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Ferda Ataman

Einbürgerung Deutsche Pässe nur noch für artige Ausländer?

Der Bundestag führt im Staatsangehörigkeitsrecht eine Art Leitkultur-Paragraf ein. Der deutsche Pass quasi als Trophäe für die lupenreine Ausländerkarriere. Klüger wäre es, darum zu werben, dass sich mehr Menschen einbürgern lassen.
Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland

Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland

Foto: Jens Wolf/ DPA

Anfang der Neunzigerjahre wollte meine Mutter, dass wir Deutsche werden. Damals gab es noch keinen Anspruch auf Einbürgerung, also war das ein bisschen wie Lotto spielen . Die Beamten in den zuständigen Behörden entschieden nach Ermessen, wer von den jeweiligen Ausländern dazu geeignet erschien, in den erlauchten Klub der Deutschen aufgenommen zu werden.

Unser Beamter war offenbar nett. Er rief meine Mutter schon nach ein paar Wochen an und bat um weitere Unterlagen. Daumen hoch für die Eindeutschung. Offenbar fand er, dass ihr Job bei der Evangelischen Familienbildungsstätte und meine Ausbildung am Gymnasium uns zu einem "wertvollen Bevölkerungszuwachs" machten, wie es damals gern hieß.

1993 wurde dann ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung eingeführt. Seither gilt: Wenn man lange genug in Deutschland lebt, nicht vorbestraft ist, gut Deutsch spricht, ein geregeltes Einkommen nachweist und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennt (und weitere Auflagen erfüllt, siehe §10 ), hat man ein Recht darauf, Deutscher zu werden . Der Gesetzgeber machte Schluss mit der behördlichen Willkür. Ausländer waren fortan nicht mehr auf nette Beamte angewiesen

Aber alle paar Jahre, so lautet offenbar ein ungeschriebenes Gesetz, müssen wir in Deutschland neu verhandeln, wer Deutscher werden darf und wer nicht. Und leider ist das Ergebnis der jüngsten Debatte, dass der Anspruch auf Einbürgerung wieder aufgeweicht wird.

CDU, CSU und SPD beschließen im Bundestag per Gesetzesänderung einen denkwürdigen, schwammigen Leitkultur-Paragrafen: Einbürgern lassen kann sich fortan nur noch, wer neben den bisherigen Voraussetzungen auch "seine Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere [wenn] er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist". Mit anderen Worten: Die Willkür in den Amtstuben kehrt zurück. Oder ist Ihnen sofort klar, was "deutsche Lebensverhältnisse" ausmacht?

Bei der faszinierenden Formulierung zeigt sich auch, wie irritierend das generische Maskulinum ist, bei dem Frauen nur mitgedacht werden: Ich würde die Passage nämlich so verstehen, dass nur schwule Ausländer von der Einbürgerung ausgenommen sind, die in Vielehe mit anderen Herren zusammenleben. Deren Fallzahl wäre womöglich genauso hoch wie die Fallzahl derjenigen, die tatsächlich gemeint sind: nämlich einbürgerungswillige Paschas, die Vielweiberei betreiben.

Aus den Medien ist tatsächlich nur ein einziger Fall bekannt . Sogar das Innenministerium kennt keine weiteren, wie man mir auf Nachfrage bestätigte. Lediglich "Bild" hat noch einen Flüchtling aufgetrieben, der drei Frauen hat und gern eines Tages Deutscher werden würde .

Den neuen Tatbestand des Kulturvorbehalts bei der Einbürgerung halten viele Juristen für fragwürdig . Aber man muss keine Rechtsgelehrte sein, um sich zu wundern: Seit wann bitte steht die monogame Ehe für "deutsche Lebensverhältnisse" - und worum geht es dabei noch? Nicht klauen, prügeln, Juden beschimpfen - alles, was Deutsche nie tun, aber Ausländer ständig?

Wer explizit Vielehe bei der Einbürgerung verhindern will, und darum ging es ursprünglich, könnte das hineinschreiben, ohne Raum für Interpretationen zu lassen. Und ohne den Eindruck zu erwecken, Menschen müssten erst ihre hottentottischen Lebensverhältnisse verlassen, um sich dem zivilisierten Germanenbrauchtum unter-, Pardon: in diesem einzuordnen.

Wir bürgern nicht aus, wir nehmen nur den Pass "zurück"

Wie Sie wissen, macht unser Innenminister Gesetze gern kompliziert, um nervige Debatten zu vermeiden. Also ist die kulturelle Einordnung natürlich noch nicht alles, was sich im Staatsangehörigkeitsrecht ändern soll. Eigentlich kam die Debatte ins Rollen, weil man IS-Rückkehrer ausbürgern wollte, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber noch eine andere Staatsangehörigkeit haben.

