Der Nahostkonflikt und die Rolle der Medien

Podcast mit Christopher Resch

Diese Folge blickt auf die Situation der Medien und die Pressefreiheit im Nahen Osten. Christopher Resch, Pressereferent für Reporter ohne Grenzen und ehemaliger freier Journalist, spricht mit Host Amira El Ahl über die Lage in Westasien und Nordafrika, die Presse- und Medienfreiheit in der Region und die Rolle, die Medienhäuser und soziale Netzwerke dort einnehmen.  

Diese Folge wurde Ende November 2023 aufgezeichnet. 

Hintergrundinformationen und Beiträge aus der Region bietet das Portal Qantara in arabischer, englischer und deutscher Sprache, das vom ifa in Kooperation mit der Deutschen Welle herausgegeben wird.

 

Illustration: Lea Dohle

Kulturaußenpolitik hörbar machen.

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Transkript der Folge

Der Nahostkonflikt und die Rolle der Medien. Mit Christopher Resch

Amira El Ahl: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "die Kulturmittler:innen", dem ifa-Podcast zur auswärtigen Kulturpolitik. Mein Name ist Amira El Ahl, und ich freue mich sehr, dass sie bei dieser Episode wieder mit dabei sind. Spätestens mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauffolgenden Großoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen schaut die Welt auf den Nahen Osten.

Auch wir wollen in dieser Episode über den Nahen Osten sprechen und dabei einerseits auf die Medien und Pressefreiheit in der Region blicken und zum anderen auf die Rolle, die soziale Netzwerke dort einnehmen. Dazu spreche ich heute mit Christopher Resch. Er ist Pressereferent für "Reporter ohne Grenzen" mit besonderem Fokus auf der MENA-Region und Südosteuropa. Zuvor hat er als freier Journalist vor allem über Themen aus Westasien und Nordafrika berichtet und für das Goethe-Institut in Ägypten und Saudi-Arabien gearbeitet. Herr Resch, herzlich willkommen bei den Kulturmittler:innen!

Christopher Resch: Vielen Dank.

Amira El Ahl: Für alle, die sich nicht hauptberuflich mit dem Nahen Osten beschäftigen: Über welches Gebiet sprechen wir eigentlich, wenn wir vom Nahen Osten reden?

Christopher Resch: Ja, von welchen Regionen sprechen wir? Das ist eine gute Frage, weil die Antwort auf gute Fragen wie immer gar nicht so leicht ist. Also an sich sind das die Länder von Marokko im Westen Nordafrikas bis - jetzt gehen wir geografisch ganz weit rüber in den Osten - bis zum Irak und sozusagen die Golfstaaten im Osten noch drin auf der arabischen Halbinsel. Stellenweise kommt, das ist bei uns bei Reporter ohne Grenzen so, der Iran noch dazu. Es ist natürlich kein arabisches Land, aber regional vielleicht ein bisschen ähnlich. Naher Osten, Mittlerer Osten, das sind eigentlich Begriffe, die sind ein bisschen eurozentristisch. Unsere Perspektive ist da der ausschlaggebende Faktor. Deswegen hat man versucht, in den letzten Jahren auch ein bisschen wissenschaftlich gegründet, das eher anders zu fassen, eher vielleicht so neutral, geographisch - wenn das denn geht.

Middle East, Northern Afrika, dann wäre aber besser WANA vielleicht zu sagen, dass ist Western Asia Northern Afrika oder Southwest Asia Northern Afrika, ein bisschen ein Versuch der neutralen Begriffe. Letzten Endes bleiben es trotzdem Sammelbegriffe, die fassen verschiedene Länder. Wir reden da über Regionen von, ich glaube, mittlerweile an die 350 Millionen Menschen, und die alle werden dann unter einem Begriff gesammelt. Das kann nicht so richtig gut gehen, das ist eine Verallgemeinerung. Deswegen wäre ich dafür, präziser zu formulieren, also je präziser, desto besser. Aber das sind so die Länder und die Menschen in den Ländern, von denen wir sprechen, wenn es um den Nahen Osten geht, so in etwa.

Amira El Ahl: Also, wir bleiben heute ein bisschen bei dem Begriff Naher Osten, damit es nicht ganz so kompliziert wird. Aber vielleicht kann man ja sagen, das sind so grob auch drei Regionen, haben sie ja gerade schon gesagt. Geografisch also Nordafrika, arabische Halbinsel, Levante ist ja auch noch dabei. Also es ist nicht so einfach, wie sie gerade sagten. Aber aus ihrer Sicht als Arabist und als jemand, der sich hauptberuflich mit dem Nahen Osten beschäftigt, wenn wir das jetzt mal so nennen wollen, gibt es in den westlichen Medien und den westlichen Gesellschaften einen bestimmten Blick oder ein vorherrschendes Bild, wenn wir über den Nahen Osten sprechen und über den Nahen Osten berichtet wird?

Christopher Resch: Ja, also, ich denke, das ist schon so, dass der der nachrichtliche Fokus, die Art und Weise, wie die Nachrichten, Medien auf diese Regionen schauen oder vielleicht auch auf die drei eben nochmal skizzierten Regionen schon bestimmt ist von Sensationalismus, von Aufregerthemen und das ist halt häufig leider dann auch von Gewalt. Also das lernen junge Journalisten und Journalistinnen auch im Studium, aber da ist auch viel dran.

