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Der Dodekanes

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Der Dodekanes oder das Zwölfinselland ist eine den südlichen Sporaden angehörige, aus vierzehn Inseln bestehende Gruppe im Ägäischen Meer, die unmittelbar der anatolischen Küste vorgelagert ist. Obwohl seit den Tagen des klassischen Altertums von Griechen bewohnt, standen diese Inseln im abgelaufenen Jahrhundert niemals unter der Souveränität des neugegründeten Königreiches der Hellenen, erst nach dem von der jetzigen Pariser Friedenskonferenz zu erwartenden Schiedssprüche sollen sie nun nach Ablauf eines Zeitraumes von 700 Jahren zu ihrer alten Heimat zurückkehren.

Die größte, am dichtesten besiedelte und schönste dieser Inseln, reich auch durch eine glanzvolle Geschichte, ist Rhodos, die Roseninsel, die nach der antiken Sage auf Geheiß Apollos aus dem Meere emporstieg, um sich als seine Braut mit ihm zu vermählen. Die Sage ist in den sdiönen, alten Silbermünzen verewigt, die auf der Vorderseite das mächtige Lockenhaupt Apollos zeigen, während die Rückseite mit der Rose, dem Wahrzeichen der Insel, geziert ist. Homer nennt die Namen ihrer drei ältesten Städte: Lindos, Ialysos und Kameiros. Lin-dos mit seiner prächtigen, hochgelegenen und weit übers Meer schauenden Akropolis ist heute noch erhalten, von Ialysos hat man auf dem Philermos (Monte Fileremo) antike Tempelreste ausgegraben, während die Lage von Kameiros noch unbekannt ist. Die Stadt Rhodos selbst, das heutige Kleinod und Juwel der Insel, wurde von den drei Städten gemeinsam erst im Jahre 408 vor Chri--stus an der äußersten Nordspitze angelegt. Wenn sie in dem bekannten Distichon als zweite nach Smyrna unter den Namen jener sieben Städte genannt wird, die sich um die Ehre stritten, der Geburtsort des Dichters Homer zu sein, so ist dies ein offenkundiger Anachronismus, da ja Homer drei Jahrhunderte früher lebte. Diese Ehre muß sie wohl Smyrna überlassen. Infolge ihrer günstigen geographischen Lage und des Fleißes einer tüchtigen, seefahrenden Bevölkerung entwickelte sidi die Stadt bald zum hervorragendsten Handelszentrum des Ägäischen Meeres und rief durch Reichtum und Wohlhabenheit den Neid und die Mißgunst zahlreicher Feinde wach. Auf der Höhe ihres Ruhmes stand sie, als sie 305 vor Christus den Angriff des bedeutendsten Belagerungsingenieurs der Antike, des Demetrios Polior-ketes, des „Städtezertrümmerers“, siegreich zurückwies. Trotz aller seine Belagerungswerkzeuge und Maschinen vermochte dieser geniale Stratege die Stadt nicht einzunehmen und mußte nach einem vollen Jahr die Belagerung aufheben und die Insel ruhmlos verlassen. Zum Dank für diesen Sieg errichteten die Bürger von Rhodos ihrem Schutzparton, dem Sonnengott, den unter den sieben Weltwundern genannten Koloß, ein ehernes, dreißig Meter hohes Standbild an der Hafeneinfahrt, unter dessen gespreizten Beinen die Schiffe ein- und ausliefen. In der erhobenen Rechten hielt der Koloß eine riesige Fackel, die den Seeleuten zur Nacht als Leuditzeichen diente und ihnen den Weg zum Hafen wies. Aber schon nach 50 Jahren wurde dieses berühmte Bauwerk durch ein Erdbeben umgestürzt. Jahrhundertelang blieben seine Trümmer im seichten Uferwasser liegen, bis endlich im 7. Jahrhundert nach Christus sarazenische Seeräuber die Erzstücke bargen, nach Tyrus verschleppten und dort zum Einschmelzen an arabische, Kaufleute verhandelten.

