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Von Alter Oper bis zum Bethmannpark alles ausgelöscht - Wenn Frankfurt eine Atombombe trifft

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Was würde eine Atombombe in Frankfurt anrichten? Das zeigt eine Studie für Greenpeace anlässlich des 75. Jahrestags des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.

Frankfurt - Eine leichte Brise aus Südwest weht an einem Sonntagabend durch Frankfurt, als über der Hauptwache eine Atombombe detoniert. Ein greller Lichtblitz, und im Bruchteil einer Sekunde verdampft in einem riesigen Feuerball das Herz der Mainmetropole. Von der Alten Oper bis zur Alten Brücke und vom Deutschen Filminstitut bis zum Bethmannpark – alles ist aus der Welt gelöscht. Nicht zerstört, nicht verbrannt. Verdampft. Römerberg und Commerzbank-Tower, Schirn und Kleinmarkthalle, Paulskirche und Bartholomäusdom und all die tausenden Frankfurter und Touristen sind nicht mehr. Keine Sekunde ist zu diesem Zeitpunkt seit der Explosion vergangen und das Sterben hat erst begonnen.

 Nach der Explosion einer französischen Atombombe 1971 schwebt dieser riesige Atompilz über dem Mururoa-Atoll.
Atompilz nach einem Atombombenabwurf.jpg © dpa

In einem fiktiven Szenario berechnet die Atomexpertin und Physikerin Oda Becker für Greenpeace, welche Folgen ein Atombombenabwurf auf Frankfurt am Main hätte. In ihrer Studie „Auswirkungen einer Atombombe auf Deutschland“ geht sie dabei von einer 550-Kilotonnen Bombe aus, 44 Mal stärker als die Bombe, mit der die USA vor 75 Jahren am 6. August 1945 Hiroshima zerstörten* und 25 Mal stärker als jene, die drei Tage später auf Nagasaki fiel. Die 550-Kilotonnen-Atombombe ansich ist allerdings keine Fiktion. Unter den 13.900 weltweit vorhandenen Atomwaffen würde sie zwar als „größere Bombe" gelten. Es gibt aber auch Atomwaffen im Megatonnen-Bereich.

Im Gegensatz zu kleineren „taktischen Atomwaffen“, würden solche „strategischen Atomwaffen“, wie auch die 550-Kilotonnen-Bombe eine ist, „nicht auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden, sondern Ziele im gegnerischen Hinterland zerstören sollen“, wie es in der Studie heißt.

Frankfurts zentrumsnahe Stadteile werden durch die Explosion der Atombombe weggefegt

Noch in den ersten Sekunden nach der Detonation über der Frankfurter Hauptwache breitet sich eine gewaltige Druckwelle in alle Richtungen aus. Am Campus-Westend und am Südbahnhof, am Zoo und am Hauptbahnhof schießen Fahrzeuge und Mülleimer, Bäume und Ziegel durch die Luft. Massive Betonbauten werden weggefegt oder mindestens stark beschädigt. Die Druckwelle selbst könne der menschliche Körper aushalten, heißt es in der Studie. Aber Menschen werden durch die Luft geschleudert, von herumfliegenden Trümmern erschlagen oder unter einstürzenden Gebäuden begraben. 30.000 Menschen leben in diesem Frankfurter Gebiet, kaum einer überlebt. Keine Minute ist zu diesem Zeitpunkt seit der Explosion vergangen.

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Unfassbare Zerstörung: Hiroshima, wenige Tage, nachdem die Bombe gezündet worden war. © picture alliance / AP Photo

Die Druck- und Hitzewelle wird zwar schwächer, je weiter sie sich von der Frankfurter Hauptwache entfernt. Überleben wird wahrscheinlicher, aber an der Bockenheimer Warte oder an der Berger- Ecke Höhenstraße ist die Strahlendosis für die meisten Überlebenden schon in der ersten Sekunde tödlich sein. Wer selbst das überlebt, hat ein hohes Risiko später an Krebs zu erkranken oder Erbschäden an ihre Kinder weiterzugeben. Mehr als 50.000 Menschen sterben hier.

In Bornheim und dem größten Teil Oberrads, im Dornbusch, in Bockenheim, im Europaviertel und im südlichen Sachsenhausen werden die meisten Wohngebäude durch die Druck- und Hitzewelle zerstört. Was stehen bleibt, wird vermutlich in einem Feuersturm vernichtet. 134.000 Menschen wohnen in diesem Gebiet.

