Datenanalyse

Die FDP-Kandidaten hatten im Wahlkampf das dickste Portemonnaie und erzielten die geringste Wirkung

Die erstmals publizierten Daten zur Wahlkampffinanzierung zeigen, dass in der Schweizer Politik mit Geld alleine wenig bis gar nichts zu kaufen ist – zumindest bei den Nationalratswahlen.

Barnaby Skinner, Florian Seliger 5 min
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Wahlplakate der Kandidatinnen Barbara Gysi (SP), Esther Friedli (SVP), Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) und Franziska Ryser (Grüne) im Kanton St. Gallen. FDP-Kandidatinnen hatten im Wahlkampf um den Nationalrat am meisten Mittel zur Verfügung.

Wahlplakate der Kandidatinnen Barbara Gysi (SP), Esther Friedli (SVP), Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) und Franziska Ryser (Grüne) im Kanton St. Gallen. FDP-Kandidatinnen hatten im Wahlkampf um den Nationalrat am meisten Mittel zur Verfügung.

Gian Ehrenzeller / Keystone

Bürgerliche Politikerinnen und Politiker verfügen über Wahlkampfbudgets, von denen Linke nur träumen können. Sagen Linke seit je. Und tatsächlich hatten die FDP- und die SVP-Kandidaten für die Nationalratswahlen mit 37 700 Franken sowie 27 800 Franken im Durchschnitt deutlich mehr Mittel in der Portokasse als Politiker der SP. Die Sozialdemokraten kommen auf 17 600 Franken.

Im Vergleich zur Mitte oder zur GLP fallen die linken Parteien allerdings nicht ab. Im Gegenteil. SP-Leute hatten im Schnitt mehr Geld als Kandidaten der Mitte oder der GLP. Das zeigt eine NZZ-Analyse der erstmals für die Nationalratswahlen von der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) veröffentlichten Daten zur Politikfinanzierung.

Die bürgerlichen Parteien gaben im Wahlkampf pro Kopf am meisten aus

Durchschnittliches Budget pro Kandidat oder Kandidatin für die Nationalratswahlen 2023 (in Franken)

Wie aussagekräftig die Zahlen tatsächlich sind, ist umstritten. So lässt sich nicht genau sagen, welche Summen einzelnen Politikern tatsächlich zur Verfügung gestanden haben. Es lassen sich derzeit nur Durchschnitte berechnen. Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie die Politikfinanzierung ausgewiesen wird. Wahlkampfspenden von Vereinen, Verbänden oder den Parteien selber sind meist nicht auf einzelne Politiker heruntergebrochen. Zum Teil ist das auch gar nicht möglich. Wer mit wem eine Wahlveranstaltung durchführt oder wer zusammen auf einem Plakat erscheint, ist zum Zeitpunkt der Wahlkampfspende oft noch unklar.

Transparenz in der Politikfinanzierung

Die Volksinitiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung», die am 10. Oktober 2017 eingereicht wurde, verlangte, Regeln für die Offenlegung der Finanzierung von politischen Parteien sowie von Wahl- und Abstimmungskampagnen auf Bundesebene zu schaffen. Das Parlament reagierte mit einem indirekten Gegenvorschlag, woraufhin die Initiative zurückgezogen wurde. Der Bundesrat erliess die Verordnung über die Transparenz bei der Politikfinanzierung. Die Bestimmungen traten am 23. Oktober 2022 in Kraft.

Die neuen Transparenzregeln verpflichten politische Parteien und parteilose Mitglieder der Bundesversammlung zur Offenlegung ihrer Finanzierung. Offenzulegen sind Einnahmen und Zuwendungen über 15 000 Franken pro Zuwender. Diese Pflicht gilt auch für Kampagnenführer bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, wenn mehr als 50 000 Franken aufgewendet werden. Die Eidgenössische Finanzkontrolle kontrolliert und veröffentlicht die Meldungen.

Wie viel Geld einzelne Kandidaten hatten, ist unbekannt

Ein Beispiel: Der Gewerbeverband des Kantons St. Gallen hat insgesamt 185 000 Franken an Politiker gespendet, genauer an zwölf Kandidaten für ihre Kampagne für die Nationalratswahl. Vier der Politiker sind bei der FDP, vier bei der SVP und vier bei der Mitte. Wie viel Geld die einzelnen Kandidaten in diesem Fall tatsächlich bekommen haben, ist unbekannt. Die NZZ hat daher den Gesamtbetrag durch zwölf geteilt, in diesem Fall ergibt das je 15 417 Franken. Die Werte sind also nur eine Annäherung daran, was den Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich zur Verfügung stand.

Umstritten ist zudem, ob tatsächlich alle relevanten finanziellen Zuwendungen erfasst wurden. So organisierte der Gewerkschaftsbund (SGB) am 16. September in Bern eine Kundgebung zum Thema Kaufkraft. Den Anlass nutzten Grüne und vor allem die SP, um parteinahe Kreise zu mobilisieren. Die Kaufkraft wurde für die SP in den Wochen vor den Wahlen zu einem zentralen Wahlkampfthema.

Trotzdem argumentierte der SGB danach, die Kosten dieses Anlasses, immerhin rund 150 000 Franken, müssten nicht als Wahlkampfspenden deklariert werden. Es handle sich dabei um eine parteiübergreifende Veranstaltung. Den Bund überzeugte der SGB offenbar mit diesem Argument. Die Eidgenössische Finanzkontrolle verzichtete gemäss Auskunft der SGB auf eine Untersuchung.

