Pfarrer Gerald Gump hat zu Weihnachten einen Marathon an Gottesdiensten vor sich. Und er freut sich aufrichtig darauf.
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Der Terminkalender von Pfarrer Gerald Gump ist dicht. Die Adventzeit ist in den Pfarren extrem fordernd. Gump leitet in Wien die Pfarre zur Frohen Botschaft, die vier Kirchen umfasst. Der Pfarrer ist für seine fortschrittliche, auch kämpferische Haltung bekannt. Seine Stammkirchen sind die St.-Elisabeth-Kirche in Wieden sowie die St.-Florian-Kirche in Margareten. Gump empfängt uns im Pfarrhaus am Sankt-Elisabeth-Platz.

STANDARD: Weihnachten steht vor der Tür. Ist das für Sie nur eine Zeit der Freude, oder ist das als Pfarrer mit viel Stress verbunden?

Gump: Für mich ist das ein Fest der Freude. Die Idee, dass das eine besinnliche Zeit sein könnte, habe ich längst aufgegeben. Die Zeit vor Weihnachten ist für mich eine der dichtesten Zeiten im Jahr. Da gibt es viele Termine, Gespräche und Anforderungen, und das passt für mich auch. Ich habe in der Bibel auch nichts davon gelesen, dass die Vorbereitung sehr besinnlich sein sollte. In der Bibel ist vom Wachwerden die Rede und dass man sich der Wirklichkeit stellt und aktiv wird. Davon rede ich viel in der Adventzeit. Besinnlich ist diese Zeit für mich nicht.

STANDARD: Wie schaut es am 24. Dezember aus? Ist das der Gipfel des Weihnachtsstresses?

Gump: Nein, gar nicht. Der Stress bricht unmittelbar vorher ab, mit Freitag ist eigentlich alles vorbei. Dann kommen nur noch die Gottesdienste, aber auf die sind wir ja gut vorbereitet. Danach gehen wir feiern oder plaudern.

"Die Letzten gehen um drei oder vier schlafen, da gehöre ich dazu."

STANDARD: Also der 24. ist bei Ihnen tatsächlich ein ruhiger Tag?

Gump: Es ist ein Tag, an dem sich viel tut, bis spät in die Nacht hinein. Aber ich sitze am 24. sicher nicht am Schreibtisch, da gehe ich feiern oder schlafen. Es beginnt am Sonntag um sechs in der Früh, wir haben uns eingebildet, eine Rorate zu machen, vormittags ist dann normal Gottesdienst vom 4. Adventsonntag mit Herbergssuche. Am Nachmittag gibt es die Krippenandacht, das ist ein Gottesdienst, der in ganz Österreich wohl der größte ist, da sind alle Kirchen voll. Dann folgt für mich einer unserer Pop-up-Gottesdienste: kurze Feiern in Parks und auf Plätzen. Am Abend gibt's bei uns im Pfarrhaus eine Feier, das ist für die, die gerne gemeinsam feiern, aber alleine sind. Jeder bringt was mit, eine Dose Kekse, einen Gedanken, eine Geschichte oder was auch immer. Um 22.30 Uhr gibt's noch die Mette, um 24 Uhr die nächste. Die Letzten gehen um drei oder vier schlafen, da gehöre ich dazu. Dicht, aber schön, der Tag.

STANDARD: Wie stehen Sie das durch? Das geht ja fast rund um die Uhr.

Gump: Das ist jetzt nicht dienstlich, aber zu Mittag gibt es meine heilige Stunde: Da lege ich mich hin. Mindestens eine Stunde. Um drei in der Früh können wir gerne einen Termin machen. Aber mittags um halb zwei, da hätte ich ein Problem damit.

STANDARD: Bekommen Sie auch Geschenke?

Gump: Ja. Ich sage mal, zu 50 Prozent sind das Flaschen, Kerzen und Bücher. Es gibt alle Formen der Zuwendung. Auch Socken.

Standard: Wenn alles vorbei ist, sind Sie nicht einsam hier im Pfarrhaus?

Gump: Nein. Selbst gehe ich am 25. zu meiner Herkunftsfamilie feiern – ur schön mit all den Kindern. Es wohnen auch Flüchtlingsfamilien hier bei uns im Pfarrhaus, ein Pfarrvikar und die ehemalige und die neue Mesnerin. Mit den Priestern haben wir uns bewusst auf die vier Pfarrgemeinden aufgeteilt, damit überall jemand da ist.

Gemeinsam mit anderen Priestern hat Gump die Pfarrerinitiative gegründet und einen Aufruf zum Ungehorsam gegen die Amtskirche in Rom gestartet. Die Forderungen sind längst noch nicht alle umgesetzt.
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STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass bei den Menschen, die zu Weihnachten zu Ihnen kommen, eine Art Besinnung stattfindet?

Gump: Das ist die Zeit, wo am stärksten die Sehnsucht aufbricht, innezuhalten und etwas an Spiritualität zu erleben. Leider gibt es in vielen Familien, die nicht so gut aufgestellt sind, eine Diskrepanz zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit. Diese Diskrepanz wird als besonders drückend erlebt. Weihnachten sollte schön sein, besinnlich, wunderbar. Ist es in Wirklichkeit aber nicht, weil es den alltäglichen Konflikt in der Partnerschaft gibt, der gerade jetzt ausbricht. Man kann auch in der Familie sehr alleine sein. Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen, den Klischees, dem, was man angeblich früher erlebt hat und der jetzt erlebten Wirklichkeit kann sehr schmerzhaft sein.

STANDARD: Müssen Sie gerade zu Weihnachten auch als Seelsorger in Krisen einspringen?

