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Die Konstitutionelle Monarchie Wissen für alle

Medien, Öffentlichkeit, Bewusstsein, Sprache, Moral - Frankreichs Kultur wird radikal umgewälzt.
Von Rolf Reichardt
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Medienrevolution: Die Schreckensherrschaft der Jakobiner

Foto: Hulton Archive/ Getty Images

Kaum hatten aufständische Handwerker und Krämer am 14. Juli 1789 die Bastille gestürmt, da erschien vor ihren Mauern ein untersetzter, etwas vierschrötiger Mann an der Spitze von 500 Arbeitern. Auf eigene Faust begann er, den verhassten "Staatskerker" zu schleifen.

Es war Pierre-François Palloy, der zum reichen Bauunternehmer aufgestiegene Sohn eines Pariser Weinhändlers. Der Fall der Bastille war sein politisches Erweckungserlebnis. Es elektrisierte ihn dermaßen, dass er fortan seine ganze Tatkraft und sein Vermögen der neuen Revolutionssymbolik widmete. Nicht genug damit, dass er offiziell mit dem Abriss der Bastille beauftragt wurde - er verspürte überdies die Mission, aus ihren Trümmern Andenken herzustellen und landesweit als Revolutionsreliquien zu verbreiten.

  • Aus den Steinquadern der Festung ließ er detailgetreue Modelle der Bastille meißeln und gründete eigens eine Bruderschaft, "Freiheitsapostel" genannt, um diese "Votivgaben der Freiheit" in die Hauptstädte der 83 Départements zu transportieren, wo sie mit feierlichen Reden und öffentlichen Umzügen eingeweiht wurden. Aus den eisernen Schlössern, Ketten und Schleifkugeln des Gefängnisses schlug er Medaillen mit Freiheitsmotiven, insgesamt an die 60.000 Stück, und verehrte sie Abgeordneten, Bürgermeistern und Revolutionsclubs.

  • Als "patriotischer Künstler", wie er sich prätentiös nannte, entwarf Palloy revolutionäre Denkmäler, etwa eine Freiheitssäule auf dem Bastilleplatz, zu der er am 14. Juli 1792 auch den Grundstein legte - im Beisein des Königs und der Nationalversammlung.

  • Als sangesfreudiger Patriot verfasste er revolutionäre Lieder, um sie bei feierlichen Anlässen selbst vorzutragen: so zum Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., an dem er ein Schweinskopfessen zu veranstalten pflegte.

  • Besessen von der multiplikatorischen Wirkung der Printmedien, ließ er seine unzähligen Rundbriefe im Druck vervielfältigen - nicht ohne ihnen jeweils Medaillen und Flugschriften beizulegen. Und wenn ihn die Texte anderer überzeugten, ließ er sie kurzerhand nachdrucken und weiterverteilen, mit Vorliebe als illustrierte Plakate.

  • Als Impresario der Revolution führte er den Vorsitz im Jakobinerclub der Kleinstadt Sceaux bei Paris und organisierte beispielsweise zu den Jahrestagen des 14. Juli populäre Tanzfeste auf den Trümmern der Bastille.

Der "patriote Palloy", dieser hyperaktive Mediendesigner mit seinen theatralischen Bekenntnissen zur Revolution, wird in den klassischen Darstellungen der Historiker allenfalls nebenbei und abschätzig erwähnt. Gewiss, er stellt einen Extremfall dar, aber gerade dadurch illustriert er besonders deutlich die kulturelle Dimension der Revolution. Denn deren Volksnähe, Vielfalt und mediale Vernetzung stehen einzigartig da: Sie war ein grundlegender kultureller Umbruch, in dem alles mit allem zusammenhing: die Medien, die Clubbewegung, die Umwertung der Werte.

Die Medienrevolution

Diese Umwälzung war das größte Medienereignis seit den Tagen der Reformation. Die im Druck vervielfältigten Pamphlete und Zeitungen, Bild- und Liedflugblätter, Plakate und Medaillen waren beides zugleich: treibende Kraft und Erzeugnisse des Geschehens. An politischen Traktaten und Journalen, Bildsatiren und Spottliedern hatte es zwar schon im vorrevolutionären Frankreich der Aufklärung nicht gefehlt; sie hatten sich aber in erster Linie an ein gebildetes Publikum gerichtet und waren von der Zensur oft in den Untergrund gezwungen worden.

