier gibt es diese metaphysische Betonung laut Putnam nicht.
Sinnlos sind die Fragen Welches der begrifflichen Schemas ist das (einzig)
”
passende, welches bezieht sich auf die all den Diskursen zugrunde liegende
Welt?“.
In der Lebenswelt gilt, dass things having dispositions, causing one ano”
ther, having modal properties, are simply matters of course“ ([Put84b] S.
95). Sie konstituieren den Grund unserer Sprachspiele.
Was rechtfertigt diese Selbstverständlichkeiten und ihre Rolle in unserer
Sprache. Zu sagen, eine Überzeugung sei gerechtfertigt, heißt zu sagen, wir
”
sollten an sie glauben; Rechtfertigung ist zunächst einmal ein normativer
51
vgl. [Put84a] S. 122 sowie [Put90c] S. 28. Vgl. auch das in diesem Zusammenhang
geäußerte Kurz, ich nehme an, eine bekannte Sprache ist bereits vorhanden.“ ([Put92i]
”
S. 260)
52
[Put92f] S. 433
115
Begriff.“ ([Put86] S. 215) Und Putnam zitiert den späten Wittgenstein aus
‘Über Gewissheit’:
§509: I really want to say that a language game is only possible
if one trusts something. (I did not say ‘can trust something.’).
([Put92g] S. 177)
- und kommentiert: a shockingly simple answer: trust.“
”
Wenn nun Vertrauen und Glauben am Grunde unserer Sprachspiele liegen
und damit unverzichtbar sind für unser Denken und Handeln, sowie auf der
anderen Seite unser Zugang zur Welt immer through discourse and the role
”
discourse plays in our lives“ ([Put84a] S. 121) erfolgt, so bilden Vertrauen und
Glauben ein conditio sine qua non der Welt für uns. Vertrauen und Glauben
sind aber jeweils immer nur in jeweils gespielten Sprachspielen vorhanden,
wenn eine language in place“ gegeben ist, und nicht außerhalb derselben.
”
Sprache konstituiert sich darüber hinaus jeweils in ihrem Gebrauch. Verschiedene Gebräuche der begrifflichen Schemata eröffnen verschiedene Zugänge
zur Welt.53 [T]he logical primitives themselves, and in particular the noti”
ons of object and existence, have a multitude of different uses rather than
one absolute ‘meaning’.“ ([Put87b] S. 97)54 und damit: Die Vorstellung,
”
dass ‘Gegenstand’ unabhängig davon einen Sinn hätte, wie wir Gegenstände
zählen und was wir in einer gegebenen Situation als Gegenstand ansehen, ist
eine Illusion.“ ([Put92i] S. 262).
Putnam spricht sich bereits früh und wiederholt gegen die verifikationistische These aus, dass Wahrheit Verifizierbarkeit57 oder rationale Akzeptierbarkeit58 sei. Zum einen kann eine Aussage die Eigenschaft, wahr zu sein,
im Gegensatz zur Eigenschaft, rechtfertigt werden zu können, verlieren. Zum
anderen ist Wahrheit im Gegensatz zu Rechtfertigung nicht graduell.59 In
frühen Schriften interpretiert Putnam WIA noch in dem Sinne, dass Wahrheit die Möglichkeit einer Rechtfertigung unter idealen Bedingungen impliziert.60 Später distanziert sich Putnam zunehmend von dieser These.61 Er
charakterisiert vielmehr die Begriffe der Wahrheit und der rationalen Akzeptierbarkeit als wechselseitig abhängig“ ([Put88] S. 203), so dass er schließlich
”
schreibt: an ideal epistemic situation is one in which we are in a good posi”
tion to tell if p is true or false.“ ([Put91] S. 421), was, wenn man WIA als
Definition deuten würde, hoffnungslos zirkulär wäre.62
Die oben angegebene Idealität hat in der Sekundärliteratur für viel Ver57
vgl. etwa [Put69] S. 443 und das Beispiel, dass der Satz There is a gold mountain
”
one mile high and no one knows that there is a gold mountain one mile high.“, falls wahr,
nicht verifizierbar ist.
58
vgl. etwa [Put78b] S. 108 und das Beispiel ‘The rug is green’ might be warrantedly
”
assertible even though the rug is not green.“
59
vgl. [Put80b] S. 151
60
vgl. [Put80b] S. 152 Dies ist ganz im Sinne von Kants Mond-Bewohner:
Daß es Einwohner im Monde geben könne, ob sie gleich kein Mensch jemals
wahrgenommen hat, muß allerdings eingeräumt werden, aber es bedeutet nur
so viel: daß wir in dem möglichen Fortschritte der Erfahrung auf sie treffen
könnten. ([Kan98] A 493 / B 521)
Putnams Wahrheitsbegriff im internen Realismus - Ein Überblick
Putnams Wahrheits-Begriff im internen Realismus ist viel und kontrovers
diskutiert worden, was dazu führte, dass Putnam tried for ten years to
”
protect his account of truth againt various misunderstandings“ ([Kün02] S.
148). Wenn auch Putnam Wahrheit als idealisierte rationale Akzeptierbarkeit charakterisiert (WIA),55 so ist es dennoch problematisch, dies im Sinne
einer Identität oder Koextensionalität, oder etwa reduktionistisch56 zu lesen.
Später charakterisiert Putnam diese Sicht der Dinge folgendermaßen:
[E]very truth that human beings can understand is made true by conditions
that are, in principle, accessible to some human beings at some time or other,
of not necessarily at all times or to all human beings. ([Put92d] S. 364)
61
53
Diese Sprechweise darf mit Putnam entsprechend nicht mit der WELT verwechselt
werden.
54
Schon in Reference and Understanding“ zeigt sich Putnams Sprachphilosophie be”
einflusst von Wittgensteins ‘Philosophischen Untersuchungen’. Die Interdependenz von
Bedeutung und Gebrauch, so wie der Anti-Essentialismus der Familienähnlichkeit wird etwa in Putnams Metapher Meaning, in my view, is a coarse grid laid over use.“ ([Put78b]
”
S. 99) deutlich. Ebenso die große Vielfalt mit der Sprache auftritt, etwa in language is a
”
‘motley’“ ([Put78b] S. 99).
55
vgl. etwa [Put80b] S. 151, [Put82a] S. 41, [Put79] S. 616
56
Der Witz ist, dass ich keine in irgendeinem Sinne reduktionistische Analyse der
”
Wahrheit (oder der Berechtigung) liefere.“ ([Put88] S. 203) Vgl. auch [Put92d] S. 421
Er führt zwei Gründe an: Zum einen rezitiert Putnam ein Argument, das auch schon
in Nagels The View from Nowhere“ ([Nag86] S. 93ff.) auftaucht. Es ist vorstellbar, dass
”
es intelligentere Wesen gibt, als uns Menschen, die Gedanken haben, die von uns nicht
verstanden werden können und some of those thoughts could be true.“ ([Put92d] S. 364)
”
Das zweite Argument demonstriert Putnam mit Hilfe des Satzes There is no intelligent
”
extraterrestrial life.“ Putnam meint, darin ein Beispiel für einen Satz gefunden zu haben,
dem wir die Eigenschaft zusprechen, wahr oder falsch zu sein, bei dem wir aber keine clear
”
notion of what would make it warrantedly assertable“ ([Put92d] S. 364) haben. Da uns
eine weitere Besprechung dieses sehr interessanten Gedankens zu weit von unserem Thema
wegführen würde, verweise ich an dieser Stelle auf etwa Künne in ([Kün02] S. 156ff.) oder
Schantz in ([Sch96] S. 361f).
62
Später bezieht sich Putnam retrospektiv auf diese Stelle und meint, er hätte ursprünglich eine Reduktion im Auge gehabt, that truth might be reduced to notions of ‘rational
”
acceptability’ and ‘better and worse epistemic situation’“. ([Put92d] S. 373)
116
117
wirrung gesorgt. Was sind epistemisch ideale Bedingungen“ ([Put80b] S.
”
151)? Putnam vergleicht sie mit reibungsfreien Flächen“, die man zwar nicht
”
erreichen kann, an die man sich aber beliebig annähern kann. Die könnte man
leicht als Eintrittstüre für einen Skeptizismus werten. Putnam distanziert sich
davon später, denn [t]o think of knowledge as something we never really pos”
sess but only ‘approximate’ is the first step on the slide to scepticism, and my
talk of ‘idealization’ was unfortunate if it suggested such a view.“ ([Put91]
S. 421) Der approximative Charakter wird schließlich aufgegeben zugunsten
eines kontextuellen, Sprachspiel-internalistischen, denn a good enough epis”
temic situation is a contextual matter.“ ([Put91] S. 421). Eine epistemisch
gute Situation für die Aussage There is a chair in my study“ ([Put90c] S.
”
viii) unterscheidet sich von einer epistemisch guten Situation in der Quantenphysik. Es gilt, truth operates within whatever type of language we are
”
talking about“. Demnach gibt es nicht die eine epistemische Situation, in der
wir im Sinne des metaphysischen Realismus am besten in der Lage wären,
in der fundamentalen Wissenschaft etwas über die Struktur der WELT in
Erfahrung zu bringen.63 Ebenso wenig gibt es eine phänomenologisch ideale
Situation.64 Putnam betonte bereits 1982, dass es eine Vielfalt von Dingen
gibt, die eine epistemisch ideale Situation auszeichnen können - I do not
”
have a theory. Truth is as plural, vague, open-ended, as we are.“ ([Put82b]
S. 198). Auch in diesem Zusammenhang weist Putnam die Angewiesenheit
von Wahrheit auf eine bestehende Sprachpraxis, eine Perspektive from the
”
point of view of life and intellectual practice“ ([Put82a] S. 40) hin, sowie,
dass die Wahrheit den Gebrauch nicht transzendiert.“ ([Put88] S. 203)
”
Sprachspielrelativität
Sowohl der Begriff der Rechtfertigung, als auch der Begriff der Wahrheit auf die Interdependenz der beiden weist Putnam wiederholt nachdrücklich
hin - machen außerhalb der einzelnen Sprachspiele, außerhalb der einzelnen
Diskurse und damit einer Sprachpraxis, keinen Sinn. ‘Wahrheit’ ist ebenso
”
kontextempfindlich, wie wir es sind.“ ([Put86] S. 214) In diesem Sinn kann
Putnam behaupten:
My view is that God himself, if he consented to answer the question ‘Do points really exist or are they mere limits?’ would say ‘I
don’t know’; not because His omniscience is limited, but because there is a limit to how far questions make sense. ([Put87b] S.
