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Demos behindern sogar Rettungseinsätze: Autobahn-Blockaden: Darf ich Klima-Demonstranten einfach wegtragen?
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Klimaaktivisten blockieren in Stuttgart zur Hauptverkehrszeit kurzzeitig die Bundesstraße 10.
Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild Demonstranten blockieren in Stuttgart eine Straße und provozieren lange Staus
  • FOCUS-online-Experte

Eine kleine Gruppe Klima-Demonstranten blockiert immer wieder Straßen. Autofahrer sind genervt - einige helfen sich selbst, tragen die Demonstranten weg. Darf man das? Und müssen die Blockierer mit Konsequenzen rechnen, wenn jemand durch sie zu Schaden kommt?

Derzeit mehren sich sogenannte Sitzblockaden an Straßen und Autobahnen, bei denen Demonstranten den Verkehr aufhalten und sich zum Teil sogar auf dem Asphalt festkleben. Immer häufiger kommt die Frage auf, ob derartiges legal ist und was man dagegen tun kann. Ich will daher das Ganze einmal aus juristischer Sichtweise einordnen.

Bereits im Jahr 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Sitzblockaden grundsätzlich eine friedliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Kundgebungen sein können, die als solche in den Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz) fallen.

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Klima-Demos: Wo die Versammlungsfreiheit endet

Dieser Schutz ende grundsätzlich, wenn es bei der Versammlung zu einer sogenannten kollektiven Unfriedlichkeit komme, was laut Bundesverfassungsgericht jedoch allein dadurch gegeben sei, dass Dritter behindert würden, seien diese Behinderungen auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.

Klimaaktivisten protestieren gegen Lebensmittelverschwendung.
Carsten Koall/dpa/Symbolbild Klimaaktivisten protestieren gegen Lebensmittelverschwendung.

Auch ist laut Bundesverfassungsgericht seit 1995 die (passive) Sitzblockade nicht mehr als Nötigung im strafrechtlichen Sinne anzusehen – es führte aus, dass Gewalt im Sinne des Nötigungsparagrafen eine physische Zwangseinwirkung voraussetze.

Der Bundesgerichtshof griff daraufhin zu einem Trick und entwickelte die sog. “Zweite-Reihe-Rechtsprechung”.

Nach dieser übt ein Teilnehmer einer Sitzblockade Gewalt aus, sobald hinter dem ersten Fahrzeug, dass er aufhält (und auf dessen Fahrer nach der Rechtsprechung nur psychischer Zwang ausgeübt wird) mindestens ein weiteres Auto an der Weiterfahrt gehindert wird.

Ein Polizist fegt während einer früheren Blockade durch Klimaaktivisten Lebensmittel von der Straße.
Carsten Koall/dpa Ein Polizist fegt während einer früheren Blockade durch Klimaaktivisten Lebensmittel von der Straße.

Nach der Sichtweise des Bundesgerichtshofs bilden sodann die Fahrzeuge in der ersten Reihe eine physische Barriere für die Fahrzeuge ab der zweiten Reihe - der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gewaltbegriff des physischen Zwangs sei also im Sinne des Nötigungsparagraphen erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht musste sich verständlicherweise erneut mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befassen, segnete diese jedoch im Jahr 2011 als ausdrücklich verfassungsmäßig ab.

Anketten, Einhaken und Widerstand gegen Polizei

Auch läge grundsätzlich eine Nötigung unter Anwendung von Gewalt vor, wenn Teilnehmer einer Sitzblockade Maßnahmen ergriffen, die über die reine Anwesenheit hinausgehen, so zum Beispiel durch Anketten, Einhaken oder aktivem Widerstand gegen Wegtragen.

Meines Erachtens fällt darunter auch das in Berlin beliebte Ankleben an die Fahrbahn. Insoweit ist zumindest einmal der Weg für ein Strafverfahren wegen Nötigung eröffnet.

