Amberg
15.06.2022 - 17:47 Uhr
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Die Bergwacht hilft dort, wo andere nicht hinkommen

Die Alpen sind weit weg – warum braucht Amberg eine Bergwacht? Eine Übung der Bergretter liefert die Antwort: Sie helfen überall dort, wo andere nicht hinkommen.

Die Öffentlichkeit registriert Einsätze der Bergwachten aus Amberg und Sulzbach-Rosenberg vor allem in Zusammenhang mit dem Höhenglücksteig: Zu diesem beliebten Klettersteig südlich von Hirschbach rücken die Bergretter regelmäßig aus, wenn dort jemand verunglückt ist oder entkräftet im Gurt hängt. "Das ist schon unser Einsatzschwerpunkt: Da haben wir unsere klassischen Bergrettungseinsätze, wie in den Bergen", sagt Maximilian Knab. Er ist einer der derzeit 25 Aktiven der Bergwacht Amberg und dort auch zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

Knab und seine Kollegen wollen an diesem Samstag aber auch einmal zeigen, weshalb sie nicht nur an Klettersteigen und Felsen gebraucht werden – bei einer Übung bei Kastl (Landkreis Amberg-Sulzbach). Der Alarm erreicht Knab und seine Kollegen in der Rettungswache des BRK in Amberg: Der Funkmelder ruft die Bergwacht zu einem verunglückten Wanderer ins Lauterachtal.

Ein Wanderer stürzt am Steilhang

Alexander Renner, stellvertretender Bereitschaftsleiter der Bergwacht Amberg, der heute als Einsatzleiter Dienst tut, rückt von zu Hause aus aus. Er hat von Schwend aus den kürzeren Weg. Seine Kameraden kommen mit zwei weiteren Fahrzeugen aus Amberg dazu. Kein Ernstfall, nur eine Übung – aber die zeigt sehr realistisch, was die Retter tun, wenn sich ein Wanderer verstiegen hat und in unwegsamem Gelände verunglückt. Als Treffpunkt ist ein Wanderparkplatz im Lauterachtal vereinbart. Als die Amberger hier ankommen, hat ihr Einsatzleiter den Verunglückten schon geortet: Er hatte sich verirrt, ist dann gestürzt und liegt jetzt oben auf einem Felsen, an einem Steilhang im Wald, mit Verletzungen am Kopf und an einem Bein.

Ein Blick nach oben erklärt sofort, warum die Bergwacht alarmiert wurde: Hier kommt kein Einsatzfahrzeug hin. Auch die Bergretter müssen am Fuß des Hangs parken und dann mit ihrer Notfall-Ausrüstung hinaufsteigen, um den Verletzten zu versorgen und dann nach unten zu bringen. Alles, was die Experten brauchen, tragen sie mit hinauf: Medizinisches Material von Infusion bis Verbandsmaterial in Rucksäcken, Karabiner an ihren Hüftgurten, dazu Seile und natürlich die Vakuummatratze, die den Verletzten beim Transport stabilisiert und schützt.

Die Notärztin klettert auch

Schnell ist der Notfall-Trupp oben angekommen. Zufällig hat heute Julia Meisel Dienst. Sie ist einer von vier Bergwacht-Notärzten und kümmert sich sofort um den verunglückten Wanderer. Tizian Weiß hat diese Statisten-Rolle übernommen. Er gehört nicht zum Bergwacht-Team, ist das erste Mal bei einer solchen Übung dabei – und steht dabei gleich im Mittelpunkt. Die Retter trainieren so realitätsnah, dass Tizian sogar eine blutende Kopfwunde hat: Da hat jemand mit Schminke und Kunstblut ganze Arbeit geleistet, das sieht täuschend echt aus.

Während die Notärztin beruhigend mit Tizian spricht, seine Kopfwunde versorgt, einen Zugang für eine Infusion legt und das verletzte Bein schient, assistieren ihr ihre Kameraden. Sie halten die Infusionsflasche hoch und klemmen Tizian das Pulsoximeter an, den kleinen "Zwicker", der am Finger Vitaldaten des Patienten liefert. Der zweite Trupp, der mit dem Bergrettung-Material aufgestiegen ist, baut einstweilen eine Seil-Sicherung auf. "Statikseilsatz" nennen die Retter das für den Laien unübersichtliche Konstrukt aus Seilen und Karabinern zwischen zwei Bäumen: Damit können sie jemanden abseilen und sich selbst und ihren Patienten sichern, wenn sie diesen, auf die Gebirgstrage geschnallt, den Steilhang hinunterbringen.

Der Luftrettungssack

Damit der Verletzte beim Transport im ruppigen Gelände sicher, aber, besonders bei Knochenbrüchen oder Wirbelsäulenverletzungen, auch schonend auf der Trage fixiert bleibt, packen ihn die Retter auf eine Vakuummatratze. Die sieht, weil sie in einem Lufrettungssack liegt, eher aus wie ein Schlafsack und wird durch Luftabsaugen optimal an den Körper angepasst. Wenn es nötig wäre, könnte man den Patienten damit auch zum Transport an einen Hubschrauber hängen – daher der Name Luftrettungssack.