Anders 1789: Die Abschaffung der Zensur und die neue politische Freiheit der Bürger entfesselten eine nie zuvor gekannte Flut revolutionärer und anti-revolutionärer Publizistik. Sie wurde zwar unter der Jakobinerdiktatur eingeschränkt, hielt aber letztlich bis zum Staatsstreich von Bonaparte an. Statt umfangreicher Bücher und kunstvoller Kupferstiche für Wohlhabende und Gebildete beherrschten nun billige Kleinschriften und tagesaktuelle Produkte für jedermann das Druckgewerbe. Indem diese Publizistik vor allem die breite Bevölkerung ansprach, trug sie viel dazu bei, die Anhänger und Gegner der Revolution zu mobilisieren und in eine permanente öffentliche Debatte zu ziehen.

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Medienrevolution: Die Schreckensherrschaft der Jakobiner

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Allein die mehr als 40.000 Flugschriften und Pamphlete der Revolutionszeit stellen eine schier unübersehbare Masse historischer Dokumente dar. Gleichwohl ist bei näherem Hinsehen eine Reihe publikumswirksamer Verfahren zu beobachten, die von allen politischen Lagern angewandt wurden. So kleideten die oft anonymen patriotischen Schriftsteller ihre Polemik gegen die alte Aristokratie ebenso wie ihre Freude über die "frohe Botschaft" der Revolution mit Vorliebe in das vertraute Gewand der katholischen Liturgie: "Litanei und Magnificat des dritten Standes", "Sündenbekenntnis des Adels", "Evangelium der Freiheit", "Ave und Credo des Citoyen", "Vaterunser der Sansculotten" - so lauten nur einige anspielungsreiche Titel dieser teils satirischen, teils pathetischen Broschüren.

Didaktisch noch gezielter verfuhren politische Katechismen, indem sie eine Standardform der christlichen Unterweisung revolutionär umfunktionierten: allen voran der 1791 in einem Wettbewerb des Pariser Jakobinerclubs preisgekrönte "Almanach du Père Gérard". Dieses Werk des ehemaligen Schauspielers Collot d'Herbois war das erfolgreichste Volksbuch der Revolution überhaupt. In einer Folge von Gesprächen erzählt es, wie der Landwirt Michel Gérard - der einzige bäuerliche Abgeordnete der Nationalversammlung - in seine bretonische Heimat zurückkehrt und den Dorfgenossen die Vorzüge der neuen Verfassung erklärt.

Dem Volk aufs Maul schauen - am wörtlichsten nahmen diesen Grundsatz Hunderte Pamphlete, die ihre politischen Argumente beliebten Gestalten des Jahrmarktstheaters in den Mund legten. In szenischer Aufmachung bedienten sie sich der groben Sprache der Pariser Markthallen, zumal der Fischweiber. Ihre populärste Titelfigur war der Père Duchesne, seines Zeichens Ofensetzer: ein plebejischer Sprücheklopfer, dessen Schnurrbart und öffentliches Pfeiferauchen ebenso gegen die bürgerlichen Konventionen verstießen wie seine unflätigen "verfickten" Flüche.

Zeitungen werden zum Massenmedium

Ob er nun König Ludwig XVI. im Duz-Ton maßregelte, ob er sich mit einem anti-revolutionären Papstbrief den Arsch abwischte oder die Sansculotten zum Kampf gegen die "neue Aristokratie" im Konvent aufrief - immer wusste er seiner radikalen Agitation mit drastischen Worten und Symbolhandlungen Nachdruck zu verleihen.

Mehr noch als von den Flugschriften wurde die Französische Revolution von einer sich explosionsartig entfaltenden Presse getragen. Im Zeichen der Revolution entstand erst, was uns heute selbstverständlich scheint. Schlagartig wurden Zeitungen von einer elitären Angelegenheit zum Massenmedium. Hatte man die politischen Nachrichtenblätter in Frankreich früher an einer Hand aufzählen können, so schossen nun, von Juli 1789 bis 1790, über 300 Wochen- und Tageszeitungen wie Pilze aus dem Boden. Oft waren es Ein-Mann-Zeitungen, denn noch galten die profitablen vorindustriellen Produktionsbedingungen - billige Materialien und geringe Löhne, einfache Handpressen. Mit niedrigen Preisen wetteiferten diese Blätter um die Gunst eines enorm gewachsenen Publikums. Insgesamt erschienen während der Revolution rund 1600 Zeitungen, viele freilich nur für kurze Zeit.

