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Foto: Cavan Social/ DEEPOL/ plainpicture

Eierspeisen aus der Spitzengastronomie In Schale geworfen

Pochiert, gekocht, gebacken, gebraten: Eier sind vielseitige Naturprodukte und ewiger Begleiter des Menschen. In manchem Edelrestaurant sind sie deswegen die Hauptdarsteller. Eine kulinarische Eiersuche.
Von Oliver Lück

Das Ei ist der Inbegriff des einfachen, bodenständigen Lebensmittels: Ei im Glas oder Omelett, Zucker-Ei, Soufflé oder Baiser, Sauce Hollandaise oder Omas Eierlikör. Eier sind die Grundlage einer Vielzahl von Speisen wie Desserts, Pasta oder Kuchen. Dennoch sucht man sie auf den meisten Speisekarten vergeblich: Gerichte wie der klassische "Stramme Max" gelten als altbacken und kommen allenfalls noch in gutbürgerlichen Eckkneipen auf den Teller. Küchenchefs winken noch meist ab: Zu beschränkt seien die Variationsmöglichkeiten, ein Ei sei kein Gericht mit Alleinstellungsmerkmal.

In mancher Sterneküche hat das Hühnerei mittlerweile seinen Durchbruch geschafft. In den meisten Hotel-Restaurants hingegen scheinen es Hühnerprodukte nicht zu mehr zu bringen als zu einem Bestandteil des Frühstücksbüfetts. Und selbst Wachteleier bekommen Gäste heutzutage – wenn überhaupt – bloß noch als Garnitur auf den Teller gelegt. Dabei galten sie früher als Besonderheit und zählen in Frankreich oder Spanien zur kulinarischen Alltagskultur, in jedem Supermarkt sind sie zu finden.

Jemand, der es beim Geschmack der Eier ganz genau wissen wollte, ist der Wiener Koch Peter Zinter, 41. Er kocht im Wiener Restaurant Charlie P's - und hält seit gut acht Jahren auf seinem kleinen Hof neun alte Hühnerrassen: Die Altsteirer, Brahma, Orpington, Marans, Bressehühner, schwedischen Blumenhennen, Wyandotten oder Sussex legen weiße, braune, gescheckte oder mintgrüne Eier. Das Ergebnis seiner Verkostungen: "Alle schmecken gleich."

Interessant sind allerdings die Unterschiede im Frühjahr oder Sommer, wenn die Tiere in ihrem 500 Quadratmeter großen Auslauf unterschiedliche Kräuter fressen: "Das beeinflusst und verändert den Geschmack der Eier saisonal." Gezielt Kräuter zu füttern, könnte demnach ein interessanter Ansatz sein, den es weiterzuverfolgen gilt. Bislang serviert Zinter seiner Hühnerschar eine biologische Mischung aus gequetschtem Mais und Weizen. "Geschmacklich hebt sich das deutlich von konventionell gefütterten Hühnern ab", glaubt er, "das Ei ist intensiver und hat durch den Mais ein viel süßeres Aroma."

"Genial und günstig"

Peter Zinter ist von den Variationsmöglichkeiten des Eies regelrecht begeistert: "Genial und günstig! Das Ei ist mein Lieblingsprodukt, weil es so vielfältig ist. Und es hat zehnmal mehr mit Handwerk zu tun als Hummer oder Entenstopfleberpastete." Gern gart er das Ei bei 64,5 Grad für eine Stunde lang. Nun wird es vorsichtig geschält und das noch gallertige Eiweiß vom Dotter getrennt. Dann richtet er nur das Eigelb an, zum Beispiel mit Shiitake-Pilzen, Schwarzkohl, gepufften Buchweizen, Petersilienasche-Backerbsen, Nussbutterschaum und Kartoffelcreme. Zinter nennt das Ganze "Phönix-Ei", er serviert es in einer halbierten Straußeneischale.

Als er noch im Haubenlokal Vincent kochte und es an einem Abend wagte, das Ei aus dem Menü zu streichen, seien die Gäste unruhig geworden: "Wo ist das Ei? Wir wollen das Ei zurück!" Noch am selben Abend kochte er für jeden Tisch einen Ei-Gang und setzte ihn tags darauf wieder auf die Karte.

