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Bildungsbericht des Bundes Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss steigt

Der Trend zu immer besserer Bildung schwächt sich ab, der Anteil der Jugendlichen ohne allgemeinbildenden oder beruflichen Abschluss steigt: Der neue Bildungsbericht des Bundes zeigt beunruhigende Tendenzen.
"Bildungserfolge in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie": Schülerin im Unterricht (Archivbild)

"Bildungserfolge in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie": Schülerin im Unterricht (Archivbild)

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Daniel Karmann / DPA

Der langjährige Trend zu immer höherer Bildung in Deutschland stößt offenbar an seine Grenzen: Die Quote der Jugendlichen mit Abitur oder Fachhochschulreife ist seit 2014 gesunken. Dagegen stieg im selben Zeitraum die Zahl der Schulabgänger, die nicht mindestens einen Hauptschulabschluss erreicht haben.

Das zeigt der neue nationale Bildungsbericht , der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Bildungsforscherinnen und -forscher verschiedener Institute haben dafür zahlreiche Daten zusammengetragen. Der Bericht sei "eine systematische Bestandsaufnahme des gesamten Bildungswesens", sagte Kai Maaz, Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Von 2014 bis 2019 sank der Anteil der Schülerinnen und Schüler eines Altersjahrgangs, die das Abitur oder die Fachhochschulreife erwarben, von 53 auf 50 Prozent. Möglicherweise gebe es so etwas wie einen Sättigungseffekt beim Bildungsbedarf, sagte Bildungsforscher Maaz.

  • Ganz ohne Abschluss verließen 2014 insgesamt 5,8 Prozent der Jugendlichen die Schule. Fünf Jahre später waren es mit 6,8 Prozent deutlich mehr. "Der zunehmende Anteil von Personen ohne allgemeinbildenden Bildungsabschluss in der Bevölkerung verschlechtert für sie und ihre Kinder langfristig die Lebensperspektiven", heißt es in dem Bericht. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

  • Positiv bewerten die Forscherinnen und Forscher, dass sich die Durchlässigkeit im Bildungssystem weiter erhöht hat - wenn auch auf niedrigem Niveau. Frühe Bildungsentscheidungen wie etwa die Wahl der weiterführenden Schule "können leichter korrigiert werden": So stieg die Zahl der Erstsemester ohne schulische Studienberechtigung von 0,4 Prozent im Jahr 2000 auf 3,5 Prozent im Jahr 2018.

Insgesamt konstatieren die Bildungsforscherinnen und -forscher daher einen wachsenden Bildungsbedarf. Steigende Geburtenzahlen und Zuwanderungsgewinne aus dem Ausland "werden in den nächsten Jahren sowohl in der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung als auch im Primar- und Sekundarbereich der Schulen zu einer steigenden Nachfrage nach Bildungsangeboten führen", so der Bericht. Dieser Zusatzbedarf verteilt sich allerdings regional unterschiedlich: Von der höheren Bildungsnachfrage sind vor allem städtische Regionen betroffen.

Für andere Landesteile dagegen hat sich die Versorgung mit Schulen bereits spürbar verschlechtert: Seit 2008 "wurden in den eher strukturschwächeren Landkreisen, die überwiegend in den östlichen Flächenländern liegen, zahlreiche berufliche Schulen und Grundschulen geschlossen", heißt es in der Studie. Die Zahl der Grundschulen ging dort innerhalb eines Jahrzehnts um sechs Prozent zurück, die der Berufsschulen sogar um 41 Prozent.

Bericht "Bildung in Deutschland 2020"

Der nationale Bildungsbericht wird von der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz der Länder gefördert und erscheint alle zwei Jahre, 2020 zum achten Mal. Er versteht sich als datengestützte Übersicht über das gesamte Bildungswesen - von der Kita über die Schulen, den Ausbildungssektor und die Hochschulen bis zur Weiterbildung Erwachsener. Aus der Ist-Darstellung des Systems sollen Handlungsmöglichkeiten für die Bildungspolitik abgeleitet werden.

Erneut bestätigte der aktuelle Bildungsbericht eine schon länger beobachtete Koppelung in Deutschland: "Die Bildungserfolge der Kinder stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie", schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, "je nach sozioökonomischer, migrationsspezifischer Zugehörigkeit variieren die Teilhabechancen an Bildung ebenso wie nach Regionen erheblich."

Entscheidende Faktoren sind demnach der Bildungsstand der Eltern, eine mögliche Arbeitslosigkeit von Mutter und Vater und die Armutsgefährdung der Familie. Dabei sind Kinder in Alleinerziehendenfamilien besonders häufig von Armut bedroht. Mit anderen Worten: Von echter Chancengleichheit ist das deutsche Bildungssystem nach wie vor weit entfernt.

"Der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf den Bildungserfolg ist nach wie vor viel zu groß", sagte Stefanie Hubig, SPD-Kultusministerin in Rheinland-Pfalz und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Hier liege weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben der Bildungspolitik. Generell sei der Bildungsbericht für die Entscheiderinnen und Entscheider in den Ländern und im Bund "in vielen Punkten ein Handlungsauftrag".

Ein Schwerpunktkapitel des diesjährigen Berichts befasst sich mit dem Stand der Digitalisierung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Die dafür genutzten Daten beziehen sich zwar im Wesentlichen auf das Jahr 2019 und damit auf die Zeit vor der Corona-Pandemie. Der Bericht sei daher auch kein Corona-Bericht, betonte Kai Maaz. Die aktuelle Krise habe jedoch noch einmal massiv deutlich gemacht, wo die strukturellen Probleme liegen:

  • "Nicht alle Menschen können die digitalen Möglichkeiten in gleichem Maße nutzen", heißt es im Bildungsbericht. Das hänge einerseits von eigenen Kompetenzen ab, andererseits aber auch von der sozialen Herkunft: Wer arm ist, ist tendenziell eher von digitalen Optionen ausgeschlossen - mit den entsprechenden negativen Folgen für die eigenen Bildungschancen.

  • Beim Blick auf die Digitalisierung des Bildungssystems steht in Deutschland bisher vor allem die Technik im Vordergrund, pädagogisch-didaktische Ideen sind dagegen Mangelware, schreiben die Autorinnen und Autoren: "Bislang fehlen Konzepte, um digitale Technologien entlang der gesamten Bildungsbiografie didaktisch sinnvoll einzusetzen."

  • Der Einsatz digital gestützter Unterrichtsmethoden "wird noch nicht systematisch in die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Personals integriert", so der Bericht. Für Lehrkräfte und andere Bildungsakteure sei es letztlich Glückssache, ob in ihrem jeweiligen Bundesland gute oder wenige gute Aus- und Weiterbildungsangebote im Hinblick auf digitales Lernen gemacht würden.

"Bislang fehlt es an einer überzeugenden und abgestimmten Strategie für die Bildung in einer digitalisierten Welt", so die Bilanz von Kai Maaz. Besonders im internationalen Vergleich gebe es in dieser Hinsicht für Deutschland erheblichen Nachholbedarf.