Polnische Ostsee Polen: Weltkriegswracks ziehen Tauchtouristen an

11. Februar 2021, 16:09 Uhr

Tauchsafaris vor der polnischen Küste sind beliebt. Ihre Anzahl hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Über 100 Wracks liegen auf dem Grund der polnischen Ostsee. Besonders reizvoll für Taucher sind jedoch offenbar die Wracks dreier Weltkriegsschiffe, zu denen zu tauchen eigentlich verboten ist. So auch zur "Steuben", die hier vor 76 Jahren versenkt wurde.

Das Meeresamt in Gdynia hat 63 Schiffswracks für Taucher freigegeben. Doch vor der polnischen Küste sind auch Schiffe gesunken, in deren Umkreis das Tauchen streng verboten ist. Es sind die Wracks der nationalsozialistischen Truppentransportschiffe "Wilhelm Gustloff", "Steuben" und "Goya". Sie gelten als Seekriegsgräber. Wer trotzdem zu den Wracks hinabtaucht, macht sich der "Störung der Totenruhe" schuldig. Polnische Taucher finden jedoch, dass die Erkundung rund um die drei Wracks unter bestimmten Auflagen genehmigt werden sollte.

Freigabe der Schiffe gefordert

Ein striktes Tauchverbot rund um die Wracks der "Wilhelm Gustloff", der "Goya" und der "Steuben" ist nach Meinung polnischer Taucher Unsinn. Das sehen unter anderem auch Mitglieder der Gruppe Baltictech so. 2018 haben sie die Leiche eines vermissten Tauchers aus dem Wrack der "Wilhelm Gustloff" geborgen. Die Baltictech-Leute finden, dass Erkundungen unter bestimmten Auflagen genehmigt werden sollten.

"Das ist vergleichbar mit dem Betreten eines Friedhofs, der ist ja auch allgemein für die Öffentlichkeit zugänglich", meint Taucher Krzysztof Wnorowski. Die polnischen Taucher wissen ganz genau, dass trotz des Verbots bei den Wracks getaucht wird. "Nach dem letzten Fund hat die Intensität vielleicht abgenommen, aber es wird dort getaucht. Das weiß ich aus unterschiedlichen Quellen. Es wäre also sinnvoll, das unter bestimmten Voraussetzungen zu erlauben".

NS-Schiffe und ihr Untergang

Die Wracks der "Wilhelm Gustloff", der "Steuben" und der "Goya" sind vor allem aus historischer Sicht interessant. Alle drei Schiffe wurden vom Deutschen Reich zur Evakuierung von Verletzten und Zivilisten aus Ostpreußen genutzt, als die Rote Armee nach Osten durchbrach. Alle drei Schiffe wurden zwischen Januar und April 1945 durch sowjetische U-Boote torpediert und sanken.

Im Rahmen der Operation "Hannibal" der deutschen Kriegsmarine sollten in erster Linie Angehörige der 2. U-Bootlehrdivision und der 22. U-Flottille vom damaligen Gotenhafen, dem heutigen Gdynia, wegen des Vorrückens der Roten Armee Richtung Westen evakuiert werden. Zusätzlich nahmen die "Wilhelm Gustloff", die "Steuben" und die "Goya" Tausende von festsitzenden Flüchtlingen an Bord. Alle Schiffe waren überfüllt. Beim Untergang der "Gustloff" starben mehr als 9.000 Menschen. Sie gilt damit unter Experten als die Schiffskatastrophe mit den meisten Todesopfern. Insgesamt starben bei allen drei Schiffskatastrophen rund 20.000 Menschen.

Haben die Sowjets Wracks geplündert?

Aus der Perspektive eines Tauchers sind die drei Wracks dabei weniger interessant. Dies gelte zumindest für die "Wilhelm Gustloff", sagt Wnorowski. Als er zu ihr getaucht war, musste er feststellen, dass die Sowjets das Wrack massiv zerlegt hatten, um es zu plündern. "Bis heute wissen wir nicht, ob sie es geschafft haben, alles herauszuholen. Der mittlere Schiffsteil ist wie ein Buch zusammengefaltet – die Steuerbord- und Backbordseite berühren sich". Die einzige attraktive Stelle zum Tauchen, so Wnorowski, sei das Heck mit seiner Reling und dem erhaltenen Deck. Beeindruckend sei also höchstens ein Viertel des Wracks, der Rest sei stark verwüstet, sagt er.

