Russland
Bluffen, Pokern und Kaffeesatzlesen: Trump will aus Raketen-Verbotsvertrag aussteigen

Nach Donald Trumps Absichtserklärung, den INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen zu kündigen, verhandelt sein Sicherheitsberater in Moskau.

Stefan Scholl, Moskau
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Einer der wichtigsten Abrüstungsverträge: Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnen 1987 das Abkommen über das Verbot landgestützter Mittelstreckenwaffen.

Einer der wichtigsten Abrüstungsverträge: Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnen 1987 das Abkommen über das Verbot landgestützter Mittelstreckenwaffen.

Keystone

Donald Trumps Ankündigung, den INF-Vertrag zu kündigen, zeuge von wenig Verstand, sagte der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow. Er hatte den INF-Vertrag vor 31 Jahren gemeinsam mit Ronald Reagan unterzeichnet. «Washingtons Drang, die Abrüstungspolitik zurückzudrehen, darf niemand unterstützen, das muss jetzt nicht nur Russland klarmachen, sondern jeder, dem der Frieden teuer ist.»

Moskau reagiert derweil einerseits empört auf Trumps Ankündigung, andererseits wirkt es nicht besonders überrascht. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte gestern, solche Schritte machten die Welt gefährlicher. Aussenminister Sergei Lawrow hingegen bezeichnete Trumps Ankündigung als Absicht, eine Entscheidung des US-Präsidenten habe er noch nicht gesehen. «Jetzt im Kaffeesatz zu lesen, ist wenig produktiv.» Die russische Seite wolle auf die offiziellen Erklärungen der amerikanischen Kollegen warten – ein Hinweis auf den laufenden Besuch von US-Sicherheitsberater John Bolton in Moskau.

Darüber streiten Russland und die USA

Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind wegen vieler Streitpunkte zerrüttet. Hinzu kommt nun die Ankündigung des US-Präsidenten, ein wichtiges Abkommen zur Rüstungskontrolle aufzukündigen. Eine Übersicht der Konfliktfelder:

- Sanktionen Die US-Regierung hat eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt. Etwa wegen des Attentats auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal, für das der Westen Moskau verantwortlich macht. Oder wegen der mutmasslich russischen Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl 2016. Der Kreml kritisiert die Massnahmen.

- Ukraine An der Ukraine im Osten Europas hat sich 2014 das schwerste Zerwürfnis zwischen Russland und den USA mit ihren Verbündeten seit dem Kalten Krieg entzündet. Wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und wegen des verdeckten russischen Militäreinsatzes für Separatisten in der Ostukraine haben die USA und die EU Sanktionen verhängt. Mehr als 10 000 Menschen sind im Osten der Ex-Sowjetrepublik getötet worden, eine Lösung steht aus.

- Syrien Im Syrien-Krieg hat Russland als militärische Schutzmacht von Präsident Baschar al-Assad eine starke Stellung. Mit der Türkei handelte der Kreml ein Abkommen zur Rebellenhochburg Idlib aus. Die USA sind in Syrien zwar militärisch präsent, ihr Einsatz konzentriert sich aber auf den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) und ihr Einfluss auf die Gemengelage ist begrenzt.

- Abrüstungsverträge Neben dem INF-Vertrag hakt es auch an anderer Stelle. Denn das ausgeklügelte System der nuklearen Rüstungskontrolle ist in die Jahre gekommen und braucht eine Erneuerung.

- Nord Stream 2 Trump stört sich an der geplanten russisch-deutschen Erdgaspipeline durch die Ostsee. Wegen Nord Stream 2 kritisiert er auch Deutschland immer wieder scharf. Aus Moskauer Sicht geht es bei diesem Streit um Konkurrenz: Die USA wollten ihr Flüssigerdgas nach Europa verkaufen, argumentiert der Kreml. (sda)

Bolton verhandelte gestern mit dem Sekretär des russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew. Anschliessend liessen beide Seiten lediglich knapp verlauten, man habe ausser über Syrien, Nordkorea und Terrorismusbekämpfung auch über Rüstungsvereinbarungen gesprochen. Boltons heutiges Treffen mit Wladimir Putin wird vermutlich mehr Gesprächsstoff liefern.

Aussteigen, um zu verhandeln?

Viele Beobachter in Moskau vermuten, Trump bluffe mit dem angekündigten INF-Ausstieg oder pokere zumindest. Die Zeitung «Kommersant» zitiert mehrere «militärisch-diplomatische Quellen», die vermuten, Trump wolle mit seiner Ankündigung den Einsatz in die Höhe treiben, danach aber würden die USA doch verhandeln. «Die Amerikaner müssen Rücksicht auf ihre europäischen Verbündeten nehmen, denn ebendiese würden ins Visier russischer Kurz- und Mittelstreckenraketen geraten.» Und die Agentur RIA Nowosti zitiert den Sankt Petersburger Politologen Alexander Kubyschkin, Trump steige aus dem INF-Vertrag aus, um sofort Verhandlungen über ein neues, für die USA vorteilhafteres Abkommen zu beginnen.

Der Moskauer Militärexperte Viktor Litowkin sagt allerdings dieser Zeitung, Trump wolle den Vertrag wirklich kippen: «Er hat der heimischen Rüstungsindustrie mehr Aufträge versprochen. Ausserdem will er ein neues Wettrüsten mit Russland, in der Hoffnung, dass es – wie einst die Sowjetunion – wirtschaftlich zusammenbricht.» Und schliesslich würden ja die Mittelstreckenraketen, die Russland als Antwort stationieren müsse, auf Europa zielen. «Damit will Trump das Verhältnis zwischen den europäischen Ländern und Russland weiter verschlechtern.»

Gegenseitige Vorwürfe

Das INF-Abkommen untersagt Russen wie Amerikanern seit 1988, landgestützte Atomraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern aufzustellen. Es führte zur Verschrottung von 846 amerikanischen und 1846 sowjetischen Atomraketen. Beide Seiten werfen sich aber seit Jahren vor, den Vertrag zu brechen. Die USA meldeten 2014 mehrere russische Tests neuer Mittelstreckenraketen. Anfang 2017 verkündeten sie, Russland habe bereits 2 Bataillone mit nuklearen Raketen ausgerüstet, deren Reichweite nach Einschätzung amerikanischer Experten bei 2000 bis 2500 Kilometern liegt.

Moskau versichert, es gebe keine solchen Raketen. Seinerseits wirft es den Amerikanern vor, sie nutzten bei den Tests ihrer Anti-Raketen-Systeme verbotene Pershing-II-Flugkörper als Zielobjekte. Vor allem aber installieren die Amerikaner für ihr Anti-Raketen-Schild in Rumänien und Polen nach russischer Lesart Aegis-Ashore-Systeme mit Abschussrampen, von denen man auch seegestützte Tomahawk-Raketen mit einer Reichweite bis 2500 Kilometer abfeuern könne. Nach Ansicht von Fachleuten ist es jedoch waffentechnisch für beide Seiten kein Problem mehr, Abschussrampen für solche Raketen auch am Boden oder auf Lastwagen zu installieren. Der INF-Vertrag habe aber auch regelmässige gegenseitige Kontrollen und Konsultationen sichergestellt, sagt Litowkin. «Das Vertrauen zwischen beiden Seiten droht, sich immer mehr Richtung Nullpunkt zu bewegen.»