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GfK Die Vereinsmeier

Das von der GfK ermittelte Konsumklima steigt kontinuierlich, aber: Die Nürnberger Marktforscher selbst sind trotz Konjunktur-Hochwetterlage ins Schlingern geraten. Der Umsatz schrumpft, das vereinsabhängige und börsennotierte Unternehmen schreibt Verluste.
Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg: GfK-Leiter Hartmann hat ein verpfuschtes Erbe übernommen

Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg: GfK-Leiter Hartmann hat ein verpfuschtes Erbe übernommen

Foto: DPA

Hamburg - Manchmal malt Matthias Hartmann (47) die Welt so wie sie ihm gefällt. Der Chef der Nürnberger GfK-Gruppe schwärmt vor Analysten von der glänzenden Zukunft des viertgrößten Marktforschungskonzerns der Welt. Erst kürzlich, so Hartmann, habe er Aufträge zur Messung von Einschaltquoten in Brasilien und Saudi- Arabien ergattert. Auch eine Kooperation mit Twitter habe er abgeschlossen.

Und überhaupt sitze die GfK  "auf einem Goldberg von Daten", die müsse man jetzt nur noch intelligent miteinander verknüpfen. Bei jedem Highlight, das es zu vermelden gibt, huscht ein Lächeln über Hartmanns Gesicht. Irgendwie, so scheint es, läuft alles super. Doch das Gegenteil trifft zu: Die Erlöse der GfK sind 2013 auf knapp 1,5 Milliarden Euro geschrumpft, das Unternehmen mit seinen 13 000 Mitarbeitern schreibt Verluste. Dies allerdings erwähnt Hartmann auf dem Investorentag in Frankfurt nicht.

Offenbar leidet der talentierte Rhetoriker an notorischem Optimismus: In den vergangenen 16 Monaten musste er Prognosen zurücknehmen und drei Gewinnwarnungen herausgeben.

Hartmann hat bei seiner Inthronisierung im Dezember 2011 ein verpfuschtes Erbe übernommen. Vielerorts im GfK-Reich mit damals mehr als 200 Töchtern herrschte Chaos. Die wenigsten der meist zugekauften regionalen Befragungsbuden waren in die Muttergesellschaft integriert, sie betrieben ihr eigenes Buchhaltungssystem und eine eigene Software für die Datenerfassung.

Die Missstände setzten sich in der Zentrale fort. Die Verantwortlichkeiten der Vorstände überschnitten sich; es gab riesige Berichtsspannen. Obendrein werkelten die einzelnen Sparten isoliert vor sich hin. Synergieeffekte? Fehlanzeige.

56 Prozent der Anteile hält der Verein

Die Ursache der Probleme gründet in den Eigentumsverhältnissen der GfK  : Die Geschicke der im S-Dax notierten Firma liegen in der Hand des GfK Vereins. 56,1 Prozent der Anteile halten die Vereinsmeier - und sie haben ihre Mehrheit in der Vergangenheit weidlich genutzt. Fern jeglicher Compliance-Regeln schoben sie sich die Leitungspositionen untereinander zu und verfolgten eher eigene Interessen als die des Konzerns.

Damit erinnert die GfK in ihrer damaligen Verfassung an ähnliche Mischgebilde aus Verein und Unternehmen wie der ADAC, die TÜV-Gesellschaften oder die Stiftung Warentest, die seit Wochen mit Skandalen und Negativschlagzeilen auffallen. Die Gründe sind vergleichbar: Es fehlen effektive Kontrolle und klare Verantwortlichkeiten.

Seit zwei Jahren müht sich Hartmann nun, seinen Laden aufzuräumen: Er zentralisiert, vereinheitlicht Abläufe und schafft transparente Zuständigkeiten. "Wir stecken in einer Phase von Schweiß und Tränen", klagt der CEO, und ausnahmsweise lächelt er diesmal nicht.

Altlasten des Peter Zühlsdorff

Nur ein paar Fußminuten entfernt von Hartmanns Dienstsitz im Nürnberger Stadtteil St. Johannis residiert der GfK Verein. Dessen Präsident Hubert Weiler (73) ist ganz besonders daran gelegen, dass dem Vorstandschef der Turnaround gelingt, denn die GfK-Dividende bildet die Haupteinnahmequelle des Vereins.