Die höchsten Auflagen über mehrere Jahre erzielten radikalrevolutionäre Blätter wie die "Révolutions de Paris" von Louis-Marie Prudhomme (etwa 15.000 Exemplare), doch auch der ultra-royalistische "Ami du Roi" des Abbé Thomas-Marie Royou fand 5700 Abonnenten - immer noch doppelt so viele wie ein Journal im alten Frankreich. Die tägliche Gesamtauflage allein der Pariser Blätter belief sich 1791 auf 130.000 Stück und erreichte sechs Jahre später die Marke von 150.000. Über die Hälfte dieser Produktion wurde regelmäßig in die Provinz versandt, so dass die Post ihre Kapazität wesentlich erweitern musste. Auch die soziale Reichweite der neuen Presse war enorm, da jedes Zeitungsexemplar durch die damals übliche kollektive Lektüre im Schnitt zehn Erwachsene erreichte. Dies bedeutete drei Millionen Leser, also über zehn Prozent der Bevölkerung: ein einzigartiger Demokratisierungsschub der politischen Information und Meinungsbildung.

Straßenverkauf und Karikaturen

Dem entsprachen die neuen publizistischen Techniken der Revolutionspresse - beginnend mit einer wirkungsvolleren äußeren Aufmachung und öffentlichen Präsentation. Die ungegliederten, engbedruckten Textspalten der alten Gazetten wichen einem "Layout" mit Schlagzeilen, Leitartikeln und regelmäßigen Rubriken: besonders deutlich zu beobachten bei den Plakat-Zeitungen der Pariser Commune. Je radikaler das Blatt, desto plakativer und marktschreierischer sein Auftritt. So nahmen die Schlagzeilen in jeder Nummer der Zeitschrift "L'Ami du Peuple" von Marat einen Großteil der Titelseite ein, damit die Kolporteure sie werbend ausrufen konnten.

Denn mit der Revolution begann in Frankreich der Straßenverkauf von Zeitungen. Politisch Interessierte mussten nur die Boulevards und Plätze der Hauptstadt durchstreifen, den Ausrufern zuhören und die Maueranschläge lesen, um auf dem Laufenden zu sein.

Zugleich pflegte die Revolutionspresse eine volksnahe Schreibweise und einen ausgeprägten Meinungsjournalismus. Gleich mehrere Blätter nannten sich "Père Duchesne", allen voran das von Jacques-René Hébert redigierte Leib-und-Magen-Blatt der Pariser Sansculotten. Um auch die Bauern anzusprechen, gründete der ehemalige Jesuit Joseph Cerutti eine "Dorfzeitung", die in eingängiger Diktion von den Errungenschaften der Revolution berichtete. Sie erschien von 1790 bis 1795 und hatte bis zu 15.000 Abonnenten, darunter viele Lehrer und Pfarrer - die wichtigsten Kulturvermittler auf dem Land.

Doch keine Zeitung der Revolution wandte sich eindringlicher an das "Volk" als "L'Ami du Peuple" des ehemaligen Arztes und Untergrundschriftstellers Jean-Paul Marat. Täglich redete Marat mit dem Volk wie mit einem Kind. Unermüdlich schalt er dessen Arglosigkeit, ermahnte er es zur Wachsamkeit, warnte er vor einer neuen "Aristokratie", denunzierte er drohende "Verschwörungen" gegen die Revolution. Indem er sich publikumswirksam als selbstloser Anwalt der kleinen Leute, als Volkstribun in Szene setzte, verkörperte Marat idealtypisch die neue Leitfigur des sprachmächtigen, engagierten Journalisten.

Melodien für die Massen

Massenhaftigkeit, Volksnähe und verstärkte Präsenz im öffentlichen Raum - diese Merkmale revolutionärer Zeitungen und Pamphlete kennzeichnen erst recht die nichtschriftlichen Ausdrucksweisen der politischen Kommunikation: Medien einer Kultur des Zeigens und Sehens, des Redens und Hörens. Diese Tradition war von der eliteorientierten Aufklärung verdrängt worden, kehrte aber in der Revolution zurück.