Es gibt so diese gewissen Nachrichtenfaktoren wie Nähe oder auch persönliche Betroffenheit oder auch Sensationalismus und Aufreger. Sachen, die ziehen einfach mehr, sag ich mal. In der Psychologie bleibt das einfach mehr drinne. Also negative Themen bleiben mehr haften, und dann kommt dazu, das lange - ich meine, das ist jetzt über 20 Jahre her - aber 9/11, also der 11. September 2001, und der War on Terror, haben einfach sehr viel in der Nachrichtenöffentlichkeit dominiert. Also in der Art und Weise, wie berichtet wurde, auch in der Art und Weise, wie die heimischen, die deutschen Redaktionen Themen im Ausland angefragt haben von ihren Korrespondenten und Korrespondentinnen. Ja, aber wenn man hinschaut, ich hab's vorhin gesagt, 350 Millionen Menschen, da muss es viele Grautöne geben, die man aber nur sehen wollen muss und hinschauen möchte und hinschauen muss.

Amira El Ahl: Und andersrum ist es vielleicht sogar noch schwieriger, als wenn man fragt, wie schaut der Nahe Osten auf den Westen oder auf Europa und im ganz Speziellen auf Deutschland. Kann man das überhaupt so verallgemeinern? Also weil es eben eigentlich ja so komplex ist und so eine Riesen-Region mit so unterschiedlichen Ländern?

Christopher Resch: Ja, ich denke, man kann es eigentlich nicht. Aber wir wollen ja jetzt hier nicht nur allgemein bleiben. Sie haben es ja auch vorhin gesagt, man muss gewisse Dinge auch immer pragmatisch angehen, und da gibt es vermutlich schon einfach gewisse Tendenzen, die sichtbar sind. Also auch aus meiner persönlichen Erfahrung, in der arabischen Welt unterwegs zu sein, beruflich, aber durchaus auf privaten Reisen, wo man auf eine andere Art noch mal ins Gespräch kommt, das können viele Hörerinnen sicherlich nachvollziehen, hat Deutschland schon noch eine positive Rolle, also diese klischeehaften deutschen Tugenden: Fleiß, Pünktlichkeit.

Ich habe vermutlich im Ausland in der arabischen Welt häufiger über die deutsche Fußballnationalmannschaft oder auch über Autos gesprochen, als ich es zu Hause jemals tun würde. Also das Bild sozusagen, das soll dieses flapsige Beispiel etwas verdeutlichen ist, ist ein positives. Dann empfinde ich es aber auch so, dass in den letzten Jahren, und vielleicht ist da der Israel- und Hamas-Konflikt jetzt noch mal ein besonderer Katalysator, auch Kritik zunimmt, also dass man darauf schaut. Ja okay, der Westen stellt sich dar und ist auch auf eine Art ein Vorreiter für ein bestimmtes Wertesystem, propagiert und steht auch einfach für bestimmte Werte, die Menschenrechte und so weiter, und dann wird aber häufig eine Doppelmoral kritisiert. Das gebe ich jetzt einfach mal nur wieder, ohne jetzt eine Wertung meinerseits vorzunehmen.

Doppelmoral im Sinne von 'Okay, diese Werte, von denen ihr da drüben im Westen immer sprecht, gelten die denn eigentlich immer?' Also, Gaza/Israel ist ein Beispiel, vielleicht kommen wir da später noch dazu. Qatar, die Fußball WM der Männer im vergangenen Jahr war ein Beispiel, wo auch kritisiert wurde: 'Okay, hier schaut im Westen aber ganz schön von oben herab auf uns'. Also ein gewisser Paternalismus und sieht gar nicht so wirklich, was denn auch Positives im Land passiert, und das gab es unbestreitbar in Qatar. Aber unbestreitbar gibt es eben auch noch viel Kritik. Aber ich glaube, insgesamt ist da...vielleicht manchmal sieht man das aus mehreren Jahren Abstand natürlich noch viel besser. Aber ich habe den Eindruck, dass da gerade schon ein bisschen was im Rutschen ist und in der Veränderung begriffen ist.

Amira El Ahl: Mhm, ja absolut! Wenn man jetzt mal guckt, also ganz speziell auf die Situation der Medien. Wenn man sich die aktuelle Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" zur Pressefreiheit ansieht, dann ist nach wie vor die Region Naher Osten und Nordafrika diejenige mit den meisten Ländern, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als sehr ernst einstuft.

Wenn wir jetzt mal auf den aktuellen Konflikt gucken, als Beispiel: Israel steht auf Platz 97. Verschlechtert sich um elf Plätze, die palästinensischen Gebiete steigen um 14 Plätze auf den Platz 56. Auch wenn es, wir haben es ja gerade schon gesagt, sehr schwer ist, weil die Voraussetzungen in den Ländern des Nahen Ostens so unterschiedlich sind. Aber können sie die Situation der Medien vielleicht mal grob skizzieren? Also, in welchen Ländern gibt es überhaupt eine freie Presse? Wie unabhängig sind die Medien, und welche Rolle und Bedeutung hat und spielt der Staat in der Medienlandschaft?

Christopher Resch: Ja, auch das ist natürlich wieder eine große Frage, aber auch hier muss man die großen Fragen stellen. Ja, also, Sie haben es schon skizziert, noch mal als Vorbemerkung. Es ist tatsächlich so, dass wir bei "Reporter ohne Grenzen", wenn wir auf die Region Naher und Mittlerer Osten gucken, bei uns gehört noch der Iran dazu, dann sehen wir eine Region, die seit vielen Jahren eigentlich so im globalen Vergleich immer ganz weit hinten landet. Hinten landet heißt bei uns, in denen es einfach die Journalisten und Journalistinnen am schwersten haben, frei und unabhängig zu arbeiten.