Manche Sterneküchen - und ihre Gäste - wissen das Hühnerei also zu schätzen. Zum Beispiel jene Küchen, in denen Chefs das Kochen mit regionalen Lebensmitteln propagieren und lange Garzeiten zum Trend geworden sind, das gilt auch für Eier. Im Berliner Restaurant Fischers Fritz etwa hatte Christian Lohse dem Ei mal einen eigenen Gang gewidmet – mit Hummer oder Trüffel als Beilage. Angeregt wurde Lohse vom japanischen Onsen Tamago, dem Heiße-Quellen-Ei, das in Fernost allerdings weniger als Delikatesse gilt. In Japan werden die rohen Hühnereier meist in der Nähe heißer Quellen an Touristen verkauft. Taucht man sie ein Weilchen in das dampfende Wasser, das Temperaturen von sechzig bis siebzig Grad erreicht, gerinnt das Eiweiß auch nach längerer Zeit nur leicht. Japaner mögen diese wachsweiche Textur, ihnen ist das Mundgefühl einer Speise so wichtig wie deren Geschmack.

48 Minuten gedämpft bei 61 Grad

Lohse hatte wochenlang herumprobiert und machte seine Berliner Onsen-Ei-Variante so: Bei 61 Grad wurde es für 48 Minuten gedämpft und dann gepellt. Nun wendete er es in Mehl, in rohem Eiweiß und schließlich in Panko, dem japanischen Paniermehl. Dann kam alles in die Fritteuse. Lohse nannte es: "Die Wiedergeburt des Eies in der gehobenen Gastronomie." Kostete: 24 Euro. Schmeckte: Wunderbar.

Doch schon weit vor Christian Lohse verarbeiteten auch Spitzenköche Eier zu mehr als bloß zu Teig oder Soße. So eröffnete Alain Passard in seinem Pariser Drei-Sterne-Tempel Arpège manches Menü mit einem Ei. Seine Kreation wurde leicht pochiert und mit Creme aufgeschlagen, gewürzt und mit etwas Essig versehen. Schließlich verfeinerte er es mit Ahorn-Likör und Schnittlauch und servierte es in seiner Schale. Eckehart Witzigmann ließ einst in seinem Restaurant Aubergine die simpelste aller Eierspeisen braten: das Spiegelei. Zusammen mit Spinat und weißen Alba-Trüffeln, die feinst über das Ei gehobelt wurden, stand dieser Klassiker viele Jahre auf der Speisekarte. Witzigmann sagt heute noch nicht ohne Grund: "Das Beste am Spinat ist das Spiegelei."

Und auch die Spielerei mit Ei kennt in der Sterneküche keine Grenzen: Heston Blumenthal etwa machte aus dem Frühstücksklassiker Ham & Eggs eine Eiscreme aus Schinken und Ei. Der Brite kreierte zudem ein rauchendes Nitro-Rührei mit Speckeis auf lauwarmem Briochewürfel. Der katalanische Molekularpapst Ferran Adrià zerlegte hingegen das spanische Nationalgericht in seine Bestandteile und füllte Kartoffeln, Olivenöl, Zwiebel und Eier in Form von Schaum, Emulsion und Püree in unterschiedlichen Temperaturen und Konsistenzen als Tortilla-Cocktail in ein Sherryglas. Und im Kopenhagener Noma ließ René Redzepi mitten im Menü eine Pfanne, Heu-Öl, Kräuter, ein Entenei und einen Wecker bringen. Dazu gab er die Anweisung, sich selbst ein Spiegelei zu braten und es auf den Teller zu heben, sobald die Eieruhr klingelte.

Mit der Bohrmaschine

In mancher heimischen Küche hat sich unterdessen die Zubereitung eines Straußeneis zum Event entwickelt. Ein bis zwei Kilo kann so ein Riese wiegen, der etwas herber schmeckt als Hühnereier und zehn Personen satt machen kann. Für die extrem harte Schale braucht es allerdings meist die Bohrmaschine, einen Winkelschleifer oder eine elektrische Stichsäge. Ist das Loch gebohrt oder geköpft, lässt sich der Inhalt zum Beispiel in der eigenen Schale im Wasserbad erhitzen und langsam zu Rührei verquirlen. Auch Hefezöpfe oder Aufläufe gelingen wunderbar mit Straußeneiern. Und die ausgeblasenen cremeweißen Schalen lassen sich inzwischen dort wiederfinden, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde: als Lampenschirme. Im Schein der Leuchte nehmen sie einen warmen Orangeton an. Ei, wie fein!