97)65
Folglich gilt für einen Vertreter des internen Realismus, dass dieser denies
”
that there is a fact of the matter as to which of the conceptual schemes [. . . ]
is really ‘true’. Each of these schemes contains, in its present form, bits that
will turn out to be ‘wrong’ in one way or another - bits that are right and
wrong by standards appropriate to the scheme itself - but the question ‘which
kind of ’true’ is really Truth’ is one that interal realism rejects.“ ([Put87b]
S. 98)
Die Frage nach einem Sachverhalt auf den wir uns beziehen, nach einem state of affairs“ ist part of a common sense version of what we are
”
”
doing“. Putnam betont gleich darauf, dass die Akzeptanz desselben gerade
ohne metaphysische Betonung vonstatten geht: accepting such a common”
sense version does not require us to elevate ‘states of affairs’ etc., to the status
of a universal ontology.“ ([Put91] S. 406)
Das Problem des metaphysischen Realismus entsteht gerade dann, wenn
wir die Lebenswelt, the world of ordinary language“, als defizitär betrach”
ten und nach einer ‘wahren Welt’ Ausschau halten, then we end up feeling
”
forced to choose between the picture of ‘a physical universe with a built-in
structure’ and ‘a physical universe with a structure imposed by the mind“
([Put84b] S. 89) Im Zusammenhang mit Wittgenstein stellt Putnam heraus,
wie diese Position motiviert ist: It is as if the recognition that our language
”
game does not have a trancendental justification made us want to handle it
with kid gloves, or to handle it from a metalanguage. But why is the metalanguage any more secure?“ ([Put92g] S. 176) Dass Wahrheit kontextuell
ist, heißt nicht, dass man sagen sollte, etwas ist nur wahr in einem Sprachspiel, da dies is something that makes us want to distance ourselves from our
”
own language game. [. . . ] The thought that everything we believe is, at best,
only ‘true in our language game’ isn’t even a coherent thought“ ([Put92g]
S. 177), gerade deshalb, weil er nicht aus einer Gottesperspektive geäußert
werden kann. Auf den Begriff der Objektivität muss jedoch nicht Verzicht
geleistet werden, nur handelt es sich nicht um jene merkwürdigen Begriffe
”
der ‘Objektivität’ und ‘Subjektivität’, die wir aus der Ontologie und Epistemologie gelernt haben“, die uns unfähig [machen] im Gewöhnlichen zu
”
ruhen“ ([Put86] S. 218). Objektivität ist wie die Begriffe der Wahrheit und
Rechtfertigung auf eine language in place“, auf ein bestehendes Sprachspiel,
”
auf eine bestehende Sprachpraxis angewiesen, und macht außerhalb, bzw.
oberhalb derer aus einer Gottesperspektive keinen Sinn.
(oder mit seinem Raum-Zeit-Bereich) ‘identisch’ ist, und zwar nicht etwa deshalb, weil es
etwa gibt, was er nicht weiß.“ ([Put90e] S.247/248)
63
vgl. [Put82b] S. 198
Internal realism is not phenomenalism all over again.“ ([Put90c] S. viii)
65 ”
vgl. auch bspw. Selbst Gott könnte uns nicht sagen, ob der Stuhl mit seiner Materie
”
64
118
119
Bessere und schlechtere Texte
Der interne Realist wäre bereit, sich Referenz als intern zu ‘Texten’ (oder
”
Theorien) vorzustellen, vorausgesetzt, wir erkennen an, dass es bessere und
schlechtere ‘Texte’ gibt.“ ([Put86] S. 213). Das heißt zunächst gerade nicht,
dass es nur den Text gibt“, dass Repräsentation ein Mythos“ ([Put86] S.
”
”
213) wäre. Die qualitativen Merkmale des relativen besser“- oder schlech”
”
ter“-Seins, oder der Richtigkeit“ einer Behauptung sind weder subjektiv ”
und Objektivität darf in diesem Sinne nicht mit Intersubjektivität verwechselt werden - als auch gehen sie über Rechtfertigung hinaus.
Ebenso wie die objektive Natur der Umwelt zur Festlegung der Referenz
”
von Ausdrücken be[i]trägt, so trägt sie auch zur Festlegung der objektiven
Wahrheitsbedingungen von Sätzen bei - wenn auch nicht auf die metaphysische realistische Weise.“ ([Put80b] S. 153) Eine Umwelt, die uns jeweils
via einem begrifflichen Schema, via eines Diskurses zugänglich ist, deshalb
eine Referenz als intern zu ‘Texten’“. Dennoch gilt, dass, wenn man die
”
Allgegenwart der begrifflichen Schemata akzeptiert, so verlangt die von uns
keineswegs, to deny that truth genuinely depends on the behaviour of things
”
distant from the speaker, but the nature of dependence changes as the kinds
of language games we invent change.“ ([Put94c] S. 309) Putnam sprach oben
von bits that are right and wrong by standards appropriate to the scheme
”
itself “. Was behauptbar ist, erlernen wir indem wir uns eine Praxis aneig”
nen“ ([Put86] S. 214). Und daher wird Verbesserung [a]us unserem Bild
”
der Welt heraus“ beurteilt. Aber aus diesem Bild heraus sagen wir, dass
”
‘besser’ nicht dasselbe ist wie ’wir glauben, es ist besser’.“ ([Put90e] S. 246).
Dennoch, ‘Besser’ und ‘schlechter’ mögen selbst von unserer historischen Si”
tuation oder unseren Zwecken abhängen; es gibt hier keine Vorstellung einer
Wahrheit von der Perspektive Gottes.“ ([Put86] S. 214) Dieses Bild der Welt
konstituiert unsere Erfahrung und Behauptbarkeit und die question how
”
to talk is itself something to which empirical facts are relevant“ ([Put91] S.
408). Das Bild von der Welt und der Sprache als gemeinsame Erzeuger von
Welt und Sprache fast Putnam in diesem Zusammenhang auch im Bild einer
Feedback-Schleife“ auf:
”
Es gibt eine Art von Feedback-Schleife: Während wir uns auf unsere bestehenden Normen und Standards stützen, entdecken wir
Tatsachen, die selbst manchmal zu einer Veränderung in den Bildern führen, welche diese Normen und Standards durchdringen
(und also indirekt auch zu einer Veränderung in den Normen und
Standards selbst). ([Put90e] S. 246)
120
Die Welt wird demnach in Putnam nicht in Folge der kopernikanischen
Wende, in Folge der Einsicht, dass access to the world is through our discour”
se“, weg gekürzt. Was bleibt ist aber auch nicht ein gemeinsamer Nenner im
Sinne einer dahinter - hinter all den ‘Versionen’(!) - stehenden noumenalen
Welt. Versionen von was?“ möchte man sofort fragen. Die Rede von Versio”
nen verleitet bereits in die falsche Richtung. Sie unterstellt gerade wieder die
Perspektive einer sprachunabhängigen Welt, eines Dedekindschen Schnitts,
doch
Was ich also sagen möchte, ist, dass die Elemente dessen, was wir
‘Sprache’ oder ‘Geist’ nennen, so tief in das eindringen, was wir
‘Wirklichkeit’ nennen, dass die Unternehmung, uns als die ‘Abbildenden’ von etwas ‘Sprachunabhängigem’ darzustellen, selbst von
vornherein verhängnisvoll kompromittiert ist. ([Put90e] S. 249)
Die Welt auf die wir uns beziehen ist vielmehr die Lebenswelt des manifesten
”
Bildes“ ([Put86] S. 218), a picture which is at the root of all our thinking.“
”
([Put92h] S. 156) Was gescheitert ist, is the attempt to divide mundane
”
reality, the reality of Lebenswelt into Real Reality and Projection.“ ([Put84b]
S. 90)
Kann man also behaupten, dass Putnam aus einer Perspektive Gottes
”
heraus“ sage, dass es keine Perspektive Gottes gibt“ ([Put90e] S. 245)? Put”
nam selbst konstatiert, dass beinahe jeder die Aussage, dass es keine geis”
tesunabhängige Wirklichkeit oder nur die ‘Versionen’ oder nur den ‘Diskurs’
oder was immer gibt, als ausgesprochen paradox“ ([Put82c] S. 198) auffasst.
Putnam dagegen gibt uns ein Bild:66 Now the picture I have just sketched,
”
is only a picture.“ ([Put82a] S. 42)67 Insofern unterscheidet er sich zunächst
nicht vom metaphysischen Realismus, denn [t]he metaphysical realist asks
”
us to accept a picture“ ([Put82b] S. 197).68 Putnam versucht jedoch seinen
Lesern zu zeigen, dass der metaphysische Realismus ein schlechtes Bild darstellt, dass all the graps of the picture seems to vanish“ ([Put77] S. 135)
”
und dass der interne Realismus ein vergleichbar besseres Bild abgibt. Putnam
versucht uns in diesem Sinne ein Bild zu geben, das uns die Möglichkeit gibt,
”
aus einer Vielfalt verschiedener Phänomene irgendwie schlau zu werden [. . . ]
anstatt einen Gottesstandpunkt anzustreben“ ([Put88] S. 192), wobei es gerade die Inkonsistenzen des metaphysischen Realismus vermeidet. Hier zeigt
sich Putnams an Wittgenstein angelehnte Konzeption, dass unterschiedliche
66
vgl. auch [Put88] S. 191f)
Der interne Realismus kann nur, wie Schantz (vgl. [Sch96] S. 324) richtig bemerkt,
zum Zeitpunkt von Realism and Reason“ als empirische Theorie betrachtet werden.
”
68
Bereits in [Put77] spricht Putnam davon, dass der metaphysische Realismus mehr
Modell ist als Theory in the ‘colliding billiard balls’ sense of ‘model’.“ (S. 123)
”
67
121
Bilder am Grunde unserer Sprachspiele liegen und diese Bilder sind essen”
tial to our lives.“ So auch das Bild, dass truth genuinely depends on what
”
is distant, is part if a picture with enormous human weight“, eines, das, so
zitiert er Wittgenstein, is to be respected and not treated as a superstition“.
”
(vgl. [Put94b] S. 277). 69
4.3.4
Indeterminiertheit der Referenz im internen Realismus?
Putnam präsentiert seinen internen Realismus unter anderem als Lösung des
Problems der Indeterminiertheit der Referenz. In der Sekundärliteratur dagegen wird dies teilweise als unmotiviert, bzw. als falsch bewertet.70
Für Putnam ist die geistunabhängige Welt, in dem Sinne, dass es geistunabhängige Gegenstände gibt, eine conditio sine qua non dessen, was wir
oben die Indeterminiertheit der Referenz genannt haben. Die Ansicht requi”
res us to believe in a world of things in themselves that have no determinate
relations to our language.“ ([Put84b] S. 83) Wir erinnern uns, dass sowohl
mit der Interpretationsfunktion in der Logik erster Stufe, als auch mit der
Intensionsfunktion in der mögliche Welten Semantik jeweils eine vorgegebene Welt (bzw. vorgegebene Welten) mitsamt deren Entitäten vorausgesetzt
worden sind. Modelltheoretisch konnte jeweils gezeigt werden, dass Permutationen im Bild dieser Abbildungen unter Beibehalt des Wahrheitswertes
ganzer Sätze möglich sind. Mit Verabschiedung dieser ready-made-world“
”
verspricht sich Putnam, das Problem der Indeterminiertheit der Referenz
abzuschütteln.
Um die Probleme der Indeterminiertheit der Referenz zu vermeiden, kann
man in der Mathematik den intuitionistischen Weg einschlagen. Damit gelang es, eine Theorie des Verstehens von mathematischen Aussagen zu entwickeln, die nicht auf die Begriffe Wahrheit und Referenz und damit auf
Modelle ( geschweige denn eines ‘intendierten Modells’“ ([Put80a] S. 124))
”
angewiesen ist, denn die Semantik wird vollständig mittels des Begriffs des
”
‘konstruktiven Beweises’ gegeben, einschließlich der Semantik von ‘konstruktiver Beweis’ selbst.“ ([Put80a] S. 123/124) Eine mathematische Aussage zu
verstehen heißt im Intuitismus zu wissen, what constitutes a proof (verifi”
cation) of it.“ ([Put77] S. 128)
69
Vgl. auch Putnams Stellungnahme dazu, dass seine Argumente in [Put75b] konsistent
sind mit Wittgensteins Konzeptionen von ‘Bildern’, ‘Notwendigkeit’ und ‘Bedeutung’ in
[Put92b] und natürlich seine Untersuchungen im Kapitel ‘Wittgenstein on Reference and
Relativism’ in [Put92g]
70
vgl. etwa [Sch96] oder [Bro88]
122
Dies heißt nun nicht, dass der Intuitionist auf Begriffe, wie Modell, Wahrheit oder Referenz verzichten muss. Er muss lediglich eine Sprache verstehen, die reich genug ist, um als Metasprache für eine Theorie T zu dienen“
”
([Put80a] S. 124). Dies bringt ihn in die Lage, innerhalb seiner Metasprache
Wahrheit und Referenz im Sinne Tarskis als Zitattilgung zu definieren. Da
dies intern bzgl. der verstandenen Metasprache geschieht, ist für ihn Re”
ferenz [. . . ] durch Sinn gegeben, und Sinn ist durch Verifikationsverfahren,
nicht durch Wahrheitsbedingungen gegeben. Die ‘Kluft’ zwischen unserer
Theorie und den ‘Gegenständen’ [. . . ] taucht gar nicht erst auf.“ ([Put80a]
S. 125)
Wenn man das Feld der Mathematik verlässt, so ergeben sich Probleme, den Intuitionalismus beizubehalten. Verifikation ist in den empirischen
Wissenschaften im Gegensatz zum Begriff des Beweises in der Mathematik
eine graduelle Angelegenheit und zudem ist Verifikation zeitlich variabel in
dem Sinne, dass sich der Grad von Verifikation wandeln kann, bis hin zum
Verlust dieser Eigenschaft. Darüber hinaus ist Verifikation in empirischen
Wissenschaften wesentlich holistischer geprägt als in der Mathematik, wo
isolierte Aussagen bewiesen werden.