Am effizientesten hat die GLP ihr Geld investiert

Doch aller Kritik an den Zahlen zum Trotz: Die Transparenzinitiative hat dafür gesorgt, dass die Schweizer Bürger heute wie nie zuvor einen Überblick darüber erhalten, wer in der Politik von wem Geld bekommt. Das hilft auch bei der Beantwortung der Frage, welche Rolle das Geld in der Schweizer Politik generell spielt. Oder lapidar gefragt: Lassen sich Wahlen in der Schweiz kaufen?

Die Antwort muss eindeutig lauten: Nein. Geld spielt in der Schweizer Politik, insbesondere für die Nationalratswahlen, eine viel geringere Rolle, als vielerorts, vor allem von linker Seite, immer behauptet wurde. Es waren auch die linken Parteien, welche die Transparenzinitiative vorangetrieben hatten.

Die FDP ist das beste Beispiel für den begrenzten Einfluss des Budgets auf den Wahlerfolg. Die Partei hat nicht nur am meisten pro Kopf investiert. Schaut man sich an, wie viel Geld die Parteien pro erreichtem Prozentpunkt investierten, zeigt sich, dass die FDP ihre Wahlprozente am teuersten erstand. Sie rangiert damit knapp vor der Mitte. Aber weit vor der SVP, der SP oder den Grünen. Am effizientesten hat offenbar die GLP ihre Wahlkampfgelder investiert.

Pro erreichtem Prozentpunkt investierten die FDP-Kandidaten am meisten in den Wahlkampf

Durchschnittliches Budget pro Kandidat oder Kandidatin für die Nationalratswahlen 2023 pro erreichtem Prozentpunkt (in Franken)

Weshalb diese grosse Diskrepanz? Für den Politologen Claude Longchamp unterstreicht dies eine Überzeugung, die er als Politikkenner seit bald vier vierzig Jahren hat: dass man mit einem grossen Portemonnaie alleine in der Schweizer Politik wenig bis gar nichts erreichen könne, vor allem bei Nationalratswahlen. Longchamp sagt: «Ein mehr oder weniger bekanntes Gesicht kommt mit einer klaren politischen Stimme und mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit auch mit bescheidenem Budget sehr weit.» Eine erfolgreiche Kampagne setze sich aus drei Elementen zusammen: handfeste Strategien zur Mobilisierung, gute Medienarbeit, und erst an dritter Stelle komme das Geld.

Mobilisierung der Wählerschaft wichtiger als Geld

Das schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis der FDP erklärt sich Longchamp damit, dass die Medienpräsenz der FDP im Vergleich zu den anderen Parteien abgefallen sei. Das sei wiederum darauf zurückzuführen gewesen, dass es der Partei nicht gelungen sei, parteinahe Wähler zu aktivieren. «Der Kollaps der Credit Suisse spielte eine wichtige Rolle», sagt Longchamp. Daran hatten alle FDP-Kandidaten zu nagen. Ebenso unglücklich sei die Ablehnung der Renteninitiative in der Sommersession gewesen, sowohl vom Parlament als auch vom Bundesrat. «Nach der geringen Unterstützung der Initiative der Jungfreisinnigen getraute sich niemand, das Thema Rente gross auf seine Fahne zu schreiben.»

Andere Parteien hätten es besser gemacht. Allen voran die SVP mit der Lancierung der Neutralitätsinitiative im August. «Damit mobilisierte die SVP viele konservative parteinahe Wählerinnen und Wähler», sagt Longchamp. Die SP hingegen aktivierte mit dem Thema Kaufkraft auf dem Hintergrund der sich akzentuierenden Inflation viele Wählerinnen und Wähler.

Die FDP gibt dem Politologen Claude Longchamp grundsätzlich recht. Jon Fanzun, FDP-Generalsekretär, sagt: «Die Mobilisierung ist für die FDP seit vielen Jahren eine Herausforderung.» Geld spiele in grösseren Kantonen natürlich eine Rolle; aber Geld allein reiche nicht. Trotz teilweise grossem Budget von einzelnen FDP-Nationalratskandidaten sieht Fanzun andere Parteien gerade in Sachen Mobilisierung im Vorteil. Er sagt: «Wir haben im Bereich der digitalen Mobilisierung Herausforderungen vor uns.» Die SP zum Beispiel habe sich in den letzten Jahren offensichtlich eine sehr gute Datenbasis erarbeitet, um mit Newslettern auf Knopfdruck Zehntausende potenzielle Wählerinnen und Wähler ansprechen zu können. Solche Werkzeuge müsse die FDP besser einsetzen in Zukunft.

Auch linke Ständeräte wenden hohe Geldsummen auf

Um noch mehr über den Einfluss des Geldes auf die eidgenössischen Wahlen zu erfahren, muss sich die Schweizer Öffentlichkeit noch mindestens zwei Monate gedulden. Bis Anfang 2024 haben die Ständeräte Zeit, bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle ihre Schlussrechnung einzureichen. Es ist kein Geheimnis, dass eine Wahl in den Ständerat wesentlich teurer ist als eine in den Nationalrat. So soll die Berner SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen zirka 240 000 Franken für die Wahl ins Stöckli aufgewendet haben.

Der Politologe Longchamp erwartet allerdings wenig Gefälle zwischen linken und bürgerlichen Parteien im Ständerat. Er sagt: «Die Unterschiede werden wohl viel klarer zwischen grossen und kleinen Kantonen ersichtlich sein als zwischen Parteien.» Die Eidgenössische Finanzkontrolle will die Zahlen spätestens Anfang Februar publizieren.

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