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Schwarmverhalten von Vögeln: Der trojanische Star

Foto: MENAHEM KAHANA/ AFP

Fantastisches Vogelfoto Schwarmintelligenz

Einem deutschen Fotografen gelang dieser preisgekrönte Schnappschuss. Er zeigt Hunderte Stare in Spanien, die die Form eines riesigen Vogels angenommen haben. Doch warum formiert sich der Schwarm so?

Es sieht fast zu perfekt aus, um keine Fälschung zu sein: Das Foto, das der Deutsche Daniel Biber im vergangenen Jahr geschossen hat, zeigt einen Schwarm Stare (Sturnus vulgaris). Zufällig drückte Biber auf den Auslöser, als die Vögel selbst die Form eines riesigen Vogels annahmen - gewissermaßen handelt es sich um eine Art trojanischen Star.

Das Bild gewann prompt den ersten Platz beim Fotowettbewerb der Schweizerischen Vogelwarte in Sempbach - und setzte sich damit gegen die Einsendungen von mehr als 500 Fotografen aus 15 Ländern durch.

Dabei war Biber, der laut einem Bericht des "Independent" in der Nähe des Bodensees ein Radsportgeschäft betreibt, zunächst gar nicht klar, was er da geschossen hatte. Er sei so beschäftigt mit einer Fotoserie gewesen, dass er den Wert des Schnappschusses zunächst gar nicht erkannt habe.

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Biber hatte seit mehreren Tagen eine ganze Serie von wogenden Starenschwärmen aufgenommen. Wenn die Tiere zu Tausenden in Formation fliegen, verändern sie permanent ihre Form - Fachleute sprechen bei dem Phänomen auch von einer sogenannten Murmuration, in Dänemark wird auch der Begriff Schwarze Sonne verwendet. Zwar zeigen auch Schwärme von Saatkrähen (Corvus frugilegus) oder Dohlen (Coloeus monedula) ein ähnliches Verhalten, doch nirgendwo ist es so eindrucksvoll wie bei Staren.

Die Aufnahme gelang Biber an der Costa Brava im Nordosten von Spanien, dorthin fährt der 53-Jährige seit Jahren, um das eindrucksvolle Naturschauspiel zu beobachten. Doch erst als er am Computer seine Bilderserien ausgewertet habe, sei ihm klar geworden, welche Form die Tiere auf seinem Bild angenommen hatten und was für ein Zufallstreffer ihm gelungen war. Die Fotos zeigen, wie sich die Vogelform bildet und kurz danach wieder verschwindet.

Schutz vor Beutegreifern

Der Schwarm hätte etwa zehn Sekunden benötigt, um die Form des riesigen Vogels zu bilden. Offenbar hatte ein Raubvogel versucht, in dem Schwarm zu jagen. Deshalb hätten die Tiere blitzartig ihre Form verändert, um der Attacke zu entkommen. Das passiere an der Stelle, an der Biber fotografierte, sehr häufig. "Manchmal entstehen dann fantastische Gebilde. Diesmal hat es besonders gut geklappt", sagt er.

Ornithologen glauben, dass der pulsierende Tanz der Starenschwärme, der jedes Jahr im Herbst an vielen Stellen in Europa zu beobachten ist, vor allem der Feindesabwehr dient. Wenn sich die Tiere abends zu Tausenden an Sammelplätzen einfinden, bevor sie gemeinsam zu einem Nachtlager aufbrechen, lauern auch Raubvögel wie Falken oder Habichte auf die etwa 20 Zentimeter langen und weniger als hundert Gramm wiegenden Tiere. Mit der Dauerbewegung im Schwarm, bei der alle Tiere völlig synchron zu agieren scheinen, machen sie es Beutegreifern grundsätzlich schwerer, erfolgreich zu sein. Zudem erhöht das Auftreten im Schwarm die individuelle Überlebenschance.

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Schwarmverhalten von Vögeln: Der trojanische Star

Foto: MENAHEM KAHANA/ AFP

Um die Feinde abzuschütteln, haben die Stare noch zusätzlich eine ganz besondere Strategie entwickelt. Fliegt etwa ein Falke in den Schwarm, verdichten die Stare ihre Formation und üben auf den größeren Vogel so von allen Seiten Druck aus. Schließlich kann der Raubvogel nicht mehr mit den Flügeln schlagen - und fällt so aus der Vogel-Wolke heraus, die Stare können im Idealfall flüchten.

Doch wie gelingt es den Staren, so homogen und elegant in der Gruppe zu fliegen und dabei permanent Form oder Richtung zu verändern? Gibt es etwa Leittiere, an denen sich die anderen orientieren?

Studien haben gezeigt, dass die Tiere offensichtlich im Kollektiv agieren. Einen äußeren Reiz braucht es nicht unbedingt, abgesehen von einem angreifenden Raubvogel. Jedes Tier orientiert sich im Schwarm an seinem knappen halben Dutzend Nachbarn und hält stets den gleichen Abstand zu ihnen ein. Wechselt nun ein Tier die Richtung oder das Tempo, passen sich die anderen an und eine Art Kettenreaktion wird ausgelöst, die sich nach und nach auf den ganzen Schwarm überträgt. Hinweise auf diesen Mechanismus haben verschiedene Studien ergeben, bei denen mit Videokameras das Verhalten der Tiere ausgewertet wurde.

Simulationen am Computer

Grundsätzlich kann also jedes Tier über die Formation mitbestimmen. Ähnliches ist auch von Fischschwärmen und schwimmenden Enten bekannt. Wissenschaftler sprechen von emergentem Verhalten. Schon lange stehen die Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, im Fokus der Forschung. Nicht nur Ornithologen interessieren sich dafür, sondern auch Physiker, Mathematiker und Ingenieure. Bereits Mitte der Achtzigerjahre hatte der US-Amerikaner Craig Reynolds mit seiner Boids-Simulationen am Computer ein Modell auf der Grundlage von Vogelschwärmen entwickelt. Ähnliche Forschungsansätze beschäftigen sich etwa mit der Dynamik von kollektiven Bewegungen in Menschenmassen.

Doch möglicherweise profitieren die Stare noch auf weitere Arten vom Flug im Schwarm. Denn auch ein Erfahrungsaustausch findet statt. Offensichtlich probieren die Stare, während des Fluges in die Mitte des Schwarms zu gelangen, wo die kräftigsten Tiere fliegen. Hier ist der sicherste Platz, um sich vor Raubvögel zu verstecken. Tiere, die weniger Glück bei der Nahrungssuche haben, bräuchten sich an den besser genährten Vögeln in der Mitte bei der Nahrungssuche nur zu orientieren und ihnen zu den besten Futterplätzen hinterher zu fliegen, glauben einige Forscher - gewissermaßen nutzen die Tiere ihre Schwarmintelligenz.

Der Bestand der Stare hat in den letzten Jahren abgenommen. Obwohl das Tier, das kürzlich erst zum "Vogel des Jahres" gekürt wurde, in weiten Teilen Nordamerikas, Europas und Asiens vorkommt, gebe es etwa eine Million Paare weniger als noch vor 20 Jahren. Auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands wird die Art inzwischen als "gefährdet" eingestuft.

joe

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