Westbalkan: Warum die Erweiterungsstrategie wieder verpufft ist

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Der Präsident des Kosovo, Hashim Thaci (l.), zusammen mit EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn bei einem inoffiziellen Westbalkan-Treffen mit der EU im Mai 2018. Im kommenden Jahr sollen die offiziellen Verhandlungen beginnen. [Dimitar Dolkoff]

Die Westbalkan-Länder hoffen auf einen EU-Beitritt, doch die Erweiterungspläne verlieren an Glaubwürdigkeit. Die EU sollte daher klare Regeln aufstellen.

2018 sollte eigentlich ein Jahr werden, das dem EU-Integrationsprozess des Westlichen Balkans neuen Schwung verleiht. Die Europäische Kommission veröffentlichte bereits im Februar ihre neue Erweiterungsstrategie, die erstmals auch mit dem Jahr 2025 einen zeitlichen Rahmen für einen möglichen Beitritt der beiden derzeitigen Spitzenreiter, Serbien und Montenegro, nannte.

Doch wie so häufig kam dann doch alles ein wenig anders. Zwar überraschte die Erweiterungsstrategie mit einer neuen sprachlichen Deutlichkeit. Wer aber gehofft hat, dass dies insgesamt zu klareren Worten und einer dadurch gestärkten Konditionalität führen würde, wurde enttäuscht. Auch die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsstaaten zeigten sich sowohl in den Diskussionen um den genannten zeitlichen Rahmen sowie rund um den Europäischen Rat im Juni. Während die Kommission die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien empfahl und das Abkommen über den Namensstreit mit Griechenland den Weg für Mazedonien nach neun Jahren Blockade endlich freimachte, gab es bis zuletzt Uneinigkeit im Rat. So lief es wieder einmal auf einen politischen Kompromiss hinaus: der Rat beauftragte die Kommission, die Vorbereitungen für Beitrittsverhandlungen in 2019 zu beginnen, vor deren tatsächlichem Beginn beide Länder jedoch noch eine Reihe von Konditionen, vorwiegend im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, erfüllen müssen.

Zwar betont dieser Kompromiss die Bedeutung von Reformen. Er kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Ende des Tages nicht allein auf die Erfüllung der Konditionen ankommt, sondern eben auch auf nationale und innenpolitische Erwägungen der Mitgliedsstaaten. Hinzu kommt ein offensichtliches Misstrauen in einigen Mitgliedsstaaten gegenüber der Einschätzung der Kommission. Dies schwächt jedoch das Quid pro Quo des Konditionalitätsprinzips als Reformmotor und damit den gesamten Beitrittsprozess enorm.

Gleichzeitig sollte die EU sich im Rahmen des Beitrittsprozesses nicht nur auf die formellen Reformen im Bereich des acquis communautaire konzentrieren, sondern aktiver auch Fragen der gutnachbarlichen Beziehungen, wie es im Brüsseler Erweiterungs-Jargon heißt, adressieren. Die EU sollte stärker ihren Einfluss ausüben, um Territorial- und Identitätsfragen zu lösen. Sie prägen die Region nach wie vor und sind die wichtigste Grundlage des Nationalismus: neben der ungelösten Kosovo-Frage, die für Spannungen zwischen Serbien und Kosovo sowie zwischen Serbien und Albanien sorgt, über die ungelöste Nationssfrage in Mazedonien, die eine tiefe Polarisierung der Gesellschaft verursacht, und die Dysfunktionalität von Bosnien-Herzegowina, die die Sezessionsforderungen der bosnischen Serben nährt, gibt es nach wie vor eine ganze Reihe von ungelösten Grenzfragen.

Diese Fragen werden von den politischen Akteuren vor Ort – die sich als exklusive Beschützer der nationalen Interessen präsentieren – instrumentalisiert, um Anhänger zu mobilisieren und von der schwierigen wirtschaftlichen Lage abzulenken. Dadurch wird die Legitimität der Regierungspartei(en) gestärkt, was dazu genutzt wird, die Macht der Regierung durch zunehmend autoritäre Maßnahmen zu festigen. Dies ist vor allem in der kontinuierlichen Stärkung der Exekutive sowie in der zunehmenden Kontrolle der Medien sichtbar.

Eine Lösung zu finden wird nicht leicht – nicht nur weil viele politische Akteure ihr raison d’être aus Identitätsfragen ziehen, sondern auch weil die EU wegen des wachsenden Nationalismus innerhalb ihrer eigenen Grenzen an Glaubwürdigkeit verloren hat. Nichtsdestotrotz muss die EU auch hier die Konditionalität der Beitrittsprozesse besser nutzen, weil sie während dieser Prozesse das größte Druckmittel besitzt. Zudem würden so sowohl der nachhaltige Frieden, als auch die demokratische Konsolidierung vorangebracht werden, weil die Manipulation von Territorial- und Identitätsfragen für partikulare Interessen einiger politischer Akteure dann nicht mehr möglich wäre.

Mit anderen Worten: Eine klare Konditionalität sowohl in Fragen der Rechtsstaatlichkeit als auch im Bereich bilateraler Konflikte wäre hierfür notwendig und würde sich gegenseitig verstärken. Konkret bedeutet das:

  1. Eine unmissverständliche und objektive Beurteilung der Reformfortschritte durch die Kommission ist zwingend erforderlich. Nur so können die Bevölkerungen der Westbalkan-Länder bei Mangel an Fortschritten ihre Regierungen zur Verantwortung ziehen und das Vertrauen mancher Mitgliedsstaaten zurückgewonnen werden.
  2. Aus ihren eigenen Erfolgen sollte die Kommission lernen: In der Erweiterungsstrategie wurden sechs Leitinitiativen angekündigt, u.a. im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Diese sollte individuell auf die jeweiligen Länder zugeschnitten werden und dem Beispiel des Priebe-Berichts für Mazedonien folgen.
  3. Dort, wo es möglich ist, sollte, wie im Falle Serbiens, die Lösung offener Territorial- und Identitätsfragen als offizieller Teil in die Verhandlungsprozesse (als Kapitel) aufgenommen werden Gleichzeitig sollte – gerade auch der serbischen Bevölkerung – besser erklärt werden, dass die Lösung der Kosovofrage zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen EU-Beitritt ist.

Der langsame Beitrittsprozess der Staaten des westlichen Balkans ist nicht nur auf die Komplexität dieses Prozesses und die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsländern zurückzuführen sondern auch auf die Abwägung der politischen Eliten in der Region zwischen bestehenden Anreizen und Beschränkungen. Solange es sich für die herrschenden Eliten auszahlt, die Glaubwürdigkeit des Beitrittsprozesses in Frage zu stellen, Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit nur so weit durchzuführen, wie es ihre Stellung nicht berührt, und nationalistische Rhetorik ein Vehikel bleibt, Wahlen zu gewinnen, werden die Fortschritte der Region begrenzt bleiben.

Die Autoren

Filip Milacic ist Fellow des Zentrums für fortgeschrittene Studien an der Universität Rijeka und Lehrbeauftragter der Universität Montenegro.

Valeska Esch ist Programmdirektorin des Aspen Institute Deutschland. Dieser Beitrag stellt die Meinung der Autorin dar und spiegelt nicht notwendigerweise die institutionelle Position des Aspen Institutes wider.

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