"Büsten, Kupferstiche, Gemälde, Bibliotheken, Possenreißer, Marionettenspieler, Taschenspieler", so wusste der deutsche Freiheitspilger Heinrich Zschokke noch im April 1796 aus Paris zu berichten, "zeigen sich in allen Stadtgegenden und haben einen größern oder kleinern Schwarm von Bewunderern und Tadlern um sich versammelt. Selbst Melodien werden verkauft und dem Ohre der Käufer eingezeigt."

Die allgegenwärtigen Wandzeitungen, die Ausrufer und Straßensänger, die umherziehenden Schauspieler und Bilderhändler verliehen der revolutionären Kommunikation einen gewissen Kolportage-Charakter. Diese neuen Medien mobilisierten kraft ihrer Emotionalität, ihrer mitreißenden Melodien und visuellen Präsenz die oft kaum lesefähigen einfachen Leute. Besonders politische Chansons und gedruckte Bildflugblätter prägten sich dem kollektiven Bewusstsein tiefer ein als Texte und Reden.

Wie ein Blick auf die revolutionäre Bildpublizistik zeigt, handelt es sich auch hier zumeist um Massenprodukte kleiner, namenloser Künstler, Drucker und Verleger. Ihre flüchtig kolorierten Blätter erreichten Auflagen von 1000 bis 3000 Stück, durch Nach- und Raubdrucke nicht selten ein Vielfaches. In Paris boten sie sich dem Blick in aller Öffentlichkeit dar: auf den Märkten, an den Häuserwänden der Boulevards, unter den Arkaden des Palais Royal.

Der Kommentar steckt im Bild

Im Gegensatz zu den etablierten Kupferstechern, die mythologische Themen und Genreszenen bevorzugten, nutzten die neuen Bildermacher die rasche und freiere Radiertechnik, um unmittelbar das aktuelle Zeitgeschehen satirisch zu kommentieren und sinnstiftend zu deuten. Typisierend visualisierten sie symbolträchtige Ereignisse, politische Prinzipien, Hoffnungen und Ängste: Bildreportagen der Volksaufstände, bissige Schlagbilder gegen die "Aristokraten", Wunschbilder patriotischer Einigkeit, Heldenbilder von Bastille-Siegern und Sansculotten, Schreckbilder der Jakobinerdiktatur, Sinnbilder der Liberté, der Egalité und der République.

Besonders populär waren die revolutionären Karikaturen. Eindrücklich wussten sie vertraute Motive der ikonografischen Tradition zu politisieren und in gedrängter Form mit originellen Bilderfindungen zu verbinden. Ihre beliebtesten Motive wurden kopiert und auf Sammelblättern zusammengestellt - Miniaturgalerien für den schmalen Geldbeutel. Der Spott dieser Karikaturen war oft agitatorisch, ja klassenkämpferisch zugespitzt. Augenzeugen berichten, wie die Menge Neugieriger sich um die Auslagen der Bilderhändler drängte und voll hämischer Freude die neuesten Kreationen betrachtete: den befreiten Bauern, der triumphierend auf seinen ehemaligen Unterdrückern reitet; den "patriotischen Barbier", der den Klerus rasiert und dem Adel den Zopf abschneidet; die Vertreter der drei Stände beim einmütigen "Schmieden" der Verfassung; den "patriotischen Rechenmeister" beim makabren Kopf-Rechnen mit abgeschlagenen Häuptern. Der konservative Publizist Boyer-Brun erkannte in diesen Bildsatiren "das Thermometer der öffentlichen Meinung".

Die revolutionäre Clubbewegung

"Die öffentliche Meinung? Wer kann sich schon rühmen, dieses Ungeheuer mit achthunderttausend Köpfen zu kennen! Dazu müsste ich an allen Versammlungen und Debatten teilnehmen, die Tag und Nacht allenthalben stattfinden: im Club der Jakobiner, im Club der Cordeliers, im Club des Cercle Social, in all diesen obskuren und turbulenten Clubs, die man Cafés, Tavernen und Weinkeller nennt."

