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Schlechte Behandlung Richter stoppen Rückführung Asylsuchender nach Italien

In Italien droht Flüchtlingen eine derart unmenschliche und erniedrigende Behandlung, dass sie nicht dorthin zurückgeschickt werden dürfen. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart bezüglich einer syrischen Familie entschieden. Kein Einzelfall - seit Monaten urteilen deutsche Gerichte ähnlich.
Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa (März 2011): "Unmenschliche Behandlung"

Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa (März 2011): "Unmenschliche Behandlung"

Foto: CARLO HERMANN/ AFP

Stuttgart - Dieser Beschluss ist unanfechtbar: Eine über Italien nach Deutschland gekommene Asylbewerberfamilie darf nicht dorthin zurückgeschickt werden. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart beschlossen, wie eine Sprecherin am Donnerstag mitteilte. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass der fünfköpfigen Familie dort aufgrund "systemischer Mängel" des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen die Gefahr einer "unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung" drohe.

Konkret ging es in dem Verfahren um ein staatenloses palästinensisches Ehepaar aus Syrien mit drei kleinen Kindern. Es hatte gegen die Rückführung der Familie nach Italien geklagt. Das Gericht verpflichtete die Bundesrepublik, das Asylverfahren in Deutschland fortzusetzen.

Damit steht das Verwaltungsgericht Stuttgart nicht allein, wie die Sprecherin SPIEGEL ONLINE mitteilte. In den vergangenen Monaten kamen mehrere Gerichte in der Bundesrepublik zu ähnlichen Einschätzungen, etwa in Lüneburg, Freiburg, Karlsruhe, Düsseldorf, Augsburg, Gelsenkirchen und Magdeburg.

In dem nun bekannt gewordenen Stuttgarter Verfahren hatte die Familie erschreckende Zustände in der Behandlung von Asylsuchenden in Italien beschrieben. Man habe sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinen Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.

Zudem seien sie in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Asyl beantragten sie erst nach ihrer Ankunft in Deutschland. Nach Rechtslage war trotzdem Italien für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig.

"Aufnahmekapazität in Italien völlig überlastet"

Das Gericht stellte fest, die große Mehrheit der Asylsuchenden sei in Italien ungeschützt, ohne Obdach und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität. Auch die Gesundheitsversorgung sei nicht ausreichend sichergestellt, hieß es zur Begründung. Italien sei zwar als Mitglied der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat. Angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen bestünden aber Anhaltspunkte dafür, dass das Land seine Verpflichtungen derzeit nicht erfülle. Nach den Erkenntnissen des Gerichts seien "die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge Italien völlig überlastet".

Daran wird sich nach Ansicht der Stuttgarter Richter so schnell nichts ändern: Mit Blick auf die zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme aus Afrika wegen des Arabischen Frühlings gehen sie davon aus, dass sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern wird, sondern eher noch verschlechtert. Nach dieser Sachlage wäre die Familie bei einer Rückführung nach Italien gezwungen, "ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen und sei auch von Obdachlosigkeit bedroht".

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wertete das Urteil als eine Entscheidung im Einzelfall. Nach Auswertung aller vorliegender Erkenntnisse ergebe sich für das Bundesamt das Bild, "dass Italien trotz vorhandener Mängel und einzelner Missstände über ein funktionierendes Asylverfahren gemäß den Standards der Europäischen Union verfügt", teilte ein Sprecher SPIEGEL ONLINE mit. Es gebe daher keinen Grund, die bisherige Rückführungspraxis zu ändern.

Laut der sogenannten Dublin-II-Verordnung soll ein Asylbewerber nicht in mehreren EU-Ländern gleichzeitig einen Antrag stellen können. Anhand bestimmter Kriterien werden Asylverfahren auf die Mitgliedstaaten verteilt. Zunächst ist das Land zuständig, über das der Asylbewerber in die EU eingereist ist.

Zuletzt waren die miserablen Zustände für Flüchtlinge in Griechenland in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Deutschland hat deswegen bereits die Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland für ein Jahr gestoppt.

(Aktenzeichen: VG Stuttgart A 7 K 1877/12)

fdi/dpa/dapd