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Steuerhinterziehung in der Schweiz Im Seminar der Selbstanzeiger

Das Schweizer Bankgeheimnis bröckelt, Steuersünder sind nervös - und Profis wittern ein Riesengeschäft. In einem Zürcher Seminar lernen Berater, wie sie mit ihren Klienten eine perfekte Selbstanzeige zu Papier bringen.
Bankenviertel in Zürich: Harte Zeiten für Hinterzieher

Bankenviertel in Zürich: Harte Zeiten für Hinterzieher

Foto: © Arnd Wiegmann / Reuters/ REUTERS

Das Radisson Blue Hotel am Zürcher Flughafen, siebtes Stockwerk, Konferenzraum Bern 2, teure Espressomaschine, Collagen-Gemälde an kargen Wänden. Draußen, an einer Fassade vor dem Fenster, hängt eine überdimensionale Uhrenwerbung, auf der die Zeit zerfließt wie auf einem Gemälde von Salvador Dalí.

Ein Ort wie gemacht für ein Seminar über Menschen, die Teile ihres Vermögens mit Hilfe von Schweizer Banken vor dem deutschen Fiskus versteckt haben. Und deren Zeit nun abläuft, weil immer mehr CDs mit Daten möglicher Steuersünder in den Umlauf geraten. Und weil das deutsch-schweizerische Steuerabkommen, das Betrügern Anonymität garantiert hätte, vermutlich auf Jahre gescheitert ist.

Seitdem haben die Steuersünder Angst, strafrechtlich belangt zu werden, Angst vor dem Gefängnis. Viele ergreifen die Flucht nach vorn, meist in Form einer Selbstanzeige. Profiteure sind ausgerechnet die Steuerberater. Jene Zunft also, die womöglich zuvor geholfen hat, das Geld diskret ins Ausland zu verschieben. Nun helfen sie ihren Klienten beim Erstellen einer möglichst wasserdichten Selbstanzeige - und verdienen offenbar gut daran.

Das Seminar im Saal Bern 2 hat einen besonders poetischen Titel: "Verschwiegene Vermögen unter Druck". Der Besuch ist kostenlos, der Umgang diskret. Die Gäste, zumeist aus Deutschland eingeflogen, können sich unter Pseudonym anmelden oder unangemeldet aufkreuzen. Der Raum ist gut gefüllt, überwiegend von Steuerberatern und Juristen, die miteinander scherzen und sich die Schultern tätscheln. Dazwischen sitzen vereinzelt Menschen, die deplatziert wirken in ihrer Unsicherheit. Der ältere Herr im Karosakko zum Beispiel, der meist einfach nur dasitzt, die Augen aufs Programm geheftet, mit niemandem spricht und sich manchmal verstohlen umsieht.

Der gute, brave Bürger

Die Einführung in das Seminar übernimmt Rolf Schwedhelm, ein Anwalt mit fast 30 Jahren Berufserfahrung im Steuerrecht, seine Gesichtszüge ähneln ein wenig denen von Edmund Stoiber. Die Schweizer hätten "völlig umgedacht", sagt er. Banken, die früher dazu tendierten, bei Entdeckungsgefahr "noch eine weitere Stiftung oder Mantelversicherung" zwischen den Hinterzieher und sein hinterzogenes Geld zu schalten, würden die Kunden nun zur Selbstanzeige drängen - vor allem kleinere Anleger, deren Hinterziehungsvolumen "nur fünfstellig" seien.

Derzeit etwa häuften sich in seiner Kanzlei die Anrufe von Credit-Suisse-Kunden. Offenbar wolle sich die Bank gerade von Altlasten befreien. Ein Seminarteilnehmer hat von dem Großreinemachen ebenfalls gehört. "Das Geld der Hinterzieher soll übrigens grottig angelegt gewesen sein", sagt er. "Mit einer vernünftigen Anlagestrategie in Deutschland hätten die Betroffenen vermutlich fast ebenso viel verdient." Nach Steuern, versteht sich.

Doch was sind das eigentlich für Menschen, die ihr Geld in die Schweiz und andere Steuerparadiese schaffen? Schwedhelm sagt, er werde immer wieder von Journalisten gefragt, wie denn der typische Steuerhinterzieher so sei. "Natürlich geht das nicht, aber ich würde die wirklich gerne mal zwei, drei Tage in unser Beratungszimmer lassen", sagt er. "Dann würden die merken, wie falsch ihr Bild ist."

Der klassische Hinterzieher ist Schwedhelm zufolge ein "guter, braver Bürger". Man finde ihn in allen Gesellschaftsschichten "vom Priester bis zur Sekretärin". 98 Prozent seiner Mandanten würden "noch nicht mal bei Rot über die Ampel gehen".

"Bei welcher Bank sind Sie denn?"

Im Saal müssen bei diesem Satz manche lachen. Es ist nicht ganz klar, worüber - und ob alle über dasselbe lachen. Es wird sie unzweifelhaft geben, die Erben der Kriegsgeneration, die durch die Gedanken- oder Verantwortungslosigkeit ihrer Väter nun mit geerbtem Schwarzgeld Probleme bekommen, die sie eigentlich nie haben wollten. Aber reicht das als Erklärung?