Putnam ist außerdem nicht gewillt, die verifikationistische Theorie der
Bedeutung anzunehmen, da diese verschiedene Aspekte nicht berücksichtigt,
die er etwa in Die Bedeutung von ‘Bedeutung’“ herausgestellt hat,
”
for, as I have argued elsewhere, ‘meaning’ is not just a function
of what goes on ‘in our heads’, but also of reference, and reference is determined by social practices and by actual physical
paradigms, and not just by what goes on inside any individual
speaker. ([Put77] S. 129)
Was Putnam allerdings übernimmt, ist eine verifikationistische Theorie von
Verstehen. So betont er, dass etwa Michael Dummetts ‘non-realistische Semantik’ als eine solche verwendet werden kann. Zudem wäre das in einer
Weise möglich, die nicht inkohärent ist mit dem internen Realismus.
Bereits in Reference and Understanding“ bemüht sich Putnam zu zeigen,
”
dass eine Theorie von Verstehen unabhängig von den Begriffen der Wahrheit und der Referenz entwickelt werden kann. Putnam betont hier mit dem
Wittgenstein aus den Philosophischen Untersuchungen, dass der Begriff des
Verstehens mit dem Begriff des Gebrauchs in einem engen Zusammenhang
steht. So heißt es understanding a language consists in being able to use
”
it (or to translate it into a language one can use).“ ([Put78b] S. 97) Putnam sieht außerdem keine Probleme, bestimmte Ansätze aus etwa [Put75e],
wie Stereotypen oder den holistischen Charakter von Verstehen (z.B. die
linguistische Arbeitsteilung) in einer Theorie des Verstehens basierend auf
123
dem Gebrauch einzubinden. Wichtig ist Putnam zu betonen, dass es für eine
Theorie des Verstehens nicht vonnöten ist, eine Erklärung des Erfolgs von
Handlungen (die etwa mit unserem Benutzen von Sprache verbunden sind)
zu geben. For example, the instructions for turning an electric light on and
”
off - ‘just flip the switch’ - do not mention electricity.“ ([Put78b] S. 99),
während the success of the ‘language-using program’ may well depend on
”
the words of a language and things, and between the sentences of the language and states of affairs.“ ([Put78b] S. 100) Die Begriffe der Wahrheit, der
Referenz und der Extension werden dagegen benötigt, um den Erfolg unserer
Sprach-Handlungen zu erklären.
Es ist hier wichtig festzustellen, dass Putnam zum einen eine verifikationistische Theorie des Verstehens in der Tradition von Dummetts nichtrealistischer Semantik, mit einer realistischen Theorie der Bedeutung im Sinne des internen Realismus, sowie in Anschluss an Überlegungen aus Die Be”
deutung der ‘Bedeutung’“ für vereinbar hält. Zum anderen hält Putnam die
verifikationistische Theorie des Verstehens für ausreichend, um eine Indeterminiertheit der Referenz zu vermeiden. Putnam bringt dies folgendermaßen
auf den Punkt:71
[1] Wenn wir [. . . ] die Alternative der ‘non-realistischen’ Semantik [wählen], dann tut sich die ‘Kluft’ zwischen Worten und der
Welt, zwischen unserem Gebrauch der Sprache und ihren Gegenständen, gar nicht erst auf.
[2] Zudem ist ‘non-realistische’ Semantik mit realistischer Semantik nicht unverträglich, sie geht ihr ganz einfach voraus in dem
Sinn, dass es ‘non-realistische’ Semantik ist, die verinnerlicht werden muss, wenn die Sprache verstanden werden soll.
([Put80a] S. 126 - die Nummerierung wurde von mir nachträglich
eingeführt.)
Beide Thesen sollen anschließend kritisch beleuchtet werden.
These [1] ist zunächst gerade aus dem Grunde einleuchtend, da eben in der
non-realistischen Semantik die Rede von Referenz, von Extension wie auch im
Intuitionismus in der Mathematik nicht mehr auftaucht. Dies geht gerade auf
die strikte Trennung von Theorie des Verstehens auf der einen und Theorie
71
Wenn im folgenden Zitat von ‘non-realistischer Semantik’ die Rede ist, so ist dabei
eine Theorie des Verstehens gemeint, während mit der ‘realistischen Semantik’ es sich um
eine Theorie der Bedeutung in Putnamschen Sinne handelt (also eine Bedeutung, die den
Begriff der Referenz als Teil des Bedeutungsvektors voraussetzt). Vgl. hierzu auch theory
”
of meaning, on my view, presupposes theory of understanding and reference - and reference
is what the problem is all about!“ ([Put77] S. 129)
124
der Bedeutung, der Referenz auf der anderen Seite, wie von Putnam bereits
in Reference and Understanding“ vorgeschlagen, zurück. Das Problem der
”
Indeterminiertheit der Referenz taucht erst mit dem Begriff der Referenz
auf. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass der Intuitist auf den
Begriff der Referenz nicht Verzicht leisten muss. Die Frage im Folgenden
muss also lauten: Wie kommt man mit der verfikationistischen Theorie des
Verstehens zur Referenz und ist die Konzeption dann vereinbar mit Putnams
‘realistischer Semantik’ ? Putnam bemerkt zunächst:
[3] Entweder legt der Gebrauch bereits die ‘Interpretation’ fest,
oder nichts kann es tun. ([Put80a] S. 128)
These [2] spricht davon, dass die Verinnerlichung einer ‘non-realistischen
Semantik’ der ‘realistischen Semantik’ vorausgeht und in diesem Sinne eine
Bedingung der Möglichkeit dieser darstellt. Was Putnam mit Verinnerlichung
der ‘non-realistischen Semantik’ meint, ist fraglich, doch es ist davon auszugehen, dass er im Sinne der verifkationistischen Semantik davon spricht, dass
der richtige Gebrauch einer Sprache Voraussetzung dafür ist, sich mit Fragen
der Referenz zu beschäftigen. Diese Deutung ist auch im Einklang mit [3].
Ebenso ist dies vereinbar mit der oben besprochenen Konzeption, dass die
Begriffe der Wahrheit, der Rechtfertigung und der Referenz jeweils erst Sinn
machen mit einer language in place“.
”
Fraglich bleibt nun, wie der Gebrauch im Sinne von Putnams Konzeption
der verifikationistischen Semantik Referenz festlegt und welche Rolle dabei
die Umwelt spielt.
Sowie mit Kants Kopernikanischer Wende wir es sind, die der Welt die
Gesetze vorschreiben, kann man nun mit Putnam behaupten, dass wir durch
unsere begrifflichen Schemata es sind, die der Welt die Entitäten vorschreiben:
[. . . ] ein Zeichen, das von einer bestimmten Gemeinschaft von Zeichenbenutzern auf bestimmte Weise verwendet wird, kann innerhalb des Begriffsschemas dieser Zeichenbenutzer bestimmten Gegenständen entsprechen. Unabhängig von Begriffsschemata existieren keine ’Gegenstände’. Wir spalten die Welt in Gegenstände
auf, indem wir dieses oder jenes Beschreibungsschema einführen.
Da die Gegenstände und die Zeichen gleichermaßen interne Elemente des Beschreibungsschemas sind, ist es möglich, anzugeben,
was wem entspricht. ([Put81d] S. 78)
Die Frage, ob eine Theorie eine einzelne ausgezeichnete Interpretation hat
macht für den internen Realisten keinen Sinn. Zur Veranschaulichung rekapituliert Putnam in Realism and Reason“ das Beispiel über die Ontologie
”
125
des Punkts.72 Dabei ist herauszustellen, dass ‘Punkt’ innerhalb einer Theorie jeweils eine unique intended meaning“ hat, während aus der Sicht der
”
Alternativ-Theorie sich viele Interpretationen ergeben mögen73 Innerhalb einer Sprache bezieht sich Kaninchen“ trivialerweise auf Kaninchen74 und
”
Adopting ‘cow talk’ is adopting a ‘version’ in Nelson Goodman’s phrase,
”
from within which it is a priori that the word ‘cow’ refers (and, indeed, that
it refers to cows).“ ([Put77] S. 137)
Dem internen Realisten könnte man nun antworten: Natürlich ist Ka”
”
ninchen“ bezieht sich auf Kaninchen“ richtig per Definition, aber in deiner
Metasprache ist selbst nach der Zitattilgung immer noch die Frage offen,
worauf sich das Kaninchen ohne Anführungszeichen bezieht. Denn nach der
Indeterminiertheitsthese könnte sich dieses Wort auf alles mögliche beziehen.“
Der interne Realist würde darauf jedoch schlichtweg antworten, dass damit wiederum eine geistunabhängige Welt von Entitäten angeführt wird und
dies im höchsten Maße unintelligibel wäre. Der Witz der Argumentation ist
ja gerade, dass auch die Welt des internen Realisten jeweils mit a language
”
in place“ aus ‘selbst-identifizierenden’ Gegenständen besteht, aber nicht in
”
einem Sinn, der dem Externalisten zugänglich ist.“ ([Put80c] S. 160). Putnam
betont nun wieder im Sinne der Kontinuumshypothese die beiden Aspekte
der Konvention und der empirischen Faktizität:
Wenn ‘Gegenstände’ ebenso gemacht wie entdeckt sind, ebenso Produkte unserer begrifflichen Erfindung wie des ‘objektiven’
Faktors in der Erfahrung, des von unserem Willen unabhängigen
Faktors, dann gehören Gegenstände natürlich intrinsisch unter
bestimmte Etiketten; denn diese Etikette waren ja zunächst unsere Werkzeuge zur Konstruktion einer Version der Welt mit solchen
Gegenständen. Diese Art von ‘selbst-identifizierendem Gegenstand’ ist aber nicht geistunabhängig [. . . ] ([Put80c] S. 160/161)
Wir sollten an dieser Stelle, den Versuch unternehmen, obige Gedanken in
Einklang zu bringen mit einer der zentralen Thesen in Putnams Denken, dass
Bedeutungen nicht im Kopf sind und zum anderen der Frage nachgehen, wie
in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden kann, dass empirische
Forschung mehr über die Welt in Erfahrung bringt. Beide Themenstellungen
sind zentral mit der Frage verbunden, wie man sich den Faktor der Erfah”
rung“ und den Anteil der Entdeckung“ von Gegenständen im obigen Zitat
”
zu denken hat.
72
[Put77] S. 136
etwa Punkte als Limiten von Strecken der Länge 2−x oder 3−x , etc.
