In Aktion: Verena Angermeier

Wiesnbedienung trägt 13 Krüge :
„Das ist für mich der totale Ausgleich zum Bürojob“

Lesezeit: 3 Min.

Konzentriert wartet Verena Angermeier am Ausschank. Zwei Kollegen schieben ihr einen gläsernen Krug nach dem anderen über den Tisch, das Bier ist frisch gezapft. Sie arrangiert die Maßkrüge in zwei Kreisen, die Henkel schauen in die Mitte. Neun, zehn, elf – insgesamt zwölf Krüge wandern über die Schänke, bis Angermeier mit einem Arm den rechten Kreis anhebt und auf dem zweiten platziert. Die Kollegen schieben noch einen Krug hinüber, der kommt auf die Henkel des oberen Kreises. Sie grinst in die Kamera, dann geht’s los, die Gäste im Schützenfestzelt auf der Wiesn haben Durst.

Mehr als 60 Millionen Menschen ­haben das Tiktok-Video gesehen, das die Dreißigjährige bei der Arbeit auf dem größten Volksfest der Welt zeigt. „Hochachtung“ schreiben die Nutzer in den Kommentaren. „Ich hatte einen blauen Fleck an der Hand, und ich hab nur einen Krug gehalten“, berichtet jemand auf Englisch. „Die sind so schwer!“

1,3 Kilogramm wiegt ein Maßkrug – leer. Durch den Liter Bier kommt dann noch einmal ein Kilo drauf. Bei 13 Krügen macht das fast 30 Kilo, Verena ­Angermeier selbst wiegt 50 Kilo, ist 1,59 Meter groß. Trotz des zusätzlichen Gewichts läuft sie mit leichtem Schritt und mit einem Lächeln durchs Zelt. Die Technik macht’s – und die Übung.

„Als Bedienung kann ich mich körperlich auspowern“

Zum ersten Mal habe sie 2012 auf dem Oktoberfest bedient, erzählt Angermeier. Da war sie gerade 18 Jahre alt geworden. Damals habe sie im Wirtshaus gearbeitet, als eine Freundin ihrer Mutter, selbst Wiesn-Bedienung, sie ansprach: Bei ihr im Zelt gebe es noch einen freien Platz. Der Einstand war nicht leicht: „Damals habe ich ziemlich zu kämpfen gehabt mit Rücken­schmerzen.“ Ihre Mutter kaufte ihr neue Schuhe zum Wechseln. „Es war schon viel, auch weil es einfach so lang war.“

Die Arbeit auf der Wiesn ist ein Knochenjob. Die meisten ziehen die gesamte Zeit durch, meist sind es 16 Tage. Weil der 3. Oktober in diesem Jahr auf einen Dienstag fällt, wurde das Fest um zwei Tage verlängert. Ihr Tag beginnt um neun oder um elf Uhr, Feierabend ist mit Zeltschluss – der ist zwar schon um 23 Uhr, trotzdem ergibt das eine Zwölf-Stunden-Schicht. Am Wochenende, wenn die Ersten schon früh vor den Zelten warten, um einen guten Platz zu ergattern, geht es schon um acht Uhr los. Angermeiers Stimme klingt etwas an­geschlagen, schließlich muss sie beim Sprechen die Kapelle übertönen. Dazu kommen die Erkältungs- und Grippe­viren, die auf der Wiesn rumgehen.

Die Niederbayerin kommt trotzdem jedes Jahr wieder. Von Frühjahr bis Herbst arbeitet sie fast an jedem Wochenende auf bayerischen Volksfesten. „Das ist für mich der totale Ausgleich zum Bürojob“, sagt sie. Eigentlich arbeitet die Dreißigjährige als Projektmanagerin in einem Unternehmen, das Software entwickelt. „Als Bedienung kann ich mich körperlich auspowern.“ Ein Fitnessstudio brauche sie dann nicht mehr. Auch den Kontakt zu ganz unterschiedlichen Leuten schätze sie sehr.

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Der genaue Verdienst bleibt geheim

Für längere Feste wie die Wiesn nimmt Angermeier sich dann Urlaub und zieht sogar zeitweise um. Sie lebt in Dingolfing-Landau, gemeinsam mit einigen Kollegen kommt sie während des Oktoberfests in einer Wohnung unweit der Theresienwiese unter. „Die Wiesn ist schon immer etwas besonderes“, sagt sie. Das Niveau sei ganz anders als auf anderen Volksfesten, vom Eindecken und Serviettenfalten bis zur Champagnerbegleitung sei alles mit dabei. Dazu kommen die vielen Sprachfärbungen: „Der eine sagt Moaß, der nächste Maass, das ist schon lustig.“ Belästigungen oder Pöbeleien habe sie zwar durchaus schon erlebt, allerdings kaum noch, seit sie vor einigen Jahren ins Schützenfestzelt gewechselt sei. „Ich bin hier auf dem reservierten Bereich in der Galerie im Einsatz, da sind die Leute sehr gut drauf.“ Heuer mache sich auch das gute Wetter bemerkbar: „Die Stimmung ist super.“

Und der Stapeltrick kommt bei den Gästen gut an. Im zweiten Jahr habe ihr den eine Kollegin gezeigt. So lassen sich die Krüge stabil tragen. Und weil die ­Ellenbogen nach außen zeigen, kann man sich in den vollen Gängen im Festzelt Platz verschaffen und auch mal einen Rempler ausgleichen. Schief gegangen sei es nur einmal: „Vor ein paar Jahren hat mich mal jemand komplett umgerannt.“ Mit 13 Maßkrügen fiel sie hintenüber – „Gott sei Dank, so habe ich nur eine Bierdusche abgekriegt“.

Wie viel sie auf der Wiesn verdient? Das verrät sie nicht: „Ehrenkodex unter Bedienungen.“ Wenn das Fest am Dienstag endet, hat sie zwei Tage frei. Dann schläft sie aus und erholt sich mit ihrer Familie, sie hat einen zweieinhalb Jahre alten Sohn. Ende Oktober endet dann auch die Volksfestsaison, im April geht es weiter. Verena Angermeier hofft, noch lange dabei sein zu können. Im Team sind sie sich einig: „Mit der Wiesn wollen wir gerne alt werden.“