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Absturz in Mecklenburg-Vorpommern So funktioniert der Schleudersitz des "Eurofighters"

Der Ausstieg aus einem Kampfflugzeug ist ein Extremereignis, bei dem Piloten nur durch Hightech eine Überlebenschance haben. Aber auch der Schleudersitz des "Eurofighters" kann nicht in jedem Fall Leben retten.
Schleudersitz "Mk 16A"

Schleudersitz "Mk 16A"

Foto: Martin-Baker

Das britische Unternehmen Martin-Baker führt eine Statistik, auf die es zu Recht stolz ist. Insgesamt 7607 Leben, so ist in großen Ziffern gleich auf der Startseite der Firma  zu lesen, seien durch ihre Schleudersitze bisher gerettet worden. Militärpiloten, die einen solchen Ausstieg überstanden haben, können gar Mitglied in einem exklusiven Zirkel werden, der ebenfalls auf der Webseite beworben wird: Im sogenannten Ejection Tie Club seien bisher rund 6000 Piloten registriert.

Martin-Baker ist auch Hersteller des Schleudersitzes, der im "Eurofighter" zum Einsatz kommt. Vom Modell "Mk 16A" sind nach Angaben der Firma bisher 440 Stück verbaut worden. Eines von ihnen hat am Montag beim Zusammenstoß zweier Bundeswehrmaschinen über Mecklenburg-Vorpommern einem Piloten das Leben gerettet. Der Oberstleutnant, 51, gilt als einer der erfahrensten Fluglehrer der Luftwaffe mit mehr als 1900 Flugstunden allein auf dem "Eurofighter". Im zweiten Fall jedoch konnte der Schleudersitz dem Piloten nicht helfen. Hier handelte es sich um einen Oberleutnant, 27, der gerade seine Basisausbildung abgeschlossen hatte und 100 Flugstunden auf dem "Eurofighter" vorweisen konnte. Seine sterblichen Überreste nach dem Absturz wurden in der Nähe der Ortschaft Silz gefunden.

Der dritte Pilot, der an der Luftkampfübung beteiligt war, hatte berichtet, dass beide Piloten nach dem Zusammenstoß ihren Schleudersitz ausgelöst hätten. Der General Flugsicherheit der Bundeswehr - er gehört zum Luftfahrtamt der Truppe - leitet derzeit die Untersuchung der Unfallursache. Dabei dürfte neben der Auswertung der Flugschreiber auch das Funktionieren der Schleudersitze ein Thema sein.

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Für die Piloten bietet der Schleudersitz die letzte Möglichkeit, ihr nicht mehr steuerbares Luftfahrzeug zu verlassen. Dafür müssen sie eine gelb-schwarze Schleife zwischen ihren Beinen kräftig ziehen. Beachten müssen sie dabei die Geschwindigkeit des Flugzeugs. Sie darf etwa im Fall des "Mk 16A" nicht über rund 1100 Kilometer pro Stunde liegen, ein Ausstieg bei Überschallgeschwindigkeit ist also nicht vorgesehen, sie würde den Piloten körperlich zu stark belasten.

Die Höhe beim Ausstieg darf beim "Mk 16A" nicht oberhalb von 16,76 Kilometern liegen. Womöglich funktioniert der Sitz auch außerhalb dieser Grenzen, getestet ist er dafür jedoch nicht.

Ohnehin stellt die Prozedur eine extreme Belastung für den Körper dar, unter anderem für die Wirbelsäule. Das hat mit der Kette von Ereignissen zu tun, die nach dem Ziehen der Schlaufe vollautomatisch abläuft.

Gurtstraffer sorgen dafür, dass der Pilot - er darf zwischen 61 und 133,5 Kilogramm wiegen - in der richtigen Position für einen Ausstieg ist. Arme und Beine sind fixiert, damit es nicht zu Verletzungen kommt. Über seine Maske wird der Pilot weiter mit Sauerstoff aus einer Notfallflasche versorgt. Dann wird das Kabinendach entweder abgesprengt oder kontrolliert zum Zersplittern gebracht.