Sagte ich "ausbürgern"? Das darf man bei uns natürlich nicht, weil wir aus der Nazi-Geschichte gelernt haben. Aber unter bestimmten Bedingungen kann die Staatsangehörigkeit "verloren" gehen (§17) und "zurückgenommen" werden (§35) . Süß, oder? Wir bürgern nicht aus, wir nehmen nur den Pass wieder weg.

Und wie praktisch. So kann man sich des unwertvollen Bevölkerungszuwachses wieder entledigen. Denn mal ehrlich, wer will schon IS-Rückkehrer haben? Nur, mit Blick auf unsere viel gepriesenen Werte ist das ganz schön verlogen. Statt homegrown terrorists strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, wollen wir die Verantwortung an das Land ihrer Vorfahren abgeben. Dumm nur, dass das Gesetz nicht rückwirkend greift. Wir können es also erst bei der nächsten internationalen Terrorwelle anwenden. Und auch dann nur, wenn die Verbrecher einen Doppelpass haben. Merken Sie etwas?

Um noch eine weitere Änderung zu nennen: Bislang galt die Frist für die Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen für Neudeutsche fünf Jahre, künftig kann einem die Mitgliedschaft im Kartoffel-Klub zehn Jahre lang entzogen werden, wenn man im Einbürgerungsverfahren gelogen hat. Das gilt in der Regel sogar, wenn das zur Staatenlosigkeit führt.

Aber was ich nicht verstehe: Wenn man "Identitätstäuschern" vorbeugen will, warum verbessert man nicht die Sicherheitslücken im Einbürgerungsverfahren, statt alle Ausländer zehn Jahre nur unter Vorbehalt einzudeutschen? Die Änderung betrifft nämlich über eine Million Menschen . Bei rund 500 potenziellen Betrügern - und da sind alle Verdachtsfälle der vergangenen zehn Jahre mitgerechnet - ergibt das eine Täuscherquote von 0,05 Prozent .

Worum geht es bei der Aufnahme in den Klub der Einheimischen?

Das Ärgerliche an dieser Art von Gesetzen, die wenig bringen und vor allem symbolisch sind: Es ist schwer für Politiker, sich dagegenzustellen. Wer will sich schon für polygame Chauvinisten, Terroristen und Einbürgerungsbetrüger in die Bresche schlagen? Nur: Genau da liegt der Hund begraben. Nimmt man noch das Migrationspaket von vorvergangener Woche hinzu, stellt sich unweigerlich folgendes Bild von Ausländern ein: alles abschieberesistente Sozialschmarotzer, Paschas mit mehren Ehefrauen und radikalisierte Islamisten. Rette sich, wer kann.

Die zentrale Frage lautet daher: Seit wann ist das Staatsangehörigkeitsrecht dazu da, um Straftaten zu sanktionieren? Ich dachte, bei der Aufnahme in den Klub der Einheimischen gehe es um Integration, darum, wie man in einem Einwanderungsland rechtliche Zugehörigkeit schafft. Außerdem ist Staatsangehörigkeit eine urdemokratische Frage: Die Gruppe der Wahlberechtigten sollte sich möglichst mit der Wohnbevölkerung decken. Keine demokratische Gesellschaft kann auf Dauer funktionieren, wenn ein großer Teil der Menschen von der politischen Teilhabe ausgeschlossen ist.

Etwa fünf Millionen Ausländer leben schon zehn Jahre und länger in Deutschland und dürfen nicht mitwählen - nur mal so zum Vergleich: Das sind mehr, als wir CSU-Wähler haben. Dieses "Einbürgerungspotenzial" schöpfen wir nicht einmal ansatzweise ab, lediglich 2,2 Prozent bürgern sich jährlich ein .

Statt dafür zu werben, dass mehr Menschen Deutsche werden, wird der alemannische Pass nun zur Trophäe einer lupenreinen Ausländerkarriere erklärt. Wer reinkommt, steht erst mal zehn Jahre unter Verdacht - vielleicht kam das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ja doch nicht aus reinstem Herzen? Wenn sich Ali und Anissa tatsächlich brav "eingeordnet" haben und ihnen kein Einbürgerungsbetrug nachgewiesen werden konnte, dürfen sie bleiben.

Voriges Jahr hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein paar Turkodeutsche zur Kaffeetafel ins Schloss Bellevue eingeladen. Von seiner Rede  sind folgende weise Worte überliefert:

"Es gibt keine Bürger erster oder zweiter Klasse, keine richtigen oder falschen Nachbarn. Es gibt keine Deutschen auf Bewährung, die sich das Dazugehören immer neu verdienen müssen - und denen es bei angeblichem Fehlverhalten wieder weggenommen wird."

Wirklich schade. Nun kommt es doch so. Sogar amtlich.