So benannte eine anonyme Flugschrift von 1791 ein neues Massenphänomen irritiert, aber treffend. Sich ohne Standesschranken zu freiem Wissensaustausch unter Gleichen und zu kollektiver Meinungsbildung regelmäßig versammeln - das hatten die Akademien und Freimaurerlogen, die Salons und Lesegesellschaften der Aufklärungszeit vorexerziert. Doch erst 1789 verallgemeinerte und politisierte sich dieser elitäre Drang zur revolutionären "Clubomanie", wie der Spottname eines Lustspiels von 1795 lautete. Als spontane außerparlamentarische Bürgerbewegung machten es sich die Clubs zur Aufgabe, die Abgeordneten und die Regierung kritisch zu beobachten, sich zur Diskussion der aktuellen Politik zu vereinen und selbst aktiv an der "nationalen Regeneration" mitzuwirken. Einfache Leute, die bislang nichts mit Politik zu tun gehabt hatten, wurden hier in demokratische Grundregeln eingeführt.

Die mehrgleisige Entwicklung dieser Bewegung begann mit dem Pariser Jakobinerclub. Aus improvisierten Kaffeehaus-Treffen der bretonischen Abgeordneten der Generalstände ("Club breton") erwachsen, nahm er im Oktober 1789 seinen revolutionären Namen an ("Société des Amis de la Constitution"), hieß aber nach seinem Tagungsort im aufgelösten Kloster der Dominikaner ("Jacobins") "Club der Jakobiner". Er zählte bald 1200 Mitglieder, vor allem Abgeordnete der Nationalversammlung und bürgerliche Intellektuelle, die sich den hohen Mitgliedsbeitrag von 24 Livres leisten konnten. Bis Juni 1791 gewann er wachsenden Einfluss, besonders durch briefliche Verbindung mit 400 provinzialen Clubs.

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Medienrevolution: Die Schreckensherrschaft der Jakobiner

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Denn inzwischen hatte das Beispiel der "Jacobins" Schule gemacht und zu Gründungen der unterschiedlichsten Clubs geführt: In Paris reichte das politische Spektrum vom konservativen "Club monarchique" über die liberale "Société de 1789" und den aufklärerischen "Cercle social" bis zu den im Frühjahr 1790 gegründeten "Brudergesellschaften" (sociétés fraternelles).

Letztere fanden bei einfachen Bürgern den größten Zuspruch; waren sie doch volksnäher und radikaler als die Jakobiner, ließen auch Frauen zu und beschränkten den Monatsbeitrag auf zwei Sous. Zu ihnen zählte der im ehemaligen Franziskanerkloster tagende Cordeliers-Club, in dem Danton, Marat und Desmoulins ihre ersten rhetorischen Triumphe feier- ten. Den Brudergesellschaften nahe standen die Bürgerversammlungen der im Mai 1790 eingerichteten Pariser Stadtviertel (Sections): eigentlich nur zur Bestellung der lokalen Wahlbeamten einberufen, tagten sie einfach weiter. Mehr noch: Gleichzeitig griff die Clubbewegung auf ganz Frankreich über. Gab es Ende 1790 landesweit etwa 300 Clubs, so waren es ein Jahr später bereits 1250 Clubs in 800 Orten - also oft mehrere konkurrierende Societäten in derselben Stadt. Sie nannten sich zumeist "Volksgesellschaften" (sociétés populaires).

Die beherrschende revolutionäre Kraft

Es folgte eine Wachstumskrise, ausgelöst von der Kontroverse um die Rolle des Königs. Während die volksnahen Pariser Clubs nach der im Juni 1791 gescheiterten Flucht Ludwigs XVI. geschlossen für eine Republik demonstrierten, spalteten sich die Jakobiner im Juli 1791: Die gemäßigte Mehrheit ihrer Mitglieder sonderte sich im Club der Feuillants ab. Der verbleibende radikale Flügel der Jakobiner wusste aber, geführt von Robespierre, diese Schwächung durch systematischen Ausbau seines Korrespondenz-Netzes, Zulassung unbemittelter Bürger und öffentliche Debatten mehr als auszugleichen. Mit dem Ausschluss ihrer girondistischen Mitglieder ab Oktober 1792 wurden die Jacobins zum verlängerten Arm der "Bergpartei" im Konvent. Dies war Teil einer Radikalisierung der Clubbewegung, der die revolutionskritischen und gemäßigten Societäten wie der Club monarchique und die Feuillants zum Opfer fielen.

