München für ältere Menschen:Zwicken und Zwacken

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"Ich kauf' mir ein Motorrad und einen Lederdress", sang Udo Jürgens und viele möchten es ihm offenbar nachmachen. (Foto: Stephan Rumpf)

Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der über 75-Jährigen in München etwa um ein Drittel steigen. Eine Studie zeigt nun, was sich die Menschen fürs Älterwerden wünschen.

Von Sven Loerzer

Kein Zweifel, die Generation derjenigen, die in ihren jungen Jahren "Forever young" von Bob Dylan gehört hat, bewegt sich auf das Rentenalter zu. Den Traum von ewiger Jugend des Körpers haben einige schon ausgeträumt, weil es da und dort zwickt und zwackt, andere wiederum schwingen sich noch einmal zu sportlichen Höchstleistungen auf, um sich zu beweisen, dass das Alter so schnell keine Einschränkungen bringen muss. So unterschiedlich der Umgang mit dem Altern auch ist, mit Kunstbegriffen wie "Senioren" oder, schlimmer, "Best Agers", will sich diese jüngere ältere Generation nicht identifizieren. Wie aber stellt sie sich ihr Leben im Alter vor?

Das Älterwerden in München analysiert eine gleichnamige Studie, die das Planungs- und das Sozialreferat am Mittwoch, 15. April, dem Stadtrat vorlegen wird. München altert zwar langsamer als viele andere Städte, aber auch in der Landeshauptstadt wird die Zahl der Menschen im Alter ab 75 Jahren bis 2030 etwa um ein Drittel auf 142 000 steigen. Dass München dennoch vergleichsweise jung bleibt, liegt vor allem an der Zuwanderung von Ausbildungs- und Berufsanfängern.

Um herauszufinden, was die Generation der heute 55- bis 75-Jährigen erwartet, hat die Stadt das Institut für Stadtplanung und Sozialforschung Weeber+Partner aus Stuttgart und das Kompetenzzentrum für Generationen der Fachhochschule St. Gallen mit einer umfangreichen Erhebung beauftragt. Entstanden sind dabei repräsentative Stichproben für fünf verschiedene Wohnquartierstypen von der Reihenhaussiedlung bis zum Gründerzeitviertel. 2750 Interviews wurden geführt, dazu kamen Expertengespräche und Zielgruppenforen. Die Erkenntnisse sollen helfen, die Stadt altersgerecht weiterzuentwickeln.

"Ich kauf' mir ein Motorrad und einen Lederdress", sang Udo Jürgens und viele möchten es ihm offenbar nachmachen. (Foto: Stephan Rumpf)

Nicht immer überraschen die Studienergebnisse, etwa wenn herauskommt, dass sich die Befragten jünger fühlen, als sie tatsächlich sind - durchschnittlich um sieben Jahre. Oder wenn sich herausstellt, dass Befragte mit höherem Einkommen mehr positive Erwartungen für das Alter als Ängste haben, während die Furcht mit niedrigerem Einkommen steigt. Mit Abstand am stärksten ausgeprägt sind die Ängste, irgendwann auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, pflegebedürftig und dement zu werden - diese Befürchtungen fürs Älterwerden teilen jeweils etwa drei Viertel der Befragten.

Barrierefreiheit und gute Voraussetzungen für selbständiges Altern werden jedenfalls nach der Studie künftig zu den wichtigsten Themen gehören. Von allen Befragten, die bereits Schwierigkeiten beim Gehen und Treppensteigen haben, verfügt nur rund ein Fünftel über eine barrierefreie Wohnung. Selbst dann, wenn sie Pflege brauchen, bleibt für 92 Prozent der Befragten das Zuhause der bevorzugte Ort. "Die Befragten wünschen sich mehrheitlich selbstgestaltete Wohnformen für ganz unterschiedliche Lebenskonstellationen", fasst Stadtbaurätin Elisabeth Merk die Ergebnisse zum Wohnen zusammen. Etwa Konzepte, bei denen sich mehrere Haushalte mit demenzkranken Angehörigen gegenseitig unterstützen könnten. Hausgemeinschaften, bei denen jeder seine eigene Wohnung hat, aber die Bewohner sich gegenseitig unterstützen, können sich drei Viertel der Befragten für sich selbst vorstellen. Einer herkömmlichen Wohngemeinschaft im Alter dagegen stehen genauso viele ablehnend gegenüber.