In einem nächsten Schritt wird anschließend eine in die Sitzstruktur integrierte Feststoffrakete gezündet. Sie brennt nur für 0,25 Sekunden und soll den aus Aluminium und Verbundwerkstoffen gefertigten, 64 Kilogramm schweren Sitz zusammen mit dem Piloten möglichst weit weg von der abstürzenden Maschine bringen. Beim Ausstieg kann die Beschleunigung beim bis zu 16-fachen der Erdbeschleunigung (16g) liegen. Zum Vergleich: Besucher einer Achterbahn spüren etwa 3g, selbst aus dem Weltraum zurückkehrende Astronauten werden im Normalfall mit nicht mehr als 5g belastet.

Sauerstoff für eine halbe Stunde

Der Schleudersitz versorgt aussteigende Piloten weiterhin mit den für ihre Lebenserhaltung wichtigen Funktionen. Sauerstoff steht für etwa eine halbe Stunde zur Verfügung. Hilfreich bei diesen Belastungen ist auch der Anti-g-Anzug, den die Bundeswehrpiloten tragen, um bei hohen Beschleunigungen im normalen Flug ein Absacken ihres Blutdrucks und daraus resultierende Wahrnehmungsprobleme und Bewusstlosigkeit zu vermeiden.

Problematisch ist das Auslösen des Schleudersitzes bei extremen Sinkraten und - wenn sich das Flugzeug in der Nähe des Bodens befindet - bei ungünstigen Ausschusswinkeln, zum Beispiel wenn der Jet auf dem Rücken liegt und seine Nase nach unten zeigt.

Müssen zwei Crewmitglieder den Eurofighter verlassen, werden ihre Sitze leicht versetzt in verschiedene Richtungen aus dem Cockpit geschossen. Dafür sorgen asymmetrisch angeordnete Düsen am Raketenmotor. Hintergrund dabei ist, dass es in der Luft nicht zu einem Zusammenstoß der beiden aussteigenden Piloten kommen darf.

Aerodynamische Paneele am Schleudersitz sorgen zudem dafür, dass der Sitz in der Luft die richtige Orientierung behält. Außerdem hilft ein rund einen Meter messender Führungsfallschirm. Er wird aus dem Kopfteil ausgestoßen, damit der Flug weiter stabilisiert wird.

Der Hauptfallschirm mit einem Durchmesser von etwa 6,5 Meter wird abhängig von der Höhe ausgelöst. Er war bei der Herstellung mit einem Druck von 690 bar in seinen Behälter gequetscht worden, um möglichst wenig Platz zu verbrauchen.

Schlauchboot bläst sich selbst auf

Findet der Ausstieg oberhalb von 5000 Metern statt, Sensoren messen dafür den Luftdruck, wird der Hauptschirm erst dann automatisch geöffnet, wenn Pilot und Sitz bei ihrem Fall Richtung Erde diese Marke unterschreiten. Dann werden die Sicherheitsgurte automatisch getrennt und der Großteil des Sitzes damit abgeworfen, gleichzeitig öffnet sich der Hauptfallschirm. Beim Piloten verbleibt nur eine Sitzwanne, die unter anderem eine Überlebensausrüstung enthält. Zu der gehört sogar ein Schlauchboot, das sich beim Kontakt mit Wasser automatisch aufbläst.

Dank des Hauptfallschirms sollte es mit einer Sinkrate von etwa sechs bis sieben Metern pro Sekunde kontrolliert zurück zur Erde gehen. Moderne Schleudersitze wie der "Mk 16A" verfügen übrigens über eine sogenannte Zero-Zero-Capability. Das bedeutet, dass der Ausstieg auch möglich ist, wenn das Flugzeug noch auf dem Flugplatz steht und sich nicht bewegt.

Doch, und das zeigt das tragische Unglück vom Montag auch, nicht immer können die Sitze wie vorgesehen ihren Dienst tun. Bis dato hat es erst zwei zumindest teilweise erfolgreiche Ausstiege aus einem Eurofighter gegeben: Im November 2002  konnten sich beim Absturz eines Eurofighter-Prototypen südlich von Madrid beide Besatzungsmitglieder retten. Beim Absturz eines Trainingsflugzeugs, ebenfalls in Spanien, im August 2010  gelang es nur dem spanischen Ausbilder, sich zu retten. Der Flugschüler, ein Kampfpilot aus Saudi-Arabien, kam ums Leben.