Mittendrin und doch nur dabei: Bundesrätin Sommaruga hat seinetwegen den Saal verlassen, aber was hat Roger Köppel in Bundesbern tatsächlich bewegt?

Roger Köppel tritt Ende Jahr als Nationalrat zurück. Was bleibt, sind die vielen Absenzen, die wenigen Vorstösse und das komplizierte Verhältnis zur eigenen Fraktion.

David Biner, Bern 4 min
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Roger Köppel und die Politik – «es gibt noch Leute, die auch arbeiten».

Roger Köppel und die Politik – «es gibt noch Leute, die auch arbeiten».

Alessandro Della Valle / Keystone

Roger Köppel sitzt im Vorzimmer des Nationalrats, vertieft in ein dickes Buch. Er streicht Passagen heraus, während um ihn herum der Parlamentsbetrieb brummt. Zuvor hat er einen Sprint hingelegt. Vom Bundeshaus-Café «Vallotton», wo er sich lautstark mit dem früheren Grünen-Nationalrat Geri Müller unterhalten hatte, hinein in den Nationalratssaal, wo er abstimmen sollte. Ob es ihm noch rechtzeitig gereicht hat?

Roger Köppel ist der «unangefochtene Absenzenkönig» im Parlament, wie der «Blick» Ende letzten Jahres vorgerechnet hat. Rund jede fünfte Abstimmung habe er in der laufenden Legislatur verpasst, an 21 Tagen unentschuldigt gefehlt. Schon in seiner ersten Legislatur als SVP-Nationalrat führte er das Ranking «der grössten Schwänzer im Parlament» («Blick) an. Jetzt räumt er seinen Sitz in Bundesbern. Aber ist er dort überhaupt je angekommen?

Röstis Wahlhelfer

Es gibt verschiedene Kategorien von Parlamentariern. Die stillen Schaffer, die Schreihälse, hyperaktive Vorstösse-Schreiber und ruhige Mehrheitsbeschaffer. Köppel ist Köppel, eine eigenständige Marke auf diesem saisonalen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Alles, was er sagt – und auch fast alles, was er nicht sagt –, kann gegen ihn verwendet werden. Gerade einmal neun Vorstösse hat er in den beiden Legislaturen eingereicht. Ist das jetzt gut oder schlecht? Köppel hat mal dafür gesorgt, dass Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Saal verliess – und mit ihr die ganze SP-Fraktion. Aber was hat er sonst bewegt?

Wenn es nach Köppel geht, geht er im Guten. Er sei erleichtert, dass es in den letzten acht Jahren gelungen sei, die «institutionelle Unterwerfung der Schweiz unter die EU» zu verhindern, schreibt er am Freitag in einer Medienmitteilung. Es ist bezeichnend, dass er mit einem Passivsatz sein eigenes Hauptziel subjektiviert. Die Nicht-Annäherung an die Europäische Union war seine Hauptmotivation, überhaupt in die Politik einzusteigen, seine Mission. Alt Bundesrat Christoph Blocher würde vom «Auftrag» sprechen. Köppel hat sein politisches Mandat als Pflicht betrachtet, immer mit dem protestantisch, eifrig leidenden Duktus seines grossen Vorbilds. Und auch immer mit dem abschätzigen Unterton gegen die «in Bern oben», zu denen er selbst gehört.

Der Publizist – beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers» bekleidete er seinen ersten Chefposten. (26. 9. 2000)
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Der Souveränist – die Unabhängigkeit und die Distanz zur EU waren die Leitthemen von Roger Köppel und zwei der Hauptgründe, weshalb er überhaupt in die Politik eingestiegen ist. (26. 4. 2014)
Das Massenphänomen – 2015 wurde Köppel der bestgewählte Nationalrat des Landes. (28. 5. 2015)
Der Verleger – Köppel, seine «Weltwoche» und sein Nationalratsmandat wurden unzertrennlich. (4. 7. 2015)
Die andere Sicht – Köppels publizistisch-politische Strategie besteht vor allem darin, anders zu sein als alle anderen. Er selbst arbeitete bei der «NZZ», beim «Tages-Anzeiger», bei der «Welt», bevor er die «Weltwoche» übernahm. (7. 12. 2015)
Der Verlierer – Köppel nach der abgelehnten Durchsetzungsinitiative. (28. 2. 2016)
Der Provokateur – Köppel holte Steve Bannon, den ehemaligen Berater von US-Präsident Trump, nach Zürich. (Juni 2018)
Der Meinungsbildner – Köppel an der Wochensitzung der «Weltwoche» (6. 9. 2019)
Der Hinterbänkler – Köppel war als Nationalrat sehr laut, aber wenig einflussreich. (25. 9. 2019)
Der Wahlkämpfer – bei den Ständeratswahlen 2019 ist Köppel am Zürcher Duo Jositsch-Noser gescheitert. (2.4.2019)
Der Sender – mit seiner Sendung «Weltwoche Daily» erreicht Köppel inzwischen Hunderttausende von Views.
Der Mittelpunkt – Köppel und die anderen Medien pflegten eine Hassliebe. (11. 5. 2022)
Der rechte Intellektuelle – Köppel mit alt Bundesrat und seinem Vorbild Christoph Blocher sowie dem Verleger Markus Somm. (6. 10 .2022)

