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Fanganalysen Unter 600 Metern sollte nicht gefischt werden

Die Europäische Union will über neue Regeln für die Tiefseefischerei beraten. Doch der Widerstand gegen eine Tiefenbegrenzung ist groß. Nun zeigen Untersuchungen, wie wichtig sie wäre.
Rundnasen-Grenadier: Die Art ist in Tiefen unter 1300 Metern besonders verbreitet und gilt als überfischt

Rundnasen-Grenadier: Die Art ist in Tiefen unter 1300 Metern besonders verbreitet und gilt als überfischt

Foto: Marine Scotland Science

Die Lebewesen der Tiefsee gelten als besonders empfindlich. In Dunkelheit und Kälte wachsen sie nur langsam, sie werden alt, bekommen aber wenig Nachwuchs. Umso größer sind die Auswirkungen der Fischerei in diesem Gebiet. Die Bestände einiger Tiefseehaie und Rochen gehen beständig zurück, seit ihr Lebensraum mit Grundschleppnetzen durchpflügt wird.

Seit Jahren arbeitet die Europäische Kommission an strengeren Regeln für die Tiefseefischerei, doch es gibt Widerstand: 2013 lehnte das Europäische Parlament mit knapper Mehrheit einen Vorstoß ab, der Grundschleppnetze und Stellnetzfischerei in Tiefen von über 600 Metern in EU-Gewässern und internationalen Gewässern im Nordatlantik verbieten sollte. Dafür gebe es keine wissenschaftliche Grundlage, hieß es damals.

Das ist nun anders: Noch 2015 wollen die Mitgliedstaaten der EU erneut über eine Verordnung beraten. Auch eine Tiefenbegrenzung der Grundschleppnetzfischerei auf 600 Meter ist wieder im Gespräch, allerdings weiterhin umstritten. Doch nun haben Forscher Belege dafür gefunden, dass diese, scheinbar willkürlich gewählte Tiefenbegrenzung, das Ökosystem nachhaltig schützen könnte.

Wer hat das finanziert?

Die Forscher erhielten Gelder aus mehreren EU-Förderprogrammen, von der Schottischen Regierung und dem britischen Forschungsrat für Forschung, Ausbildung und Wissensvermittlung in den Umweltwissenschaften (Nerc).

Jo Clarke von der University of Glasgow und Kollegen haben die Fracht von drei Forschungsreisen und einer kommerziellen Fischereifahrt im Nordostatlantik untersucht. Alle vier hatten zwischen 1978 und 2013 zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden. Die Netze reichten in Tiefen zwischen 240 und 1500 Metern.

Untersucht wurde die Fracht auf:

  • die Anzahl der Fischarten nach Wassertiefe,
  • das Verhältnis von Beifang zu Fisch, der sich verkaufen ließe,
  • den Anteil von Knorpelfischen wie Rochen und Haien an der kommerziell nutzbaren Biomasse,
  • den Wert pro Quadratkilometer für jedes Netz in Euro.

Mehr Beifang als Fisch zum Verkauf

Es zeigte sich, dass die Artenvielfalt zwischen 400 und 1000 Metern Tiefe immer weiter zunahm. Pro 100 Metern fanden die Forscher in diesem Bereich 18 weitere Arten, berichten sie im Fachmagazin "Current Biology" . Gleichzeitig stieg der Anteil an wertlosem Beifang: In 600 Metern kamen auf 30 Einheiten Beifang noch 100 Einheiten verkaufbarer Fisch. In 1300 Metern lag das Verhältnis bei 160 zu 100 - es gab mehr Beifang als Fisch zum Verkauf.

Dabei haben die Forscher den Beifang und den Anteil der verkaufbaren Fische noch zurückhaltend berechnet: Während zu kleine Fische in der Realität meist nicht auf den Markt kommen, haben Clarke und Kollegen sie in der Studie zum verkaufbaren Teil gerechnet.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass der Anteil an Knorpelfischen wie Haien und Rochen, von denen viele als gefährdet gelten, im Beifang in Tiefen zwischen 500 und 600 Metern besonders groß ist. Anschließend nimmt er aber wieder ab.

Zudem sinkt der Wert der Fracht zunächst mit der Tiefe: Zwischen 400 und 700 Metern ging er deutlich zurück und blieb dann bis in 900 Meter konstant. In 1300 Metern lohnte sich das Fischen dann wieder mehr. Die Forscher führen das darauf zurück, dass Rundnasen-Grenadiere hier besonders häufig vorkommen. Auch sie gelten allerdings als überfischt.

Interessen der Fischereiwirtschaft berücksichtigt

"Das bemerkenswerte an den Ergebnisse ist, dass der Kollateralschaden für das Ökosystem in Tiefen zwischen 600 und 800 Metern zunimmt, während der wirtschaftliche Nutzen sinkt", fasst Clark das Ergebnis zusammen.

Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, der nicht an der Studie beteiligt war, hält das Resultat für plausibel und sehr nützlich. Überzeugend sei auch, dass die Forscher nicht nur den maximalen Schutz der Fische im Blick haben, sondern auch die Interessen der Fischereiwirtschaft berücksichtigen.

Die Forscher hoffen, dass ihre Studie bei den Verhandlungen der EU berücksichtigt wird. "Tiefenlimitierungen gelten oft als ungenau und wenig durchdacht", sagt Clarke. "In diesem Fall sieht es aber so aus, das eine Grenze von 600 Metern einen konkreten Nutzen für den Erhalt der Artenvielfalt hätte."

Beachtet werden müsse allerdings, dass sich die Ergebnisse nur auf den Nordostatlantik beziehen. Ob die Tiefenbegrenzung auch für andere Regionen sinnvoll ist, könne aber leicht geprüft werden.


Zusammengefasst: Die EU berät seit Jahren über eine Tiefenbegrenzung für den Einsatz von Grundschleppnetzen in der Tiefsee. Bislang konnten sich die Staaten aber nicht einigen. Die aktuelle Studie zeigt, dass ein Verbot ab 600 Metern Tiefe, das seit Jahren diskutiert wird, sinnvoll wäre. Ab dieser Tiefe nimmt die Artenvielfalt zumindest im Nordostatlantik deutlich zu, gleichzeitig sinkt der wirtschaftliche Nutzen der Fischerei. Noch in diesem Jahr will die EU erneut beraten.

Mit Material von dpa