Wirtschaft

Schlüsselindustrie am Scheideweg Ist die deutsche Autobranche noch zu retten?

Struktureller Wandel, konjunkturelle Probleme: Crashtest für die Automobilindustrie?

Struktureller Wandel, konjunkturelle Probleme: Crashtest für die Automobilindustrie?

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Automobilindustrie kämpft mit konjunkturellen Problemen und einem strukturellen Wandel - eine noch nie dagewesene Herausforderung, nicht nur für die deutschen Autobauer, sondern auch für ihre Zulieferer. Elektrisch in die Zukunft oder in den Abgrund?

Für die deutsche Autoindustrie zeichnet sich eine düstere Entwicklung ab. Der Abschwung ist im Gange, die Liste der von Auftragsmangel betroffenen Autounternehmen wird täglich länger. Kurzum: Die Party ist zu Ende.

Die Krisenangst in der deutschen Paradebranche sorgt auch für Krisenangst in der Politik. Auch wenn die amtliche Wirtschaftspolitik nimmermüde betont, es gäbe keine Konjunkturkrise. Und weil dem so ist, haben die Ministerpräsidenten der großen deutschen Autoländer - Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen -, beschlossen, sich am 20. Dezember über Parteigrenzen hinweg in Berlin als "Autoschiene" in einem neuen Gremium namens "Kabinettsausschuss Zukunft der Automobilwirtschaft" zu treffen. Im Alleingang, um dabei konkrete Schritte zur Rettung "ihrer" Autoindustrie zu beschließen.

Es geht um Grundsätzliches

Eine solche politische Initiative auf Landesebene zur Rettung der gestern noch kraftstrotzenden Autoindustrie ist nicht nur neu, sie ist spektakulär. Zwei Grundsatzfragen stellen sich nun:

  • Kann die Politik, egal ob auf Landes- oder Bundesebene, die deutsche Autoindustrie überhaupt "retten"?
  • Und wichtiger noch: Ist die Autoindustrie tatsächlich ein "Rettungsfall"? Muss die Politik eingreifen?

Klare Antwort auf die erste Frage: Nein. Die Landespolitik kann die Autoindustrie nicht retten - und die Bundespolitik nur bedingt. Und auch nur dann, wenn sie nicht selbst Teil des Problems wäre und weniger an das eigene Überleben denken, sondern die richtigen energiepolitischen Richtungsentscheidungen gegenüber der Autoindustrie treffen würde.

  • Grundsätzlich: Keine Industrie, die zu 70 Prozent vom Export abhängt, kann in einer globalisierten Welt mit binnenwirtschaftlichen Maßnahmen "gerettet" werden. Gegen konjunkturbedingte Absatzrückgänge auf wichtigen internationalen Märkten wie beispielsweise USA und China - das ist die Hälfte des Weltmarktes - ist die nationale Wirtschaftspolitik machtlos. Gegen externe Schocks und Störungen, wie Brexit, Handelskriege oder zerstörerischer Renationalisierung der Welthandelsordnung, und die daraus resultierenden Exporteinbußen ohnehin. Da hilft nur beten.
  • Nationale Ankurbelungsmaßnahmen wie eine Abwrackprämie wie in 2009 sind nicht opportun, denn die Inlandszulassungen bewegen sich trotz allem auf ansprechendem Niveau.
  • Gegen den globalen Klimawandel und den Zwang zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors und zum strukturellen Anpassungszwang der Branche - weg vom Verbrenner, hin zum Elektroauto - ist eine nationale Politik auf Ebene der "Autoländer" machtlos. Der Prozess ist politisch verabredet, auch die Bundesländer haben dem zugestimmt.

Die politisch angestrebte Umstellung in der automobilen Antriebstechnik auf Elektromobiliät bedeutet eine Revolution für die gesamte deutsche Automobilindustrie. In der günstigsten Variante geht lediglich ein Drittel der Wertschöpfungen und der Arbeitsplätze - schätzungsweise bis zu 250.000 - verloren. Das ist seit Langem bekannt und kann auch für die Politik keineswegs überraschend kommen.

