Parlament

Gemeinsamer Ausschuss

Ein Ausschusssaal im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages.

(picture alliance / AP Photo)

Im Gefüge des Grundgesetzes nimmt der Gemeinsame Ausschuss eine Sonderstellung ein. Kein anderer Abschnitt des Grundgesetzes umfasst nur einen Artikel, wie das bei den Regelungen für den Gemeinsamen Ausschuss in Artikel 53a der Fall ist. Im politischen Alltag führt dieses Verfassungsorgan jedoch ein Schattendasein – glücklicherweise. Denn aktiv wird der Gemeinsame Ausschuss als „Notparlament“ für den Fall, dass eine Entscheidung über Krieg oder Frieden zu treffen ist. Auch muss sich die Lage bereits derart zugespitzt haben, dass der eigentliche Verfahrensweg zur Feststellung des Verteidigungsfalls durch Bundestag und Bundesrat versperrt ist (Art. 115a Abs. 2). Eine solche Kriseneskalation ist der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung erspart geblieben.

Die Schaffung des Gemeinsamen Ausschusses ist ein Beispiel dafür, wie die Verfassungsordnung im Laufe der Jahrzehnte politischen und gesellschaftlichen Veränderungen angepasst wurde. Das Grundgesetz in der Fassung von 1949 enthielt keine Regelungen für den Fall einer militärischen Bedrohung. Grund dafür waren die Vorbehaltsrechte, die die Westalliierten sich in Sicherheitsfragen nach dem Besatzungsstatut ausbedungen hatten. Auch war man im Parlamentarischen Rat aufgrund der negativen historischen Erfahrungen wenig geneigt, Notstandsartikel ins Grundgesetz aufzunehmen. 

Vorkehrungen für den Krisenfall

In der Weimarer Republik hatte das umfassende Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach 1930 zu einer kompletten Verlagerung der Rechtssetzung auf die Exekutive geführt und damit der späteren Beseitigung der Grundrechte und der Zerstörung der Republik unter dem Nationalsozialismus maßgeblich den Weg geebnet. Gerade diese Erfahrungen waren andererseits aber auch Ermahnung, wie wichtig institutionelle Vorkehrungen für den Krisenfall sind. Sonst besteht die Gefahr, dass in der Stunde der Not auf ein ungeschriebenes, missbrauchsanfälliges Staatsnotrecht zurückgegriffen wird.

Diese Überlegungen rückten verstärkt in die politische Debatte, nachdem die Bundesrepublik 1955 mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrages weitgehend Souveränität wiedererlangte. Allerdings waren „Notstandsreserven“ der drei Westalliierten zum Schutz ihrer in Deutschland stationierten Truppen verblieben. Wollte die Bundesrepublik im Krisenfall ein Eingreifen der Alliierten vermeiden, musste sie selbst gesetzliche Vorkehrungen für den Notstand treffen. Dies geschah durch die so genannte Notstandsverfassung von 1968. Sie trifft Regelungen zum äußeren Notstand, also beim Einsatz von Waffengewalt gegen die Bundesrepublik von außen, aber auch für den inneren Notstand durch Bürgerkrieg oder im Katastrophenfall.

Baustein der Notstandsarchitektur

Der Gemeinsame Ausschuss ist ein Baustein der umfassenden Notstandsarchitektur, um die das Grundgesetz damals ergänzt wurde; insgesamt wurden 25 Artikel geändert. Die Gesetzgebungsarbeiten waren geprägt durch jahrelange erbitterte Auseinandersetzungen in der deutschen Politik und Öffentlichkeit. Auf zahlreichen Protestveranstaltungen und Demonstrationen, die teilweise in heftige Wellen der Gewalt umschlugen, wurde die Sorge geäußert, dass die freiheitlich-demokratische Entwicklung der Bundesrepublik durch die Notstandsgesetze Schaden nehmen werde. Der Schriftsteller Heinrich Böll sprach für viele, als er vor der Gefahr einer „fast totalen Mobilmachung“ warnte.

Nicht zuletzt wegen des heftigen Widerstands in Teilen der Bevölkerung zog sich die parlamentarische Debatte über die Notstandsverfassung über drei Wahlperioden hin. In dem Gesetzentwurf der CDU/CSU geführten Bundesregierung von 1960 war der Notstand noch als „Stunde der Exekutive“ konzipiert, worauf die SPD und die Gewerkschaften mit heftiger Kritik reagierten, da sie befürchteten, so werde der Weg in einen autoritären Machtstaat geebnet.

