Zum Zeugenbeweis im Zivilprozess

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Freitag, 18.08.2023 , geschrieben von EliteXPERTS-Redaktion

Der Zeugenbeweis in Gerichtsverfahren ist das in der Praxis wichtigste und zugleich das schlechteste Beweismittel. Werden drei Zeugen befragt, ergeben sich oft drei unterschiedliche, bisweilen sogar gegensätzliche Aussagen. Viele Justizirrtümer beruhen darauf, dass der Wahrheitsgehalt einer Zeugenaussage überschätzt oder fehlinterpretiert wurde. Besonders bei „Zeugen vom Hörensagen“ beruht der Wahrheitsgehalt einer Aussage oft auf Vermutungen, Spekulationen oder Irrglaube. Eine besondere Form des Zeugenbeweises ist der sachverständige Zeuge.

Welche Rolle hat der Zeugenbeweis im Zivilprozess?

Psychologen, Soziologen, Mediziner und Linguisten forschen fortlaufend über Probleme der Wahrnehmung, des Erlebens, über Bewusstes und Unbewusstes, über Kommunikationsformen und Kommunikationsstörungen. In der Gerichtspraxis ist es den Gerichten vorbehalten, den Wahrheitsgehalt einer Zeugenaussage zu bewerten. Aber auch die Anhörung von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern in Sorge- und Umgangsstreitigkeiten erfordern oft die Einbeziehung von Sachverständigen, denen die Aufgabe übertragen ist, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu interpretieren.

 

Derjenige, der in einem Gerichtsverfahren etwas behauptet und aus seiner Behauptung Ansprüche oder Rechte herleitet, muss seine Behauptungen beweisen. Ein Beweismittel ist unter anderem der Zeugenbeweis. Wird ein Zeuge gehört, ist der Beweis durch dessen Aussage erbracht, wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Aussage richtig ist. Dabei ist das Gericht in der Beweiswürdigung völlig frei und entscheidet nach freier Überzeugung, ob und inwieweit die Aussage des Zeugen die Behauptung des Klägers oder Antragstellers bestätigt oder widerlegt. Ist die Aussage nicht so werthaltig, dass das Gericht von der Richtigkeit der zu beweisenden Behauptung überzeugt ist, gehen Zweifel in der Beweisführung immer zu Lasten des Antragstellers oder Klägers. Im Strafverfahren heißt dieser Grundsatz „in dubio pro reo“.

Wie werden Zeugen und Zeugenaussagen beurteilt?

Will das Gericht die Aussage eines Zeugen und die Person des Zeugen beurteilen, muss das Gericht die typischen Fehlerquellen von Aussagen kennen. Allein der gesunde Menschenverstand und langjährige Erfahrungen allein genügen dafür jedenfalls nicht. Die Vorgänge der Wahrnehmung und der Wiedergabe von Wahrnehmungen sind so komplexe psychische Prozesse, dass sie ohne fachliche Kenntnisse unerkannt bleiben oder leicht verkannt werden. Deshalb ist es für jeden Richter und jede Richterin Pflicht, sich mit den Grundsätzen der Aussagepsychologie bekannt zu machen und dort, wo der eigenen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind, Sachverständige einzubeziehen. In familienrechtlichen Angelegenheiten kommt Sachverständigen die Aufgabe zu, mit einem familienpsychologischen Gutachten das Gericht in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Praxisbeispiel

