Die Illusion des besten Einkaufspreises
Optische Illusion, Quelle: Wikimedia

Die Illusion des besten Einkaufspreises

Letztendlich dreht sich fast alles, was wir im Einkauf tun, um den Preis - daher sollten wir mehr über ihn nachdenken

Den folgenden Artikel habe ich 2014 für ein Fachmagazin geschrieben. Auf oft benutzte Fachausdrücke aus der Ökonomie, Spieltheorie, etc. wollte ich hier bewusst verzichten, um über das Thema aus der Praxis und für die Praxis nachzudenken.

Jeder Mensch, der einige Zeit mit Einkauf beschäftigt war, kennt Aussagen seiner Lieferanten wie: "Den Preis kann ich aber nur machen, wenn er absolut vertraulich bleibt.“ oder „Wenn das andere Kunden erfahren, kann ich zusperren!" Solche Statements der Vertriebsseite führen oft zu einem erfolgreichen Abschluss des Geschäfts, da die einkaufende Partei hinter dem Angebot einen optimalen Preis vermutet und sich den aufwändigen Vergleich mit Konkurrenzlieferanten vermeintlich ersparen kann. Diese "Illusion des besten Preises“ stellt jedoch meiner Erfahrung nach eines der größten Hindernisse für die kontinuierliche, effektive Einkaufsoptimierung dar.

"Wir machen so viel Umsatz bei diesem Lieferanten, bei uns achtet er nicht auf die Marge, sondern lediglich auf seinen Grundumsatz"

Der "beste“ Preis ist Ansichtssache

Eine eindeutige Definition des "besten Preises" gestaltet sich als schwierig, man kann es aber aus verschiedenen Blickwinkeln versuchen:

  1. Theoretisch betrachtet ist der "beste Preis" einer, den kein anderer Einkäufer für den gleichen Gegenwert unter sonst gleichbleibenden Bedingungen (z. B. Zeit und Ort) erreicht. Dies ist jedoch praktisch fast nie mess- oder beweisbar und führt somit zu Illusionen.
  2. Für einen operativen Einkäufer ist der "beste Preis" das Angebot des zum aktuellen Zeitpunkt bestbietenden Lieferanten ("Wir schreiben ohnehin aus."). Nach dieser Definition kann der Preis allerdings deutlich über oder unter den tatsächlichen Herstellkosten liegen. So kann es sein, dass selbst das beste Angebot weit weg von einem wirklich guten Preis liegt. Bieten Lieferanten beispielsweise über einen längeren Zeitraum hinweg einen Preis unter den Herstellkosten an, werden sie früher oder später Probleme bekommen und die Preise erhöhen, Qualität und Service reduzieren oder sich vom Markt verabschieden müssen. Eine solche kurzfristige Betrachtungsweise kann daher für die Unternehmen in beiden Fällen durchaus gefährlich sein.
  3. Psychologisch betrachtet ist der "beste Preis" nichts anderes als die "Wohlfühlzone" für den Einkäufer. Das ist menschlich und nachvollziehbar: wenn ich es irgendwie argumentieren kann, dass mein Preis optimal ist, muss mir erst einmal jemand das Gegenteil beweisen. Große Einkaufsvolumina werden da nicht selten als Rechtfertigung herangezogen: "Wir machen so viel Umsatz bei diesem Lieferanten, bei uns achtet er nicht auf die Marge, sondern lediglich auf seinen Grundumsatz". Umgekehrt argumentieren Einkäufer kleinerer Volumina: "Unsere Bestellmengen sind nicht so groß, Lieferanten nehmen uns kaum wahr und kümmern sich um größere Kunden". In beiden Fällen ist ein Gespräch mit Kollegen aus der eigenen Vertriebsabteilung ratsam, um zu klären, ob große Einkaufsmengen immer bessere Preise mit sich bringen und wie viele der eigenen Kunden tatsächlich keinen Deckungsbeitrag erzielen müssen.
  4. Mithilfe der Kostenrechnung kann ein "langfristig guter Preis" oder besser gesagt ein "fairer Preis" definiert werden. Dieser setzt sich zusammen aus den Vollkosten und einem fairen Beitrag zur Ergebnismarge. Darüber hinaus könnte man einen Korridor, der sich zwischen den Vollkosten und maximal der doppelten durchschnittlichen Ergebnismarge der Zulieferbranche aufspannt, als einen "gesunden Preis" bezeichnen (siehe Abbildung). Preise darüber begünstigen den Lieferanten ungebührend auf Kosten des Einkaufs und sollten vermieden bzw. reduziert werden.

