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Der lange Atem der Waldenser

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Die Waldenser gelten als Vorläufer der Franziskusbewegung. 1532 schlössen sie sich der Reformation an. Nach langer Verfolgung überlebten nur wenige in den italienischen Alpen.

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Die Waldenser gelten als Vorläufer der Franziskusbewegung. 1532 schlössen sie sich der Reformation an. Nach langer Verfolgung überlebten nur wenige in den italienischen Alpen.

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Wenn irgendwo ein rechtschaffener Mann lebt, der es sich zum Ziel gemacht hat, Gott zu lieben und Jesus zu fürchten, der darauf verzichtet, jemanden zu verleumden, zu fluchen oder zu lügen, der keinen Ehebruch begeht, der nicht tötet und stiehlt, und der sich auch an seinen Feinden nicht rächt -wenn sie irgendwo so einen finden, dann sagen sie, daß er ein Waldenser ist und den Tod verdient.” So heißt es in der „Nobla Leiczon”, einem mittelalterlichen Waldensertext, dessen Titel übersetzt etwa „Hehre Unterweisung” bedeutet.

Diese Zeilen enthalten - wenn auch indirekt - eine Anklage gegen die Mehrheit der Christen, nämlich daß diese sich nicht den Geboten Gottes entsprechend verhielten. Diese Einschätzung geht direkt auf den Gründer der Waldenser, einen gewissen Waldo, Kaufmann aus Lyon, zurück. Eine zeitgenössische Quelle berichtet, daß im Jahr 1173 im „gallischen Lyon” ein reicher Bürger namens Valdesius gelebt habe. Eines Sonntags habe er eine Predigt gehört, und die Worte hätten ihn so beeindruckt, daß er kurz darauf seine ganzen Reichtümer hergegeben habe. Ei -nen Teil davon verwendete er übrigens, um eine Ubersetzung der Bibel ins Okzitanische (die damals in Lyon verbreitete Sprache) zu finanzieren.

Die weiblichen Familienmitglieder wurden dazu gebracht, (mehr oder weniger freiwillig) ins Kloster zu gehen, und Waldo machte sich gemeinsam mit seinen Getreuen auf den Weg, um seine Botschaft zu verkünden. Diese bestand im wesentlichen darin, die Menschen zur Armut und zur Umkehr aufzurufen, zur radikalen Christusnachfolge, würde man heute wohl sagen. Zu ihrem Selbstverständnis gehörte es ja auch, den Auftrag Jesu „Gehet hin und lehrt die Völker” ernst zu nehmen -obwohl sie keine Priester waren, begannen die Waldenser zu predigen

(eine Aufgabe übrigens, die damals noch von Männern und Frauen gleichermaßen wahrgenommen wurde). Dem Vernehmen nach handelte es sich dabei jedoch nicht um Bibelauslegungen, sondern lediglich um ein persönliches Glaubenszeugnis.

Das reichte jedoch aus, um die katholische Kirche auf den Plan zu rufen. Diese war eifrig bestrebt, die immer größer werdenden Armutsbewegungen auszulöschen, allen voran die Katharer, die damals als die Ketzer par excellence galten. Anders als die Waldenser wiesen diese jedoch erhebliche dogmatische Unterschiede zur katholischen Kirche auf.

Waldo als Vorläufer

Waldensische Historiker und Theologen betrachten Waldo demgegenüber als Vorläufer des Franz von Assisi .Vieles haben die beiden tatsächlich gemeinsam: die soziale Herkunft (Kaufleute), das Bekehrungserlebnis, das Bedürfnis nach Armut und die Predigertätigkeit. Den einzigen Unterschied macht der waldensische Historiker Giorgio Tourn in der Haltung gegenüber der päpstlichen Autorität aus: „Franziskus beugte sich dort, wo Waldo Widerstand leistete. [...] Für ihn (Waldo) ist Christus, der uns ruft und im Evangelium anspricht, nicht ident mit der Stimme der Kirche.”

Eine solche Haltung wurde nicht toleriert: die Waldenser wurden aus Lyon vertrieben und 1215 definitiv als Ketzer verurteilt.

Die Gläubigen zerstreuten sich in alle Winde, sie erreichten unter anderem auch den Donauraum. In Osterreich war Steyr eine der Waldenser-hochburgen. Wie überall wurden sie auch hierzulande blutig verfolgt. Prozeßakten zeigen, daß es nur zwei Alternativen gab: Rückkehr zum Katholizismus oder Tod.

