Wollte die Meinungsfreiheit revolutionieren, jetzt lässt er über Account-Sperren von Journalisten abstimmen: Twitter-Chef Elon Musk.

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In der Nacht auf Freitag hat Twitter-Chef Elon Musk offensichtlich mehrere prominente Journalisten sperren lassen. Deren "Vergehen": Sie hatten über eine andere Sperre eines bekannten Twitter-Accounts berichtet – und zwar jenes, der seit Jahren Informationen zum aktuellen Aufenthaltsort von Elon Musks Privatjet vermeldet. Dabei hatten die betroffenen Journalisten auch Links auf andere Social-Media-Seiten wie Facebook und Mastodon gesetzt, wo der "Elonjet" genannte Account noch immer aktiv ist.

Über seinen privaten Account schrieb Musk wenig später: "Sie können mich den ganzen Tag lang kritisieren, das ist okay. Aber Doxxing und Echtzeitinfos zu meinem Aufenthaltsort und damit meine Familie gefährden, das ist nicht okay." Unter Doxxing versteht man das gezielte Zusammentragen und Veröffentlichen von privaten Informationen über eine Person ohne deren Zustimmung.

Zweifelhafte Entscheidung

Ob die Flugdaten des Privatjets von Musk in diese Kategorie fallen, ist allerdings umstritten. Immerhin sind Informationen zu Flügen prinzpiell öffentlich einsehbar. Musk nutzt zwar für seinen Flieger einen Anonymisierungsdienst namens Privacy ICAO Adress, dieser bietet aber in der Realität wenig Schutz. Mit relativ einfachen Mitteln, ist es möglich, herauszfinden, welches Flugzeug hinter der anonymisierten Flugnummer steckt.

Unter den Betroffenen befinden sich Mitarbeiter der "New York Times", der "Washington Post", von "Mashable" und "The Intercept". Nach der Sperre ließ Musk in gewohnter Manier darüber abstimmen, ob "jene Konten, die seinen exakten Standort gedoxxt haben", wieder entsperrt werden oder doch blockiert bleiben sollen. Als bei dieser Umfrage trotz der suggestiv gestalteten Fragestellung "sofort entsperren" gewann, kam Musk zu dem Schluss, dass er zu viele Optionen angeboten hatte, und startete die Umfrage neu. Aktuell liegt aber auch in dieser Umfrage wieder der Rückzug der Sperre vorne.

CNN fordert Erklärung von Twitter

"Die plötzliche und ungerechtfertigte Sperrung von Journalisten, inklusive Donie O'Sullivan von CNN, ist besorgniserregend – aber nicht überraschend", erklärte der Fernsehsender. "Twitters zunehmende Instabilität und Volatilität sollte große Bedenken bei jedem auslösen, der die Plattform nutzt." CNN fordere eine Erklärung von Twitter und mache davon die Reaktion auf den Vorfall abhängig.

Die EU droht Twitter

Doch nicht nur die betroffenen Medien zeigen sich verärgert. Auch aus der Politik werden nun zunehmend offensivere Stimmen laut. So spricht EU-Kommissionsvize Vera Jourová in einer kurzen Reaktion wörtlich von "roten Linien", die hier überschritten wurden. Die Sperre von missliebigen Journalisten sei ein klarer Verstoß gegen den Digital Services Act der EU, Musk müsse sich klar sein, dass das Konsequenzen haben werde – und zwar bald.

Musk war ursprünglich mit dem Versprechen absoluter Meinungsfreiheit zur Twitter-Übernahme angetreten. In den vergangenen Wochen hat sich die Auslegung dieses Begriffs aber als eher einseitig herausgestellt. Während etwa mehrere Konten von antifaschistischen Aktivisten gesperrt wurden, durften sogar offene Neonazis, die sich derzeit auf der Flucht vor den Behörden befinden, nach jahrelanger Sperre auf die Plattform zurückkehren – nur um dort dann umgehend antisemitische Hetze zu verbreiten.

Reaktion

Die prompte Kritik an den aktuellen Sperren wollte Musk nun aber nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Also schaltete er sich in eine Live-Audio-Diskussion zu diesem Thema auf Twitter Spaces ein. Dort versuchte er die Entscheidung mit dem Hinweis auf seine persönliche Sicherheit zu argumentieren, das Posten von Links auf andere Seiten, wo der Elonjet-Account weiter aktiv ist, sei ein "Umgehen des Banns" und damit ein Verstoß gegen die Spielregeln.

Auf eine Nachfrage, wie sich seine jetzige Entscheidung nun vom früheren Umgang Twitters mit Links auf eine Story der "New York Post" zum Laptop des US-Präsidentensohns Hunter Biden unterscheide, reagierte der Tesla-Boss wenig erfreut und verließ den Twitter Space umgehend wieder.

Was diese Episode besonders pikant macht: In dem erwähnten Twitter Space diskutierten unter anderem mehrere der zuvor eigentlich verbannten Journalisten. Die Sperre scheint also bei Twitter Spaces nicht zu greifen. Die Plattform reagierte auf dieses Problem mit einer ungewöhnlichen, aber in dem Kontext auch nicht mehr ganz überraschenden Maßnahme: Twitter Spaces ist derzeit vollständig deaktiviert.

Die Biden-Geschichte

Musk hatte in den vergangenen Wochen schwere Kritik an dem Umgang mit der Biden-Story im Jahr 2020 geübt und dabei auch interne Dokumente veröffentlicht. Diese sollten ein politisch motiviertes Fehlverhalten zeigen, offenbarten in der Realität aber wenig Neues. Zumal all die Beteiligten schon seit Jahren betonen, dass damals eine Fehlentscheidung passiert sei, die entsprechend auch nach kurzer Zeit rückgängig gemacht wurde.

Mastodon-Blockade

Unterdessen scheint Musk aber nicht nur die Berichterstattung über seine Privatflüge sauer aufzustoßen. Seit kurzem blockiert Twitter einen Großteil der Links auf den direkten Konkurrenten Mastodon, sie sind als "potenziell gefährlich" markiert. Betroffen davon sind vor allem Instanzen des dezentralen Netzwerks, in denen die Begriffe "Mastodon" oder "mstdn" vorkommen, während manch weniger eindeutige Server noch verlinkt werden können. Die Blockade gilt sowohl für öffentlich gepostete Links als auch für jene, die über direkte Nachrichten verbreitet werden.

Parallel dazu wurde auch das offizielle Twitter-Konto von Mastodon gesperrt. Der Grund dafür ist bislang nicht bekannt, allerdings hatte Elonjet kurz davor einen Account bei Mastodon angelegt.

Zudem haben aufmerksame Nutzer noch einen interessanten Effekt bemerkt: Es ist nicht mehr möglich, auf die Seite flightradar.com zu verlinken. Offenbar will Musk also auch Verlinkungen auf externe Flight-Tracking-Seiten unterbinden. Eine Maßnahme, die bisher aber ins Leere geht, wurde doch die falsche Domain gesperrt. Die betreffende Seite findet sich nämlich auf flightradar24.com – und die wurde nicht blockiert.

Vorgeschichte

Der Multimilliardär Musk – derzeit der zweitreichste Mensch der Welt hinter dem französischen Luxusgütermogul Bernard Arnault – hat Twitter seit der Übernahme Ende Oktober ins Chaos gestürzt. Er entließ das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft und schaltete gesperrte Konten wie jenes des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder frei. Kritiker befürchten, dass unter Musks Führung auf Twitter Hassbotschaften und Falschinformationen rasant zunehmen könnten. (apo, balm, 16.12.2022)