Wir haben an der Methodik, auf der die Rangliste beruft, bisschen was auch geändert, um sie etwas wissenschaftlicher zu machen. Aber im Groben ist es jetzt so, dass wir da auf fünf Faktoren gucken, und das ist einerseits die politische Lage in dem bestimmten Land oder einem Gebiet, die wirtschaftliche Lage, die rechtliche Lage, die soziokulturelle - da kommen vielleicht gesellschaftliche Tabus oder so rein - und die Sicherheit. Wenn man jetzt so gewisse Länder unter diesen Kategorien anguckt, dann kann man überall, wenn ich ehrlich bin, Haken machen oder ein rotes Kreuzchen, viel mehr. Da ist das nicht gut, da passiert was, da ist was im Argen, gibt es einen Konflikt. Also schon allein die Sicherheitslage ist sehr schwierig.

Wenn ich an Saudi-Arabien denke. Na gut, in Saudi-Arabien passiert an sich nicht viel, weil die roten Linien so stark sind. Also da ist Selbstzensur einfach sehr, sehr verbreitet. Aber in Ägypten sind reihenweise Journalistinnen und Journalisten ins Gefängnis gewandert. In Palästina und Israel haben wir gerade einen heißen Krieg, der aber auch sonst ausstrahlt auf die Rolle und auf die Situation der Medienschaffenden vor Ort, und so geht das eigentlich weiter. Wir haben eine Region, in der generell viele Konflikte herrschen. Konflikt bedeutet mit Bezug auf Medien immer, dass die Einflussnahme einfach steigt. Also der Jemen ist leider oft vergessen in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie.

Aber Jemen ist ein Beispiel dafür, dass einfach viele - es sind gar nicht so viele - aber mehrere Player, mehrere Faktoren da mitspielen, und alle zerren an den Medienleuten vor Ort. Quasi alle wollen von denen was, und das ist ganz schwer, da unabhängig zu bleiben. Auch weil die ökonomische Lage so schwierig ist. Irgendwo muss ich mein Geld verdienen, wenn ich als Journalist jetzt, also ich selber jetzt, im Jemen arbeiten würde, und das ist eine Gemengelage. Ich habe angesprochen, Sicherheit: Wir haben einfach Konflikte, manchmal sogar heiße Kriege. Wir haben häufig eine soziokulturelle Lage, die Tabus befördert. Also, es stehen sehr viel mehr rote Linien in der Medienlandschaft, als wir es glücklicherweise von Deutschland kennen, oder vielleicht auch aus den skandinavischen Ländern.

Mit roten Linien meine ich zum Beispiel Tabus in der Berichterstattung über bestimmte Herrscherhäuser zum Beispiel. Das haben wir in Qatar, wo mit Al Jazeera ein sehr weit gesehener, international wirkmächtiger Fernsehsender ist, aber wirklich kritisch über das Herrscherhaus in Doha kann Al Jazeera auch nicht berichten. Das gilt mit Abstrichen zum Beispiel auch für Kuwait, für Saudi-Arabien sowieso. Also es ist eine Lage, in der einfach sehr, sehr viele, also wirklich sehr viele Einflussfaktoren an der Presse zerren.

Amira El Ahl: Da würde ich ganz gerne mal nachfragen, weil Sie auch Al Jazeera gerade angesprochen haben, also welche Rolle oder welche Bedeutung spielen denn internationale Sender, wie Al Jazeera, die ja eine wichtigere Rolle spielen, im Nahen Osten, oder die BBC oder CNN oder auch die Deutsche Welle?

Christopher Resch: Also erstmal, was diese verschiedenen Sender eint: Es sind ja Medienhäuser, die auch dafür geschaffen wurden, ins jeweilige Ausland zu senden. So wie die Deutsche Welle, wirklich das, zumindest initial so als Hauptziel hatten. Also auch Voice of Amerika würde zum Beispiel noch dazugehören. Auch erst mal total neutral gesprochen. BBC, CNN, die Deutsche Welle selber haben arabischsprachige Programme teilweise schon seit Jahrzehnten. Al Jazeera hat wiederum in englischsprachiges Programm. Seit 2006, wenn ich mich jetzt nicht täusche. Also, das ist immer so ein Programm. Erstmal international ausfahren zu lassen, und dann auch in bestimmten Sprachen, hat immer eine Funktion - man möchte damit was erreichen. Man möchte die Leute einfach erreichen. Ich will gar nicht sagen für bestimmte Zwecke, aber man möchte sie erst mal erreichen. Aber das, glaube ich, im Kopf zu haben, ist schon mal wichtig. Und jetzt wird das arabische Programm von sehr, sehr vielen Menschen gesehen. Die Moderatoren, Moderatorinnen sind weithin bekannt, wie Shireen Abu Akleh, die im Mai 2022 in Jenin mutmaßlich von einer israelischen Kugel getötet wurde.

Amira El Ahl: Also man muss sagen, Shireen Abu Akleh war Journalistin für den Sender Al Jazeera.

Christopher Resch: Richtig, danke schön! Eine sehr bekannte Al Jazeera-Moderatorin, und als sie getötet wurde, war gefühlte Volkstrauer in vielen Haushalten in der arabischen Welt. Also man wächst mit einer Person wie Abu Akleh auf als Al Jazeera-Moderatorin. Der Fernsehsender läuft, und es ist Al Jazeera, was läuft. Aber es ist letzten Endes kein unabhängiger Sender. Er wird kontrolliert indirekt, vielleicht, vom Herrscherhaus in Qatar, und das zeigt sich daran, dass die redaktionelle Linie immer so ein bisschen mitschwingt.

Also beim arabischen Frühling, wie auch immer man es nennen mag, Arabellion, arabische Aufstände, 2011 hat Al Jazeera anders berichtet als zuvor. Also da war eine politische Linie erkennbar: Man war so auf Seiten der Muslimbrüder. Berichtet aber auch einen Tick anders als jetzt, wo Qatar sich wieder positioniert als globaler Player, als Vermittler, und die Zwischenrolle einnimmt. Das sehen wir auch jetzt bei den Hamas-Verhandlungen, auch die Fußball-WM der Männer im vergangenen Jahr. Ich hab es angesprochen, das ist im Endeffekt auch Teil von der qatarischen Vermittlerrolle. Und dazu gehört auch Al Jazeera. Also für Qatar ist Al Jazeera letzten Endes ein sehr elaboriertes - und das ist auch nicht nur der einzige Zweck - aber eigentlich ein Mittel der Soft Diplomacy, wie man sie so schön nennt.