Zur Übung heute kommt aber kein Hubschrauber, stattdessen ist Handarbeit gefordert. Oder besser: Beinarbeit. Die Retter müssen den Patienten zu viert den steilen Hang über rutschigen und auch ein bisschen felsigen Waldboden hinunter schieben und tragen. Unten steht ihr geländegängiges Fahrzeug bereit, mit dem sie den Verunglückten über einen Wald- und Feldweg zum Wanderparkplatz bringen.

"Deswegen gibt es uns"

Hier würde im Ernstfall jetzt der Rettungswagen warten. Heute nicht: Es war ja nur eine Übung. Deshalb schält sich Tizian grinsend aus der Vakuummatratze. "War mal eine ganz neue Erfahrung", sagt er und lobt die Retter: "Ich hab' mich die ganze Zeit sicher gefühlt." Er ist zum ersten Mal "gerettet" worden – für ihn eine neue, spannende Erfahrung.

Nichts Neues ist das gerade Geübte für Manfred Süß, einer der Aktiven im Rettungsdienstwesen der Bergwacht. Er liebt dieses Ehrenamt, weil es abwechslungsreiche Einsätze über den normalen Rettungsdienst hinaus ermöglicht. Alle Bergwacht-Aktiven haben auch mindestens eine Sanitäter-Ausbildung absolviert, viele fahren regelmäßig im Rettungsdienst mit. Maximilian Knab wirft noch einen Blick auf den Steilhang. Von hier unten aus wirkt er gar nicht so steil –"aber wenn man dann drin steht, ist es nicht ganz ohne: Deswegen gibt es uns", sagt er. "Auch bei uns braucht man eine Bergwacht." Im Landkreis Amberg-Sulzbach gibt es viele solcher Hänge.

Notfälle am Klettersteig

Und dann sind da noch die Kletterwände und natürlich "der" Anziehungspunkt für viele Outdoor-Begeisterte in der Region, der Höhenglücksteig. Den wollen Maximilian Knab und sein Bergwacht-Kollege Johannes Grötsch, Bereitschaftsleiter in Sulzbach-Rosenberg, nach der Übung auch noch kurz vorstellen. Er ist gut besucht an diesem sonnigen Samstag, der Parkplatz unten ist voll und droben am Einstieg zum Klettersteig staut es sich schon ein bisschen. Die beiden Experten erklären, worauf man beim Klettersteig-Gehen achten muss: Nicht jeder hat die richtige Ausrüstung und weiß, wie man damit umgeht.

Viele Ungeübte überschätzen auch die eigenen Kräfte – und fallen irgendwann in ihren Klettergurt, können sich nicht mehr selbst befreien. Auch das ist dann ein Fall für die Bergwacht. Die muss jetzt ihre Klettersteig-Einweisung abbrechen: Der Pager schlägt an – diesmal ist es keine Übung, sondern ein echter Notfall. Ein Mann hat sich in Pommelsbrunn bei Waldarbeiten am Steilhang verletzt.

Nach der Übung ein echter Notfall

Eigentlich ein Fall für die Bergretter aus dem Nachbarlandkreis Nürnberger Land. Aber das gemischte Amberg-Sulzbacher Team übernimmt, weil Knab und Grötsch am Höhenglücksteig näher am Unfallort sind. Nicht nur zwischen Amberg und Sulzbach, sondern auch über die Landkreisgrenze nach Franken hinweg, ist unbürokratisches Miteinander selbstverständlich. Mit Blaulicht und Martinshorn fahren die beiden vorbei an vielen überrascht blickenden Wanderern und sind in wenigen Minuten in Pommelsbrunn.

Ein Stück kann der Geländewagen die sehr steile, eng gewundene Dorfstraße Richtung Wald hoch fahren, dann müssen die Retter zu Fuß weiter: Genau das, was die Amberger gerade eben geübt haben, machen sie jetzt noch einmal "in echt". Der Notarzt ist schon da und versorgt den Patienten. Der ist bei Baumfällarbeiten gestürzt – ein offener Unterschenkelbruch.

Mit der Gebirgstrage bringen ihn die Bergretter nach unten zur Feuerwache, wo wenig später der Rettungswagen eintrifft. Die Besatzung übernimmt den Patienten. Bevor sie ihn ins Krankenhaus bringen, reichen die Sanitäter den Bergrettern noch Ersatz für Material, das diese gerade beim Einsatz aufgebraucht haben – Infusion, Verbandsmaterial – damit sie ihre Notfallausrüstung wieder auffüllen können. Schließlich kann es sein, dass sie gleich wieder zum nächsten Einsatz ausrücken müssen.

Hintergrund:

Bergwacht Amberg

  • Die Bergwacht Amberg hat derzeit 25 Aktive
  • Sie stellen Einsatzkräfte an 365 Tagen, rund um die Uhr bereit
  • Outdoor-begeisterte Neuzugänge sind willkommen
  • Neulinge machen eine zweijährige Ausbildung
  • Bis 2019 hatte die Bergwacht Amberg 20 Einsätze im Jahr; Corona ließ die Zahlen steigen: Urlaub daheim boomt. So hatten die Bergretter 2021 insgesamt 53 Einsätze
  • Kontakt: amberg[at]bergwacht-bayern[dot]de
 
 

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