Schwedhelms Kollege Rainer Spatscheck kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem die Steuermoral der Deutschen einen merkwürdigen Motivationsschub bekam. An einem Freitag war das, als der Finanzminister im Fernsehen verkündete: "Wir haben die CD gekauft."

Am folgenden Montag sei in seiner Kanzlei kein Durchkommen mehr gewesen, erinnert sich Spatscheck. Aufgelöste Neu-Mandanten hätten sich im Foyer gedrängt, die meisten seien ohne ein Blatt Papier gekommen, die Gesprächsführung hätte sich oft schwierig gestaltet. Manche hätten noch nicht einmal mehr gewusst, bei welcher Bank ihr Schwarzgeld liegt.

Schwedhelm hält die Panik der Anleger für verständlich. Die CD-Käufe seien ein Dammbruch gewesen. Die Bundesregierung habe "einen Markt eröffnet". Er meint den Markt für Datendiebe, nicht den für Steuerberater.

"Dann kann man's ja gar nicht genießen"

In der Mittagspause, es gibt Tartar-Schnittchen und Crevetten im Kartoffelstreifenmantel, stehen eben diese anderen Profiteure des neuen Steuer-Markts in Grüppchen zusammen und erzählen sich Anekdoten über Gruselklienten.

Er habe da mal einen Mandanten gehabt, der sein Schwarzgeld auf Dutzende Schweizer Konten verteilte, erzählt ein mondgesichtiger Berater. Der wollte dann bei Selbstanzeigen immer nur jene Konten benennen, die akut entdeckungsgefährdet gewesen seien.

Eine andere Beraterin, roter Pullunder, kinnlanges Haar, berichtet von einem Familiendrama: Bruder und Schwester haben Schwarzgeld geerbt, der Bruder will sich anzeigen, die Schwester das Geld behalten. Die Familie droht zu zerbrechen. "Wie kann man da gescheit vermitteln?", fragt sie sich.

An einem anderen Tisch bekundet ein junger Jurist seine Abneigung gegen solche Familiendramen. Einer wolle das Geld, der andere nicht: "Dann kann man's ja gar nicht genießen."

Das Leiden der Jäger

Während man auf den Gängen lästert, wird im Saal Bern 2 intensiv gearbeitet. Denn eine gute Selbstanzeige will gelernt sein, und jede Kundengruppe hat ihre ganz speziellen Wünsche.

Jäger zum Beispiel. Die fragten oft: Darf ich nach einer Selbstanzeige meinen Waffenschein behalten? "Eine beliebte Frage", doziert Steueranwalt Peter Talaska. Und nicht ganz leicht zu beantworten. Im Einzelfall ließe sich da aber durchaus was machen. Seine Kanzlei habe kürzlich für einen Klienten durchgefochten, dass er seinen Waffenschein behalten darf. Trotz Selbstanzeige.

Kollege Spatscheck geht auf die Spezifika bestimmter Zielgruppen ein. "Hatten Sie schon einmal Lehrer als Mandanten?", fragt er die Steuerberater im Saal. Zustimmendes Nicken. "Das bleibt nicht aus, oder?", fragt Spatscheck. Ganz schlimm werde es ja, wenn der Lehrer sagt: "Ich habe nachgelesen..." Wobei: "Heute googelt der Lehrer ja eher." Was den Umgang im Kundengespräch freilich nicht erleichtere.

Immerhin eine Sorge könne man dem Lehrer und auch anderen Beamten nehmen, sagt Talaska später. Es komme so gut wie nie vor, dass nach einer Selbstanzeige ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde. Das Risiko, den eigenen Job zu riskieren, wenn man steuerlich reinen Tisch mache, sei eher gering.

"Wir verraten unser Geheimnis nicht"

Die Schweiz, das verlorene Steuerparadies: Wie sehr sich der Standort gewandelt hat, zeigt nicht zuletzt eine alte Appenzeller-Werbung, die die Steueranwälte im Rahmen ihrer Präsentation kurz zeigen: drei Schweizer in einer Bergidylle, dazu der Slogan "Wir verraten unser Geheimnis nicht". Ein Relikt aus Zeiten, bevor Big Data außer Kontrolle geriet und das Schweizer Bankengeheimnis unterhöhlte. Bevor Tausende Steuersünder aufgescheucht wurden.

Seitdem ist die Selbstanzeige schwer in Mode, und Anwälte und Berater sind die großen Profiteure. Noch.

Er wolle ja niemanden nervös machen, sagt Seminarleiter Schwedhelm. Aber er habe gehört, dass auch schon eine CD mit kompromittierenden Daten über Steuerberater kursiere.

Auf der Uhrenwerbung vor dem Fenster zerrinnt weiter die Zeit. Vielleicht tut sie es schon für weit mehr Menschen als gedacht - ohne dass sie es merken.