Die 17 Mitarbeiter erstellen Studien und basteln an neuen Methoden der Datenerhebung und -auswertung, wie es die Gesellschaft für Konsumforschung schon bei der Gründung 1934 in ihren Statuten festgeschrieben hat. Die Organisation prosperierte, schließlich verdiente sie so viel Geld, dass ein Wettbewerber gegen die Vermischung von Gemeinnützigkeit und Kommerz klagte.

Seit 1984 bilden der Verein und das Unternehmen zwei eigenständige Einheiten, jedenfalls in rechtlicher Hinsicht. Personell blieben sie lange verflochten.

Die Machtspiele des Peter Zühlsdorff

Kurz nach der Aufspaltung zog Peter Zühlsdorff (73), damals Wella-Vorstand, in die Gremien des Doppelgebildes ein. Über ein Vierteljahrhundert hat er die fränkischen Marktforscher geprägt, zunächst als GfK-Oberkontrolleur und Vereinsvorsteher in Personalunion, später als Ehrenaufsichtsrat und Vereinspräsident. "Die GfK ist ein Teil von mir", sagt der Patriarch stolz.

Dank der Ämterverquickung konnte Zühlsdorff nahezu beliebig schalten und walten. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Klaus L. Wübbenhorst (57) kümmerte sich um das Tagesgeschäft, die Strategie definierte Zühlsdorff.

Mitte der 2000er Jahre schien es, als wolle Zühlsdorff die Macht abgeben. Er übertrug seine Posten Hans-Joachim Riesenbeck (62), damals im Hauptberuf McKinsey-Partner. Tatsächlich agierte der Kämpe aber hinter der Bühne weiter und inszenierte einen Krimi, dessen Ausgang noch immer auf der GfK lastet.

Geplatzte Geheimverhandlungen

Das Stück begann mit Riesenbecks Plan, die GfK mit dem gleich großen britischen Konkurrenten TNS zu verschmelzen. Der Merger of Equals hätte den neuen Konzern auf Platz zwei der Weltrangliste katapultiert (hinter dem US-Wettbewerber Nielsen; siehe Grafik Seite 57) und für beide Partner deutliche Vorteile gebracht: Bei Haushaltsbefragungen war TNS im Asien-Pazifik-Raum stark, die GfK hingegen in Europa. Überlappende Bereiche sollten verkauft werden.

Die Gespräche standen im Frühjahr 2008 kurz vor dem Abschluss, als Zühlsdorff querschoss. Die Vorstellung, dass die GfK-TNS-Zentrale, mit Riesenbeck als Chairman, in London angesiedelt werden sollte, missfiel ihm. Und schon gar nicht wollte er die Vereinsstimmrechte auf 28 Prozent verwässern lassen.

Da fügte es sich, dass die Presse die Geheimverhandlungen publizierte - obgleich aufseiten der GfK nur Riesenbeck, Wübbenhorst und Zühlsdorff eingeweiht waren. Die Nachricht von dem bevorstehenden Zusammenschluss elektrisierte Martin Sorrell (69), den Eigentümer des britischen Marketingkonzerns WPP. Er unterbreitete TNS kurzerhand eine Übernahmeofferte.

Mit dem Angebot Sorrells platzten die Fusionspläne. Doch Riesenbeck ließ nicht locker und schlug vor, dass die Deutschen selbst nach TNS greifen, mit- hilfe eines institutionellen Investors und einiger Banken. Das Konzept ging nicht auf. Am Ende gewannen Sorrell und die Ablehnerfront im GfK Verein.

Käufe im Monatstakt

Im September 2008 trat Riesenbeck mehr oder weniger freiwillig zurück. Die Vereinsführung fiel wieder an Zühlsdorff; GfK-Oberkontrolleur wurde Arno Mahlert (67). Seither gibt es keine personelle Verknüpfung beider Gremien mehr.

Nach dem gescheiterten Deal breitete sich Ratlosigkeit in Nürnberg aus. Wie sollte der GfK ohne einen gewichtigen Partner die Internationalisierung gelingen? Man wählte den bequemsten Weg und einigte sich auf ein "Weiter-so".

Seit dem Börsengang 1999 verfügt die GfK über genügend Geld, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit irgendwo in der Welt ein kleines Unternehmen zu kaufen. Diese Politik setzten Mahlert und CEO Wübbenhorst fort. Fast im Monatstakt dockte ein neue Firma an. Ob sie nachhaltig zur Ergebnissteigerung der GfK beitrug, interessierte wenig. Hauptsache die Erlöse stiegen.

