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Wissenschaft in den Medien Dafür sind Sie zu blöd

Komplizierte Begriffe, verworrene Geschichten - Medienberichte über Wissenschaft wirken oft leblos. Gutachter haben das schwierige Verhältnis von Forschung und Öffentlichkeit untersucht. Ihr Fazit: Langeweile muss sein.
Wissenschaftsvermittlung: Wer verstehen will, muss leiden?

Wissenschaftsvermittlung: Wer verstehen will, muss leiden?

Foto: Corbis

Berlin - Sie interessieren sich nicht für Wissenschaft? Kein Problem, Naturforschung gehört normalerweise nicht zur Allgemeinbildung. Während man sich mit Wissenslücken über Maler, Dichter oder Komponisten blamieren würde, löst das Bekenntnis, die Planeten des Sonnensystems nicht zu kennen, allenfalls billigendes Gelächter aus.

Sie würden aber doch gerne mehr erfahren über Wissenschaft, wollen sich indes nicht durch leblose Beiträge quälen?

Dann gehören Sie wahrscheinlich zu jener trostlosen Masse, die Gutachtern zufolge "kompetent-kritische Beobachtungen des Wissenschaftssystems" nicht verdauen kann. Auf klare Erklärungen sollten Sie nicht hoffen: "Massenwirksame Wissenschaftspopularisierung", so schreiben es jedenfalls die Experten deutscher Wissenschaftsakademien in einer Stellungnahme, sei "Folge der Rückwärtsorientierung des Journalismus".

Die Gutachter konstatieren einen "Berichterstattungsbias", also eine Verzerrung zugunsten von "Mainstream-Themen". Die eigentlich wichtigen Themen hingegen seien "medial-sperrig". Soll wohl heißen: Wer verstehen will, muss leiden. Müssen Kenntnisse über Naturwissenschaft also auf Profis beschränkt bleiben?

Duell auf der Bühne

Der Plan vor 20 Jahren zielte auf das Gegenteil: Mit einer deftigen Offensive haben Universitäten und Behörden seit den Neunzigerjahren versucht, Laien für Wissenschaft zu begeistern. "Wissenschaftsjahre" wurden gefeiert, "Science Center" gebaut, Lehrpläne umgeschrieben. Forscher lockerten Vorträge mit Comics auf, manche duellierten sich auf Bühnen beim "Science Slam", andere schrieben Blogs.

Auch die Massenmedien erkannten den Reiz von Galaxien, Psychotipps und Nanopartikeln: Neue Magazine entstanden, Zeitungen schufen eigene Wissenschaftsseiten, Forschungsthemen landeten gar auf vorderen Seiten, auf der Homepage von Onlinemedien und manchmal in den Fernsehnachrichten.

Die Aufbruchstimmung ist verpufft. In ihrer 28-seitigen Bewertung  attestieren die Experten der Wissenschaftsvermittlung eine gefährliche Krise. Vier Jahre haben Kommunikationsforscher, Soziologen und Journalisten im Auftrag der Wissenschaftsakademien Leopoldina, Acatech und Union die Lage der Wissenschaftskommunikation und des Journalismus hierzulande ergründet. Sie schlagen radikale Veränderungen vor.

Allzu viel sei schiefgelaufen: Forscher stellten Ergebnisse oft einseitig dar, verspielten Vertrauen, mahnen die Gutachter. "Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es aber nicht, zu verführen und zu überzeugen, sondern zu informieren und aufzuklären", sagt Peter Weingart von der Universität Bielefeld, Leiter der Kommission. Doch immer häufiger priesen gerade Pressestellen der Institute kleine Fortschritte als Durchbrüche an.

"Größte Umwälzungen der jüngeren Geschichte"

Selbst Fachmagazine schielten eher auf werbewirksame als auf hochwertige Studien, haben die Experten beobachtet. Und Massenmedien lieferten oberflächliche Attraktionen anstatt kritischer Analysen.

Häufig würden sie Pressemitteilungen einfach ungeprüft übernehmen, heißt es im Gutachten. Was nicht drin steht: Selbst Reporter großer Medien lassen ihre Artikel vor Veröffentlichung von Wissenschaftlern kontrollieren, über die sie berichten - Zustimmung in der Forscherszene scheint wichtiger als unabhängige Berichterstattung.

Wie sind die Probleme zu erklären? "Wissenschaft und Massenmedien unterliegen den größten Umwälzungen der jüngeren Geschichte", schreiben die Experten. Der Wettbewerb um Forschungsgelder habe die Natur- und Technikwissenschaften in einen Konkurrenzkampf getrieben, der sie zum Anpreisen ihrer Arbeiten verführe, wissenschaftliche Kriterien würden zweitrangig.

Noch härter traf es den Wissenschaftsjournalismus: Onlinemedien könnten die Einnahmeverluste der Papiermedien bislang nicht ausgleichen, sodass gerade kleine Rubriken wie Forschung eingeschränkt würden. Redaktionen verzichteten auf Fachjournalisten, selbst die großen Fernsehnachrichten. Und winzige Honorare trieben freie Journalisten in den Existenzkampf.

Die Folgen der Zwänge zeigten sich in der Gesellschaft, resümieren die Experten: Die Distanz zwischen Wissenschaft und Bürger habe sich vergrößert, das Urteilsvermögen der Bürger zu gesellschaftlich wichtigen Forschungsthemen wie Gentechnik, Klimawandel oder Stammzellforschung verschlechtert. "Die breite Öffentlichkeit bleibt im Hinblick auf wissenschafts- und technologiepolitische Fragen tendenziell unterinformiert", heißt es in der Stellungnahme.

Radikale Reformvorschläge

Grundlegende Verbesserungen seien nötig: Die Gutachter fordern einen Presserat für Wissenschaftsjournalismus, der über Qualität wacht nach dem Vorbild des allgemeinen Presserats. Die Besetzung und Finanzierung wäre noch zu klären.

Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Forschungsinstitute bedürfe eines "übergreifenden Qualitätslabels". Übertreibungen müssten sanktioniert werden. Allerdings befanden sich keine Mitarbeiter von Pressestellen unter den Gutachtern, sodass sich die Analyse auf Informationen aus zweiter Hand verlassen musste.

Außerdem fordern die Experten Stiftungen, die Qualitätsjournalismus zu Wissenschaftsthemen finanziell stützen sollten. Empfehlenswert sei auch, dass Experten in einem "Science Media Center" Medien bei der Recherche hülfen.

"Aber was ist denn eigentlich Qualitätsjournalismus?", fragte ein Journalist bei der Präsentation des Gutachtens in Berlin. Medienbeiträge seien eine Dienstleistung, folglich sollten nicht Gremien, sondern Kunden entscheiden, welche Formen sie wünschten. Es gebe zahlreiche Kriterien, etwa Ausgewogenheit, saubere Recherche oder Relevanz, die sich erst langfristig auszahlten, erwiderte ein Gutachter.

Ob allerdings die sozialen Onlinemedien bei der Vermittlung von Forschung helfen können, bleibt unklar. Sie wurden nicht untersucht.

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