„Parlamentarisierung des Verteidigungsfalls“

Daraufhin wurde die Stoßrichtung der Notstandsgesetzgebung Schritt für Schritt geändert. Statt die Handlungsfähigkeit der Regierung im Krisenfall durch die Einschränkung parlamentarisch-demokratischer Rechte zu sichern, zielten die späteren Entwürfe darauf, auch im Notstandsfall die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems und die Einhaltung der Grundrechte zu sichern. Die Idee eines Notverordnungsrechts der Bundesregierung wurde fallengelassen, und als Kompensation für staatliche Notstandsrechte fand das Widerstandsrecht Eingang ins Grundgesetz (Art. 20 Abs. 4). Danach haben alle Deutschen bei Umsturzversuchen „das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.

Heftige Diskussionen gab es über die angemessene Sicherung der Gewaltenteilung im Falle eines Notstands. Schließlich wurde die Idee eines „Notstandsausschusses“ entwickelt, der sich aus Mitgliedern des Bundestages und aus Ländervertretern zusammensetzen sollte. Die Schaffung des Gemeinsamen Ausschusses markiert damit die „Parlamentarisierung des Verteidigungsfalls“ im Laufe der Beratungen über die Notstandsgesetze. Entgegen ursprünglichen Erwägungen, ist der Gemeinsame Ausschuss jedoch nicht paritätisch besetzt, sondern zwei Drittel seiner Mitglieder sind Abgeordnete des Bundestages und ein Drittel Mitglieder des Bundesrates (Art. 53a Abs. 1 Satz 1). So wollte man hervorheben, dass auch das Notparlament den Charakter einer unmittelbar demokratisch legitimierten Volksvertretung hat. 

Rudimentäre Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung

In Friedenszeiten beschränkt sich die Aufgabe des Gemeinsamen Ausschusses darauf, rudimentäre Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung mit Blick auf Pläne für die militärische und zivile Verteidigung wahrzunehmen (Art. 53a Abs. 2). Dies geschieht, damit der Gemeinsame Ausschuss für den Verteidigungsfall vorbereitet ist. Über die Notwendigkeit im Krisenfall an die Stelle von Bundestag und Bundesrat zu rücken und damit die Gesetzgebung und gegebenenfalls auch die Wahl des Bundeskanzlers zu übernehmen, entscheidet der Gemeinsame Ausschuss selbst.

Kritisch wird dazu angemerkt, der Ausschuss begründe „aus eigener Machtvollkommenheit seine Notzuständigkeit“. Letztlich liegt darin jedoch die konsequente Fortsetzung des Bestrebens, dass Entscheidungen auch unter Notstandsbedingungen durch eine parlamentarische Körperschaft kontrolliert und verantwortet werden. Im Übrigen lassen die Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses das Selbstversammlungsrecht von Bundestag und Bundesrat unberührt. Auch muss der Gemeinsame Ausschuss zu Beginn jeder Sitzung neu feststellen, ob die Voraussetzungen für sein Tätigwerden noch vorliegen. 

Nicht ausdrücklich geregelt ist im Grundgesetz der Fall, dass die Lage so zugespitzt ist, dass auch der Gemeinsame Ausschuss nicht zusammentreten kann. Zum Teil wird vorgeschlagen, für diesen Extremfall sei eine gesetzgeberische Notkompetenz der Bundesregierung anzuerkennen. Allerdings wollte man bei den Gesetzesberatungen exekutive Rechtssetzungsbefugnisse gerade verhindern. Deshalb wird teilweise vertreten, wenn selbst der Gemeinsame Ausschuss handlungsunfähig sei, dann könnten für diese Zeit nun einmal keine Gesetze erlassen werden. (gel/01.05.2019) 

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Artikel

Kapitel

Präambel

1 - 19

Die Grundrechte

20 - 37

Der Bund und die Länder

38 - 49

Der Bundestag

50 - 53

Der Bundesrat

53a

Gemeinsamer Ausschuss

54 - 61

Der Bundespräsident

62 - 69

Die Bundesregierung

70 - 82

Die Gesetzgebung des Bundes

83 - 91

Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung

91a - e

Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit

92 - 104

Die Rechtsprechung

104a - 115

Das Finanzwesen

115a - l

Verteidigungsfall

116 - 146

Übergangs- und Schlussbestimmungen

Marginalspalte