Erst 2011 zeichnete sich ein Umdenken ab - angestoßen von Beratern der Boston Consulting Group. Sie empfahlen einen radikalen Wandel und stellten Profitabilität vor schiere Größe. Heute sagt Mahlert: "Eigentlich hätten wir die Strategie schon früher ändern sollen."

Herbe Rückschläge

Der Kurswechsel ging einher mit dem Austausch des Vorstandsvorsitzenden. Wübbenhorst, der die GfK 13 Jahre lang geleitet hatte und eher zu den Bewahrern zählte, musste im November 2011 Platz machen für Hartmann. Mit ihm steht der GfK nun ein völlig anderer Typus von Manager vor. Hartmann hat sein ganzes Berufsleben für IBM in Deutschland und Amerika gearbeitet, er liebt die Anglizismen und vor allem die Vokabel "Change".

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit führte der Betriebswirt als Konzernsprache Englisch ein. Den Vorstand hat er von sechs auf vier Mitglieder verkleinert, die Kompetenzen neu verteilt und den Geschäftsbereichen eine Matrixorganisation übergestülpt.

Aber Hartmann kommt längst nicht so zügig voran wie erhofft - die Spätfolgen von Wübbenhorsts Laissez-faire-Politik bremsen ihn immer wieder aus. So stellte sich Anfang 2013 heraus, dass die türkische Landesgesellschaft jahrelang Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen hatte. Bittere Konsequenz: Rückstellungen von 21 Millionen Euro.

Es ist nicht der einzige Rückschlag, den der ambitionierte CEO hinnehmen musste. Großen Verdruss bereitet ihm derzeit das Geschäft mit der Ad-hoc-Forschung, die vor allem projektbezogene Konsumentenumfragen umfasst. Gerade diesen Sektor, der nur wenig Gewinn abwirft, hatte Wübbenhorst durch Neuerwerbungen stetig ausgebaut und die oft üppigen Kaufpreise als Goodwill in die Bilanz eingestellt. Die Firmenwerte in Höhe von 919 Millionen Euro machten 2013 fast die Hälfte der gesamten GfK-Aktiva aus.

Abschreibungen seien weiterhin "nicht notwendig", versicherte Finanzchefin Pamela Knapp (55) noch im März 2013. Nur sechs Monate später wurden nach einem Impairmenttest mehr als 12 Prozent der Firmenwerte getilgt. Die Goodwill-Reduzierung bescherte der GfK einen Jahresverlust nach Steuern von rund 45 Millionen Euro.

Vorsicht bei den Prognosen

Die unzuverlässigen Aussagen von CFO Knapp haben Hartmanns Reputation beschädigt. Insider wollen wissen, dass Knapps Tage im Vorstand gezählt sind. Denn auch als Personalchefin, die sie ebenfalls ist, reüssiert sie nicht.

Sowohl die GfK als auch der Verein stecken jetzt in einer kniffligen Situation. Schlagen Hartmann und Mahlert der Hauptversammlung vor, trotz des Defizits eine Dividende für 2013 zu zahlen, sinkt das durch die Verluste ohnehin schon verringerte Eigenkapital noch weiter. Verzichten sie auf eine Ausschüttung, muss Vereinspräsident Weiler die Rücklagen anzapfen.

Hartmann agiert derweil zunehmend vorsichtiger. Auf quantitative Prognosen will er sich nicht mehr festlegen. Notgedrungen räumt der CEO ein, dass er die noch von seinem Vorgänger formulierten Gewinnziele für 2015 nicht erreichen werde. Er habe "das Maß der notwendigen Umbauten im Konzern und die Veränderungen im Markt unterschätzt".

Gleichwohl schaut der GfK-Chef frohgemut nach vorn. Er will zusätzliche Großkunden gewinnen und ihnen in allen Ländern einheitliche Dienstleistungen anbieten. Die einträgliche Messung von Abverkaufszahlen im Einzelhandel soll gestärkt und bei margenschwachen Projekten mit Umfragen auf Firmenkäufe verzichtet werden. Im Fokus stehen jetzt digitale Produkte. In einem Jahr laufe das neue Geschäftsmodell, verspricht Hartmann.

Aus Sicht seines Ankeraktionärs sollte es 2015 auch wirklich so weit sein. "Wenn der Umbau bis dahin keine Früchte trägt", droht Weiler, "werden wir dem Aufsichtsrat sagen, dass es so nicht weitergeht."