Über den Experten

Rechtsanwalt Michael Winter studierte in Tübingen Jura und ist seit 1989 auf verkehrsrechtlichem Gebiet tätig. Als Lehrbeauftragter an der dualen Hochschule Baden-Württemberg vermittelt er seine Erfahrung auch im wissenschaftlichen Bereich. Das von ihm gegründete Unternehmen “WHW Seminar & Service” bildete seit 2001 durch interaktive Seminare eine vierstellige Zahl von Verkehrsteilnehmern unter dem Firmenmotto: “Wissen Hilft Weiter“ in den Bereichen „Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht“ weiter. Seit Beginn der Dieselskandale klagt Winter zudem zusammen mit seinen Kooperationspartnern gegen mehrere deutsche Automobilhersteller, darunter auch Volkswagen.Hier geht’s zur FOCUS-Online-Expertenwelt

Demonstranten wegtragen? Das darf nur die Polizei

Häufig greifen jedoch genervte Verkehrsteilnehmer zur Selbsthilfe und versuchen, Demonstranten von der Fahrbahn zu entfernen. Unabhängig davon, dass diese sich meist wieder sofort zurück auf die Fahrbahn begeben, ist dies definitiv nicht erlaubt und kann zu Anzeigen wegen Körperverletzung führen. Diese Art Eigeninitiative ist nicht von Notwehr gedeckt – auch Selbsthilfe oder Notstand im Sinne des BGB scheiden aus.

Eine Sitzblockade kann mit offizieller Wirkung nämlich lediglich durch die Polizei bzw. die Ordnungsbehörde aufgelöst werden.

Dies setzt eine sogenannte Auflösungsverfügung voraus, die den Teilnehmern mit einer Aufforderung, sich zu entfernen, bekanntgegeben werden muss.

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Wasserwerfer und Schlagstock-Einsatz erlaubt

Verweigern die Teilnehmer einer Sitzblockade dies, kann mittels sogenannten „unmittelbaren Zwangs” die Sitzblockade durch Wegtragen oder auch durch Einsatz von Schlagstöcken oder Wasserwerfern aufgelöst werden.

Leistet ein Demonstrant hierbei aktiven Widerstand, führt dies meist zu einer Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Welche Konsequenzen drohen den Blockierern?

Je nach Ausgestaltung der Blockade ist  aber durchaus einmal zu fragen, ob hierdurch nicht ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§315 b StGB) verwirklicht wird.

Zwar sah der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1995 im bewusst verkehrswidrigem Gehen auf der Fahrbahn keinen solchen Tatbestand, jedoch ist meines Erachtens jeder Einzelfall gesondert zu prüfen.

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FOCUS online/Wochit Video zeigt Schreckmoment: Aktivist stürzt mit Gleitschirm in die Münchner Arena

Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr liegt üblicherweise “beim Bereiten eines Hindernisses” vor, also jedem Fall des Einwirkens auf den Straßenkörper, der dazu geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu gefährden.

Beim Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr handelt es sich um ein sogenanntes konkretes Gefährdungsdelikt-, d. h., dass durch die Tathandlung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit, sowie für Leib und Leben von Personen oder Sachen vom bedeuten Wert (ab 750 Euro aufwärts), bestehen muss.

Beispiel hierfür ist das leider in Einzelfällen noch immer zu beobachtende Steinewerfen von einer Autobahnbrücke.

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Betreten in unseren Fällen Blockierer beispielsweise bei einer großen Verkehrslücke gut sichtbar die Fahrbahn oder setzen Sie sich bei grüner Fußgängerampel auf die Fußgängerfurt, liegt keine konkrete Gefährdung vor.

Laut Medienberichten sollen aber zum Beispiel auch Rettungsfahrzeuge nicht durchgelassen worden sein. Hohe Wellen schlug zudem der Fall einer Hochschwangeren, die in Berlin mittels der Polizei ins Krankenhaus eskortiert werden musste. Derzeit wird geprüft, ob die von einer Sitzblockade betroffene Autobahnausfahrt der Grund für den Polizeieinsatz war - warten wir also das Ergebnis und die Reaktion der Ermittlungsbehörden ab.

Dass man aus Politikerkreisen  tatsächlich Verständnis für solche Aktionen aufbringt, vermag ich übrigens nicht nachzuvollziehen.

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