Aber eigentlich, und dazu gehört eine Sache noch, die hatte ich in der Antwort vorhin nämlich, glaube ich, vergessen. So vom Verständnis her - und das wird natürlich manchen Ländern vielleicht auch nicht gerecht - aber in vielen Ländern der Region, auf die wir schauen, ist der Staat einfach ein sehr starker, auch vom Selbstverständnis her ein autoritärer, also so ein patriarchaler Staat. Der kontrolliert auch, zum Beispiel Druckereien, kontrolliert auch Vertriebswege. Es muss ja nicht immer so die harte Zensur sein. Es gibt durchaus Pressegesetze, die in der Verfassung stehen, und so weiter. Man muss halt schauen, was die dann auf dem Papier gelten. Aber diese Rolle des Staates, der quasi so von oben herab alles lenken möchte und am liebsten alles selbst entscheidet, da ist natürlich so jemand wie eine unabhängige Journalistin, die findet da keine Rolle, die darf da gar nicht sein, sozusagen.

Amira El Ahl: Aber das finde ich ganz interessant, weil man sagt, es sei schwierig unabhängige Journalist:innen zu finden. Also das heißt, das sind dann auch die Herausforderungen für Journalist:innen im Nahen Osten, vielleicht unterschiedliche, ob man jetzt einheimische:r Journalist:in ist oder ob man ausländischer Journalist ist, und arbeiten die unter unterschiedlichen Bedingungen und haben die unterschiedliche Herausforderungen?

Christopher Resch: Also, das würde ich schon sagen, ja. Zumindest häufig. Also wir sehen zum Beispiel mit Blick auf Ägypten häufig so, dass die ägyptische Regierung viel mehr ein Auge drauf hat, was sozusagen im arabischen Raum passiert - also im arabischsprachigen Raum passiert, weil man eben auf die eigene Gesellschaften vor allem guckt. Man guckt auch ins Ausland. Der ägyptische Geheimdienst ist zum Beispiel auch in Berlin aktiv. Das ist ja irgendwie bekannt.

Aber wichtig ist vor allem, weil man gesehen hat, dieser Schock von den Aufständen 2011, die eigene Gesellschaft zuvorderst mal im Blick und im Griff zu haben, und da spielen natürlich Medienleute eine große Rolle. Man hat das gesehen, dass viele von den Star-Moderatoren im ägyptischen Fernsehen, ja nicht so viele, ich tu da ganz vielen auch Unrecht - aber einige stecken mit dem Geheimndienst unter einer Decke und werden durchaus auch benutzt und rufen zum Beispiel im Programm auf eigentlich für die 'gute ägyptische Gesellschaft', das ist ja erstmal okay. Aber der Beifang ist eben, dass alles, was da nicht darunter gehört, irgendwie platt gemacht wird oder einfach nicht dazugehören darf.

Amira El Ahl: Ja und gut, und die, die das nicht tun, sind dann auch meistens nicht mehr in Ägypten, sondern im Ausland mittlerweile, wie zum Beispiel Bassem Youssef, der ein sehr prominentes Beispiel dafür ist, in der ägyptischen Medienlandschaft.

Christopher Resch: Ja, ganz genau, der es vorgezogen hat zu gehen.

Amira El Ahl: Genau, da sind ganz viele Sachen, wo ich gerne anknüpfen würde. Unter anderem auch was das Narrativ angeht: Sie sagen, die eigene Gesellschaft im Blick haben, weil man ja natürlich auch Narrative versucht zu steuern. Also unabhängiger Journalismus, kritischer Journalismus, den versucht man ja wahrscheinlich dann auch zu unterbinden, wenn es einem nicht so passt, was da berichtet wird?

Christopher Resch: Genau ja, und da steht vielen Staaten einfach das komplette Arsenal der Repression offen. Wir nehmen diesen Podcast Ende November auf. Vor wenigen Tagen ist Lina Attalah, die Chefredakteurin von Mada Masr - ich bin wieder in Ägypten - vorgeladen worden. Mada Masr ist eines der bekanntesten, wahrscheinlich auch besten unabhängigen Medien, und auch wenigsten, muss man sagen, es gibt kaum noch unabhängige Medien im Land. Die Anklagepunkte sind im Moment noch so ein bisschen unklar. Die Seite ist offiziell geblockt worden, die Website für sechs Monate. Indirekt war sie das eigentlich schon. Also jetzt ist es quasi offiziell. Wirklich von Staats wegen.

Ja und das ist das eine: Lina Attalah ist sehr bekannt und hat viele Preise bekommen. Sie ist eine großartige Journalistin, deswegen vielleicht ein Tick weniger angreifbar, wobei ich das auch gleich in Klammern sagen möchte, als andere Journalistinnen und Journalisten, die im Gefängnis sitzen und auch bleiben, und da hat Ägypten auch wenig Probleme damit. Aber Ägypten ist, muss man auch sagen, unter al-Sisi ein sehr negatives Beispiel geworden. Wir haben graduell, mit gradueller Verbesserung oder graduell vom Unterschied her auch andere Situationen. Also im Libanon ist es stellenweise - ich mein, da haben wir eine extrem schlechte ökonomische Situation - aber an sich kann man sich als Medienschaffende dort freier bewegen als in Ägypten.