Europaweit gesehen waren es vor allem drei Regionen, in denen sich die Waldenser niederließen: Südfrankreich (also ihr Ursprungsgebiet), Süditalien und die Alpentäler des norditalienischen Piemont. In Südfrankreich und Süditalien wurden die kleinen Gemeinschaften in grausamen Massakern vernichtet. Ein Umstand, der das begünstigte, war die Tatsache, daß die Waldenser offenbar nicht den geringsten Widerstand leisteten, sie sollen so von der Friedensbotschaft Jesu überzeugt gewesen sein, daß sie sich nicht einmal mit einem Stock oder einem Stein verteidigten. Einzig in den piemontesischen Alpentälern, die damals zum Herzogtum Savoyen gehörten, konnten sich die Waldenser erhalten. Zwar wurden sie auch hier verfolgt, aber sie verstanden es, verschiedene günstige Faktoren geschickt zu nutzen. So waren sie - im Unterschied zu den Truppen des Herzogs - mit der unwegsamen Landschaft bestens vertraut. Weiters hatten sie erfahren, was mit ihren Glaubensbrüdern im Süden geschehen war, und daraus ihre Schlüsse gezogen. Man beschloß, sich auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Es kam zu einer Art Guerillakrieg, und einige übereifrige Kämpfer waren auch dazu bereit, von sich aus Angriffe zu starten.

Erst seit 1848 frei

Das erste Massaker an den piemontesischen Waldensern fand im Jahr 1560 statt, wobei die Soldaten feststellen mußten, daß die vermeintlich leichten Gegner (der größte Teil von. ihnen Bauern) nicht ohne weiteres zu schlagen waren. In der Folge schloß der Herzog von Savoyen einen Vertrag mit den Waldensern, der ihnen zwar ein Ghettodasein in ihren Tälern aufzwang, in ihren Gebieten wurde ihnen jedoch die Ausübung ihrer Be-ligion erlaubt.

Mit dazu beigetragen haben mag der Umstand, daß sich die Waldenser im Jahr 1532 der Beformation angeschlossen hatten: Aus der mittelalterlichen Untergrundbewegung war so eine Kirche modernen Zuschnitts geworden, die sogar für eine gewisse Zeit ihren alten Namen aufgab und sich „Beformierte Kirche Italiens” nannte. Diese Wende hatte auch politische Auswirkungen: die Waldenser erhielten finanzielle und diplomatische Unterstützung aus dem nahegelegenen Genf, aber auch aus den Niederlanden, England und Frankreich. Zwar kam es immer wieder zu blutigen „Strafexpeditionen”, der Minderheit gelang es jedoch trotzdem - oft mehr schlecht als recht - zu überleben. So lang, bis sie im Revolutionsjahr 1848 das Recht bekam, die ihr zugewiesenen Gebiete zu verlassen und sich nach Belieben zu bewegen.

Die Waldenserkirche in Italien zählt heute 30.000 bis 40.000 Mitglieder. Die meisten von ihnen leben immer noch in den piemontesischen Tälern. Auswanderer haben die Kirche auch nach Übersee gebracht, hier sind vor allem die USA und Uruguay zu nennen.

Laienspiritualität

Fragt man die italienischen Waldenser heute, was ihre Kultur prägt, so erhält man sofort eines zur Antwort: „Wir sind für die Trennung von Staat und Kirche.” Verbindungen zum Staat, wie sie bei den Katholiken (bis hin in die Parteienlandschaft), aber auch bei Lutheranern vorkommen, lehnen die Waldenser kategorisch ab. Ein zweites Charakteristikum nennt Sergio Ribet, Gemeindepfarrer von Pomaretto: „Unsere Spiritualität ist laizistisch geprägt. Dinge wie Kerzen in der Kirche oder Kniebeugen sagen uns wenig - obwohl sie natürlich nicht verboten sind. Für uns sind das eher äußerliche Zeichen von Frömmigkeit, die uns nicht so sehr zusagen. Was uns jedoch besonders wichtig ist, ist im Alltag dem Evangelium entsprechend zu leben - in der Kindererziehung oder im Umgang mit Ausländern. Das sind Dinge, die einem Außenstehenden nicht sofort ins Auge springen, aber sie haben deshalb nicht weniger Bedeutung.”

Das Verhältnis zur katholischen Kirche bezeichnet Bibet als gut, es gibt immer wieder Anlässe zur ökumenischen Zusammenarbeit. Klassische Bereiche dafür sind Bildung und Sozialarbeit. „Aber über unseren Glauben reden wir kaum miteinander”, fügt der Pastor hinzu, „weder über das, was uns freut, noch über das, was uns stört. Wenn es um die Religion geht, sind es beide, Katholiken und Waldenser immer noch gewohnt, unter sich zu bleiben.”

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