Abbildung: Preis-Mengen-Relation (idealtypischer Verlauf)

Eine derart detaillierte Kostenbetrachtung erfordert einigen Aufwand sowie spezielle Expertise und ist daher im laufenden Tagesgeschäft eines operativ getriebenen Einkaufs nicht möglich. Daher streben viele Einkäufer ein Benchmarking mit der Konkurrenz an, wobei es aber neben kartellrechtlichen Fallen auch technisch bzw. methodisch einiges zu beachten gilt. Um einen realistischen Hinweis auf den "besten" Preis zu erhalten, müsste nahezu der gesamte Markt befragt werden – das wäre jedoch mit großem Aufwand verbunden. Bei einer kleineren Stichprobe wiederum müssten die Teilnehmer des Benchmarking kürzlich bzw. regelmäßig den Lieferantenmarkt breit und seriös befragt haben. In einem nächsten Schritt müsste das so erhaltene Preisniveau gegen Rohstoffmärkte und andere Einflüsse gemessen bzw. geprüft werden. Eine Voraussetzung unter den Teilnehmern eines Benchmarkings müsste auch sein, dass ein niedriger Preis tatsächlich hohe Priorität (im Wesentlichen gegenüber qualitativem oder logistischen Zusatznutzen) hat. Alles in allem, ist es mit großem Aufwand verbunden, den "besten Preis" tatsächlich zu eruieren.

Der "beste Preis" als Sackgasse

Es gibt allerdings auch (Einkaufs-) Manager, die um die Illusion des "besten Preises" Bescheid wissen und daher ein anderes Ziel verfolgen: einen "immer besseren Preis" oder noch sinnvoller: immer niedrigere Gesamtkosten. Diese Unternehmenslenker honorieren laufende Optimierung im Sinne einer relativen Verbesserung, so wie sie selbst oft an einer positiven Entwicklung gemessen werden. Für sie ist der "beste Preis" daher ein unbefriedigender Zustand, sozusagen eine Sackgasse. Von diesen Akteuren wird man den Begriff "bester Preis" entsprechend auch nicht hören. Ihr Ziel ist es, unter genau definierten Anforderungen den optimalen Preis zu zahlen, bei dem der bestgeeignete Lieferant seine Kosten langfristig decken kann und dazu einen moderaten Ergebnisbeitrag verdient. Ist das nicht der Fall, wird der Preis weiter optimiert; ist das bereits der Fall, widmet man sich den tatsächlichen Kosten hinter dem Preis, sowohl im eigenen Unternehmen als auch in der gesamten Supply Chain.

Bitte ein Patentrezept!

An dieser Stelle sollen Illusionen zerstreut und nicht neue aufgebaut werden, daher wäre es vermessen, die Anleitung für optimale Preise auf wenige Sätze zu reduzieren. In Literatur sowie Praxis sind zahlreiche Ansätzen, Maßnahmen oder "best practices" für einzelne Branchen, Produkte und Dienstleistungen zu finden, denn so individuell und spezifisch müssen entsprechende Maßnahmen definiert werden. Trotzdem können drei grundlegende Leitlinien formuliert werden, die sich stets als erfolgversprechend erwiesen haben:

  1. Vollständige Transparenz über sämtliche Preis- und Kostenbestandteile erlangen!
  2. Noch intensiveren Wettbewerb schaffen!
  3. Gegen Preisrisiken (z. B. Vorprodukte) absichern und diese fair mit dem Lieferanten teilen!

Es war und ist die "Illusion des besten Preises", die dazu beiträgt, dass ein qualitativ schlechter Lieferant mit einem talentierten Vertrieb im Markt weiterhin erfolgreich sein kann. Es ist die gleiche Illusion, die es Unternehmen erschwert, sich wirklich nachhaltig im Einkauf zu verbessern.

To view or add a comment, sign in

Explore topics