Derart "gesäubert" und 1792 durch 500 Neugründungen gestärkt, stiegen die Clubs im folgenden Jahr vollends zur beherrschenden revolutionären Kraft auf. Innerhalb eines halben Jahres - von Herbst 1793 bis Frühjahr 1794 - vermehrten sie sich landesweit um 3500 weitere Volksgesellschaften, mehr als doppelt so viele wie in den vier Jahren zuvor. Von den Städten in die Dörfer vordringend, zählten sie nun insgesamt 6027 Societäten und erfassten 15 bis 30 Prozent aller erwachsenen Männer. Die 56 Frauenclubs - allen voran die "Revolutionären Republikanerinnen" von Pauline Léon und Claire Lacombe - blieben in der Minderheit.

Allerdings verlief die Clubbewegung selbst in ihrer radikalen Hochphase mehrgleisig. Obwohl nunmehr dominierend, mussten die Jakobiner weiterhin mit den volksnäheren Clubs konkurrieren, jedenfalls in den großen Städten. Dort formierten sich die Sansculotten der kleinbürgerlichen Viertel - 5000 in Marseille, 10.000 in Paris - zu permanent tagenden "Sektionsgesellschaften" (sociétés sectionnaires), die sich untereinander und mit den "sociétés fraternelles" verbündeten. Sie waren den Jakobinern willkommen, um die Machtergreifung der "Bergpartei" im Konvent zu unterstützen. Im Frühjahr 1794 wurden sie aber ebenso unterdrückt wie die Frauenclubs. Die Reste der Sektionsgesellschaften nahmen am Ende die Entmachtung Robespierres widerstandslos hin.

Clubbewegung im Untergrund

Die bürgerlichen Republikaner der Folgezeit verboten alle Clubs und ließen das Pariser Tagungslokal der Jakobiner schließen. Doch im Untergrund lebte die Clubbewegung weiter. Während sich ehemalige Jakobiner zeitweise im Panthéon-Club zusammenfanden (1795/96), formierten sich auf der Gegenseite rechte Republikaner und konstitutionelle Monarchisten vorübergehend zum Club de Clichy. Als die Direktoren dann im September 1797 das Verbot der Clubs aufhoben, um einem politischen Rechtsruck entgegenzuwirken, leiteten sie eine kurze Renaissance der Jakobiner ein. Unter dem Namen "Verfassungszirkel" (Cercles de Constitution) neu gegründet, betrieben die jakobinischen Clubs 1798/99 einen erfolgreichen "Wahlkampf" für eine Mitte-links-Mehrheit im Parlament. Dass aber eine weitere jakobinische Neugründung - der Manège-Club in Paris - in kürzester Zeit 3000 Mitglieder gewann, war den Direktoren denn doch zu viel: Sie ließen ihn am 13. August 1799 schließen. Damit ebneten sie den Weg für Bonaparte, für den die Clubs erst recht ein rotes Tuch waren.

Wie die Clubs in ihrer Entwicklungskurve mit dem steilen Aufstieg und allmählichen Niedergang der Revolution zusammenfielen, so unterstützten sie durch ihre Struktur und ihr Handeln den politischen Umbruch. Ihr großer Einfluss beruhte auf drei Stärken:

Grundlegend war zunächst ihre enge Vernetzung: keine "Gleichschaltung" von oben, sondern Ergebnis spontaner Fraternisierungen. Das jakobinische Netzwerk, das nur ein Siebtel aller Revolutionsclubs umfasste, war keine Schöpfung der hauptstädtischen Jacobins, sondern erwuchs aus Initiativen gleichgesinnter Volksgesellschaften in der Provinz, die jeweils ihre Statuten und Mitgliederlisten zur Prüfung einreichen mussten. Sobald das Netz allerdings geknüpft war, nutzte es die Pariser "Muttergesellschaft" systematisch zur Verbreitung ihrer gedruckten Rundschreiben und des "Journal de la Montagne", ihrer eigenen Zeitung. Doch auch die zahlreichen anderen Clubs verbrüderten sich untereinander, tauschten ihre Schriften und Meinungen aus, führten ebenso intensive wie weitgespannte Briefwechsel.

