Der Neuenhagener (Märkisch-Oderland) ist der erste Brandenburger mit privatem Wasserstoff-Kraftwerk.  Überschüssigen Strom, den die Solarpaneele auf dem Dach seines Hauses im Sommer liefern, speichert er für den Winter in Wasserstofftanks. Und stellt aus dem Gas dann wieder Strom her.  "Seit Mittwoch vor Weihnachten steht mein Stromzähler still", sagt Lügger. "Ich finde es schon super, das ganze Jahr über von der Sonne mit Strom versorgt zu werden."
Möglich macht das ein grauer,  großer Kasten in einem Anbau des Wohnhauses.  Das ist "Picea". In dem Kasten stecken unter anderem ein Elektrolyseur, eine Batterie und eine Brennstoffzelle. Wenn die Sonne scheint,  liefert die Photovoltaikanlage (PV) auf dem Hausdach Strom. Damit wird zunächst eine Elektrobatterie aufgeladen. Ist die Batterie geladen und  Sonnenstrom übrig, dann springt der Elektrolyseur an. Dieses Gerät spaltet Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff.
Der Wasserstoff strömt über eine dünne Leitung nach draußen auf den Hof zu drei weißen Stahlflaschen. Dort wird das Gas zwischengelagert und dann von einem Kompressor mit einem Druck von 300 bar verdichtet. Mit diesem komprimierten Gas füllt Lügger dann noch einmal drei Dutzend Stahlflaschen. Aus diesem Wasserstoff erzeugt die Brennstoffzelle bei Bedarf – also meist im Winter – wieder elektrische Energie. Die Wasserstofftanks sind in Lüggers Energieversorgungssystem der Langzeitspeicher.  Die Batterie wiederum funktioniert als Kurzzeitspeicher, als Sprinter. Sie liefert schnell viel Leistung, wenn beispielsweise Energiefresser wie ein E-Herd eingeschaltet werden. Mehr, als die PV-Anlage auf direktem Weg liefern könnte.
Ralph Lügger ist Geschäftsführer einer Elektro-Firma  und wollte das Mehrfamilienhaus, das er gerade umbaut, ganzjährig komplett mit grünem Strom versorgen. Kohlendioxid-frei.  Sein Wasserstoff-Kraftwerk kommt aus Berlin-Adlershof. Es wurde von der Firma HPS Home Power Solutions entwickelt und wird auch von ihr hergestellt. Das Unternehmen gibt es seit 2014. "Deutschlandweit haben wir rund 20 solcher Anlagen bereits aufgebaut und in Betrieb genommen", sagt Paul Skupski, Mitarbeiter im technischen Vertrieb bei HPS. Die Berliner Firma ist nach eigenen Angaben die einzige weltweit, die derartige kompakte Energiezentralen für Eigenheime herstellt. Die Wasserstofftanks könnten von 300 Kilowattstunden bis zu 1500 Kilowattstunden elektrischer Energie speichern. Damit komme ein Vier-Personen-Haushalt ohne Probleme über den Winter, sagt Skupski. Das schaffen Batteriespeicher so nicht, sie dienen eher als kurzzeitige Puffer für wenige Tage.
Die Strom-Autarkie mit Wasserstoff hat allerdings ihren Preis: Zwischen 60 000 und 90 000 Euro kostet das Picea-System. Die Solaranlage gehört nicht dazu. Doch der Neuenhagener Lügger musste sich Picea  nicht kaufen. Er ist Testkunde des Berliner Energieunternehmens  Gasag. Zwei Jahre darf er die Anlage nutzen – und stellt der Gasag dafür Daten über Betrieb und Leistung zur Verfügung.  Die Gasag versteht sich als Energie-Dienstleister und will Kompetenzen für Installation und Betrieb von Wasserstoff-Anlagen aufbauen.  Das Referenzobjekt von Ralph Lügger ist nach Angaben der Gasag ihr erstes. Ein weiteres sei geplant. Das Unternehmen will herausfinden, ob sich daraus ein Geschäftsfeld entwickelt.
Keine ganz neue Idee
Ganz neu ist die Idee für die Wasserstoffspeicherung und Stromversorgung für Eigenheime nicht. Bereits das energieautarke Solarhaus in Freiburg, das vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE zu Beginn der 1990er Jahre errichtet wurde, verfügte über einen Wasserstoff-Speicher.
Technisch funktioniere diese Lösung auch im kleinen Maßstab, beispielsweise für Wohnhäuser, sagt Dr. Tom Smolinka, Abteilungsleiter für Chemische Energiespeicherung am ISE in Freiburg. "Es ist aber eine eher aufwändige Lösung für Menschen, denen die eigene Energieautarkie zu Hause sehr wichtig ist", meint er. "Für die Masse der Menschen in Deutschland mit seiner guten Netz-Infrastruktur erscheint mir das jedoch nicht notwendig." Man müsse sein Haus nicht energieautark gestalten, um den eigenen CO2-Ausstoß zu senken. Das sei auch durch grünen Strom oder grünes Gas möglich. Smolinka sieht die Bedeutung von Wasserstoff vor allem in der sogenannten Sektorkopplung für die Industrie und im Verkehr. Dort könne damit der CO2-Ausstoß entscheidend gesenkt werden.
Sicherheitssystem für Notfälle
Doch diese Technik fasziniert auch, jedenfalls Ralph Lügger, den Elektrotechniker. Anfangs habe er sich auch gefragt, ob das nicht riskant sei, Wasserstoff zu speichern, erzählt er. Die Tanks stehen außerhalb seines Hauses, im Hof. Der 52-Jährige zeigt auf eine kleine Antenne, die über die Flaschen hinausragt: Darüber werde im Notfall der Wasserstoff in die Luft abgelassen.
"Unser System ist zu jeder Zeit hundert Prozent sicher", versichert Paul Skupski von HPS. Auch bei einem Feuer würde das Sicherheitssystem greifen und der Wasserstoff innerhalb weniger Sekunden in die Atmosphäre abgelassen. Zehn Jahre Garantie gibt das Unternehmen auf die Anlagen.  420 Euro netto kostet die Wartung derzeit im Jahr. Lügger ist mit seinem Kraftwerk zufrieden. Es funktioniere gut und zuverlässig. Sorge, über den nächsten Winter zu kommen, hat er  nicht.  Seine eigene PV-Anlage auf dem Dach produziert mehr Strom, als das Haus benötigt.   "Der Wasserstoffspeicher war schon Ende April voll."
Was das kleine Kraftwerk aber nicht leistet, ist die ganzjährige, komplette Wärmeversorgung für das Haus mit den drei Wohnungen. Zwar kann Abwärme der Anlage über ein Lüftungssystem zum Erwärmen von Raumluft und auch für Warmwasser genutzt werden. Die Heizkosten lassen sich nach Angaben von HPS so  bis zu einem Viertel senken. Bei modernen, gut gedämmten Häusern könne es auch deutlich mehr sein.
Aber Häuser verbrauchen  deutlich mehr Energie für Wärme als für Strom: Während ein Vier-Personen-Haushalt im Jahr rund 4000 kWh Elektroenergie nutzt, verbraucht ein durchschnittliches Eigenheim um die 20 000 kWh Wärme. Und den größten Teil davon in nur drei Wintermonaten. Dafür Wasserstoff zu speichern und etwa elektrisch zu heizen – das wäre nicht wirtschaftlich. Ralph Lügger heizt derzeit mit Erdgas. Künftig will er auch dabei CO2 sparen, meint er. Später. Jetzt  hat er erst mal genug mit dem Hausbau zu tun.

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