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Psychologie Lebensretter handeln unüberlegt statt selbstlos

Warum riskieren Menschen ihr Leben für einen Fremden? Mit Mut hat das offenbar wenig zu tun, zeigt ein Experiment. Demnach handeln Helden in der Regel vor allem unüberlegt.
Nach dem Unfall: Wer spontan sein eigenes Leben riskiert, um jemand anderen zu retten, handelt meist unüberlegt

Nach dem Unfall: Wer spontan sein eigenes Leben riskiert, um jemand anderen zu retten, handelt meist unüberlegt

Foto: Daniel Bockwoldt/ picture alliance / dpa

Als Kermit Kubitz sah, wie ein Mann ein Mädchen in einer Bäckerei angriff, zögerte er nicht, griff ein und hatte das Messer später selbst in den Rippen. Andere Menschen hätten die Notsituation schlicht ignoriert. David Rand von der Yale University in New Haven und Ziv Epstein vom Pomona College in Claremont wollten genauer wissen, was die Alltagshelden von den Wegsehern unterscheidet. Was bringt Menschen dazu, ihr Leben für einen Fremden aufs Spiel zu setzen? Sind sie tatsächlich mutiger?

Da sich eine realistische Notsituation im Labor nicht ohne Weiteres nachstellen lässt, griffen die Forscher in die Trickkiste: Sie nahmen Beschreibungen aus einer älteren Studie, in der Personen über eine Situation in ihrem Leben berichtet hatten, in der ihnen entweder eine spontane oder eine durchdachte Entscheidung weitergeholfen hatte. Diese 50 Aussagen stellten sie 50 Zitaten von Lebensrettern gegenüber, in denen diese ihre Entscheidungsfindung beschrieben hatten. Dabei achteten sie darauf, dass man nicht erkennen konnte, aus welcher Gruppe eine Aussage stammte.

Erst handeln, dann denken

Nun sollten gut 2300 Personen jeweils 16 Aussagen lesen und auf einer Skala von eins bis sieben bewerten, wie intuitiv beziehungsweise begründet jeweils gehandelt worden war. Das Ergebnis: Die Testpersonen stuften das Verhalten der echten Helden mit großer Sicherheit als intuitiv und schnell ein. Auch bei der Einschätzung der Kontrollaussagen lagen die Testpersonen richtig - auf ihr Urteilsvermögen war also Verlass.

Zudem bestätigte eine Analyse mit einem Computerprogramm, das Texte auswerten und auf Hinweise für intuitives oder rationales Verhalten prüfen kann, die Probandeneinschätzung. Es stellte sich außerdem heraus, dass die Lebensretter selbst in Situationen aus dem Bauch heraus gehandelt hatten, in denen eigentlich genug Zeit gewesen wäre abzuwägen.

"Unsere Analyse zeigt, dass extreme Altruisten erst handeln und später denken", sagt Rand. Die möglichen Folgen der Tat sind den Rettern im ersten Moment offenbar nicht bewusst. Sie wägen nicht ab, denken nicht darüber nach, was passieren könnte. "Ich hatte nur zwei Gedanken", schreibt Kubitz im Bericht seiner Rettungsaktion. "'Ich muss den Angreifer aus der Tür bekommen' und erst dann 'oh mein Gott, er könnte mich auch umbringen'." Im Moment der Entscheidung schaltete sein Gehirn auf Autopilot.

Wie ängstlich oder mutig jemand ist, hat demnach kaum Einfluss darauf, wie er im Ernstfall reagiert. Für entscheidend hält Rand stattdessen die Erfahrungen, die wir vorher im Leben gemacht haben. Auf diese nämlich greift das Gehirn zurück, wenn wir schnell aus dem Bauch heraus entscheiden müssen. Wer also in seinem Leben häufig die Erfahrung gesammelt hat, dass es sich lohnt, jemandem zu helfen, hat in einer für einen anderen bedrohlichen Situation eher den Impuls einzugreifen.

jme

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