"Wächter und Vorposten der öffentlichen Meinung"

Zum Zweiten fungierten die Clubs landesweit als Verstärker und Multiplikatoren der Revolutionspublizistik: "Wächter und Vorposten der öffentlichen Meinung" nannte sie ein Rundbrief der Pariser Jakobiner im Februar 1794. Täglich erhielten die Clubs in den Départements aus Paris Pakete voller Druckschriften für sich und zum Weiterverteilen. Ihre Sitzungen pflegten sie mit der kollektiven Lektüre und Diskussion der neuesten Presseartikel zu beginnen. Überdies verfassten, druckten und verbreiteten sie eigene Zeitungen, Plakate und Flugschriften.

Durch die Publizistik immer auf dem aktuellen Revolutionsstand, entfalteten die Clubs zum Dritten eine fieberhafte Aktivität nach außen. Einerseits bombardierten sie den Konvent mit Adressen, die auch durch Verbote kollektiver Petitionen nicht einzudämmen waren: Fast 7000 waren es allein von August 1793 bis September 1794. Zusätzlich unterstützt von Aufständen der Sansculotten, stachelten diese Adressen den Konvent 1793 zu immer radikaleren Dekreten an: Bestrafung der "Wucherer" und "Spekulanten", Festsetzung "gerechter" Brotpreise, Verfolgung der "Verdächtigen" (suspects), Aufstellung bewaffneter Kommandos zur Requirierung von Lebensmitteln (armées révolutionnaires), Errichtung einer Notstandsregierung mit Hilfe des "Schreckens" (terreur).

Andererseits engagierten sich die Clubs als Revolutionsaktivisten vor Ort. Unter anderem beaufsichtigten sie die lokalen Behörden und die benachbarten Societäten und betrieben eine regelrechte Landmission mit Gründungen neuer Clubs in den Dörfern. Sie richteten "Volksbäckereien" ein, veranstalteten patriotische Feste, widmeten katholische Kirchen in Vernunfttempel um und bildeten Ausschüsse zur politischen Überwachung der Mitbürger (comités de surveillance). Kurzum: Erst die Revolutionsclubs haben gemeinsam jene ungeahnten nationalen Kräfte mobilisiert, die es der jungen französischen Republik ermöglichten, die lebensbedrohliche Krise der Jahre 1792/93 zu überwinden.

Umwertung der Werte

Die Revolutionspolitiker wollten alle Lebensbereiche der Franzosen bis ins Innerste rationalisieren und demokratisieren. Der äußere Ausdruck dieses Bestrebens waren Maßnahmen wie Frankreichs Gliederung in Départements, die Abschaffung der Binnenzölle, die Einführung einheitlicher Maße und Gewichte. Nationale Wiedergeburt hieß ihr Motto, das 1793 in dem Brunnen der "Régénération" auf dem Bastilleplatz monumentale Gestalt gewann.

Die Umwertung der gesellschaftlichen Grundwerte begann bei der Sprache. In einem regelrechten Wörterkrieg, von dessen Heftigkeit eine ganze Zeitschrift zeugt (das "Journal de la langue française" von Urbain Domergue), propagierten die Wortführer der Revolution eine neue "Sprache der Freiheit": Die obrigkeitsstaatliche Bezeichnung "Untertan" (sujet) wurde geächtet und durch "Staatsbürger" (citoyen) ersetzt; der am absoluten Monarchen orientierte Begriff des "Staatsverbrechens" (crime de lèse-majesté) wurde auf die "Nation" umgepolt (crime de lèse-nation), um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ab 1792, als sich die Radikalisierung der Revolution beschleunigte, griff diese Sprachpolitik tausendfach auf die Straßen-, Orts- und Personennamen über: So wurde die "Rue royale" in Paris in "Rue de la Liberté" umbenannt, Orte wie Saint-Antonin entledigten sich des ersten Teils ihres Namens, und Neugeborene wurden nicht länger auf "Joseph" oder "Marie", sondern auf "Brutus" oder "Égalité" getauft. Zugleich wurde es üblich, sich in der Öffentlichkeit zu duzen. Und mit alldem verband sich die visuelle Zeichensprache der Revolutionssymbole - von der Nationalkokarde über den Freiheitsbaum bis zur Jakobinermütze.