74
vgl. etwa [Put81d] S.78, [Put80c] S. 159
Putnam betont wiederholt, dass it makes no sense to think of the world
”
as ‘dividing itself up’ into ‘objects’ (or ‘entities’) independently of our use of
language.“ ([Put92f] S. 434) Begriffe wie ‘Entity’, ‘object’, ‘event’, ‘situati”
on’, ‘fact’, ‘property’, etc. have no fixed use but an ever expanding family
of uses.“ und dasselbe gilt für ‘Existenz’. Damit geben wir der Welt durch
unser begriffliches Schema und die Art und Weise, wie wir dieses benutzen,
eine Struktur vor, wir teilen sie auf“. Das heißt allerdings nicht, dass wir
”
die Welt machen. Putnam will gerade nicht den radikalen Idealismus, den er
Goodman unterstellt. Und während er talk of ‘independent existence’“ von
”
Entitäten als deeply problematic“ bezeichnet75 , hält er dennoch daran fest,
”
dass (with our language in place) [we] must say that the sky is blue, and that
”
that fact is (causally and logically) independent of how we talk“ ([Put92f]
S. 433). Mit einem fixierten begrifflichen Schema macht es auch Sinn von
empirischer Forschung etwa über Elektronen zu sprechen. Die Frage, ob es
unabhängig von diesem begrifflichen Schema in der Welt Elektronen gibt,
macht keinen Sinn. So heißt es auch, dass stars are indeed independent of
”
our minds in the sense of being causally independent; we did not make the
stars. But we did make the concept star“ ([Put91] S. 407). Das heißt nun eben
auch, dass es mit einem begrifflichen Schema in place“ Sinn macht, davon
”
zu sprechen, Sachverhalte, auch Gegenstände zu entdecken“. Wir entdecken
”
aber neue Quanten-Teilchen eben nur im begrifflichen Schema der Physik,
die wir betreiben.
Wie wären diese Gedanken auf die These, dass Bedeutungen nicht im
Kopf sind anzuwenden? Ist es etwa mit obigen Ansichten vereinbar, dass
XYZ kein Wasser in unserer Sprache (als Bewohner der Erde) ist (selbst im
Jahre 1750)? Putnam schreibt zunächst: Was Pferde, mit denen ich nicht
”
interagiert habe, zu Wesen ‘derselben Art’ macht wie Pferde, mit denen ich interagiert habe, ist die Tatsache, dass erstere ebenso wie letztere Pferde sind.“
Des weiteren betont er, dass ‘von derselben Art’ keinen Sinn außerhalb eines
”
Kategoriensystems macht, das sagt welche Eigenschaften als Ähnlichkeiten
zählen und welche nicht.“ ([Put80c] S. 160) Doch dies scheint gerade der These aus [Put75e] zu widersprechen, dass die Ähnlichkeitsrelation gerade von
der Umwelt und nicht durch die jeweilig aktuelle Deskription geleistet wird.
Aus obigem Zitat folgt doch gerade, dass Wasser im Jahre 1750 auch XYZ
umfasst, gerade weil der begriffliche Rahmen zwischen H2 O und XYZ noch
nicht zu unterscheiden in der Lage war. Diese Analyse ist jedoch vorschnell.
Ein gegebenes begriffliches Schema (etwa im Jahre 1750) gibt uns an, was
wir Wasser“ nennen, und was wir als Ähnlichkeit betrachten (etwa damals
”
der Aggregatzustand flüssig, etc.). In diesem Sinne spalten wir die Welt in
73
126
75
[Put92f] S. 433
127
Gegenstände auf. Doch entspricht es unseren linguistischen Intentionen für
NKTs wie ‘Wasser’, diese so zu benutzen, dass wir damit gerade das meinen,
was die gleiche innere Struktur besitzt, wie die paradigmatischen Beispiele
in unserer Umgebung. In gerade der Umgebung die durch unser begriffliches
Schema strukturiert ist (aber eben nicht gemacht). Und gerade an diesem
Punkt kommt die empirische Erfahrung ins Spiel, das ‘Faktische’, allerdings
nicht im Sinne des metaphysischen Realisten als unabhängig von unseren begrifflichen Schematas. Es kommt zu der oben erwähnten Feedback-Schleife.
Die ‘selbst-identifizierenden Gegenstände’ des internen Realisten sind nicht,
wie diejenigen des metaphysischen Realisten, Entitäten der noumenalen Welt,
die auf okkulte Weise die Interpretation unserer Zeichensysteme beeinflussen.
Wir müssen keine Interpretationsleitern erklimmen, von unseren Zeichen zu
Entitäten einer noumenalen Welt, die, haben wir die Interpretation einmal
geleistet weggeschmissen werden können. Vielmehr bringt die Welt, wie wir
sie durch unsere begrifflichen Schemata sehen, die Interpretation frei Haus.
Putnam demonstriert das an Wittgensteins Hase-Enten-Kopf. Das ‘geistige
”
Bild’ ist stets eindeutig ein Hasenbild oder ein Entenbild [. . . ]. Daraus folgt,
dass geistige Bilder in Wirklichkeit ganz anders als physikalische Bilder sind
[. . . ]. Wir können diesen Unterschied dadurch ausdrücken, dass wir sagen,
die Interpretation sei im ‘geistigen Bild’ eingebaut [. . . ]“ ([Put82c] S. 179).
4.3.5
Die Welt als gigantischer multidimensionaler HaseEnten Kopf
Wir haben oben gesehen, dass Putnam scheinbar die holistische Form des
moderaten Realismus ablehnt. Dies war nicht ganz klar aus seiner Argumentation erkenntlich, da er sich in seiner Beschreibung eines sophisticated
”
realism“ nur auf die nicht-holistische Form desselben bezieht. Diese sieht eine geistunabhängige Welt in der Weise vor, dass die Entitäten derselben in
verschiedener Weise beschrieben werden können. So etwa gibt es in der noumenalen Welt Entitäten, die sowohl als nulldimensionaler Punkt, als auch
als Punkt im Sinne einer Limeskonstruktion von Strecken beschrieben werden kann. Die Frage, was diese Entität in Wirklichkeit“ ist, bleibt in dieser
”
Form des moderaten metaphysischen Realismus in analoger Weise sinnlos,
wie für einen internen Realisten. Putnam gab zwei Argumente gegen diese
Form des Realismus.
1. Selbst der Begriff der Kardinalität ist von unserem begrifflichen Schema abhängig. So unterscheidet sich die Anzahl der Elemente im Universum aus der Sicht von jemanden, der auch mereologische Summen
als Objekte ansetzt, von derjenigen aus der Sicht von jemanden, der
128
dieselben nicht als Objekte zählt. Wenn so zentrale Begriffe, wie der
des Objekts und der der Kardinalität jeweils von unseren begrifflichen
Schemata abhängen, so macht es keinen Sinn, davon auszugehen, dass
eine noumenale Welt über eine festgesetzte, geistunabhängige Anzahl
von Entitäten verfügt, gerade auch deshalb, weil selbst, wenn dem so
wäre, uns der Zugang zu dieser Welt, d.h. unabhängig von unseren
begrifflichen Schemata, verwehrt bleibt.
2. Da so viele und so zentrale Eigenschaften von unseren begrifflichen
Schemas abhängen, macht es keinen Sinn der Welt gerade diese Eigenschaft zu geben, die ihr der moderate Realismus geben will.
Die holistische Form des moderaten Realismus ist durch Argument (1) nicht
angegriffen. Diese behauptet lediglich, dass die Welt in der Weise multistrukturell ist, dass sie durch vielerlei Beschreibungen korrekt beschrieben
werden kann. Ich hab dies mit Wittgensteins Hase-Enten Kopf verglichen,
insofern als dieser sowohl als Hase, als auch als Ente gesehen werden kann.
Welche Entitäten ich als einzelne darin identifiziere, hängt ganz davon ab, als
was ich diesen sehe. Sehe ich ihn etwa als Ente, so sehe ich einen Schnabel,
ein Auge, etc. Sehe ich ihn dagegen als Hase, so sehe ich zwei Ohren, ein Auge, etc. Man beachte, dass gerade die Frage, wie viele Entitäten es gibt, von
welcher Art diese sind, d.h. die Fragen nach Existenz“, Objekt“, Kardi”
”
”
nalität“, etc. gerade von meinem Schema abhängen. Ist mein Schema fixiert,
so ist die Interpretation, wie Putnam oben bemerkt, meinem begrifflichen
Schema inhärent.
Im Gegensatz dazu, kann man in der nicht-holistischen Variante die einzelnen Entitäten als multi-strukturelle Hasen-Enten-Köpfe sehen. So lässt
sich die den verschiedenen Beschreibungen zugrunde liegende Entität sowohl
als nulldimensionaler Punkt als auch als Punkt im Sinne einer Limeskonstruktion beschreiben.
Argument (2) richtet sich gegen beide Arten des moderaten Realismus.
Wenn so viele und so zentrale Eigenschaften der Welt sich als relativ zu
und abhängig von unseren begrifflichen Schemata erweisen, so ist es sinnlos
der Welt an sich“ unabhängig von unseren Schemata überhaupt irgendei”
ne Eigenschaft zu verleihen, also inklusive der Eigenschaften etwa im Sinne
der holistischen Variante des moderaten Realismus multistrukturell im Sinne
eines multidimensionalen Hasen-Enten-Kopfes zu sein.
Das Problem, das sich nun für Putnam ergibt, ist folgendes. Im Sinne des
Realismus will Putnam gerade an der Vorstellung festhalten, dass verschiedene Theorien, verschiedene Beschreibungen der Welt wahr sein können, in
der wir zumindest von bits that are right and wrong“ ausgehen, wenn auch
”
jeweils by standards appropriate to [a] scheme itself“ ([Put87b] S. 98). Die
”
129
Streitfrage ist nun, ob das nicht gerade eine Welt im Sinne des holistischen
moderaten Realismus impliziert. Denn damit behauptet doch Putnam gerade, dass die Welt von der Art ist, dass sie in verschiedener Art und Weise
beschrieben werden kann. Mit Argument (2) wird dies jedoch gerade als unsinnig kritisiert. Letzten Endes jedoch, so scheint es, sind wir doch wieder,
gerade wenn man eine realistische (wie auch immer geartete) Ansicht vertreten will und von Wahrheit sprechen will, und gleichzeitig am Bild der ein”
und derselben Welt“ festhalten will, gezwungen zu fragen, Versionen von
”
was?“, Hinsichten von was?“, Aspekte von was?“.
”
”
Putnam lässt sich trotz der Hegelian metapher“ nicht auf einen dialekti”
schen Ansatz ein. In diesem Sinne verbleibt der interne Realist in seltsamer
Weise Seiltänzer auf Kants Pfaden. Leider hat sich Putnam nicht bemüht
die interessante Randbemerkung über die Denknotwendigkeit der geistunabhängigen Welt76 systematisch vor allem im Zusammenhang mit seiner Konzeption des internen Realismus weiter zu untersuchen. Doch in dieser Weise
hinterlässt er seine Leser in der ungemütlichen rätselhaften Spannung eines
Kulminationspunktes mit dem unguten Gefühl einer offenen Frage.
4.3.6
Exkurs: Putnam und die Quasi-Metaphorik
Wir wollen an dieser Stelle noch einmal auf die bereits eingangs zitierte Metapher the mind and the world jointly making up the mind and the world“
”
zu sprechen kommen. Putnams bildhafte Sprechweise versucht uns etwas zum
Verhältnis von Sprache und Welt mitzuteilen. Es ist angebracht, die Frage zu
stellen, wie Putnam in solchen Passagen Sprache benutzt. In Putnams Textkorpus sind keine Meta-Reflexion dieser Art aufzufinden, deshalb nähern wir
uns der Frage mit Derridas Überlegungen zur Metapher an.
