Es geht um nukleare Mittelstreckensysteme: USA kündigen Abrüstungsvertrag

Ein russischer Offizier geht an einem neuen Marschflugkörper vom Typ 9M729 entlang, im Hintergrund ist die Startvorrichtung

Ein russischer Offizier geht an einem neuen Marschflugkörper vom Typ 9M729 entlang, im Hintergrund ist die Startvorrichtung

Foto: Pavel Golovkin / dpa

US-Regierung kündigt historischen Abrüstungsvertrag mit Russland auf! Die USA steigen aus dem INF-Vertrag mit Russland zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen aus. Das gab das Weiße Haus am Freitag in Washington bekannt und betonte, dies werde in sechs Monaten in Kraft treten.

Schon am Donnerstag informierten die Vereinigten Staaten die Verbündeten in der Nato über ihr Vorhaben. Im Militärbündnis wurde geplant, die US-Entscheidung nach der Bekanntgabe so schnell wie möglich mit einer Erklärung zu unterstützen. ▶︎ Grund für die geplante Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA sind neue russische Marschflugkörper mit der Bezeichnung 9M729 (Nato-Code: SSC-8). Sie stellen nach Auffassung Amerikas einen eindeutigen Bruch des Abkommens dar.

Atomares Wettrüsten trotz Abrüstungsvertrag 2000 bis 2018

Washington hatte Moskau zuletzt ein Ultimatum von 60 Tagen gesetzt, um die Zerstörung der neuen Marschflugkörper zuzusagen. Dieses läuft eigentlich erst am Samstag aus. Russland hatte allerdings bereits in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass es die US-Vorwürfe für haltlos erachtet und nicht daran denkt, seine Marschflugkörper zu vernichten. In einem auf Twitter verbreiteten Video warf die amerikanische Nato-Botschafterin Kay Bailey Hutchison Russland vor, dass es sich „konsequent“ weigere, die Verstöße gegen das Abkommen einzugestehen und weiter Desinformation über seinen Marschflugkörper verbreite. „Alle Nato-Partner sind sich einig, dass Russlands Vorgehen ein wesentlicher Verstoß gegen das Abkommen ist und dass die USA den Vertrag respektieren“, sagte sie. Russland habe einen Flugkörper entwickelt, der „gegen das Herz des Abkommens“ verstößt. Moskau habe nun die Wahl: „Entweder behält es sein nicht-konformes Raketensystem, oder es bleibt im INF-Abkommen, aber es kann nicht beides haben.“

Kay Bailey Hutchison mit dem stellvertretenden Verteidungsminister Patrick Shanahan

Kay Bailey Hutchison mit dem stellvertretenden Verteidungsminister Patrick Shanahan

Foto: Alex Brandon / AP Photo / dpa

Nach russischen Angaben haben die 9M729 eine Reichweite von maximal 480 Kilometern. Die USA gehen hingegen von mindestens 2600 Kilometern aus. Damit könnten die Marschflugkörper nahezu alle Hauptstädte in Europa treffen. Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) war 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen worden. Er verpflichtet beide Seiten zum Verzicht auf landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern. Zugleich untersagt er auch die Produktion und Tests solcher Systeme.

Für Europa wäre das Aus für den INF-Vertrag hochbrisant, weil es in Folge aller Voraussicht nach eine Diskussion über eine mögliche atomare Aufrüstung in Europa geben dürfte. Nach Auffassung von Militärs ließen sich nämlich nur so langfristig ein strategisches Gleichgewicht und Abschreckung sichern. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Freitag im ZDF-„heute journal“, es sei nicht vorgesehen, als Reaktion auf den umstrittenen russischen Marschflugkörper 9M729 neue bodengestützte Atomwaffen in Europa zu stationieren. Die Nato habe viele andere mögliche Optionen, die man nun anschaue, um angemessen zu reagieren.

Die Raketen, um die es im Streit mit Russland geht, seien „schwerer aufzufinden, sind mobil, können europäische Städte erreichen, haben nukleare Fähigkeiten und die Vorwarnzeit wird reduziert“, sagte Stoltenberg. Russland verletze damit den INF-Vertrag, darin seien sich die Nato-Mitgliedsstaaten einig. Aber das Bündnis sei bereit, mit Russland weiter zu verhandeln. Es seien noch sechs Monate Zeit, um den INF-Vertrag zu retten. In dem Abkommen ist nämlich eine Kündigungsfrist von sechs Monaten vorgesehen. Dass Russland in der Auseinandersetzung doch noch einlenkt, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Zudem wird auch den USA von Kritikern unterstellt, kein besonders großes Interesse an dem INF-Vertrag in seiner derzeitigen Form zu haben. Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. Letzteres soll mittlerweile über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden. Wie schnell die Amerikaner ein neues Mittelstreckensystem entwickeln und stationieren könnten, wird öffentlich nicht gesagt. Die Pläne für die Ankündigung an diesem Freitag lassen aber durchaus erkennen, dass man sich nicht allzu viel Zeit lassen will. Nach dpa-Informationen wollen die USA ankündigen, sich ab sofort nicht mehr an den Vertrag gebunden zu fühlen. Die sechs Monate Kündigungsfrist wären demnach nur eine Art allerletztes Ultimatum an Russland. Außenminister Heiko Maas rief unterdessen zu einer neuen weltweiten Abrüstungsinitiative auf. „Das Thema Abrüstung muss wieder auf die internationale Tagesordnung. Das gilt nicht nur für die USA und Russland, auch Länder wie China müssen einbezogen werden“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“.

In den letzten Jahrzehnten seien viele neue Waffensysteme entwickelt worden. Die Bundesregierung werde sich dafür einsetzen, dass es neue Regeln für die neuen Technologien gebe.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.