Zur Römerzeit beherbergte Rhodos eine hervorragende Rednerschule: Cicero, Julius Cäsar, Augustus und Tiberius studierten hier bei den Sophisten Rhetorik und Philosophie. Von antiken Bauwerken ist in der Stadt wenig erhalten, doch bewahrt das Museum prachtvolle Vasen, Gebrauchsgegenstände und als größte Kostbarkeit die rhodische Venus, eine vollständig erhaltene, kniende Marmorstatue, die ihr' aufgelöstes Haar ordnet. Aus der Jahrhunderte währenden byzantinischen Zeit meldet die Geschieht:: von Rhodos wenig. Als im Jahre 1204 von den abendländischen Kreuzfahrern zu Konstantinopel das lateinisdie Kaisertum gegründet wurde, empörte sich der Statthalter Leo Gabalas gegen das neue politische Gebilde, erklärte die Insel für unabhängig und wurde auch dreißig Jahre später von Venedig als Inselfürst anerkannt. Aber bereits 1248, vor fast genau 700 Jahren, nahmen die Genuesen Rhodos in Besitz und riefen sechzig Jahre später, nachdem sie das Land zuerst durch ihre eigenen Admirale hatten verwalten lassen, den nach Verlust von Palästina vertriebenen Johanniterorden zum Schutz der Insel herbei. Die Johanniter siedelten sich 1308 unter dem Großmeister Fulco von Villaret an, umgaben im Verlauf von zwei Jahrhunderten die Stadt mit mächtigen Mauern und Bastionen und bauten sie zur stärksten Festung des Mittelalters aus. 1522 wurde Rhodos aber doch von Sultan Suleiman IL, dem Prächtigen, demselben, der sieben Jahre später seine Heerscharen zur ersten Belagerung Wiens entsandte, mit einem Riesenaufwand von 100.000 Mann nach fünfmonatiger, heldenhafter, von dem Großmeister Philipp Villiers de PIsle Adam geführter Verteidigung zur Kapitulation gezwungen. Der Orden mußte Rhodos verlassen und wurde 1530 von Kaiser Karl V. mit Malta belehnt, wo er seine ruhmreiche Tätigkeit als Brü-dersdaaft der Malteser Ritter fortsetzte.

Fast volle vierhundert Jahre stand Rhodos fortan unter türkischer Souveränität, bis die Italiener während des Tripoliskrieges am 5. Mai 1912 unter General Ameglio die Stadt besetzten. Im Frieden von Lausanne wurde 1923 der gesamte Dodekanes auch rechtlich von der Türkei an Italien abgetreten. Nun wird er endlich dem griechischen Stammland wiedergegeben werden.

Den mächtigsten Eindruck empfängt der Besucher noch heute von der Ritterzeit der Stadt. Entgegen dem jahrhundertealten Geschwätz von der Barbarei der Türken, muß man ihnen das ehrende Zeugnis ausstellen, daß sie die herrlichen Bauwerke der Johanniter, die Festungsanlagen, Paläste und Häuser der einzelnen Zungen, in die der Orden gegliedert war, unverändert ließen und besser mit ihnen verfuhren, als europäische Staaten mit den an sie gekommenen Kulturdenkmälern. Es macht Rhodos auch heute noch den Eindruck einer mittelalterlichen Stadt. Aber über den alten Ordensmauern erheben sich in schlanker Majestät die zierlichen Minarette der türkischen Moscheen, in die einstige christliche Ordens-kirdien verwandelt wurden. Sie verleihen dem sonst ganz abendländischen Stadtbild den Zauber des Orients. Ob sie auch unter der bevorstehenden griechischen Herrschaft erhalten bleiben? In Saloniki und in den Städten auf Kreta wurden von den Griechen nach Antritt ihrer neuen Oberhoheit sofort alle Minarette entfernt. Die Italiener, bedachtsame Kenner und Schätzer eines malerischen Stadtbildes, haben das türkisch-mittelalterliche Wesen der ummauerten Altstadt strenge geschont und ihre eigenen Behördenpaläste, Erziehungsanstalten, Krankenhäuser, Hotels und Kasernen weit außerhalb der Festungsmauern in einem neuerrichteten Stadtteil angelegt und mit prächtigen Gartenanlagen geziert, ein Verdienst des genialen Baumeisters Florestano di Fausto.