Derrida setzt sich in Der Entzug der Metapher“ ([Der87]) mit der Meta”
pher vor allem im Zusammenhang mit Heideggers Spätphilosophie auseinander, die geprägt ist von bildhaften Sprechweisen. Derrida stellt fest, dass es
sich dabei nicht um gewöhnliche Metaphern handeln kann. Ein Beispiel wäre
etwa die Metapher vom Haus des Seins“.77 Einen Grund dafür sieht Derrida
”
darin, dass es nicht möglich ist, über Sein buchstäblich oder metaphorisch zu
sprechen.78 Dagegen sprechen wir an solchen Stellen in quasi-metaphorischer
Weise.
Üblicherweise ist der Gang der Metapher von einem vertrauten Prädikat
zu einem weniger vertrauten, [. . . ] unheimlichen“ Gegenstand. Es findet da”
76
vgl. Seite 109
Etwa in Brief über den Humanismus ([Hei67]): Das Denken baut am Haus des Seins“
”
oder Sprache ist das Haus das Seins“
78 ”
vgl. [Str]
77
130
durch eine Aufhellung mit Hilfe des Umwegs über das Vertraute statt. Die
Quasi-Metapher ist nun durch eine Subversion des Vertrauten gekennzeichnet, dem Vertrauten wird im Verlauf des Gangs der Metapher gerade der
Charakter der Vertrautheit entzogen, es wird unheimlich“, die Sicherheit
”
des Nächsten und Bekannten gerät ins Schwanken.
Bei der Heideggerschen Metapher des Haus des Seins“ handelt es sich
”
gerade nicht im Sinne von herkömmlichen Metaphern um eine Übertragung
eines vertrauten Sinns (das Haus) auf einen entfernten, weniger vertrauten
Gegenstand (das Sein). Dieser Umweg über das Nächste zum vorerst Unheimlichen ist Heidegger durch das Denken der ontisch-ontologischen Differenz versperrt: gerade das Sein gibt aus seinem Entzug selbst das Haus [. . . ]
”
als das Zu-Denkende auf“ ([Der87] S. 342).
Wenn man mit dem frühen Wittgenstein über das Verhältnis von Sprache
und Welt nicht wörtlich oder metaphorisch sprechen kann,79 muss es sich bei
Putnams Bild mit Derrida um eine Quasi-Metapher handeln. Auch sie beginnt zunächst mit mind“ und world“ beim aus der Lebenswelt vertrauten
”
”
(vgl. oben das Haus“). Doch im Verlauf der Metapher findet eine metapho”
rische Subversion der Dichotomie von Geist und Welt statt. Die Begriffe werden uns unheimlich, indem sie sich jointly“ selbst erzeugen. Entsprechend
”
bemerkt Putnam im Zusammenhang mit der Kausalität:
The causal structure of the world is not physical in the sense
of being built into what we conceive of as physical reality. But
that doens’t mean that it is pasted into physical reality by the
mind. It means, rather that ‘physical reality’ and ‘mind’ are both
abstractions from a world in which things having dispositions,
causing one another, having modal properties, are simply matters
of course. Like all matters of course, causality can be seen as either
the most banal or the most mysterious thing in the world. As is so
often the case, each of these ways of seeing it contains a profound
insight. ([Put84b] S. 95)
Man könnte mit Putnam an dieser Stelle einwenden, dass there is nothing
”
‘indescribable’ in the relation of language to the world“ ([Put78b] S. 111),
denn [a]fter one has learned one’s language one can talk about anything
”
- including the correspondence in question.“ Ähnlich äußert sich Putnam
79
vgl. etwa [Wit84] S. 33
§ 4.121 [. . . ] Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie
ausdrücken.
Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.
131
sehr viel später: Given a definite language in place and a definite scheme of
”
‘objects’, the relation between ‘words and objects’ is not at all indescribable;
but it does not have a single metaphysically privileged description any more
than objects do.“ ([Put94c] S. 309) Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen,
dass es Putnams Ziel ist, uns ein Bild über Sprache und deren Verhältnis zur
Welt im Allgemeinen zu geben und nicht über Referenz aus der Sicht eines
(Meta-)Sprachspiels in place“. Wenn man beispielsweise das Inventar eines
”
Zimmers in zwei verschiedenen Vokabularen beschreibt, dann ist es nicht
so, als one cannot talk about how those vocabularies relate to the familiar
”
objects in the room“. Vielmehr gilt hier, dass one can do that in a variety
”
of ways, depending on what the purpose of the explanation is.“ ([Put94c] S.
309) Putnam liegt mit seiner Metapher jedoch an einer Perspektive jenseits
des unendlichen Regress an Metasprachen.80
4.4
Die Wissenschaft und das Problem der
Referenz
In Putnams Wissenschaftsphilosophie spielt der bei Shapere entnommene
Begriff des trans-theoretischen Terms eine zentrale Rolle.81 Bevor wir später
ausführlicher auf Shaperes kritische Gedanken zu sprechen kommen, sei bereits hier erwähnt, dass er sich etwa in Evolution and Continuity in Scientific
”
Change“ ([Sha89]) kritisch von Putnams Ansatz distanziert. Trans-theoretische
Terme sind solche, die in verschiedenen Theorien dieselbe Referenz haben“
”
([Put73c] S. 28). Wir wollen im Folgenden zeigen, dass sich der Begriff des
trans-theoretischen Terms aus Putnams Prinzip des Vertrauensvorschuss82
ableitet und dazu führt, dass
(i) Begriffe, die nicht genau auf irgend etwas zutreffen, können dennoch
”
auf etwas referieren;
Putnam gibt dabei dem Taufereignis einen hohen Stellenwert: [. . . ] so”
bald festgelegt ist, worauf referiert wird, kann man das Wort verwenden, um
beliebig viele Theorien darüber formulieren.“ ([Put73c] S. 34) Wir wollen
uns noch einmal ein paradigmatisches wissenschaftliches Taufereignis veranschaulichen. In einem theoretischen Rahmen T gibt es eine Gruppe von im
Sinne von T ‘auffälligen’ Effekten/Phänomenen P . Im Zusammenhang mit
den Rahmenprinzipien sind die Forscher motiviert, eine neue Entität X zu
stipulieren, die für die Phänomene aus P verantwortlich gemacht wird. Zusammen mit der Taufe werden der neuen Entität Eigenschaften zugeteilt,
nämlich gerade diejenigen die zur Fixierung der Referenz zu Hilfe genommen
worden sind (also etwa X verursacht P1“, mit P1 ∈ P ). Das Prinzip Ver”
trauensvorschuss behauptet nun, dass dies nicht im Sinne einer Synonymie
geschieht. Vielmehr liegt es in der Intention der Forscher, zukünftige Korrekturen im Sinne der Eigenschaften, die X zugeschrieben werden, zuzulassen.
Damit entspricht es auch der Intention der Taufenden, unter Beibehalt der
Referenz theoretische Veränderungen zuzulassen. So ändert sich etwa beim
Wechsel von Bohrs frühen Modell zum quantentheoretisch geprägten späteren die Referenz des Begriffs Elektron nicht.83
Es kann selbstverständlich vorkommen, dass alle oder nahezu alle der
Phänomene aus P im Laufe der Zeit anderen (abstrakten oder materiellen)
Entitäten zugeteilt werden (in dem Sinne, dass diese dafür verantwortlich gemacht werden). In einem solchen Fall schwindet mehr und mehr die Evidenz
für die Existenz von X und der Begriff wird unter Umständen aufgegeben
(so etwa geschehen mit Phlogiston“).
”
Aus dieser Konzeption speist sich Putnams Kritik an kontextuellen Bedeutungstheorien, wie sie etwa von Carnap, Kuhn und Feyerabend vertreten
werden.84 Putnam kritisiert etwa die Inkommensurabilitätsthese, wie er sie
Kuhn und Feyerabend unterstellt, als zum einen selbstwidersprüchlich85 und
zum anderen als falsch hinsichtlich unserer sprachlichen Intuitionen.86
83
vgl. bzgl. des Metasprachen-Regresses [Put90c] S. 14
vgl. [Put73c] S. 28
82
In Verbindung mit anderen Prinzipien aus Putnams kausaler Theorie der Referenz,
wie die Rolle der Umwelt und die sprachliche Arbeitsteilung. Wie wir jedoch oben gesehen,
werden diese vom Prinzip des Vertrauensvorschuss vorausgesetzt.
vgl. etwa [Put88] S. 41f.
Shapere unterscheidet derer drei, je nach dem, was den Kontext im einzelnen konstituiert: (i) eine Theorie ( That sense of ‘context’ carries with it all the vagueness and
”
ambiguity of the term ‘theory’.“ ([Sha89] S. 420)); (ii) eine spezielle Theorie, etwa mit
Feyerabend eine ‘high-level background theory’; (iii) ein umfassender Ansatz als Theorie,
etwa Quines ‘Netz’ oder Kuhns Paradigmen.
85
I want to say that this thesis [thesis of incommensurability] [. . . ] is a self-refuting
”
thesis.“ ([Put81c] S. 114)
86
Die Auseinandersetzungen um den Begriff der Inkommensurabilität zwischen Putnam, Feyerabend und Kuhn sind sehr vielschichtig und erfordern tiefgreifende Analysen,
die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden können. Paradoxerweise scheinen sie
selbst durch ein hohes Maß an Inkommensurabilität“ geprägt zu sein, so weist etwa je”
der Autor eine andere Konzeption von Begriffen wie Übersetzung“, Interpretation“ und
”
”
132
133
(ii) und Begriffe in verschiedenen Theorien können auf dasselbe referieren.“
([Put73c] S. 28 - Nummerierung von mir eingeführt)
Aussage (i) ist mit dem Prinzip des Vertrauensvorschuss gegeben, während
(ii) aus der Definition der trans-theoretischen Terme folgt. Wir müssen also
aus dem Prinzip des Vertrauensvorschuss (ii) motivieren.
80
81
84
Da mit dem Prinzip des Vertrauensvorschuss vernünftige Modifikatio”
nen“ an den Beschreibungen, die wir einmal eingeführten Entitäten geben,
nicht ausgeschlossen sind, wird Putnam zum einem dem Zug der Wissenschaft
gerecht, gerade darauf ausgerichtet zu sein, herauszufinden, was eine Entität
ist, d.h. u.A. welche Eigenschaften sie hat, was gerade Veränderung der Beschreibungen einschließt,87 denn [w]e do not expect that present-day physics
”
will survive without change; we expect that tomorrow’s theory will have conceptual and empirical disagreements with present-day theory.“ ([Put82b] S.
Inkommensurabilität“ auf, so dass es eine schwierige Aufgabe ist, die Diskussion in ei”
ner (Meta-)Sprache zu formulieren, die die Bedeutungsnuancen geeignet berücksichtigt.
