Frankreichs Verfassungsrat hat entschieden: Das Einwanderungsgesetz verstösst teilweise gegen die Verfassung

Das neue Einwanderungsgesetz ist ein Prestigeprojekt von Präsident Macron. Nun hat der Verfassungsrat grosse Teile davon für unzulässig erklärt. Der Regierung ist das aber ganz recht.

Julia Monn, Paris 4 min
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Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das Einwanderungsgesetz Ende Dezember beim Verfassungsrat eingereicht. Dass es in Teilen verfassungswidrig war, wusste er schon damals.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das Einwanderungsgesetz Ende Dezember beim Verfassungsrat eingereicht. Dass es in Teilen verfassungswidrig war, wusste er schon damals.

Stephanie Lecocq / Reuters

Der Verfassungsrat in Frankreich hat am Donnerstag das Einwanderungsgesetz der Regierung teilweise zurückgewiesen. Die neun Richter und Richterinnen haben mehr als ein Drittel der Gesetzesartikel ganz oder teilweise als verfassungswidrig eingestuft. Ein Grossteil der Normen wurde gestrichen, weil sie nichts mit dem ursprünglichen Zweck des Gesetzes, nämlich der Begrenzung der Zuwanderung, zu tun hatten. Präsident Emmanuel Macron will das Gesetz dennoch so rasch wie möglich ohne die gestrichenen Artikel in Kraft setzen.

Zu den Normen, die der Verfassungsrat kippte, zählt zum Beispiel das umstrittene Vorhaben, für nicht aus Europa stammende ausländische Staatsbürger den Zugang zu Sozialleistungen zu beschränken. So war etwa vorgesehen, dass Arbeitslose mit gültiger Aufenthaltsbewilligung fünf Jahre in Frankreich leben müssen, bevor sie beispielsweise Kindergeld erhalten. Berufstätige müssten mindestens dreissig Monate im Land gearbeitet haben. Die monatlichen Wohngeldzulagen wurden ebenfalls an die Dauer des Aufenthalts gekoppelt.

Auch die besonders umstrittene Vorschrift, dass Studierende aus nicht europäischen Ländern für eine Aufenthaltsgenehmigung eine Kaution hinterlegen müssen, wird gestrichen. Das Geld hätte helfen sollen, eine Rückkehr in das Herkunftsland zu finanzieren, sollte der Student während seiner Zeit in Frankreich keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und nach Ablauf seines Visums nicht freiwillig zurückkehren wollen.

Ausserdem kippten die «Weisen», wie das Gremium in Frankreich auch genannt wird, die verschärften Regeln zum Familiennachzug. Ehepartner, die nach Frankreich nachkommen wollten, hätten mindestens 21 Jahre alt sein müssen. Ausländer mit gültigen Aufenthaltspapieren sollten eine Wartezeit von zwei Jahren statt wie bisher von 18 Monaten einhalten, um ihre Familien nachkommen zu lassen. Die Einführung von jährlich durch das Parlament bestimmten Migrationsquoten wiesen die «Weisen» ebenfalls zurück. Das französische Parlament habe nicht die Befugnis, Quoten festzulegen, argumentierten die Richter.

Schliesslich wies das Gremium auch die vorgesehenen Erschwernisse beim Erlangen der französischen Staatsbürgerschaft zurück. Unter anderem sollte Kindern von Ausländern, die in Frankreich geboren werden, der Zugang zur Staatsbürgerschaft erschwert werden: Neu müssen sie den Pass bei Erreichen der Volljährigkeit – und nur bei Erfüllung weiterer Bedingungen – explizit beantragen.

Dennoch bleiben im Gesetz einige vor allem von den rechten Parteien gewünschte Verschärfungen übrig: Beispielsweise sollen Ausländer leichter ausgeschafft werden können und die Asylverfahren beschleunigt werden. Zudem sollen Asylbewerber, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen, in Präventivhaft genommen werden können. Allerdings sieht das Gesetz auch den erleichterten Zugang zu Aufenthaltsbewilligungen für Sans-Papiers vor. Demnach sollen Personen, die seit mindestens drei Jahren illegal in Frankreich sind, für zwölf Monate das Aufenthaltsrecht erhalten, falls sie in einem Sektor tätig sind, in dem ein Mangel an Arbeitskräften herrscht.