Im Jemen haben wir die Sache mit dem Krieg, dass das nochmal ganz anders macht. Gaza ist eh ganz anders. Es sind ganz verschiedene Lagen, die wir haben, so aber nur um es zu verallgemeinern oder zu subsumieren, irgendwie Journalist und Journalistin in den Ländern des Nahen Ostens zu sein, dafür braucht man wahnsinnig viel Mut und auch wirklich viel Sitzfleisch, und ich persönlich habe den allergrößten Respekt vor jedem, der das tut.

Amira El Ahl: Ja, absolut, ich auch. Lassen Sie uns, weil Sie es gerade angesprochen haben, nochmal auf den aktuellen Konflikt zu sprechen kommen. Laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten sind, Stand 27. November, nach sieben Wochen Krieg zwischen der Hamas und Israel bisher 57 Journalistinnen ums Leben gekommen, 50 Palästinenser, vier Israelis und drei Libanesen. Das sind erschreckend hohe Zahlen. Hat dieser Konflikt eine neue Qualität im Vergleich zu anderen Kriegen, wie etwa in der Ukraine?

Christopher Resch: Das sind erschreckend hohe Zahlen. Unsere Zahlen von "Reporter ohne Grenzen" sind etwa genauso hoch, und ja, es hat eine andere Qualität, rein durch die hohen Zahlen. Also es ist knifflig, darüber nachzudenken, woran das denn liegt. Wir haben vielleicht zwei Wellen in dem Ganzen. Wir haben den 7. Oktober, wo die Terroristen der Hamas ihre Terrorzüge nach Israel rein gestartet haben und da wirklich kaltblütig Leute erschossen haben, ermordet haben, entführt haben. Das wissen wir alle. Darunter waren eben auch Journalistinnen und Journalisten. Und dann haben wir in der Folge die Reaktion des israelischen Militärs darauf, wo einfach durch die Art der Kriegsführung, also wir reden da von einem phasenweise sehr massiven, phasenweise auch in einer Fläche sehr flächendeckenden Bombardement, einfach wahnsinnig viele Zivilisten ums Leben kamen.

Und es liegt mir total fern zu sagen, also, ich hatte das manchmal gefragt, okay, dann sind eben Journalisten einfach in dieser Menge so eine Art Kollateralschaden, weil sie ja auch da leben. Das ist sehr zynisch, aber das kann nicht sein. Also, ein Journalist, Jounalistin muss sich exponieren, muss hingehen. Wir sehen das ja an der Art und Weise, wie auch die Hamas, wie alle Seiten in so einem heißen Krieg Propaganda betreiben, ihr Narrativ fahren muss. Und gerade deswegen brauchen wir Leute, die zum Beispiel zu Raketeneinschlagskratern dann gehen und, na ja, vielleicht die Toten zählen oder zumindest die Beschädigungen anschauen. Das brauchen wir.

Deswegen müssen die Leute dahin, und deswegen sind sie stärker exponiert, und deswegen werden sie getötet. Also, es ist ein unglaubliches Dilemma, das hier gerade vor Ort passiert, und wir können einfach nur appellieren an das Völkerrecht, das sagt, Zivilisten müssen so gut es geht geschützt werden, und wir bei "Reporter ohne Grenzen" sehen das aktuell nicht, wenn wir ehrlich sind.

Amira El Ahl: Sie haben, glaube ich, auch einem anderen Gespräch mal gesagt, es ist der tödlichste Beginn eines Krieges im einundzwanzigsten Jahrhundert. Weil sie das gerade gesagt haben: Man muss hingehen. Das ist ja der Job eines Journalisten, ja das Auge und die Stimme derer zu sein, die eben nicht für sich sprechen können, und der Welt zu zeigen, was passiert in einem Konflikt. Wie frei und unabhängig kann man aber im Gazastreifen überhaupt noch arbeiten als Journalist? Ist das möglich?

Christopher Resch: Schwer zu sagen, von hier aus. Ich weiß es nicht, wenn ich ehrlich bin. Also wir stehen natürlich in Kontakt - wir haben eine langejährige RSF-Korrespondentin, die macht auch andere Dinge, aber arbeitet seit Jahren auch für uns, die jetzt auch verletzt wurde, als sie vor einem Einschlag floh, aber nicht sozusagen bei der Arbeit. Ihr Mann ist seit fast 30 Jahren einer der Korrespondenten für AFP. Diese Leute gibt es. Diese Leute sind erfahrene Journalisten. Die haben hohe ethische Standards. Wie viele andere Journalisten und Journalistinnen auf der Welt.

Aber klar, Sie haben es gesagt. Vor Ort jetzt, es ist trotzdem einen Krieg. Ich habe trotzdem, wenn ich dort arbeite, vielleicht eine Familie, vielleicht Kinder, vielleicht muss ich Sprit für mein Auto finden, um zu dem erwähnten Einschlagskrater zu fahren. Vielleicht mache ich mir einfach Sorgen und hab eine verdammte Angst. Das alles spielt eine Rolle. Das ist die eine Ebene Alltag im Krieg. Und dann haben wir die andere Ebene, und die ist natürlich auch enorm wichtig. Wie unabhängig kann ich berichten in einem Gebiet, das von der Hamas kontrolliert wird?

Amira El Ahl: Das wäre meine Nachfrage gewesen. Ja. Also auch vor dem Krieg.

Christopher Resch: Also ich glaube, man unterschätzt manchmal, dass es doch eine relativ starke Zivilgesellschaft gegeben hat. Ich sage mal, bis zum 7. Oktober gegeben hat, die durchaus auch die Hamas in Grenzen sicher kritisieren konnte oder vielleicht zumindest auf zivilgesellschaftlicher Ebene Dinge getan hat, die eigentlich dem Selbstverständnis der Hamas zuwiderlaufen. Ich bin mir aber sicher, dass es gerade wahnsinnig, wahnsinnig schwer ist. Und das ist ein Kampf um Narrative.