Darüber hinaus ist gerade Kuhns Auffassung einem fließenden Wandel unterworfen. Die
Einschätzung desselben differiert wiederum in der Sekundärliteratur und gegenüber der
Selbsteinschätzung. Putnam gibt etwa einen Überblick in The Craving for Objectivity“
”
im Sinne von drei Stufen: von radikaler Inkommensurabilitätsthese über eine aufgeweichte
Form desselben hin zu [s]omething that is thought to be better than interpretation [. . . ],
”
the structural description of theories.“ ([Put84a] S. 127/128) Es soll an dieser Stelle lediglich ein kurzer Überblick über den Diskurs gegeben werden. Mit Two Conceptions of
”
Rationality“ kritisiert Putnam Kuhn und Feyerabend scharf bzgl. der These der Inkommensurabilität: I want to claim that both of the two most influential philosophies of science
”
of the twentieth century [. . . ] are self-refuting.“ ([Put81c] S. 114) Der Selbstwiderspruch
wird v.a. in methodischer Hinsicht begangen, da [t]o tell us that Galileo had ‘incom”
mensurable’ notions and then to go on to describe them at length is totally incoherent.“
([Put81c] S. 115) Feyerabend antwortet direkt darauf in Putnam on Incommensurability“
”
([Fey87]) und wehrt sich gegen u.A. gegen den Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit: I
”
shall show that while [incommensurability] may have unusual consequences, self refutation
is not one of them.“ (S. 76) Feyerabend betont mit Beispielen aus der Literatur (Ilias) und
aus der Geschichte der Wissenschaft (Galileo), dass Bedeutungsveränderungen Verstehen
und Intelligibilität nicht unterbinden müssen, ganz im Gegenteil [s]peaking a language or
”
explaining a situation, after all, means both following rules and changing them; it is an
almost inextricable web of logical and rhetorical moves.“ (S. 79) Weder müssen für Verstehensprozesse Übersetzung vorausgesetzt werden - es besteht die Möglichkeit eine Sprache
from scratch“ zu erlernen -, noch ist für eine erfolgreiche Übersetzung Synonymie er”
forderlich (Letzterem Punkt stimmt Putnam ohnehin zu ( real synonymy apart from all
”
workable practices of mutual interpretation, has been discarded as a myth.“ ([Put81c] S.
116))). Auch Kuhn stellt sich in verschiedenen Schriften der Kritik von seiten Putnams
und anderen Autoren bzgl. seines Begriffs der Inkommensurabilität, etwa in Commen”
surability, Comparability, Communicability“ ([Kuh83]), Possible Worlds in History of
”
Science“ ([Kuh89]), The Road since Structure“ ([Kuh90b]), sowie Metaphor in Science“
”
”
([Kuh79]). Es würde eine eigene Untersuchung erfordern, festzustellen, wie viel in Kuhns
Argumentation Klarstellung und wie viel Reinterpretation ist. Putnam greift das Thema
der Inkommensurabilität noch einmal auf in The Craving for Objectivity“ ([Put84a]) und
”
macht dabei noch einmal sein PVV stark.
87
Putnam hat jedoch die wissenschaftliche Zielsetzung niemals darauf eingeschränkt,
wie ihm das Shapere vorwirft ([Sha89] S. 425): there is no one ‘aim of science’, no one
”
‘function of scientific theories’“ ([Put65b] S. 257)
134
199) Zum anderen müssen wir, wie Shapere dies formuliert, reject the view
”
that the properties ascribed to kinds of things and substances, whether initially or subsequently, can be treated as the unalterable ‘meanings’ of the
terms we use to refer to those kinds of things and substances, as ‘defining
properties’ of them, in the sense either of a set of necessary and/or sufficient
conditions for applying the term or a set (cluster) of conditions ‘enough’ of
which must be satisfied.“ ([Sha89] S. 423)
Behielten die kontextuellen Bedeutungstheorien recht, so ergäben sich mit
Putnam zentrale Bedrohungen für einen wissenschaftlichen Realismus:
1. Theorien sind nicht vergleichbar bzw. sie werden inkommensurabel;88
2. in diesem Sinne ist es nicht ersichtlich, wie noch von einer Konvergenz
von Wissenschaften, oder von wissenschaftlichem Fortschritt gesprochen werden kann (wenn nicht rein quantitativ);
3. es ergibt sich die Meta-Induktive Gefahr“. Wenn sich mit einer Verände”
rung der Theorie, oder des Paradigmas, jeweils die Referenz von zentralen Begriffen verändert, so kann man daraus induktiv folgern, dass
keiner unserer wissenschaftlichen Begriffe referiert.
Putnam betont, dass für eine Vergleichbarkeit der Theorien gerade nicht eine
Gemeinsamkeit bzgl. der Bedeutungen vorausgesetzt werden muss, sondern
es genügt, dass es ausreichend viele Termini mit derselben Referenz gibt“
”
([Put75d] S. 63). Da PVV gerade ein Verfahren zur Bewahrung von Refe”
renz durch Theoriewechsel hindurch darstellt“ ([Put75d] S. 63), sichert es die
Vergleichbarkeit von selbst radikal verschiedenen Theorien“. Selbst wenn
”
etwa das Wort ‘Pflanze’ is connected today with a quite different body of
”
belief from that a hundred years ago“ ([Put82b] S. 200), so gehen wir doch
von einer gemeinsamen Referenz aus, die, da sie uns über dieselben Dinge
sprechen lässt, eine Vergleichbarkeit des Deutschen heute und des Deutschen
vor etwa 100 Jahren zulässt. Da nun PVV gerade auch für theoretische Termini der Wissenschaft Gültigkeit beansprucht, gilt obiger Zusammenhang
auch für die Vergleichbarkeit von verschiedenen Theorien.89
Mit Vermeidung von (i) ist nun aber auch eine notwendige Bedingung
für die Vermeidung von (ii) und (iii) erfüllt. Um von wissenschaftlichem
88
Für Putnam sind diese Begriffe bzgl. wissenschaftlicher Theorien koextensiv, nicht so
für Kuhn (vgl. [Kuh83] S. 35f.) und Feyerabend (vgl. [Fey87] v.a. S. 81).
89
Putnam hat in seiner Argumentation vor allem eine Vergleichbarkeit in diachroner
Hinsicht im Sinn (Vorgänger und Nachfolgertheorien). Es spricht aber prinzipiell nichts
dagegen, sein Prinzip auch bzgl. der Vergleichbarkeit in synchroner Hinsicht anzuwenden,
etwa dann wenn beide Theorien auf gemeinsame Einführungsereignisse der entsprechenden
Terme zurückblicken können.
135
Fortschritt zu sprechen, muss eine Vergleichbarkeit zumindest im diachronen Sinne, d.h. von Vorgänger zu Nachfolgertheorien, vorliegen. Dies gilt in
einem gewissen Sinn selbst dann, wenn man ein operationalistisches Kriterium anlegt, wie das Leisten von präziseren Vorhersagen,90 indem gewöhlich
Beobachtungsaussagen mit Hilfe von theoretischen Termen geführt werden.
Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass PVV alleine keineswegs eine hinreichende Bedingung für einen wissenschaftlichen Fortschritt
abgibt. Selbst, wenn etwa ein Term X bei Einführung in Theorie T1 mit Eigenschaften P1 = {A, B, C, D} verbunden wird und sich diese in Theorie T2
zu P2 = {A, B, E, F } und schließlich in T3 zu P3 = {A, G, E, F } wandeln,
und PVV garantiert, dass die Referenz von X“ erhalten bleibt, so werden
”
darüber hinaus noch andere Kriterien benötigt, welche die Frage zu beantworten ermöglichen, warum und inwiefern die Zuschreibung von P3 einen
Fortschritt gegenüber der Zuschreibung von P1 oder von P2 darstellt.
Dagegen stellt sich PVV bereits als hinreichende Bedingung zur Vermeidung von (iii) heraus, außer man setzt die Induktion auf Grundlage von
zahlreichen Termen wie Phlogiston“ oder Äther“, die als nullreferentiell
”
”
aus dem wissenschaftlichen Verkehr ausgeschieden sind, radikaler an.91 Es
90
Man könnte versuchen, dies zu umgehen, indem man bspw. eine strikte Dichotomie von Beobachtungs- und theoretischem Vokabular und das Beobachtungsvokabular
als trans-theoretisch ansetzt. In diesem Sinne müsste man keine Vergleichbarkeit bzgl. des
theoretischen Vokabulars von wissenschaftlichen Theorien behaupten, könnte aber entsprechend an einem operationalistischen Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts festhalten.
So sehr Putnam eine strikte Trennung von Beobachtungs- und theoretischen Vokabular
ablehnt, so will er doch an der Begriffsopposition festhalten. Zwar lässt sich mit Craigs
Theorem zeigen, dass, gegeben eine Formalisierung aller Behauptungen in wissenschaftlicher Sprache, so ist etwa die Untertheorie, bestehend aus denjenigen Aussagen die nur
über das Beobachtungsvokabular definiert sind, rekursiv axiomatisierbar. This has led
”
some authors to advance the argument that, since the purpose of science is successful
prediction, theoretical terms are in principle unnecessary.“ ([Put65b] S. 255) In Craig’s
”
Theorem“ ([Put65b]) und What Theories are not“ ([Put62c]) kritisiert Putnam u.A. die
”
operationalistische Voraussetzung obigen Arguments, dass es der Zweck der Wissenschaften wäre, erfolgreiche Voraussagen zu leisten. There is no one aim of science“ und ein Ziel
”
der Wissenschaften ist es gerade to explain [the] behaviour and properties [of theoretical
”
entities] better“ ([Put65b] S. 257). Er versucht dabei die Intelligibilität von theoretischen
Termen nachzuweisen, unter anderem dadurch, indem er versucht aufzuzeigen, inwiefern
deren Gebrauch so tief in der menschlichen Sprache verwurzelt ist, dass [t]here never was
”
a stage of language at which it was impossible to talk about unobservables“ und [t]here
”
is not even a single term of which it is true to say that it could not [. . . ] be used to refer
to unobservables.“ ([Put62c] S. 218)
91
Aber man könnte in diesem Falle dagegen kritisch anmerken, dass es sich dabei eher
um eine hastige Generalisierung handelt, wobei wiederum Induktions-kritische Geister
dies wohl einer jeden Induktion unterstellen würden (wobei es sich wohl wiederum um
eine hastige Generalisierung handeln würde...).
136
sei auch angemerkt, dass obige Induktion nur dann - unter Ablehnung von
PVV - erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn man eine Konvergenz
der Wissenschaften in dem Sinn ansetzt, dass einmal erfolgte Veränderung
von Referenz gleichzeitig die Interpretation des entsprechenden Terms im
Vorgängermodell als leer aufzeigt. Sonst könnte man jeweils behaupten, dass
der Term in einem Vorgängermodell erfolgreich referiert haben mag und
würde die Induktion der Induktionsbasis berauben. Man hat nur jeweils kein
Kriterium zur Verfügung, um zu beurteilen, wann eine erfolgreiche Referenz
erfolgt und wann nicht.92
Putnam versucht mit seiner Wende hin zum Primat der Referenz sozusagen den Spieß hinsichtlich der Vertreter der kontextuellen Bedeutungstheorien umdrehen. Instead of seeig meaning as entities which determine reference,
”
we now are trying to see meanings as largely determined by reference, and
reference as largely determined by causal connections.“ ([Put74a] S. 606)
Die Bewahrung der Referenz wird gewährleistet durch den/die indexikalisch
geprägten Taufereignisse und die kausale Verbindung der Sprecher, die konstituiert ist durch die Sprecherintentionen, jeweils auf die gleiche Entität zu
referieren wie Experten, bzw. wie die Taufenden. Dabei liegt es desweiteren
in der Intention der Taufenden/Namengebenden, eine Variabilität bzgl. der
Beschreibungen zuzulassen. Beschreibungen auf die sie angewiesen waren,
um die Referenz auf die neue Entität festzulegen.
4.4.1
Kritik am Prinzip des Vertrauensvorschuss
Reduction ad absurdum
Wir wollen im Folgenden ein für Putnams Prinzip des Vertrauensvorschuss
PVV problematisches Gedankenexperiment durchführen. Es ist illustriert in
Abbildungen 4.1, 4.2 und 4.3.
Wir nehmen in Analogie zu unserer Einführung des PVV in Abschnitt 2.6
eine Gruppe von Phänomenen/Effekten P an. In Abbildung 4.1 (links) wird
veranschaulicht, inwiefern die Entitäten 1, 2 und 3 sich für unsere Phänomene P verantwortlich zeigen. Diese Ansicht ist sozusagen aus der Sicht Gottes.
