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DDR-Zitate über Merkel Ost-Ministerpräsidenten kritisieren Steinbrück

Kurz vor der Wahl zählt jedes Wort: Das muss SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nun mit Blick auf seine umstrittene Deutung der DDR-Vergangenheit Angela Merkels und ihrer Europapolitik erkennen. Die Koalition greift ihn scharf an und hofft auf Wähler im Osten.
SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: "Wollte niemandem zu nahe treten"

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: "Wollte niemandem zu nahe treten"

Foto: Reynaldo C. Paganelli / Demotix

Berlin - Es ist schon so eine Art steinbrücksches Gesetz, scheint es: Immer wenn sein Wahlkampf ins Laufen kommen könnte, gibt es neuen Ärger für den SPD-Kanzlerkandidaten. Diesmal geht es um Peer Steinbrücks Äußerungen zur mangelnden Europa-Begeisterung von Kanzlerin Angela Merkel, wofür er die DDR-Sozialisation der Regierungschefin als mögliche Begründung nennt. Auch wenn Steinbrück dies nicht als Vorwurf an die CDU-Chefin verstanden haben will und schon gar nicht an die Ostdeutschen insgesamt - die Kritikwelle ist groß.

Die Koalition will das Thema in den Wahlkampf ziehen. Denn im Osten, wo viele Wechselwähler wohnen, sind noch besonders viele Stimmen zu gewinnen. Also lässt man sich die Gelegenheit nicht entgehen, den SPD-Kanzlerkandidaten zu attackieren.

Sachsens Ministerpräsident Tillich: "Völliger Quatsch"

Scharfe Kritik kommt von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Er nannte Steinbrücks Äußerungen gegenüber SPIEGEL ONLINE "völligen Quatsch". Das CDU-Präsidiumsmitglied sagte: "Die Bundeskanzlerin hat nicht nur in der europäischen Finanzkrise bewiesen, dass sie genau weiß, wie wichtig Europa für Deutschland ist." Es mangele "dem SPD-Kandidaten an vielem, besonders aber an Kenntnis über die Ostdeutschen", so Tillich. "Die Sachsen wissen jedenfalls sehr genau, wie wichtig gerade die europäische Solidarität durch die europäischen Förderprogramme für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Freistaates bisher schon gewesen ist und bis zum Jahre 2020 sein wird."

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff rügte Steinbrück für seine Worte. "Gerade wir Ostdeutschen wissen, dass wir die Wiedervereinigung Deutschlands dem Einigungsprozess in Europa zu verdanken haben", sagte der CDU-Politiker. Gleichzeitig nahm er Parteichefin Merkel in Schutz: "Auch deshalb ist die Bundeskanzlerin eine überzeugte Europäerin."

Auch bei der FDP wird Steinbrücks Äußerung heftig kritisiert. Außenminister Guido Westerwelle habe sich, heißt es, "sehr verärgert" über den SPD-Kanzlerkandidaten gezeigt. Der FDP-Spitzenpolitiker sagte SPIEGEL ONLINE: "Die Europäische Union ist nicht die westeuropäische Union." Westerwelle betonte: "Die deutsche Wiedervereinigung war zugleich auch der Beginn der europäischen Wiedervereinigung. Wer Warschau, Prag und Budapest nicht als Europa begreift, lebt im Gestern."

In der SPD gibt es kein Verständnis für die Äußerungen

Schon in den vergangenen Tagen hatte es laute Kritik an der Darstellung Steinbrücks gegeben, auch aus der Linkspartei. In den eigenen Reihen kommt sie ebenso wenig an, aber öffentlich will das im Moment kein namhafter ostdeutscher Sozialdemokrat sagen. Aber Verständnis für den jüngsten Fauxpas des Kanzlerkandidaten gibt es nicht.

Steinbrück war auf einer "Tagesspiegel"-Matinee am Sonntag auf eine entsprechende Passage zu Merkel aus dem Buch "Zug um Zug" angesprochen worden, das er gemeinsam mit SPD-Altkanzler Helmut Schmidt 2011 veröffentlichte. Dabei erneuerte Steinbrück seinen Erklärungsversuch der merkelschen Europapolitik.

Inzwischen ist der Kanzlerkandidat sogar ein bisschen zurückgerudert. Er habe "niemandem zu nahe treten wollen", betonte Steinbrück am Dienstagabend in der ARD, "keineswegs 17 Millionen anderen Menschen, die in der alten DDR aufgewachsen sind, irgendwo was am Zeug flicken wollen". Zumal Steinbrück noch Anfang Juli ein "Zeit"-Interview abgeliefert hatte, das selbst mancher Parteifreund als arges Ranwanzen an die Ostdeutschen interpretierte. Darin verglich er unter anderem das Eintreten in die SED mit dem in die Ruhrgebiets-SPD.

Doch im Kern bleibt Steinbrück bei seiner Deutung für die aus seiner Sicht geringe Europa-Leidenschaft der Kanzlerin. Angesichts der Kritik sagt er, man solle doch "bitte nicht wieder in künstliche Erregungszustände verfallen". Und da ist man wohl auch wieder beim eigentlichen Problem des SPD-Kanzlerkandidaten: Er war mal ein sehr populärer Klare-Kante-Politiker, der nach diversen Patzern viel vorsichtiger geworden ist - aber sich den Mund auch nicht gänzlich verbieten lassen will.

Viel lieber als das enge Korsett des Kanzlerkandidaten wäre ihm wohl die scheinbar grenzenlose Denk- und Redefreiheit eines Altkanzlers wie Helmut Schmidt. Dem hat er seinen jüngsten Patzer gewissermaßen auch zu verdanken, denn Schmidt sagt in dem gemeinsamen Buch den Satz: "Merkel kann die Pro-Europa-Rede nicht halten, weil ihr die Leidenschaft für Europa nicht innewohnt", worauf Steinbrück entgegnet: "Das ist richtig. Die spannende Frage ist, ob das deshalb so ist, weil sie in der DDR sozialisiert worden ist und ihr deshalb das Projekt Europa ferner steht als einem in Westdeutschland sozialisierten Politiker."