Gastkommentar

Der Armee gehen die Soldaten aus

Die Armee ist nicht einsatzfähig, weder gegenwärtig noch in absehbarer Zukunft. Dies scheint aber in der Öffentlichkeit kaum bekannt zu sein.

Christoph Hürlimann 118 Kommentare 3 min
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Seit mindestens zehn Jahren sind die Bestände in der Schweizer Armee zu niedrig.

Seit mindestens zehn Jahren sind die Bestände in der Schweizer Armee zu niedrig.

Martin Rütschi / Keystone

Seit einigen Jahren leisten die meisten Bataillone ihre Wiederholungskurse mit krassen Unterbeständen. Bei den Soldaten fehlt knapp die Hälfte des Sollbestands, während man mit Kadern nahezu vollständig alimentiert ist. Es gibt in vielen Zügen fast gleich viele Unteroffiziere wie Soldaten. Infolgedessen werden Offiziere und Unteroffiziere als Soldaten eingesetzt oder mit unbedeutenden administrativen Aufgaben beschäftigt.

Wehrgerechtigkeit fehlt

Im Jahr 2022 hat die Armee rund 34 000 Stellungspflichtige beurteilt und 72 Prozent von ihnen als militärdiensttauglich befunden – knapp 25 000; von den übrigen waren 6000 untauglich und 3000 immerhin tauglich für den Zivilschutz. Im gleichen Jahr wurden 6635 Militärdiensttaugliche zum Zivildienst zugelassen. Insgesamt fehlen der Armee also mehr als ein Viertel der tauglichen Männer. Was tun diese Männer?

Ich besuchte während der Corona-Zeit öfters eine Bekannte in einem Zürcher Altersheim. Am Eingang wurde mein Covid-Zertifikat von einem jungen Mann geprüft, der seinen Zivildienst leistete. Er hatte einen offenen Laptop vor sich, ein Psychologielehrbuch daneben liegen und offensichtlich wenig zu tun. Er erzählte mir, er gehe jeden Abend nach Hause und bereite sich hier auf das Psychologiestudium vor.

Wie kann ich dies meinen Soldaten erklären, die anstrengende Übungen durchführen, wochenlang mit vielen anderen in einer Zwangsgemeinschaft leben und bei Verstössen gegen Befehle mit Arrest oder Busse bestraft werden?

Dabei stellt sich im Ernstfall letztlich auch ein Trittbrettfahrerproblem: Wer würde im Konfliktfall überhaupt noch einrücken? Würden dann nicht alle ein Zivildienstgesuch stellen? Mit welcher moralischen Berechtigung könnten wir Kommandanten die verbleibenden Wehrmänner in lebensgefährliche Einsätze befehlen?

Mit der gegenwärtigen faktischen Wahlfreiheit zwischen Militärdienst und Zivildienst ist die Armee nicht einsatzfähig.

Verteidigungsfähigkeit nicht vorhanden

Verschärfend kommt hinzu, dass unsere derzeit bestehende Armee auch mit dem Sollbestand von 140 000 Mann hinsichtlich Gliederung, Ausrüstung, Grösse und doktrinärer Ausrichtung in einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht annähernd in der Lage wäre, ihren Auftrag zu erfüllen. So gibt es nur zwei mechanisierte Brigaden, welche Kampfpanzer haben. Zusammen haben die mechanisierten Truppen etwa 17 000 Mann und benötigen 168 Kampfpanzer, 185 Schützenpanzer und 96 Panzerhaubitzen. Nur diese bilden das sogenannte Heer.

Die Infanterie gehört seit 2003 organisatorisch nicht mehr zum Heer und besteht momentan noch aus 17 Bataillonen mit total rund 14 000 Mann Sollbestand. Diese sind in vier Territorialdivisionen ohne Panzer und Artillerie eingeteilt, deren Hauptauftrag die Unterstützung der Behörden in ihrer Region ist. Durch diese organisatorische Trennung von Panzertruppen und Infanterie ist das Training des «Gefechts der verbundenen Waffen» unmöglich.

Insgesamt hat die Armee also nur 31 000 Mann im Sollbestand, welche am Boden kämpfen könnten. Obendrein wird gerade die Infanterie auch als Selbstbedienungsladen der Behörden missbraucht. So wird in fast jedem WK eine Kompanie zugunsten eines zivilen Events eingesetzt: von eidgenössischen und kantonalen Festen aller Art über Skirennen und Schwingfeste bis zum WEF. Die Armeeführung scheint dies als Reklame zu betrachten.

Das Ausmass dieser Einsätze hat seit Einführung der Armee 21 stark zugenommen – im Gegensatz zur Personaldotierung der Armee. Die militärische Sinnhaftigkeit dieser Einsätze – in früheren Zeiten als «Pistenstampfen» abqualifiziert – ist zu bezweifeln.

Ohne einsatzfähige Armee ist unsere Sicherheit gefährdet. Es ist zu hoffen, dass die Politik endlich handelt und es schafft, hier Gegensteuer zu geben. Einerseits muss der Zivildienst begrenzt und andererseits die Armee vergrössert sowie auf die militärische Verteidigung ausgerichtet werden.

Christoph Hürlimann ist Unternehmer und Oberstleutnant (Kdt Inf Bat 61).

118 Kommentare
Urs Keiser

Entweder man  hat eine kriegstaugliche Armee oder keine Armee. Eine Armee die nicht Kriegstauglich ist, ist nur reine Geldverschwendung. Bei der letzten Abstimmung haben die Stimmbürger sich für eine Armee entschieden. Also ist die Sache eigentlich klar! Entweder wir rüsten unsere Armee so aus, dass sie ihren Auftrag ausführen kann oder wir stimmen nochmals ab.

michael moller

"...Dabei stellt sich im Ernstfall letztlich auch ein Trittbrettfahrerproblem..." Die Schweiz hat noch nicht einmal den Mut, einer Waffen- und Munitionsausfuhr an die Ukraine zuzustimmen, die gerade erst gestern in Aachen dafür geehrt wurde, für die Sicherheit und Freiheit ganz Europas, also auch der der Schweiz, zu kämpfen. Man kann es den Menschen im Land nicht verdenken, dass sie dann auch "Null Bock" auf die Schweizer Armee haben. Schliesslich wird ihnen jeden Tag die sicherheitspolitische Schwarzfahrer-Mentalität (gerade erst kürzlich auch wieder durch SP-Ständerat Jositsch) von führenden Teilen der Schweizer Politik vorgelebt.