Für den schraffierten Bereich ist dabei ein/eine (mehr oder weniger) komplizierte Interaktion/Zusammenspiel der Entitäten verantwortlich.
Wir wollen an dieser Stelle wieder eine Zwillingserde einführen. Diese
92
Diese Referentielle Blindheit kann man auch im Sinne eines blind realism“ (vgl.
”
[Alm92]) ansetzen, der besagt, dass die meisten unserer Theorien wahr sind und erfolgreich
referieren, wir können nur nicht beurteilen, welche (vgl. auch Rescher ([Res02] S. 77),
der in kritischer Auseinandersetzung mit diesem, sowie Putnam seinen myopic realism“
”
verteidigt.)
137
a
1
X
X
2
?
?
X
α
3
Abbildung 4.1: Links: Die Situation aus der Sicht Gottes bzw. der perfekten
Theorie; Rechts: Die Situation wie sie sich nach Einführung des neuen Terms
X“ für beide Gruppen von Wissenschaftlern ergibt.
”
sei wie immer völlig Erde in ihrer Beschaffenheit gleich (in physikalischer,
biologischer und kultureller Hinsicht). Man Stelle sich nun eine Gruppe von
Forschern G1 auf der Erde und eine solche G2 auf der Zwerde vor. Beide Forschergruppe blicken auf dieselbe Geschichte der Wissenschaft zurück, haben
dieselben Forschungsfelder und gehören dementsprechend demselben wissenschaftlichen Paradigma an. Beide Gruppen beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit der Gruppe von Phänomenen P und führen einen neuen Term
X“ ein, der für diese Effekte verantwortlich gemacht wird.93 Dies ist in
”
Abbildung 4.1 (rechts) veranschaulicht.94
Es gibt, wie dies so in der Wissenschaft üblich ist, gewisse problematische
Phänomene, die noch nicht ganz einsichtig gemacht werden können mit Hilfe
der nun angepassten Theorie T1 . Ein genialer junger Forscher Zweistein aus
Gruppe G1 untersucht nun gezielt eine Gruppe dieser und stellt fest, dass
durch Einführung einer neuen Entität α sich die meisten der von ihm betrachten problematischen Phänomene auflösen lassen. In unserer Veranschaulichung ergibt sich damit eine im höchsten Maße befriedigende Erklärung für
die grün hinterlegte Untermenge von P sowie für den oberen Bereich der
blau hinterlegten Untermenge. Es kommt lediglich noch zu kleineren Inkonsistenzen im mittleren Bereich (hervorgehoben durch ein Fragezeichen). Diese
halten sich aber gemessen an der Präzision der Experimentiergeräte auf ei93
Verantwortlich gemacht“ ist ein recht vager Ausdruck. Damit ist nicht unbedingt
”
gemeint, dass X notwendige und hinreichende Bedingung für P ist, sondern dass X evtl.
im Zusammenspiel mit bereits bekannten Entitäten und Prinzipien (entsprechend dem
wissenschaftlichen Paradigma/ der wissenschaftlichen Theorie, in der wir uns befinden)
kausal, oder im Sinne der Interpretation der Gleichungen und Formeln der Theorie (diese
mag evtl. den Begriff der Kausalität abgelegt haben), beteiligt ist.
94
Das Zusammenspiel von X mit anderen bereits bekannten (abstrakten/materiellen)
Entitäten wird dabei nicht illustriert.
138
Abbildung 4.2: Stadium 2. Links: Forschungsgruppe 1; Rechts: Forschungsgruppe 2.
nem Niveau, das nicht zu größerer Beunruhigung beiträgt. Die entsprechende
Theorie sei T2 .
In Gruppe G2 stellt sich ein ähnliches Phänomen ein. Auch hier gibt es
einen jungen genialen Forscher Dreistein, der seine Aufmerksamkeit einer anderen Untergruppe von problematischen Phänomenen widmet. Diese sind in
unserer Illustration im rötlichen Bereich angesiedelt. Auch er stellt fest, dass
mit Einführung einer neuen Entität a sich die meisten der von ihm betrachteten problematischen Phänomene erklären lassen. Damit ergibt sich eine
bzgl. unserer Abbildung im höchsten Maße befriedigende Erklärung für die
rötlich hinterlegten Phänomene. Für Gruppe G2 kommt es nun ebenfalls, gemessen am derzeitigen technischen Stand bzgl. des Experimentierapparatus,
noch zu kleineren Inkonsistenzen im mittleren blau hinterlegten Bereich. Die
entsprechende Theorie sei T3 .
Mit fortschreitender durch den Experimentierapparat gegebenen Präzision kommen beide Gruppen zu tiefergreifenden Einsichten bzgl. der noch
offenstehenden Inkonsistenzen. In beiden Fällen lassen sich diese durch die
Einführung einer jeweis neuen Entität - auf der Erde genannt β“, auf der
”
Zwerde b“ - aufösen, was zu Theorien T4 bzw. T5 führt. Es ergibt sich das
”
in Abbildung 4.3 dargestellte Bild.
Offenbar befinden sich beide Forschergruppen in der glücklichen Situation, dass die Theorien T4 und T5 strukturell mit der in Abbildung 4.1 (links)
illustrierten perfekten Theorie übereinstimmen. Dabei kommt es zu folgenden
Entsprechungen:
• Entität 1 entspricht in der Terminologie von Gruppe G1 der Entität X
und in der Terminologie von Gruppe G2 der Entität a;
• Entität 2 entspricht in der Terminologie von Gruppe G1 der Entität β
und in der Terminologie von Gruppe G2 der Entität b;
139
X
a
β
b
α
X
Abbildung 4.3: Stadium 3. Links: Forschungsgruppe 1; Rechts: Forschungsgruppe 2.
• Entität 3 entspricht in der Terminologie von Gruppe G1 der Entität α
und in der Terminologie von Gruppe G2 der Entität X.
Das führt zu folgendem Problem für Putnams Prinzip des Vertrauensvorschuss: Obwohl beide Forschungsgruppen ausgehend von derselben Ausgangslage auf dieselbe Weise eine neue Entität X (in Stadium I) einführen, bezeichnet X“ in den beiden Gruppen am Ende jeweils eine andere Entität
”
(im absoluten Sinne aus der Sicht Gottes“) - nämlich zum einen 1 und zum
”
anderen 3.
PVV sollte nun aber, so wie es von Putnam eingeführt worden ist, garantieren, dass man in verschiedenen Theorien eine Invarianz der Referenz
erhält, dass sich Nachfolgetheorien jeweils auf dieselben Entitäten beziehen.
So würde sich jeweils nur das Wissen um die Eigenschaften der Entitäten
verfeinern. Was das Gedankenexperiment jedoch veranschaulicht ist, dass
die Frage, auf welche Entität man sich etwa im Stadium I bezieht, von einer kontingenten Entwicklung der darauf folgenden Forschung abhängt. In
der Entwicklung, wie sie von Forschungsgruppe G1 vollzogen wurde, bezieht
sich X schließlich auf 1, im Falle von G2 auf 3. Beide Forschungsgruppen
würden jeweils im Einklang mit PVV für sich behaupten, mehr und mehr
erforscht zu haben, was denn X ist. Doch damit stellt sich der von Putnam so
ungeliebte kontextuelle Faktor hinsichtlich der Referenz und nicht bloß der
Referenz ein.
Warum und worauf vertrauen?
Shapere seinen Finger auf einen wunden Punkt in der Argumentation von
Putnam und versucht diesen mit seiner Konzeption des chain of reasoning“ 95
”
zu lösen.
Generell unterstellt Shapere Putnams Ansatz, keine hinreichende Erklärung
geben zu können bzgl. (i) der Invariabilität der Referenz und (ii) der Vergleichbarkeit von Theorien.
Shapere behauptet, dass in der kausalen Theorie der Referenz, die causal
”
linkage should be taken as confirming common reference“ ([Sha89] S. 425),
wofür aber no explanation is offered“. Das stimmt nur insofern als man
”
übersieht, dass kausale Ketten im Sinne von Kripke und Putnam durch ein
intensionales Kriterium konstituiert sind, das besagt, dass ein neues Glied
nur dann erfolgreich an die Kette anschließt, wenn der Sprecher, der seinen
Wortschatz um einen neuen Term bereichert, intendiert, auf dasselbe zu referieren, wie derjenige von dem er den Term erlernt. Dies hat nun bzgl. der
Wissenschaft insofern erklärenden Charakter, als Putnam behauptet, dass
Wissenschaftler gewöhnlich solche Intensionen in ihrem Sprachgebrauch vorweisen. Für Shapere ist das jedoch zu wenig. Er frägt weiter, warum dem so
ist. Er betont, dass Wissenschaftler sich so verhalten, nur dann, und nur weil
etwa zwei durch verschiedene Theorien konstituierte Gebräuche eines Terminus (etwa in der Vorgänger und der Nachfolgertheorie) durch eine hinreichend
gute Kette an Erklärungen verknüpft sind. Der Verweis auf sprachliche Intension ist mit Shapere nicht genug, er fragt weiter nach dem Grund eben
dieser. For on my view, continuity of reference is established by there being
”
reasons for changing the body of properties ascribed to an entity or type of
entity.“ ([Sha89] S. 427)
Ebenso verhält es sich mit dem Prinzip Vertrauensvorschuss. Es ist ganz
richtig, dass wir Wissenschaftlern einen solchen gewähren, doch aktualisiert
und reaffirmiert kann dieser jeweils nur werden, wenn eine ausreichend gute
Begründung vorliegt. In diesem Sinne ist es zu wenig, sich mit der kausalen
Theorie der Referenz und PVV auf die Intensionen der Sprecher zu berufen,
um gemeinsame Referenz zu sichern, weil dies insofern zu kurz greift, als dass
diese selbst in obigem Sinne erklärungsbedürftig sind und gerade bei einem
explanatorischen Defizit kollabieren können. Insofern kann Shapere behaupten, dass [s]uch assurance of continuity is pure pie in the sky“ ([Sha89] S.
”
425).
Shapere weist noch auf eine andere Schwierigkeit im Ansatz Putnams hin.
So greift eine Beschränkung auf referentielle Aspekte ungeachtet obiger Kritik
Dudley Shapere kritisiert Putnam für dessen Konzeption des von ihm entlehnten Begriffs der trans-theoretischen Terme, da [t]hat is not at all what I
”
had in mind“ ([Sha89] S. 425). Wir wollen im folgenden auf Shaperes Kritik
eingehen, die sich als einerseits zu scharf erweisen wird. Zum anderen setzt
95
[Sha89] S. 427. Shapere spricht auch von einer entire reason-linked series“ ([Sha89]
”
S. 429). Wir gehen aufgrund unserer Themenstellung im Rahmen dieser Arbeit nicht detaillierter oder kritisch auf Shaperes Ansatz ein.
140
141
auch deshalb zu kurz als Erklärung und Garant der Vergleichbarkeit von
Theorien, weil Komparabilität gerade auch dann erreicht werden soll despite
”
the fact, that the central concept in the two theories is different - despite,
that is, this lack of common reference.“ ([Sha89] S. 429), wie es sich etwa
mit anachronistischen Termen wie Phlogiston“ ergibt. Auch hier garantiert
”
nach Shapere ein Begründungskomlex die Kontinuität und Vergleichbarkeit
verschiedener wissenschaftlicher Modelle.96
Wir wollen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das in Abschnitt 4.4.1
angeführte Gedankenexperiment jeweils so angesetzt war, dass bei Übergängen
von Theorie T1 zu T2 /T3 und weiter zu T4 /T5 eine hinreichende Begründung
für die Vorgehensweise durch die Forschungsgruppen geleistet wurde. In diesem Sinne ist auch Shaperes Ansatz derselben Kritik ausgesetzt.