Wir haben überall Desinformation und Propaganda gegen die diese Journalistinnen und Journalisten ankommen müssen, und es hat ja auch schon Versuche gegeben, sie zu diskreditieren. Zu diskreditieren, das ist eine Wertung vielleicht. Aber es hat so einen Bericht gegeben von so einer israelischen NGO „Honest Reporting“, die gemeint hat, sie decke gerade auf, dass, es waren vor allem Fotojournalisten, auch von AP, Reuters, CNN und so weiter, von der Hamas informiert gewesen seien am 7. Oktober, und dann sich mit der Hamas gemein gemacht hätten, weil sie über den Terrorzug dieser Terroristen berichtet hätten, und vor Ort waren.

Und es gibt mindestens einen Fall, der sehr kritisch ist. Vielleicht gibt es da noch einen zweiten Fall. Wir recherchieren und forschen dann natürlich auch zu. Aber insgesamt ist es natürlich auch die Rolle von Journalisten und Journalistinnen, schnell vor Ort zu sein, zu fotografieren, und ich glaube, das ist so ein Beispiel, indem man irgendwie doch unterschätzt, wie differenziert die Lage auch in Gaza war und ist. Also, nicht alles ist dort Hamas, und das ist, finde ich, eigentlich eine Binsenweisheit. Aber es kommt eben sehr, sehr verkürzt an, auch bei uns in der Debatte, und ich finde, deswegen muss man diese Binsenweisheiten manchmal aussprechen. Weil, toxisch und giftig ist die Debattenkultur hier ohnehin. Deswegen finde ich, kann man sich auch drüber hinweg setzen und einfach auf die Differenziertheiten immer weiter hinweisen.

Amira El Ahl: Ich glaube, das ist sehr wichtig, weil ich glaube, man unterschätzt vor allem, wenn man die Regionen selber gut kennt, also natürlich, wie fern sie für andere ist und wie wenig differenzierten Einblick man hat. Also von daher finde ich immer sehr wichtig, dass man nochmal differenziert draufschaut und auch eben solche Wahrheiten auch nochmal ausspricht, weil das natürlich nicht jeder weiß, und das ist ja auch klar, nicht jeder kennt sich im Nahostkonflikt aus, der ist auch einfach zu komplex manchmal zu durchdringen.

Aber lassen Sie uns doch nochmal über die Rolle der sozialen Medien im Nahen Osten reden, weil das ja auch das Beispiel, was sie gerade genannt haben, auch damit einklinkt. Diese Bilder sind ja durch die sozialen Medien gegangen, hundertfach und immer wieder reproduziert, und die sozialen Medien spielen einfach auch in diesem Konflikt eine wirklich große Rolle. Vielleicht noch mal zum Hintergrund für unsere Zuhörer, weil sie ja vorhin auch schon mal gesagt haben, wie viele Menschen eigentlich im Nahen Osten leben, und über 200 Millionen Menschen sind zwischen 18 und 24 Jahren in der arabischen Welt, also die sogenannte Gen Z.

Das ist extrem viel, und etwa 77 Prozent der Menschen in der Region haben laut einer aktuellen Studie zugang zum Internet. Der globale Durchschnitt liegt bei etwa 65 Prozent. Welche Plattformen nutzen denn die Menschen in der Region am meisten, Herr Resch, und wie wichtig sind die sozialen Medien im Nahen Osten für den Austausch, für Informationsgewinnung und die Berichterstattung vor allem, wenn wir jetzt nochmal über das nachdenken, was sie vorhin gesagt haben, also staatliche Zensur, Selbstzensur, so in diesem Blickwinkel?

Christopher Resch: Insgesamt gibt es natürlich wieder große Unterschiede zwischen den Ländern. Das ist jetzt einfach in jeder Antwort mitgedacht. Aber ja, wir haben zum Beispiel in Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten eine extrem hohe Nutzung von Social Media und so weiter. Im Kriegsgebiet wie dem Jemen ist die naturgemäß etwas niedriger. Aber von den sozialen Medien, die genutzt werden, ist das eigentlich ganz ähnlich wie hier. Mir kommt es immer so vor, als wäre Snapchat in der in der Region etwas mehr benutzt als hier bei uns.

Allerdings bin ich jetzt auch schon 40 Jahre alt und bin vielleicht auch nicht mehr da ganz up to date. Aber ich glaube, man schaut einfach viel YouTube, man ist natürlich auf Tiktok unterwegs, Instagram spielt auch eine Rolle, Facebook auf jeden Fall noch mehr als hierzulande in Europa. Da würde ich Facebook eher schon auf dem, ja selbst für mich schon auf dem absteigenden Ast sehe. Und Twitter oder X, wie es seit neuestem num heißt. Das sind einfach die bekannten Plattformen, der großen Anbieter, Meta und so weiter. Die stellenweise eingeschränkt werden, manchmal auch blockiert werden, wie das zum Beispiel im Iran der Fall ist, und in vielen anderen Ländern phasenweise der Fall war.

 Aber gerade die jungen Leute, und Sie haben es gesagt, wie hoch einfach der Grad an der Gen Z sozusagen ist, der Grad der jungen Generation, die kennen sich aus. Also, wir sind immer wieder erstaunt. Ich habe es eingangs gesagt. Wir schauen bei "Reporter ohne Grenzen" auch auf den Iran, und wir sind immer wieder erstaunt, wie alltäglich kenntnisreich die Leute zum Beispiel im Umgang mit VPNs sind, also solchen virtuellen Netzwerken, die quasi verschleiern, dass ich gerade im Iran sitze und ein Video nach draußen schicke. Das ist ein kleines Programm das so tut, als wäre ich zum Beispiel in den USA oder anderswo. Und das ist da einfach durch die jahrelange Erfahrung auch mit Kontrolle und Zensur, und das haben wir noch gar nicht so gesagt.

