Apokalyptisches Teekränzchen

Elliptischer und makabrer denn je präsentiert sich Caryl Churchill, Spezialistin für Katastrophenszenarien, in «Escaped Alone». Die kongeniale Uraufführung macht daraus einen giftigen Leckerbissen.

Marion Löhndorf, London
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Saloppes Damenquartett auf englischem Rasen – doch zum Glück trügt der bieder-friedliche Schein. (Bild: Johan Persson)

Saloppes Damenquartett auf englischem Rasen – doch zum Glück trügt der bieder-friedliche Schein. (Bild: Johan Persson)

Alles sieht so harmlos aus. So normal. Ein winziger Garten, nicht besonders schön, nicht besonders gepflegt, kaum mehr als eine umrahmte Rasenfläche. Drumherum ein hoher, billiger Holzzaun. Ein kleiner Schuppen verbirgt vielleicht ein paar Gerätschaften. Ein Kinderdreirad und ein Fussball, der irgendwo im Gebüsch gelandet ist, buchstabieren Familienalltag. Über der Kulisse wölbt sich ein blauer Himmel, und von ferne tönen Verkehrslärm und Vogelgezwitscher.

Im Royal Court Theatre in London ist das Gras auf der Bühne echtes Gras, und auch die anderen Gartenbestandteile sehen genau so aus wie das, was man aus der englischen Wirklichkeit kennt (Bühne: Miriam Buether). Gespielt wird «Escaped Alone», ein nur rund einstündiges Stück von Caryl Churchill. Die 1938 geborene Autorin, die zu den erfolgreichsten des englischen Gegenwartstheaters zählt, kann das besonders gut: das Banale zuspitzen; das Profane auf der Bühne mit ein paar Wörtern, Gesten und Bildern lebendig machen. Um dann dieser Wirklichkeit, kaum hat man sich an ihrer so wundersam hergestellten Wiedererkennbarkeit ergötzt, Sand ins Getriebe zu streuen.

Im Fall von «Escaped Alone» geht das so: Drei Frauen um die sechzig sitzen in Bequemkleidung auf dem schönen, echten Rasen und tratschen. Da geht es um nichts Besonderes, langjährige gemeinsame Freunde, Familie. Zwischen ihnen ein Tablett mit den Utensilien einer Teestunde, Tässchen und Plätzchen. Dann aber schleichen sich, gespielt mit der grössten Selbstverständlichkeit, Seltsamkeiten ins Wortgeplänkel ein. Alles ist fein ausbalanciert zwischen Witz und Horror: Sally (Deborah Findlay) schraubt sich mit leiser Hysterie in ihre Katzenphobie; Vi (June Watson) erwähnt beiläufig, dass sie ihren Mann in der Küche umbrachte – «Notwehr». Lena (Kika Markham) schafft es nicht mehr, nach draussen zu gehen. Und Mrs. Jarret (Linda Bassett) steigert eine Wiederholung der Wörter «terrible rage» – furchtbare Wut – bis zur emotionalen Explosion.

All diese wie aus dem Augenwinkel wahrgenommenen Erscheinungen aus der Schattenzone der Ängste nehmen die Freundinnen jeweils völlig stoisch zur Kenntnis: So ist das eben. Das ist von allen Beteiligten wunderbar gespielt. Die englische Durchhalteparole «Keep calm and carry on» wird dabei ebenso durch den Kakao gezogen wie das Klischee der «netten älteren Frau».

Immer wieder tritt Linda Bassett in ihren ausgeleierten Jogging-Hosen und ihrem Sozialhilfe-Anorak aus dem schäbigen Paradiesgarten ins Dunkel an den Bühnenrand und erzählt, was in der Welt da draussen so vor sich geht. Von chemischen Vergiftungen ist die Rede – «die Chemikalien entwichen durch Bruchstellen im Geld» – und davon, dass Privatpatienten Gasmasken kaufen können oder dass die Fettleibigen Stücke ihrer Körper verkaufen: ins Satirische kippende Anspielungen auf Schreckensnachrichten und Zeitgeist-Ängste, mal in der Nahaufnahme kleiner, privater Höllen, dann wieder geöffnet zum apokalyptischen Weltszenario. Häusliche und globale Desaster sind bald untrennbar miteinander verschränkt.

Regie führte James Macdonald, der erst jüngst, ebenso streng, karg und entschlossen, Euripides' «Bakchen» am Almeida Theatre in Szene setzte. Sein minimalistischer Zugriff illustriert Caryl Churchills poetisch verknappte Sprache kongenial: Seit 2006 übernahm er viele Uraufführungen ihrer abendfüllenden Stücke, darunter «Drunk Enough to Say I Love You?» und «Love and Information», während er in New York ältere Churchill-Dramen wie «Top Girls» und «Cloud 9» inszenierte. Macdonald findet Churchills neues Stück «verspielt, elliptisch und hochmoralisch», wie er in einem Interview mit der Tageszeitung «The Independent» sagte. «Es geht darum, was die Welt im Schilde führt. Und darum, die Katastrophe zu sehen.» Diese Absicht machen er und sein Ensemble auf der Bühne sichtbar. In der Engführung der ungerührt notierten – oder aber ignorierten – Kollision des Alltäglichen mit dem Unheimlichen und schliesslich mit dem universal Katastrophalen: Darin liegen die makabre Grösse und die Virtuosität dieser Aufführung.