Will man die Dekarbonisierung des Verkehrs, ist eine "Bewahrung" der Autoindustrie in alter Form nicht möglich. Die Schrumpfung der Branche ist umweltpolitisch gewollt und so hinzunehmen. Auf Landesebene dagegen anzugehen ist völlig sinnlos - auch fleißige behördliche Anschaffungen von E-Autos helfen da nichts.

Die Mär vom sterbenden Schwan

Die zweite, noch wichtigere Frage ist: Muss die Autoindustrie überhaupt gerettet werden, stirbt sie strukturell ab?

Auch hier lautet die unmissverständliche Antwort: Nein. Die deutsche Autoindustrie ist kein sterbender Schwan. Und dafür gibt es gute Gründe. Ein Absterben der Branche müsste man nur dann befürchten, wenn:

  • die Menschheit in Zukunft nur noch zu Fuß gehen und nicht mehr mobil sein wollte. Danach sieht es angesichts des weiter wachsenden Weltmarkts nicht aus. Das Produkt "Auto" wird ja vom Markt nicht grundsätzlich abgelehnt, nur die umweltschädlichen Begleiterscheinungen der heutigen Verbrennermotoren. Autos werden weltweit weiter gebraucht, in der Substanz bleibt die Autoindustrie also erhalten, wenn auch nicht jedes Unternehmen - so wie immer halt im Wettbewerb.
  • es irgendeine konkurrierende Automobilindustrie auf der Welt gäbe, die bessere Automobile, gleich welcher Antriebstechnik, bauen würde als die deutschen Hersteller. Ob beim Elektro-  oder Verbrennerantrieb, vor allem beim umweltfreundlichen Diesel ist die deutsche Autoindustrie bei Qualität und Preis/Leistungsverhältnis führend. Salopp formuliert: Die Weltmarktkonkurrenz, vor allem die aus China oder Kalifornien, kann weder Diesel noch Taycan noch i3 oder ID3!

Das Auto ist kein industrielles "Auslaufprodukt". Es ist so begehrt, dass davon jährlich weltweit fast 100 Millionen produziert und verkauft werden. Und die Autoindustrie ist keine sterbende Branche wie der Steinkohlebergbau. Von daher gibt es volkswirtschaftlich keinen Anlass, die Branche zu "retten". Im Gegenteil: Sie stellt Produkte her, die weltweit begehrt und gebraucht werden. Man muss sie nur lassen. Aufgabe der Politik kann nur sein, die Weichen für den notwenigen Transformationsprozess in der Antriebstechnik in die richtige Richtung zu stellen, nicht in eine elektrische Sackgasse. Sonst stirbt die Branche im Inland ab.

Es gibt Handlungsspielräume

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Das eröffnet für die "Autoländer" Handlungsspielräume: Förderung alternativer elektrobasierter Antriebssysteme wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe, die zumindest CO2-neutral in den bestehenden Pkw-Verbrennermotoren eingesetzt werden könnten. Auf längere Sicht sind solche E-Fuels für den Flug- und Schiffsverkehr sowie für den Langstrecken-Lkw-Verkehr ohnehin alternativlos. Elektrisch fliegen ist zum Beispiel ziemlich sinnlos.

Synthetische Kraftstoffe würden sowohl der Umwelt als auch dem hohen Bestand an Verbrennerautos Rechnung tragen. Der Verbrenner und damit die daran hängenden Arbeitsplätze hätten eine echte Überlebenschance, weil mit E-Fuel Motoren CO2-neutral angetrieben würden.

Das eine tun und das andere nicht lassen. Hohe öffentliche Investitionen ausschließlich für die Ladeinfrastruktur zum Betrieb von Elektroautos auf Batteriebasis oder deren Kauf stehen diametral zur Zielsetzung zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung in Autobranche und Gesamtwirtschaft. Initiative der "Autoländer" könnte oder sollte daher vielmehr sein, das "andere nicht zu lassen". Geld haben sie ja auch - noch.

Quelle: ntv.de

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