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"Mitleidlose, gefühllose und böswillige Gesinnung"

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- Hamburg - Für den grausamen Hungertod der siebenjährigen Jessica müssen ihre Eltern wegen Mordes lebenslang ins Gefängnis. Die Richter sprachen die 36-jährige Mutter und den 50 Jahre alten Vater am Freitag schuldig, ihre Tochter über Jahre hinweg grob vernachlässigt und vorsätzlich getötet zu haben.

«Sie haben aus mitleidloser, gefühlloser und böswilliger Gesinnung gehandelt, weil sie ihr Leben bei Bekannten und beim Dart leben wollten», sagte der Vorsitzende Richter Gerhard Schaberg in der Urteilsbegründung.

Das von Nachbarn und Behörden unentdeckte Leiden des Mädchens in einer Hochhauswohnung hatte bundesweit Entsetzen hervorgerufen und eine Diskussion um die Mitverantwortung des Staates ausgelöst. «Ein Behördenversagen festzustellen, ist nicht Sache dieses Gerichts», sagte Schaberg.

Über die Qual des Hungerns und Durstens hinaus habe Jessica eine seelische Folter durchlitten. «Die Katze bekam zu fressen, Jessica musste hungern. Die Katze durfte sich frei bewegen, Jessica war in einem dunklen und modrigen Zimmer eingesperrt», sagte der Richter. All dies habe die Kleine bis zu ihrem Tod wahrgenommen.

Die zuletzt auf 9,6 Kilogramm abgemagerte Siebenjährige war am 1. März an erbrochenem Speisebrei erstickt. Die Eltern hatten das Mädchen in einem dunklen und kalten Zimmer in Hamburg-Jenfeld wie eine Gefangene gehalten. «Eine Tat wie diese macht auch ein Schwurgericht ratlos», meinte der Richter. «Durch den Hunger haben sie Jessica grausam zu Tode gebracht.»

Die 36-Jährige, selbst als Kind von ihrer trinkenden Mutter gedemütigt und deshalb voller Hass, habe sich zunehmend überfordert gefühlt. Jessica und auch ihre anderen drei Kinder habe sie immer als Feinde gesehen. Durch die Vernachlässigung Jessicas wollte sie sich Freiräume schaffen.

Auch der Vater, ein «gefühlsmäßig verarmter und fatalistischer Mann», war nach Ansicht der Richter aktiv an dem Mord beteiligt und könne sich nicht darauf berufen, nichts gewusst zu haben. Die «Stromfalle» für das Kind etwa, einen manipulierten Lichtschalter, habe er gebaut, als den Eltern klar wurde, dass ihre Tochter sterben würde, und sie das in Kauf nahmen. Teile des Schalters standen unter Spannung.

Das Gericht folgte mit seiner Entscheidung der Forderung des Staatsanwalts, der den Eltern Mord durch Unterlassen und Misshandlung Schutzbefohlener zur Last gelegt hatte. Die Verteidiger hatten wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener höchstens 15 Jahre Haft beantragt. «Das Urteil wird meiner Mandantin nicht gerecht», sagt der Anwalt der Mutter, Manfred Getzmann. Über eine Revision werde in der kommenden Woche entschieden. Getzmann forderte mehr Engagement für vernachlässigte Kinder. «Reden kann jeder, Taten sind jetzt gefragt», meinte er.

Nach dem Tod von Jessica hatte die Hamburger Bürgerschaft einen Sonderausschuss «Vernachlässigte Kinder» eingerichtet. In der Hansestadt waren in jüngster Zeit weitere Fälle von Kindesvernachlässigungen bekannt geworden. Vor dem Hamburger Landgericht müssen sich derzeit auch Mutter und Vater der kleinen Michelle wegen fahrlässiger Tötung und Verletzung der Fürsorgepflicht verantworten. Die Zweieinhalbjährige war im Juli 2004 daheim an einem Hirnödem gestorben, weil die Eltern nach Überzeugung der Anklage keine ärztliche Hilfe geholt hatten. Laut einem Gutachten, aus dem am Freitag vor Gericht zitiert wurde, waren auch Michelles fünf Geschwister «körperlich völlig verwahrlost».

«Wer seine Kinder sterben und verkommen lässt, da muss das Gesetz in aller Härte durchgreifen», sagte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nach dem Urteil über Jessicas Eltern. Hamburg strebe deshalb eine Bundesrats-Initiative an, um den Datenschutz zu lockern. So sollen die Behörden auf Kinder aufmerksam werden, die nicht an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Der Schutz der Kinder könne aber nicht allein Aufgabe des Staates sein, sagte von Beust. «Wir sind auch angewiesen auf die Liebe und Wachsamkeit in der Gesellschaft.»

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