Man könnte versuchen Putnam in zweierlei Hinsicht zu verteidigen. Zum
einen besagt PVV für einen namengebenden Wissenschaftler, dass wir an”
nehmen sollten, er würde vernünftige Modifikationen seiner Beschreibung
akzeptieren.“ (Herv. von mir, [Put75d] S. 56) Die Kriterien für die Vernünftigkeit einer Modifikation werden von Putnam nicht näher erläutert, doch
kann man durchaus davon ausgehen, dass eine hinreichende Begründung im
Sinne Shaperes notwendig dazu beiträgt.
Von Shapere wird desweiteren übergangen, dass Putnam betont, dass
PVV auch ein normatives Prinzip“ ([Put75d] S. 56) ist. Wir sollten“ uns
”
”
so verhalten, gerade weil sonst eine stabile Referenz auf theoretische En”
titäten wohl unmöglich“ wäre. Shapere würde wohl entgegnen, dass sich die
Normativität, auf die sich Putnam beruft, gerade aus der Stringenz der Begründung, die gegeben sein muss, speist und es eben gerade in Fällen in
denen die Begründung nicht zufriedenstellend ist unintelligibel wäre, auf die
normative Struktur zu pochen. In diesem Sinne wäre auch die von Putnam
betonte Normativität für sich genommen explanatorisch defizitär und so wenig befriedigend im Sinne einer philosophischen Erklärung.
4.4.2
PVV und der interne Realismus
Wir wollen an dieser Stelle das PVV und damit verbunden die Invarianz der
Referenz durch verschiedene wissenschaftliche Theorien hindurch im Zusammenhang mit dem internen Realismus diskutieren.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass unser Gedankenexperiment in Abschnitt 4.4.1 in der Perspektive des internen Realismus als metaphysisch rea96
Shapere gibt hier z.B. den Nachweis der Nicht-Existenz einer Entität als Grund an,
oder der Nachweis der erfolgreicheren Modellierung unter Aufgabe dieser Entität evtl.
unter Einführung anderer Prinzipien oder Entitäten (vgl. [Sha89] S. 430).
142
listisch und damit als sinnlos zu beurteilen ist. So setzt es gerade an entscheidender Stelle eine Struktur der Welt voraus, die von unserem begrifflichen
Schema unabhängig ist.
Wie ist es aber im internen Realismus verständlich zu machen, dass der
Begriff Elektron“ in einer von Newtons Physik geprägten Sicht dieselbe Re”
ferenz hat, wie in der Quantenmechanik? Gerade unter Anbetracht der Behauptung, dass wir mit unseren Begriffen die Welt in Gegenstände aufspalten,
dass wir mit unserer Sprache zusammen mit der Welt die Welt hervorbringen. Eine nicht noumenale, geistunabhängige Welt, sondern eine Welt, wie
sie immer nur für uns gegeben ist.
Spaltet in diesem Sinne nicht die Quantenmechanik die Welt in einer fundamental anderen Art auf, als die Physik Newtons? Ist nicht die taxonomische
Struktur des begrifflichen Schemas der Quantenmechanik (QM) grundsätzlich unterschiedlich zu der von Newtons Mechanik (NM), so dass eine durch
die QM geformte Welt sich zu sehr von einer durch NM geformten Welt
unterscheidet, um sinnvoll eine Identität von Entitäten anzunehmen. In derselben Weise hat Putnam für eine Unübersetzbarkeit des Begriffs Objekt“
”
vom Weltbild desjenigen, für den mereologische Summen Objekte sind, zum
Weltbild desjenigen, für den sie eben keine sind, argumentiert. Auf der anderen Seite kann man mit Putnam davon ausgehen, dass Punkt“ im Begriffs”
schema desjenigen der von nulldimensionalen Entitäten ausgeht, auf dasselbe
referiert, wie im Begriffsschema desjenigen, der sie als Limeskonstruktionen
ansetzt. Beide Ansätze sind in der Praxis vollkommen äquivalent“ ([Put92i]
”
S. 260).
Putnam will gerade nicht, wie Goodman oder (zumindest der frühe) Kuhn
davon sprechen, dass verschiedene wissenschaftliche Theorien verschiedene
Welten erforschen. Bohr findet in ein und derselben Welt mehr über Elektronen heraus. Dabei erlaubt ihm das PVV sich unter Veränderung der zugeschriebenen Eigenschaften dennoch auf dasselbe zu beziehen.
An dieser Stelle hätte es der metaphysische Realist leichter, indem er wie
folgt argumentieren würde: Bohr erforscht mehr und mehr die wahre Struktur
der wirklich in der geistunabhängigen Welt existierenden Entitäten, die wir
Elektronen“ nennen.
”
Im internen Realismus97 muss auf den Begriff der noumenalen Welt verzichtet werden, zugunsten eines dynamischen Begriffs der Welt, die sich jeweils mit unserem sprachlichen Zugang ändert. Argumentiert Putnam nun
im Sinne einer Invarianz von Referenz durch verschiedene begriffliche Schemata hindurch, so muss man sich die (invariante) Referenz zentraler wissenschaftlicher Termini als Fixpunkte der entsprechenden Welt(bilder) denken,
97
Genauso im post-Darwinistischen Kantianismus des späten Kuhn
143
unabhängig davon, dass sich die Eigenschaften dieser Entitäten in verschiedenen begrifflichen Schemata ändern. So schreibt Putnam: wir deuten den
”
Begriff Pflanze so, als habe er eine im Zeitverlauf beständige Identität, aber
kein Wesen, und den Begriff Elektron fassen wir ebenfalls so auf, als have er
eine im Zeitverlauf beständige Identität, aber kein Wesen.“ ([Put88] S. 43)
Wäre dem nicht so, dann wäre es nicht möglich, einen vor zweihundert Jah”
ren geschriebenen ganz normalen Brief zu interpretieren.“ Wenn dies aber
unserer Sprachpraxis im Umgangssprachlichen entspricht, warum dann nicht
auch im Wissenschaftlichen?98
Wir wollen zur Veranschaulichung wieder den Hase-Enten-Kopf bemühen99 .
Wenn wir etwa in der Hasen-Version den Begriff Auge“ verwenden, so re”
ferieren wir auf dieselbe Entität, die der Begriff auch in der Enten-Version
aufweist. Dennoch haben Hasen-Augen und Enten-Augen verschiedene Eigenschaften. Dagegen gibt es im Enten-Bild keine Ohren. Vergleiche hierzu
etwa den Begriff der Simultanität, der zwar in der Newtonschen Mechanik
Sinn macht, allerdings in der Relativitätstheorie (in einer absoluten Interpretation) keinen Sinn mehr macht. Interessanterweise taucht der Begriff in der
Quantenmechanik wieder an zentraler Stelle auf.
Die Art und Weise, wie wir mit unseren begrifflichen Schemata die Welt
in Objekte aufspalten, ist in hohem Maße von Koreferentialität geprägt, die
sich jeweils, ganz im Sinne des Primats der Referenz, über Bedeutungsverschiebungen hinweg erhält.
98
Philosophen wie Kuhn würden widersprechen. Dieser betont gerade den cluster“”
Aspekt von theoretischen Termen der Wissenschaft. Sie zusammen mit wissenschaftlichen
Gesetzen und paradigmatischen Experimentiersituationen constitute an interrelated or
”
interdefined set that must be acquired together, as a whole, before any of them can be
used, applied to natural phenomena.“ ([Kuh83] S. 44) So müssen etwa Masse“, Kraft“
”
”
und Newtons zweites Gesetz zusammen erlernt werden. Gesetze sind so to speak, built
”
into the lexicon“ ([Kuh89] S. 71) und gerade weil das zweite Newtonsche Gesetz keine
Anwendung in der Relativitätstheorie findet, können Kraft und Masse nicht dorthin übersetzt werden. Kuhn betont für die erfolgreiche Übersetzung neben der Koreferentialität
der Terme auch eine Übereinstimmung der lexikalischen Struktur. [D]ifferent languages
”
impose different structures on the world. [. . . ] where the structure is different, the world
is different“ ([Kuh83] S. 52) Mit Frege könnte man behaupten, dass Putnam mehr auf die
Bedeutung und Kuhn mehr auf den Sinn fokusiert. Dennoch kommt es zu überraschenden
Parallelen zwischen den beiden Denkern. So verabschiedet auch Kuhn den metaphysischen
Realismus. But the metaphor of mind-independent world [. . . ] prooves to be deeply mis”
leading.“ ([Kuh90b] S. 103) Ebenso gilt für die Korrespondenztheorie der Wahrheit, dass
sie whether in an absolute or probabilistic form [. . . ] must vanish together with foun”
dationalism.“ ([Kuh90b] S. 95) Auch Kuhn steht in der Tradition der kopernikanischen
Wende, denn like the Kantian categories, the lexicon supplies preconditions of possible
”
experience. But lexical categories, unlike their Kantian forebears, can and do change“
([Kuh90b] S. 104) Auch hier gilt, dass wenn auch the so-called facts proved never to be
”
mere facts, independent of existing belief and theory“ ([Kuh92] S. 108), so gilt trotzdem,
dass the world is not invented or constructed“ und wir finden the world already in place
”
”
[. . . ] entirely solid“ ([Kuh90b] S. 101).
99
vgl. Abschnitt 4.3.5
144
145
zars Rayuela abschließen, mit dem sich sowohl Putnam, Goodman als auch
Kuhn identifizieren dürften:
Kapitel 5
Sagen wir, die Welt ist eine Figur, man muss sie lesen. Mit Lesen
meinen wir, sie erzeugen.
Ausblick
Cortazar, Rayuela (S. 438, Suhrkamp 1987)
Wir wollen an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, auf diverse Untersuchungsfelder hinzuweisen, die im Rahmen dieser Arbeit keinen Platz finden
konnten, die aber direkt an die vorliegenden Resultate anknüpfen.
Putnam ist neben Goodman und Kuhn ein bedeutender Vertreter von
Spielarten des, wie ich ihn genannt habe, kopernikanischen Realismus. Wir
haben Goodman lediglich aus der Perspektive Putnams porträtiert und seine teilweise scharfe Kritik dargestellt. Dies war etwas unfair. Die Parallelen
und Unterschiede der beiden Denkansätze gerade bezüglich der Referenz, der
Bedeutung und allgemeiner des Verhältnisses von Sprache und Welt(en) ist
ein außerordentlich vielversprechendes und herausforderndes Themengebiet.
Sehr viele der hier gewonnenen Resultate könnte dort gewinnbringend einfließen.
Dasselbe gilt entsprechend für Kuhn - nicht nur mit dem Streitpunkt
Inkommensurabilität eröffnet sich ein breites Gebiet, sondern auch gerade
in einer komparativen Studie von Putnams internen Realismus und Kuhns
Post-Darwinischen Kantianismus, wie sie bereits in Fußnote 98 angeklungen
ist.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass sich mit der Entwicklung Putnams hin zum direkten Realismus eine Wende hin zum Primat der Wahrnehmung vollzogen hat. Wir konnten hier leider nicht mehr darauf eingehen, was
dies für die Begriffe der Referenz und der Bedeutungen nach sich zieht.
Der Einfluss des überwiegend späten Wittgensteins ist über das Werk
Putnams stetig angewachsen. An verschiedenen Stellen dieser Arbeit wurde dies betont. Eine systematische Ausarbeitung desselben konnte natürlich
in diesem Rahmen nicht geleistet werden, obgleich sie eine gute Grundlage
dafür bereitstellt.
Wir wollen die Untersuchung an dieser Stelle mit einem Zitat aus Corta146
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