"Unabhängig von der Wohnform wäre für ein Drittel der Befragten eine kleinere Wohnung grundsätzlich vorstellbar", betont Elisabeth Merk, allerdings mit der Einschränkung: "Wenn die Bedingungen stimmen." Dazu aber bräuchte es erschwingliche, gut geschnittene und geräumig wirkende Wohnungen, die altersgerecht seien. Die aber gibt es kaum. So bleiben Ältere, die wegen ihrer langen Wohndauer in einer älteren Anlage eine niedrige Miete haben, in ihrer Wohnung, obwohl sie gerne umziehen würden. Die meist hohen Kosten bei einer Neuvermietung können sie nicht finanzieren. "Man kann hier von einem zwanghaften Bleiben - trotz oft unzureichender Wohnbedingungen und grundsätzlich stärkeren gesundheitsbedingten Einschränkungen bei niedrigeren Einkommensgruppen - sprechen", heißt es in der Studie. Immer mehr Ältere müssten mit wenig Geld auskommen, sie brauchen umfassende Unterstützung, "damit sie nicht weiter hinter andere zurückfallen".

Mit zunehmendem Alter fallen weite Wege schwerer, deshalb spielt die Infrastruktur im Viertel eine immer größere Rolle, um Einkäufe und Erledigungen noch selbständig zu bewältigen. Die Einschätzung der Befragten unterscheidet sich je nach Wohnviertel: "Besonders hoch ist die Zufriedenheit mit den Geschäften zum täglichen Einkauf in den Gründerzeitgebieten, wo noch an vielen Ecken Lebensmittelläden zu finden sind, sowie im Untersuchungsgebiet Neuperlach mit dem Perlacher Einkaufscenter und kleineren Zentren im Gebiet."

"Pantoffelgrün", so die Stadtplaner, wird ebenfalls immer wichtiger, schnell erreichbare Flächen: Stadtplätze, Parks und Grünflächen sind sehr beliebt, allerdings mit mehr Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten. Fast die Hälfte derjenigen, die bereits jetzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, kann sich vorstellen, dies im Alter noch häufiger zu tun, immerhin gut ein Viertel will künftig mehr Wege zu Fuß zurücklegen.

Nachbarn, Bekannte und Freunde sichern als "soziale Netzwerke" nicht nur Wohlbefinden, sondern Hilfe und Unterstützung bei Problemen. "Bei einem Viertel bis einem Drittel der Befragten sind die Netzwerke eher verletzlich zusammengesetzt", fasst die Stadtbaurätin zusammen, vor allem bei Alleinlebenden und jenen ohne Kinder in der Nähe. Bei vielen "Babyboomern" sind die Netzwerke im Umbruch, was sich in München deutlicher zeige als andernorts, etwa "an den relativ häufigen Partnerschaften mit getrennten Wohnungen, den verbreiteten Wünschen nach gemeinschaftlichen Wohnformen, der Renaissance des Wunschs nach nicht nur distanzierter Nachbarschaft". Umso wichtiger werde es für die Stadt, das Entstehen von Netzwerken in den Wohngebieten und nachbarschaftlichem Zusammenhalt zu unterstützen. Ein knappes Drittel der Befragten, 29 Prozent, engagieren sich ehrenamtlich, das entspricht dem bundesweiten Schnitt. Das freiwillige Engagement ist ausbaufähig: Grundsätzlich bereit dazu wären zwar 60 Prozent der Älteren, aber sie stellen Bedingungen, wie etwa flexible Zeiteinteilung oder auch Fortbildungsangebote.

Auch die Heime müssen sich wandeln: "Das klassische Pflegeheim wird von den Befragten als letzte Station wahrgenommen, die vor allem durch gute Pflege- und Wohnqualität sowie Teilhabe überzeugen sollte", so die Studie. Ein Drittel der 55- bis 75-Jährigen vermisst Alternativen, etwa Pflegewohngemeinschaften. Wichtig werde, "sehr unterschiedliche Wohn- und Pflegeformen - möglichst kleinräumig in den Stadtvierteln eingestreut - zu entwickeln, um den immer vielfältiger werdenden Wünschen der kommenden Altersgenerationen besser gerecht zu werden". Häuser in überschaubarer Größe, die ins Leben des Viertels eingebunden sind, wo sich Menschen aus der Nachbarschaft engagieren, seien vorstellbar, auch in Kombination mit anderen Nutzungen, wie etwa einem Café. Häuser, die Raum für ein selbstbestimmtes Leben auch bei Pflege lassen.

Vielleicht ist ja gerade das ein Kennzeichen der neuen Alten: Dass sie sich nicht einfach als abgeschrieben abstempeln lassen und so verhalten wollen, wie es früher von einem Greis erwartet wurde, der grauhaarig und dankbar sein Leben fristet, die vielfältige Gestaltung einer bunten Welt aber allein den Jungen überlässt.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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