Wir sprechen über eine Region, die sehr, sehr viel Expertise angehäuft hat, was digitale Überwachung betrifft. Es ist also die Emirate, der Iran, Saudi-Arabien, natürlich auch Israel. Das sind Hotspots der Herstellung oder auch der Nutzung von digitaler Überwachung. Das sollte ich noch dazu sagen, an der Stelle. Auch vielleicht in Ländern, wo man es nicht so sehr vermuten würde. Für mich zum Beispiel war das mit Blick auf den Iran relativ neu. Aber vielleicht noch mal einen Schritt zurück. Es ist eine Region in der Social Media eine wahnsinnig wichtige Rolle spielt - die aber auch stark eingeschränkt ist. Also, für viele, ich konzentriere ich mal ein bisschen auf dem Bereich Pressefreiheit jetzt.

Für viele Journalisten und Journalistinnen bietet Facebook zum Beispiel eine Möglichkeit, oder generell Social Media, stark auf Facebook einfach zu berichten, an redaktionellen Linien vorbei oder auch an den Einflussnahme des Staates. Stichwort Druckerpresse zum Beispiel, oder Vertriebswege, die kontrolliert werden, daran vorbei, einfach berichten. Also das ist so ein bisschen pathetisch gesprochen schon irgendwie ein Fenster zur Freiheit.

Man hat das oft gesehen, dass darüber über Social Media eigentlich sowohl untereinander, also in den Gesellschaften auf lokaler Ebene als auch dann nach draußen an die internationale Community oder die Beobachter und Beobachterinnen von draußen, Informationen verbreitet werden, die man ohne die sozialen Medien viel, viel stärker hätte suchen müssen, weil eben die Zeitungen und Fernsehsender zensiert werden und so weiter, oder weil ein junger Journalist, der in Mashhad im Iran sitzt, die Möglichkeiten gar nicht gar nicht hätte, wie bekommt er überhaupt dieses Publikum, das ihm Social Media bieten kann? Also, das ist ein extrem großes Fenster zur Freiheit.

Es ist aber zugleich, und das ist durchaus auch eine direkte Gegenreaktion, ein ziemlich hart umkämpfter Raum, weil natürlich die Regierungen und Regime dieser Region das wissen. Die kennen ja ihre Bevölkerungen. Die überwachen ihre Bevölkerungen und die sehen schon, was dort geschieht, und deswegen ist der Grad an Überwachung und Kontrolle auf Social Media eben auch wahnsinnig hoch, und das ist manchmal so ein gewisses ‚Katz- und Mausspiel‘ mit ungewissem Ausgang.

Das Problem ist nur, dass diese Plattformen ja nicht neutral sind. Diese Plattformen sind ja gewinnorientierte Unternehmen. Das können sie sein. Aber man denkt manchmal: 'Okay, die sind so, wie das Internet mal sein sollte'. Also diese Anbieter, der diese Möglichmacher von offenem Diskurs und so weiter. Aber das sind sie gar gar nicht und das sehen wir zum Beispiel gerade bei Twitter oder X ganz deutlich. Wo eigentlich von den Launen des Besitzers Elon Musk abhängig ist, wie der Duktus dort herrscht, was okay ist oder nicht, und er verschiebt das gerade in Richtung mehr Antisemitismus - würde er anders sagen, weiß ich - aber mehr Antisemitismus und mehr Rassismus. Das heißt, der Wind kann sich da ganz, ganz schnell drehen. Deswegen ist es ein Problem, sich darauf zu verlassen. Aber solange es diese Plattform noch gibt, haben sie einfach ganz viel Potenzial in beide Richtungen.

Amira El Ahl: Also, es ist immer eine Gradwanderung zwischen dem, was kann ich sagen, und was wird passieren. Aber vielleicht können wir noch mal, weil Sie das vorhin ja auch schon mal angesprochen haben, die Rolle von sozialen Medien bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nochmal einordnen, weil beim arabischen Frühling oder Arabellion, wie auch immer man sie nennen möchte, oder auch bei den Protesten im Iran haben sie ja dann doch eine wichtige Rolle gespielt, oder?

Christopher Resch: Ja, schon, also mit Abstrichen. Schon mit Abstrichen. Es war damals schon die Rede von der 'Facebook-Revolution', also 2011, relativ zeitig schon.

Amira El Ahl: Oder die Twitter-Revolution?

Christopher Resch: Oder die Twitter-Revolution, und ich meine auch ich selber, habe mal ein Foto gemacht von auf die Wand getaggten oder gesprühten Facebook-Zeichen in Kairo, als ich damals war, und hab das so wahrgenommen, als wäre das sozusagen ein Symbol für die Bedeutung dieser sozialen Netzwerke, und sicher waren die auch wichtig für die Mobilisierung und für die Vernetzung. Aber wenn man genauer hinschaut, eben auch nur von bestimmten Gruppen und auch nur innerhalb bestimmter Schichten, und ich glaube, aus heutiger Perspektive scheint mir das eigentlich zumindest zu einem ähnlich großen Teil auch in der Sache unserer Wahrnehmung oder der westlichen Wahrnehmung zu sein.

Weil für unsere Perspektive war das sicher auch eine Facebook-Revolution, weil man eben über Facebook live und direkt mitverfolgen konnte, was da passiert ist - 2011 war ich glaube ich, seit zwei, drei Jahren bei Facebook,. Also, ich glaube, es ist eher, dass das Medium da ist, die Potenziale von gewissen Gruppen, in dem Fall der Jugend oder den jungen Erwachsenen in Kairo rund um den Tahrirplatz erkannt wurden und man sich derer bedient hat quasi. Aber ja, es hat eine Rolle gespielt, und das sieht man schon auch an den staatlichen Reaktionen, hat man eben schon kurz angesprochen. Es gab dann relativ schnell Sperrungen und Verbote, teils von Social Media, teils aber auch großflächiger.