Gump: Ja, das kommt vor. Die Hotlines, die kirchlichen und die nichtkirchlichen, laufen in diesen Nächten tatsächlich heiß.

STANDARD: Nehmen Sie die Polarisierung in der Gesellschaft wahr? In den Onlinemedien und verstärkt durch den Krieg im Nahen Osten prallen die Positionen unerbittlich aufeinander.

Gump: Ich nehme das ganz stark wahr, ja. Es wird vehement polarisiert und vereinfacht. Das gibt's im Großen, in der politischen Diskussion, da geht's um Wählerstimmen, aber das gibt es auch im privaten Bereich und sogar im kirchlichen Bereich, wo die vereinfachten, verdummten Antworten im Moment gerade reüssieren. Das finde ich traurig. Und natürlich auch da: Entweder ist man für Israel oder für Palästina. Aber die Wirklichkeit setzt sich nicht nur aus einem Gut und Böse zusammen. Umso komplizierter die Welt ist, desto einfachere Antworten werden eingefordert – bis hin zum starken Mann, der alle anderen fertigmacht. Das ist hochbrisant. Das werden wir, so fürchte ich, nächstes Jahr in den USA sehen. Aber auch in Österreich.

STANDARD: Wie sehen Sie die Flüchtlingssituation?

Gump: Es geht nicht, dass alle Menschen, die zu uns kommen wollen, auch zu uns kommen können, das weiß ich. Aber die Leute kommen auch deshalb, weil auf der anderen Seite der Welt Umwelt- und Hungersituationen deshalb entstehen, weil wir so gut leben. Und das wird noch massiver werden. Nur zu sagen, die dürfen nicht kommen, wird nicht gehen. Mauern dichtmachen mag Stimmen bringen, ist aber dumm.

Auch der Pfarrer bekommt zu Weihnachten Geschenke: Flaschen, Kerzen und Bücher, aber auch Socken, wie Gump im Pfarrhaus erzählt.
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STANDARD: Sie waren Teil der Pfarrerinitiative, die den Aufstand gegen Rom geprobt hat. Was ist daraus geworden?

Gump: Die Initiative gibt es nach wie vor, sie steht nur nicht mehr so im Fokus der Medien. Das Thema Frauen hat kirchlich heute nicht mehr so die Brisanz wie früher. Als wir vor fast 20 Jahren die Initiative gegründet haben, war unser Eintreten für Frauenweihe noch schmuddelig. Heute könnte ich Ihnen fünf Kardinäle aufzählen, die das so sehen wie wir. Es hat sich in der Kirche vieles geändert, auch wenn man es nicht so wahrnimmt.

STANDARD: Aber es gibt nach wie vor keine Priesterinnen oder Pfarrerinnen.

Gump: Das stimmt – leider. Da muss sich noch einiges ändern. Bei vielen Punkten haben wir sogar unseren Kardinal auf unserer Seite. Aber ja, unsere Themen sind noch nicht erledigt. Die Zulassungsbestimmungen für das Priesteramt gehören geändert. Das betrifft das verpflichtende Zölibat, aber auch den Umstand, dass nur Männer zugelassen sind. Das ist für mich eine Ungerechtigkeit, die ich heute nicht mehr rechtfertigen kann. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit nicht nur mitschwimmt, sondern Wortführerin wird. Ich weiß, in manchen Ländern des Südens passt das kulturell noch nicht, aber Jesus hat kulturell auch nicht immer gepasst. Ich würde mir vom Papst wünschen, dass er den Prozess aktiver in diese Richtung steuert.

"Natürlich werden schwule Paare gesegnet und gefeiert, und das mitten in der Gemeinde."

STANDARD: Sie segnen auch homosexuelle Paare, das entspricht auch nicht den Vorgaben der Amtskirche.

Gump: Das war vor 20 Jahren eine Riesenaufregung, heute ist es das nicht mehr – selbst Bischöfe bekennen sich dazu. Vor zwei Jahren gab es von Rom so ein schwindliges Dokument, das Homosexuelle ausgeschlossen hat, das war wirklich grauslich, weil es viele Menschen vor den Kopf stößt. Aber es hatte auch einen positiven Effekt: Es gab schnell viele Solidarisierungen, auch aus dem Kern des Kirchenbereichs, bis hin zu meinem Bischof, Kardinal Schönborn. Da hat sich im kirchlichen Bereich schon vieles verändert. Natürlich werden schwule Paare gesegnet und gefeiert, und das mitten in der Gemeinde. Es gibt aber auch Pfarrer, die Ihnen sagen werden, das ist eine Todsünde und Sie kommen in die Hölle. Es gibt Kollegen, die das völlig ablehnen. Dort muss man ja nicht hingehen.

STANDARD: Wie geht es mit der Kirche in Österreich weiter?

Gump: Ich nehme an, dass der Wiener Erzbischof in etwa einem Jahr in Pension geht. Schauen wir mal, wer danach kommt, ob er auch ehrlich versucht, wirklich an den Menschen dran zu sein und die Botschaft Jesu dorthin zu tragen. Es gab auch immer wieder Bischofsbesetzungen, die ein Rückschritt waren. Ich hoffe sehr auf eine gute Besetzung.

STANDARD: Und Sie interessiert die kirchliche Karriereleiter gar nicht?

Gump: Ich bin aus Überzeugung und Leidenschaft Pfarrer. Wenn schon Bischof, dann nur von Rom. Sonst bleibe ich lieber Pfarrer – es ist für mich der schönste Beruf der Welt. (Michael Völker, 17.12.2023)