Kinder in Sorge- und Rechtsstreitigkeiten

Kinder und Jugendliche sind in Sorge- und Rechtsstreitigkeiten persönlich anzuhören. Auch wenn sie nicht direkt als Zeugen zu verstehen sind, hilft die Aussagepsychologie, die Situation eines betroffenen Kindes oder Jugendlichen einzuschätzen. Oft ist es so, dass ein Kind wiedergibt, was der eine oder andere Elternteil ihm zuvor „eingetrichtert“ hat. Gerade bei jüngeren Kindern stellen Gerichte oft fest, dass die Gefahr fremdbestimmter Äußerungen wächst. Häufig gelingt es Eltern, starke Schuldgefühle zu verursachen, die dem Kind bei der Anhörung durch den Richter keine andere Wahl lassen, als sich für den einen oder anderen Elternteil zu entscheiden. Kinder werden häufig zur Projektionsfläche gemacht, um dem Ex-Partner oder der Ex-Partnerin zu schaden und sich für die Trennung zu rächen. Experten merken dies daran, dass ein Kind in Gesprächen plötzlich in eine nicht altersgerechte Sprache verfällt und Worte verwendet, die eigentlich nicht zum Sprachwortschatz eines Kindes gehören. Daraus lässt sich schnell nachvollziehen, dass das Kind ein Vokabular verwendet, das der andere Elternteil benutzt hat. Deshalb muss sich das Familiengericht einen unmittelbaren Eindruck vom Kind verschaffen und das Kind auch selber zu Wort kommen lassen. Es bleibt Aufgabe des Gerichts in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigen festzustellen, welchen Wahrheitsgehalt die Aussage hat oder eben nicht hat.

Welche Rolle spielt der persönliche Eindruck von der Person des Zeugen?

Die Aussage eines Zeugen hängt eng mit der Person des Zeugen zusammen. Der persönliche Eindruck des Gerichts von der Person des Zeugen ist ein wichtiger Aspekt, der bei der Beurteilung der Aussage des Zeugen eine entscheidende Rolle spielt. In der Praxis kann dies Probleme aufwerfen, wenn sich ein Richter infolge eines Richterwechsels mit dem Ergebnis einer Beweisaufnahme auseinandersetzen muss, an der er nicht persönlich teilgenommen hat. Deshalb kommt es in Berufungsverfahren vor, dass das Berufungsgericht die untere Instanz verpflichtet, den Zeugen erneut zu vernehmen und sich einen persönlichen Eindruck von der Person des Zeugen zu verschaffen.

 

Die Beziehung des Zeugen zum Kläger oder Antragsteller ist ein wichtiges Kriterium für den Aussagegehalt einer Aussage. Steht die Person in keiner persönlichen Verbindung, ist der Wahrheitsgehalt höher, als wenn die Parteien geschieden sind oder im direkten Streit miteinander liegen.

 

Ungeachtet dessen darf die Persönlichkeit des Zeugen nicht überbewertet werden. Auch ein unliebsamer Zeuge kann die Wahrheit sagen, während ein genehmer Zeuge, der sich vielleicht vorher genau überlegt hat, was er sagen will, das Verfahren in eine völlig falsche Richtung steuert. Insoweit ist der Zeugenbeweis ein relativer Beweis. Der Zeugenbeweis ist immer in die Zusammenschau des Prozessgeschehens, in die Wahrscheinlichkeit einer Zeugenaussage als glaubhaft oder nicht glaubhaft, die Übereinstimmung mit Indizien, in den Zusammenhang bestätigender oder widerlegender Schriftstücke oder den wechselnden Sachvortrag einer Partei eingebunden. Insoweit ist die Kontrolle anhand objektiver Umstände oder anderer Beweismittel und das logische Durchdenken einer Aussage für die Wahrheitsfindung von wesentlich größerer Bedeutung als der persönliche Eindruck.

Was bedeutet Würdigung der Zeugenaussage?

Es ist Aufgabe des Gerichts, die Aussage eines Zeugen zu würdigen. Es ist zu beurteilen, ob ein Zeuge glaubwürdig und die Aussage glaubhaft ist oder nicht. Diese Worte, die in Gerichtsurteilen oft ihren Niederschlag finden, sind mit Bedacht zu gebrauchen. Da die Würde nur einem Menschen zukommt, kann nur der Zeuge glaubwürdig sein, während seine Aussage glaubhaft ist. Insoweit kann ein Zeuge glaubwürdig sein, obwohl seine Aussage nicht glaubhaft ist. Dort, wo der Erkenntnis des Gerichts Grenzen gesetzt sind, können Sachverständige dazu beitragen, den Aussagegehalt einer Zeugenaussage einzuschätzen.