Wiedergeburt, das hieß auch die Heranbildung eines "Neuen Menschen" als Voraussetzung des republikanischen Gemeinwesens. "Ich bin überzeugt", rief Robespierre am 13. Juli 1793 im Konvent aus, "dass wir eine völlige Regeneration ins Werk setzen und, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein neues Volk erschaffen müssen." Mit diesen Worten propagierte der spätere Spiritus Rector des Wohlfahrtsausschusses ein gigantisches Programm und Gesetzeswerk zur "nationalen Erziehung", das mit der allgemeinen Schulpflicht unentgeltliche Grundschulen einführte, Preisausschreiben für neue Lehrbücher veranstaltete und die zuvor meist kirchlichen Oberschulen verstaatlichte. Ein Projekt, das neue Maßstäbe setzte und engagierte Lehrer mobilisierte, wenn es auch in den Wirren der Revolution nur ansatzweise zu verwirklichen war.

Neue Sprache, neue Erziehung, neuer Kalender - und neuer Glaube

Wiedergeburt - in diesem Leitbegriff drückte sich überdies das Bewusstsein einer historischen Zäsur aus. Symbolisch empfingen beim Republik-Fest des 10. August 1793 die Vertreter der Départements am Brunnen der "Régénération" aus den Brüsten einer Naturgöttin das reine Wasser ihrer politischen Kommunion. So erlebten die Franzosen insgesamt - und viele Beobachter im Ausland mit ihnen - die Revolution als Beginn einer "Neuen Zeit". Es ging um mehr als um den Wechsel vom "Ancien Régime" (so der Neologismus von 1789) zu einer neuen Staatsordnung: Die Revolution markierte die Stunde null der Geschichte. Beginnend mit dem Juli 1789 datierten daher patriotische Schriftsteller und Journalisten ihre Publikationen spontan nach "Jahren der Freiheit". Die Konventsabgeordneten gingen 1793 noch weiter: Sie vollzogen eine systematische Kalender-Revolution.

Eine neue Sprache, eine neue Erziehung, ein neuer Kalender - da fehlte nur noch ein neuer "Glaube", um die Menschen ganz zu erfassen und auf die Revolution einzuschwören. Anfangs, als der Pfarrklerus sich auf die Seite des dritten Standes schlug und politische Feiern mit einem Tedeum begannen, bestand noch Aussicht, Anhänger und Kritiker der katholischen Kirche unter dem Dach einer liberalisierten "Réligion nationale" zu vereinen: so der Titel einer programmatischen Schrift des einstigen Königlichen Predigers Claude Fauchet. Als dann aber die Priester 1790 zu Staatsbediensteten erklärt wurden und viele von ihnen den Eid auf diese "Zivilkonstitution des Klerus" verweigerten, fühlten sich die Protagonisten der Revolution in ihrem Antiklerikalismus bestätigt.

In Konkurrenz mit der traditionellen Heiligenverehrung entwickelte sich ein Kult um die "Freiheits-Märtyrer". Zu den neuen Idolen zählte zum Beispiel der Konventsabgeordnete Le Peletier de Saint-Fargeau, der von einem Royalisten ermordet wurde, weil er für die Hinrichtung des Königs gestimmt hatte. Die größte Verehrung genoss der von Charlotte Corday erdolchte "Volksfreund" Marat: Sein Leichenbegängnis wurde zur Prozession, sein aus dem Körper herausgenommenes Herz zur Reliquie, sein Grab zur Pilgerstätte. Revolutionäre Clubs errichteten ihm Altäre, ließen Marat-Büsten anfertigen und schmückten ihre Sitzungssäle mit seinem Porträt. Die Marat gewidmeten Lieder, Gebete und Gedenkfeiern wollten kein Ende nehmen.

Ihren Höhepunkt erreichten die Revolutionskulte schließlich 1793 - im Jahre II der Republik - beginnend mit der feierlichen Umwidmung der Kathedrale Notre-Dame zum "Vernunfttempel".