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ThyssenKrupp Altes Eisen

Das Ruhrkonglomerat gruppiert sich erneut um: Stahl und Werften bleiben, die Probleme auch.

Es war, keine Frage, ein Kraftakt. Ein verbaler jedenfalls.

Wortgewaltig präsentierte das Ruhrunternehmen ThyssenKrupp Mitte November, ein Jahr nach der ersten Neuausrichtung, eine abermalige Strukturwende, eine überarbeitete Strategie als "Anpassung an das sich verändernde Umfeld".

Auf dem Weg zu einem "fokussierten Konglomerat" wurden ein paar Töchter hin-, andere hergeschoben, einige Beteiligungen umgruppiert - alles sprachlich frisch verpackt.

Die Werften finden sich fortan unter dem nicht mehr so nach Wegwerfen klingenden Rubrum "Marine"; die urdeutsche Wortschlange Industriedienstleistungen mutierte zum innovativen Einsilber "Serv" - ohne "ice".

Die Wortakrobatik verbrämte die einzige, wesentliche Neuerung: das Rückbesinnen auf den Stahl. Das Stammgeschäft, das in guten Jahren die Hälfte des Konzerngewinns sichert, war als Börsenkandidat bereits aussortiert. Dann aber mussten die beiden Vorstandsvorsitzenden Ekkehard Schulz, 59, und Gerhard Cromme, 57, die geplante Emission wegen mangelnden Anlegerinteresses kurzfristig absagen.

Jetzt ist der Stahl wieder drin; die übrigen Geschäfte ­ darunter die Werften ­ bleiben vorerst auch, bis auf Widerruf.

Die Analysten waren nur kurzzeitig beeindruckt, auch weil der angeschlagene Ruhrriese zeitgleich deutlich steigende Gewinne avisierte. Einen Tag nach der vollmundigen Strategieproklamation stieg der Aktienkurs, zuletzt fast nur noch auf dem Weg nach unten, um mehr als fünf Prozent; tags darauf sackte er wieder ab.

Die Börsianer stört vor allem die nach wie vor hohe Verschuldung des Konzerns. Deshalb will der Aufsichtsrat bei seiner nächsten Sitzung am 8. Dezember die Ausgabenbremse ziehen. Seit der Verschmelzung im Jahre 1999 kaufte ThyssenKrupp Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von knapp sieben Milliarden Mark. Das Budget für Firmenkäufe soll nun drastisch gekürzt werden.

Gespart werden muss schon allein deshalb, weil vorerst kein frisches Geld mehr hereinkommt. Die ThyssenKrupp-Manager können die ursprünglich auf der Verkaufsliste geführten Werften oder die Maschinenbausparte zur Zeit einfach nicht losschlagen, jedenfalls nicht zu vernünftigen Preisen.

Das Desinvestitionsprogramm in Höhe von zehn Milliarden Mark wird erst einmal auf das Jahr 2002 verschoben; dann können Veräußerungsgewinne steuerfrei kassiert werden.

Die Chance zu einem grundlegenden Umbau des Konzerns hat das Management verpasst, die alte Struktur wurde sogar zementiert; kein Wunder eigentlich, denn hinter Organisationseinheiten und Ressortzuschnitten stecken Personen - und die sind in der Chefetage von ThyssenKrupp besonders zahlreich vertreten.

Die Konzernführung zeigt sich als Proporzgremium aus neun hoch bezahlten Managern, die meisten im vorgerückten Alter. Kein Holdingvorstand eines deutschen Industriekonzerns zählt mehr Mitglieder. Die benachbarte Eon AG, aus dem Zusammenschluss von Veba und Viag hervorgegangen, kommt zum Beispiel mit fünf Vorständen aus.

Die Aufblähung ist fatales Ergebnis einer Integrationslogik, die auf schlichter Arithmetik basiert. Einziges Ziel: die Machtbalance zwischen den Fusionspartnern Thyssen und Krupp zu wahren.

Nach wie vor bleibt uneinsichtig, warum im Ressort Finanzen und Controlling drei Vorstände nebeneinander wirken. Um das Zahlenwerk kümmern sich Ex-Thyssen-Mann Heinz-Gerd Stein, 60, als Finanzchef sowie die beiden Krupp-Leute Gerhard Jooss (59; Rechnungswesen) und Ulrich Middelmann (55; Controlling).

Viel geholfen hat die opulente Personalausstattung nicht. Auf rund 14 Milliarden Mark belaufen sich die Nettoschulden des Ruhrkonglomerats mittlerweile 85 Prozent des Eigenkapitals.

Nicht nur im Finanzressort ist ThyssenKrupp überbesetzt. Auch Manager wie Jürgen Rossberg, 61, wären durchaus verzichtbar. Dem Juristen- im Vorstand offiziell zuständig für Organisationsentwicklung und Immobilien - wird intern nachgesagt, dass er "strategisch überhaupt nichts" bewirke.

Das braucht er auch gar nicht. Denn Rossbergs Aufgabe besteht offenbar im Wesentlichen darin, Krupp-Verweser Berthold Beitz, 87, dem Ehrenvorsitzenden des Aufsichtsrats, über die Seelenlage in der Holding zu berichten. Als ehemaliger Funktionär der Krupp-Stiftung ist Rossberg praktisch unanfechtbar.

Selbst die Position von Eckhard Rohkamm, 57, Chef der ThyssenKrupp-Industriesparte, scheint unerschütterlich. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen dubioser Panzergeschäfte mit Saudi-Arabien Anfang der 90er Jahre konnten seine Stellung nicht gefährden. Auch ein überraschender Gewinneinbruch in seinem Verantwortungsbereich, der den Konzern im vergangenen Jahr in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise stürzte, blieb für den Manager folgenlos.

Was immer die Herren auch tun (oder nicht tun): Aufsichtsratschef Heinz Kriwet, 69, und die Kontrolleure von der Arbeitnehmerseite halten treu zu ihnen.

Konzern-Co-Lenker Schulz begreift die Personalstruktur längst als unabwendbares Schicksal: "Damit muss man fertig werden."

Leben muss ThyssenKrupp wohl auch mit der Doppelspitze. Die stille Hoffnung einzelner Aufsichtsräte, dass sich das Problem mit dem Börsengang der von Schulz geführten Stahlsparte lösen würde, hat getrogen.

So können Mitarbeiter und Anleger nur nach vorn blicken, auf das Jahr 2003. Dann erledigt sich das Führungsproblem quasi rententechnisch von selbst; in jenem Jahr werden vier Vorstände, Hans-Erich Forster, 60, Dieter Hennig, 61, sowie Stein und Rossberg, das interne Pensionsalter von 63 erreicht haben.

Bis dahin wird strategisch aller Voraussicht nach nichts Gravierendes passieren - regelmäßige "Anpassungen an das sich verändernde Umfeld" vielleicht ausgenommen.

Dietmar Student/Thomas Werres