Quittung für chaotisches Verfahren

Dass der Verfassungsrat einen Grossteil der Bestimmungen in dem Gesetz kassieren musste, ist dem chaotischen Prozess geschuldet, in dem es zustande kam. Entworfen hatte es die Regierung vor über einem Jahr. Die Parlamentsdebatte wurde wegen diverser politischer Krisen immer wieder verschoben. Der ursprüngliche Entwurf wurde schon im Senat verschärft, dann in der Nationalversammlung zurückgewiesen.

Eine gemischte Kommission aus Vertretern beider Kammern einigte sich schliesslich auf eine finale Version. Inzwischen war der Gesetzestext von 25 auf 86 Artikel gewachsen und enthielt etliche Zugeständnisse an die konservativen Républicains, die sich insbesondere in der Migrationspolitik dem Druck der extremen Rechten des Rassemblement national (RN) ausgesetzt sehen.

Es war schliesslich auch den Stimmen des RN zu verdanken, dass das Einwanderungsgesetz letzten Dezember angenommen wurde. Dies stürzte Macrons Regierungspartei in eine tiefe Krise. Der linke Flügel goutierte die Zugeständnisse an die Rechte nicht. Auch auf der Strasse gab es Widerstand, jüngst haben am vergangenen Sonntag knapp 100 000 Menschen im ganzen Land gegen das Gesetz protestiert.

Zwischen Recht und Politik

Sowohl die damalige Regierungschefin Élisabeth Borne als auch Präsident Macron räumten ein, dass Teile des Einwanderungsgesetzes verfassungswidrig seien. Frankreichs Präsident rief deshalb selbst den Verfassungsrat an, um die stark veränderte Vorlage korrigieren zu lassen.

Dieser zeigte sich darüber wenig erfreut. Der Präsident des Verfassungsrates, Laurent Fabius, erklärte noch vor dem Urteil: «Der Verfassungsrat ist nicht das Berufungsgericht des Parlaments.» Auch etliche andere Juristen waren empört darüber, dass der Präsident dem Verfassungsgericht ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz zur Korrektur überreichte, anstatt ein bereits legal korrektes Gesetz im Parlament auszuhandeln.

Der Verfassungsrat werde damit politisch instrumentalisiert, erklärte etwa Serge Slama, Professor für öffentliches Recht an der Universität Grenoble, gegenüber französischen Medien. Andere Rechtsexperten hatten gefordert, dass der Verfassungsrat angesichts der chaotischen Entstehung des Gesetzes gleich das ganze Gesetz kippen solle.

Die Regierung verbucht den Entscheid als Sieg

Die Kritik am Gremium liess nach der Verkündung des Entscheids denn auch nicht lange auf sich warten. Jordan Bardella, Präsident des Rassemblement national, erklärte auf X, das Urteil sei ein Putsch der Richter mithilfe des Präsidenten. «Die einzige Lösung ist ein Referendum über die Einwanderung.» Auch der Vorsitzende der Républicains, Éric Ciotti, kritisierte die «Zensur» des Verfassungsrates. Dieser habe mehr Politik als Recht walten lassen. Er forderte dringend eine Reform des Grundgesetzes.

Mehr Zuspruch erhielt die Entscheidung bei der linken Opposition, die die «Weisen» als robuste Verteidiger des Grundgesetzes feierte. Auch das Regierungslager verbuchte den Entscheid des Verfassungsrates als Sieg für sich. Der Verfassungsrat bestätige den Kern des ursprünglichen Gesetzestextes, schrieb der Innenminister Gérald Darmanin auf X und fügte an: «Noch nie hat ein Text so viele Möglichkeiten zur Ausweisung von Straftätern und so viele Anforderungen für die Integration von Ausländern vorgesehen.»