In Frankfurts äußeren Stadtteilen sterben viele an Verbrennungen dritten Grades

Die Druck-und Hitzewelle wird schwächer, wenn sie durch Seckbach und Bergen-Enkheim bis nach Bad Vilbel rast, oder durch Eckenheim bis Bonames, durch Hausen bis Eschborn, oder quer durch Offenbach, Neu-Isenburg und Schwanheim. Dennoch erleiden die Menschen dort Verbrennungen dritten Grades. Blasen bilden sich auf der Haut, auch das tieferliegende Gewebe wird zerstört. „Menschen mit Verbrennungen könnten überleben, wenn sie ärztliche Behandlung erhalten“, heißt es in der Studie. „Nach einem Atomangriff ist dies jedoch unwahrscheinlich." 646.000 Menschen wohnen in diesem Gebiet.

Noch in Höchst, Steinbach oder Nieder-Erlenbach, in Bischofsheim und Bieber werden Fensterscheiben zerstört. Die Scherben verursachen Verletzungen.

Die Armbanduhr aus den Ruinen von Hiroshima blieb am 6. August 1945 um 8.16 Uhr stehen, als die Bombe explodierte.
Die Armbanduhr aus den Ruinen von Hiroshima blieb am 6. August 1945 um 8.16 Uhr stehen, als die Bombe explodierte. © dpa

Der Atompilz ist kilometerweit über Frankfurt hinaus zu sehen sein. Die Druckwelle hat millimeter- und zentimetergroße Teilchen in die Luft geblasen. Der Wind trägt das radioaktive Material mit sich. Die milde Briese weht aus Südwest, schiebt die Wolke nach Nordost.

„Fallout“, nennt man den radioaktiven Niederschlag, wenn das radioaktive Material wieder zu Boden fällt. Bis Niederdorfelden ist allein die Strahlenbelastung durch den Fallout nach einer Stunde tödlich für alle Menschen im Freien, nach zwölf Stunden auch für jene, in geschlossenen Räumen. Eine schnelle Evakuierung der Meschen ist in solch einem Katastrophenfall nicht möglich. Im 30 Kilometer entfernten Heegheim im Wetteraukreis könnte eine Evakuierung innerhalb von 24 Stunden gelingen. Gelingt sie nicht, ist der radioaktive Niederschlag auch dort für die Menschen kaum zu überleben. Nach zweieinhalb Stunden hat der Wind die radioaktive Wolke bis ins 50 Kilometer entfernte Gedern im Wetteraukreis getragen. Wer der Strahlendosis dort länger als fünf Stunden ausgesetzt wird, wird es nicht überleben. Selbst im von Frankfurt 100 Kilometer entfernten Niederaula im Landkreis Hersfeld-Rotenburg ist die Strahlendosis noch für acht Prozent der Bevölkerung tödlich. Viele der Überlebenden werden mit einem hohen Risiko einer Krebserkrankung leben müssen.

Frankfurts Zerstörung mit „Nukemap“ simuliert

Um die Auswirkungen eines Atombombenabwurfs auf Frankfurt am Main zu simulieren, verwendet die Studie die „Nukemap" des Atomwaffenhistorikers Alex Wellerstein. Auf der Internetseite können Nutzer schnell und einfach mit verschiedenen Typen von Atomwaffen Simulationen an verschiedenen Orten der Welt erstellen lassen.

Mit der Studie „Auswirkungen einer Atombombe auf Deutschland“ verfolgt die Umweltorganisation Greenpeace offen ein politisches Ziel. Man wolle „die notwendige Diskussion über eine atomwaffenfreie Welt“ führen, schreibt Christoph von Lieven, der Greenpeace-Sprecher für atomare Abrüstung, im Editorial. Bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021, so die Forderung, sollen sich alle Parteien dafür aussprechen, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet.

Neun Staaten sind laut Atomexpertin Oda Becker derzeit im Besitz von Atomwaffen: Russland, USA, Frankreich, China, Großbritannien, Pakistan, Indien, Isreal, und Nordkorea. Nur Russland, USA und Großbritannien hätten die Zahl ihrer Atomsprengköpfe in den vergangenen Jahren verringert*. Bei allen anderen Staaten ist die Anzahl gewachsen oder, im Falle Frankreichs, gleichgeblieben. (Von Friedrich Reinhardt) *fr.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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