Der Publizist – beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers» bekleidete er seinen ersten Chefposten. (26. 9. 2000)

Martin Rütschi / Keystone

Als er zur Kandidatenkür seiner Fraktion im abgelegenen Hérémence zu spät eintraf, sagte er als «Entschuldigung»: «Es gibt noch Leute, die auch arbeiten.» Köppel wollte nie so werden wie so viele Politiker, so angepasst und anständig. Darum wollte er auch nicht, dass Albert Rösti Bundesrat wird. Der Berner steht für alles, was Köppel nie sein wollte, auch nie sein kann: ein Mann des Systems. Auch hat Köppel nicht vergessen, dass Rösti ihn bei den Wahlen 2019 als schweizweit bestgewählten Nationalrat abgelöst hatte. Die Gefallsucht als Motiv sollte man in Bundesbern nie unterschätzen – zumindest in dieser Kategorie steht Köppel vielen anderen Politikern in nichts nach.

Im Nachhinein kann sich Rösti bei Köppel bedanken. Die «Weltwoche»-Kampagne gegen den «Ämtlisammler» hat dazu geführt, dass sich die Reihen hinter dem früheren Parteipräsidenten noch enger geschlossen haben. Und dass die anderen Medien nicht auf den Rösti-kritischen Kurs einschwenkten. Der «Weltwoche»-Verleger wird viel beachtet und auch viel ignoriert – selbst wenn er zwischendurch recht haben könnte. Es ist das Schicksal des Nichtkonformen.

Doppelrolle hat ausgedient

Interessanter ist seine Rolle innerhalb der eigenen Fraktion. Köppel meldet sich dann zu Wort, wenn es um Grundsätzliches geht. Erst am vergangenen Dienstag soll er bei der Fraktionssitzung eine Gardinenpredigt zur Neutralität gehalten haben. Er warnte seine SVP-Kollegen davor, sich von den Prinzipien der SVP, wie er sie sieht, zu entfernen. Dabei ging es ihm nicht nur um die Bestärkung der reinen Lehre, sondern auch um die Apologie seiner eigenen Rolle. Köppels Verstehenwollen der russischen Sicht ist selbst in den eigenen Reihen umstritten. Köppel soll bei seiner Standpauke auch ein wenig so gewirkt haben, als fühle er sich im Stich gelassen. Hat er sich von seiner eigenen Fraktion entfremdet?

Die SVP steckt bei der Debatte rund um die indirekte Waffenhilfe für die Ukraine im Dilemma, einerseits an einer strikten Neutralität festzuhalten und andererseits die hiesige Rüstungsindustrie nicht im Stich zu lassen. Der Berner Ständerat Werner Salzmann wollte einen Ausweg aufzeigen und lief damit vor Beginn der Session ins Leere. Köppel selbst hatte diese Grundsatzdiskussion in der entsprechenden Fraktionssitzung verpasst. Gleichzeitig beklagt er sich darüber, dass das Schweizer Fernsehen nur das «B-Team» der SVP für die Neutralitätsdebatte in der «Arena» eingeladen habe. Egal ob in der Politik oder im Journalismus: Köppel sieht sich selbstredend im A-Team.

Acht Jahre lang hat er seine Rolle als publizierender Politiker oder politisierender Journalist im Sinn des schweizerischen Milizsystems verteidigt. Nun, ausgerechnet bei den Überlegungen des Verlegers, ins Ausland zu expandieren, scheint einer der beiden Hüte einer zu viel zu werden. Köppel schreibt, dass er «mögliche Interessenkonflikte zwischen der zusehends internationalen Ausrichtung der Weltwoche und meiner politischen Miliztätigkeit» vermeiden wolle. Ist der angekündigte Rücktritt der endgültige Beweis, dass das Doppelrollenmodell vielleicht doch nicht so eine gute Idee war?

Köppel lässt ausrichten, dass in seiner Pressemitteilung «alles gesagt» sei. Dort bedankt er sich auch bei seinen Ratskollegen aller Fraktionen «für die zahllosen Debatten und Auseinandersetzungen, die ich stets als bereichernd empfunden habe». Köppel fehlte oft und war trotzdem omnipräsent im Bundeshaus. Die Frage, was er als Politiker in den letzten zwei Legislaturen tatsächlich bewirkt habe, beantwortet er ganz am Schluss eigentlich selbst: «Danke, dass ich dabei sein durfte.»

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