Amira El Ahl: Das Internet wurde einfach abgestellt.

Christopher Resch: Genau. Das Internet.

Amira El Ahl: Ich war dabei. Also, da ging es einfach nichts mehr. Ich meine, das kann man halt auch machen. Man kann halt auch einfach das Internet abstellen.

Christopher Resch: Genau, und die Telekommunikationsverbindungen auch. Wenig subtil. Das hat auch das iranische Regime jetzt gemacht, ab dem September 2022 mit den 'Jina Mahsa Amini-Aufständen'. Und also es hat immer einen Kollateralschaden, wenn man sowas macht, das Internet abzuschalten, weil über das Internet auch im Iran, auch in Ägypten, einfach wahnsinnig viel anderes läuft, auch Geschäftliches zum Beispiel. Einnahmen, auch für den Staat. Aber der Staat kann das. Es gibt wenige Internetknoten, nur die sind bekannt, da kann er einfach sagen, ne Blockade reinsetzen. Aber noch als Reaktion auf diese, woran man quasi auch noch gesehen hat, wie wichtig Facebook und die sozialen Medien waren. Damals war es vor allem Facebook, auch Twitter natürlich.

Man sieht es an den staatlichen Reaktionen, weil auch die Regierungen viel stärker über Social Media kommunizieren. Also die ägyptische Regierung hat mit Vorliebe damals so kurz nach Mitternacht irgendwelche eigentlich ganz wichtigen Dekrete kommuniziert über Facebook, und das zeigt schon auch, dass diese Rolle irgendwie anerkannt wurde. Ich glaube, es muss den Funken und gewissen Drive in einer Gesellschaft natürlich schon gegeben haben, und dann kann Social Media einsetzen oder bewusst benutzt werden. Aber ohne das sind es einfach nur technische Plattformen, also man darf die dann auch nicht so personifizieren und überbewerten.

Amira El Ahl: Vielleicht zum Abschluss würde ich ganz gerne nochmal auf den aktuellen Konflikt zurückkommen und schauen, wie wird Social Media eigentlich in Kriegs- und Krisenzeiten eingesetzt? Also welche Chancen, aber auch Gefahren stellen alternative Medien da, gerade in so einem Konflikt, wie wir ihn jetzt sehen, in Israel und Palästina?

Christopher Resch: Ja also, wenn ich ehrlich bin und wenn ich mir den Diskurs in den sozialen Medien angucke, wenn ich mir angucke, wie viel und vor allem auch mit welcher Art und Tonalität kommentiert wird, fällt es mir ehrlich gesagt schwer, positive Dinge zu sehen. Also positive Dinge, die soziale Medien in so einem Konflikt wie gerade in Palästina und Israel bieten können. Weil sie bieten einfach überhaupt keinen Raum für Ausgewogenheit.

Jede Silbe kann falsch verstanden werden, wird falsch verstanden werden, weil einfach A die Aufmerksamkeitsspanne zu gering ist. B aber auch, das wäre jetzt bei Twitter mehr der Fall, der Platz begrenzt ist. Klar, keiner hat Zeit, eine zweistündige Doku zu gucken oder ein Buch zu lesen, aber viele Leute haben auch gar nicht mehr das Interesse, und da spielen die sozialen Medien schon eine Rolle, finde ich, weil die natürlich dafür gesorgt haben, dass diese Spirale sich schnell weiterdreht, und zwar immer schneller, weil die Algorithmen so geschaltet sind und so programmiert sind. Das war jetzt ganz negativ und das bin ich auch, ehrlich gesagt im Moment.  Ich mach es natürlich beruflich, weil ich auf diesen Konflikt schauen muss, und es ist wahnsinnig wichtig, aber privat nutze ich Twitter und Facebook gerade nicht mehr, weil mir das alles viel zu toxisch und giftig ist. Aber natürlich die positiven Dinge, die so eine Plattform bieten kann, bleiben noch bestehen.

Also ganz banal, wovon wir bei "Reporter ohne Grenzen" vieles unsere Informationen aus dem Gazastreifen gerade beziehen, ist auch über Facebook, weil das die lokalen Journalisten, Journalistinnen einfach nutzen als Plattform. Es gibt da noch die großen Agenturen drin, aber eben dann auch die andere Ebene der Leute, die über Facebook berichten, zum Beispiel. Das ist goldwert. Natürlich haben wir immer das Problem der Verifizierung, gar nicht mal nur wegen künstliche Intelligenz und so weiter, aber auch sonst dutzende Beispiele, dass irgendwelche Videos, die über Social Media verbreitet wurden, eigentlich von ganz woanders her stammen. Aus dem Sudan vor fünf Jahren, aus der Ukraine letztes Jahr, solche Dinge.

Amira El Ahl: Syrien, Aleppo.

Christopher Resch: Syrien. Natürlich. Genau. Und es fehlt das journalistische Korrektiv oder die Einordnung, sozusagen auch die Auswahl durchaus, die vorher geschehen ist. Das alles haben wir auf Social Media nicht, aber die Unmittelbarkeit kann manchmal halt auch ein Vorteil sein. Aber es erfordert eben von uns Journalisten und Journalistinnen oder von uns, die wir uns in der Medienszene bewegen, eigentlich von jedem Nutzer, jeder Nutzerin ein ganz genaues Hinschauen.

Amira El Ahl: Das sagt Christopher Resch, Pressereferent für "Reporter ohne Grenzen". Vielen Dank für das Gespräch und dass Sie sich die Zeit genommen haben.

Christopher Resch: Danke ihnen, Frau El Ahl.

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