Seit der Türkenzeit wohnen in der Altstadt 6000 Türken und in einem streng davon gesonderten Viertel 4000 Juden, die Bankgeschäfte betrieben und vor allem den Schuh- und Textilhandel in Händen hatten, während die Türken hausgewebte anato-lische v Teppiche, Schmuck, Juwelen und kostbare Goldarbeiten in ihrem Bazar feilboten. Da Rhodos zur Türkenzeit als Festung galt, wurden die Ureinwohner der Insel, die Griechen, denen die Türken immer mißtrauten, innerhalb der Stadtmauern nicht geduldet. Sie wohnten, etwa 5000 Köpfe zählend, außerhalb der Stadt, wo sie auch ihre Läden aufschlugen. Unter der italienischen Herrschaft siedelten sich im neuen Stadtteil noch 4000 Italiener an, deren Sdiicksal nun ungewiß ist.

Die Türken tragen heute noch ihre alten malerisdien Trachten, den Turban und \die Pluderhose, die Frauen gehen zum Teil noch verschleiert und flüchten kreischend vor der von ihrer Religion verbotenen Lichtbildaufnahme des Fremden. Aber doch nur die älteren Leute, während die jügneren vor dem Kriege, als der türkische Reformator Kemal Atatürk noch lebte, offen mit seinen Neuerungen sympathisierten.

Zwei interessante Zeugnisse über das mittelalterliche Rhodos sind uns aus deutschen Selbstbiographien erhalten. Das eine stammt aus dem „Leben des Burkard Zink“ (1396 bis 1474) und lautet:/ „Roda Insula. Item aber bin ich gewesen zu Rodis, das ist ain hüpsdie wöhrliche Stadt, nit fast groß, und sind gar köstlich Windmühlin da, die sind gepauen als Turn sinwel, und stuend auf der Mauer im Mör, damit die Port des Mörs umbfangen ift; ich glaub, der Mühlin seien bis in neun und sind Sant Johannis Orden. Und ist der oberst über denselben Orden ze Rodis und den nennet man den großen Maister von Rodis, des Diener bin ich auch gewesen, aber nit lang, des han ich auch Brief mit seiner Bull und Secret mit schwarzem Wachs.“ (Inselbücherei 312, Seite 26.)

Diese kulturhistorisch wichtige Nachricht besagt, daß die Johanniter am Hafendamm turmartige Windmühlen anlegten, die im Frieden der Mehlbereitung und im Kriege der Feindabwehr dienten; man könnte hier von „Wehrmühlen“ sprechen. Diese wunderbaren alten Türme ragen noch am Strande von Rhodos und auf der Insel Kos, und verleihen der Landschaft einen eigentümlichen Zauber.

Das zweite mittelalterlidie Zeugnis ist ungefähr achtzig Jahre jünger, aus dem Jahre 1521, von einem Manne, der uns aus einem berühmten Studentenlied des Dichters Scheffel bekannt ist:

„Ott' Heinrich, der Pfalzgraf bei Rheine,

Der sprach eines Morgans: ,Rem blemm!

Ich pfeif auf die saueren Weine,

Ich geh' nach Jerusalem.' “

Tatsächlich unternahm Pfalzgraf Ottheinrich 1521 eine Wallfahrt nach Jerusalem, die ihn über Rhodos führte. Den Empfang auf der Rückfahrt schildert er in seinem Tagebuch also:

„Und als wir den 18. septembris vorgemelt gen Rhodis fröhlich mit ufgestecktem Fahnen in hafen kamen, schickt der groß-maister zu Rhodis — den granprior aus Franokreich mit sambt seinem Marschalck und den wallern — sambt andern treffelichen undt allen Deutschen des Ordens, mir Otto ' Hainrichen entgegen in einer großen parcken, mich mit trumeten ehrlich us der naufen — (Schiff) — zu holen.“ (Alex. v. Reitzenstein, Ottheinridi v. d. Pfalz, Bremen 1939, S. 49.)