 

Aussagepsychologisch ergeben sich folgende Bezugspunkte (Quelle: Egon Schneider: Beweis und Beweiswürdigung): 

  • Wahrnehmungsmöglichkeit
  • Wahrnehmungsfähigkeit
  • Wahrnehmungsbereitschaft
  • Wiedergabemöglichkeit des Wahrgenommenen
  • Wiedergabefähigkeit
  • Wiedergabebereitschaft

Bei der Wahrnehmung geht es darum, was der Zeuge erlebt, gesehen, gehört oder wahrgenommen hat, während es bei der Wiedergabe des Wahrgenommen darum geht, wie die Person und Persönlichkeit des Zeugen das Wahrgenommene wiedergibt.

Welche Relevanz haben Zeugen vom Hörensagen?

Im Idealfall hat der Zeuge das, zu was er eine Aussage trifft, selbst wahrgenommen. Der Zeuge vom Hörensagen gibt hingegen nur wieder, was andere wahrgenommen haben. Der Aussagewert ist relativiert. Es besteht eine erhöhte Gefahr, dass Tatsachen entstellt oder unvollständig wiedergegeben werden. Je größer die Zahl der zwischengeschalteten Personen, desto geringer ist der Beweiswert der Aussage.

Was ist der Unterschied zwischen Zeugen und Sachverständigen?

Neben dem Zeugenbeweis gibt es den Sachverständigenbeweis. Der Zeuge vermittelt dem Gericht die Kenntnis dessen, was er selbst wahrgenommen hat. Der Sachverständige hingegen beurteilt den Sachverhalt, zu dem der Zeuge eine Aussage getroffen hat. Der Sachverständige kann dabei aber nicht über ausschließlich dem Gericht vorbehaltene Rechtsfragen befinden.

Was ist der Unterschied zwischen Zeugen und Sachverständigen?

Neben dem Zeugenbeweis gibt es den Sachverständigenbeweis. Der Zeuge vermittelt dem Gericht die Kenntnis dessen, was er selbst wahrgenommen hat. Der Sachverständige hingegen beurteilt den Sachverhalt, zu dem der Zeuge eine Aussage getroffen hat. Der Sachverständige kann dabei aber nicht über ausschließlich dem Gericht vorbehaltene Rechtsfragen befinden.

Was ist ein sachverständiger Zeuge?

Ein Zeuge kann zugleich auch Sachverständiger sein.

 

Beispiel: Ein Ehepartner war gegenüber dem anderen gewalttätig. Der behandelnde Arzt wird als Zeuge gehört. Wird er dazu vom Gericht befragt, was die Ursache der Verletzung darstellen könnte, trifft er zugleich eine Aussage als Sachverständiger. Das Gericht kann somit auf zwei Beweismittel zurückgreifen, nämlich die Aussage eines Zeugen und die Aussage des Zeugen als Sachverständigen.

Welche psychologischen Kompetenzen haben Familiengerichte?

Über die psychologischen Kompetenzen von Familiengerichten gibt es sicherlich sehr unterschiedliche und teils gegensätzliche Ansichten, je nachdem, aus wessen Sichtweise geurteilt wird. Gerade wegen dieser vielfältigen Kritik, wurde mit der Neufassung des § 23b Abs. 3 GVG eine besondere Qualifikation der Richterinnen und Richter in Familiensachen eingeführt.

 

Danach sollen "Richter in Familiensachen über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Familienverfahrensrechts und der für das Verfahren in Familiensachen notwendigen Teile des Kinder- und Jugendhilferechts sowie über belegbare Grundkenntnisse der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie des Kindes, und der Kommunikation mit Kindern verfügen." Nach § 119 Abs. 2 GVG gilt dieses Anforderungsprofil auch für die Familiensenate der Oberlandesgerichte. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung Geschäfte des Familienrichters nicht wahrnehmen.

Alles in allem

Zeugen sind wichtige Beweismittel. Zeugenaussagen können belasten aber auch entlasten. Wer in einem Gerichtsverfahren zum Beweis seines Sachvortrags Zeugenbeweis anbietet, sollte wissen, was die Aussage des Zeugen erwarten lässt. Wer anwaltlich vertreten ist, sollte sich vorab immer mit seinem Anwalt oder seiner Anwältin besprechen, ob der angedachte Zeugenbeweis wirklich die Erwartungen rechtfertigt, die mit der Aussage eines Zeugen verbunden sind oder der Sachvortrag so gestaltet werden sollte, dass es auf den Zeugenbeweis nicht unbedingt ankommt.

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