Daraus ergab sich aber ein Widerspruch: Die auf Kreisbahnen gezwungenen Elektronen müssten im Flug Energie verlieren und auf immer engeren Orbits um den Kern fliegen. Außerdem ziehen sich Teilchen mit ungleichnamiger elektrischer Ladung an. Beide Effekte hätten zur Folge, dass die Elektronen auf den Kern stürzen. Den Atomen wäre somit keine lange Lebensdauer beschieden. Sie sind jedoch stabil und werden es vermutlich immer bleiben.
Aus dem Dilemma führte der dänische Physiker Niels Bohr. Nachdem das Stabilitätsproblem der Atome in der Fachwelt erkannt worden war, behandelte er es mit einem neuen Ansatz: Er wandte die Quantentheorie auf die Teilchen an. Dabei ersann er eine neue Regel. Demnach sollten den Elektronen nur jene Kreisbahnen erlaubt sein, deren Energieniveaus ganzzahligen Vielfachen des so genannten Planckschen Wirkungsquantums entsprechen. Zwischen diesen Orbits kann ein Elektron hin- und herspringen. Nimmt es Energie auf – etwa durch die Absorption eines Lichtteilchens (Photons), gelangt es auf eine höhere Bahn. Umgekehrt verliert es durch die Aussendung von Licht Energie und fällt auf eine niedrigere Bahn.
Das neue Modell war so einfach wie genial
Bohr dachte sich das Atom als punktförmigen, positiv geladenen Kern, um den die Elektronen wie in einem Planetensystem kreisen. Doch aufgrund ihrer Quanteneigenschaften können sie nicht auf den Kern abstürzen. Seine neuen Erkenntnisse veröffentlichte er im Juli 1913 – und damit vor 100 Jahren – unter dem Titel „On the Constitution of Atoms and Molecules“ im „Philosophical Magazine“, noch im gleichen Jahr folgen zwei weitere Aufsätze zu dem Thema. Da war er gerade 28 Jahre alt. In den folgenden Jahren wurde sein Modell durch die Atomtheorie des Münchener Physikers Arnold Sommerfeld weiter ausgebaut.
Die Entdeckung hob Bohr in den Olymp der Physik, den schon Größen wie Planck und Einstein bevölkerten. Die beiden lernte er indes erst 1920 während eines Aufenthalts in Berlin kennen. 1922 wurde Bohr für seine Arbeiten mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Im gleichen Jahr kam auch sein Sohn Aage Niels zur Welt, der 1975 ebenfalls den Physik-Nobelpreis erhielt. Er war einer von insgesamt sechs Söhnen, die Bohr mit seiner Frau Margarethe Nørlund hatte. Zwei von ihnen starben schon in jungen Jahren.
Die Wissenschaft wurde Bohr sozusagen in die Wiege gelegt
Er erblickte 1885 als Sohn eines Professors für Physiologie das Licht der Welt. Dieser pflegte in seinem Haus in Kopenhagen einen intellektuellen Salon, in den er Physiker, Philosophen oder Philologen zu abendlichen Diskussionsrunden einlud. Zugleich war das Elternhaus von der deutschen und britischen Kultur beeinflusst, die beide in Dänemarks Geschichte eine Rolle spielten. Als Kinder lauschten der kleine Niels und sein Bruder Harald, wenn ihr Vater ihnen Gedichte und Texte von Goethe, Shakespeare und Dickens im Original vortrug. Niels las auch dänische Autoren wie Kierkegaard und Hans Christian Andersen, Besonders beeinflusste ihn indes der Schriftsteller Poul Martin Møller, der in seiner Novelle „Abenteuer eines dänischen Studenten“ verzwickte Konstrukte über Sprache und Logik darlegte.