Ottheinrich sah sich auch die Sehenswürdigkeiten von Rhodos an und besuchte in der Nähe der Stadt „eine malestatt“, „Mala-passon, das ist zum bösen Weg, aldo vor zeiten ein giftiger wurm oder trach sich enthalten“. Dieser Malposso, dieser böse Weg, auch Ritterweg genannt, ist der Schauplatz von Schillers berühmter Ballade „Der Kampf mit dem Drachen“. Schiller nennt den

Namen des Ritters nicht, der Sage nach war es Deodat von Gozone aus der Provence, eine historische Persönlichkeit, die von 1346 bis 1353 als Großmeister auf Rhodos regierte. In der neuen St.-Johannes-Basilika außerhalb der Stadt, die von den Italienern neu errichtet wurde, hängen über der Sakristeitür zwei Unterkieferknochen eines vorsintflutlichen Sauriers an verrosteten Ketten, die den Anlaß zu dieser Sage bildeten. Wenn Schiller gleich zu Beginn seiner Ballade von den „langen Gassen“ spricht, durch die sich das Volk wälzt, so ist das keine dichterische Erfindung. Diese langen Gassen sind die prächtige Rittergasse und der Alte Markt, welche die ganze Altstadt von einem zum andern Ende durchqueren. Von den übrigen Inseln des Dodekanes kommt K o s an Schönheit der Insel Rhodos ganz nahe; die gleichnamige Stadt ist sozusagen eine kleine Miniaturausgabe ihrer größeren Schwester. Auch hier stehen am Strande die alten turmartigen Windmühlen, die heute noch in Betrieb sind, auch hier gibt es eine mächtige Johanniterburg mit Mauern und Bastionen, von den schlanken Minaretten der Türken überhöht. Kos besitzt auch ein ehrwürdiges Erinnerungsmal an die Antike, die sogenannte Platane des Hippokrates, einen mächtigen Baum von drei Meter Durchmesser und zwölf Meter Umfang, dessen Äste von Säulenresten gestützt werden. Auf Kos wurde der berühmteste Arzt des Altertums und der Vater der medizinischen Wissenschaft, Hippokrates, geboren; einige Kilometer außerhalb der Stadt sieht man heute noch die Reste des Asklepios-Tempels, in dem er seinen Unterricht erteilte. Es starb auf Kos einer der gefeiertsten' Künstler Griechenlands, der Maler Apelles.

Während die Insel Rhodos 45.000 Einwohner zählt, kommt ihr an Einwohnerzahl K a 1 y m n o s mit 24.000 am nächsten. Die Insel besitzt keinerlei Sehenswürdigkeiten noch landschaftliche Reize, ist jedoch ein bedeutendes Fabrikations- und Handelszentrum. Hier werden die Schwämme, die an der anatolischen und afrikanischen Küste ! sowie im Bereich des Dodekanes selbst gefischt werden, präpariert, verarbeitet und in alle Welt exportiert. Hier trifft man daher viele Handelsvertreter, die deutsch sprechen.

Es sei noch das öde Patmos erwähnt, eine langgestreckte, kahle Felseninsel, auf welcher der Evangelist Johannes, vom Kaiser Domitian verbannt, das deutungsreichste Buch der Welt, die „Apokalypse“, schrieb. Vom höchsten Berggipfel der Insel grüßt das blendendweiße Kloster, das der hl. Christodulos im Jahre 1088 zu Ehren des Evangelisten erbaut hatte. Ein ehrfurchtsvolles Schweigen liegt über der einsamen Landschaft, in der Johannes jene prophetischen Gesichte empfing, die nicht nur die Theologie und Philosophie, sondern auch die Dichtkunst und Malerei immer wieder beschäftigten. Etwas Geheimnisvolles, Mystisches liegt über der kahlen Insel, an deren Gestaden das Schiff stundenlang vorüberfährt, sie hält den Blick fest wie von einem Zauber gebannt, bis sie den Augen im Dunstkreis der Ferne entschwindet.

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