Taucher Krysztof Wnorowski auf Unterwasser-Expedition im Taucheranzug mit Taucherbrille in der Ostsee
Taucher Krysztof Wnorowski auf Unterwasser-Expedition in der Ostsee Bildrechte: Katarzyna Tuszynska/MDR

Schiffe gelten als Kriegsgräber

Seit über 15 Jahren gilt um die Schiffe herum eine Sicherheitszone. Alle Unterwasseraktivitäten wie das Angeln sind dort verboten, erklärt Jan Młotkowski, stellvertretender Direktor des Meeresamtes in Gdynia. Dies soll unter anderem Plünderungen verhindern. Die Erlaubnis dort zu tauchen, kann nur vom Seeamt erteilt werden.

Das Interesse der Taucher begann in den 1990er-Jahren, als im deutschen Fernsehen Bilder von der "Goya" gesendet worden waren. In der Reportage waren menschliche Knochen in riesigen Mengen zu sehen. Das hat viel Empörung in der Öffentlichkeit ausgelöst, nach dem Motto: "Wer und mit welcher Erlaubnis taucht dort?" Einige wollen dort hinabtauchen, andere wollen die Sicherheit haben, dass die Mitglieder ihrer Familie in Frieden ruhen. Auf Initiative der deutschen Botschaft wurden Maßnahmen ergriffen, um die Wracks zu schützen. So wurden die Verbote eingeführt und seitdem gelten die Schiffe als Kriegsgräber. In der Praxis ist es fast unmöglich eine Tauch-Genehmigung zu bekommen.

Polen beschränkt Tauchgänge

Ende Februar 2019 hat der Direktor des Meeresamtes in Gdynia eine Verordnung erlassen. Danach ist es möglich, zu Forschungszwecken in Zusammenhang mit der Errichtung eines Registers und dem kulturellen Erbe zu den drei Wracks hinabzutauchen, erklärt sein Stellvertreter Młotkowski. Nach der Verordnung ist es jetzt möglich, wissenschaftliche und archäologische Untersuchungen durchzuführen.

Auf Initiative der Tauchgruppe Baltictech rund um Tomasz Stachura wird aktuell ein Register der Wracks erarbeitet. Dieses finanziert Baltictech zunächst aus eigenen Mitteln und Spenden. Denn nur mit einem Register können auch eventuelle Diebstähle an den Wracks nachgewiesen werden. Außerdem müssten solche Tauchgänge zwingend von einem Archäologen begleitet werden, so eine weitere Forderung der Gruppe.

Taucher Tomasz Stachura bei der Ostsee-Expedition
Taucher Tomasz Stachura bei einer Ostsee-Expedition Bildrechte: Katarzyna Tuszynska/MDR

Immer mehr Tauchtourismus aus den Anrainerstaaten

Reine Ausflüge zu den Wracks werden nach Angaben des Meeresamtes in Gdynia nicht mehr genehmigt. Es gehe aber auch darum, illegale Tauchgänge zu den Wracks, die aus Schweden und Dänemark organisiert werden, zu unterbinden. Seine Behörde sei auf Anzeigen im Internet gestoßen, in denen Tauchgänge zum Wrack der "Wilhelm Gustloff" beworben werden, erklärt Vizedirektor Młotkowski.

"Taucher betrachten manchmal diese Expeditionen genauso wie Bergsteiger die Eroberung der Achtausender", sagt Młotkowski. Frei nach dem Motto: Sie wollen irgendwo sein, weil es ein wichtiger Ort ist, der historisch irgendwie wichtig ist. "Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es ein Kriegsgrab ist und nicht ein Ausflugsort. Dagegen werden wir mit aller Entschlossenheit vorgehen".

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. Juni 2019 | 07:16 Uhr

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